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Freitag, 24. Juli 2020
Bildbetrachtung
c. fabry, 13:36h
Ein Kindergesicht. Gemalt in starken Farben. Ein fröhliches Bild, ein Sommerbild, voller Leben und Lachen. Aber der Verfall deutet sich bereits an: der leere Blick der schwermütigen Augen, voller Lethargie, Trauer und Perspektivlosigkeit. Die Winkel des leicht und träge geöffneten Mundes weisen nach unten, flankiert von tiefen Nasolabialfalten. Ungelenk der Schneidersitz und in der linken Hand das obligatorische Skatblatt, ständiges Accessoire seines Ruins.
Im Hintergrund die strahlende Schwester, weibliche Bescheidenheit, aber auch ungetrübte Lebensfreude. Die Schwester hat vieles erreicht, von dem, was sie wollte, wenn auch nicht alles, ein typisches Frauenschicksal ihrer Generation. Ist aber sehr alt geworden und war bis kurz vor dem Ende mit außerordentlicher Gesundheit gesegnet. Hier mit stramm geflochtenen Zöpfen, zu Affenschaukeln hochgesteckt, ein Mona Lisa-haftes Lächeln im glatten Gesicht.
Er dagegen hatte schon als Kind keine Körperspannung, trotz der sportlichen Erfolge als junger Mann fehlte ihm schon immer das ausreichende Maß an Energie. Er hätte es wohl ohnehin nicht geschafft. Schon bald hätte sein Herz aufgegeben oder eines seiner Blutgefäße. Aber vielleicht auch nicht.
Der Pfuscher, der es damals vermasselt hat, liegt längst selbst unter der Erde. War ja nicht mehr bei klarem Verstand, hat sogar seine eigene Tochter verpfuscht. Von einer Klage hatte die Mutter damals abgesehen. „Das macht Papa auch nicht wieder lebendig.“, hatte sie gesagt. Es gab so viel für sie zu schultern, da wollte sie sich nicht zusätzlich die nervenaufreibenden Strapazen eines Zivilprozesses zumuten. Und die Ärzte hielten ja zusammen wie Pech und Schwefel. Am Ende hätte sie noch die Prozesskosten tragen müssen.
Doch es war ja nicht allein die Inkompetenz des Arztes gewesen, die den Vater damals aus dem Leben gerissen hatte. Es war das Management diese aufgeblasenen Provinzklinik, die Schludrigkeit des örtlichen Pflegepersonals in einer Region, in der alle irgendwie unpräzise, oberflächlich, unmotiviert und chronisch unfreundlich vor sich hin arbeiteten. Weil sie es konnten, weil es keine Konkurrenz gab und eine stille Übereinkunft herrschte, sich nur nicht zu sehr anzustrengen. Darum war die Region auch so strukturschwach. Darum verschwanden auch alle, die es konnten, in die nächstliegenden Metropolen oder gar an viel weiter entfernte Orte. Diejenigen die blieben, waren entweder anspruchslos oder ängstlich oder schafften es einfach nicht, zu entkommen oder alles auf einmal.
Diesem Schlendrian musste man ein Ende setzen, ein Exempel statuieren. Der Vater würde vielleicht heute nicht mehr leben, aber er hätte wenigstens alle seine Enkelkinder kennenlernen können. Und die Klinik war noch immer ein Schlachthof trotz Standortwechsel und hochmoderner Ausstattung. Natürlich hatte es schon vor Inbetriebnahme die ersten Bauschäden gegeben, ebenso wie die Erkenntnis eklatanter Planungsfehler, die dann wieder durch menschenunwürdige Improvisationen ausgeglichen wurden: Aus Zweibettzimmern wurden Dreibettzimmer gemacht, in dem ein*e Patient*in in einer dunkeln Ecke lag, zwischen Zimmertür, Nasszelle und Trennwand, nahezu ohne Tageslicht.
