Freitag, 14. Juni 2019
Teufels Werk und Gottes Auftrag – ein Peter Margo Dreiteiler – Teil 3
Ich trieb mich den gesamten Vormittag im Baumarkt herum. Lauter wortkarge Brummelbärte waren da unterwegs – misanthropisch oder arrogant oder argwöhnisch oder alles auf einmal. Doch dann tauchte Malte auf. Malte sah gut aus: schlanke Silhouette, definierte Muskeln, kräftiges, volles Haar, klassisch kurz geschnitten, glatt rasiertes Gesicht, himmelblaues Polo-Shirt, Markenjeans, Turnschuhe und er trug dazu ein Gesicht, in dem Bescheidwissermiene, Aggressionsbereitschaft, Selbstgefälligkeit, Anständigkeit und Sehnsucht nach Anerkennung und Bestätigung um die Vorherrschaft rangen. Ein bizarres Muskelspiel, dessen er sich offensichtlich nicht bewusst war.

„Suchen Sie auch einen kompetenten Berater, der ausnahmsweise der deutschen Sprache mächtig ist?“, fragte ich ihn unter Vorspiegelung echter Männersolidarität.
„Ja, die sterben aus.“, antwortete er. „Im Baumarkt können die Schwarzköpfe ihre Brut noch unterbringen, hier muss man ja nicht wirklich was können. Nur so tun als ob.“
Volltreffer. Punktlandung. Ich war meinem Ziel wieder einen Schritt näher gekommen.
„Man fragt sich echt, was passiert ist.“, sagte ich. „Früher wurde man doch noch überall anständig beraten. Warum schaffen die das nicht mehr?“
„Weil die gut ausgebildeten Leute da hin gehen, wo sie richtig Geld verdienen. Gibt schon lange nicht mehr genug deutsche Azubis und darum auch kaum noch entsprechende Fachkräfte.“
„Mittlerweile“, wandte ich ein, „kann ich mich gar nicht mehr erinnern, wann die Welt für mich das letzte Mal noch vollkommen in Ordnung war.“
„Ich schon.“, antwortete Malte und tappte prompt in die von mir gestellte Falle.
„Als man noch aus dem Haus gehen konnte, ohne die Tür abzuschließen. Als beim Schützenfest die Schwarzhaarigen noch blaue Augen hatten und als der Eurovision Song Contest noch Grand Prix hieß, wo nur richtige Europäer mitmischten und richtige Lieder sangen und nicht so einen Techno-Porno-Müll wie heute. Als Frauen mit Kopftüchern noch Omas mit Lockenwicklern waren und anständige Leute noch einen Job kriegten, von dem sie leben konnten, auch wenn sie vielleicht nicht die Hellsten waren. Als die Kinder in der Grundschule noch alle Deutsch sprachen und die Mädels noch Mini-Röcke tragen konnten, ohne gleich die Hand von irgendeinem Abdullah im Schritt zu haben.“

