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Freitag, 6. Oktober 2017
Wichtiger Hinweis in eigener Sache
c. fabry, 12:24h
Wer mein E-book "Ich hab' den Ausbau nicht gewollt" bestellen will, sollte dies vorläufig nicht bei Thalia tun, die haben noch die beschädigte Datei vom ersten fehlerhaften Hochladen. Ich mach ungern Werbung für Amazon, aber da bekommt man dann auch wirklich das ganze E-book.
Sorry an Birgit die Starke, die dankenswerterweise bei Thalia bestellt hat.
Sorry an Birgit die Starke, die dankenswerterweise bei Thalia bestellt hat.
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Der Abend nach dem Morgen
c. fabry, 12:07h
Linda blickte gern zurück. Damals war alles noch gut gewesen, na ja fast gut. Sie hatte oft grauenvolle Ängste vor dem Höllenschlund ausgestanden, weil Tante Änne von gegenüber ihr immer wieder eingetrichtert hatte, dass nur die braven Mädchen in den Himmel kämen, die bösen dagegen in ewiger Verdammnis auf glühenden Kohlen entsetzliche Schmerzen erleiden und dabei vom Teufel verspottet würden, dessen Fratze so grässlich anzusehen sei, dass einen das Grauen nie mehr loslasse. Linda hatten die Bilder schon damals nicht mehr losgelassen, denn sie war ja ein böses Mädchen, wenn sie es versäumte, einen Passanten zu grüßen, Zucker verschüttete oder schmutzige Fingernägel hatte.
Aber dann war sie gerettet worden, von einem der es wissen musste, besser als Tante Änne. Pastor Grunewald, der hatte ihr von Jesus erzählt, der alles vergibt, ganz besonders solche Kinkerlitzchen wie Gedankenlosigkeit, mangelndes Geschick oder schmutzige Fingernägel. Pastor Grunewald hatte sie gelehrt, immer das Gute im Menschen zu suchen und fest daran zu glauben.
Es war immer besser geworden. Simon war in ihr Leben getreten und endlich war die Sonne aufgegangen wie an einem ersten Frühlingstag. Aber der Sommer war noch so weit weg gewesen und da war mehr Hoffnung als Erlösung gewesen. Noch bevor sie von den verbotenen Früchten leidenschaftlicher Fleischeslust hatte naschen dürfen, hatte Louisa begonnen, sie mit etwas zu erpressen, das nie stattgefunden hatte. Aber es wäre schon eine Katastrophe gewesen, wenn alle gewusst hätten, wie sehr sie Simon begehrte. Es wäre die Hölle gewesen, wie auf glühenden Kohlen hätte sie sich fühlen müssen, verspottet von des Teufels hässlicher Fratze.
Der Glaube an Jesus, der sie gemeinsam mit seinem Vater in der Spur hielt, hatte ihr geholfen, stabil zu bleiben. Aber Jesus hatte sie verlassen. Vermutlich hatte er das schon vor knapp 2000 Jahren getan. Warum sonst waren die, die sich als seine Anhänger ausgaben, sonst so weit entfernt von dem, was er gepredigt hatte?
Wenn alle am Ende nur für sich sorgten und den Glauben an Jesus nur vorschützten, dann konnte sie das auch.
Sie hatte damit angefangen, Simon dorthin zu schicken, von wo er nicht zurückkehren konnte. Simon war plötzlich so kalt gewesen und ihr war schlagartig bewusst geworden, dass er sie benutzt hatte. Seine ganze Aufmerksamkeit, die ständige Zuwendung, dass er sie immer behandelt hatte wie seinen Augapfel, als sei sie etwas ganz Besonderes, war nur der Tatsache geschuldet, dass sie in seinen Händen formbar wie Wachs gewesen war und sich überall da hatte einsetzen lassen, wo er jemanden brauchte, der ihn verlässlich unterstützte, bei den Kindergruppen, der Kinderbibelwoche, der Organisation der Weihnachtsbaumsammelaktion und der Vorbereitung des Jugendgottesdienstes. Als sie mehrere Wochen hintereinander häufiger etwas vergessen hatte, weil es zu Hause Stress gab, ihre Versetzung gefährdet war und sie sich einfach schlapp und antriebslos fühlte, da hatte Simon sich kontinuierlich zurückgezogen. Am Ende hatte er sie behandelt, wie eine lästige Teilnehmerin. Als sie daraufhin Pastor Grunewald um ein Gespräch gebeten hatte, hatte der zuerst keinen Termin frei und als er es endlich hatte einrichten können, war ihm deutlich anzusehen gewesen, dass er gerade mit etwas Anderem beschäftigt war. Er hatte aus dem Fenster gesehen oder auf die Erde und war unruhig auf seinem Stuhl hin und her gerutscht.
Die Wut und Enttäuschung einerseits, aber auch die Angst, von ihm bloßgestellt zu werden, ließ den Entschluss in ihr reifen, Simon dorthin zu schicken, wo er hingehörte. Es war nicht schwierig. Das Medikament war frei verkäuflich. Man konnte es auflösen, die Lösung einkochen und dann ein aromatisches Getränk damit versetzen. Bei Simon rührte sie es in den koffeinfreien Kaffee, den er gern zum Abschluss des Arbeitstages trank, wenn sie nach dem Jugendkreis noch eine kurze Teambesprechung machten. Er fand zwar, dass der Kaffee diesmal seltsam schmeckte, schöpfte aber keinen Verdacht. Sie wusste nicht, ob er sanft hinübergeglitten war oder noch einmal von schrecklichen Krämpfen geschüttelt und in panischer Angst aufgewacht war. Seine Frau hatte ihn friedlich aber reglos im Bett gefunden, am nächsten Morgen.
Niemand ahnte etwas, nur Louisa hatte ihrer Verwunderung darüber Ausdruck verliehen, dass Linda gar nicht so traurig zu sein schien, wie man eigentlich von ihr erwartet hätte. Sie stellte Fragen. Zu viele Fragen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie Linda erpressen oder ihr die Polizei auf den Hals hetzten würde. Louisa war kein guter Mensch, nein eine elende Drecksbratze war sie. Das war sie schon immer gewesen. Sie kübelte gern literweise Cola in sich hinein. Es war nicht schwierig, eine Flasche für sie zu präparieren. Man sah sich ja abends beim Jugendkreis. Und als sie am nächsten Morgen tot in ihrem Bett lag, schöpfte noch immer niemand Verdacht, nur die Polizei begann, sich zu wundern.
Aber Linda war noch nicht fertig mit ihrem Rache-Gericht. Ihr war in den letzten Tagen klar geworden, dass auch Pastor Grunewald sie betrogen hatte. Das, was er sie gelehrt hatte, glaubte er selbst nicht. Jesus lebte nicht mehr und er hatte ihr wider besseren Wissens etwas Anderes erzählt. Außerdem wusste er zu viel, ahnte zumindest etwas. Und wenn er doch fest an das Paradies glaubte, dann tat sie ihm am Ende ja einen Gefallen. Sie wusste, dass er gern den übriggebliebenen Abendmahlswein mit nach Hause nahm, daran nahm niemand in der Gemeinde Anstoß. Sie war auch Kindergottesdienst-Helferin. Niemand wunderte sich, wenn sie mal eben in der Sakristei verschwand. Es hätte scheitern können, aber auch Pfarrer Grunewald schied aus dem Leben, wenn auch spektakulärer als seine Vorgänger. Er hatte den Wein nämlich zum Mittagessen getrunken und war dann ins Auto gestiegen, um einen Freund zu besuchen. Dort kam er nicht an, weil er in einen schrecklichen Verkehrsunfall verwickelt wurde. Diesmal wunderte sich niemand, die Serie war nicht erkennbar, es war tragisch und alle waren zutiefst erschüttert.
