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Freitag, 28. Juli 2017
Abraham ist schuld – vierteiliger Kurzkrimi – Teil I
c. fabry, 19:34h
Es war das zweite Klassenfest an der Grundschule am Tuchtweg. Tuncay verzichtete auf ein gegrilltes Steak, obwohl er einen rasenden Hunger auf Fleisch hatte. Es lag zwar Rindfleisch auf dem Rost, aber halal war es trotzdem nicht. Dass die Schafe, die sie zum Opferfest in der Familie mit einem Spaten schlachteten, genaugenommen auch nicht halal waren, weil sie vom Schächten so viel verstanden wie ein Soziologe vom Mauern, blendete er dabei aus. Er hatte eben seine Prinzipien. Daniel verzehrte auch nur Salat. Das wunderte ihn und er fragte: „Bist du Vegetarier?“
„Nein, Jude.“
„Aber das ist kein Schweinefleisch.“
„Richtig, aber die Steaks sind in Sahne eingelegt und damit nicht koscher. Mal davon abgesehen, auch nicht koscher geschlachtet.“
„Tja“, mischte Jörn sich ein. „Wenn ihr eure Kinder auf eine evangelische Bekenntnisschule schickt, müsst ihr euch nicht wundern, wenn ihr bei euren komplizierten Essgewohnheiten nicht richtig satt werdet. Das ist eben der Vorteil, wenn man Christ ist; man darf alles essen.“
„Klar, auch Scheiße.“, murmelte Tuncay.
„Gleich fängst du dir eine ein!“, drohte Jörn.
„Entspannt euch.“, beschwichtigte Daniel die beiden Hitzköpfe. „Es kann doch jeder essen, was er für richtig hält. Das geht keinen etwas an.“
„Ach“, beklagte sich Jörn. „Aber wenn die Moslems beim Schlachten den Tierschutz nicht einhalten und die armen Viecher kopfüber aufgehängt langsam ausbluten lassen, dann geht mich das als Bürger dieses Landes schon was an! Das sollte man mal mit euch machen und zwar genau dann, wenn euer scheiß Opferfest ist. Könnt euch ja mal selber opfern.“
Tuncay stürmte auf Jörn zu, Daniel ging dazwischen. „Jetzt versaut euren Kindern nicht das Klassenfest, ihr Spinner!“, schimpfte er. „Vom Schächten hast du echt keine Ahnung, Jörn. Das haben nicht die Muslime erfunden, sondern wir Juden und zwar auch aus Gründen des Tierschutzes. Da muss nämlich die Halsschlagader mit einem sauberen, sehr scharfen Messer mit einem einzigen Schnitt blitzschnell geöffnet werden, so dass das Tier sofort das Bewusstsein verliert. In euren Schlachthöfen werden die Tiere auch kopfüber aufgehängt und dann wachen sie oft nochmal auf und werden zuckend ins kochende Wasser getaucht. Also erzähl du uns nichts von Tierschutz, oder willst du behaupten, dass du nur Biofleisch isst?“
„Das ist ja viel zu teuer.“, entschuldigte Jörn sich. „Aber was du da vom Schächten erzählst, ist doch nur graue Theorie. Jeden Herbst marodieren die Moslems durch die Gegend, schwatzen den Bauern Schafe ab, die sie dann im Hinterhof irgendwie schlachten, wenn sie sich nicht sogar nachts auf die Weide schleichen und die Tiere da direkt mit nem Beil erschlagen oder, weil sie zu blöd dafür sind, die schwer verletzten Viecher halb tot liegen lassen. Und wozu das alles? Weil sie immer noch wie in grauer Vorzeit ihre scheiß Schlachtopfer bringen müssen.“
„Du hast echt überhaupt keine Ahnung, Mann.“, erwiderte Tuncay. „Beim Opferfest geht es darum, wie Ibrahim seinen Sohn Ismail opfern sollte, das hatte Allah ihm so aufgetragen. Aber dann schickte Allah einen Widder und den schlachtete Ibrahim anstelle seines Sohnes. Das Fleisch teilte er mit den Armen und in Erinnerung an diese Geschichte feiern wir das Opferfest, treffen uns in den Familien und teilen das Fleisch mit denen, die sich das nicht leisten können.“
„Aber eigentlich hat die Geschichte sich ja etwas anders zugetragen.“, erklärte Daniel. „Ibrahim oder Abraham, wie wir ihn nennen, hatte Ismael mit seiner Mutter Hagar längst in die Wüste geschickt. Haschem hatte ihn beauftragt seinen Sohn Isaak zu opfern, seinen einzigen rechtmäßigen Sohn, von seiner Ehefrau Sarah, denn Ismaels Mutter war nur die Zofe seiner Frau. Gott stellte Abraham damit auf die Probe, wie sehr er ihn liebte und ihm gehorchte. Als klar war, wie treu ergeben Abraham seinem Schöpfer war, zeigte der sich gnädig und schickte einen Widder, der sich im Gestrüpp verfing. Den legte Abraham dann auf den Brandopfer-Altar. Die Muslime haben diese Geschichte verdreht und ihren Stammvater Ismael an die Stelle des jüdischen Stammvaters Isaak gesetzt.“
„Von wegen verdreht!“, protestierte Tuncay. „Der Islam ist die älteste Religion der Welt! Der Islam war schon immer da.“
„Hallo?“, erwiderte Daniel. „Mohammed tauchte erst im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung auf. Da ist ja das Christentum ein halbes Jahrtausend älter. Und das Judentum ist gleich noch mal ein Jahrtausend älter. Ist doch wohl klar, wer da von wem abgeschrieben hat.“
Jetzt mischte Tuncays Frau Kerime sich ein: „Müsst ihr Männer schon wieder alles aufmischen? Könnt ihr nicht einmal friedlich zusammen feiern? Ist doch egal wen der alte Mann vor dreitausend Jahren schlachten wollte. Der Sinn der Sache ist doch, dass alle sich vertragen. Im Koran wird Isaak übrigens als rechtschaffener Prophet gepriesen und gesegnet. Also vertragt euch.“ Dann wandte sie sich an Jörn: „Als Christ solltest du die Geschichte doch auch kennen. Was wird denn bei euch in der Kirche erzählt?“
„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte Jörn. „So genau kenne ich mich in der Bibel nicht aus. Ich bin ja schließlich kein Pastor.“
„Die Geschichte von Abraham und Isaak steht auch in der Bibel.“, erklärte die Lehrerin.
„Na also!“, ereiferte sich Jörn. „Zwei gegen einen. Muslime können eben nur billige Fälschungen abliefern, sonst nichts.“
Daniel schüttelte mit dem Kopf und Tuncay rief: „Und ihr scheiß Deutschen könnt nur Schweinefleisch fressen und Minderheiten verfolgen. Meint, ihr wärt was Besseres, weil ihr Christen seid und habt noch nicht mal Ahnung von eurer Religion.“
„Erzähl du mir nicht, wie ich in meinem Land zu leben habe!“, zischte Jörn und griff sich plötzlich ein Messer, mit dem der Grillmeister große Fleischstücke zerlegte. Kerime ging erneut dazwischen: „Jetzt kommt runter, Männer. Das ist doch total überflüssig, was ihr hier abzieht.“
„Der einzige, der hier gerade was abzieht, ist diese verdammte Kartoffel!“, brüllte Tuncay. Nun brannten Jörn endgültig die Sicherungen durch. Er stürzte sich auf den muslimischen Vater, Kerime warf sich schützend vor ihren Mann. „Ibrahim...“, murmelte sie noch, dann ging sie zu Boden.
ENDE TEIL I – FORTSETZUNG FOLGT
„Nein, Jude.“
„Aber das ist kein Schweinefleisch.“
„Richtig, aber die Steaks sind in Sahne eingelegt und damit nicht koscher. Mal davon abgesehen, auch nicht koscher geschlachtet.“
„Tja“, mischte Jörn sich ein. „Wenn ihr eure Kinder auf eine evangelische Bekenntnisschule schickt, müsst ihr euch nicht wundern, wenn ihr bei euren komplizierten Essgewohnheiten nicht richtig satt werdet. Das ist eben der Vorteil, wenn man Christ ist; man darf alles essen.“
„Klar, auch Scheiße.“, murmelte Tuncay.
„Gleich fängst du dir eine ein!“, drohte Jörn.
