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Donnerstag, 8. Dezember 2016
Ding Dong Merrily On High
c. fabry, 11:33h
Ein Raunen ging durch die von Kerzen warm ausgeleuchtete Kirche. Die Bankreihen füllten sich mit Weihnachtsmarktbesuchern, der Gospelchor hatte im Chorgestühl Platz genommen.
„Wo ist eigentlich Verfolgungswahn-Gloria?“, fragte Uschi ihre Freundin Gitta.
„Keine Ahnung.“, erwiderte die. „Wahrscheinlich sind sie sie holen gekommen. Muss sie endlich keine Angst mehr haben.“
Uschi grinste. „Als sie plötzlich mit 'ner schwarzen Perücke auftauchte, habe ich ja schon gedacht, dass sie sie bald abholen. Als sie dann aber auch noch anfing eine Rüstung aus Schienbein-und Unterarmschonern anzulegen, war ich kurz davor, den psychologischen Krisendienst anzurufen.“
„Wieso das denn? Kommen die nicht nur, wenn man sich selbst oder andere gefährdet? So friedliche Irre stören doch keinen.“
Die Posaunen ersetzten das Orgelvorspiel des Eröffnungs-Gottesdienstes zum diesjährigen Weihnachtsmarkt rund um die Christuskirche und schon bald war der Gospelchor an der Reihe. Es wurde nichts Besonderes geboten, voll war das Gotteshaus nur, weil sich anschließend alle zum Glühwein Kübeln am Stand der Feuerwehr trafen. Ein bisschen Einstimmung mit Adventsliedern, Bläsern und flott schnippsenden, Pidgin-English swingenden Menopausen-Ludern konnte da nicht schaden. Nach dem Segen wurde es weltlich und der Chor frohlockte: „Ding dong merrily in high, in heaven the bells are ringing.“ Bei der Schlusszeile grinsten Uschi und Gitta sich an: „Gloria, Hosanna in exelsis.“
Die Weihnachtsidylle rund um den Kirchturm war berückend schön wie in jedem Jahr. Die Frauenabendkreise hatten auf kreative Weise Lichterketten verschönert, exotisch komponierte Marmeladen gekocht und alles gefilzt, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Der ganze Stand war in berauschend warme Gelb- Rot- und Orangetöne getaucht. Die Frauenhilfe hatte Torten auf Landfrauen-Niveau herbeigezaubert, der Männerkreis bot einen zünftigen Grünkohlteller an, der CVJM verkaufte Waffeln, die Kita schenkte Kinderpunsch aus und verkaufte Adventsgestecke, der Diakoniekreis betrieb einen Welt-Laden-Stand mit fair gehandelten Produkten, der Förderkreis eine Falafelbude und ein paar externe Händler und örtliche Vereine sorgten für eine Vielfalt an Produkten, um sich wenigstens eine halbe Stunde umsehen zu können, bevor man zum Konsum des adventlichen Betäubungsmittels überging. Paula, die ebenfalls im Gospelchor sang, genoss es.
Sie hatte schon einen Becher Glühwein gekippt und es fehlte die gehaltvolle Unterlage, weil sie das Fertigpulver-Falafel des Förderkreises nicht mochte und als Vegetarierin mit dem Schweinefleisch-durchwirkten Grünkohl nichts anfangen konnte. Der Glühwein stimmte sie fröhlich und gut gelaunt und sie hatte Lust auf eine gute Tat. Der unterdimensionierte Mülleimer an der Falafelbude quoll bereits über. „Hallo Ludger!“, rief sie dem Kirchenmusik-Presbyter zu, der gerade Dienst an dem Stand schob. „Soll ich mich mal nützlich machen und euren Müll wegbringen?“
„Au ja.“, erwiderte Ludger. „Weißt du denn, wo der Container steht?“
„Ich nehme an, da wo er immer steht, an der unbeleuchteten Seite der Kirche, direkt vor der Hecke.“
Paula trug den Müllsack um die Kirche herum. Hier war es direkt unheimlich. Die dicken, altehrwürdigen Mauern ließen weder das Licht noch die Geräusche des Weihnachtsmarktes wesentlich durchdringen. Es war still, dunkel und kalt. Die gegenwärtigen Temperaturen um den Nullpunkt krochen durch jede Faser und hier, jenseits von Licht, Heizquellen und menschlichem Gedränge, schienen sofort die Gelenke einzurasten. Paula öffnete den Deckel der Müll-Mulde und warf den Beutel hinein. Sie war schon dabei, sich wieder umzudrehen, da spürte sie, dass irgendwo in ihrer rudimentären Saurierhirnregion etwas angekommen war, das sich weigerte ihr Katzenhirn und erst recht ihren zu logischen Verknüpfungen fähigen Homo Sapiens-Brägen zu erreichen. Aber sie spürte es ganz deutlich im Rückenmark und dann zog es in die Beine. Sie wendete ihren Blick ein zweites Mal dem Container zu und öffnete erneut den Deckel. Eine zarte, weiße, menschliche Hand, geschmückt von einem silbernen Solitärring leuchtete ihr entgegen.
Tierische Urlaute von sich gebend stolperte Paula zurück zu den Menschen. Es dauerte eine Weile, bis jemand ihr Gestammel verstand, einige Leute zum Container liefen und die Polizei verständigten.
Es handelte sich um die Leiche einer Frau mittleren Alters, die sehr bald als Gloria Lamberti identifiziert wurde, die vermisste Sängerin aus dem Gospelchor. „Jetzt ist Gloria wirklich Hosanna in excelsis.“, raunte Gitta Uschi zu. „Ding dong merrily on high.“, erwiderte die flüsternd, ohne jedoch einen Mundwinkel zu verziehen. Das hier war nicht komisch, sondern umso erschütternder, weil sie gerade noch Witze über Glorias Verfolgungswahn gemacht hatten. Sie fühlten sich irgendwie schuldig, brachten es aber beide nicht fertig, die Polizei davon in Kenntnis zu setzen, dass das Mordopfer sich verfolgt gefühlt hatte. Alle waren sich einig gewesen, dass Gloria sich das alles eingebildet hatte, sie zeigte offenkundige Anzeichen, dass sie ein schweres, unverarbeitetes Trauma mit sich herum schleppte, aber jetzt hatte sie tatsächlich jemand ermordet und vielleicht war es am Ende der gewesen, von dem sie sich jahrelang verfolgt gefühlt hatte.
Nach der gründlichen Tatort-Begehung und Befragung zahlreicher Zeugen machten sich Chefermittler Stefan Keller und seine Kollegin Sabine Kerkenbrock in die Wohnung der Verstorbenen auf, um hier nach möglichen Hinweisen zu suchen.
Hier war alles akribisch an seinem Platz, blitzblank aufgeräumt, sogar hinter den Schranktüren und in den Schubladen herrschte peinliche Ordnung. Darum dauerte es auch nicht lange, bis Sabine Kerkenbrock den entscheidenden Hinweis entdeckte. Keller fand sie leichenblass auf dem Sofa sitzend und in einer Kladde lesend.
„Was haben Sie da, Kerkenbrock?“
„Lesen Sie selbst.“, antwortete die Beamtin
Er fing auf den letzten Seiten an:
„Ich habe ihm jetzt gesagt, dass er mich nicht mehr erpressen kann und dass ich jetzt weiß, dass kein Gericht dieser Welt mich dafür ins Gefängnis stecken wird und dass er genauso dran wäre, wenn es so wäre, denn er hat es ja die ganze Zeit gewusst. Er wurde wieder so wütend, dass ich dachte, gleich schlägt er wieder zu, aber das konnte er nicht, denn ich war diesmal schlau und habe mich mit ihm im Café getroffen. Dass ich ihn außerdem anzeigen will, habe ich ihm vorsichtshalber trotzdem verschwiegen, das erfährt er schon noch früh genug und dann verstecke ich mich bei Ludger und Marlies bis er endlich hinter Gittern ist.“
„Wissen wir schon wer „er“ ist?“, fragte Keller.
