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Sonntag, 19. Mai 2019
Picknick auf dem Palatin
c. fabry, 01:35h
Sie hätten heute in Mailand sein sollen, auf der Piazza Del Duomo, zur zentralen Kundgebung zum 25. April. Der kurze Anflug eines schlechten Gewissens veflatterte beim Blick auf Estefanias wohlgerundete Hüften. Ihre Eltern waren eben nach dem Frühstück zu einem Ausflug nach Ostia aufgebrochen, hatten sich mit besten Wünschen verabschiedet in dem festen Glauben, ihre Tochter und Danilo brächen eine Stunde später nach Termini auf, um sich mit dem IC nach Mailand zur großen Kundgebung am kommenden Morgen aufzumachen. Zwei Nächte in der Jugendherberge und am 26. mittags sollten sie wieder in Rom sein.
Sie waren aber in der Wohnung geblieben, hatten eine herrliche Nacht zwischen Estefanias Laken verbracht, bis zum Mittag geschlafen und packten jetzt die Rucksäcke für ihr Abenteuer: Panini, Kekse, Obst, Kaffee und eine Flasche Montepulciano aus dem elterlichen Weinkeller. Außerdem zwei Isomatten, einen Doppelschlafsack und eine Packung Präservative.
Einem Studenten der Politikwissenschaft hätte die Kundgebung zum Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus sicher gut zu Gesicht gestanden, aber 74 Jahre gaben keine Veranlassung zu denkwürdigen Inszenierungen, die man nicht verpassen durfte. Und was sie heute planten, wäre ein Erlebnis, von dem er den Rest seines Lebens zehren könnte. 2020, zum 75-jährigen Jubiläum würde Danilo selbstverständlich in Mailand dabei sein.
Emporio überprüfte zum dritten Mal den Inhalt seiner Schultertasche: Spiegelreflexkamera, Objektive, archäologisches Feinwerkzeug, Tramezzini, Cola, Skizzen- und Notizbuch. Er trug eine leichte Regenjacke aus Popeline, die er bei großer Wärme kompakt zusammenfalten und im hinteren Fach der Tasche verstauen konnte. Er würde einen wunderbaren Tag im Forum und auf dem Palatin verbringen, früh ankommen - dann war es noch nicht so voll -, etwas arbeiten, dann, während des größten Ansturms würde er sich ein ruhiges Plätzchen suchen, zu Mittag essen und seine Ergebnisse auswerten, vielleicht irgendwo ein Nickerchen machen und schließlich weiter forschen bis zur Schließung. Das konnte ihm ja glücklicherweise niemand verwehren, auch wenn er bei den Vorlesungen immer höllisch hatte aufpassen müssen, nicht damit aufzufliegen, dass er gar kein eingeschriebener Student war. Aber das lag schon lange zurück und während er bereits seit vielen Jahren sein bescheidenes Einkommen mit seiner Tätigkeit als Zeitungsverkäufer bestritt, ging er an Tagen wie diesen seiner wahren Berufung nach: der historischen und archäologischen Forschung.
Jetzt hatten sie doch tatsächlich diese chinesischen Sonnenschirme für Touristen gekauft, aber der erdnahe Fixstern brannte erbarmungslos auf ihre ungeschützten Köpfe und sie standen in einer schier endlosen Warteschlange, darum waren sie ausnahmsweise froh über die sonst so lästigen, aufdringlichen Straßenhändler. Sie langweilten sich aber nicht, denn sie hatten sich und beobachteten Mitwartende und Passanten. Alles kann zum Abenteuer werden, wenn man es nur mit einem geliebten Menschen teilen kann.
Nach zwei Stunden betraten sie endlich glücklich das Forum Romanum. Sie schlenderten durch die antiken Gassen aus vorchristlicher Zeit, legten ihre Hände auf die alten Ziegeln, setzten sich auf Marmorbänke, fotografierten sich vor pittoresken Hintergründen.
„Sieh dir den mal an.“, raunte Danilo Estefania ins Ohr und wies auf einen kauzigen, mittelalten Mann, der wichtigtuerisch an Steinen herumkratzte und mit großen Gesten fotografierte. Ein gewisses mitfühlendes Bedauern mischte sich in die Belustigung. So würden sie nicht enden und beide fühlten sich privilegiert, überlegen und frei. Sie zogen weiter und schenkten dem seltsamen Nerd keine weitere Aufmerksamkeit.
Sie hatten es sich auf der Aussichtsplattform bequem gemacht. Zeit für Kaffee und Kekse, etwas Obst und viel Spaß beim Beobachten der Touristen, die sich am grandiosen Hauptstadtpanorama ergötzten. Hier war alles dabei vom dünnen, bunten Fähnchen, das stämmige Schenkel umflatterte, über verbeulte Shorts, die den Blick auf blasse, haarige Männerbeine freigaben und deren Bündchen unter einem Bier-geformten Herrenbauch verschwanden bis zu warm eingepackten Pensionären mit Kennermiene – von den Massen der vom Scheitel bis zur Sohle in Outdoor-Equipment ausgestatteten Rucksack-Touristen einmal ganz zu schweigen.