„Entspannt euch.“, beschwichtigte Daniel die beiden Hitzköpfe. „Es kann doch jeder essen, was er für richtig hält. Das geht keinen etwas an.“
„Ach“, beklagte sich Jörn. „Aber wenn die Moslems beim Schlachten den Tierschutz nicht einhalten und die armen Viecher kopfüber aufgehängt langsam ausbluten lassen, dann geht mich das als Bürger dieses Landes schon was an! Das sollte man mal mit euch machen und zwar genau dann, wenn euer scheiß Opferfest ist. Könnt euch ja mal selber opfern.“
Tuncay stürmte auf Jörn zu, Daniel ging dazwischen. „Jetzt versaut euren Kindern nicht das Klassenfest, ihr Spinner!“, schimpfte er. „Vom Schächten hast du echt keine Ahnung, Jörn. Das haben nicht die Muslime erfunden, sondern wir Juden und zwar auch aus Gründen des Tierschutzes. Da muss nämlich die Halsschlagader mit einem sauberen, sehr scharfen Messer mit einem einzigen Schnitt blitzschnell geöffnet werden, so dass das Tier sofort das Bewusstsein verliert. In euren Schlachthöfen werden die Tiere auch kopfüber aufgehängt und dann wachen sie oft nochmal auf und werden zuckend ins kochende Wasser getaucht. Also erzähl du uns nichts von Tierschutz, oder willst du behaupten, dass du nur Biofleisch isst?“
„Das ist ja viel zu teuer.“, entschuldigte Jörn sich. „Aber was du da vom Schächten erzählst, ist doch nur graue Theorie. Jeden Herbst marodieren die Moslems durch die Gegend, schwatzen den Bauern Schafe ab, die sie dann im Hinterhof irgendwie schlachten, wenn sie sich nicht sogar nachts auf die Weide schleichen und die Tiere da direkt mit nem Beil erschlagen oder, weil sie zu blöd dafür sind, die schwer verletzten Viecher halb tot liegen lassen. Und wozu das alles? Weil sie immer noch wie in grauer Vorzeit ihre scheiß Schlachtopfer bringen müssen.“
„Du hast echt überhaupt keine Ahnung, Mann.“, erwiderte Tuncay. „Beim Opferfest geht es darum, wie Ibrahim seinen Sohn Ismail opfern sollte, das hatte Allah ihm so aufgetragen. Aber dann schickte Allah einen Widder und den schlachtete Ibrahim anstelle seines Sohnes. Das Fleisch teilte er mit den Armen und in Erinnerung an diese Geschichte feiern wir das Opferfest, treffen uns in den Familien und teilen das Fleisch mit denen, die sich das nicht leisten können.“
„Aber eigentlich hat die Geschichte sich ja etwas anders zugetragen.“, erklärte Daniel. „Ibrahim oder Abraham, wie wir ihn nennen, hatte Ismael mit seiner Mutter Hagar längst in die Wüste geschickt. Haschem hatte ihn beauftragt seinen Sohn Isaak zu opfern, seinen einzigen rechtmäßigen Sohn, von seiner Ehefrau Sarah, denn Ismaels Mutter war nur die Zofe seiner Frau. Gott stellte Abraham damit auf die Probe, wie sehr er ihn liebte und ihm gehorchte. Als klar war, wie treu ergeben Abraham seinem Schöpfer war, zeigte der sich gnädig und schickte einen Widder, der sich im Gestrüpp verfing. Den legte Abraham dann auf den Brandopfer-Altar. Die Muslime haben diese Geschichte verdreht und ihren Stammvater Ismael an die Stelle des jüdischen Stammvaters Isaak gesetzt.“
„Von wegen verdreht!“, protestierte Tuncay. „Der Islam ist die älteste Religion der Welt! Der Islam war schon immer da.“
„Hallo?“, erwiderte Daniel. „Mohammed tauchte erst im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung auf. Da ist ja das Christentum ein halbes Jahrtausend älter. Und das Judentum ist gleich noch mal ein Jahrtausend älter. Ist doch wohl klar, wer da von wem abgeschrieben hat.“
Jetzt mischte Tuncays Frau Kerime sich ein: „Müsst ihr Männer schon wieder alles aufmischen? Könnt ihr nicht einmal friedlich zusammen feiern? Ist doch egal wen der alte Mann vor dreitausend Jahren schlachten wollte. Der Sinn der Sache ist doch, dass alle sich vertragen. Im Koran wird Isaak übrigens als rechtschaffener Prophet gepriesen und gesegnet. Also vertragt euch.“ Dann wandte sie sich an Jörn: „Als Christ solltest du die Geschichte doch auch kennen. Was wird denn bei euch in der Kirche erzählt?“
„Woher soll ich das wissen?“, erwiderte Jörn. „So genau kenne ich mich in der Bibel nicht aus. Ich bin ja schließlich kein Pastor.“
„Die Geschichte von Abraham und Isaak steht auch in der Bibel.“, erklärte die Lehrerin.
„Na also!“, ereiferte sich Jörn. „Zwei gegen einen. Muslime können eben nur billige Fälschungen abliefern, sonst nichts.“
Daniel schüttelte mit dem Kopf und Tuncay rief: „Und ihr scheiß Deutschen könnt nur Schweinefleisch fressen und Minderheiten verfolgen. Meint, ihr wärt was Besseres, weil ihr Christen seid und habt noch nicht mal Ahnung von eurer Religion.“
„Erzähl du mir nicht, wie ich in meinem Land zu leben habe!“, zischte Jörn und griff sich plötzlich ein Messer, mit dem der Grillmeister große Fleischstücke zerlegte. Kerime ging erneut dazwischen: „Jetzt kommt runter, Männer. Das ist doch total überflüssig, was ihr hier abzieht.“
„Der einzige, der hier gerade was abzieht, ist diese verdammte Kartoffel!“, brüllte Tuncay. Nun brannten Jörn endgültig die Sicherungen durch. Er stürzte sich auf den muslimischen Vater, Kerime warf sich schützend vor ihren Mann. „Ibrahim...“, murmelte sie noch, dann ging sie zu Boden.
ENDE TEIL I – FORTSETZUNG FOLGT
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Samstag, 22. Juli 2017
Vulkanausbruch
c. fabry, 21:44h
Es war nur ein Augenblick, ein Augenblick im wahrsten Sinne des Wortes und schon stand sie in Flammen. Nicht zum ersten Mal. Ihre Blicke hatten sich nur kurz getroffen, aber mit einer solchen Intensität, dass das Bild sich augenblicklich auf ihrer biologischen Festplatte einbrannte und zwar für immer. Es gesellte sich zu den anderen, bereits gespeicherten Bildern vom TEN SING-Festival, vom Vorbereitungstreffen für die Romfahrt, vom Kirchentag. Sie hatte nicht geahnt, dass sie ihm auch beim Jubiläumsfest des Kirchenkreises begegnen würde, über die Aktivitäten des Jugendreferates war sie nicht informiert, Jugendpfarrer war ja Jochen Twellsiek. Dass man so einen zum Jugendpfarrer gemacht hatte, war für sie nicht nachvollziehbar, ein selten unpragmatischer Typ mit der Empathie eines Fisches. Julian dagegen... Als sie ihm zum ersten Mal begegnet war, vor einem Jahr beim Open Space zum Thema Jugend und Gemeinde, da hatte sie noch gedacht, was für eiskalte Augen, der könnte doch glatt jemanden umbringen, ohne mit der Wimper zu zucken. Dann hatten sie sich zufällig unterhalten. Wie heiße Milch mit Honig war seine sanfte Stimme in sie hinein geströmt und als er mit seinen vermeintlich eiskalten Augen in die ihren blickte, verwandelten diese sich in wärmende Sonnen, die begannen ihre Seele sachte aber stetig immer weiter Richtung Siedepunkt zu treiben. Zuerst hatte sie nur große Sympathie empfunden, sich in seiner Gegenwart wohlgefühlt und ihm ihren Respekt gezollt. Die Veranstaltung war zu Ende gegangen und sie hatte nicht damit gerechnet, ihn jemals wieder zu sehen. Vor einem halben Jahr hatte sie ihn auf dem Festival urplötzlich in der Menge ausgemacht und sich gewundert, warum diese Tatsache ihren Puls nach oben trieb. Ihre Blicke hatten sich getroffen und dann war er auf sie zugekommen und hatte sie angesprochen. In diesem Moment hatte sie gewusst, dass sie ihn nie wieder aus ihrem Kopf verbannen konnte. Beim Vorbereitungstreffen für die Romfahrt war sie dann auf ihn zugegangen und hatte ihm ins Gesicht gesagt, wie sehr sie sich freue, dass er auch mit im Team sei. Vor sich selbst rechtfertigte sie sich damit, dass sie Netzwerke knüpfen musste, um im kommenden Jahr überzeugend bei ihrer Bewerbung als Jugendpfarrerin auftreten zu können. Sollte Jochen sich doch um Diakonie kümmern, das passte ohnehin viel besser zu ihm.
„Uomini da diecianove“, klang es in ihrem Kopf, die erste Zeile von „I Maschi“ von Gianna Nannini. Süße Neunzehn und sie war doppelt so alt, könnte seine Mutter sein. „Na, und? Ist doch nicht strafbar, ist ja schließlich erwachsen.“
Sie wandte den Blick kurz in die andere Richtung und blickte in ein paar wirklich eiskalte Augen. Es war Jochen. Er beobachtete sie. Warum tat er das? Sie war doch einfach nur hier, unterhielt sich mit Leuten wie alle anderen auch. Ahnte er, dass sie plante, ihn vom Thron zu stoßen?