Ich musste mir auf die Zunge beißen, um nicht reflexartig zu erwidern, dass man schon in den Siebzigern – und vorher natürlich auch – seine Haustür abschließen musste, um nicht beklaut zu werden, dass es auch unter Mitteleuropäern viele Schwarzhaarige mit braunen Augen gab und die Augenfarbe nichts über die menschlichen Qualitäten preisgab, dass Israel schon immer beim Grand Prix mitgewirkt hatte und die Musik eher im Barbie-sexy-Schlagermillieu anzusiedeln war, dass es vollkommen irrelevant war, welche Frau sich warum ein Stück Stoff um den Kopf bindet, dass die passabel bezahlten Hilfsarbeiter-Jobs der fortschreitenden Automatisierung zum Opfer gefallen waren, die kein einziger Einwanderer zu verantworten hatte, dass es früher die Landbevölkerung war, die in der Schule erst einmal Deutsch lernen musste und dass das sprachliche Unvermögen in den prekären Ghettos wohl mit der wirtschaftlichen Verelendung zusammenhänge und dass die Mädels in den Siebzigern erheblich mehr Hände im Schritt hatten und nicht nur Hände und nicht nur, wenn sie einen Minirock trugen und dass es ihnen wohl herzliche egal war, ob der Kotzbrocken dann Abdullah, Giuseppe, Horst-Günther oder Malte hieß, aber damit hätte ich das Gespräch sofort beendet. Stattdessen fragte ich: „Womit hat das bloß angefangen, dass alles so den Bach runter ging?“
„Vielleicht schon mit den Gastarbeitern.“, überlegte Malte. „Wir hätten unsere Probleme allein lösen müssen. Hätten wir keine Einwanderer gehabt, wären wir auch für Flüchtlinge nicht interessant gewesen. Erst kamen die Italiener, die Spanier und die Türken, dann die Hippies und als nächstes die Grünen mit ihren ganzen Pestideen, dann Kohl mit seinen leeren Versprechungen von blühenden Landschaften, dann Schröder mit seinem verdammten Hartz 4 und schließlich Merkel mit ihrem Wir-schaffen-das. Alle reden viel und machen Versprechungen, aber keiner tut was. Und wenn sie sich mal bewegen, dann in die falsche Richtung.“
Nun war ich auch nicht schlauer als vorher. Ich wusste noch immer nicht, was den Schalter in seinem Kopf umgelegt hatte, außer vielleicht die großen Fluchtbewegungen, die ja sogar bei denjenigen Ängste ausgelöst hatten, die entschlossen waren, die in Bedrängnis Geratenen aufzunehmen und zu unterstützen. Hier kam das Tier im Menschen durch, der Kampf ums Revier, die Ressourcen und sogar darum, wer die Weibchen begatten durfte.

Ich verabschiedete mich von Malte, dem Heimat-Idylliker und schlenderte zum Bus, um mich auf den Weg in mein Büro zu machen. Ich würde Gott mit dem Systemfehler im menschlichen Bauplan konfrontieren, sollte er doch für ein Update sorgen.
Doch ich kam gar nicht bis zu meinem Büro, als ich von der Bushaltestelle aus durch den Stadtwald lief, saß er da auf einer Parkbank und klopfte auf den freien Platz zu seiner Rechten.
„Setzen Sie sich zu mir. Ich spüre, dass Sie Neuigkeiten haben und hier im Grünen plaudert es sich angenehmer als in Ihrem begehbaren Nikotinpflaster.“
Mein Büro hatte in der Tat mal wieder einen frischen Anstrich nötig und hier draußen konnte ich ja auch rauchen, ohne dass meine Kundschaft sich belästigt fühlte.