Da kam die alte Angst vor dem Höllenfeuer wieder in Linda hoch und sie erkannte, dass es nie so weit gekommen wäre, wenn Tante Änne ihr diese Angst nicht eingetrichtert hätte. Die alte Änne. Wie viele Kinder wollte sie noch mit ihren Geschichten in den Abgrund stürzen? Das musste ein Ende haben. Tante Änne bemerkte nichts Außergewöhnliches an ihrem Kaffee, dafür waren ihre Geschmacksknospen schon zu alt und die Freude zu groß, dass Linda sie endlich wieder einmal besuchte. Als ihr schwindelig wurde, half ihr Linda ins Bett, damit sie sich etwas ausruhen konnte, in ein bis zwei Stunden würde es schon wieder gehen. Es ging nicht mehr. Aber Tante Änne war alt und niemand wunderte sich.
Niemand? Nicht ganz. Frau Grunewald hatte ihren Mann obduzieren lassen und man hatte das Medikament entdeckt. Simons Leiche war schon kremiert worden, aber Louisa konnte exhumiert werden.
Gerade kocht Linda die nächste Dosis, denn Mama und Papa haben begonnen, lästige Fragen zu stellen, da fährt ein Polizeiwagen vor. Nun hat es wohl keinen Zweck mehr, zu hoffen, sie bliebe unentdeckt. Zum Abschied kritzelt sie schnell ein Gedicht auf einen Bogen Briefpapier:
Der, an den ich glaube,
hat mir gesagt,
dass er mich nicht braucht.
Darum gebe ich auf,
Leichen pflastern meinen Weg
und ich wünsche von jedem Regentropfen,
dass er mich erschlagen möge.
Sie glaubt fest an sich und daran, dass ihr dieses Gedicht ganz von allein eingefallen ist. Zu Sie merkt nicht, dass es sich um ein halbes Plagiat handelt, erinnert sich nicht an das Original. Noch eine Lebenslüge. Ihre letzte. Vielleicht muss sie sich deswegen selbst bestrafen. Sie schluckt das Konzentrat und flieht durch den Garten in den Wald. Hier werden sie sie erst finden, wenn es zu spät ist.
Aber dann war sie gerettet worden, von einem der es wissen musste, besser als Tante Änne. Pastor Grunewald, der hatte ihr von Jesus erzählt, der alles vergibt, ganz besonders solche Kinkerlitzchen wie Gedankenlosigkeit, mangelndes Geschick oder schmutzige Fingernägel. Pastor Grunewald hatte sie gelehrt, immer das Gute im Menschen zu suchen und fest daran zu glauben.
Es war immer besser geworden. Simon war in ihr Leben getreten und endlich war die Sonne aufgegangen wie an einem ersten Frühlingstag. Aber der Sommer war noch so weit weg gewesen und da war mehr Hoffnung als Erlösung gewesen. Noch bevor sie von den verbotenen Früchten leidenschaftlicher Fleischeslust hatte naschen dürfen, hatte Louisa begonnen, sie mit etwas zu erpressen, das nie stattgefunden hatte. Aber es wäre schon eine Katastrophe gewesen, wenn alle gewusst hätten, wie sehr sie Simon begehrte. Es wäre die Hölle gewesen, wie auf glühenden Kohlen hätte sie sich fühlen müssen, verspottet von des Teufels hässlicher Fratze.
Der Glaube an Jesus, der sie gemeinsam mit seinem Vater in der Spur hielt, hatte ihr geholfen, stabil zu bleiben. Aber Jesus hatte sie verlassen. Vermutlich hatte er das schon vor knapp 2000 Jahren getan. Warum sonst waren die, die sich als seine Anhänger ausgaben, sonst so weit entfernt von dem, was er gepredigt hatte?
Wenn alle am Ende nur für sich sorgten und den Glauben an Jesus nur vorschützten, dann konnte sie das auch.
Sie hatte damit angefangen, Simon dorthin zu schicken, von wo er nicht zurückkehren konnte. Simon war plötzlich so kalt gewesen und ihr war schlagartig bewusst geworden, dass er sie benutzt hatte. Seine ganze Aufmerksamkeit, die ständige Zuwendung, dass er sie immer behandelt hatte wie seinen Augapfel, als sei sie etwas ganz Besonderes, war nur der Tatsache geschuldet, dass sie in seinen Händen formbar wie Wachs gewesen war und sich überall da hatte einsetzen lassen, wo er jemanden brauchte, der ihn verlässlich unterstützte, bei den Kindergruppen, der Kinderbibelwoche, der Organisation der Weihnachtsbaumsammelaktion und der Vorbereitung des Jugendgottesdienstes. Als sie mehrere Wochen hintereinander häufiger etwas vergessen hatte, weil es zu Hause Stress gab, ihre Versetzung gefährdet war und sie sich einfach schlapp und antriebslos fühlte, da hatte Simon sich kontinuierlich zurückgezogen. Am Ende hatte er sie behandelt, wie eine lästige Teilnehmerin. Als sie daraufhin Pastor Grunewald um ein Gespräch gebeten hatte, hatte der zuerst keinen Termin frei und als er es endlich hatte einrichten können, war ihm deutlich anzusehen gewesen, dass er gerade mit etwas Anderem beschäftigt war. Er hatte aus dem Fenster gesehen oder auf die Erde und war unruhig auf seinem Stuhl hin und her gerutscht.
Die Wut und Enttäuschung einerseits, aber auch die Angst, von ihm bloßgestellt zu werden, ließ den Entschluss in ihr reifen, Simon dorthin zu schicken, wo er hingehörte. Es war nicht schwierig. Das Medikament war frei verkäuflich. Man konnte es auflösen, die Lösung einkochen und dann ein aromatisches Getränk damit versetzen. Bei Simon rührte sie es in den koffeinfreien Kaffee, den er gern zum Abschluss des Arbeitstages trank, wenn sie nach dem Jugendkreis noch eine kurze Teambesprechung machten. Er fand zwar, dass der Kaffee diesmal seltsam schmeckte, schöpfte aber keinen Verdacht. Sie wusste nicht, ob er sanft hinübergeglitten war oder noch einmal von schrecklichen Krämpfen geschüttelt und in panischer Angst aufgewacht war. Seine Frau hatte ihn friedlich aber reglos im Bett gefunden, am nächsten Morgen.
Niemand ahnte etwas, nur Louisa hatte ihrer Verwunderung darüber Ausdruck verliehen, dass Linda gar nicht so traurig zu sein schien, wie man eigentlich von ihr erwartet hätte. Sie stellte Fragen. Zu viele Fragen. Es war nur eine Frage der Zeit, wann sie Linda erpressen oder ihr die Polizei auf den Hals hetzten würde. Louisa war kein guter Mensch, nein eine elende Drecksbratze war sie. Das war sie schon immer gewesen. Sie kübelte gern literweise Cola in sich hinein. Es war nicht schwierig, eine Flasche für sie zu präparieren. Man sah sich ja abends beim Jugendkreis. Und als sie am nächsten Morgen tot in ihrem Bett lag, schöpfte noch immer niemand Verdacht, nur die Polizei begann, sich zu wundern.
Aber Linda war noch nicht fertig mit ihrem Rache-Gericht. Ihr war in den letzten Tagen klar geworden, dass auch Pastor Grunewald sie betrogen hatte. Das, was er sie gelehrt hatte, glaubte er selbst nicht. Jesus lebte nicht mehr und er hatte ihr wider besseren Wissens etwas Anderes erzählt. Außerdem wusste er zu viel, ahnte zumindest etwas. Und wenn er doch fest an das Paradies glaubte, dann tat sie ihm am Ende ja einen Gefallen. Sie wusste, dass er gern den übriggebliebenen Abendmahlswein mit nach Hause nahm, daran nahm niemand in der Gemeinde Anstoß. Sie war auch Kindergottesdienst-Helferin. Niemand wunderte sich, wenn sie mal eben in der Sakristei verschwand. Es hätte scheitern können, aber auch Pfarrer Grunewald schied aus dem Leben, wenn auch spektakulärer als seine Vorgänger. Er hatte den Wein nämlich zum Mittagessen getrunken und war dann ins Auto gestiegen, um einen Freund zu besuchen. Dort kam er nicht an, weil er in einen schrecklichen Verkehrsunfall verwickelt wurde. Diesmal wunderte sich niemand, die Serie war nicht erkennbar, es war tragisch und alle waren zutiefst erschüttert.