Dann spürte sie zwei Hände an ihren Schultern. Oh Gott, dachte sie, Wanderkrötenalarm, Sigmar von hinten, gleich muss ich kotzen. Sie drehte sich um und knickte ein wenig in den Knien ein, denn sie blickte in zwei gelbgrüne Samtaugen. Julian hatte gerade die nächste Grenze überschritten, eine Hürde genommen und jetzt war die Frage, ob sie die Latte für die nächste Begegnung höher legen durfte.
„Tschuldigung“, sagte er lächelnd, „Anders komme ich hier nicht vorbei.“
„Du musst dich nicht entschuldigen.“, sagte sie. „Ist mir ein Vergnügen.“
Julian strahlte sie an und ging weiter. Rom, wir kommen, dachte sie.
Die Natur forderte ihren Tribut und trieb sie zum Toilettenwagen. Als sie zum Festplatz zurückging, trat plötzlich Jochen zwischen zwei Ständen hervor, an deren Rückseite sie sich aufhielten.
„Übertreib es besser nicht.“, sagte er. „Das hat schon so manchem das Genick gebrochen.“
„Was meinst du?“, fragte sie.
„Julian, meine ich. Ich beobachte das schon länger. Glaub nicht, dass das niemand merkt. Zumindest ich merke es und ich werde nicht tatenlos zusehen.“
Dann verschwand er in Richtung Toilettenwagen.
Dieser letzte Satz traf sie wie ein Giftpfeil. Sie spürte, wie die Kräfte sie schon verließen. Horrorbilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf: angeekelte Blicke von Kollegen, peinliche Gespräche mit dem Sup, Aussagen vor einer disziplinarischen Kommission, Strafversetzung oder im schlimmsten Fall sogar Beschäftigungsverbot. Sie konnte nicht zulassen, dass Jochen ihr Leben zerstörte. Er war gerade allein im Toilettenwagen. Sie hatte noch das Skalpell vom Passepartout-Workshop in der Handtasche. Sie dachte nicht lange nach, dazu war keine Zeit. Sie ging zurück zum Wagen. Nur eine Tür war verschlossen. Sie betrat die Nebenkabine und schloss sich ein. Kurz darauf ging nebenan die Spülung. Sie spülte ebenfalls. Jochen schloss auf, sie tat es ihm gleich. Jochen ging zum Handwaschbecken, sie trat hinter ihn. Seine Halsschlagader trat deutlich hervor, eine Tatsache, die seinem fortgeschrittenen Alter geschuldet war. Jugendpfarrer mit fünfzig, das war ja auch unverantwortlich, Zeit für eine weibliche Ablösung in den Dreißigern. Sie musste nur einmal in die Tasche greifen und weil er nichts ahnte, ließ sich der Schnitt präzise ansetzen. Er versuchte noch, die Wunde zuzudrücken, aber es war zwecklos. Vor Ablauf einer Minute ging er zu Boden. Wie durch ein Wunder hatte sie kaum Spritzer abbekommen. Sie wusch sich die Hände und die Tatwaffe, wickelte das Skalpell in Handtuchpapier und trug es in einen der zahlreichen überquellenden Müllsäcke. Selbst wenn es gefunden würde, würde niemand einen Zusammenhang zu ihr herstellen. Wieder auf dem Festplatz holte sie sich einen Kaffee. Kurz darauf traf ihr Blick auf Julians grüne Samtaugen. Rom, wir kommen, dachte sie noch. Dann zerriss ein markerschütternder Schrei das friedliche Treiben und nichts würde mehr sein wie es war.
„Uomini da diecianove“, klang es in ihrem Kopf, die erste Zeile von „I Maschi“ von Gianna Nannini. Süße Neunzehn und sie war doppelt so alt, könnte seine Mutter sein. „Na, und? Ist doch nicht strafbar, ist ja schließlich erwachsen.“
Sie wandte den Blick kurz in die andere Richtung und blickte in ein paar wirklich eiskalte Augen. Es war Jochen. Er beobachtete sie. Warum tat er das? Sie war doch einfach nur hier, unterhielt sich mit Leuten wie alle anderen auch. Ahnte er, dass sie plante, ihn vom Thron zu stoßen?
Dann spürte sie zwei Hände an ihren Schultern. Oh Gott, dachte sie, Wanderkrötenalarm, Sigmar von hinten, gleich muss ich kotzen. Sie drehte sich um und knickte ein wenig in den Knien ein, denn sie blickte in zwei gelbgrüne Samtaugen. Julian hatte gerade die nächste Grenze überschritten, eine Hürde genommen und jetzt war die Frage, ob sie die Latte für die nächste Begegnung höher legen durfte.
„Tschuldigung“, sagte er lächelnd, „Anders komme ich hier nicht vorbei.“
„Du musst dich nicht entschuldigen.“, sagte sie. „Ist mir ein Vergnügen.“
Julian strahlte sie an und ging weiter. Rom, wir kommen, dachte sie.
Die Natur forderte ihren Tribut und trieb sie zum Toilettenwagen. Als sie zum Festplatz zurückging, trat plötzlich Jochen zwischen zwei Ständen hervor, an deren Rückseite sie sich aufhielten.
„Übertreib es besser nicht.“, sagte er. „Das hat schon so manchem das Genick gebrochen.“
„Was meinst du?“, fragte sie.
„Julian, meine ich. Ich beobachte das schon länger. Glaub nicht, dass das niemand merkt. Zumindest ich merke es und ich werde nicht tatenlos zusehen.“
Dann verschwand er in Richtung Toilettenwagen.
Dieser letzte Satz traf sie wie ein Giftpfeil. Sie spürte, wie die Kräfte sie schon verließen. Horrorbilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf: angeekelte Blicke von Kollegen, peinliche Gespräche mit dem Sup, Aussagen vor einer disziplinarischen Kommission, Strafversetzung oder im schlimmsten Fall sogar Beschäftigungsverbot. Sie konnte nicht zulassen, dass Jochen ihr Leben zerstörte. Er war gerade allein im Toilettenwagen. Sie hatte noch das Skalpell vom Passepartout-Workshop in der Handtasche. Sie dachte nicht lange nach, dazu war keine Zeit. Sie ging zurück zum Wagen. Nur eine Tür war verschlossen. Sie betrat die Nebenkabine und schloss sich ein. Kurz darauf ging nebenan die Spülung. Sie spülte ebenfalls. Jochen schloss auf, sie tat es ihm gleich. Jochen ging zum Handwaschbecken, sie trat hinter ihn. Seine Halsschlagader trat deutlich hervor, eine Tatsache, die seinem fortgeschrittenen Alter geschuldet war. Jugendpfarrer mit fünfzig, das war ja auch unverantwortlich, Zeit für eine weibliche Ablösung in den Dreißigern. Sie musste nur einmal in die Tasche greifen und weil er nichts ahnte, ließ sich der Schnitt präzise ansetzen. Er versuchte noch, die Wunde zuzudrücken, aber es war zwecklos. Vor Ablauf einer Minute ging er zu Boden. Wie durch ein Wunder hatte sie kaum Spritzer abbekommen. Sie wusch sich die Hände und die Tatwaffe, wickelte das Skalpell in Handtuchpapier und trug es in einen der zahlreichen überquellenden Müllsäcke. Selbst wenn es gefunden würde, würde niemand einen Zusammenhang zu ihr herstellen. Wieder auf dem Festplatz holte sie sich einen Kaffee. Kurz darauf traf ihr Blick auf Julians grüne Samtaugen. Rom, wir kommen, dachte sie noch. Dann zerriss ein markerschütternder Schrei das friedliche Treiben und nichts würde mehr sein wie es war.
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Freitag, 14. Juli 2017
Silberkonfirmation – zweiteiliger Kurzkrimi – Teil II
c. fabry, 00:25h
Fliege sprang von seinem Stuhl auf und stürzte zur Damentoilette. Max rief einen Krankenwagen. Als der Notarzt eintrudelte konnte er nur noch den Tod der jungen Frau feststellen. Sie hatte Würgemale am Hals, darum informierte er die Polizei und erklärte: „Sie bleiben jetzt besser alle hier, die wollen sicher mit jedem reden.“
Fliege war außer sich, noch nie hatten die anderen ihn so laut und heftig weinen gesehen. Alle waren zutiefst schockiert. Während sie auf die Polizei warteten sagte Max plötzlich: „Wenn sie jemand erwürgt hat, dann fällt mir spontan nur einer ein.“
„Wer denn?“, fragte Panne entsetzt darüber, dass Max jemanden kannte, dem er dieses Verbrechen zutraute.
„Deutschmade.“
„Quatsch.“, erwiderte Speicher barsch. „Dauernd gehen in alle auf Deutschmade los, dabei hat der noch nie irgendwem irgendwas getan.
„Kann ich mir auch nicht vorstellen.“, murmelte Panne.