Ich setzte mich und kam direkt zur Sache: „Der Auslöser für die verbreitete Panik ist meines Erachtens der eklatante Anstieg der Zahl flüchtender Menschen, der ja 2015 besonders dramatische Züge annahm. Es gibt da so einen Webfehler in der menschlichen Seele, dessen Sie sich einmal annehmen müssten.“
„Was für ein Webfehler?“, fragte Gott und hörte interessiert zu.
„Na, so eine anfällige Konstruktion, als hätten Sie ein wenig gepfuscht wie die Ingenieure bei VW und jetzt müssen alle Exemplare nachgerüstet werden, weil sie zu viele Schadstoffe ausstoßen.“
„Wie soll ich denn diese Metapher verstehen?“
„Sobald wir Menschen uns auch nur vorstellen, wir könnten in unserer Existenz bedroht sein, weil jemand versucht, uns unser Revier streitig zu machen oder sich an den Ressourcen zu bedienen, die wir für uns in Anspruch nehmen, kommt das Tier in uns zum Vorschein, mit dem klaren Denken ist es vorbei, wir gleiten in den Kampfmodus.“
„Ja, das musste ich so machen“, erwiderte Gott, „wegen des ökologischen Gleichgewichts. Man will ja nicht vier-und-zwanzig Stunden am Tag Wildkräuter zupfen, der Garten Erde soll von allein im Lot bleiben.“
„Das ist er aber schon ganz lange nicht mehr. Ich glaube, Sie müssen etwas tun, sonst geht alles kaputt.“
„Ich denke, ich überlasse das den Menschen.“, entgegnete Gott.
„Aber Sie sehen doch, dass wir es nicht hinbekommen!“, protestierte ich. „Wir bringen uns gegenseitig um, sorgen dafür, dass die Erde sich aufheizt, vergiften das Wasser, verwandeln blühende Landschaften in Wüsten, lassen tausende von Arten sterben, verpesten die Luft und verbrauchen heute schon die Reserven von übermorgen. Sie müssen endlich eingreifen!“
„Einen Teufel werde ich tun.“, sagte Gott. „Dann lernt Ihr ja nichts aus Euren Fehlern.“
„Das haben wir noch nie getan.“, entgegnete ich.
„Doch, das habt ihr. Nicht alle, aber immer einige von euch. Wie sonst erklären Sie sich, dass die Menschheit auf mittlerweile mehr als sieben Milliarden angewachsen ist? Dass sie das Wettrüsten beendet und das Waldsterben gestoppt haben? Dass sie in einer Demokratie leben statt in einer Monarchie? Dass ihre Leute Wale retten, verschmutzte Flüsse wieder sauber kriegen, Kranke und Verletzte heilen? Dass die Schwachen getragen werden und überall Menschen bereit sind, mit anderen zu teilen? Der Mensch ist gut, er hat nur noch einen langen Weg vor sich. Jetzt, wo ich den Grund für das Abdriften der Europäer kenne, wird mir schon etwas einfallen, womit ich die vielen verirrten Nachtschwärmer zurückhole ins Licht. Ich danke Ihnen für Ihre Mühe – behalten Sie den Vorschuss und nutzen Sie ihn in meinem Sinne.“

Ich wollte noch etwas erwidern, aber da hatte die Gestalt sich schon aufgelöst. Und ich fragte mich, ob er oder es wirklich der war, der er sein würde, Jahwe, Elohim, El Schaddai, HaShem, der Schöpfer, der uns alle in der Hand hatte. Ich wusste es nicht, mir war nur etwas leichter ums Herz geworden, wegen einer leisen Hoffnung, die sich in mir regte – und wegen des vollen Geldbeutels, der mich entspannt in die nahe Zukunft blicken ließ.

ENDE

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Teufels Werk und Gottes Auftrag – ein Peter Margo Dreiteiler – Teil 2
In Harrys Bar saßen die gewohnten Gestalten, doch statt wie üblich mit ein bis zwei Islay-Scotch mein sirrendes Gehirn zu betäuben, bestellte ich mir einen erfrischenden Mojito und zwar einen alkoholfreien.
„Steigst du jetzt auf Kinder-Cocktails um?“, fragte Harry mit einem schiefen Grinsen.
„Ich brauche heute Abend einen klaren Kopf“, rechtfertigte ich mich, „und außerdem tut die eine oder andere Scotch-Pause meiner Leber auch ganz gut.“

An der Theke saß Struppi, der eigentlich Thorsten hieß, aber das hatten die meisten seiner Bekannten längst vergessen. Er blickte trübe in sein Bierglas und nahm hin und wieder einen Schluck.
„Und?“, fragte ich. „Wo hast du bei den letzten Wahlen dein Kreuz gemacht?“
„Hier, auf dem Deckel.“, antwortete er, ohne mich anzusehen.
„Du gehst nicht hin?“
„Nicht mehr.“
„Warum nicht?“
„Weil das Kapital regiert und die Politiker nur als Marionetten benutzt. Das will ich nicht auch noch mit meiner Stimme legitimieren.“
„Und was tust du stattdessen?“
„Trinken.“
„Verstehe.“

Struppi war fertig mit dieser Welt und es gab auch keine andere, mit der er hätte neu anfangen können. War auch ein blöder Ansatz, die Leute zu fragen, was sie gewählt hatten, darum ging es ja nicht. Gut, mich interessierten vorzugsweise die Ängste derer, die dem rechten Lager zusprachen, aber ob gerade die mir bereitwillig Auskunft gaben? Und ob die sich überhaupt in Harrys Bar verliefen?