Der Kauz mit der antiquierten Kamera lief auch an ihren Isomatten vorbei und streifte sie mit einem kurzen, verächtlichen Seitenblick. Er war ihrem Blickfeld noch nicht entschwunden, da hatten sie ihn schon wieder vergessen.
Diese Leute überall! Wie Ungeziefer krabbelten sie überall herum und besudelten die archäologischen Schätze. Sie schleppten Pflanzensamen, fremde Erde und Mikroorganismen ein, die diesen heiligen Ort unwiderbringlich veränderten und ihn von sich selbst entfremdeten. Das Forum Romanum gehörte den Römern, bestenfalls den Mittelitalienern und zwar denen mit Geist und Achtung vor den Hinterlassenschaften ihrer Ahnen. Was sich hier herumtrieb, war nichts als vergnügungssüchtiges Volk auf Schnäppchenjagd. Nur Selfies und instagramable Fotos zum Angeben hatten sie im Sinn. Sie zerlatschten die antiken Wege und verpesteten die Luft mit ihren Ausdünstungen. Liebespaare räkelten sich auf Picknickdecken, als handele es sich um eine banale Blumenwiese und sie seien allein auf der Welt. Aber Emporio zwang sich zur Ruhe. Bald würde er die gesamte Ausgrabungsstätte für sich allein haben.
Die Sonne stand noch hoch am Himmel, als das Sicherheitspersonal die alten und neu angelegten Wege ablief und kontrollierte, ob noch ignorante oder unaufmerksame Besucher auf dem Gelände flanierten. Estefania und Danilo hatten das perfekte Versteck in einem verwinkelten Lagerhaus gefunden, schwiegen und hielten zeitweise den Atem an, bis sie sicher sein konnten, dass sie nicht mehr gehört wurden.
„Und jetzt setzen wir uns auf die wellenförmigen Bodenmosaike im Casa di Livia, trinken unseren Wein und suchen Livias Schlafzimmer.“
Es war unkomfortabler als es aussah, auf dem historischen Mosaíkboden zu speisen, der unregelmäßig abgesackt war, wie von Friedensreich Hundertwasser entworfen und dann durch Überzeichnung ad absurdum geführt. Spannend war nur der Reiz des Verbotenen und das erhabene Gefühl, diesen historischen Hügel, der nur den absoluten Spitzen der römischen Gesellschaft vorbehalten war, ganz für sich zu haben. Der Rotwein entspannte und enthemmte, die Steine waren längst kühl, aber Isomatten und Doppelschlafsack taten ihren Dienst und schließlich fanden sie eine Stelle im antiken Patrizierhaus, die an Lauschigkeit nicht zu überbieten war. Danilos Hände fanden Knöpfe und Reißverschlüsse, Haken und Ösen, und sein Mund wanderte über Estefanias Hals, ihr Schlüsselbein und schließlich zu ihren festen Brüsten unter denen ihr Herz genauso heftig pochte wie seins. Sie zog ihm Hemd und Hose aus, und legte sich auf ihn, nicht nur aus Lust sondern auch, um sich an seinem muskulösen, gut durchbluteten Körper zu wärmen. Irgendwann war es eigentlich egal, wo sie sich gerade befanden, ein Bett in einer abgeranzten Wohngemeinschaft hätte keinen Unterschied gemacht.
Ein Schmerz zeriss Estefanias Brust. Ihr Atem stockte. Sie konnte nicht mehr sprechen.
Danilo fühlte etwas Warmes und Schmieriges auf seiner Brust, dann Estefanias Körper, der schwer und unbeweglich auf ihm lag. Er rüttelte an ihren Schultern. Was lief da über seinen Oberkörper? Er fing gerade an zu begreifen, was passiert war, da trennte ihn ein jäher Schmerz in der Schläfe von der Wirklichkeit.
Am nächsten Morgen herrschte helle Aufregung, das Forum Romanum und der Palatin waren ein Tatort und für Touristen gesperrt. Niemand verstand, was hier passiert war und weder von einem Täter noch von der Tatwaffe fand sich auch nur die geringste Spur...
Sie waren aber in der Wohnung geblieben, hatten eine herrliche Nacht zwischen Estefanias Laken verbracht, bis zum Mittag geschlafen und packten jetzt die Rucksäcke für ihr Abenteuer: Panini, Kekse, Obst, Kaffee und eine Flasche Montepulciano aus dem elterlichen Weinkeller. Außerdem zwei Isomatten, einen Doppelschlafsack und eine Packung Präservative.
Einem Studenten der Politikwissenschaft hätte die Kundgebung zum Jahrestag der Befreiung von Krieg und Faschismus sicher gut zu Gesicht gestanden, aber 74 Jahre gaben keine Veranlassung zu denkwürdigen Inszenierungen, die man nicht verpassen durfte. Und was sie heute planten, wäre ein Erlebnis, von dem er den Rest seines Lebens zehren könnte. 2020, zum 75-jährigen Jubiläum würde Danilo selbstverständlich in Mailand dabei sein.
