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Freitag, 3. Februar 2017
Rumpelstilzchen – zweiteiliger Kurzkrimi – Teil II
c. fabry, 17:42h
Fassungslos hielt Stihl den Locher in der Hand, die Gedanken in seinem Kopf schlugen Purzelbäume. Was hatte er getan? Auch wenn sie ihn jetzt nicht mehr verraten konnte, vielleicht hatte sie bereits jemanden eingeweiht und dann würde ihm niemand glauben, dass er nicht in Tötungsabsicht gehandelt hatte. Die Tür ging auf. Tanja Heitbrink kam immer einfach herein, ohne anzuklopfen, eine Unart, die er ihr einfach nicht abgewöhnen konnte. „Was ist denn hier passiert?“, rief sie entsetzt. Stihl blieb stumm. Was sollte er auch antworten. Frau Heitbrink verfiel augenblicklich in Aktionismus: „Haben Sie schon einen Rettungswagen gerufen?“
Stihl schüttelte stumm mit dem Kopf. Wozu auch. Da war ja nichts mehr zu retten. Tanja Heitbrink griff zum Telefon. „Wir brauchen einen Krankenwagen im Kreiskirchenamt, gleich neben der Martinikirche. Wir haben hier eine bewusstlose Person, offensichtlich gestürzt, sie hat eine blutende Wunde am Kopf.“ Sie beantwortete noch ein paar Fragen, dann legte sie auf und bettete die Verletzte in der stabilen Seitenlage, nachdem sie ihre Atmung überprüft hatte.
„Was tun Sie da?“, fragte Stihl verwirrt?
„Ich leiste erste Hilfe.“, erwiderte Heitbrink ruhig.
„Wozu dass denn? Sie ist doch tot.“
„Nein, sie atmet noch. Sagen Sie mal, wie ist das überhaupt passiert?“
„Sie ist plötzlich auf mich losgegangen. Da habe ich das erstbeste genommen, was gerade herumstand, das war der Locher und mit dem habe ich ihr eins übergezogen. Sie ist also noch am Leben?“
„Ja. Offensichtlich. Aber warum ist sie auf sie losgegangen?“
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Sie war offenbar verwirrt oder desorientiert. Sie war völlig außer sich, wegen irgendeines angeblichen Fehlers in der Zeiterfassung, aber ich schätze das war nur ein Vorwand. Sie muss sich in irgendeinem Wahn befunden haben und mich für ihren Erzfeind gehalten haben, so wie sie auf mich zustürmte. Ich habe einfach nur in Notwehr gehandelt, ich fühlte mich bedroht, ich habe nicht über die Folgen nachgedacht.“
Diese Version erzählte Stihl auch der Polizei, die ihn bat, die Stadt bis auf Weiteres nicht zu verlassen, man müsse die Aussage der Verletzten abwarten, die ja sicher in der nächsten Zeit wieder zu Bewusstsein käme.
Berit kam auch wieder zu Bewusstsein. Bereits am nächsten Tag. Allerdings konnte sie sich an nichts erinnern. Amnesie lautete die Diagnose, ob vorübergehend oder endgültig konnte niemand sagen.
Zurück in den vertrauten vier Wänden begann das Leben, sich wieder normal anzufühlen. Wenn nur dieses Loch in ihrer Erinnerung nicht gewesen wäre. Sicher, Stihl war ein großes Arschloch vor dem Herrn, sie hatten ihn nicht ohne Grund „Rumpelstilzchen“ getauft, aber warum behauptete er, sie sei auf ihn losgegangen? Hatte sie das wirklich getan? Und welchen Grund hätte sie gehabt? Oder wenn er sich das nur als Ausrede ausgedacht hatte, welchen Grund könnte Stihl haben, sie aus dem Weg räumen zu wollen? Was hatte sie an jenem Vormittag in seinem Büro gewollt?
Das Loch blieb vorerst. Bald war Berit von ihren Verletzungen vollständig genesen und wurde in den Arbeitsprozess wieder eingegliedert. Nach der ersten Woche, in der sie endlich ganz normal gearbeitet hatte, kam es zu einem schon häufig erlebten Ärgernis: Ein Antrag auf nachträgliche Genehmigung außerhäusiger Arbeitsleistungen wurde vom System automatisch storniert. Sie musste den Antrag wiederholen. Eine Erinnerung blitzte plötzlich auf: Ärger mit der Zeiterfassung – Antrag nicht genehmigt – Stihl auf die Füße treten. Dann war da wieder nur das Loch.
Drei Tage später hatte sie etwas im Kreiskirchenamt zu erledigen. Beim Blick in den Flur, der zu Stihls Büro führte, tauchten Bilder des besagten Vormittages in ihr auf: Sie in einer verbalen Auseinandersetzung mit Stihl, Zeiterfassung und etwas, das sie gegen ihn in der Hand hatte. Aber was war das gewesen? Sie kam nicht drauf.
Erst 10 Tage später, als André erwähnte, dass auf der Webseite des Kirchenkreises jede Menge Fehlinformationen ständen, zog sich plötzlich ein Kribbeln vom Hinterkopf durch den Rücken bis in die Fingerspitzen. Natürlich, es hatte etwas mit dem Internetauftritt zu tun. Als sie wieder im Büro saß, öffnete sie die Seite. Es wimmelte von falschen Angaben, aber irgendetwas hatte sich verändert. Das Design war vollkommen anders als vor ihrem Krankenhausaufenthalt. Hatte der Kirchenkreis den Betreiber gewechselt? Natürlich, jetzt erinnerte sie sich wieder. Die Seite wurde von Rumpelstilzchens Frau betreut, sie scrollte und klickte sich zum Impressum und siehe da, die Firma war eine andere. Sie machte sich auf die Suche und stellte fest, dass Logo und Firmennamen sich verändert hatten. Nach akribischer Recherche gelangte sie an eine Telefonnummer. Sie rief dort an und nach wenigen Augenblicken meldete sich eine Frau: „Webdesign Blueprint, Stihl. Was kann ich für Sie tun?“
„Oh, Entschuldigung, da habe ich mich wohl verwählt.“, erwiderte Berit und legte auf. Entweder hatte Stihls Frau ihrer Firma nur einen neuen Namen verpasst oder offiziell an eine Scheinfirma verkauft, deren offizielle Eigentümerin ihre Partnerin bzw. ihr Partner war.
Am nächsten Morgen rief Berit die Lokalredaktion der örtlichen Tageszeitung an und erklärte ihnen, über welch publikumswirksamen Skandal sie berichten könnten. Doch der Lokalredakteur winkte ab. „Für die kleinen Kabbeleien, die Sie sich in ihrem Tendenzbetrieb liefern, interessiert sich niemand mehr. Ihnen ist offenbar nicht bewusst, dass die gesellschaftliche Relevanz der Kirche mittlerweile gegen Null tendiert.“
Berit war fassungslos. Hielten die sich für die Süddeutsche? Oder für die FAZ? Sie berichteten über jeden Karnickelzüchterverein und das hier war ihnen zu langweilig? Sie ging weitere 24 Stunden mit dieser Erfahrung schwanger, bis sie schließlich eine Mail an das politische Magazin „Desktop“ schrieb, die einmal im Monat einschlägige Berichte im Fernsehen ablieferten, wenn auch nicht gerade zur besten Sendezeit. Wenige Tage darauf erhielt sie einen Anruf, beantwortete viele Fragen und bekam die Auskunft, man werde sich darum kümmern. Doch dann ließen auch diese Menschen nichts mehr von sich hören.
Berit hatte noch Resturlaub, der dringend genommen werden wollte. Sie musste unbedingt raus aus diesem Sumpf und buchte einen Last-Minute-Flug in die Karibik. So etwas hatte sie noch nie getan, sie fand es überflüssig, dekadent und ökologisch wenig vertretbar. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben war ihr das alles egal. Einmal im Leben, fand sie, hat man auch das Recht, etwas moralisch Verwerfliches zu tun, weil man es braucht. Zwei Wochen Sonne, Wellen, weißer Sand und Cocktails bei Sonnenuntergang erinnerten sie an die Frau, die sie einmal gewesen war, bevor sie in ihrem Job immer mehr zu einer verbitterten Meckerziege degeneriert war. Als sie zurückkehrte, sah sie aus, wie ein vollkommen neuer Mensch.
Doch es nützte nichts. Sie musste zurück in die Arbeitswelt. Als sie am Montag Morgen beim Frühstück die Zeitung aufschlug, las sie folgende Pressenotiz:
Mitarbeiter wegen Korruptionsvorwurf entlassen
Weil ein Verwaltungsangestellter in leitender Funktion im Kirchenkreis Minden die völlig überteuerte Webseitenbetreuung seiner Ehefrau zuschanzte, ist er fristlos entlassen worden. Das Ehepaar hatte noch versucht, den Handel zu vertuschen. Nachdem eine Fachkraft, die nicht genannt werden wollte, den Angestellten darauf hingewiesen hatte, dass hier ein Rechtsbruch vorliege, hatten die Ehefrau und deren Miteigentümer die Firma offiziell an einen anderen Eigentümer verkauft. Mit neuem Namen und Logo machten sie so weiter wie bisher. Das Magazin „Desktop“ deckte den Skandal auf und zwang damit den Kirchenkreis dem Mitarbeiter die Kündigung auszusprechen. Der Superintendent des Kirchenkreises, Pfarrrer Henning Volkening zeigte sich betroffen und erklärte, der Zusammenhang sei ihm nicht aufgefallen.“
„Verlogene Ratte.“, zischte Berit. „Dich lasse ich auch noch über die Klinge springen.Gepriesen sei die Suchmaschine.“
Voller Vorfreude ließ sie den Rechner hochfahren. Irgendeine Ungereimtheit würde sich schon finden lassen. Wer Rumpelstilzchen besiegt hatte, wurde auch mit Saruman fertig.