„Ihr, Exmann oder Ex-Lebensgefährte. Er heißt Tobi, vermutlich Tobias. Das kriegen wir sicher raus. Ich habe ja schon mehr gelesen. Er hat sie jahrelang misshandelt und seit sie ihn verlassen hat, stellt er ihr nach und erpresst sie damit, dass sie vor Jahren illegal abgetrieben hat, um zu verhindern, dass sie Anzeige gegen ihn erstattet. Jetzt wollte sie sich nicht mehr einschüchtern lassen und er ist vollends ausgerastet. Ihre Leiche wird übersät sein mit seinen DNA-Spuren.“
Es konnte sich nur noch um Stunden handeln, bis der Fall abgeschlossen war und Ludger am Stand des Förderkreises auf dem längst abgebrochenen Weihnachtsmarkt stürzte einen Feuerwehrglühwein nach dem anderen herunter, um die Bilder aus dem Kopf zu bekommen, den Geruch von Angst und Tod loszuwerden und vielleicht auch die Schuld damit von seiner Seele zu waschen. Schutzbedürftige, weibliche Wesen hatten schon immer einen exorbitanten erotischen Reiz auf ihn ausgeübt und sie war so zart und anschmiegsam gewesen. Dass die Stimmung von einem Moment auf den anderen gekippt war, hatte er nicht verstanden. Wie ein wildes Tier, das man in die Enge getrieben hat, hatte sie ihn plötzlich angesehen und dann hatte sie angefangen zu schreien. Aber sie musste sofort damit aufhören, wenn heraus gekommen wäre, was er gewagt hatte, hätte sein Leben augenblicklich in Scherben gelegen. Er hatte seine Hand auf ihren Mund gepresst, da hatte er gespürt, wie sie versuchte, ihn zu beißen. Er hatte ihren Hals gepackt und sie geschüttelt. „Komm zu dir!“, hatte er gezischt. „Ich bin es, Ludger, nicht dein vermaledeiter Tobias und auch kein anderer Schläger.“ Doch sie war immer wilder geworden. Ruhig wurde sie erst, als er noch fester zudrückte und dann war sie lautlos zusammengesunken. Er hätte den Müll selbst wegbringen sollen und noch einmal dafür sorgen, dass sie gut abgedeckt war, aber die Vorstellung, noch einmal ihre Leiche zu Gesicht zu bekommen, hatte ihn mit solchem Grauen erfüllt, dass er froh und dankbar über Paulas Angebot gewesen war. Und vielleicht war es auch besser so. So würde Gloria wenigstens anständig beerdigt und nicht in der Müllverbrennungsanlage verfeuert. Es würde ihn schon niemand mit dem Mord in Verbindung bringen, denn der Kratzer in seinem Nacken bliebe bis auf weiteres von einem Rollkragen bedeckt. Er würde noch einmal davonkommen. Ding dong, merrily on high.
„Wo ist eigentlich Verfolgungswahn-Gloria?“, fragte Uschi ihre Freundin Gitta.
„Keine Ahnung.“, erwiderte die. „Wahrscheinlich sind sie sie holen gekommen. Muss sie endlich keine Angst mehr haben.“
Uschi grinste. „Als sie plötzlich mit 'ner schwarzen Perücke auftauchte, habe ich ja schon gedacht, dass sie sie bald abholen. Als sie dann aber auch noch anfing eine Rüstung aus Schienbein-und Unterarmschonern anzulegen, war ich kurz davor, den psychologischen Krisendienst anzurufen.“
„Wieso das denn? Kommen die nicht nur, wenn man sich selbst oder andere gefährdet? So friedliche Irre stören doch keinen.“
Die Posaunen ersetzten das Orgelvorspiel des Eröffnungs-Gottesdienstes zum diesjährigen Weihnachtsmarkt rund um die Christuskirche und schon bald war der Gospelchor an der Reihe. Es wurde nichts Besonderes geboten, voll war das Gotteshaus nur, weil sich anschließend alle zum Glühwein Kübeln am Stand der Feuerwehr trafen. Ein bisschen Einstimmung mit Adventsliedern, Bläsern und flott schnippsenden, Pidgin-English swingenden Menopausen-Ludern konnte da nicht schaden. Nach dem Segen wurde es weltlich und der Chor frohlockte: „Ding dong merrily in high, in heaven the bells are ringing.“ Bei der Schlusszeile grinsten Uschi und Gitta sich an: „Gloria, Hosanna in exelsis.“
Die Weihnachtsidylle rund um den Kirchturm war berückend schön wie in jedem Jahr. Die Frauenabendkreise hatten auf kreative Weise Lichterketten verschönert, exotisch komponierte Marmeladen gekocht und alles gefilzt, was nicht bei drei auf den Bäumen war. Der ganze Stand war in berauschend warme Gelb- Rot- und Orangetöne getaucht. Die Frauenhilfe hatte Torten auf Landfrauen-Niveau herbeigezaubert, der Männerkreis bot einen zünftigen Grünkohlteller an, der CVJM verkaufte Waffeln, die Kita schenkte Kinderpunsch aus und verkaufte Adventsgestecke, der Diakoniekreis betrieb einen Welt-Laden-Stand mit fair gehandelten Produkten, der Förderkreis eine Falafelbude und ein paar externe Händler und örtliche Vereine sorgten für eine Vielfalt an Produkten, um sich wenigstens eine halbe Stunde umsehen zu können, bevor man zum Konsum des adventlichen Betäubungsmittels überging. Paula, die ebenfalls im Gospelchor sang, genoss es.
Sie hatte schon einen Becher Glühwein gekippt und es fehlte die gehaltvolle Unterlage, weil sie das Fertigpulver-Falafel des Förderkreises nicht mochte und als Vegetarierin mit dem Schweinefleisch-durchwirkten Grünkohl nichts anfangen konnte. Der Glühwein stimmte sie fröhlich und gut gelaunt und sie hatte Lust auf eine gute Tat. Der unterdimensionierte Mülleimer an der Falafelbude quoll bereits über. „Hallo Ludger!“, rief sie dem Kirchenmusik-Presbyter zu, der gerade Dienst an dem Stand schob. „Soll ich mich mal nützlich machen und euren Müll wegbringen?“
„Au ja.“, erwiderte Ludger. „Weißt du denn, wo der Container steht?“
„Ich nehme an, da wo er immer steht, an der unbeleuchteten Seite der Kirche, direkt vor der Hecke.“
Paula trug den Müllsack um die Kirche herum. Hier war es direkt unheimlich. Die dicken, altehrwürdigen Mauern ließen weder das Licht noch die Geräusche des Weihnachtsmarktes wesentlich durchdringen. Es war still, dunkel und kalt. Die gegenwärtigen Temperaturen um den Nullpunkt krochen durch jede Faser und hier, jenseits von Licht, Heizquellen und menschlichem Gedränge, schienen sofort die Gelenke einzurasten. Paula öffnete den Deckel der Müll-Mulde und warf den Beutel hinein. Sie war schon dabei, sich wieder umzudrehen, da spürte sie, dass irgendwo in ihrer rudimentären Saurierhirnregion etwas angekommen war, das sich weigerte ihr Katzenhirn und erst recht ihren zu logischen Verknüpfungen fähigen Homo Sapiens-Brägen zu erreichen. Aber sie spürte es ganz deutlich im Rückenmark und dann zog es in die Beine. Sie wendete ihren Blick ein zweites Mal dem Container zu und öffnete erneut den Deckel. Eine zarte, weiße, menschliche Hand, geschmückt von einem silbernen Solitärring leuchtete ihr entgegen.