Da kam die alte Angst vor dem Höllenfeuer wieder in Linda hoch und sie erkannte, dass es nie so weit gekommen wäre, wenn Tante Änne ihr diese Angst nicht eingetrichtert hätte. Die alte Änne. Wie viele Kinder wollte sie noch mit ihren Geschichten in den Abgrund stürzen? Das musste ein Ende haben. Tante Änne bemerkte nichts Außergewöhnliches an ihrem Kaffee, dafür waren ihre Geschmacksknospen schon zu alt und die Freude zu groß, dass Linda sie endlich wieder einmal besuchte. Als ihr schwindelig wurde, half ihr Linda ins Bett, damit sie sich etwas ausruhen konnte, in ein bis zwei Stunden würde es schon wieder gehen. Es ging nicht mehr. Aber Tante Änne war alt und niemand wunderte sich.
Niemand? Nicht ganz. Frau Grunewald hatte ihren Mann obduzieren lassen und man hatte das Medikament entdeckt. Simons Leiche war schon kremiert worden, aber Louisa konnte exhumiert werden.
Gerade kocht Linda die nächste Dosis, denn Mama und Papa haben begonnen, lästige Fragen zu stellen, da fährt ein Polizeiwagen vor. Nun hat es wohl keinen Zweck mehr, zu hoffen, sie bliebe unentdeckt. Zum Abschied kritzelt sie schnell ein Gedicht auf einen Bogen Briefpapier:
Der, an den ich glaube,
hat mir gesagt,
dass er mich nicht braucht.
Darum gebe ich auf,
Leichen pflastern meinen Weg
und ich wünsche von jedem Regentropfen,
dass er mich erschlagen möge.
Sie glaubt fest an sich und daran, dass ihr dieses Gedicht ganz von allein eingefallen ist. Zu Sie merkt nicht, dass es sich um ein halbes Plagiat handelt, erinnert sich nicht an das Original. Noch eine Lebenslüge. Ihre letzte. Vielleicht muss sie sich deswegen selbst bestrafen. Sie schluckt das Konzentrat und flieht durch den Garten in den Wald. Hier werden sie sie erst finden, wenn es zu spät ist.
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Mittwoch, 27. September 2017
Alice im Flunderland – der erste gottlose Kurzkrimi in diesem Blog
c. fabry, 15:11h
Aus aktuellem Anlass und aus Achtung vor den Lesebedürfnissen meiner treuesten LeserInnen und AbonentInnen nun einmal etwas ganz ohne Kirche:
Sie wuchs auf, damals, im Flunderland und man sagt ja, dass die Landschaft den Geist formt.
Es war der 1. November 1989. Alice langweilte sich zu Tode. Im Sommer hatte sie soviel Spaß beim Kurzurlaub in Göhrde mit Onkel Alex und ihren grenzdebilen Vettern Bernd, Björn und Peterle gehabt. Gut, Onkel Alex hatte beim Pflaumenkuchen mit Schlagsahne immerzu vom zweiten Weltkrieg geschwärmt, das war ihr irgendwann zu den Ohren herausgekommen, zumal sie auch schon rechnen konnte und feststellte, dass Onkel Alex zwar schon unter Hitler einen braunen Hintern gehabt hatte, aber eben auch nur einen braunen Hintern. Doch vor und nach dem Pflaumenkuchen durchstöberte sie gern zusammen mit den Jungs den lüneburgischen Wald auf der Suche nach Jagdwild, so wie Onkel Alex es ihnen erklärt hatte. Er selbst lag dann schnarchend auf der Terrasse und träumte von Deutschland in den Grenzen von 1937.
So kam es, dass Alice eines Nachmittags endlich fündig wurde. Ein Ehepaar saß auf einer Picknick-Decke und verspeiste Hühnerbeine. Alice hätte niemals Hühnchen gegessen, weil sie das gemütliche Federvieh verehrte, zumindest an diesem Nachmittag fand sie, dass Hühner Essen so ziemlich das Grausamste war, was Menschen sich leisten konnten und das verlangte nach konsequenter Bestrafung. Endlich gab es ein bewegliches Ziel für das brandneue, in Deutschland nicht zugelassene Luftgewehr. Einmal Auge, einmal Schläfe und die beiden Hühnerfresser lagen blutend zwischen den Vogelknochen. Der 15jährige Björn klopfte ihr anerkennend auf die Schulter, während der ebenso alte Peterle deutlich erbleichte. Jungen waren eben ein paar Jahre zurück hinter den Mädchen, Alice war da viel cooler. Sie hatte gerade die Grundschule hinter sich gebracht und war nun fit fürs Gymnasium. Auf dem Schulhof würde ihr niemand dumm kommen. Schon gar nicht in ihrem neuen Look: der hochgestellte Kragen an Omas blütenweißer BDM-Hemdbluse verlieh ihr die Aura einer unbesiegbaren Herrscherin. Doch jetzt hatte Alice Tatsachen geschaffen, deren Folgen weder sie noch ihre Vetter tragen wollten.
„Wir müssen sie vergraben.“, meinte Bernd, der mit seinen 27 Jahren zwar auch nicht der Hellste war, aber immerhin schon gelernt hatte, dass man sich beim Leute Umbringen nicht erwischen lassen durfte. Er schickte Peterle rasch zum Ferienhaus, damit er einen Spaten besorgte, dann ließen sie das Ehepaar in einem feuchten, dunklen Grab für lange Zeit verschwinden.
Der Jagderfolg stimmte Alice euphorisch und als sie Onkel Alex davon berichtete und beschrieb, wie die Beute ausgesehen hatte, blickte der ihr lange anerkennend in die Augen. „Das hast du fein gemacht, Mädchen.“, lobte er sie. „Solche Zecken gehören ausgerottet. Wenn du nicht eingegriffen hättest, wären sie womöglich noch in aller Öffentlichkeit übereinander hergefallen wie die Tiere.“
Am nächsten Tag gingen die Kinder wieder auf die Pirsch und entdeckten schon bald neue Beute: ein Liebespaar trieb es im Auto , das taten die sicher, weil sie sich heimlich trafen und eigentlich verheiratet waren und Ehebruch musste bestraft werden, mal ganz davon abgesehen, dass sie es in der Öffentlichkeit trieben und davon hielt Onkel Alex ja nun auch gar nichts. Schon wieder mussten die Jungs die Leichen verschwinden lassen und zum Dank schenkte Alice dem tumben Bernd das Auto – da konnte er die beiden auch gleich woanders entsorgen als in dem Wald, in dem ja schon das andere Paar begraben lag. In den folgenden Tagen erzählten die Kinder überall im Dorf herum, sie hätten da im Wald in den letzten Tagen gesehen, wie der Friedhofsgärtner sich herumtrieb und er wäre mit einem Luftgewehr unterwegs gewesen. Die Rechnung ging auf und der Friedhofsgärtner wurde schließlich rechtskräftig verurteilt.
Aber jetzt war November und nichts passierte.