ENDE
Stihl schüttelte stumm mit dem Kopf. Wozu auch. Da war ja nichts mehr zu retten. Tanja Heitbrink griff zum Telefon. „Wir brauchen einen Krankenwagen im Kreiskirchenamt, gleich neben der Martinikirche. Wir haben hier eine bewusstlose Person, offensichtlich gestürzt, sie hat eine blutende Wunde am Kopf.“ Sie beantwortete noch ein paar Fragen, dann legte sie auf und bettete die Verletzte in der stabilen Seitenlage, nachdem sie ihre Atmung überprüft hatte.
„Was tun Sie da?“, fragte Stihl verwirrt?
„Ich leiste erste Hilfe.“, erwiderte Heitbrink ruhig.
„Wozu dass denn? Sie ist doch tot.“
„Nein, sie atmet noch. Sagen Sie mal, wie ist das überhaupt passiert?“
„Sie ist plötzlich auf mich losgegangen. Da habe ich das erstbeste genommen, was gerade herumstand, das war der Locher und mit dem habe ich ihr eins übergezogen. Sie ist also noch am Leben?“
„Ja. Offensichtlich. Aber warum ist sie auf sie losgegangen?“
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Sie war offenbar verwirrt oder desorientiert. Sie war völlig außer sich, wegen irgendeines angeblichen Fehlers in der Zeiterfassung, aber ich schätze das war nur ein Vorwand. Sie muss sich in irgendeinem Wahn befunden haben und mich für ihren Erzfeind gehalten haben, so wie sie auf mich zustürmte. Ich habe einfach nur in Notwehr gehandelt, ich fühlte mich bedroht, ich habe nicht über die Folgen nachgedacht.“
Diese Version erzählte Stihl auch der Polizei, die ihn bat, die Stadt bis auf Weiteres nicht zu verlassen, man müsse die Aussage der Verletzten abwarten, die ja sicher in der nächsten Zeit wieder zu Bewusstsein käme.
Berit kam auch wieder zu Bewusstsein. Bereits am nächsten Tag. Allerdings konnte sie sich an nichts erinnern. Amnesie lautete die Diagnose, ob vorübergehend oder endgültig konnte niemand sagen.
Zurück in den vertrauten vier Wänden begann das Leben, sich wieder normal anzufühlen. Wenn nur dieses Loch in ihrer Erinnerung nicht gewesen wäre. Sicher, Stihl war ein großes Arschloch vor dem Herrn, sie hatten ihn nicht ohne Grund „Rumpelstilzchen“ getauft, aber warum behauptete er, sie sei auf ihn losgegangen? Hatte sie das wirklich getan? Und welchen Grund hätte sie gehabt? Oder wenn er sich das nur als Ausrede ausgedacht hatte, welchen Grund könnte Stihl haben, sie aus dem Weg räumen zu wollen? Was hatte sie an jenem Vormittag in seinem Büro gewollt?
Das Loch blieb vorerst. Bald war Berit von ihren Verletzungen vollständig genesen und wurde in den Arbeitsprozess wieder eingegliedert. Nach der ersten Woche, in der sie endlich ganz normal gearbeitet hatte, kam es zu einem schon häufig erlebten Ärgernis: Ein Antrag auf nachträgliche Genehmigung außerhäusiger Arbeitsleistungen wurde vom System automatisch storniert. Sie musste den Antrag wiederholen. Eine Erinnerung blitzte plötzlich auf: Ärger mit der Zeiterfassung – Antrag nicht genehmigt – Stihl auf die Füße treten. Dann war da wieder nur das Loch.
Drei Tage später hatte sie etwas im Kreiskirchenamt zu erledigen. Beim Blick in den Flur, der zu Stihls Büro führte, tauchten Bilder des besagten Vormittages in ihr auf: Sie in einer verbalen Auseinandersetzung mit Stihl, Zeiterfassung und etwas, das sie gegen ihn in der Hand hatte. Aber was war das gewesen? Sie kam nicht drauf.
Erst 10 Tage später, als André erwähnte, dass auf der Webseite des Kirchenkreises jede Menge Fehlinformationen ständen, zog sich plötzlich ein Kribbeln vom Hinterkopf durch den Rücken bis in die Fingerspitzen. Natürlich, es hatte etwas mit dem Internetauftritt zu tun. Als sie wieder im Büro saß, öffnete sie die Seite. Es wimmelte von falschen Angaben, aber irgendetwas hatte sich verändert. Das Design war vollkommen anders als vor ihrem Krankenhausaufenthalt. Hatte der Kirchenkreis den Betreiber gewechselt? Natürlich, jetzt erinnerte sie sich wieder. Die Seite wurde von Rumpelstilzchens Frau betreut, sie scrollte und klickte sich zum Impressum und siehe da, die Firma war eine andere. Sie machte sich auf die Suche und stellte fest, dass Logo und Firmennamen sich verändert hatten. Nach akribischer Recherche gelangte sie an eine Telefonnummer. Sie rief dort an und nach wenigen Augenblicken meldete sich eine Frau: „Webdesign Blueprint, Stihl. Was kann ich für Sie tun?“
„Oh, Entschuldigung, da habe ich mich wohl verwählt.“, erwiderte Berit und legte auf. Entweder hatte Stihls Frau ihrer Firma nur einen neuen Namen verpasst oder offiziell an eine Scheinfirma verkauft, deren offizielle Eigentümerin ihre Partnerin bzw. ihr Partner war.
Am nächsten Morgen rief Berit die Lokalredaktion der örtlichen Tageszeitung an und erklärte ihnen, über welch publikumswirksamen Skandal sie berichten könnten. Doch der Lokalredakteur winkte ab. „Für die kleinen Kabbeleien, die Sie sich in ihrem Tendenzbetrieb liefern, interessiert sich niemand mehr. Ihnen ist offenbar nicht bewusst, dass die gesellschaftliche Relevanz der Kirche mittlerweile gegen Null tendiert.“
Berit war fassungslos. Hielten die sich für die Süddeutsche? Oder für die FAZ? Sie berichteten über jeden Karnickelzüchterverein und das hier war ihnen zu langweilig? Sie ging weitere 24 Stunden mit dieser Erfahrung schwanger, bis sie schließlich eine Mail an das politische Magazin „Desktop“ schrieb, die einmal im Monat einschlägige Berichte im Fernsehen ablieferten, wenn auch nicht gerade zur besten Sendezeit. Wenige Tage darauf erhielt sie einen Anruf, beantwortete viele Fragen und bekam die Auskunft, man werde sich darum kümmern. Doch dann ließen auch diese Menschen nichts mehr von sich hören.
Berit hatte noch Resturlaub, der dringend genommen werden wollte. Sie musste unbedingt raus aus diesem Sumpf und buchte einen Last-Minute-Flug in die Karibik. So etwas hatte sie noch nie getan, sie fand es überflüssig, dekadent und ökologisch wenig vertretbar. Aber zum ersten Mal in ihrem Leben war ihr das alles egal. Einmal im Leben, fand sie, hat man auch das Recht, etwas moralisch Verwerfliches zu tun, weil man es braucht. Zwei Wochen Sonne, Wellen, weißer Sand und Cocktails bei Sonnenuntergang erinnerten sie an die Frau, die sie einmal gewesen war, bevor sie in ihrem Job immer mehr zu einer verbitterten Meckerziege degeneriert war. Als sie zurückkehrte, sah sie aus, wie ein vollkommen neuer Mensch.
Doch es nützte nichts. Sie musste zurück in die Arbeitswelt. Als sie am Montag Morgen beim Frühstück die Zeitung aufschlug, las sie folgende Pressenotiz:
Mitarbeiter wegen Korruptionsvorwurf entlassen
Weil ein Verwaltungsangestellter in leitender Funktion im Kirchenkreis Minden die völlig überteuerte Webseitenbetreuung seiner Ehefrau zuschanzte, ist er fristlos entlassen worden. Das Ehepaar hatte noch versucht, den Handel zu vertuschen. Nachdem eine Fachkraft, die nicht genannt werden wollte, den Angestellten darauf hingewiesen hatte, dass hier ein Rechtsbruch vorliege, hatten die Ehefrau und deren Miteigentümer die Firma offiziell an einen anderen Eigentümer verkauft. Mit neuem Namen und Logo machten sie so weiter wie bisher. Das Magazin „Desktop“ deckte den Skandal auf und zwang damit den Kirchenkreis dem Mitarbeiter die Kündigung auszusprechen. Der Superintendent des Kirchenkreises, Pfarrrer Henning Volkening zeigte sich betroffen und erklärte, der Zusammenhang sei ihm nicht aufgefallen.“
„Verlogene Ratte.“, zischte Berit. „Dich lasse ich auch noch über die Klinge springen.Gepriesen sei die Suchmaschine.“
Voller Vorfreude ließ sie den Rechner hochfahren. Irgendeine Ungereimtheit würde sich schon finden lassen. Wer Rumpelstilzchen besiegt hatte, wurde auch mit Saruman fertig.