Tierische Urlaute von sich gebend stolperte Paula zurück zu den Menschen. Es dauerte eine Weile, bis jemand ihr Gestammel verstand, einige Leute zum Container liefen und die Polizei verständigten.
Es handelte sich um die Leiche einer Frau mittleren Alters, die sehr bald als Gloria Lamberti identifiziert wurde, die vermisste Sängerin aus dem Gospelchor. „Jetzt ist Gloria wirklich Hosanna in excelsis.“, raunte Gitta Uschi zu. „Ding dong merrily on high.“, erwiderte die flüsternd, ohne jedoch einen Mundwinkel zu verziehen. Das hier war nicht komisch, sondern umso erschütternder, weil sie gerade noch Witze über Glorias Verfolgungswahn gemacht hatten. Sie fühlten sich irgendwie schuldig, brachten es aber beide nicht fertig, die Polizei davon in Kenntnis zu setzen, dass das Mordopfer sich verfolgt gefühlt hatte. Alle waren sich einig gewesen, dass Gloria sich das alles eingebildet hatte, sie zeigte offenkundige Anzeichen, dass sie ein schweres, unverarbeitetes Trauma mit sich herum schleppte, aber jetzt hatte sie tatsächlich jemand ermordet und vielleicht war es am Ende der gewesen, von dem sie sich jahrelang verfolgt gefühlt hatte.
Nach der gründlichen Tatort-Begehung und Befragung zahlreicher Zeugen machten sich Chefermittler Stefan Keller und seine Kollegin Sabine Kerkenbrock in die Wohnung der Verstorbenen auf, um hier nach möglichen Hinweisen zu suchen.
Hier war alles akribisch an seinem Platz, blitzblank aufgeräumt, sogar hinter den Schranktüren und in den Schubladen herrschte peinliche Ordnung. Darum dauerte es auch nicht lange, bis Sabine Kerkenbrock den entscheidenden Hinweis entdeckte. Keller fand sie leichenblass auf dem Sofa sitzend und in einer Kladde lesend.
„Was haben Sie da, Kerkenbrock?“
„Lesen Sie selbst.“, antwortete die Beamtin
Er fing auf den letzten Seiten an:
„Ich habe ihm jetzt gesagt, dass er mich nicht mehr erpressen kann und dass ich jetzt weiß, dass kein Gericht dieser Welt mich dafür ins Gefängnis stecken wird und dass er genauso dran wäre, wenn es so wäre, denn er hat es ja die ganze Zeit gewusst. Er wurde wieder so wütend, dass ich dachte, gleich schlägt er wieder zu, aber das konnte er nicht, denn ich war diesmal schlau und habe mich mit ihm im Café getroffen. Dass ich ihn außerdem anzeigen will, habe ich ihm vorsichtshalber trotzdem verschwiegen, das erfährt er schon noch früh genug und dann verstecke ich mich bei Ludger und Marlies bis er endlich hinter Gittern ist.“
„Wissen wir schon wer „er“ ist?“, fragte Keller.
„Ihr, Exmann oder Ex-Lebensgefährte. Er heißt Tobi, vermutlich Tobias. Das kriegen wir sicher raus. Ich habe ja schon mehr gelesen. Er hat sie jahrelang misshandelt und seit sie ihn verlassen hat, stellt er ihr nach und erpresst sie damit, dass sie vor Jahren illegal abgetrieben hat, um zu verhindern, dass sie Anzeige gegen ihn erstattet. Jetzt wollte sie sich nicht mehr einschüchtern lassen und er ist vollends ausgerastet. Ihre Leiche wird übersät sein mit seinen DNA-Spuren.“
Es konnte sich nur noch um Stunden handeln, bis der Fall abgeschlossen war und Ludger am Stand des Förderkreises auf dem längst abgebrochenen Weihnachtsmarkt stürzte einen Feuerwehrglühwein nach dem anderen herunter, um die Bilder aus dem Kopf zu bekommen, den Geruch von Angst und Tod loszuwerden und vielleicht auch die Schuld damit von seiner Seele zu waschen. Schutzbedürftige, weibliche Wesen hatten schon immer einen exorbitanten erotischen Reiz auf ihn ausgeübt und sie war so zart und anschmiegsam gewesen. Dass die Stimmung von einem Moment auf den anderen gekippt war, hatte er nicht verstanden. Wie ein wildes Tier, das man in die Enge getrieben hat, hatte sie ihn plötzlich angesehen und dann hatte sie angefangen zu schreien. Aber sie musste sofort damit aufhören, wenn heraus gekommen wäre, was er gewagt hatte, hätte sein Leben augenblicklich in Scherben gelegen. Er hatte seine Hand auf ihren Mund gepresst, da hatte er gespürt, wie sie versuchte, ihn zu beißen. Er hatte ihren Hals gepackt und sie geschüttelt. „Komm zu dir!“, hatte er gezischt. „Ich bin es, Ludger, nicht dein vermaledeiter Tobias und auch kein anderer Schläger.“ Doch sie war immer wilder geworden. Ruhig wurde sie erst, als er noch fester zudrückte und dann war sie lautlos zusammengesunken. Er hätte den Müll selbst wegbringen sollen und noch einmal dafür sorgen, dass sie gut abgedeckt war, aber die Vorstellung, noch einmal ihre Leiche zu Gesicht zu bekommen, hatte ihn mit solchem Grauen erfüllt, dass er froh und dankbar über Paulas Angebot gewesen war. Und vielleicht war es auch besser so. So würde Gloria wenigstens anständig beerdigt und nicht in der Müllverbrennungsanlage verfeuert. Es würde ihn schon niemand mit dem Mord in Verbindung bringen, denn der Kratzer in seinem Nacken bliebe bis auf weiteres von einem Rollkragen bedeckt. Er würde noch einmal davonkommen. Ding dong, merrily on high.
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Freitag, 25. November 2016
Pastorenliebchen – ein interaktiver Werkstatt-Krimi
c. fabry, 12:13h
Das Pfarrhaus stand leer. Es verging kein Abend in den letzten beiden Wochen, an denen sie nicht bei ihrem Spaziergang dort vorbei schlich, von der Dunkelheit vor den neugierigen Blicken missgünstiger Tratschen geschützt. Sie wusste nicht, wo er hingezogen war und so war der Besuch seines ehemaligen Wohnhauses alles, was ihr von ihm geblieben war. Durch den langgezogenen Vorgarten blickte sie auf den pittoresken Backsteinbau. Aber was war das? Stand das Wohnzimmerfenster offen? Sie fühlte, wie sich ihr Herzschlag beschleunigte und der Atem flacher wurde. War er etwa noch einmal zurück gekommen? Hatte er etwas vergessen? Aber warum war alles dunkel? Sie lief zur Haustür und drückte die Klingel. Drinnen tat sich überhaupt nichts. Sollte sie die Gelegenheit nutzen?
Sie schlich durch das Rosenbeet zu dem offenen Fenster. Das Erdgeschoss war an dieser Stelle in Hochparterre. Sie musste auf einen Mauervorsprung steigen, um einen Blick ins Haus werfen zu können. Da war nichts. Das Zimmer war leer, ein paar Putzsachen lagen herum. Sie gab sich einen Ruck, stieß das Schwingfenster auf und kletterte unbeholfen hinein.