„Warum sollte Jens Penne das antun?“, schluchzte Fliege. „Die mochten sich doch.“
„Jens ist schon in Ordnung.“, meinte Meret. „Wie kommst du überhaupt darauf?“
„Vielleicht mochte Penne ihn nicht so gern wie er sie mochte und da ist er ausgerastet.“
„Ach dem ist doch höchstens im Suff mal die Hand ausgerutscht.“, meinte Toni. „Ich meine, ich lege auch keinen Wert darauf, dass der mich anfasst, aber das tu er auch nicht.“
„Also jetzt reicht es mir endgültig.!“, brach es plötzlich aus Rike heraus. Ihr sonst so zurückhaltendes, naives Kindergesicht verwandelte sich in ein Maske aus Wut, Hass und Verzweiflung. „Natürlich war das Deutschmade. Bei Flieges Party ist nämlich was vorgefallen, von dem ihr alle nichts mitgekriegt habt. So wie jedes Mal, wenn Jens zugeschlagen hat. Immer habt ihr ihn in Schutz genommen. Damals im Zeltlager, als er Jasmin ständig auf die Pelle gerückt ist, bis sie ihm gesagt hat, sie würde ihn treten, wenn er noch einmal näher käme. Da habt ihr alle nur auf Jasmin rumgehackt. Und Als er auf seiner eigenen Party Anna immer wieder seine fette Zunge in den Hals geschoben hat, obwohl die schon um sich schlug, habt ihr das auch damit entschuldigt, dass er eben besoffen war. Der hat uns alle dauernd angegrabbelt, nur wenn ein Mädchen mit einem seiner Kumpels zusammen war, hat er aufgepasst, dass die das nicht mitkriegen.“
„Das ist doch alles Schwachsinn.“, jammerte Fliege. Hier kann jeder rein und raus, ohne dass einer was merkt. Bei dem ganzen Gesocks, das hier rumlungert, kann da sonst wer auf dem Frauenklo auf eine Gelegenheit gelauert haben. Und Penne war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.“
Ein finster dreinblickender Mittfünfziger und eine attraktive junge Frau betraten das Gemeindehaus. Sie stellten sich vor als Stefan Keller und Sabine Kerkenbrock, beide Kommissare der Mordkommission.
Sie baten die anwesenden, sich bereit zu halten und sprachen dann mit jedem einzeln. Fliege sparten sie sich bis zum Schluss auf, weil er zunächst ärztlich versorgt werden musste. Auch Meret stand unter Schock und wurde von den Sanitätern behandelt.
Als erstes baten sie Stefan Schüssle zu sich.
„Ich kann Ihnen da gar nicht weiterhelfen.“, sagte er. „Ich habe nur selten Kontakt zu Penelope und Philipp und eben ist mir auch nichts Besonderes aufgefallen. Sie ist zur Toilette gegangen und irgendwann fiel Meret auf, dass sie gar nicht zurück kam. Dann ist sie nachsehen gegangen und hat sie gefunden. Ich dachte zuerst, sie wäre einfach ohnmächtig, weil ihr Mann erzählt hat, dass sie in letzter Zeit seltsam und höchstwahrscheinlich schwanger sei. Da kommt so was ja schon mal vor.“
Meret Mitloss wollte gern als nächste zur Befragung, damit sie schnell nach Hause gehen konnte.
„Ich habe keine Ahnung, wer das getan haben kann.“, erklärte sie. „Mir fiel einfach auf, dass sie nicht von der Toilette zurückkam und da habe ich nach ihr gesehen. Und dann habe ich sie da gefunden.“
Meret schluchzte und brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen.
„Haben Sie etwas am Tatort verändert? Ihre Freundin umgelagert oder angefasst?“
„Ich habe sie an die Schultern gefasst und geschüttelt, aber dann habe ich in ihre toten Augen gesehen und da wusste ich eigentlich schon, dass man nichts mehr machen konnte. Aber irgendwie habe ich noch gehofft, dass ich mich vertan habe, darum habe ich den anderen gesagt, sie sollen einen Krankenwagen rufen.“
Marius Speicher kam als nächstes an die Reihe, damit er danach Meret nach Hause bringen konnte. „Es war alles ganz normal.“, meinte er. „Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass Penelope schon so lange auf der Toilette war. Wir haben uns eben unterhalten. Wir waren laut. Keiner hat irgendwas gehört. Und es war ja auch zwischendurch keiner von uns pinkeln. Ich glaube auch nicht, dass es einer von denen war, die eher gegangen sind. Keiner von denen hatte was mit Penelope zu tun, soweit ich weiß. Sie war ja ein paar Jahre jünger als er.“
Holger Wickler, den alle Panne nannten, erklärte: „Wir dachten alle, ihr ist schlecht geworden, weil sie vermutlich schwanger war. Eigentlich war sie so wie immer, obwohl ihr Mann gesagt hat, dass sie in letzter Zeit komisch war, aber wohl wegen der Schwangerschaft, das war auch beim ihrem ersten Kind so. Das kann nur ein Irrer gewesen sein, der sich hier rein geschlichen hat.“
Antonia Wickler sagte aus: „Wir waren richtig gute Freundinnen und ich glaube, da war irgendwas. Also das kam sicher nicht nur von der Schwangerschaft. Sie war die letzten Wochen anders als sonst, als wenn ihr irgendwas klar geworden wäre. Ich habe mich gefragt, ob es in ihrer Ehe kriselt. Ihr Mann liebt sie total und sie wollte ihn auch immer haben, aber so was kann sich ja verändern. Vielleicht hatte sie einen Anderen. Allerdings habe ich keine Ahnung, wer das sein könnte.“
Marcus Mitloss setzte eine wissende Miene auf und begann seine Verdächtigungen auszubreiten: „Es gibt da jemanden, der zu dieser Clique gehört, obwohl er mindestens zehn Jahre älter ist als die meisten von uns. Er ist schon oft dadurch aufgefallen, dass er sich an Frauen herangemacht hat, obwohl die das nicht wollten. Seine Kumpels wollen das nicht wahrhaben und die Frauen nehmen ihn auch meistens in Schutz. Aber fragen Sie mal Rike Pepper, die ist eben total ausgerastet und hat da entsprechende Andeutungen gemacht. Vielleicht ist da irgendwas vorgefallen und er hat sich gerächt, weil sie ihn nicht wollte oder sie mundtot gemacht, damit sie niemandem was erzählen kann. Penelope war ja in letzter Zeit seltsam. Können natürlich die Hormone gewesen sein, aber ehrlich gesagt glaube ich, dass ihr irgendwas passiert ist. Mir ist nämlich auch aufgefallen, dass sie kaum redete und oft überreagiert hat. Philipp meint, das läge an der Schwangerschaft, aber ich habe sie auch schon erlebt, als sie zum ersten Mal schwanger war. Da war ihr oft schlecht, und sie hatte manchmal miese Laune und keine Lust zu irgendwas, aber so merkwürdig wie in den letzten Wochen war sie da nicht.“
Keller fragte sich im Stillen, wie es kam, dass dieser Mann die junge Frau so intensiv im Blick hatte.
„Sie kannten die Verstorbene also näher?“, fragte er um einen neutralen Tonfall bemüht.