ENDE
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Freitag, 27. Januar 2017
Rumpelstilzchen – zweiteiliger Kurzkrimi – Teil I
c. fabry, 16:30h
„Jetzt soll ich also Stroh zu Gold spinnen!“, fluchte Berit und fuhr sich mit den Fingern durch die streichholzkurzen Haare. Der Tagesbetrieb im Jugendzentrum war mehr als auslastend, sie schob jetzt schon 120 Mehrstunden vor sich her und hatte genug zu tun mit Öffnungszeiten von 14.00 – 20.00 Uhr, Verwaltungstätigkeiten, Dienstbesprechungen und Einkäufen. Jetzt sollte also ab 13.00 Uhr täglich ein Mittagstisch für die „bedürftigen“ Kinder der angrenzenden Haupt- und Realschule angeboten werden, weil ja sonst niemand etwas unternehme...I n Wirklichkeit war dies für den Superintendenten eine willkommene Gelegenheit, sich in der Öffentlichkeit als pragmatischer und effektiver Wohltäter zu präsentieren. Die Arbeit durften diejenigen machen, deren Namen nicht genannt wurden, aber so war es ja immer.
Täglicher Arbeitsantritt 12.45 Uhr. Feierabend gegen 20.15 Uhr. Ganz nebenbei bemerkte Berit beim Blick auf ihr Zeitkonto, dass die elektronische Zeiterfassung ihr automatisch eine halbe Stunde Pause abgezogen hatte. Sie hatte aber keine Pause machen können in dem Gewusel. „Verdammt!“, dachte sie. „Das lass ich mir nicht gefallen, obwohl ich wirklich keine Lust habe, mit Rumpelstilzchen zu telefonieren!“
Die elektronische Zeiterfassung war der größte Schwachsinn, den die kreiskirchliche Verwaltung sich hatte einfallen lassen. Das Programm hatte ein Vermögen gekostet, musste weiterhin personal- und finanzaufwändig betreut werden und funktionierte nicht. Das Einloggen dauerte mehrere Minuten und ständig entstanden Fehlbuchungen. Entweder stimmte etwas mit dem Programm nicht oder die Menschen, die das Programm betreuten, machten etwas falsch. An manchen Tagen streikte der zentrale Server und niemand konnte sich einloggen. Es war ein entsetzliches Ärgernis und dabei so überflüssig wie ein Furunkel. Eine Excel-Tabelle hätte es auch getan.
Berit rief bei der Bereichsleitung an. „Evangelischer Kirchenkreis Minden, Bereichsleitung Kinder, Jugend und Friedhof, Stihl, was kann ich für Sie tun?“
„Ja, guten Tag Herr Stihl, hier spricht Berit Würselmeyer. Mir ist bei meinem Zeiterfassungskalender aufgefallen, dass mir eine Pause abgezogen wurde, die ich nicht gemacht habe.“
„Da haben Sie sich wohl mehr als sechs Stunden eingeloggt.“, antwortete die Bereichsleitung stoisch.“
„Ja selbstverständlich. Ich bin ja auch seit neuestem täglich von 12.45 Uhr bis 20.15 Uhr in der Einrichtung. Seit ich den Mittagstisch anbieten muss, geht das ja nicht anders.“
„Aber Sie machen doch sicher mal eine Pause.“
„Wann denn?“
„Irgendwann werden sie doch mal verschnaufen, mit ein paar Jugendlichen nett quatschen und Tee trinken und dabei können Sie Ihr Butterbrot essen. Und jetzt kommen Sie mir nicht mit einem fehlenden Pausenraum. Sie sind in Ihrem Job dermaßen privilegiert, da müssen sie wegen einer solchen Nebensächlichkeit keine Welle machen.“
Das war ja wieder typisch. Berit hätte die Mitarbeitendenvertretung einschalten können, aber die rührten sich nicht. „Aus Minden, sollst du verschwinden.“, murmelte die Sozialarbeiterin, denn sie hatte den Eindruck, dass sich in dieser sterbenden Stadt außer ihr niemand mehr bei irgendetwas richtig Mühe gab. Eine Woche später erreichte sie fogende Mail von Herrn Stihl:
Hallo Frau Würselmeier,
nach der Kändigung von Frau Krebs brauhen wir eine neue vertrietung in der kommunalen Arbeitsgruppe für Mädchenarbeit. Die tagen fvierzehntägig Donnerstags um 9.30 Uhr in der Videbullenstraße 18. Nächste Woche ist es wieder so weir. Überhnemen Sie bitee diese Aufgabe.
Mfg, Stihl
Es war unfassbar. Nicht nur dass diese offizielle Mail, die immerhin eine Dienstanweisung darstellte, vor Flüchtigkeits- und Rechtschreibfehlern überlief, sie wurde einfach in Kenntnis gesetzt, statt im Gesamtteam zu erörtern, wer diese Aufgabe sinnvollerweise übernehmen könnte. Aber Berit hatte keine Kraft mehr, um sich zu wehren. Sie würde auch dieses Kreuz auf sich nehmen und irgendwann einfach vier Wochen zu Hause bleiben, dann könnten sie sie alle mal.
Eigentlich wollte Berit am Wochenende nicht s von der Arbeit wissen, doch dann scrollte sie dennoch durch die Webseite des Kirchenkreises, um nachzusehen, ob schon ein Bericht über den neuen Mittagstisch hochgeladen worden war. Bisher gab es nur eine kurze Notiz, aber sie stellte fest, dass Ihr Nachame genau wie in Stihls Mail falsch geschrieben war und ihr Vorname statt Berit mit Britta angegeben war. Sie schickte Rumpelstilzchen eine Nachricht mit der Bitte, dies schleunigst ändern zu lassen.
Als sie in der folgenden Woche am Freitag Morgen ihr Zeitkonto kontrollierte, bemerkte sie, dass ihr Antrag auf Arbeitszeit außer Haus nicht genehmigt worden war. „Geht's noch?!“, rief sie. „Erst gibt er mir den Auftrag persönlich und dann soll das nicht als Arbeitszeit angerechnet werden? Ich glaube mein Schwein pfeift! Ich knöpfe mir die Ratte Montag morgen persönlich vor!“
Bevor sie am Montag das Kreiskirchenamt aufsuchte, ging sie ins Büro, um zu kontrollieren, ob der Antrag schließlich doch genehmigt worden war. Das war er nicht, allerdings war eine Rechnung eingetroffen, eine Rechnung über 80,- € für zwei Änderungen im Eintrag der kreiskirchlichen Webseite. Das war unfassbar, dass der Kirchenkreis Minden nicht wie alle anderen das kostenlose Webseiten-System der Landeskirche nutzte, sondern mit der Begründung eines gefälligeren und benutzerfreundlicheren Auftritts ein Privatunternehmen beauftragt hatte. Als ihr Blick auf das Firmenlogo fiel, stockte ihr der Atem: RHS – Rüter und Hoffmann-Stihl. So häufig gab es diesen Namen nicht. Sie kontrollierte die Einträge im örtlichen Telefonbuch: Stihl, Hartmut und Hoffmann-Stihl Kirsten. Jetzt hatte sie ihn an den Eiern! Rumpelstilzchen hatte seiner Ehefrau die Webseitenbetreung zugeschanzt und den versammelten Schnarchnasen in Synode und Verwaltung war natürlich nichts aufgefallen oder sie waren bereit diese korrupte Grenzüberschreitung still zu dulden.
Mit durchgedrücktem Rücken und angriffslustiger Miene betrat Berit Rumpelstilzchens Büro.
„Guten Morgen Herr Stihl!“, begrüßte sie ihn übertrieben fröhlich. „Wir haben da ein Problem. Sie haben mir schriftlich einen Arbeitsauftrag außerhalb der Einrichtung erteilt, ich bin dem nachgekommen und dann haben Sie meinem Antrag auf Erfassung der dadurch entstandenen Dienstzeit nicht genehmigt. Können Sie mir das erklären?“
„Ach, da bin ich wahrscheinlich noch nicht zu gekommen.“, erwiderte der drahtige kleine Mann mit der großen Nase und dem schmallippigen, breiten Mund.
„Der Antrag wurde storniert!“, erklärte Berit wütend.
„Dann haben Sie sich wohl verklickt.“
„Wenn sich hier jemand verklickt hat, dann waren Sie das wohl, Herr Stihl. Wenn Sie also so gut wären, für Donnerstag Vormittag die Dienstzeit von 09.15 Uhr bis 11.45 Uhr nachzutragen.“
„Aber die Sitzung beginnt doch immer erst um 09.30 Uhr.“
Berits Augen sprühten Funken, als sie konterte: „Jetzt kommen Sie mir nicht so! Ich muss ja schließlich auch noch dort hin, das ist ein Dienstweg. Das müssen Sie mir schon zugestehen.“
„Also Sie vergreifen sich hier ganz deutlich im Ton, junge Frau!“, erwiderte Rumpelstilzchen, „Und ich muss Ihnen gar nichts zugestehen. Stellen Sie den Antrag noch einmal, wenn Sie das Protokoll vorliegen haben, damit ich kontrollieren kann, ob Sie überhaupt anwesend waren.“
Berit atmete tief durch, schwieg einen Moment lang bedeutungsvoll, bevor sie betont ruhig das Thema wechselte: „Soll ich vielleicht mal einen Brief an die Synode schreiben, wer hier die überteuerte Webseite betreut?“
„Was soll das denn jetzt?“
„Ich glaube nicht, dass es unproblematisch ist, wenn ein Mitarbeiter des Kirchenkreises einen lukrativen Auftrag seiner Ehefrau zuschanzt, vermutlich ist es den Synodalen noch gar nicht aufgefallen.“
„Blödsinn.“, fauchte Stihl, „Das hat alles seine Ordnung.“
„Und wie sich erst die Lokalpresse dafür interessieren wird.“, fuhr Berit unbeirrt und mit einem süffisanten Lächeln fort.