Mit der Hygiene bekamen sie es auch nicht hin, pflaumten zwar Besucher der Isolierstation an, wenn es geschah, dass beide Türen der Schleuse eine Sekunde lang gleichzeitig geöffnet waren, ließen aber selber am Abend bei der Essensausgabe alles sperrangelweit offen stehen, damit sie schneller fertig wurden und wieder gemütlich Kaffee trinken konnten. Pflegenotstand hin oder her, dieses Pflegepersonal sorgte für sich.
Die Mutter hatte kürzlich bei schwerem Durchfall eine ganze Nacht in einer Besenkammer zugebracht, die sie nicht verlassen durfte, für die Notdurft hatte sie einen Eimer zur Verfügung, der die ganze Nacht nicht geleert wurde und eine Gelegenheit zum Hände waschen gab es auch nicht. Wenn sie dort verstorben wäre, wäre es erst nach Stunden aufgefallen. Sie selbst hatte es zwei Mal erlebt, dass sie nach Operationen in dieser Klinik stark eiternde Narben hatte – bei anderen OPs in anderen Krankenhäusern war das nie passiert.
Aktuell gab es keine Vorkommnisse, aber das Bild ließ ihr keine Ruhe. Es war Zeit für ein Zeichen, das wachrüttelte. Kein nörgelnder Leserbrief, der sich breiter Ignoranz erfreute, kein mutig angebrachtes Banner, über das doch nur alle die Nase rümpften. Es brauchte einen großen Knall. Nicht in der Klinik, in der Patienten verzweifelt auf Hilfe warteten. Sie wusste genau wo sie zuschlagen würde und das Bekennerschreiben würde sie an die Boulevardpresse schicken.
Als am Ende ein hoffnungstragender Assistenzarzt an einer Überdosis des Giftes verstarb, das sie in die Lebensmittel der Personalkantine geschleust hatte, hätte sie das Bekennerschreiben gern zurück gerufen, doch all ihr Gift war nun in der Welt und man würde sie suchen und wenn man sie fand wäre die Schmach unendlich.
Sie blickte noch einmal in das gemalte Bildnis des eigenen Vaters und entdeckte ihre eigenen Gesichtszüge in den seinen. Die Antriebslosigkeit, die Trauer, die Leere des Geistes, die hängenden Mundwinkel, der Mangel an Körperspannung. Sie musste sich nicht stellen, sie war schon im Vorhinein bestraft und sie würde nicht alt. Und so versank sie in Scham und Lethargie und wartete täglich auf den Tod.
Im Hintergrund die strahlende Schwester, weibliche Bescheidenheit, aber auch ungetrübte Lebensfreude. Die Schwester hat vieles erreicht, von dem, was sie wollte, wenn auch nicht alles, ein typisches Frauenschicksal ihrer Generation. Ist aber sehr alt geworden und war bis kurz vor dem Ende mit außerordentlicher Gesundheit gesegnet. Hier mit stramm geflochtenen Zöpfen, zu Affenschaukeln hochgesteckt, ein Mona Lisa-haftes Lächeln im glatten Gesicht.
Er dagegen hatte schon als Kind keine Körperspannung, trotz der sportlichen Erfolge als junger Mann fehlte ihm schon immer das ausreichende Maß an Energie. Er hätte es wohl ohnehin nicht geschafft. Schon bald hätte sein Herz aufgegeben oder eines seiner Blutgefäße. Aber vielleicht auch nicht.
Der Pfuscher, der es damals vermasselt hat, liegt längst selbst unter der Erde. War ja nicht mehr bei klarem Verstand, hat sogar seine eigene Tochter verpfuscht. Von einer Klage hatte die Mutter damals abgesehen. „Das macht Papa auch nicht wieder lebendig.“, hatte sie gesagt. Es gab so viel für sie zu schultern, da wollte sie sich nicht zusätzlich die nervenaufreibenden Strapazen eines Zivilprozesses zumuten. Und die Ärzte hielten ja zusammen wie Pech und Schwefel. Am Ende hätte sie noch die Prozesskosten tragen müssen.