„Auch nicht näher als alle anderen in der Clique.“, antwortete Max. „Wir kennen uns alle schon seit ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Da fällt einem schon auf, wenn sich jemand verändert.“
„Und der ältere Mann, der zu Ihrer Clique gehört. Wer ist das?“
„Jens Deutschmann.“, erwiderte Max. „Er wohnt gleich hier um die Ecke, im Adlerweg 10. Er tauchte damals nach seiner Bundeswehrzeit im Jugendcafé auf. Er hatte sich für mehrere Jahre verpflichtet, war bei der Marine und als er zurück nach Hause kam, hatte er praktisch keine Freunde mehr. Da hat er sich an uns gehängt, obwohl wir alle Teenager waren und er schon Mitte zwanzig. Die meisten Jungs in der Clique fanden ihn cool, weil er schon Auto fuhr und eine super Stereo-Anlage und einen eigenen Party-Keller hatte. Ich fand ihn von Anfang an dämlich und langweilig und die Mädchen ekelten sich alle vor ihm. Aber sie waren scharf auf die Jungs und die nahmen ihn immer in Schutz, also redeten sie sich ein, dass Jens eigentlich ganz okay sei. Nur Rike, die sieht das etwas anders, aber die ist auch mit keinem von den Jungs aus der Clique zusammen.“
Das Gespräch mit Rike Pepper schloss sich unmittelbar an. Sie bestätigte Max' Verdächtigungen, berichtete von Vorfällen aus der Vergangenheit und ging sogar noch weiter: „Ich bin mir sicher, dass Jens Deutschmann Penelope auf der letzten Party ihres Freundes irgendetwas angetan hat. Sie war ziemlich abgefüllt und ist früh schlafen gegangen. Dann habe ich Jens Deutschmann eine ganze Weile nicht gesehen und dachte schon, oh, der ist schon voll und nach Hause gewankt, wie schön. Aber irgendwann tauchte er wieder auf und grinste die ganze Zeit so widerlich und selbstzufrieden. Seit dieser Party ist Penelope so komisch. Vielleicht hat er ihr KO-Tropfen ins Getränk gekippt und sich dann zu ihr ins Bett geschlichen. Oder er ist einfach so über sie hergefallen. Vielleicht hat sie ihm damit gedroht, ihn anzuzeigen. Keine Ahnung. Auf jeden Fall kann ich mir gut vorstellen, dass er es war.“
Zum Schluss wurde Philipp Kiesling befragt. „Penelope war komisch in letzter Zeit. Sie war sicher schwanger. In der ersten Schwangerschaft war sie auch so. Ich glaube nicht, dass das jemand war, den sie kannte. Penelope war nicht so eine, die die Probleme magisch anzieht. Das muss irgendein Irrer gewesen sein.“
Jens Deutschmann trafen die Beamten nicht zu Hause an. Sie bestellten ihn für den nächsten Morgen aufs Präsidium. Zur Sicherheit ließen sie sich eine DNA Probe geben, auch wenn die Tote keine Haut oder Blut unter den Fingernägeln hatte. Penelope Kiesling war tatsächlich schwanger, aber es dauerte eine Weile bis, der DNA-Abgleich ergab, dass Philipp nicht der Vater des Kindes war, sondern Jens Deutschmann. Deutschmann war nicht so abgebrüht und gerissen, wie er sich selbst gern gesehen hätte. Unter dem Druck der erprobten Verhörmethoden knickte er schnell ein und gestand, dass er die Situation der stark alkoholisierten Penelope ausgenutzt und sich zu ihr ins Bett geschlichen hatte. Ihren halbherzigen Widerstand hatte er ignoriert und darauf gesetzt, dass seine Eigenschaften als Liebhaber sie entweder überzeugten oder der Rausch dafür sorgte, dass sie sich am kommenden Tag an nichts erinnern konnte. Doch dann hatte er sie getroffen: Er hatte eine Radtour unternommen und sie war mit dem Hund draußen. Sie hatte ihn hasserfüllt angestarrt und er hatte sie gefragt was los sei. „Das weißt du ganz genau.“, hatte sie geantwortet. „Und bald weiß es jeder.“ und dann war sie zügig weiter gegangen. Zur Silbernen Konfirmation war er zum Gemeindehaus gefahren, um sie dort noch einmal zu überreden, auch in ihrem eigenen Interessen den Eklat zu vermeiden. Als er ankam, hatte er gesehen, wie sie in die Damentoilette ging. Er war ihr gefolgt, hatte abgewartet, bis sie wieder herauskam, um mit ihr zu reden. Er hatte sich ihr in den Weg gestellt, sie hatte an ihm vorbei schlüpfen wollen, aber er hatte sie nicht gelassen. Sie begann zu schreien und noch bevor jemand das hören konnte, hatte er begonnen ihre Kehle zuzudrücken. Sie hatte so schrecklich gezappelt und er hatte erst von ihr abgelassen, als sie zu Boden ging. Dann war er in die Innenstadt geradelt und hatte sich betrunken und gehofft, ungeschoren davon zu kommen. Penelope Kiesling würde ihre Silberne Konfirmation nicht mehr erleben, nicht einmal die Konfirmation ihres dreijährigen Sohnes.
Fliege war außer sich, noch nie hatten die anderen ihn so laut und heftig weinen gesehen. Alle waren zutiefst schockiert. Während sie auf die Polizei warteten sagte Max plötzlich: „Wenn sie jemand erwürgt hat, dann fällt mir spontan nur einer ein.“
„Wer denn?“, fragte Panne entsetzt darüber, dass Max jemanden kannte, dem er dieses Verbrechen zutraute.
„Deutschmade.“
„Quatsch.“, erwiderte Speicher barsch. „Dauernd gehen in alle auf Deutschmade los, dabei hat der noch nie irgendwem irgendwas getan.
„Kann ich mir auch nicht vorstellen.“, murmelte Panne.
„Warum sollte Jens Penne das antun?“, schluchzte Fliege. „Die mochten sich doch.“
„Jens ist schon in Ordnung.“, meinte Meret. „Wie kommst du überhaupt darauf?“
„Vielleicht mochte Penne ihn nicht so gern wie er sie mochte und da ist er ausgerastet.“
„Ach dem ist doch höchstens im Suff mal die Hand ausgerutscht.“, meinte Toni. „Ich meine, ich lege auch keinen Wert darauf, dass der mich anfasst, aber das tu er auch nicht.“
„Also jetzt reicht es mir endgültig.!“, brach es plötzlich aus Rike heraus. Ihr sonst so zurückhaltendes, naives Kindergesicht verwandelte sich in ein Maske aus Wut, Hass und Verzweiflung. „Natürlich war das Deutschmade. Bei Flieges Party ist nämlich was vorgefallen, von dem ihr alle nichts mitgekriegt habt. So wie jedes Mal, wenn Jens zugeschlagen hat. Immer habt ihr ihn in Schutz genommen. Damals im Zeltlager, als er Jasmin ständig auf die Pelle gerückt ist, bis sie ihm gesagt hat, sie würde ihn treten, wenn er noch einmal näher käme. Da habt ihr alle nur auf Jasmin rumgehackt. Und Als er auf seiner eigenen Party Anna immer wieder seine fette Zunge in den Hals geschoben hat, obwohl die schon um sich schlug, habt ihr das auch damit entschuldigt, dass er eben besoffen war. Der hat uns alle dauernd angegrabbelt, nur wenn ein Mädchen mit einem seiner Kumpels zusammen war, hat er aufgepasst, dass die das nicht mitkriegen.“
„Das ist doch alles Schwachsinn.“, jammerte Fliege. Hier kann jeder rein und raus, ohne dass einer was merkt. Bei dem ganzen Gesocks, das hier rumlungert, kann da sonst wer auf dem Frauenklo auf eine Gelegenheit gelauert haben. Und Penne war einfach zur falschen Zeit am falschen Ort.“
Ein finster dreinblickender Mittfünfziger und eine attraktive junge Frau betraten das Gemeindehaus. Sie stellten sich vor als Stefan Keller und Sabine Kerkenbrock, beide Kommissare der Mordkommission.
Sie baten die anwesenden, sich bereit zu halten und sprachen dann mit jedem einzeln. Fliege sparten sie sich bis zum Schluss auf, weil er zunächst ärztlich versorgt werden musste. Auch Meret stand unter Schock und wurde von den Sanitätern behandelt.
Als erstes baten sie Stefan Schüssle zu sich.
„Ich kann Ihnen da gar nicht weiterhelfen.“, sagte er. „Ich habe nur selten Kontakt zu Penelope und Philipp und eben ist mir auch nichts Besonderes aufgefallen. Sie ist zur Toilette gegangen und irgendwann fiel Meret auf, dass sie gar nicht zurück kam. Dann ist sie nachsehen gegangen und hat sie gefunden. Ich dachte zuerst, sie wäre einfach ohnmächtig, weil ihr Mann erzählt hat, dass sie in letzter Zeit seltsam und höchstwahrscheinlich schwanger sei. Da kommt so was ja schon mal vor.“
Meret Mitloss wollte gern als nächste zur Befragung, damit sie schnell nach Hause gehen konnte.
„Ich habe keine Ahnung, wer das getan haben kann.“, erklärte sie. „Mir fiel einfach auf, dass sie nicht von der Toilette zurückkam und da habe ich nach ihr gesehen. Und dann habe ich sie da gefunden.“
Meret schluchzte und brauchte einen Moment, um sich zu beruhigen.