„Jetzt ist es aber genug!“
Hartmut Stihl sprang von seinem Stuhl auf und kam mit rot angelaufenem Gesicht auf Berit zu.
„Ich glaube, ich wende mich einfach direkt an den Sup.“, sagte Berit ruhig und wandte sich zum Gehen. Darum sah sie nicht, wie Stihl nach dem großen Locher griff, statt dessen spürte sie einen dumpfen Schmerz, dann nichts mehr.
FORTSETZUNG FOLGT NÄCHSTE WOCHE
Täglicher Arbeitsantritt 12.45 Uhr. Feierabend gegen 20.15 Uhr. Ganz nebenbei bemerkte Berit beim Blick auf ihr Zeitkonto, dass die elektronische Zeiterfassung ihr automatisch eine halbe Stunde Pause abgezogen hatte. Sie hatte aber keine Pause machen können in dem Gewusel. „Verdammt!“, dachte sie. „Das lass ich mir nicht gefallen, obwohl ich wirklich keine Lust habe, mit Rumpelstilzchen zu telefonieren!“
Die elektronische Zeiterfassung war der größte Schwachsinn, den die kreiskirchliche Verwaltung sich hatte einfallen lassen. Das Programm hatte ein Vermögen gekostet, musste weiterhin personal- und finanzaufwändig betreut werden und funktionierte nicht. Das Einloggen dauerte mehrere Minuten und ständig entstanden Fehlbuchungen. Entweder stimmte etwas mit dem Programm nicht oder die Menschen, die das Programm betreuten, machten etwas falsch. An manchen Tagen streikte der zentrale Server und niemand konnte sich einloggen. Es war ein entsetzliches Ärgernis und dabei so überflüssig wie ein Furunkel. Eine Excel-Tabelle hätte es auch getan.
Berit rief bei der Bereichsleitung an. „Evangelischer Kirchenkreis Minden, Bereichsleitung Kinder, Jugend und Friedhof, Stihl, was kann ich für Sie tun?“
„Ja, guten Tag Herr Stihl, hier spricht Berit Würselmeyer. Mir ist bei meinem Zeiterfassungskalender aufgefallen, dass mir eine Pause abgezogen wurde, die ich nicht gemacht habe.“
„Da haben Sie sich wohl mehr als sechs Stunden eingeloggt.“, antwortete die Bereichsleitung stoisch.“
„Ja selbstverständlich. Ich bin ja auch seit neuestem täglich von 12.45 Uhr bis 20.15 Uhr in der Einrichtung. Seit ich den Mittagstisch anbieten muss, geht das ja nicht anders.“
„Aber Sie machen doch sicher mal eine Pause.“
„Wann denn?“
„Irgendwann werden sie doch mal verschnaufen, mit ein paar Jugendlichen nett quatschen und Tee trinken und dabei können Sie Ihr Butterbrot essen. Und jetzt kommen Sie mir nicht mit einem fehlenden Pausenraum. Sie sind in Ihrem Job dermaßen privilegiert, da müssen sie wegen einer solchen Nebensächlichkeit keine Welle machen.“
Das war ja wieder typisch. Berit hätte die Mitarbeitendenvertretung einschalten können, aber die rührten sich nicht. „Aus Minden, sollst du verschwinden.“, murmelte die Sozialarbeiterin, denn sie hatte den Eindruck, dass sich in dieser sterbenden Stadt außer ihr niemand mehr bei irgendetwas richtig Mühe gab. Eine Woche später erreichte sie fogende Mail von Herrn Stihl:
Hallo Frau Würselmeier,
nach der Kändigung von Frau Krebs brauhen wir eine neue vertrietung in der kommunalen Arbeitsgruppe für Mädchenarbeit. Die tagen fvierzehntägig Donnerstags um 9.30 Uhr in der Videbullenstraße 18. Nächste Woche ist es wieder so weir. Überhnemen Sie bitee diese Aufgabe.
Mfg, Stihl
Es war unfassbar. Nicht nur dass diese offizielle Mail, die immerhin eine Dienstanweisung darstellte, vor Flüchtigkeits- und Rechtschreibfehlern überlief, sie wurde einfach in Kenntnis gesetzt, statt im Gesamtteam zu erörtern, wer diese Aufgabe sinnvollerweise übernehmen könnte. Aber Berit hatte keine Kraft mehr, um sich zu wehren. Sie würde auch dieses Kreuz auf sich nehmen und irgendwann einfach vier Wochen zu Hause bleiben, dann könnten sie sie alle mal.
Eigentlich wollte Berit am Wochenende nicht s von der Arbeit wissen, doch dann scrollte sie dennoch durch die Webseite des Kirchenkreises, um nachzusehen, ob schon ein Bericht über den neuen Mittagstisch hochgeladen worden war. Bisher gab es nur eine kurze Notiz, aber sie stellte fest, dass Ihr Nachame genau wie in Stihls Mail falsch geschrieben war und ihr Vorname statt Berit mit Britta angegeben war. Sie schickte Rumpelstilzchen eine Nachricht mit der Bitte, dies schleunigst ändern zu lassen.
Als sie in der folgenden Woche am Freitag Morgen ihr Zeitkonto kontrollierte, bemerkte sie, dass ihr Antrag auf Arbeitszeit außer Haus nicht genehmigt worden war. „Geht's noch?!“, rief sie. „Erst gibt er mir den Auftrag persönlich und dann soll das nicht als Arbeitszeit angerechnet werden? Ich glaube mein Schwein pfeift! Ich knöpfe mir die Ratte Montag morgen persönlich vor!“
Bevor sie am Montag das Kreiskirchenamt aufsuchte, ging sie ins Büro, um zu kontrollieren, ob der Antrag schließlich doch genehmigt worden war. Das war er nicht, allerdings war eine Rechnung eingetroffen, eine Rechnung über 80,- € für zwei Änderungen im Eintrag der kreiskirchlichen Webseite. Das war unfassbar, dass der Kirchenkreis Minden nicht wie alle anderen das kostenlose Webseiten-System der Landeskirche nutzte, sondern mit der Begründung eines gefälligeren und benutzerfreundlicheren Auftritts ein Privatunternehmen beauftragt hatte. Als ihr Blick auf das Firmenlogo fiel, stockte ihr der Atem: RHS – Rüter und Hoffmann-Stihl. So häufig gab es diesen Namen nicht. Sie kontrollierte die Einträge im örtlichen Telefonbuch: Stihl, Hartmut und Hoffmann-Stihl Kirsten. Jetzt hatte sie ihn an den Eiern! Rumpelstilzchen hatte seiner Ehefrau die Webseitenbetreung zugeschanzt und den versammelten Schnarchnasen in Synode und Verwaltung war natürlich nichts aufgefallen oder sie waren bereit diese korrupte Grenzüberschreitung still zu dulden.
Mit durchgedrücktem Rücken und angriffslustiger Miene betrat Berit Rumpelstilzchens Büro.
„Guten Morgen Herr Stihl!“, begrüßte sie ihn übertrieben fröhlich. „Wir haben da ein Problem. Sie haben mir schriftlich einen Arbeitsauftrag außerhalb der Einrichtung erteilt, ich bin dem nachgekommen und dann haben Sie meinem Antrag auf Erfassung der dadurch entstandenen Dienstzeit nicht genehmigt. Können Sie mir das erklären?“
„Ach, da bin ich wahrscheinlich noch nicht zu gekommen.“, erwiderte der drahtige kleine Mann mit der großen Nase und dem schmallippigen, breiten Mund.
„Der Antrag wurde storniert!“, erklärte Berit wütend.
„Dann haben Sie sich wohl verklickt.“
„Wenn sich hier jemand verklickt hat, dann waren Sie das wohl, Herr Stihl. Wenn Sie also so gut wären, für Donnerstag Vormittag die Dienstzeit von 09.15 Uhr bis 11.45 Uhr nachzutragen.“
„Aber die Sitzung beginnt doch immer erst um 09.30 Uhr.“
Berits Augen sprühten Funken, als sie konterte: „Jetzt kommen Sie mir nicht so! Ich muss ja schließlich auch noch dort hin, das ist ein Dienstweg. Das müssen Sie mir schon zugestehen.“
„Also Sie vergreifen sich hier ganz deutlich im Ton, junge Frau!“, erwiderte Rumpelstilzchen, „Und ich muss Ihnen gar nichts zugestehen. Stellen Sie den Antrag noch einmal, wenn Sie das Protokoll vorliegen haben, damit ich kontrollieren kann, ob Sie überhaupt anwesend waren.“
Berit atmete tief durch, schwieg einen Moment lang bedeutungsvoll, bevor sie betont ruhig das Thema wechselte: „Soll ich vielleicht mal einen Brief an die Synode schreiben, wer hier die überteuerte Webseite betreut?“
„Was soll das denn jetzt?“
„Ich glaube nicht, dass es unproblematisch ist, wenn ein Mitarbeiter des Kirchenkreises einen lukrativen Auftrag seiner Ehefrau zuschanzt, vermutlich ist es den Synodalen noch gar nicht aufgefallen.“
„Blödsinn.“, fauchte Stihl, „Das hat alles seine Ordnung.“
„Und wie sich erst die Lokalpresse dafür interessieren wird.“, fuhr Berit unbeirrt und mit einem süffisanten Lächeln fort.
„Jetzt ist es aber genug!“
Hartmut Stihl sprang von seinem Stuhl auf und kam mit rot angelaufenem Gesicht auf Berit zu.
„Ich glaube, ich wende mich einfach direkt an den Sup.“, sagte Berit ruhig und wandte sich zum Gehen. Darum sah sie nicht, wie Stihl nach dem großen Locher griff, statt dessen spürte sie einen dumpfen Schmerz, dann nichts mehr.