Eine Woche und einen Tag darauf war dann doch endlich einmal etwas los. Die Berliner Mauer fiel, aber eigentlich war das auch egal. Onkel Alex war zwar ganz aus dem Häuschen und schwafelte immer von der Familie in Mitteldeutschland, aber das hatte Alice in der Schule noch nicht durchgenommen, darum langweilte sie sich einfach nur. Sie wollte mal wieder etwas erlegen, aber diesmal sollte es richtig knallen. Sie fragte Björn, wen man denn da mal ins Visier nehmen könnte. Björn hörte sich ein bisschen um und weil er immer alles durcheinanderbrachte, schlug er einen Banker vor. Unter Hitler waren die ja auch beliebte Ziele gewesen, allerdings nicht weil sie Banker waren, aber so genau konnte Björn sich das alles nicht merken. Für den großen Rums musste Peterle ran. Peterle konnte Mathe und Physik, sonst nichts, aber das konnte er.
30. November. Alfred Herrhausen hatte es erwischt und Alice ritzte die fünfte Kerbe in ihr Luftgewehr. Onkel Alex hatte das TNT über seine alten Wehrmachtskumpel besorgt und dann war alles ganz einfach gewesen. Aber schließlich ärgerte Alice sich schwarz und braun, als ausgerechnet die Zecken von der RAF sich zu dem Anschlag bekannten, dabei wären diese Stümper niemals zu einer solchen Präzision fähig gewesen und jetzt schmückten sie sich mit den Lorbeeren, die eigentlich ihr gebührt hätten. Aber Onkel Alex sagte, sie sollte mal zufrieden sein, Hauptsache, das blöde Volk war sauer auf die Linken und ihre Bewegung bekäme mehr Zulauf.
Und dann kam Weihnachten. Peterle hatte seinen Freund Marcus eingeladen, denn der hatte keine nette Familie und Onkel Alex lud die Verwandten aus Mitteldeutschland ein, die Dresdener, da kam auch die Frauke mit. Die konnte Alice von Anfang an nicht ausstehen, denn sie musste immer zu allem ihren Senf dazu geben, wollte immer die Bestimmerin sein und sah aus wie von der Treppe gefallen. Sie hätte ein perfektes Mobbingopfer abgegeben, aber statt dessen schnappte sie Alice den hübschen Marcus weg, denn sie war schon vierzehn und hatte ihre Tage. Außerdem gab sie immer mit ihrer coolen gleichaltrigen Freundin Beate an, die gleich zwei Uwes zum Sexen hatte und die am Wochenende immer zusammen los zogen und Ratten in die Luft sprengten oder streunende Katzen häuteten. Aber Marcus fand Frauke süß und und Alice war sauer und plante einen Rachefeldzug. Sie würde Frauke aus dem Weg räumen und wenn es 25 Jahre oder länger dauern sollte...So wuchs sie auf, damals im Flunderland und man sagt ja, dass die Landschaft den Geist formt.
Sie wuchs auf, damals, im Flunderland und man sagt ja, dass die Landschaft den Geist formt.
Es war der 1. November 1989. Alice langweilte sich zu Tode. Im Sommer hatte sie soviel Spaß beim Kurzurlaub in Göhrde mit Onkel Alex und ihren grenzdebilen Vettern Bernd, Björn und Peterle gehabt. Gut, Onkel Alex hatte beim Pflaumenkuchen mit Schlagsahne immerzu vom zweiten Weltkrieg geschwärmt, das war ihr irgendwann zu den Ohren herausgekommen, zumal sie auch schon rechnen konnte und feststellte, dass Onkel Alex zwar schon unter Hitler einen braunen Hintern gehabt hatte, aber eben auch nur einen braunen Hintern. Doch vor und nach dem Pflaumenkuchen durchstöberte sie gern zusammen mit den Jungs den lüneburgischen Wald auf der Suche nach Jagdwild, so wie Onkel Alex es ihnen erklärt hatte. Er selbst lag dann schnarchend auf der Terrasse und träumte von Deutschland in den Grenzen von 1937.
So kam es, dass Alice eines Nachmittags endlich fündig wurde. Ein Ehepaar saß auf einer Picknick-Decke und verspeiste Hühnerbeine. Alice hätte niemals Hühnchen gegessen, weil sie das gemütliche Federvieh verehrte, zumindest an diesem Nachmittag fand sie, dass Hühner Essen so ziemlich das Grausamste war, was Menschen sich leisten konnten und das verlangte nach konsequenter Bestrafung. Endlich gab es ein bewegliches Ziel für das brandneue, in Deutschland nicht zugelassene Luftgewehr. Einmal Auge, einmal Schläfe und die beiden Hühnerfresser lagen blutend zwischen den Vogelknochen. Der 15jährige Björn klopfte ihr anerkennend auf die Schulter, während der ebenso alte Peterle deutlich erbleichte. Jungen waren eben ein paar Jahre zurück hinter den Mädchen, Alice war da viel cooler. Sie hatte gerade die Grundschule hinter sich gebracht und war nun fit fürs Gymnasium. Auf dem Schulhof würde ihr niemand dumm kommen. Schon gar nicht in ihrem neuen Look: der hochgestellte Kragen an Omas blütenweißer BDM-Hemdbluse verlieh ihr die Aura einer unbesiegbaren Herrscherin. Doch jetzt hatte Alice Tatsachen geschaffen, deren Folgen weder sie noch ihre Vetter tragen wollten.
„Wir müssen sie vergraben.“, meinte Bernd, der mit seinen 27 Jahren zwar auch nicht der Hellste war, aber immerhin schon gelernt hatte, dass man sich beim Leute Umbringen nicht erwischen lassen durfte. Er schickte Peterle rasch zum Ferienhaus, damit er einen Spaten besorgte, dann ließen sie das Ehepaar in einem feuchten, dunklen Grab für lange Zeit verschwinden.
Der Jagderfolg stimmte Alice euphorisch und als sie Onkel Alex davon berichtete und beschrieb, wie die Beute ausgesehen hatte, blickte der ihr lange anerkennend in die Augen. „Das hast du fein gemacht, Mädchen.“, lobte er sie. „Solche Zecken gehören ausgerottet. Wenn du nicht eingegriffen hättest, wären sie womöglich noch in aller Öffentlichkeit übereinander hergefallen wie die Tiere.“
Am nächsten Tag gingen die Kinder wieder auf die Pirsch und entdeckten schon bald neue Beute: ein Liebespaar trieb es im Auto , das taten die sicher, weil sie sich heimlich trafen und eigentlich verheiratet waren und Ehebruch musste bestraft werden, mal ganz davon abgesehen, dass sie es in der Öffentlichkeit trieben und davon hielt Onkel Alex ja nun auch gar nichts. Schon wieder mussten die Jungs die Leichen verschwinden lassen und zum Dank schenkte Alice dem tumben Bernd das Auto – da konnte er die beiden auch gleich woanders entsorgen als in dem Wald, in dem ja schon das andere Paar begraben lag. In den folgenden Tagen erzählten die Kinder überall im Dorf herum, sie hätten da im Wald in den letzten Tagen gesehen, wie der Friedhofsgärtner sich herumtrieb und er wäre mit einem Luftgewehr unterwegs gewesen. Die Rechnung ging auf und der Friedhofsgärtner wurde schließlich rechtskräftig verurteilt.
Aber jetzt war November und nichts passierte.
Eine Woche und einen Tag darauf war dann doch endlich einmal etwas los. Die Berliner Mauer fiel, aber eigentlich war das auch egal. Onkel Alex war zwar ganz aus dem Häuschen und schwafelte immer von der Familie in Mitteldeutschland, aber das hatte Alice in der Schule noch nicht durchgenommen, darum langweilte sie sich einfach nur. Sie wollte mal wieder etwas erlegen, aber diesmal sollte es richtig knallen. Sie fragte Björn, wen man denn da mal ins Visier nehmen könnte. Björn hörte sich ein bisschen um und weil er immer alles durcheinanderbrachte, schlug er einen Banker vor. Unter Hitler waren die ja auch beliebte Ziele gewesen, allerdings nicht weil sie Banker waren, aber so genau konnte Björn sich das alles nicht merken. Für den großen Rums musste Peterle ran. Peterle konnte Mathe und Physik, sonst nichts, aber das konnte er.