UND JETZT SEID IHR DRAN. SCHREIBT EINE FORTSETZUNG, DANN SCHREIBT IRGENDJEMAND DEN 3. TEIL USW. ,ICH MACHE AUCH WEITER MIT, IHR DÜRFT AUCH GERN MEHRERE TEILE VERFASSEN UND NÄCHSTE WOCHE BINDE ICH DEN SACK ZU.
Sie schlich durch das Rosenbeet zu dem offenen Fenster. Das Erdgeschoss war an dieser Stelle in Hochparterre. Sie musste auf einen Mauervorsprung steigen, um einen Blick ins Haus werfen zu können. Da war nichts. Das Zimmer war leer, ein paar Putzsachen lagen herum. Sie gab sich einen Ruck, stieß das Schwingfenster auf und kletterte unbeholfen hinein.
UND JETZT SEID IHR DRAN. SCHREIBT EINE FORTSETZUNG, DANN SCHREIBT IRGENDJEMAND DEN 3. TEIL USW. ,ICH MACHE AUCH WEITER MIT, IHR DÜRFT AUCH GERN MEHRERE TEILE VERFASSEN UND NÄCHSTE WOCHE BINDE ICH DEN SACK ZU.
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Freitag, 18. November 2016
Appetithäppchen
c. fabry, 18:28h
Auf dem Friedhof eines ostwestfälischen Dorfes werden zwei Kinder tot aufgefunden. Ein langes Wochenende steht bevor, das fünf Frauen nutzen, um ihr 30-jähriges Abitur-Jubiläum zu feiern. In zahlreichen Rückblicken, vor allem in die Siebziger und Achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wird ihre gemeinsame Geschichte erzählt. Aber was hat der gemeine Dorfzickenterror
mit den beiden Morden zu tun?
Das Ermittlerduo Keller und Kerkenbrock machen sich auf die Suche, lüften Geheimnisse, sitzen Irrtümern auf und begegnen ungewöhnlichen Menschen, um am Ende einer verstörenden Wahrheit auf die Spur zu kommen.
Der Prolog aus diesem Krimi wurde unter dem Titel "Rattenloch" in diesem Blog veröffentlicht. Viel Spaß!
10. Kapitel aus dem Roman "Brauseflocken - totes Kind, liebes Kind" von Cristina Fabry
Donnerstag, 26.Mai 2016
Da saßen sie nun bei Kaffee und Kuchen, die PANIC-Girls im gesetzten Alter und schwelgten in Erinnerungen. „War das nicht auch 1978“, fragte Cornelia, „als wir auf dem Friedhof Privatdetektiv gespielt haben?“
„Hör bloß auf!“, bremste Petra sie. „Das ist so was von peinlich!“
„Was meint ihr denn?“, fragte Nicole. „ich kann mich nur an die bitteren Wildkirschen erinnern, von denen mir sterbenselend war.“
„Da waren nicht alle dabei.“, erklärte Cornelia, „Nur Petra, Iris und ich.“
Iris grinste und sagte: „Ich werde nie vergessen, wie wir in das offene Grab geklettert sind und nicht mehr raus kamen.“
Petra hielt sich die Hände vors Gesicht. „Haltet endlich die Klappe!“, beschwor sie die Freundinnen. „Das muss niemand wissen.“
„Warum seid ihr denn in ein offenes Grab geklettert? Und von wem?“, fragte Angela neugierig.
„Für wen das war, weiß ich nicht mehr.“, erklärte Iris.
„Aber ich.“, stieß Petra hervor. „Schafmeiers Horst. Und unsere Mutter hat mich 'ne gefühlte halbe Stunde dafür vermöbelt.“
„Auf jeden Fall“, setzte Iris ihren Bericht fort, „hatten wir von unserem Garten aus beobachtet, wie der abgerockte Typ, der in Benten Kotten hauste, mit 'ner Kiste aufm Friedhof verschwunden war und ohne zurückkam.“
„So genau konntet ihr das sehen?“, fragte Angela.
„Wir hatten ein Fernglas.“, erklärte Cornelia.
„Genau genommen“, berichtigte Iris sie, „hatten wir meinen Kinder-Fotoapparat mit automatischem Weitwinkel. Wenn man bei dem verkehrt herum durch den Sucher guckte, hatte man einen leichten Tele-Effekt. War zwar alles etwas unscharf, aber näher dran. Jedenfalls wollten wir diese Kiste finden und sind auf den Friedhof geschlichen und haben alles nach frischer Erde abgesucht, unter der jemand etwas vergraben haben könnte. Als wir das Grab gesehen haben, kam uns die Idee, dass der Typ die Kiste bestimmt da versenkt hatte; sicherer als unter einer Leiche kann man ja gar nichts verstecken.“
„Nicht uns kam die Idee.“, unterbrach Petra sie mit hochrotem Kopf. „Dir kam die Idee.“
„So genau weiß ich das gar nicht mehr.“
„Aber ich.“
„Jedenfalls sind wir in die Grube geklettert, haben mit bloßen Händen rumgebuddelt und natürlich nichts gefunden. Und als wir endlich aufgegeben hatten, kamen wir nicht mehr raus.“
„Auch nicht mit Räuberleiter?“, fragte Angela.
„Da sind wir nicht drauf gekommen.“, kicherte Cornelia.
„Und dann hat Röthemeiers Sigrid uns gehört und eine nach der anderen raus gezogen. Die hat mächtig geschimpft, und wir wussten auch nicht, was wir sagen sollten, als sie fragte, warum wir in dem Grab waren.“
„Ja, und dann hat sie uns verpetzt, die blöde Kuh.“, sagte Petra und entspannte sich allmählich, jetzt, wo ohnehin alles heraus war.
„Das ist ja wirklich unheimlich.“, bemerkte Nicole. „Damals hat Röthemeiers Sigrid euch aus dem Grab gezogen, und gestern hat sie die toten Kinder im offenen Grab gefunden.“
„Ach, Tante Sigrid war das?", fragte Petra. „Wußt' ich gar nicht. Weiß man denn schon, wer die Kinder auf dem Gewissen hat?“
„Heute Morgen haben sie den Friebe verhaftet.“, wusste Nicole.
„Den Friedhofsgärtner?“, fragte Petra neugierig. „Woher weißt du das denn jetzt schon wieder?“
„Meine Mutter war heute in Lavelsloh einkaufen.“, erklärte Nicole. „Da ist ja schon Niedersachsen, bei denen ist ja heute kein Feiertag. Und da hat sie Bredemeiers Tanja, getroffen. Die wohnt nebenan und hat das mitgekriegt.“
„Die arme Sau.“, bemerkte Iris. „Das ist mal wieder typisch, die ungewaschenen Versagertypen mit Mangel an Sozialkontakten halten alle sofort für den Mörder, sogar die blöden Bullen. War der denn überhaupt auf dem Friedhof, als die Kinder da waren?“
Alle zuckten unwissend mit den Schultern. In das nachdenkliche Schweigen hinein sagte Iris plötzlich: „Moment mal, der kann das doch gar nicht gewesen sein. Als ich auf dem Friedhof war, habe ich mitbekommen, wie der abgehauen ist, und danach habe ich die Kinder noch gesehen und die lebten.“
„Der könnte doch aber noch mal zurückgekommen sein.“, überlegte Angela. „Er hat dafür gesorgt, dass du ihn weggehen siehst, und dann hat er sich woanders wieder drauf geschlichen. Perfektes Alibi.“
„Klaus-Dieter Friebe?“, fragte Iris laut. „Der ist doch zu doof, um aus dem Bus zu gucken. So einer plant doch kein Verbrechen, damit wäre der total überfordert. Außerdem ist er absolut gutmütig, dem traue ich nicht mal zu, dass er im Affekt jemanden umbringt. Aber was mir aufgefallen ist, als Klaus-Dieter schon weg war, kam irgendwann so ‘n Rocker angefahren, der sein Motorrad vor dem Friedhof parkte, war 'ne ziemlich laute Maschine. Als ich ging, stand die Maschine noch, aber den Typen hab' ich nicht mehr gesehen.“
„Dann musst du aber unbedingt die Polizei anrufen.“, bemerkte Nicole wichtigtuerisch.