FORTSETZUNG FOLGT NÄCHSTE WOCHE
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Freitag, 20. Januar 2017
Kabarett
c. fabry, 13:25h
SONNTAG MORGEN
„Was für eine absurde Art zu sterben.“, raunte Kriminalhauptkommissar Keller seiner jungen Kollegin Kerkenbrock zu. Die schwieg betroffen, denn sie hätte es pietätlos gefunden, etwas dazu zu sagen, obwohl sie ihrem Vorgesetzten in Gedanken Recht gab. Erschlagen von einem Stapel evangelischer Gesangbücher unterhalb der Empore, so ein Zufall musste einen erst einmal erwischen. Darum wurde ja auch gründlich untersucht, ob es sich hier um einen echten oder einen vorgetäuschten Unfall handelte.
„Ich bin mir noch nicht sicher, ob der Genickbruch oder ein Schädel-Hirn-Trauma zum Exitus geführt hat.“, erklärte die Gerichtsmedizinerin. Es ist aber sicher, dass sie nicht mit dem Stapel in den Händen gefallen ist. Die Gesangbücher sind von oben auf sie herabgestürzt – oder geworfen worden.“
„Was wohl die rote Schleife zu bedeuten hat?“, fragte Kerkenbrock irritiert. An der Leiche befand sich ein langes, rotes Schleifenband, das seltsam um den Körper drapiert wirkte.
„Sieht aus wie eine Inszenierung.“, überlegte Keller. „Vielleicht wollte ihr jemand den Tod zum Geschenk machen.“
„Oder jemand anderem ihren Tod zum Geschenk machen.“, meinte Kerkenbrock.
„Oder so.“, erwiderte Keller.
AM ABEND ZUVOR
- Meine Güte war das peinlich. Ob es wohl jemand bemerkt hat? Bestimmt hat es jemand gemerkt. War ja nicht zu übersehen, dass ich rot geworden bin. Edith hat sich auch zu mir umgedreht, diese Schlange, wollte wohl sehen, wie ihr Werk seine Wirkung tut. Das ist so ungerecht. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Wenn ich mit Pastor Jensen ein Verhältnis gehabt hätte, ja das wäre vielleicht ein Grund gewesen, mich an den Pranger zu stellen. Oder wenn ich ihm nachgestellt hätte, obwohl er nicht interessiert war, das wäre vielleicht ein Anlass gewesen, sich über mich lustig zu machen. Aber ich habe ihn einfach still geliebt. Ich liebe ihn immer noch. Und vielleicht liebt er mich auch. So etwas Zartes und Zerbrechliches gehört ins Verborgene, in die Dunkelheit und dieses durchtriebene Weib zerrt es einfach ans Licht. Warum war ich nur so dumm, auf ihren Trick hereinzufallen? Nachdem sie mir die Liebesgeschichte mit ihrem Mann bis ins kleinste Detail geschildert hatte, war ich so weit, mich zu öffnen. Niemandem sonst habe ich jemals davon erzählt. Ich bin Lydia, die ungeliebte B-Musikerin, die Zweitligistin unter den Kantorinnen, die graue Kirchenmaus, das Gestell im Rollkragen, das immer übersehen wird und niemanden interessiert. Keiner sieht, welches Feuer in mir brennt, welche Leidenschaft und ich war so dumm, es ausgerechnet Edith zu erzählen. Und jetzt hat sie die Kabarettistin geimpft. Die Kabarettistin ist ja keine Hellseherin, den Tipp muss ihr jemand gegeben haben. Wie soll ich diese Worte vergessen: „Und die unverheirateten Kantorinnen, die blassen Mäuschen, die immer im Rollkragenpullover herumlaufen und nur laut werden, wenn sie einen Choral anstimmen, die sind doch immer dem Herrn Pfarrer verfallen, bei den Katholiken genauso wie bei den Evangelen. Die Katholischen dürfen nicht, weil sie sie sich grundsätzlich nicht paaren dürfen, die Evangelischen dürfen nicht, weil sie schon verheiratet sind und sich vor Antritt ihrer ersten Stelle schon in geradezu unanständiger Weise fortgepflanzt haben. Verheiratete Familienväter sind auch in der Evangelischen Kirche tabu für die einsamen Herzen. Ich glaube ja, die Kirchenmusikerinnen sind verkappte Nonnen, so hochgeschlossen und ungeschminkt, wie die immer rumlaufen. Die fangen nie was mit dem Herrn Pastor an, die beten den nur an, so wie die Bräute Christi ihren Herrn Jesus. Also, liebe Gemeinde, kein Anlass zur Sorge, da passiert schon nichts, sehen sie ihr ihre Leidenschaften nach.“
Und jetzt wissen alle Bescheid. Wie soll ich denn damit weiterleben? Und was mich am meisten wurmt: wenn ich jetzt Schluss mache, wird Edith erst recht allen brühwarm erzählen, dass Pastor Jensen meine große, heimliche Liebe war und an meinem Grab werden sich alle die Mäuler zerreißen, mitleidig lächeln oder dreckig lachen und mich verachten. Dabei habe ich alles richtig gemacht und im Gegenzug hat das Leben mich nie entschädigt. Edith hatte eine erfüllte Partnerschaft, für mich hat sich nie jemand interessiert. Wenn ich schon gehe, dann nehme ich sie mit.
Was haben wir denn da? Ediths schöne rote Deko-Schleifen? Mein Gott, kein Gemeindefest, kein Mitarbeitertreffen, keine Goldkonfirmation wo sie einem nicht ihre unübertroffenen Edelbaumwollschleifen aus dem Luxusdekorationsgeschäft aufdrängt, damit auch jeder sofort weiß: Die vorliegende Dekoration wird Ihnen präsentiert von Edith Winter, der Leiterin des Abendkreises und Schirmherrin des Gemeindefrühstücks. Warte mal, auf der Damast-Decke lag doch eine ganz lange. Wenn ich die auf die Brüstung lege und darauf einen großen Stapel Gesangbücher und dann daran ziehe, dann fallen die Gesangbücher auf mich herab und die Schleife gleich mit und dann wird jeder sofort denken, dass Edith etwas mit meinem Tod zu tun hat. –
Lydia nahm die Schleife mit auf die Empore. Sie nahm einen großen Stapel Gesangbücher aus dem Regal und legte ihn auf den Rand des Geländers. Sie legte ein Ende der Schleife über das Holz und hob dann den Stapel darauf. Sie schob ihn möglichst weit an den Rand, so dass er gerade noch stehen konnte. Dann ging sie wieder hinunter. Die rote Schleife hing vor ihr wie ein Galgenstrick.
- Das war es dann wohl. Zeit, Abschied zu nehmen. Vielleicht wird wenigstens Pastor Jensen um mich weinen. Vielleicht gibt es ja doch Seelenwanderung und wir treffen uns im nächsten Leben wieder und werden da glücklich. Wenn ich nur Edith nicht wiedertreffe, von der habe ich endgültig genug. -
Sie stellte sich direkt unter die Schleife. Sie zog einmal kräftig daran. Ein kurzer Schmerz, dann wurde es Nacht.
„Was für eine absurde Art zu sterben.“, raunte Kriminalhauptkommissar Keller seiner jungen Kollegin Kerkenbrock zu. Die schwieg betroffen, denn sie hätte es pietätlos gefunden, etwas dazu zu sagen, obwohl sie ihrem Vorgesetzten in Gedanken Recht gab. Erschlagen von einem Stapel evangelischer Gesangbücher unterhalb der Empore, so ein Zufall musste einen erst einmal erwischen. Darum wurde ja auch gründlich untersucht, ob es sich hier um einen echten oder einen vorgetäuschten Unfall handelte.
„Ich bin mir noch nicht sicher, ob der Genickbruch oder ein Schädel-Hirn-Trauma zum Exitus geführt hat.“, erklärte die Gerichtsmedizinerin. Es ist aber sicher, dass sie nicht mit dem Stapel in den Händen gefallen ist. Die Gesangbücher sind von oben auf sie herabgestürzt – oder geworfen worden.“
„Was wohl die rote Schleife zu bedeuten hat?“, fragte Kerkenbrock irritiert. An der Leiche befand sich ein langes, rotes Schleifenband, das seltsam um den Körper drapiert wirkte.
„Sieht aus wie eine Inszenierung.“, überlegte Keller. „Vielleicht wollte ihr jemand den Tod zum Geschenk machen.“
„Oder jemand anderem ihren Tod zum Geschenk machen.“, meinte Kerkenbrock.
„Oder so.“, erwiderte Keller.