„Haben Sie etwas am Tatort verändert? Ihre Freundin umgelagert oder angefasst?“
„Ich habe sie an die Schultern gefasst und geschüttelt, aber dann habe ich in ihre toten Augen gesehen und da wusste ich eigentlich schon, dass man nichts mehr machen konnte. Aber irgendwie habe ich noch gehofft, dass ich mich vertan habe, darum habe ich den anderen gesagt, sie sollen einen Krankenwagen rufen.“
Marius Speicher kam als nächstes an die Reihe, damit er danach Meret nach Hause bringen konnte. „Es war alles ganz normal.“, meinte er. „Mir ist nicht einmal aufgefallen, dass Penelope schon so lange auf der Toilette war. Wir haben uns eben unterhalten. Wir waren laut. Keiner hat irgendwas gehört. Und es war ja auch zwischendurch keiner von uns pinkeln. Ich glaube auch nicht, dass es einer von denen war, die eher gegangen sind. Keiner von denen hatte was mit Penelope zu tun, soweit ich weiß. Sie war ja ein paar Jahre jünger als er.“
Holger Wickler, den alle Panne nannten, erklärte: „Wir dachten alle, ihr ist schlecht geworden, weil sie vermutlich schwanger war. Eigentlich war sie so wie immer, obwohl ihr Mann gesagt hat, dass sie in letzter Zeit komisch war, aber wohl wegen der Schwangerschaft, das war auch beim ihrem ersten Kind so. Das kann nur ein Irrer gewesen sein, der sich hier rein geschlichen hat.“
Antonia Wickler sagte aus: „Wir waren richtig gute Freundinnen und ich glaube, da war irgendwas. Also das kam sicher nicht nur von der Schwangerschaft. Sie war die letzten Wochen anders als sonst, als wenn ihr irgendwas klar geworden wäre. Ich habe mich gefragt, ob es in ihrer Ehe kriselt. Ihr Mann liebt sie total und sie wollte ihn auch immer haben, aber so was kann sich ja verändern. Vielleicht hatte sie einen Anderen. Allerdings habe ich keine Ahnung, wer das sein könnte.“
Marcus Mitloss setzte eine wissende Miene auf und begann seine Verdächtigungen auszubreiten: „Es gibt da jemanden, der zu dieser Clique gehört, obwohl er mindestens zehn Jahre älter ist als die meisten von uns. Er ist schon oft dadurch aufgefallen, dass er sich an Frauen herangemacht hat, obwohl die das nicht wollten. Seine Kumpels wollen das nicht wahrhaben und die Frauen nehmen ihn auch meistens in Schutz. Aber fragen Sie mal Rike Pepper, die ist eben total ausgerastet und hat da entsprechende Andeutungen gemacht. Vielleicht ist da irgendwas vorgefallen und er hat sich gerächt, weil sie ihn nicht wollte oder sie mundtot gemacht, damit sie niemandem was erzählen kann. Penelope war ja in letzter Zeit seltsam. Können natürlich die Hormone gewesen sein, aber ehrlich gesagt glaube ich, dass ihr irgendwas passiert ist. Mir ist nämlich auch aufgefallen, dass sie kaum redete und oft überreagiert hat. Philipp meint, das läge an der Schwangerschaft, aber ich habe sie auch schon erlebt, als sie zum ersten Mal schwanger war. Da war ihr oft schlecht, und sie hatte manchmal miese Laune und keine Lust zu irgendwas, aber so merkwürdig wie in den letzten Wochen war sie da nicht.“
Keller fragte sich im Stillen, wie es kam, dass dieser Mann die junge Frau so intensiv im Blick hatte.
„Sie kannten die Verstorbene also näher?“, fragte er um einen neutralen Tonfall bemüht.
„Auch nicht näher als alle anderen in der Clique.“, antwortete Max. „Wir kennen uns alle schon seit ungefähr fünfundzwanzig Jahren. Da fällt einem schon auf, wenn sich jemand verändert.“
„Und der ältere Mann, der zu Ihrer Clique gehört. Wer ist das?“
„Jens Deutschmann.“, erwiderte Max. „Er wohnt gleich hier um die Ecke, im Adlerweg 10. Er tauchte damals nach seiner Bundeswehrzeit im Jugendcafé auf. Er hatte sich für mehrere Jahre verpflichtet, war bei der Marine und als er zurück nach Hause kam, hatte er praktisch keine Freunde mehr. Da hat er sich an uns gehängt, obwohl wir alle Teenager waren und er schon Mitte zwanzig. Die meisten Jungs in der Clique fanden ihn cool, weil er schon Auto fuhr und eine super Stereo-Anlage und einen eigenen Party-Keller hatte. Ich fand ihn von Anfang an dämlich und langweilig und die Mädchen ekelten sich alle vor ihm. Aber sie waren scharf auf die Jungs und die nahmen ihn immer in Schutz, also redeten sie sich ein, dass Jens eigentlich ganz okay sei. Nur Rike, die sieht das etwas anders, aber die ist auch mit keinem von den Jungs aus der Clique zusammen.“
Das Gespräch mit Rike Pepper schloss sich unmittelbar an. Sie bestätigte Max' Verdächtigungen, berichtete von Vorfällen aus der Vergangenheit und ging sogar noch weiter: „Ich bin mir sicher, dass Jens Deutschmann Penelope auf der letzten Party ihres Freundes irgendetwas angetan hat. Sie war ziemlich abgefüllt und ist früh schlafen gegangen. Dann habe ich Jens Deutschmann eine ganze Weile nicht gesehen und dachte schon, oh, der ist schon voll und nach Hause gewankt, wie schön. Aber irgendwann tauchte er wieder auf und grinste die ganze Zeit so widerlich und selbstzufrieden. Seit dieser Party ist Penelope so komisch. Vielleicht hat er ihr KO-Tropfen ins Getränk gekippt und sich dann zu ihr ins Bett geschlichen. Oder er ist einfach so über sie hergefallen. Vielleicht hat sie ihm damit gedroht, ihn anzuzeigen. Keine Ahnung. Auf jeden Fall kann ich mir gut vorstellen, dass er es war.“
Zum Schluss wurde Philipp Kiesling befragt. „Penelope war komisch in letzter Zeit. Sie war sicher schwanger. In der ersten Schwangerschaft war sie auch so. Ich glaube nicht, dass das jemand war, den sie kannte. Penelope war nicht so eine, die die Probleme magisch anzieht. Das muss irgendein Irrer gewesen sein.“
Jens Deutschmann trafen die Beamten nicht zu Hause an. Sie bestellten ihn für den nächsten Morgen aufs Präsidium. Zur Sicherheit ließen sie sich eine DNA Probe geben, auch wenn die Tote keine Haut oder Blut unter den Fingernägeln hatte. Penelope Kiesling war tatsächlich schwanger, aber es dauerte eine Weile bis, der DNA-Abgleich ergab, dass Philipp nicht der Vater des Kindes war, sondern Jens Deutschmann. Deutschmann war nicht so abgebrüht und gerissen, wie er sich selbst gern gesehen hätte. Unter dem Druck der erprobten Verhörmethoden knickte er schnell ein und gestand, dass er die Situation der stark alkoholisierten Penelope ausgenutzt und sich zu ihr ins Bett geschlichen hatte. Ihren halbherzigen Widerstand hatte er ignoriert und darauf gesetzt, dass seine Eigenschaften als Liebhaber sie entweder überzeugten oder der Rausch dafür sorgte, dass sie sich am kommenden Tag an nichts erinnern konnte. Doch dann hatte er sie getroffen: Er hatte eine Radtour unternommen und sie war mit dem Hund draußen. Sie hatte ihn hasserfüllt angestarrt und er hatte sie gefragt was los sei. „Das weißt du ganz genau.“, hatte sie geantwortet. „Und bald weiß es jeder.“ und dann war sie zügig weiter gegangen. Zur Silbernen Konfirmation war er zum Gemeindehaus gefahren, um sie dort noch einmal zu überreden, auch in ihrem eigenen Interessen den Eklat zu vermeiden. Als er ankam, hatte er gesehen, wie sie in die Damentoilette ging. Er war ihr gefolgt, hatte abgewartet, bis sie wieder herauskam, um mit ihr zu reden. Er hatte sich ihr in den Weg gestellt, sie hatte an ihm vorbei schlüpfen wollen, aber er hatte sie nicht gelassen. Sie begann zu schreien und noch bevor jemand das hören konnte, hatte er begonnen ihre Kehle zuzudrücken. Sie hatte so schrecklich gezappelt und er hatte erst von ihr abgelassen, als sie zu Boden ging. Dann war er in die Innenstadt geradelt und hatte sich betrunken und gehofft, ungeschoren davon zu kommen. Penelope Kiesling würde ihre Silberne Konfirmation nicht mehr erleben, nicht einmal die Konfirmation ihres dreijährigen Sohnes.
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Freitag, 7. Juli 2017
Silberkonfirmation – zweiteiliger Kurzkrimi – Teil I
c. fabry, 17:14h
Stefan Schüssle betrat die vertraute Kirche erst gegen zehn Minuten vor elf. Alle anderen waren überpünktlich gegen halb elf erschienen und hatten sich schon vor der Kirche gegenseitig begrüßt. Er hielt Ausschau nach den vertrauteren unter den bekannten Gesichtern. Er entdeckte die natürliche Tonsur seines langjährigen Freundes Marcus Mitloss. In diesem Moment erkannte er auch alle anderen in der Bankreihe: Holger Wickler, den alle Panne nannten, mit seiner Frau Antonia, genannt Toni. Philipp Kiesling, der immer noch Fliege hieß, mit seiner Gattin Penelope, deren ungewöhnlicher Name zum derben Rufnamen Penne verunstaltet worden war, Rike Pepper, ohne Partner und Marius Speicher mit seiner Lebensgefährtin Meret. Ihn selbst nannten sie einfach Schüssel und als er sie da alle so sitzen sah, diese Clique, die sich vor knapp 25 Jahren im Gemeindehaus konstituiert hatte, da beschlich ihn plötzlich das ungute Gefühl, die Zeit bleibe für immer stehen. Dabei war er selbst derjenige, der immer den größten Abstand gehalten hatte, weil er eigenwillig und klug war und nie Lust gehabt hatte, sich ins Koma zu saufen und im Rausch wechselnden Tanzpartnerinnen die Zunge bis tief in die Speiseröhre hinein in den Hals zu schieben. Er nahm neben Marcus Platz, den übrigens alle Max nannten. Das war auch so ein Relikt aus ihrer Jugend, dass alle irgendeinen Spitznamen verpasst bekamen, je blöder, desto besser und umso hartnäckiger hielt er sich dann auch. Nur Meret war von dieser Unsitte gänzlich verschont geblieben.