„Ja, klar.“, sagte Iris und zog sofort ihr Mobiltelefon aus der Tasche. Sie wurde direkt mit Polizeihauptkommissar Stefan Keller verbunden, dem sie ihre Beobachtungen mitteilte. Der erklärte, er werde Klaus-Dieter Friebes Entlassung aus der U-Haft umgehend veranlassen und bat Iris, falls es ihr nicht zu viele Umstände mache, Freitagvormittag zur Phantombild-Erstellung ins Bielefelder Polizeipräsidium zu kommen, wo sie dann auch gleich ihre Aussage zu Protokoll geben könne.
„Wolltest du dir nicht eigentlich ein entspanntes, langes Wochenende in Nordhemmern gönnen?“, fragte Cornelia mitfühlend.
„Ach ja“, seufzte Iris. „So schlimm ist das nun auch wieder nicht. Dann fahre ich eben morgen früh 'ne Stunde nach Bielefeld, setze mich da 'ne Stunde ins Präsidium und fahre 'ne Stunde zurück. Morgen Mittag bewässere ich Simones Garten und gieße die Zimmerpflanzen und nachmittags hänge ich dann schon wieder auf der Terrasse ab.“
„Und du hast keine Ahnung, wer der Rocker war?“, fragte Petra.
„Nee, den kannte ich nicht.“
„Wie sah er denn aus?“
„So schulterlange, brünette Haare, Arme wie Oberschenkel und Oberlippenbusch, so 'n hässliches Gerät, das wie runter gezogene Mundwinkel aussieht.“
„Hoffentlich kennen wir den nicht aus der Grundschule.“, sagte Angela.
„Hast du 'n Verdacht?“, fragte Nicole.
„Nee, aber wer in Nordhemmern auf dem Friedhof rum läuft, kommt ja höchstwahrscheinlich aus dem Dorf. Und ich fänd' das total schrecklich, wenn das einer ist, den man kennt, vor allem, wenn man den mal nett fand.“
„An wen denkst du denn?“, fragte Cornelia
„Niemand Bestimmtes.“, antwortete Angela.
„Ach komm, Angela, du stilles Wasser.“, frotzelte Cornelia. „Da gibt es bestimmt 'ne fast vergessene heimliche Liebe aus deiner Vergangenheit, um die du jetzt bangst.“
Iris begann zu singen: „Die Geli saß am Fenster und knackte eine Nuss, knackte eine Nuss...“
Alle brachen in Gelächter aus, nur Angela schüttelte verlegen lächelnd den Kopf und Petra meinte: „Jetzt hört aber auf damit, ihr seid peinlich.“
„Du warst früher immer die Erste, die für solche Späße zu haben war.“, erinnerte Iris sie.
„Ja, früher.“, konterte Petra. „Aber irgendwann wird man ja auch mal erwachsen.“
„Langweilig!“, rief Iris mit röhrender Stimme und Cornelia kicherte beifällig, während Nicole die ganze Zeit über dümmlich grinsend von einer zur anderen guckte.
„Ich war in der Grundschule nie verliebt.“, erklärte Angela, um die Spekulation endlich zu beenden. „Nicht mal in der Katechumenen- und Konfirmandenzeit, zumindest in keinen aus Nordhemmern.“
„Hört hört!“, rief Cornelia. „War es dann wohl einer aus unserer Klasse?“
„Ja.“
„und wer?“
„Sag ich nicht.“
„Weiß ich sowieso.“, erklärte Nicole spitz. „Das war Thorsten Oppermann.“
„Stimmt!“, rief Cornelia begeistert aus. „Der war dann doch mit Sonja Schabowski zusammen. Was ist aus dem eigentlich geworden?“
„Klempner, glaube ich.“, erklärte Angela.
„Echt?“, rief Cornelia. „Gas, Wasser Scheiße? Wie unromantisch. Aber woher weißt du das? Hast du den gegoogelt?“
„Quatsch. Irgendwer hat mir das mal erzählt. Ich hab' aber vergessen, wer. Ist ja auch egal.“
„Ja, das würd' ich jetzt auch behaupten“, bemerkte Nicole mit einem schelmischen Grinsen und Angela quittierte dies mit einer resignierten Handbewegung.
„Hast du das Konfi-Foto noch hier?“, fragte Cornelia Nicole.
„Meine Fotos habe ich alle in Hille.“, antwortete Nicole, „Aber meine Eltern haben ja auch eins, das kann ich mal eben holen.“
Und dann saßen die fünf 49-jährigen Frauen um ihr Konfirmationsfoto geschart, machten witzige Bemerkungen über jedes Outfit und fielen zurück in die Jahre 1979 bis 1981, von denen es viel zu erzählen gab.
mit den beiden Morden zu tun?
Das Ermittlerduo Keller und Kerkenbrock machen sich auf die Suche, lüften Geheimnisse, sitzen Irrtümern auf und begegnen ungewöhnlichen Menschen, um am Ende einer verstörenden Wahrheit auf die Spur zu kommen.
Der Prolog aus diesem Krimi wurde unter dem Titel "Rattenloch" in diesem Blog veröffentlicht. Viel Spaß!
10. Kapitel aus dem Roman "Brauseflocken - totes Kind, liebes Kind" von Cristina Fabry
Donnerstag, 26.Mai 2016
Da saßen sie nun bei Kaffee und Kuchen, die PANIC-Girls im gesetzten Alter und schwelgten in Erinnerungen. „War das nicht auch 1978“, fragte Cornelia, „als wir auf dem Friedhof Privatdetektiv gespielt haben?“
„Hör bloß auf!“, bremste Petra sie. „Das ist so was von peinlich!“
„Was meint ihr denn?“, fragte Nicole. „ich kann mich nur an die bitteren Wildkirschen erinnern, von denen mir sterbenselend war.“
„Da waren nicht alle dabei.“, erklärte Cornelia, „Nur Petra, Iris und ich.“
Iris grinste und sagte: „Ich werde nie vergessen, wie wir in das offene Grab geklettert sind und nicht mehr raus kamen.“
Petra hielt sich die Hände vors Gesicht. „Haltet endlich die Klappe!“, beschwor sie die Freundinnen. „Das muss niemand wissen.“
„Warum seid ihr denn in ein offenes Grab geklettert? Und von wem?“, fragte Angela neugierig.
„Für wen das war, weiß ich nicht mehr.“, erklärte Iris.
„Aber ich.“, stieß Petra hervor. „Schafmeiers Horst. Und unsere Mutter hat mich 'ne gefühlte halbe Stunde dafür vermöbelt.“
„Auf jeden Fall“, setzte Iris ihren Bericht fort, „hatten wir von unserem Garten aus beobachtet, wie der abgerockte Typ, der in Benten Kotten hauste, mit 'ner Kiste aufm Friedhof verschwunden war und ohne zurückkam.“
„So genau konntet ihr das sehen?“, fragte Angela.