AM ABEND ZUVOR
- Meine Güte war das peinlich. Ob es wohl jemand bemerkt hat? Bestimmt hat es jemand gemerkt. War ja nicht zu übersehen, dass ich rot geworden bin. Edith hat sich auch zu mir umgedreht, diese Schlange, wollte wohl sehen, wie ihr Werk seine Wirkung tut. Das ist so ungerecht. Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen. Wenn ich mit Pastor Jensen ein Verhältnis gehabt hätte, ja das wäre vielleicht ein Grund gewesen, mich an den Pranger zu stellen. Oder wenn ich ihm nachgestellt hätte, obwohl er nicht interessiert war, das wäre vielleicht ein Anlass gewesen, sich über mich lustig zu machen. Aber ich habe ihn einfach still geliebt. Ich liebe ihn immer noch. Und vielleicht liebt er mich auch. So etwas Zartes und Zerbrechliches gehört ins Verborgene, in die Dunkelheit und dieses durchtriebene Weib zerrt es einfach ans Licht. Warum war ich nur so dumm, auf ihren Trick hereinzufallen? Nachdem sie mir die Liebesgeschichte mit ihrem Mann bis ins kleinste Detail geschildert hatte, war ich so weit, mich zu öffnen. Niemandem sonst habe ich jemals davon erzählt. Ich bin Lydia, die ungeliebte B-Musikerin, die Zweitligistin unter den Kantorinnen, die graue Kirchenmaus, das Gestell im Rollkragen, das immer übersehen wird und niemanden interessiert. Keiner sieht, welches Feuer in mir brennt, welche Leidenschaft und ich war so dumm, es ausgerechnet Edith zu erzählen. Und jetzt hat sie die Kabarettistin geimpft. Die Kabarettistin ist ja keine Hellseherin, den Tipp muss ihr jemand gegeben haben. Wie soll ich diese Worte vergessen: „Und die unverheirateten Kantorinnen, die blassen Mäuschen, die immer im Rollkragenpullover herumlaufen und nur laut werden, wenn sie einen Choral anstimmen, die sind doch immer dem Herrn Pfarrer verfallen, bei den Katholiken genauso wie bei den Evangelen. Die Katholischen dürfen nicht, weil sie sie sich grundsätzlich nicht paaren dürfen, die Evangelischen dürfen nicht, weil sie schon verheiratet sind und sich vor Antritt ihrer ersten Stelle schon in geradezu unanständiger Weise fortgepflanzt haben. Verheiratete Familienväter sind auch in der Evangelischen Kirche tabu für die einsamen Herzen. Ich glaube ja, die Kirchenmusikerinnen sind verkappte Nonnen, so hochgeschlossen und ungeschminkt, wie die immer rumlaufen. Die fangen nie was mit dem Herrn Pastor an, die beten den nur an, so wie die Bräute Christi ihren Herrn Jesus. Also, liebe Gemeinde, kein Anlass zur Sorge, da passiert schon nichts, sehen sie ihr ihre Leidenschaften nach.“
Und jetzt wissen alle Bescheid. Wie soll ich denn damit weiterleben? Und was mich am meisten wurmt: wenn ich jetzt Schluss mache, wird Edith erst recht allen brühwarm erzählen, dass Pastor Jensen meine große, heimliche Liebe war und an meinem Grab werden sich alle die Mäuler zerreißen, mitleidig lächeln oder dreckig lachen und mich verachten. Dabei habe ich alles richtig gemacht und im Gegenzug hat das Leben mich nie entschädigt. Edith hatte eine erfüllte Partnerschaft, für mich hat sich nie jemand interessiert. Wenn ich schon gehe, dann nehme ich sie mit.
Was haben wir denn da? Ediths schöne rote Deko-Schleifen? Mein Gott, kein Gemeindefest, kein Mitarbeitertreffen, keine Goldkonfirmation wo sie einem nicht ihre unübertroffenen Edelbaumwollschleifen aus dem Luxusdekorationsgeschäft aufdrängt, damit auch jeder sofort weiß: Die vorliegende Dekoration wird Ihnen präsentiert von Edith Winter, der Leiterin des Abendkreises und Schirmherrin des Gemeindefrühstücks. Warte mal, auf der Damast-Decke lag doch eine ganz lange. Wenn ich die auf die Brüstung lege und darauf einen großen Stapel Gesangbücher und dann daran ziehe, dann fallen die Gesangbücher auf mich herab und die Schleife gleich mit und dann wird jeder sofort denken, dass Edith etwas mit meinem Tod zu tun hat. –
Lydia nahm die Schleife mit auf die Empore. Sie nahm einen großen Stapel Gesangbücher aus dem Regal und legte ihn auf den Rand des Geländers. Sie legte ein Ende der Schleife über das Holz und hob dann den Stapel darauf. Sie schob ihn möglichst weit an den Rand, so dass er gerade noch stehen konnte. Dann ging sie wieder hinunter. Die rote Schleife hing vor ihr wie ein Galgenstrick.
- Das war es dann wohl. Zeit, Abschied zu nehmen. Vielleicht wird wenigstens Pastor Jensen um mich weinen. Vielleicht gibt es ja doch Seelenwanderung und wir treffen uns im nächsten Leben wieder und werden da glücklich. Wenn ich nur Edith nicht wiedertreffe, von der habe ich endgültig genug. -
Sie stellte sich direkt unter die Schleife. Sie zog einmal kräftig daran. Ein kurzer Schmerz, dann wurde es Nacht.
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Freitag, 13. Januar 2017
Dachschaden – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 17:36h
Schon seit sechs Wochen war nichts Nennenswertes passiert und Kriminalhauptkommissar Keller und seine Kollegin Kerkenbrock schoben einen gemütlichen Innendienst, wofür sie während der ungemütlichen Witterung Ende Januar ausgesprochen dankbar waren. Es gab genug Arbeit und eine Menge Probleme, die gelöst werden mussten, aber kein Blut, keine Leichen, keine Verfolgungsjagden, keine Überstunden, kein Schlafentzug. Alles war schön. Beim Anblick des eintretenden „Kunden“ ahnte Kerkenbrock, dass der Idylle ein jähes Ende bevorstand.
Der mittelgroße, schlanke, dunkelhaarige Mann mit den großen, ernst und intensiv blickenden Augen fragte: „Bin ich hier richtig? Ich will Anzeige erstatten wegen versuchten Mordes.“
„Das sind starke Worte.“, erklärte Kerkenbrock. „Nehmen Sie doch erst einmal Platz, wir nehmen Ihre Personalien auf und Sie erzählen uns, was genau passiert ist.“
Der Mann setzte sich, stellte sich vor als Kawi Föcking und erklärte sein Anliegen: „Heute Vormittag bin ich auf dem Vorplatz der Kirche an meinem Arbeitsplatz beinahe von einem herabfallenden Dachziegel getroffen worden.“
„Aber wie kommen Sie darauf, dass den jemand geworfen hat? Der kann sich doch auch gelöst haben und einfach herunter gefallen sein.“
„Dachziegeln fallen nicht einfach so runter!“, erwiderte Föcking im Tonfall grober Zurechtweisung. „Die stürzen bei Sturm oder Erdbeben vom Dach. Aber heute ist es vollkommen windstill und das Dach der Kirche ist vor kurzem überholt worden. Außerdem habe ich vor zwei Tagen einen Drohbrief erhalten. Den habe ich auch dabei.“
Föcking zog ein Kuvert aus der Tasche auf dem „Karl-Wilhelm Föcking“ stand. Kerkenbrock stutzte kurz und hatte dann große Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Kawi klang natürlich erheblich cooler als Karl-Wilhelm, vor allem bei einem Mittdreißiger, der offenkundig großen Wert auf seine Außenwirkung legte.
„Sie heißen also Karl-Wilhelm, Herr Föcking?“, fragte sie betont sachlich. Keller drehte Föcking den Rücken zu und grinste ungeniert.
„Ja, Kawi ist die Kurzform, aber das ist jawohl vollkommen nebensächlich.“
„In der Sache durchaus.“, erwiderte Kerkenbrock. „Aber wir sind hier eine Behörde und ich muss dann schon den Namen aufnehmen, der auch im Personalausweis steht oder ist Kawi offiziell als Künstlername eingetragen?“
„Nein.“, antwortete Föcking knapp.
Kerkenbrock streifte Handschuhe über, zog den Brief aus dem Umschlag und faltete ihn auseinander. Mit schwarzer Tinte war in Standardschrift folgender Text aufgedruckt: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, wer sich über andere erhebt, der wird vernichtet werden und sich nie wieder erheben.“
„Was genau machen Sie eigentlich beruflich?“, fragte Kerkenbrock.
„Ich bin Gemeindepädagoge. Ich arbeite mit Kindern und Jugendlichen.“
Kerkenbrocks Phantasie schickte sie auf eine Reise in ihre eigene kirchliche Vergangenheit. Dort sah sie Föcking, als den selbstverliebten Jugendreferenten, der sich immer und überall für den Nabel der Welt hielt. Ein in der Entwicklung steckengebliebener, verwöhnter Schönling, der nicht in der Lage war, von sich selbst abzusehen. Ein kurzer Blick auf Kellers Miene verriet ihr, dass er ähnlich dachte und schon jetzt drohte, die Geduld mit diesem anstrengenden Kunden zu verlieren.
„Haben Sie eigentlich einen konkreten Verdacht?“, mischte der ältere Beamte sich ein.