So gelangweilt wie vor fünfundzwanzig Jahren warteten die Neununddreißigjährigen auf den Beginn des Gottesdienstes und tuschelten in vertrauter Disziplinlosigkeit.
„Guck mal, Marina ist noch fetter als damals.“, wisperte Panne seinem Kumpel Fliege ins Ohr. Der zuckte nur mit den Schultern, war seine eigene Frau schließlich genauso wenig eine Hunger-Model wie er selbst.
„Sebastian Bremer hätte ich beinahe nicht erkannt.“, raunte Max. „Der sieht ja aus wie mindestens fünfzig. Sehen wir etwa auch so alt aus?“
„Wir doch nicht.“, erwiderte Schüssel grinsend. „Wir ernähren uns ausschließlich von gesundem Grillgut, treiben regelmäßig Golfsport und sorgen für eine gesundheitsfördernde Life-Work-Balance.“
„Also ich fress meistens Pizza und Golf spiel ich auch nicht.“, gab Max zu bedenken.
„Dann ist es wohl die mangelnde Reife, die dich jünger erscheinen lässt.“, erwiderte Schüssel und Max rammte ihm einen Ellbogen in die Seite.
„Was zu beweisen war.“, flüsterte Schüssel daraufhin.
Sie brachten den Gottesdienst hinter sich, gingen gemeinsam zum Abendmahl, kicherten immer wieder, weil sie die Liturgie nicht kannten und sich allesamt wie Hochstapler fühlten, aber eigentlich waren sie auch gekommen, weil diese Veranstaltung so ähnlich wie ein Klassentreffen ein Wiedersehen mit Menschen bedeutete, die zwar im eigenen Leben keine besondere Rolle spielten, auf die man aber dennoch neugierig war. Beim anschließenden Süppchen im Gemeindehaus kamen sie diesbezüglich auf ihre Kosten.
„Ist die Gulaschsuppe aus der Dose?“, fragte Panne und zog einen Flunsch.
„Ach mecker nich', Panne.“, ermahnte ihn Fliege. „Der Hunger treibts rein. Ist immer noch besser als die kalten Ravioli, die wir damals im Vorkommando gefressen haben.“
„Mir wird heute noch schlecht, wenn ich daran denke.“, gab Speicher ihm Recht.
„Wieso?“, fragte Max. „Ich fand kalte Ravioli immer piekfein. Ziehe ich mir heute noch regelmäßig rein, wenn ich keine Zeit habe, 'ne Pizza in den Ofen zu schieben.“
„Du könntest zur Abwechselung ja auch mal selber kochen.“, erklärte Meret mit nörgelnder Langsamkeit. „Wär auch viel gesünder.“
„Ich kann nicht kochen.“, gab Max unwirsch zurück. „Früher, als wir noch jeden Tag im Jugendcafé rumgehangen haben, wisst ihr noch, Kölpes Salamiburger aus dem elektrischen Überbacker?“
„Da gab's doch noch keine Sandwichtoaster.“, mischte Rike sich besserwisserisch ein.
„Nee, ich meine ja auch dieses Elektroteil, das wir vom Flohmarkt geschossen haben. Das war wie so'n kleiner Backofen. Für Käsetoast oder kleine Fertigpizzen.“
„Stimmt.“, erinnerte sich Rike. „Irgendwann hat Finsterburger da drin ein Schokokusstoast überbacken und dann ist alles angebrannt und danach haben wir den Apparat weggeschmissen.“
„Da waren die besten Zeiten aber schon vorbei.“, meinte Panne. „Als wir noch mit Hotte was los gemacht haben, das war noch richtig Jugendarbeit. Nachher mit Timmi, das war allles so ein kopflastiger Schwachsinn und die richtig geilen Sachen sind hinten rüber gefallen.“
„Stimmt.“, pflichtete Speicher ihm bei. „Mit Hotte im Lager, da war noch das Motto, der Mitarbeiter geht so lange zur Theke bis er bricht. Bei Timmi wurden die Pilsken gedeckelt und die Kurzen waren ganz verboten. Wie im Kindergarten.“
„Dafür hat Timmi coole Sachen für Mädchen gemacht.“, meinte Penne.
„Ja, eben.“, bölkte Fliege und lachte dreckig. Seine Kumpels stimmten mit ein in das Gegröle, die Frauen schüttelten mit den Köpfen.
„Also ich fand beide gut.“, erklärte Toni versöhnlich. „Hotte war wie ein großer Papa und Timmi wie ein großer Bruder.“
„Eher wie eine große Schwester.“, meinte Fliege.
„Na, das ist ja nun mal egal.“, sagte Panne. „Jetzt gibt es keinen mehr, der hier für die Jugendarbeit zuständig ist und wir sind zum Glück schon groß. Wäre nur schön, wenn es noch was für unsere Kinder gäbe.“
„Musste mal selber was auf die Beine stellen.“, schlug Max vor. „Dann gibt’s auch was für Kinder. Jugendleiterschein haste ja.“
„Nee, nee.“, wies Panne den Vorschlag von sich. „Ich habe jahrelang Jungschar und so gemacht, jetzt sind mal andere dran.“
„Ach schade.“, sagte Rike plötzlich. „Ich wollte mich doch noch kurz zu Janina und Sandra setzen, jetzt sind die schon gegangen.“
„Die hatten schon früher kein Sitzfleisch.“, meinte Meret.
„Ich gerade auch nicht.“, sagte Penne. „Ich muss mal aufs Klo.“
Penne verschwand und Fliege sagte mit gedämpfter Stimme. „Die muss in letzter Zeit wieder ständig pissen. Das war damals bei Janos auch so. Sie sagt ja nichts, aber ich glaube die hat schon wieder'n Braten in der Röhre.“
„Warum fragst du sie nicht einfach?“, fragte Toni irritiert.
„Die ist irgendwie komisch drauf in letzter Zeit.“, meinte Fliege. „Will immer nicht angefasst werden und so. Zuerst dachte ich ja, sie hat vielleicht 'n Anderen. Aber ich glaube, da geht’s gerade im Kopf los. So Schwangerschafts-Irrsinn.“
„Dann ist es mit unseren Sauftouren wohl vorerst auch vorbei.“, überlegte Panne bedauernd.
„Ist eh nicht mehr so wie früher.“, pflichtete Fliege ihm bei. „Das waren noch Zeiten, als sie uns vom Camping-Platz werfen wollten, weil Detuschmade nachts um vier in den Turm mit den leeren Contis gekracht ist. Mann, hat das gescheppert!“
„War das die Tour wo Brehm diesen heftige Video gedreht hat, wo Deutschmade Rocko die Zunge in den Hals geschoben hat?“
„Ja genau.“, mischte Speicher sich ein. „Der war voll wie zehn Russen. Hat Rocko mit der Perle aus einem von den Wohnwagen verwechselt, die Brehm dann in der gleichen Nacht noch durchgenudelt hat.“
„In der Nacht?“, fragte Panne. „Das war nachmittags, als Toni mich abgeholt hat. Ich musste noch meine Klamotten aus dem Zelt holen und Brehm hat einfach weiter gevögelt. Ich dachte echt, ich bin im falschen Film.“
Max schüttelte grinsend den Kopf: „Ihr wart echt verdammt eklige Kerle.“
„Angehende Alkoholiker eben.“, bemerkte Schüssel spitz.
„Wer ist hier Alkoholiker?“, fragte Speicher aufbrausend.
„Man sagt ja“, erwiderte Schüssel. „Man selbst ist der letzte, der es merkt.“
„Wenn hier einer nix merkt, dann bist du das, Schüssel, alter Schach-Golfer. Kommt wohl vom vielen Cabrio Fahren, zu viel Durchzug im Gehirn.“
„Marius, halt einfach die Klappe!“, wies Meret ihn zurecht. „Trink deinen Kaffee und entspann dich. Ist jawohl kein Geheimnis, dass ihr alle damals nicht mehr weit weg vom Dauersuff wart. Wenn ihr so weitergemacht hättet, lägt ihr alle schon unter der Erde.“
„So schlimm waren wir gar nicht.“, widersprach Panne. „Wir haben ja nicht einmal auf den Freizeiten gesoffen, zumindest nicht nennenswert.“
„War auch viel zu teuer in Norwegen.“, meinte Fliege. „Aber cool war das trotzdem. Da bin ich auch mit Penne zusammengekommen.“
„Wo bleibt die eigentlich?“, fragte Meret sorgenvoll. „Ich gehe mal aufs Klo und sehe nach.“
Rike wies gerade darauf hin, dass am kommenden Wochenende ein äußerst spannendes Fußballspiel anstehe, da kehrte Meret mit verstörtem Gesichtsausdruck zurück.