30. November. Alfred Herrhausen hatte es erwischt und Alice ritzte die fünfte Kerbe in ihr Luftgewehr. Onkel Alex hatte das TNT über seine alten Wehrmachtskumpel besorgt und dann war alles ganz einfach gewesen. Aber schließlich ärgerte Alice sich schwarz und braun, als ausgerechnet die Zecken von der RAF sich zu dem Anschlag bekannten, dabei wären diese Stümper niemals zu einer solchen Präzision fähig gewesen und jetzt schmückten sie sich mit den Lorbeeren, die eigentlich ihr gebührt hätten. Aber Onkel Alex sagte, sie sollte mal zufrieden sein, Hauptsache, das blöde Volk war sauer auf die Linken und ihre Bewegung bekäme mehr Zulauf.
Und dann kam Weihnachten. Peterle hatte seinen Freund Marcus eingeladen, denn der hatte keine nette Familie und Onkel Alex lud die Verwandten aus Mitteldeutschland ein, die Dresdener, da kam auch die Frauke mit. Die konnte Alice von Anfang an nicht ausstehen, denn sie musste immer zu allem ihren Senf dazu geben, wollte immer die Bestimmerin sein und sah aus wie von der Treppe gefallen. Sie hätte ein perfektes Mobbingopfer abgegeben, aber statt dessen schnappte sie Alice den hübschen Marcus weg, denn sie war schon vierzehn und hatte ihre Tage. Außerdem gab sie immer mit ihrer coolen gleichaltrigen Freundin Beate an, die gleich zwei Uwes zum Sexen hatte und die am Wochenende immer zusammen los zogen und Ratten in die Luft sprengten oder streunende Katzen häuteten. Aber Marcus fand Frauke süß und und Alice war sauer und plante einen Rachefeldzug. Sie würde Frauke aus dem Weg räumen und wenn es 25 Jahre oder länger dauern sollte...So wuchs sie auf, damals im Flunderland und man sagt ja, dass die Landschaft den Geist formt.
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Dienstag, 19. September 2017
Lyrische Woche auf Kurzkrimi e.V. wird täglich aktualisiert
c. fabry, 14:45h
MORGENS GELESEN, ABENDS VERGESSEN – FREI NACH BERT BRECHT
Der, an den ich glaube
hat mir gesagt,
dass er mich nicht braucht.
Darum gebe ich auf,
Leichen pflastern meinen Weg
und ich wünsche von jedem Regentropfen,
dass er mich erschlagen möge.
FAST EIN ELFCHEN
Ruchlos
das Luder
wie die rumläuft
in ihrem kleinen Schwarzen
die Pfarrerin
PAARREIM
Sie fanden sich alle beim CVJM,
im Chor, bei der Jungschar und bei der Band.
Sie fuhren ans Meer, sie schliefen im Zelt,
sie eroberten einander und gemeinsam die Welt.
Tonja hat sich in Marco verliebt
und hat ihn am Ende tatsächlich gekriegt.
Luna war auch voll scharf auf ihn,
aber schließlich war alle Hoffnung dahin.
Luna mochte nur noch zu Boden blicken,
da kam Jasper vorbei, zum Reste ficken,
jetzt hat sie den kraftlosen Säufer am Hals
und wird vermutlich mit ihm alt.
Sören hat Jana schon dreimal verlassen,
irgendwann wird sein Bild wohl ganz verblassen
und Sina ist froh, dass er sie verschmähte,
als sie sich noch so sehr nach ihm sehnte.
Nur bei Karen und Jan lief gleich alles glatt,
ein Glück, das wirklich nicht jeder hat.
Doch so geht es denen im perfekten Leben,
irgendwann muss das Pech auch an ihnen kleben.
Und dann klebt es so sehr und geht nicht mehr ab
und Jan legt weinend die Karen ins Grab.
Tonja, Marco und Luna fragen warum
Jasper, Jana und Sina blicken nur stumm.
Sören ist nicht gekommen, das ist ein Skandal.
Nicht wegen Jana, der ist das egal.
Aber wegen der Freundschaft, die alle verband.
War er nicht sogar mit Karen verwandt?
Was niemandem auffällt und das ist fatal,
ist das Fehlen von Raimund, dem alten Schakal.
Es lief aus dem Ruder, niemand hat was gesehn.
Er putzt seine Harley und alles ist schön.
HEILIGES SONETT NR 2
Die Sonntagspredigt war so gut
so schön das Feierabendmahl
und auch der Chor phänomenal,
der Küster liegt in seinem Blut.
Die Kirchmeisterin so elegant
wie sie im engen Rock nach vorne schritt
auf den grazilen Pumps zum Altar glitt
ich hätt' sie beinah nicht erkannt.
Der Nagellack, der steht ihr gut.
Die Dame war zur Maniküre,
woher kommen denn die Allüren?
Der Küster liegt in seinem Blut.
„Ach Gott“, fragt da die Dame keck,
„Wer macht denn jetzt den Mist hier weg?“
PFARRKONFERRENZ IN ALPHABETHISCHER REIHENFOLGE
Der Benedikt ist ein Charmeur,
ein rechter real wo-men-ni-zer,
er macht den Weibern gern den Hof,
das findet Berti machmal doof.
Auch Bertis Marktwert liegt weit oben,
ist auch charakterlich zu loben.
Nie würd' er einem Menschen sagen,
an ihm sei vieles zu beklagen
und dass er ihn nicht aussteh'n kann.
Nicht mal Britgitte Linnemann.
Die kann das auch nicht, jedoch bei ihr
ist Angst, nicht Güte der Grund dafür.
Den Clemens fürchtet sie am meisten.
Das stört den nicht, der will nur beißen,
es gibt nur eins, wofür er brennt:
er wär gern Superintendent.
In Dagmars Träumen ist er der Geist,
der ihr stets zeigt, was Ekel heißt.
Den Detlev hat sie da schon lieber,
der hat den Eberhard auf dem Kieker,
denn dass der Dreck am Stecken hat,
das stinkt zum Himmel, in der Tat.
Eberhard kämpft um sein Renommée,
Dabei war es seine Idee,
die den Kirchenkreis zum Leuchten brachte,
doch auch Kollegen neidisch machte.
Der Eberhard nichts zu lachen hätt',
wär' da nicht die Elisabeth.
Die lacht ganz freundlich und merkt nicht viel,
als wär' der Kirchenkreis ein Spiel
und sie Prinzessin gute Fee.
Das tut dem Fred schon ziemlich weh.
Denn wenn er eines nicht erträgt,
ist das weibliche Naivität.
Obwohl er schon in Anspruch nimmt,
dass man ihm Respekt entgegenbringt,
denn schließlich ist er Theologe,
kein Prol, kein Honk, kein Pädagoge.
In dem Job, den der Gisbert macht,
hätte er auch mehr gebracht.
Doch weiß er, dass man ihn nicht wählt,
weil er kaum lächelt und nichts erzählt.
Gisbert kann das etwas besser,
ist aber auch ein großer Esser.
Das bringt ihm manchmal Häme ein,
er schweigt darob und wahrt den Schein.
Heiko macht ihm keinen Stress,
der sagt, was sein muss, schweigt zum Rest,
ist still und freundlich, stets, zu allen,
nur Jesko möcht' er eine knallen,
der quatscht nur selbstverliebten Mist
und geht dem Jochen auf den Rist.
Jochen hat auch nicht viel zu bieten,
allerdings mehr als solche Nieten
wie Norbert der sich weise wähnt
und quakt, bis Siemke leise gähnt,
Vielleicht kommt daher diese Miene
als ob ihr nie die Sonne schiene.
Vielleicht ist es auch Sigmars Fratze,
der käm' gerne auf die Matratze,
egal auf welche nun genau,
Hauptsache die von einer Frau.