„Was sind das eigentlich für Leute, die plötzlich die Rechtspopulisten wählen, als hätten sie all die Jahre auf diese Gelegenheit gewartet?“, murmelte ich vor mich hin.
„Und da fragst du mich, wo ich mein Kreuzchen gemacht habe?!“
Struppí sah mich wütend an. „Traust du mir so etwas entsetzlich Dummes zu? Meinst du, ich hab' mir die Birne jetzt komplett weggeballert?“
„Nein, natürlich nicht.“, entschuldigte ich mich. „Ich hab' nicht richtig nachgedacht.“
„Eben.“, schnaubte Struppi. „Sind doch diese akkuraten Vollblut-Rollrasen-Verleger mit den gestärkten Hemdkragen und den getrimmten Vollbärten, die immer allen erklären müssen, wie man es richtig macht. Die die Schnauze voll davon haben, dass nie jemand auf sie hört, obwohl sie doch längst für alles die Lösung haben. Und dann kommt ein blonder Björnd und verspricht feierlich, dass sie endlich ernstgenommen werden.“
„Und was ist mit dem abgehängten Präkariat?“, fragte ich.
„Die sind harmlos.“, erwiderte Struppi. „Nix im Kopf und nix im Ärmel. Die gehen beim nächsten Mal nicht hin oder wählen die Tierschutzpartei.“

Bei der Aussicht auf Recherchen im mittelständischen Bildungsverweigerungsmillieu brauchte ich doch noch einen Scotch als Absacker. Scheiß auf Hochsommer, scheiß auf Leberwerte, dachte ich. Anders halte ich das nicht aus.
Ich schlief schlecht in dieser Nacht, träumte wirres Zeug von zitternden Scheitelglatzen, die in randvollen Hosen mit dem Barttrimmer ihren Rollrasen gegen das Gesindel verteidigten. Das Gesindel waren Struppi und ich und Samir aus der schäbigen Dönerbude mit der ausgeblichenen Bosporus-Fototapete.
Ein fieses Bohren und Stechen im Oberbauch schrie nach Haferschleim und Kamillentee, aber für so etwas hatte ich keine Zeit. Ein starker Kaffee und eine einer jungfräulichen Packung entnommene Zigarette mussten vorerst reichen.
„Scheiß Auftraggeber!“, fluchte ich vor mich hin.
„Nanana.“, hörte ich eine blass klingende Stimme. „Diese Beschimpfung ist aber definitiv nicht gegendert.“
„Oh Gott!“, rief ich. „Wo soll ich denn nach diesen Rasierwasser-marinierten Vertikutierer-Fetischisten suchen?“
„Im Baumarkt.“, schlug Gott vor und materialisierte sich allmählich im Türrahmen.
„Und dann?“, fragte ich. „Frage ich, ob er irgendwelchen Rechtspopulisten seine Stimme geben würde und wenn ja, woher seine Übervorteilungsängste kommen?“
„Darauf muss ich nicht wirklich antworten, oder?“, fragte Gott.
„Nein, ich weiß selbst, dass das nicht funktioniert. Besser ich stelle eine unauffällige Fangfrage, um herauszufinden, ob jemand zur Zielgruppe gehört und dann muss ich das Gespräch irgendwie dahin lenken, die Person zu fragen, wann sie zum letzten Mal in ihrem Leben das Gefühl hatte, dass die Welt für sie in Ordnung ist.“
„Und dann?“, fragte Gott.
„Dann kann ich aus dem verlorenen Idyll, nach dem sie sich sehnt, Rückschlüsse über die Ursachen ziehen und was genau das Gefühl ausgelöst hat, die Sicherheit und Geborgenheit verloren zu haben.“
Ich wartete auf Antwort, aber Gottes Gestalt hatte sich bereits wieder aufgelöst. War das alle echt oder litt ich an Wahnvorstellungen? Ich lief ins Bad und zog meine Brieftasche aus der Brusttasche des gestrigen Oberhemdes. Der üppige Vorschuss ließ sie prall und deformiert erscheinen. Wahnvorstellungen zahlten keine Vorschüsse.

Fortsetzung folgt.

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