„Auf jeden Fall jemand aus der Gemeinde.“, antwortete Föcking. „Ich bin unbequem, und halte Leuten den Spiegel vor, ich stelle Forderungen und lege den Finger in die Wunde. Die wollen sich da lieber in ihrer Gemeinde einrichten und immer so weiter machen, vollkommen beratungsresistent. Da gibt es einige, die mich auf dem Kieker haben.“
„Oh Gott!“, dachte Kerkenbrock, „Jetzt hält er sich auch noch für den Schützer von Witwen und Waisen. Fehlt nur noch, dass er uns erklärt, dass er die Mädchenarbeit auch selber machen muss, weil die Kolleginnen gar nicht wissen, wie das geht und immer nur kochen, nähen und schminken, statt Mofas zu reparieren und Regale zu tischlern.“
„Wir sehen uns den vermeintlichen Tatort im Laufe des Tages mal an.“, erklärte Keller. „Von wann bis wann sind Sie denn heute an Ihrem Arbeitsplatz?“
„Ich mache gerade Mittagspause.“, erklärte Föcking. „Wenn ich was gegessen hab‘, fahre ich wieder ins Gemeindehaus und mache erst gegen Neun Uhr abends Feierabend.“
„Gut.“, sagte Keller. „Unterschreiben Sie doch bitte Ihre Anzeige und wenn Sie uns dann entschuldigen wollen, wir haben noch eine Menge anderer Fälle zu bearbeiten.“
Unzufrieden unterschrieb Föcking die Anzeige und verabschiedete sich widerwillig. Als er gegangen war, fragte Kerkenbrock: „Von welchen Fällen genau reden Sie eigentlich, Herr Keller?“
„Wieso?“, erwiderte der mit Unschuldsmiene. „Hier liegt doch genug rum. Wir beehren den Retter der Menschheit in zweieinhalb Stunden, der soll sich bloß nicht ernst genommen fühlen in seiner Wichtigtuerei.“
Als die Beamten wie geplant an Föckings Dienststelle ankamen, zeigte der ihnen die Stelle, an der er beinahe von dem Dachziegel getroffen worden war. Keller hatte in weiser Voraussicht einen Experten mitgebracht, der sich das Dach ansah, in der Zwischenzeit verschafften die Ermittler sich bei einem Rundgang einen Eindruck vom Außengelände.
„Man könnte schon vom Kirchturm aus etwas runterfeuern.“, meinte Kerkenbrock „Aber hören Sie mal, was ist denn da los?“
Aus dem Gemeindehaus war deutlich zu hören, dass hier eine starke Auseinandersetzung stattfand. Ein Mann und eine Frau schrien sich aus Leibeskräften an. Die Beamten öffneten vorsichtig die Haustür und bemühten sich, nicht bemerkt zu werden.
„Das ist doch nicht zu fassen!“, brüllte der Mann, den sie sofort als Kawi Föcking identifizierten. „Zuerst mischt du dich mit so kleingeistigen Vorschlägen in meine Arbeit ein wie zum Beispiel, dass ich mein Büro aufräumen soll, dann hetzt du das Presbyterium gegen mich auf, mit dem Ergebnis, dass die Jugendlichen die Toiletten im Erdgeschoss nicht mehr benutzen dürfen und jetzt lasst ihr einfach die Schlösser austauschen und verweigert mir einen Generalschlüssel, so dass ich gar nicht mehr ins Gemeindebüro komme. Wie soll ich denn da vernünftig arbeiten?“
„Ich habe noch keinen einzigen Tag erlebt, an dem du vernünftig gearbeitet hast.“, brüllte die Frau zurück.
„Du hast doch mit deinem weltfremden Theologiestudium überhaupt keine Ahnung von Pädagogik und Sozialarbeit.“, schrie Föcking.
Die Frau zwang sich, würdevoll die Lautstärke zu drosseln und sagte mit gespielter Ruhe: „Siehst du, genau das ist das Problem. In einer evangelischen Kirchengemeinde sollten Hauptamtliche und Pfarrer sich nicht derartig gegenseitig abwerten. Ich weiß, was für Unverschämtheiten du über mich losgelassen hast. Du kannst doch nicht glauben, dass die Gemeinde tatenlos zusieht, wenn du dich dermaßen illoyal verhältst.“
„Ich habe nichts über dich vom Stapel gelassen.“, verteidigte Föcking sich. „Wer so was behauptet lügt.“
„Ich glaube kaum, dass Ulli mich anlügt.“, erklärte die Pfarrerin spitz.
„Ulli hat das behauptet?“, fragte Föcking schockiert.
Die Tür wurde geräuschvoll aufgerissen. Der Experte hatte seine Analyse abgeschlossen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass tatsächlich ein Dachziegel vorsätzlich entfernt worden war. Er hatte herumliegende Scherben gesichert, an denen sich Blutspuren fanden, die kaum von Föcking stammten, weil der ja nicht verletzt war. Es lag nahe, dass der Täter sich beim Entfernen des Dachziegels eine Schnitt- oder Schürfwunde zugezogen hatte.
Keller zog es zu seinem Unmut in Betracht, dass tatsächlich ein Mitglied des Presbyteriums oder die Pfarrerin den Anschlag verübt haben könnte und beantragte DNA-Tests bei allen Verdächtigen.
Bei dem im Streit erwähnten Ulli handelte es sich um den Gemeindepädagogen Ulrich Schlegel, der statt mit Jugendarbeit mit ähnlichen Aufgaben betraut war wie die Pfarrerin. Als sie Föcking zu dem Streit befragten, erklärte der: „Ich bin wirklich enttäuscht. Wir sind Kollegen und Ulli war ein langjähriger Freund, dem ich voll und ganz vertraut habe. Wir hatten hier echt mal einen kompetenten Pfarrer, aber als der in Ruhestand ging, kam Mareike Neuhäuser und ich habe mich gleich gefragt, ob die im Presbyterium von allen guten Geistern verlassen sind. So eine verklemmte, langweilige, phantasielose Trulla! Die predigt wie im letzten Jahrhundert, hat Angst vor jeder Veränderung und Menschen gehen ihr allgemein auf die Nerven. Die wäre besser als Kaffee kochende Tippse aufgehoben. Das habe ich Ulli gegenüber geäußert und er hat mir nicht widersprochen. Und jetzt erfahre ich, dass er ihr das alles brühwarm weitererzählt hat und ich verstehe wirklich nicht warum.“
Vielleicht lag hier die Lösung des Rätsels und die Beamten suchten Ulrich Schlegel auf, so hatten sie wenigstens etwas zu tun, bis die Ergebnisse der DNA-Proben vorlagen. Schlegel war ein seltsamer Vogel: ein farbloser, älterer Mann, kurz vor der Rente, der mehr wie ein Büroangestellter als ein theologischer Mitarbeiter wirkte. Er sprach wenig und leise und machte keinen besonders tiefgründigen Eindruck auf die Beamten.
„Warum sind Sie Ihrem Kollegen derart in den Rücken gefallen?“, fragte Kerkenbrock ihn voll echter Neugier.
„Ich bin ihm nicht in den Rücken gefallen. Er war derjenige, der ständig die Grenze überschritten hat. Wenn ich Mareike nichts erzählt hätte, wäre ich ihr in den Rücken gefallen. Wenn man mit seiner Vorgesetzten nicht einverstanden ist, muss man sich eine neue Stelle suchen oder es still ertragen. So sehe ich das.“
Als sie seine Speichelprobe in der Tasche hatten und wieder im Auto saßen, zitierte Kerkenbrock den Apostel Paulus: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott:“
„Die spinnen, die Christen.“, bemerkte Keller.
„Das würde ich nicht verallgemeinern.“, erwiderte Kerkenbrock. „Aber in diesem speziellen Fall gebe ich Ihnen unumwunden Recht.“
Die DNA-Untersuchung ergab, dass niemand von den Verdächtigen Spuren an dem Dachziegel hinterlassen hatte. Und es war niemandem aufgefallen, dass Alina tagelang nach dem Ziegelwurf mit einem großflächigen Pflaster an der rechten Hand herumlief, zwischen Daumen und Zeigefinger. Darum hatte auch niemand untersucht, welchen Aktivitäten sie im Internet nachgegangen war, dass sie nach Giften geforscht hatte, die vom Kaffeearoma geschmacklich überdeckt werden. Niemand durfte ihr schöne Augen machen und sie anschließend ungestraft dauerhaft übersehen und Kawi schon gar nicht.
Der mittelgroße, schlanke, dunkelhaarige Mann mit den großen, ernst und intensiv blickenden Augen fragte: „Bin ich hier richtig? Ich will Anzeige erstatten wegen versuchten Mordes.“
„Das sind starke Worte.“, erklärte Kerkenbrock. „Nehmen Sie doch erst einmal Platz, wir nehmen Ihre Personalien auf und Sie erzählen uns, was genau passiert ist.“
Der Mann setzte sich, stellte sich vor als Kawi Föcking und erklärte sein Anliegen: „Heute Vormittag bin ich auf dem Vorplatz der Kirche an meinem Arbeitsplatz beinahe von einem herabfallenden Dachziegel getroffen worden.“
„Aber wie kommen Sie darauf, dass den jemand geworfen hat? Der kann sich doch auch gelöst haben und einfach herunter gefallen sein.“
„Dachziegeln fallen nicht einfach so runter!“, erwiderte Föcking im Tonfall grober Zurechtweisung. „Die stürzen bei Sturm oder Erdbeben vom Dach. Aber heute ist es vollkommen windstill und das Dach der Kirche ist vor kurzem überholt worden. Außerdem habe ich vor zwei Tagen einen Drohbrief erhalten. Den habe ich auch dabei.“
Föcking zog ein Kuvert aus der Tasche auf dem „Karl-Wilhelm Föcking“ stand. Kerkenbrock stutzte kurz und hatte dann große Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Kawi klang natürlich erheblich cooler als Karl-Wilhelm, vor allem bei einem Mittdreißiger, der offenkundig großen Wert auf seine Außenwirkung legte.
„Sie heißen also Karl-Wilhelm, Herr Föcking?“, fragte sie betont sachlich. Keller drehte Föcking den Rücken zu und grinste ungeniert.
„Ja, Kawi ist die Kurzform, aber das ist jawohl vollkommen nebensächlich.“
„In der Sache durchaus.“, erwiderte Kerkenbrock. „Aber wir sind hier eine Behörde und ich muss dann schon den Namen aufnehmen, der auch im Personalausweis steht oder ist Kawi offiziell als Künstlername eingetragen?“
„Nein.“, antwortete Föcking knapp.