Der Steffen kann nur müde lächeln,
hört noch die Konfirmandin hecheln,
die ihn sosehr bewunderte,
ach davon gab es hunderte.
Es war so leicht sie zu begeistern
er ließ sie Fenster farbig kleistern.
Fängt Steffen an, davon zu reden,
würd' Tanja sich gern übergeben.
Steffen hängt ihr zum Hals heraus,
Thea steckt ihm die Zunge raus.
Da muss sogar die Xenia schmunzeln,
viel zu selten, daher die Runzeln.
Und wenn schließlich der Abschied naht,
Im Namen dessen, der da sagt:
„Ich bin der Anfang und das Ende“
dann reichen alle sich die Hände.
Voll Wärme und geschwisterlich,
denken dabei „Ich ficke dich!“
HOLY SONETT No 1
A parson asked a confirmand
to fetch some books a young boy needs
he gave him lemonade and sweets
and finally a weird command.
The boy threw up the sweets he ate
his tears ran hot, his sweat was cold
his young-boy-legs were feeling old
His empty tummy full of hate.
The boy felt ridden like a horse
thoughts of revenge and feeling shame
finally he changed the game.
The parson was full of remorse.
No more commands, but charity:
A long deep sleep in eternity.
FREI NACH HEINRICH HEINE ;-)
Ein Mädchen liebt einen Pfarrer
der ist aber schon vergeben.
Das Mädchen schließt davor die Augen,
sie will ohne ihn nicht leben.
Die Pfarrfrau ist schön und beliebt,
gesegnet mit reizenden Söhnen.
Das Mädchen ist eher beleibt,
wofür sie stets alle verhöhnen.
Mit Yoga formte die Pfarrfrau
den Körper und pflegt ihre Zähne
gestaltet Keramik in blau,
das Mädchen schmiedet Pläne.
Am Ende haben alle verloren
eine Tote, ein Witwer, zwei Waisen,
ein Mädchen mit Wachs in den Ohren
will sich noch immer beweisen:
Er wäre schon längst mein Eigen,
hätt' ich mich klug angestellt.
Die Einsamkeit wird ihm zeigen:
er ist nur für mich auf der Welt.
Es ist eine blöde Geschichte,
so überflüssig und krank.
Sie wird immer seltener
und verschwindet, dem Himmel sei Dank.
Der, an den ich glaube
hat mir gesagt,
dass er mich nicht braucht.
Darum gebe ich auf,
Leichen pflastern meinen Weg
und ich wünsche von jedem Regentropfen,
dass er mich erschlagen möge.
FAST EIN ELFCHEN
Ruchlos
das Luder
wie die rumläuft
in ihrem kleinen Schwarzen
die Pfarrerin
PAARREIM
Sie fanden sich alle beim CVJM,
im Chor, bei der Jungschar und bei der Band.
Sie fuhren ans Meer, sie schliefen im Zelt,
sie eroberten einander und gemeinsam die Welt.
Tonja hat sich in Marco verliebt
und hat ihn am Ende tatsächlich gekriegt.
Luna war auch voll scharf auf ihn,
aber schließlich war alle Hoffnung dahin.
Luna mochte nur noch zu Boden blicken,
da kam Jasper vorbei, zum Reste ficken,
jetzt hat sie den kraftlosen Säufer am Hals
und wird vermutlich mit ihm alt.
Sören hat Jana schon dreimal verlassen,
irgendwann wird sein Bild wohl ganz verblassen
und Sina ist froh, dass er sie verschmähte,
als sie sich noch so sehr nach ihm sehnte.
Nur bei Karen und Jan lief gleich alles glatt,
ein Glück, das wirklich nicht jeder hat.
Doch so geht es denen im perfekten Leben,
irgendwann muss das Pech auch an ihnen kleben.
Und dann klebt es so sehr und geht nicht mehr ab
und Jan legt weinend die Karen ins Grab.
Tonja, Marco und Luna fragen warum
Jasper, Jana und Sina blicken nur stumm.
Sören ist nicht gekommen, das ist ein Skandal.
Nicht wegen Jana, der ist das egal.
Aber wegen der Freundschaft, die alle verband.
War er nicht sogar mit Karen verwandt?
Was niemandem auffällt und das ist fatal,
ist das Fehlen von Raimund, dem alten Schakal.
Es lief aus dem Ruder, niemand hat was gesehn.
Er putzt seine Harley und alles ist schön.
HEILIGES SONETT NR 2
Die Sonntagspredigt war so gut
so schön das Feierabendmahl
und auch der Chor phänomenal,
der Küster liegt in seinem Blut.
Die Kirchmeisterin so elegant
wie sie im engen Rock nach vorne schritt
auf den grazilen Pumps zum Altar glitt
ich hätt' sie beinah nicht erkannt.
Der Nagellack, der steht ihr gut.
Die Dame war zur Maniküre,
woher kommen denn die Allüren?
Der Küster liegt in seinem Blut.
„Ach Gott“, fragt da die Dame keck,
„Wer macht denn jetzt den Mist hier weg?“
PFARRKONFERRENZ IN ALPHABETHISCHER REIHENFOLGE
Der Benedikt ist ein Charmeur,
ein rechter real wo-men-ni-zer,
er macht den Weibern gern den Hof,
das findet Berti machmal doof.
Auch Bertis Marktwert liegt weit oben,
ist auch charakterlich zu loben.
Nie würd' er einem Menschen sagen,
an ihm sei vieles zu beklagen
und dass er ihn nicht aussteh'n kann.
Nicht mal Britgitte Linnemann.
Die kann das auch nicht, jedoch bei ihr
ist Angst, nicht Güte der Grund dafür.
Den Clemens fürchtet sie am meisten.
Das stört den nicht, der will nur beißen,
es gibt nur eins, wofür er brennt:
er wär gern Superintendent.
In Dagmars Träumen ist er der Geist,
der ihr stets zeigt, was Ekel heißt.
Den Detlev hat sie da schon lieber,
der hat den Eberhard auf dem Kieker,
denn dass der Dreck am Stecken hat,
das stinkt zum Himmel, in der Tat.
Eberhard kämpft um sein Renommée,
Dabei war es seine Idee,
die den Kirchenkreis zum Leuchten brachte,
doch auch Kollegen neidisch machte.
Der Eberhard nichts zu lachen hätt',
wär' da nicht die Elisabeth.
Die lacht ganz freundlich und merkt nicht viel,
als wär' der Kirchenkreis ein Spiel
und sie Prinzessin gute Fee.
Das tut dem Fred schon ziemlich weh.
Denn wenn er eines nicht erträgt,
ist das weibliche Naivität.
Obwohl er schon in Anspruch nimmt,
dass man ihm Respekt entgegenbringt,
denn schließlich ist er Theologe,
kein Prol, kein Honk, kein Pädagoge.
In dem Job, den der Gisbert macht,
hätte er auch mehr gebracht.
Doch weiß er, dass man ihn nicht wählt,
weil er kaum lächelt und nichts erzählt.
Gisbert kann das etwas besser,
ist aber auch ein großer Esser.
Das bringt ihm manchmal Häme ein,
er schweigt darob und wahrt den Schein.
Heiko macht ihm keinen Stress,
der sagt, was sein muss, schweigt zum Rest,
ist still und freundlich, stets, zu allen,
nur Jesko möcht' er eine knallen,
der quatscht nur selbstverliebten Mist
und geht dem Jochen auf den Rist.
Jochen hat auch nicht viel zu bieten,
allerdings mehr als solche Nieten
wie Norbert der sich weise wähnt
und quakt, bis Siemke leise gähnt,
Vielleicht kommt daher diese Miene
als ob ihr nie die Sonne schiene.
Vielleicht ist es auch Sigmars Fratze,
der käm' gerne auf die Matratze,
egal auf welche nun genau,
Hauptsache die von einer Frau.