„Wir hatten ein Fernglas.“, erklärte Cornelia.
„Genau genommen“, berichtigte Iris sie, „hatten wir meinen Kinder-Fotoapparat mit automatischem Weitwinkel. Wenn man bei dem verkehrt herum durch den Sucher guckte, hatte man einen leichten Tele-Effekt. War zwar alles etwas unscharf, aber näher dran. Jedenfalls wollten wir diese Kiste finden und sind auf den Friedhof geschlichen und haben alles nach frischer Erde abgesucht, unter der jemand etwas vergraben haben könnte. Als wir das Grab gesehen haben, kam uns die Idee, dass der Typ die Kiste bestimmt da versenkt hatte; sicherer als unter einer Leiche kann man ja gar nichts verstecken.“
„Nicht uns kam die Idee.“, unterbrach Petra sie mit hochrotem Kopf. „Dir kam die Idee.“
„So genau weiß ich das gar nicht mehr.“
„Aber ich.“
„Jedenfalls sind wir in die Grube geklettert, haben mit bloßen Händen rumgebuddelt und natürlich nichts gefunden. Und als wir endlich aufgegeben hatten, kamen wir nicht mehr raus.“
„Auch nicht mit Räuberleiter?“, fragte Angela.
„Da sind wir nicht drauf gekommen.“, kicherte Cornelia.
„Und dann hat Röthemeiers Sigrid uns gehört und eine nach der anderen raus gezogen. Die hat mächtig geschimpft, und wir wussten auch nicht, was wir sagen sollten, als sie fragte, warum wir in dem Grab waren.“
„Ja, und dann hat sie uns verpetzt, die blöde Kuh.“, sagte Petra und entspannte sich allmählich, jetzt, wo ohnehin alles heraus war.
„Das ist ja wirklich unheimlich.“, bemerkte Nicole. „Damals hat Röthemeiers Sigrid euch aus dem Grab gezogen, und gestern hat sie die toten Kinder im offenen Grab gefunden.“
„Ach, Tante Sigrid war das?", fragte Petra. „Wußt' ich gar nicht. Weiß man denn schon, wer die Kinder auf dem Gewissen hat?“
„Heute Morgen haben sie den Friebe verhaftet.“, wusste Nicole.
„Den Friedhofsgärtner?“, fragte Petra neugierig. „Woher weißt du das denn jetzt schon wieder?“
„Meine Mutter war heute in Lavelsloh einkaufen.“, erklärte Nicole. „Da ist ja schon Niedersachsen, bei denen ist ja heute kein Feiertag. Und da hat sie Bredemeiers Tanja, getroffen. Die wohnt nebenan und hat das mitgekriegt.“
„Die arme Sau.“, bemerkte Iris. „Das ist mal wieder typisch, die ungewaschenen Versagertypen mit Mangel an Sozialkontakten halten alle sofort für den Mörder, sogar die blöden Bullen. War der denn überhaupt auf dem Friedhof, als die Kinder da waren?“
Alle zuckten unwissend mit den Schultern. In das nachdenkliche Schweigen hinein sagte Iris plötzlich: „Moment mal, der kann das doch gar nicht gewesen sein. Als ich auf dem Friedhof war, habe ich mitbekommen, wie der abgehauen ist, und danach habe ich die Kinder noch gesehen und die lebten.“
„Der könnte doch aber noch mal zurückgekommen sein.“, überlegte Angela. „Er hat dafür gesorgt, dass du ihn weggehen siehst, und dann hat er sich woanders wieder drauf geschlichen. Perfektes Alibi.“
„Klaus-Dieter Friebe?“, fragte Iris laut. „Der ist doch zu doof, um aus dem Bus zu gucken. So einer plant doch kein Verbrechen, damit wäre der total überfordert. Außerdem ist er absolut gutmütig, dem traue ich nicht mal zu, dass er im Affekt jemanden umbringt. Aber was mir aufgefallen ist, als Klaus-Dieter schon weg war, kam irgendwann so ‘n Rocker angefahren, der sein Motorrad vor dem Friedhof parkte, war 'ne ziemlich laute Maschine. Als ich ging, stand die Maschine noch, aber den Typen hab' ich nicht mehr gesehen.“
„Dann musst du aber unbedingt die Polizei anrufen.“, bemerkte Nicole wichtigtuerisch.
„Ja, klar.“, sagte Iris und zog sofort ihr Mobiltelefon aus der Tasche. Sie wurde direkt mit Polizeihauptkommissar Stefan Keller verbunden, dem sie ihre Beobachtungen mitteilte. Der erklärte, er werde Klaus-Dieter Friebes Entlassung aus der U-Haft umgehend veranlassen und bat Iris, falls es ihr nicht zu viele Umstände mache, Freitagvormittag zur Phantombild-Erstellung ins Bielefelder Polizeipräsidium zu kommen, wo sie dann auch gleich ihre Aussage zu Protokoll geben könne.
„Wolltest du dir nicht eigentlich ein entspanntes, langes Wochenende in Nordhemmern gönnen?“, fragte Cornelia mitfühlend.
„Ach ja“, seufzte Iris. „So schlimm ist das nun auch wieder nicht. Dann fahre ich eben morgen früh 'ne Stunde nach Bielefeld, setze mich da 'ne Stunde ins Präsidium und fahre 'ne Stunde zurück. Morgen Mittag bewässere ich Simones Garten und gieße die Zimmerpflanzen und nachmittags hänge ich dann schon wieder auf der Terrasse ab.“
„Und du hast keine Ahnung, wer der Rocker war?“, fragte Petra.
„Nee, den kannte ich nicht.“
„Wie sah er denn aus?“
„So schulterlange, brünette Haare, Arme wie Oberschenkel und Oberlippenbusch, so 'n hässliches Gerät, das wie runter gezogene Mundwinkel aussieht.“
„Hoffentlich kennen wir den nicht aus der Grundschule.“, sagte Angela.
„Hast du 'n Verdacht?“, fragte Nicole.
„Nee, aber wer in Nordhemmern auf dem Friedhof rum läuft, kommt ja höchstwahrscheinlich aus dem Dorf. Und ich fänd' das total schrecklich, wenn das einer ist, den man kennt, vor allem, wenn man den mal nett fand.“
„An wen denkst du denn?“, fragte Cornelia
„Niemand Bestimmtes.“, antwortete Angela.
„Ach komm, Angela, du stilles Wasser.“, frotzelte Cornelia. „Da gibt es bestimmt 'ne fast vergessene heimliche Liebe aus deiner Vergangenheit, um die du jetzt bangst.“
Iris begann zu singen: „Die Geli saß am Fenster und knackte eine Nuss, knackte eine Nuss...“
Alle brachen in Gelächter aus, nur Angela schüttelte verlegen lächelnd den Kopf und Petra meinte: „Jetzt hört aber auf damit, ihr seid peinlich.“
„Du warst früher immer die Erste, die für solche Späße zu haben war.“, erinnerte Iris sie.
„Ja, früher.“, konterte Petra. „Aber irgendwann wird man ja auch mal erwachsen.“
„Langweilig!“, rief Iris mit röhrender Stimme und Cornelia kicherte beifällig, während Nicole die ganze Zeit über dümmlich grinsend von einer zur anderen guckte.
„Ich war in der Grundschule nie verliebt.“, erklärte Angela, um die Spekulation endlich zu beenden. „Nicht mal in der Katechumenen- und Konfirmandenzeit, zumindest in keinen aus Nordhemmern.“
„Hört hört!“, rief Cornelia. „War es dann wohl einer aus unserer Klasse?“
„Ja.“
„und wer?“
„Sag ich nicht.“
„Weiß ich sowieso.“, erklärte Nicole spitz. „Das war Thorsten Oppermann.“
„Stimmt!“, rief Cornelia begeistert aus. „Der war dann doch mit Sonja Schabowski zusammen. Was ist aus dem eigentlich geworden?“
„Klempner, glaube ich.“, erklärte Angela.