„Kann mal einer einen Krankenwagen rufen?“, wimmerte sie. „Penne liegt da und rührt sich nicht.“
FORTSETZUNG FOLGT AM 14.07.
So gelangweilt wie vor fünfundzwanzig Jahren warteten die Neununddreißigjährigen auf den Beginn des Gottesdienstes und tuschelten in vertrauter Disziplinlosigkeit.
„Guck mal, Marina ist noch fetter als damals.“, wisperte Panne seinem Kumpel Fliege ins Ohr. Der zuckte nur mit den Schultern, war seine eigene Frau schließlich genauso wenig eine Hunger-Model wie er selbst.
„Sebastian Bremer hätte ich beinahe nicht erkannt.“, raunte Max. „Der sieht ja aus wie mindestens fünfzig. Sehen wir etwa auch so alt aus?“
„Wir doch nicht.“, erwiderte Schüssel grinsend. „Wir ernähren uns ausschließlich von gesundem Grillgut, treiben regelmäßig Golfsport und sorgen für eine gesundheitsfördernde Life-Work-Balance.“
„Also ich fress meistens Pizza und Golf spiel ich auch nicht.“, gab Max zu bedenken.
„Dann ist es wohl die mangelnde Reife, die dich jünger erscheinen lässt.“, erwiderte Schüssel und Max rammte ihm einen Ellbogen in die Seite.
„Was zu beweisen war.“, flüsterte Schüssel daraufhin.
Sie brachten den Gottesdienst hinter sich, gingen gemeinsam zum Abendmahl, kicherten immer wieder, weil sie die Liturgie nicht kannten und sich allesamt wie Hochstapler fühlten, aber eigentlich waren sie auch gekommen, weil diese Veranstaltung so ähnlich wie ein Klassentreffen ein Wiedersehen mit Menschen bedeutete, die zwar im eigenen Leben keine besondere Rolle spielten, auf die man aber dennoch neugierig war. Beim anschließenden Süppchen im Gemeindehaus kamen sie diesbezüglich auf ihre Kosten.
„Ist die Gulaschsuppe aus der Dose?“, fragte Panne und zog einen Flunsch.
„Ach mecker nich', Panne.“, ermahnte ihn Fliege. „Der Hunger treibts rein. Ist immer noch besser als die kalten Ravioli, die wir damals im Vorkommando gefressen haben.“
„Mir wird heute noch schlecht, wenn ich daran denke.“, gab Speicher ihm Recht.
„Wieso?“, fragte Max. „Ich fand kalte Ravioli immer piekfein. Ziehe ich mir heute noch regelmäßig rein, wenn ich keine Zeit habe, 'ne Pizza in den Ofen zu schieben.“
„Du könntest zur Abwechselung ja auch mal selber kochen.“, erklärte Meret mit nörgelnder Langsamkeit. „Wär auch viel gesünder.“
„Ich kann nicht kochen.“, gab Max unwirsch zurück. „Früher, als wir noch jeden Tag im Jugendcafé rumgehangen haben, wisst ihr noch, Kölpes Salamiburger aus dem elektrischen Überbacker?“
„Da gab's doch noch keine Sandwichtoaster.“, mischte Rike sich besserwisserisch ein.
„Nee, ich meine ja auch dieses Elektroteil, das wir vom Flohmarkt geschossen haben. Das war wie so'n kleiner Backofen. Für Käsetoast oder kleine Fertigpizzen.“
„Stimmt.“, erinnerte sich Rike. „Irgendwann hat Finsterburger da drin ein Schokokusstoast überbacken und dann ist alles angebrannt und danach haben wir den Apparat weggeschmissen.“
„Da waren die besten Zeiten aber schon vorbei.“, meinte Panne. „Als wir noch mit Hotte was los gemacht haben, das war noch richtig Jugendarbeit. Nachher mit Timmi, das war allles so ein kopflastiger Schwachsinn und die richtig geilen Sachen sind hinten rüber gefallen.“
„Stimmt.“, pflichtete Speicher ihm bei. „Mit Hotte im Lager, da war noch das Motto, der Mitarbeiter geht so lange zur Theke bis er bricht. Bei Timmi wurden die Pilsken gedeckelt und die Kurzen waren ganz verboten. Wie im Kindergarten.“
„Dafür hat Timmi coole Sachen für Mädchen gemacht.“, meinte Penne.
„Ja, eben.“, bölkte Fliege und lachte dreckig. Seine Kumpels stimmten mit ein in das Gegröle, die Frauen schüttelten mit den Köpfen.
„Also ich fand beide gut.“, erklärte Toni versöhnlich. „Hotte war wie ein großer Papa und Timmi wie ein großer Bruder.“
„Eher wie eine große Schwester.“, meinte Fliege.
„Na, das ist ja nun mal egal.“, sagte Panne. „Jetzt gibt es keinen mehr, der hier für die Jugendarbeit zuständig ist und wir sind zum Glück schon groß. Wäre nur schön, wenn es noch was für unsere Kinder gäbe.“
„Musste mal selber was auf die Beine stellen.“, schlug Max vor. „Dann gibt’s auch was für Kinder. Jugendleiterschein haste ja.“
„Nee, nee.“, wies Panne den Vorschlag von sich. „Ich habe jahrelang Jungschar und so gemacht, jetzt sind mal andere dran.“
„Ach schade.“, sagte Rike plötzlich. „Ich wollte mich doch noch kurz zu Janina und Sandra setzen, jetzt sind die schon gegangen.“
„Die hatten schon früher kein Sitzfleisch.“, meinte Meret.
„Ich gerade auch nicht.“, sagte Penne. „Ich muss mal aufs Klo.“
Penne verschwand und Fliege sagte mit gedämpfter Stimme. „Die muss in letzter Zeit wieder ständig pissen. Das war damals bei Janos auch so. Sie sagt ja nichts, aber ich glaube die hat schon wieder'n Braten in der Röhre.“
„Warum fragst du sie nicht einfach?“, fragte Toni irritiert.
„Die ist irgendwie komisch drauf in letzter Zeit.“, meinte Fliege. „Will immer nicht angefasst werden und so. Zuerst dachte ich ja, sie hat vielleicht 'n Anderen. Aber ich glaube, da geht’s gerade im Kopf los. So Schwangerschafts-Irrsinn.“
„Dann ist es mit unseren Sauftouren wohl vorerst auch vorbei.“, überlegte Panne bedauernd.
„Ist eh nicht mehr so wie früher.“, pflichtete Fliege ihm bei. „Das waren noch Zeiten, als sie uns vom Camping-Platz werfen wollten, weil Detuschmade nachts um vier in den Turm mit den leeren Contis gekracht ist. Mann, hat das gescheppert!“
„War das die Tour wo Brehm diesen heftige Video gedreht hat, wo Deutschmade Rocko die Zunge in den Hals geschoben hat?“
„Ja genau.“, mischte Speicher sich ein. „Der war voll wie zehn Russen. Hat Rocko mit der Perle aus einem von den Wohnwagen verwechselt, die Brehm dann in der gleichen Nacht noch durchgenudelt hat.“
„In der Nacht?“, fragte Panne. „Das war nachmittags, als Toni mich abgeholt hat. Ich musste noch meine Klamotten aus dem Zelt holen und Brehm hat einfach weiter gevögelt. Ich dachte echt, ich bin im falschen Film.“
Max schüttelte grinsend den Kopf: „Ihr wart echt verdammt eklige Kerle.“
„Angehende Alkoholiker eben.“, bemerkte Schüssel spitz.
„Wer ist hier Alkoholiker?“, fragte Speicher aufbrausend.
„Man sagt ja“, erwiderte Schüssel. „Man selbst ist der letzte, der es merkt.“
„Wenn hier einer nix merkt, dann bist du das, Schüssel, alter Schach-Golfer. Kommt wohl vom vielen Cabrio Fahren, zu viel Durchzug im Gehirn.“
„Marius, halt einfach die Klappe!“, wies Meret ihn zurecht. „Trink deinen Kaffee und entspann dich. Ist jawohl kein Geheimnis, dass ihr alle damals nicht mehr weit weg vom Dauersuff wart. Wenn ihr so weitergemacht hättet, lägt ihr alle schon unter der Erde.“
„So schlimm waren wir gar nicht.“, widersprach Panne. „Wir haben ja nicht einmal auf den Freizeiten gesoffen, zumindest nicht nennenswert.“
„War auch viel zu teuer in Norwegen.“, meinte Fliege. „Aber cool war das trotzdem. Da bin ich auch mit Penne zusammengekommen.“
„Wo bleibt die eigentlich?“, fragte Meret sorgenvoll. „Ich gehe mal aufs Klo und sehe nach.“
Rike wies gerade darauf hin, dass am kommenden Wochenende ein äußerst spannendes Fußballspiel anstehe, da kehrte Meret mit verstörtem Gesichtsausdruck zurück.
„Kann mal einer einen Krankenwagen rufen?“, wimmerte sie. „Penne liegt da und rührt sich nicht.“
FORTSETZUNG FOLGT AM 14.07.
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