Der Steffen kann nur müde lächeln,
hört noch die Konfirmandin hecheln,
die ihn sosehr bewunderte,
ach davon gab es hunderte.
Es war so leicht sie zu begeistern
er ließ sie Fenster farbig kleistern.
Fängt Steffen an, davon zu reden,
würd' Tanja sich gern übergeben.
Steffen hängt ihr zum Hals heraus,
Thea steckt ihm die Zunge raus.
Da muss sogar die Xenia schmunzeln,
viel zu selten, daher die Runzeln.
Und wenn schließlich der Abschied naht,
Im Namen dessen, der da sagt:
„Ich bin der Anfang und das Ende“
dann reichen alle sich die Hände.
Voll Wärme und geschwisterlich,
denken dabei „Ich ficke dich!“
HOLY SONETT No 1
A parson asked a confirmand
to fetch some books a young boy needs
he gave him lemonade and sweets
and finally a weird command.
The boy threw up the sweets he ate
his tears ran hot, his sweat was cold
his young-boy-legs were feeling old
His empty tummy full of hate.
The boy felt ridden like a horse
thoughts of revenge and feeling shame
finally he changed the game.
The parson was full of remorse.
No more commands, but charity:
A long deep sleep in eternity.
FREI NACH HEINRICH HEINE ;-)
Ein Mädchen liebt einen Pfarrer
der ist aber schon vergeben.
Das Mädchen schließt davor die Augen,
sie will ohne ihn nicht leben.
Die Pfarrfrau ist schön und beliebt,
gesegnet mit reizenden Söhnen.
Das Mädchen ist eher beleibt,
wofür sie stets alle verhöhnen.
Mit Yoga formte die Pfarrfrau
den Körper und pflegt ihre Zähne
gestaltet Keramik in blau,
das Mädchen schmiedet Pläne.
Am Ende haben alle verloren
eine Tote, ein Witwer, zwei Waisen,
ein Mädchen mit Wachs in den Ohren
will sich noch immer beweisen:
Er wäre schon längst mein Eigen,
hätt' ich mich klug angestellt.
Die Einsamkeit wird ihm zeigen:
er ist nur für mich auf der Welt.
Es ist eine blöde Geschichte,
so überflüssig und krank.
Sie wird immer seltener
und verschwindet, dem Himmel sei Dank.
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Freitag, 15. September 2017
Für immer Prag - Kurzkrimi in drei Teilen - Teil 3. Enno
c. fabry, 10:53h
Es war schlimmer, als er befürchtet hatte. Die Gierigen hatten wieder gewonnen; sogar hier, in seinem geliebten Prag. Sogar die letzten Zufluchtsorte der Welt wurden von den fressenden, saufenden, rülpsenden, furzenden, ewig konsumierenden, alles zumüllenden, schnatternden, grölenden, achtlos alles platt trampelnden, erlebnishungrigen Vielreisenden überschwemmt. Sie wollten ja gar nicht in Prag sein. Sie wollten nur erzählen können, dass sie da waren und mit ihren Fotos prahlen. Fotos waren die Jagdtrophäen des 21. Jahrhunderts. Sie wollten berichten, was sie Phantastisches gegessen hatten, stolz ihre neuerworbenen Schmuckstücke herumzeigen und bewundert werden für ihre Weltläufigkeit. Sie kannten nicht den brennenden Schmerz in der Brust, der sich mit der Erkenntnis über die Erbarmungslosigkeit des Lebens ausbreitete. Sie atmeten die Luft dieses Ortes und bliesen sie wieder aus, ohne sich der Geschichte bewusst zu sein, die sie mitatmeten. Sie waren ahnungslose Parasiten, die sich gierig ausgerechnet vom Fleisch derer ernährten, die eigentlich in der Welt etwas hätten bewegen können. Die, die wirklich verstanden, wurden von ihnen selbst wie Parasiten behandelt. Weil sie an den Verhältnissen erkrankten und zerbrachen, empfand man sie als lästigen Ballast, den es zu entsorgen galt.
Auch wenn es ihn ärgerte, hatte er auf der Prager Burg anstandslos den Eintritt für das Goldgässchen bezahlt. Von irgendetwas mussten die Tschechen ja die Schäden, die der Massentourismus verursachte, bezahlen. Andächtig stand er vor dem Haus Nr. 22. Hier hatte Franz Kafka ein Jahr lang gelebt und gearbeitet. Er trat ein in das winzige Häuschen. Ein beeindruckender Ort. Der wohlhabende junge Mann hatte die großzügige, komfortable Familienwohnung verlassen, um sie gegen ein klammes, einfaches Zimmerchen ohne eigene Toilette einzutauschen. Er war ganz und gar eingetaucht in die Welt, aus der er seine Figuren erschuf.
Eine Frau ging vorbei, sein Körper sandte Warnsignale aus, doch er wusste nicht, warum.
Später, als er langsam den Abstieg antrat, war er noch immer ganz in Gedanken bei dem großen Kafka. Mit jedem Schritt, den er auf dem historischen Pflaster machte, wurde er ein bisschen mehr wie er, genauso mager, kränklich, voller Verzweiflung über den Lauf der Welt. Das Einzige, das seine Trauer von Zeit zu Zeit vertrieb, war die Musik. In einem kleinen Geschäft hatte er am Morgen einen Satz Saiten für seine Gitarre gekauft, sie würden ihn immer an Prag erinnern, wenn er sie zum Klingen brachte.
Unten, am Fuß des Hradschin wurde ein Kammerkonzert gegeben. Er erstand spontan eine Eintrittskarte und ließ sich zu den Klängen barocker Melodien aus seiner Depression tragen. Nahezu beschwingt verließ er nach einer Stunde die Kirche und schlenderte zur Karlsbrücke – am anderen Ende würde es besser werden.
Da war sie wieder, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Warum nur? Und warum nahm der Gedanke an Gregor Samsa immer mehr Raum in ihm ein? War Gregor am Ende nicht Kafkas Figur sondern Kafka selbst? Und dann wusste er es! Sie war es! Sie war Gregor Samsas Schwester, die den eigenen Bruder nicht verstand, sich vor ihm fürchtete und ihn am Ende einfach hatte stehen lassen. Sie ließ jeden stehen, der ihr fremd war, der ihr Angst machte, den sie nicht verstand. Er hatte sie nicht erkannt, weil sie sich verkleidet hatte als eine, die in der Masse unterging. Aber sie konnte sich vor ihm nicht verstecken, nicht vor Enno, nicht vor Franz, nicht vor Gregor. Er kannte sie. Was hatte sie vor? Unauffällig heftete er sich an ihre Fersen. Auf der Karlsbrücke war das kein Problem, bei den Massen, die sich noch immer hier entlang schoben. Er hätte sie beinahe aus den Augen verloren. Am anderen Ende bog sie rechts ab und ging längs der Moldau. Hier lichtete sich die Menschenmenge und er musste deutlich mehr Abstand halten. Sie steuerte auf das Nationaltheater zu, sie war also nicht auf dem Heimweg, das war eindeutig die falsche Richtung. Was führte sie im Schilde?