„Echt?“, rief Cornelia. „Gas, Wasser Scheiße? Wie unromantisch. Aber woher weißt du das? Hast du den gegoogelt?“
„Quatsch. Irgendwer hat mir das mal erzählt. Ich hab' aber vergessen, wer. Ist ja auch egal.“
„Ja, das würd' ich jetzt auch behaupten“, bemerkte Nicole mit einem schelmischen Grinsen und Angela quittierte dies mit einer resignierten Handbewegung.
„Hast du das Konfi-Foto noch hier?“, fragte Cornelia Nicole.
„Meine Fotos habe ich alle in Hille.“, antwortete Nicole, „Aber meine Eltern haben ja auch eins, das kann ich mal eben holen.“
Und dann saßen die fünf 49-jährigen Frauen um ihr Konfirmationsfoto geschart, machten witzige Bemerkungen über jedes Outfit und fielen zurück in die Jahre 1979 bis 1981, von denen es viel zu erzählen gab.
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Freitag, 11. November 2016
Ohrenbeichte - DREI JAHRE SPÄTER
c. fabry, 19:07h
Zufrieden legte der Pfarrer die Tageszeitung zusammen und murmelte: „Endlich.“
„Was heißt hier endlich?“, fragte Miriam aufmerksam. „Bist du so froh, dass ich mein Abi geschafft habe und mit einem auswärtigen Studienplatz hoffentlich bald ausziehe?“
„Darauf habe ich mich gerade nicht bezogen.“
„Worauf denn?“
Lange sah der Pfarrer seine Tochter schweigend an, dann schlug er seufzend die Zeitung auf, breitete sie vor seiner Tochter aus und zeigte auf folgenden Artikel:
„MUTTERMÖRDER RECHTSKRÄFTIG VERURTEILT.
Dem einundvierzigjährigen Olaf S. Hat das Oberlandgericht den Mord an seiner Mutter Inge S. Nun endgültig lückenlos nachgewiesen. Olaf S. bestreitet die Tat nach wie vor. Inge S. verstarb an einer Überdosis Schmerzmittel. Dabei sollte der Eindruck erweckt werden, das Opfer habe sich das Medikament selbst verabreicht. Tatsächlich fanden sich aber Fingerabdrücke und DNA-Spuren an entscheidenden Stellen, die die Gabe des Medikamentes durch den Tatverdächtigen bewiesen, während keine Fingerabdrücke der Mutter zu finden waren. Der Täter handelte offenkundig aus Habgier, da seine Mutter über ein erhebliches Vermögen verfügte, dessen Erbe an ihn fiel. Wegen besonders niederer Motive und der hinterhältigen Heimtücke, mit der der Beschuldigte vorgegangen sei, verurteilte das Gericht ihn zu einer lebenslamgen Freiheitsstrafe, die keinesfalls vor dem Ablauf von 15 Jahren enden wird.“
„Und?“, fragte Miriam. „Was interessiert dich so daran?“
Der Pfarrer setzte sich zurecht und gab seiner Tochter durch seine Körpersprache zu verstehen, dass sie sich auf ein längeres und ernsthaftes Gespräch einstellen musste. Dann sagte er: „Stell dir vor, der vermeintliche Mörder war gar nicht der Täter, aber er wäre in einem anderen Fall schuldig geworden, ohne bestraft zu werden, erheblich schuldig. Stell dir dann vor, dieser nicht verurteilte, völlig unbehelligt weiterlebende Schwerverbrecher hat eine Mutter, die schon lange nicht mehr leben will, unheilbar krank, so sehr, dass sie schon um Sterbehilfe gebettelt hat. Stell dir vor, jemand tut ihr den Gefallen, besorgt ihr ein Medikament, hilft ihr bei der Einnahme und trägt Handschuhe, damit er keine Spuren hinterlässt, aber er sorgt dafür, dass vorher die Spuren des Täters auf der Medikamentenschachtel und dem Blisterstreifen landen. Stell dir vor, jetzt wandert er wegen Mordes ins Gefängnis. Und stell dir vor, das wäre dein Vergewaltiger gewesen.“
Miriam starrte ihren Vater fassungslos an. „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein! Du hast eine alte Frau ermordet und ihrem unschuldigen Sohn die Tat in die Schuhe geschoben?“
„Nein. So war das nicht. Erstens habe nicht ich das getan sondern jemand, den ich darauf angesetzt habe. Zweitens handelte es sich genau genommen um halbaktive Sterbehilfe. Die Dame hätte die Medikamente selbst aus der Packung geholt, wenn ihr Helfer nicht so zuvorkommend gewesen wäre. Und der Sohn war nicht unschuldig. Er hat es mir selbst gebeichtet.“
„Wann?“
„Vor drei Jahren, etwa fünf Monate nach der Tat.“
„Und warum hast du ihn verdammt nochmal nicht angezeigt? Warum hast du mir nichts davon erzählt? Schließlich ging es um mich!“
„Ich wollte dir das alles ersparen.“, rechtfertigte sich der Vater. „Außerdem hätte ich das Beichtgeheimnis verletzt, an das ich als evangelischer Pfarrer auch gebunden bin. Ich kann die Ohrenbeichte verweigern, aber wenn ich jemanden unter diesem Versprechen zuhöre, muss ich das Gehörte genauso für mich behalten wie ein katholischer Priester das muss. Das Schwein hat mir seine Tat haarklein beschrieben und sich noch an meinem Entsetzen aufgegeilt und sich darüber gefreut, dass ich nichts gegen ihn unternehmen kann. Ich habe ihn des Pfarrhauses verwiesen und ihm verboten jemals wieder das Grundstück zu betreten, dafür tauchte er dann regelmäßig im Gottesdienst oder bei Gemeindeveranstaltungen auf, grinste überlegen, machte dreiste, zweideutige Bemerkungen, die nur ich verstand. Ich habe dann schließlich einen Privatdetektiv auf ihn angesetzt, der möglichst viel über ihn herausfinden sollte, damit ich einen Ansatz fand, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Nach einem halben Jahr hatte ich schließlich die Information mit der todkranken Mutter. Ich kenne einen ehemaligen Häftling aus meiner Zeit in der Gefängnis-Seelsorge, der hat das mit der Sterbehilfe übernommen, sich geschickt in das Leben der alten Dame gedrängt und ihr schließlich das Medikament verabreicht. Er hat vorher dafür gesorgt, dass der Täter es anfasst, ohne etwas zu bemerken, hat ihm KO-Tropfen verpasst. Er war gut darin, sich im Verborgenen zu halten, hatte mit der Mutter die Vereinbarung getroffen, ihre Freundschaft geheim zu halten, hatte einen Wohnungsschlüssel, von dem der Sohn nichts wusste usw. Dein Vergewaltiger wusste nicht einmal, dass dieser Freund seiner Mutter existierte.“
„Aber das ist Selbstjustiz!“
„Ja.“
„Und du sagst immer: Mein ist die Rache, spricht der Herr.“
„Ja.“
„Du hast Gott gespielt.“
„Ja, vielleicht, ein bisschen.“, gab der Pfarrer zu. „Aber warum auch nicht? Gott wohnt in jedem von uns. Von Zeit zu Zeit müssen wir ihn auch mal seine Arbeit machen lassen und für Gerechtigkeit sorgen.“
„Jetzt verstehe ich, was der alte Luther gemeint hat“, sagte Miriam deren innere Distanzierung von ihrem Vater nicht zu übersehen war, „wenn er sagte, du sollst den Herrn, deinen Gott über alle Dinge fürchten und lieben. Geliebt habe ich dich schon immer. Ich hätte nie gedacht, dass ich dich auch einmal fürchten würde.“
ENDE –
Hauptsächlich inspiriert von Birgit die Starke, aber irgendwie auch von allen anderen, Ich hatte viel Spaß bei diesem kleinen Projekt und plane nach ein paar Leckerbissen aus meinem aktuellen Roman einen interaktiven Krimi, bei dem ihr hoffentlich auch wieder alle mitschreibt. Danke!