Doch es war ja nicht allein die Inkompetenz des Arztes gewesen, die den Vater damals aus dem Leben gerissen hatte. Es war das Management diese aufgeblasenen Provinzklinik, die Schludrigkeit des örtlichen Pflegepersonals in einer Region, in der alle irgendwie unpräzise, oberflächlich, unmotiviert und chronisch unfreundlich vor sich hin arbeiteten. Weil sie es konnten, weil es keine Konkurrenz gab und eine stille Übereinkunft herrschte, sich nur nicht zu sehr anzustrengen. Darum war die Region auch so strukturschwach. Darum verschwanden auch alle, die es konnten, in die nächstliegenden Metropolen oder gar an viel weiter entfernte Orte. Diejenigen die blieben, waren entweder anspruchslos oder ängstlich oder schafften es einfach nicht, zu entkommen oder alles auf einmal.
Diesem Schlendrian musste man ein Ende setzen, ein Exempel statuieren. Der Vater würde vielleicht heute nicht mehr leben, aber er hätte wenigstens alle seine Enkelkinder kennenlernen können. Und die Klinik war noch immer ein Schlachthof trotz Standortwechsel und hochmoderner Ausstattung. Natürlich hatte es schon vor Inbetriebnahme die ersten Bauschäden gegeben, ebenso wie die Erkenntnis eklatanter Planungsfehler, die dann wieder durch menschenunwürdige Improvisationen ausgeglichen wurden: Aus Zweibettzimmern wurden Dreibettzimmer gemacht, in dem ein*e Patient*in in einer dunkeln Ecke lag, zwischen Zimmertür, Nasszelle und Trennwand, nahezu ohne Tageslicht.
Mit der Hygiene bekamen sie es auch nicht hin, pflaumten zwar Besucher der Isolierstation an, wenn es geschah, dass beide Türen der Schleuse eine Sekunde lang gleichzeitig geöffnet waren, ließen aber selber am Abend bei der Essensausgabe alles sperrangelweit offen stehen, damit sie schneller fertig wurden und wieder gemütlich Kaffee trinken konnten. Pflegenotstand hin oder her, dieses Pflegepersonal sorgte für sich.
Die Mutter hatte kürzlich bei schwerem Durchfall eine ganze Nacht in einer Besenkammer zugebracht, die sie nicht verlassen durfte, für die Notdurft hatte sie einen Eimer zur Verfügung, der die ganze Nacht nicht geleert wurde und eine Gelegenheit zum Hände waschen gab es auch nicht. Wenn sie dort verstorben wäre, wäre es erst nach Stunden aufgefallen. Sie selbst hatte es zwei Mal erlebt, dass sie nach Operationen in dieser Klinik stark eiternde Narben hatte – bei anderen OPs in anderen Krankenhäusern war das nie passiert.
Aktuell gab es keine Vorkommnisse, aber das Bild ließ ihr keine Ruhe. Es war Zeit für ein Zeichen, das wachrüttelte. Kein nörgelnder Leserbrief, der sich breiter Ignoranz erfreute, kein mutig angebrachtes Banner, über das doch nur alle die Nase rümpften. Es brauchte einen großen Knall. Nicht in der Klinik, in der Patienten verzweifelt auf Hilfe warteten. Sie wusste genau wo sie zuschlagen würde und das Bekennerschreiben würde sie an die Boulevardpresse schicken.
Als am Ende ein hoffnungstragender Assistenzarzt an einer Überdosis des Giftes verstarb, das sie in die Lebensmittel der Personalkantine geschleust hatte, hätte sie das Bekennerschreiben gern zurück gerufen, doch all ihr Gift war nun in der Welt und man würde sie suchen und wenn man sie fand wäre die Schmach unendlich.
Sie blickte noch einmal in das gemalte Bildnis des eigenen Vaters und entdeckte ihre eigenen Gesichtszüge in den seinen. Die Antriebslosigkeit, die Trauer, die Leere des Geistes, die hängenden Mundwinkel, der Mangel an Körperspannung. Sie musste sich nicht stellen, sie war schon im Vorhinein bestraft und sie würde nicht alt. Und so versank sie in Scham und Lethargie und wartete täglich auf den Tod.
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