Am Theater angekommen, betrat sie die Brücke, die zur Insel führte. War das eine Falle? Er erinnerte sich noch gut an jeden einzelnen Spaziergang, den er hier unternommen hatte und an den tiefen Frieden, der sich dabei in ihm ausgebreitet hatte. Wollte sie das nun auch zerstören? Die innere Anspannung beschleunigte seinen Puls und seinen Atem. Er musste seine Schritte zügeln, denn sie schlenderte nur, kontinuierlich zwar, aber langsam. Sie wanderte die Insel der Länge nach ab. Dann setzte sie sich auf eine Bank und beobachtete den Fluss. Er verbarg sich im Schatten eines Baumes. Wollte sie ihn anlocken, sich zu ihr zu setzen? Verlangte sie etwa Vergebung? Vergebung für ihre Nachlässigkeit, ihre Lieblosigkeit und ihre Illoyalität, die sie perfekt unter ihrer Maske der besorgten, hingebungsvollen und aufopferungsvollen Schwester verbarg? Reglos saß sie da und auch er rührte sich nicht vom Fleck. Er wagte es nicht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stand sie auf und ging auf das Flussufer zu. Wollte sie sich nun etwa selbst bestrafen? Doch sie ging nicht ins Wasser, nein, sie ging in die Hocke. Sie plante etwas. Er wusste nicht was, aber es war sicher nichts Gutes. Wie ferngesteuert glitt seine rechte Hand in die geräumige Tasche seiner sommerlichen Leinenhose. Da waren die Gitarrensaiten. Er musste sie aufhalten, sie bestrafen und verhindern, dass sie noch mehr Leben zerstörte und jetzt wusste er auch wie. Die tiefe E-Saite war am griffigsten, die glitt einem nicht so leicht durch die Finger. Er zog sie behutsam aus der Hülle und wickelte die Enden um seine Hände. Er ließ genug Platz dazwischen, damit sich der Draht einmal um ihren Hals wickeln und zuziehen ließ. Er hatte schon immer das perfekte Augenmaß gehabt. Er trat lautlos an sie heran. Es ging ganz leicht. Er drückte seine Knie gegen ihre Schultern, damit sie nicht umfiel. Sie versuchte die Saite von ihrem Hals zu lösen, das war natürlich zwecklos. Sie ruderte mit den Armen, versuchte, ihn hinter sich zu fassen zu kriegen, aber sie hatte kaum noch Kraft. Dann sackte sie in sich zusammen und Enno konnte deutlich spüren, wie das Leben aus ihr wich. Er, Gregor Samsa, Franz Kafka, Enno Horstmeier aus Höxter hatte sie endlich besiegt. Und die E-Saite würde mit dieser Patina voller klingen als je eine E-Saite zuvor.
ENDE
Auch wenn es ihn ärgerte, hatte er auf der Prager Burg anstandslos den Eintritt für das Goldgässchen bezahlt. Von irgendetwas mussten die Tschechen ja die Schäden, die der Massentourismus verursachte, bezahlen. Andächtig stand er vor dem Haus Nr. 22. Hier hatte Franz Kafka ein Jahr lang gelebt und gearbeitet. Er trat ein in das winzige Häuschen. Ein beeindruckender Ort. Der wohlhabende junge Mann hatte die großzügige, komfortable Familienwohnung verlassen, um sie gegen ein klammes, einfaches Zimmerchen ohne eigene Toilette einzutauschen. Er war ganz und gar eingetaucht in die Welt, aus der er seine Figuren erschuf.
Eine Frau ging vorbei, sein Körper sandte Warnsignale aus, doch er wusste nicht, warum.
Später, als er langsam den Abstieg antrat, war er noch immer ganz in Gedanken bei dem großen Kafka. Mit jedem Schritt, den er auf dem historischen Pflaster machte, wurde er ein bisschen mehr wie er, genauso mager, kränklich, voller Verzweiflung über den Lauf der Welt. Das Einzige, das seine Trauer von Zeit zu Zeit vertrieb, war die Musik. In einem kleinen Geschäft hatte er am Morgen einen Satz Saiten für seine Gitarre gekauft, sie würden ihn immer an Prag erinnern, wenn er sie zum Klingen brachte.
Unten, am Fuß des Hradschin wurde ein Kammerkonzert gegeben. Er erstand spontan eine Eintrittskarte und ließ sich zu den Klängen barocker Melodien aus seiner Depression tragen. Nahezu beschwingt verließ er nach einer Stunde die Kirche und schlenderte zur Karlsbrücke – am anderen Ende würde es besser werden.
Da war sie wieder, die ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Warum nur? Und warum nahm der Gedanke an Gregor Samsa immer mehr Raum in ihm ein? War Gregor am Ende nicht Kafkas Figur sondern Kafka selbst? Und dann wusste er es! Sie war es! Sie war Gregor Samsas Schwester, die den eigenen Bruder nicht verstand, sich vor ihm fürchtete und ihn am Ende einfach hatte stehen lassen. Sie ließ jeden stehen, der ihr fremd war, der ihr Angst machte, den sie nicht verstand. Er hatte sie nicht erkannt, weil sie sich verkleidet hatte als eine, die in der Masse unterging. Aber sie konnte sich vor ihm nicht verstecken, nicht vor Enno, nicht vor Franz, nicht vor Gregor. Er kannte sie. Was hatte sie vor? Unauffällig heftete er sich an ihre Fersen. Auf der Karlsbrücke war das kein Problem, bei den Massen, die sich noch immer hier entlang schoben. Er hätte sie beinahe aus den Augen verloren. Am anderen Ende bog sie rechts ab und ging längs der Moldau. Hier lichtete sich die Menschenmenge und er musste deutlich mehr Abstand halten. Sie steuerte auf das Nationaltheater zu, sie war also nicht auf dem Heimweg, das war eindeutig die falsche Richtung. Was führte sie im Schilde?
Am Theater angekommen, betrat sie die Brücke, die zur Insel führte. War das eine Falle? Er erinnerte sich noch gut an jeden einzelnen Spaziergang, den er hier unternommen hatte und an den tiefen Frieden, der sich dabei in ihm ausgebreitet hatte. Wollte sie das nun auch zerstören? Die innere Anspannung beschleunigte seinen Puls und seinen Atem. Er musste seine Schritte zügeln, denn sie schlenderte nur, kontinuierlich zwar, aber langsam. Sie wanderte die Insel der Länge nach ab. Dann setzte sie sich auf eine Bank und beobachtete den Fluss. Er verbarg sich im Schatten eines Baumes. Wollte sie ihn anlocken, sich zu ihr zu setzen? Verlangte sie etwa Vergebung? Vergebung für ihre Nachlässigkeit, ihre Lieblosigkeit und ihre Illoyalität, die sie perfekt unter ihrer Maske der besorgten, hingebungsvollen und aufopferungsvollen Schwester verbarg? Reglos saß sie da und auch er rührte sich nicht vom Fleck. Er wagte es nicht.
Nach einer gefühlten Ewigkeit stand sie auf und ging auf das Flussufer zu. Wollte sie sich nun etwa selbst bestrafen? Doch sie ging nicht ins Wasser, nein, sie ging in die Hocke. Sie plante etwas. Er wusste nicht was, aber es war sicher nichts Gutes. Wie ferngesteuert glitt seine rechte Hand in die geräumige Tasche seiner sommerlichen Leinenhose. Da waren die Gitarrensaiten. Er musste sie aufhalten, sie bestrafen und verhindern, dass sie noch mehr Leben zerstörte und jetzt wusste er auch wie. Die tiefe E-Saite war am griffigsten, die glitt einem nicht so leicht durch die Finger. Er zog sie behutsam aus der Hülle und wickelte die Enden um seine Hände. Er ließ genug Platz dazwischen, damit sich der Draht einmal um ihren Hals wickeln und zuziehen ließ. Er hatte schon immer das perfekte Augenmaß gehabt. Er trat lautlos an sie heran. Es ging ganz leicht. Er drückte seine Knie gegen ihre Schultern, damit sie nicht umfiel. Sie versuchte die Saite von ihrem Hals zu lösen, das war natürlich zwecklos. Sie ruderte mit den Armen, versuchte, ihn hinter sich zu fassen zu kriegen, aber sie hatte kaum noch Kraft. Dann sackte sie in sich zusammen und Enno konnte deutlich spüren, wie das Leben aus ihr wich. Er, Gregor Samsa, Franz Kafka, Enno Horstmeier aus Höxter hatte sie endlich besiegt. Und die E-Saite würde mit dieser Patina voller klingen als je eine E-Saite zuvor.
ENDE
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