„Was heißt hier endlich?“, fragte Miriam aufmerksam. „Bist du so froh, dass ich mein Abi geschafft habe und mit einem auswärtigen Studienplatz hoffentlich bald ausziehe?“
„Darauf habe ich mich gerade nicht bezogen.“
„Worauf denn?“
Lange sah der Pfarrer seine Tochter schweigend an, dann schlug er seufzend die Zeitung auf, breitete sie vor seiner Tochter aus und zeigte auf folgenden Artikel:
„MUTTERMÖRDER RECHTSKRÄFTIG VERURTEILT.
Dem einundvierzigjährigen Olaf S. Hat das Oberlandgericht den Mord an seiner Mutter Inge S. Nun endgültig lückenlos nachgewiesen. Olaf S. bestreitet die Tat nach wie vor. Inge S. verstarb an einer Überdosis Schmerzmittel. Dabei sollte der Eindruck erweckt werden, das Opfer habe sich das Medikament selbst verabreicht. Tatsächlich fanden sich aber Fingerabdrücke und DNA-Spuren an entscheidenden Stellen, die die Gabe des Medikamentes durch den Tatverdächtigen bewiesen, während keine Fingerabdrücke der Mutter zu finden waren. Der Täter handelte offenkundig aus Habgier, da seine Mutter über ein erhebliches Vermögen verfügte, dessen Erbe an ihn fiel. Wegen besonders niederer Motive und der hinterhältigen Heimtücke, mit der der Beschuldigte vorgegangen sei, verurteilte das Gericht ihn zu einer lebenslamgen Freiheitsstrafe, die keinesfalls vor dem Ablauf von 15 Jahren enden wird.“
„Und?“, fragte Miriam. „Was interessiert dich so daran?“
Der Pfarrer setzte sich zurecht und gab seiner Tochter durch seine Körpersprache zu verstehen, dass sie sich auf ein längeres und ernsthaftes Gespräch einstellen musste. Dann sagte er: „Stell dir vor, der vermeintliche Mörder war gar nicht der Täter, aber er wäre in einem anderen Fall schuldig geworden, ohne bestraft zu werden, erheblich schuldig. Stell dir dann vor, dieser nicht verurteilte, völlig unbehelligt weiterlebende Schwerverbrecher hat eine Mutter, die schon lange nicht mehr leben will, unheilbar krank, so sehr, dass sie schon um Sterbehilfe gebettelt hat. Stell dir vor, jemand tut ihr den Gefallen, besorgt ihr ein Medikament, hilft ihr bei der Einnahme und trägt Handschuhe, damit er keine Spuren hinterlässt, aber er sorgt dafür, dass vorher die Spuren des Täters auf der Medikamentenschachtel und dem Blisterstreifen landen. Stell dir vor, jetzt wandert er wegen Mordes ins Gefängnis. Und stell dir vor, das wäre dein Vergewaltiger gewesen.“
Miriam starrte ihren Vater fassungslos an. „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein! Du hast eine alte Frau ermordet und ihrem unschuldigen Sohn die Tat in die Schuhe geschoben?“
„Nein. So war das nicht. Erstens habe nicht ich das getan sondern jemand, den ich darauf angesetzt habe. Zweitens handelte es sich genau genommen um halbaktive Sterbehilfe. Die Dame hätte die Medikamente selbst aus der Packung geholt, wenn ihr Helfer nicht so zuvorkommend gewesen wäre. Und der Sohn war nicht unschuldig. Er hat es mir selbst gebeichtet.“
„Wann?“
„Vor drei Jahren, etwa fünf Monate nach der Tat.“
„Und warum hast du ihn verdammt nochmal nicht angezeigt? Warum hast du mir nichts davon erzählt? Schließlich ging es um mich!“
„Ich wollte dir das alles ersparen.“, rechtfertigte sich der Vater. „Außerdem hätte ich das Beichtgeheimnis verletzt, an das ich als evangelischer Pfarrer auch gebunden bin. Ich kann die Ohrenbeichte verweigern, aber wenn ich jemanden unter diesem Versprechen zuhöre, muss ich das Gehörte genauso für mich behalten wie ein katholischer Priester das muss. Das Schwein hat mir seine Tat haarklein beschrieben und sich noch an meinem Entsetzen aufgegeilt und sich darüber gefreut, dass ich nichts gegen ihn unternehmen kann. Ich habe ihn des Pfarrhauses verwiesen und ihm verboten jemals wieder das Grundstück zu betreten, dafür tauchte er dann regelmäßig im Gottesdienst oder bei Gemeindeveranstaltungen auf, grinste überlegen, machte dreiste, zweideutige Bemerkungen, die nur ich verstand. Ich habe dann schließlich einen Privatdetektiv auf ihn angesetzt, der möglichst viel über ihn herausfinden sollte, damit ich einen Ansatz fand, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Nach einem halben Jahr hatte ich schließlich die Information mit der todkranken Mutter. Ich kenne einen ehemaligen Häftling aus meiner Zeit in der Gefängnis-Seelsorge, der hat das mit der Sterbehilfe übernommen, sich geschickt in das Leben der alten Dame gedrängt und ihr schließlich das Medikament verabreicht. Er hat vorher dafür gesorgt, dass der Täter es anfasst, ohne etwas zu bemerken, hat ihm KO-Tropfen verpasst. Er war gut darin, sich im Verborgenen zu halten, hatte mit der Mutter die Vereinbarung getroffen, ihre Freundschaft geheim zu halten, hatte einen Wohnungsschlüssel, von dem der Sohn nichts wusste usw. Dein Vergewaltiger wusste nicht einmal, dass dieser Freund seiner Mutter existierte.“
„Aber das ist Selbstjustiz!“
„Ja.“
„Und du sagst immer: Mein ist die Rache, spricht der Herr.“
„Ja.“
„Du hast Gott gespielt.“
„Ja, vielleicht, ein bisschen.“, gab der Pfarrer zu. „Aber warum auch nicht? Gott wohnt in jedem von uns. Von Zeit zu Zeit müssen wir ihn auch mal seine Arbeit machen lassen und für Gerechtigkeit sorgen.“
„Jetzt verstehe ich, was der alte Luther gemeint hat“, sagte Miriam deren innere Distanzierung von ihrem Vater nicht zu übersehen war, „wenn er sagte, du sollst den Herrn, deinen Gott über alle Dinge fürchten und lieben. Geliebt habe ich dich schon immer. Ich hätte nie gedacht, dass ich dich auch einmal fürchten würde.“
ENDE –
Hauptsächlich inspiriert von Birgit die Starke, aber irgendwie auch von allen anderen, Ich hatte viel Spaß bei diesem kleinen Projekt und plane nach ein paar Leckerbissen aus meinem aktuellen Roman einen interaktiven Krimi, bei dem ihr hoffentlich auch wieder alle mitschreibt. Danke!
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