Kerkenbrock streifte Handschuhe über, zog den Brief aus dem Umschlag und faltete ihn auseinander. Mit schwarzer Tinte war in Standardschrift folgender Text aufgedruckt: „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden, wer sich über andere erhebt, der wird vernichtet werden und sich nie wieder erheben.“
„Was genau machen Sie eigentlich beruflich?“, fragte Kerkenbrock.
„Ich bin Gemeindepädagoge. Ich arbeite mit Kindern und Jugendlichen.“
Kerkenbrocks Phantasie schickte sie auf eine Reise in ihre eigene kirchliche Vergangenheit. Dort sah sie Föcking, als den selbstverliebten Jugendreferenten, der sich immer und überall für den Nabel der Welt hielt. Ein in der Entwicklung steckengebliebener, verwöhnter Schönling, der nicht in der Lage war, von sich selbst abzusehen. Ein kurzer Blick auf Kellers Miene verriet ihr, dass er ähnlich dachte und schon jetzt drohte, die Geduld mit diesem anstrengenden Kunden zu verlieren.
„Haben Sie eigentlich einen konkreten Verdacht?“, mischte der ältere Beamte sich ein.
„Auf jeden Fall jemand aus der Gemeinde.“, antwortete Föcking. „Ich bin unbequem, und halte Leuten den Spiegel vor, ich stelle Forderungen und lege den Finger in die Wunde. Die wollen sich da lieber in ihrer Gemeinde einrichten und immer so weiter machen, vollkommen beratungsresistent. Da gibt es einige, die mich auf dem Kieker haben.“
„Oh Gott!“, dachte Kerkenbrock, „Jetzt hält er sich auch noch für den Schützer von Witwen und Waisen. Fehlt nur noch, dass er uns erklärt, dass er die Mädchenarbeit auch selber machen muss, weil die Kolleginnen gar nicht wissen, wie das geht und immer nur kochen, nähen und schminken, statt Mofas zu reparieren und Regale zu tischlern.“
„Wir sehen uns den vermeintlichen Tatort im Laufe des Tages mal an.“, erklärte Keller. „Von wann bis wann sind Sie denn heute an Ihrem Arbeitsplatz?“
„Ich mache gerade Mittagspause.“, erklärte Föcking. „Wenn ich was gegessen hab‘, fahre ich wieder ins Gemeindehaus und mache erst gegen Neun Uhr abends Feierabend.“
„Gut.“, sagte Keller. „Unterschreiben Sie doch bitte Ihre Anzeige und wenn Sie uns dann entschuldigen wollen, wir haben noch eine Menge anderer Fälle zu bearbeiten.“
Unzufrieden unterschrieb Föcking die Anzeige und verabschiedete sich widerwillig. Als er gegangen war, fragte Kerkenbrock: „Von welchen Fällen genau reden Sie eigentlich, Herr Keller?“
„Wieso?“, erwiderte der mit Unschuldsmiene. „Hier liegt doch genug rum. Wir beehren den Retter der Menschheit in zweieinhalb Stunden, der soll sich bloß nicht ernst genommen fühlen in seiner Wichtigtuerei.“
Als die Beamten wie geplant an Föckings Dienststelle ankamen, zeigte der ihnen die Stelle, an der er beinahe von dem Dachziegel getroffen worden war. Keller hatte in weiser Voraussicht einen Experten mitgebracht, der sich das Dach ansah, in der Zwischenzeit verschafften die Ermittler sich bei einem Rundgang einen Eindruck vom Außengelände.
„Man könnte schon vom Kirchturm aus etwas runterfeuern.“, meinte Kerkenbrock „Aber hören Sie mal, was ist denn da los?“
Aus dem Gemeindehaus war deutlich zu hören, dass hier eine starke Auseinandersetzung stattfand. Ein Mann und eine Frau schrien sich aus Leibeskräften an. Die Beamten öffneten vorsichtig die Haustür und bemühten sich, nicht bemerkt zu werden.
„Das ist doch nicht zu fassen!“, brüllte der Mann, den sie sofort als Kawi Föcking identifizierten. „Zuerst mischt du dich mit so kleingeistigen Vorschlägen in meine Arbeit ein wie zum Beispiel, dass ich mein Büro aufräumen soll, dann hetzt du das Presbyterium gegen mich auf, mit dem Ergebnis, dass die Jugendlichen die Toiletten im Erdgeschoss nicht mehr benutzen dürfen und jetzt lasst ihr einfach die Schlösser austauschen und verweigert mir einen Generalschlüssel, so dass ich gar nicht mehr ins Gemeindebüro komme. Wie soll ich denn da vernünftig arbeiten?“
„Ich habe noch keinen einzigen Tag erlebt, an dem du vernünftig gearbeitet hast.“, brüllte die Frau zurück.
„Du hast doch mit deinem weltfremden Theologiestudium überhaupt keine Ahnung von Pädagogik und Sozialarbeit.“, schrie Föcking.
Die Frau zwang sich, würdevoll die Lautstärke zu drosseln und sagte mit gespielter Ruhe: „Siehst du, genau das ist das Problem. In einer evangelischen Kirchengemeinde sollten Hauptamtliche und Pfarrer sich nicht derartig gegenseitig abwerten. Ich weiß, was für Unverschämtheiten du über mich losgelassen hast. Du kannst doch nicht glauben, dass die Gemeinde tatenlos zusieht, wenn du dich dermaßen illoyal verhältst.“
„Ich habe nichts über dich vom Stapel gelassen.“, verteidigte Föcking sich. „Wer so was behauptet lügt.“
„Ich glaube kaum, dass Ulli mich anlügt.“, erklärte die Pfarrerin spitz.
„Ulli hat das behauptet?“, fragte Föcking schockiert.
Die Tür wurde geräuschvoll aufgerissen. Der Experte hatte seine Analyse abgeschlossen und war zu dem Ergebnis gekommen, dass tatsächlich ein Dachziegel vorsätzlich entfernt worden war. Er hatte herumliegende Scherben gesichert, an denen sich Blutspuren fanden, die kaum von Föcking stammten, weil der ja nicht verletzt war. Es lag nahe, dass der Täter sich beim Entfernen des Dachziegels eine Schnitt- oder Schürfwunde zugezogen hatte.
Keller zog es zu seinem Unmut in Betracht, dass tatsächlich ein Mitglied des Presbyteriums oder die Pfarrerin den Anschlag verübt haben könnte und beantragte DNA-Tests bei allen Verdächtigen.
Bei dem im Streit erwähnten Ulli handelte es sich um den Gemeindepädagogen Ulrich Schlegel, der statt mit Jugendarbeit mit ähnlichen Aufgaben betraut war wie die Pfarrerin. Als sie Föcking zu dem Streit befragten, erklärte der: „Ich bin wirklich enttäuscht. Wir sind Kollegen und Ulli war ein langjähriger Freund, dem ich voll und ganz vertraut habe. Wir hatten hier echt mal einen kompetenten Pfarrer, aber als der in Ruhestand ging, kam Mareike Neuhäuser und ich habe mich gleich gefragt, ob die im Presbyterium von allen guten Geistern verlassen sind. So eine verklemmte, langweilige, phantasielose Trulla! Die predigt wie im letzten Jahrhundert, hat Angst vor jeder Veränderung und Menschen gehen ihr allgemein auf die Nerven. Die wäre besser als Kaffee kochende Tippse aufgehoben. Das habe ich Ulli gegenüber geäußert und er hat mir nicht widersprochen. Und jetzt erfahre ich, dass er ihr das alles brühwarm weitererzählt hat und ich verstehe wirklich nicht warum.“
Vielleicht lag hier die Lösung des Rätsels und die Beamten suchten Ulrich Schlegel auf, so hatten sie wenigstens etwas zu tun, bis die Ergebnisse der DNA-Proben vorlagen. Schlegel war ein seltsamer Vogel: ein farbloser, älterer Mann, kurz vor der Rente, der mehr wie ein Büroangestellter als ein theologischer Mitarbeiter wirkte. Er sprach wenig und leise und machte keinen besonders tiefgründigen Eindruck auf die Beamten.
„Warum sind Sie Ihrem Kollegen derart in den Rücken gefallen?“, fragte Kerkenbrock ihn voll echter Neugier.
„Ich bin ihm nicht in den Rücken gefallen. Er war derjenige, der ständig die Grenze überschritten hat. Wenn ich Mareike nichts erzählt hätte, wäre ich ihr in den Rücken gefallen. Wenn man mit seiner Vorgesetzten nicht einverstanden ist, muss man sich eine neue Stelle suchen oder es still ertragen. So sehe ich das.“
Als sie seine Speichelprobe in der Tasche hatten und wieder im Auto saßen, zitierte Kerkenbrock den Apostel Paulus: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat, denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott:“
„Die spinnen, die Christen.“, bemerkte Keller.
„Das würde ich nicht verallgemeinern.“, erwiderte Kerkenbrock. „Aber in diesem speziellen Fall gebe ich Ihnen unumwunden Recht.“
Die DNA-Untersuchung ergab, dass niemand von den Verdächtigen Spuren an dem Dachziegel hinterlassen hatte. Und es war niemandem aufgefallen, dass Alina tagelang nach dem Ziegelwurf mit einem großflächigen Pflaster an der rechten Hand herumlief, zwischen Daumen und Zeigefinger. Darum hatte auch niemand untersucht, welchen Aktivitäten sie im Internet nachgegangen war, dass sie nach Giften geforscht hatte, die vom Kaffeearoma geschmacklich überdeckt werden. Niemand durfte ihr schöne Augen machen und sie anschließend ungestraft dauerhaft übersehen und Kawi schon gar nicht.
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