Emporio überprüfte zum dritten Mal den Inhalt seiner Schultertasche: Spiegelreflexkamera, Objektive, archäologisches Feinwerkzeug, Tramezzini, Cola, Skizzen- und Notizbuch. Er trug eine leichte Regenjacke aus Popeline, die er bei großer Wärme kompakt zusammenfalten und im hinteren Fach der Tasche verstauen konnte. Er würde einen wunderbaren Tag im Forum und auf dem Palatin verbringen, früh ankommen - dann war es noch nicht so voll -, etwas arbeiten, dann, während des größten Ansturms würde er sich ein ruhiges Plätzchen suchen, zu Mittag essen und seine Ergebnisse auswerten, vielleicht irgendwo ein Nickerchen machen und schließlich weiter forschen bis zur Schließung. Das konnte ihm ja glücklicherweise niemand verwehren, auch wenn er bei den Vorlesungen immer höllisch hatte aufpassen müssen, nicht damit aufzufliegen, dass er gar kein eingeschriebener Student war. Aber das lag schon lange zurück und während er bereits seit vielen Jahren sein bescheidenes Einkommen mit seiner Tätigkeit als Zeitungsverkäufer bestritt, ging er an Tagen wie diesen seiner wahren Berufung nach: der historischen und archäologischen Forschung.
Jetzt hatten sie doch tatsächlich diese chinesischen Sonnenschirme für Touristen gekauft, aber der erdnahe Fixstern brannte erbarmungslos auf ihre ungeschützten Köpfe und sie standen in einer schier endlosen Warteschlange, darum waren sie ausnahmsweise froh über die sonst so lästigen, aufdringlichen Straßenhändler. Sie langweilten sich aber nicht, denn sie hatten sich und beobachteten Mitwartende und Passanten. Alles kann zum Abenteuer werden, wenn man es nur mit einem geliebten Menschen teilen kann.
Nach zwei Stunden betraten sie endlich glücklich das Forum Romanum. Sie schlenderten durch die antiken Gassen aus vorchristlicher Zeit, legten ihre Hände auf die alten Ziegeln, setzten sich auf Marmorbänke, fotografierten sich vor pittoresken Hintergründen.
„Sieh dir den mal an.“, raunte Danilo Estefania ins Ohr und wies auf einen kauzigen, mittelalten Mann, der wichtigtuerisch an Steinen herumkratzte und mit großen Gesten fotografierte. Ein gewisses mitfühlendes Bedauern mischte sich in die Belustigung. So würden sie nicht enden und beide fühlten sich privilegiert, überlegen und frei. Sie zogen weiter und schenkten dem seltsamen Nerd keine weitere Aufmerksamkeit.
Sie hatten es sich auf der Aussichtsplattform bequem gemacht. Zeit für Kaffee und Kekse, etwas Obst und viel Spaß beim Beobachten der Touristen, die sich am grandiosen Hauptstadtpanorama ergötzten. Hier war alles dabei vom dünnen, bunten Fähnchen, das stämmige Schenkel umflatterte, über verbeulte Shorts, die den Blick auf blasse, haarige Männerbeine freigaben und deren Bündchen unter einem Bier-geformten Herrenbauch verschwanden bis zu warm eingepackten Pensionären mit Kennermiene – von den Massen der vom Scheitel bis zur Sohle in Outdoor-Equipment ausgestatteten Rucksack-Touristen einmal ganz zu schweigen.
Der Kauz mit der antiquierten Kamera lief auch an ihren Isomatten vorbei und streifte sie mit einem kurzen, verächtlichen Seitenblick. Er war ihrem Blickfeld noch nicht entschwunden, da hatten sie ihn schon wieder vergessen.
Diese Leute überall! Wie Ungeziefer krabbelten sie überall herum und besudelten die archäologischen Schätze. Sie schleppten Pflanzensamen, fremde Erde und Mikroorganismen ein, die diesen heiligen Ort unwiderbringlich veränderten und ihn von sich selbst entfremdeten. Das Forum Romanum gehörte den Römern, bestenfalls den Mittelitalienern und zwar denen mit Geist und Achtung vor den Hinterlassenschaften ihrer Ahnen. Was sich hier herumtrieb, war nichts als vergnügungssüchtiges Volk auf Schnäppchenjagd. Nur Selfies und instagramable Fotos zum Angeben hatten sie im Sinn. Sie zerlatschten die antiken Wege und verpesteten die Luft mit ihren Ausdünstungen. Liebespaare räkelten sich auf Picknickdecken, als handele es sich um eine banale Blumenwiese und sie seien allein auf der Welt. Aber Emporio zwang sich zur Ruhe. Bald würde er die gesamte Ausgrabungsstätte für sich allein haben.
Die Sonne stand noch hoch am Himmel, als das Sicherheitspersonal die alten und neu angelegten Wege ablief und kontrollierte, ob noch ignorante oder unaufmerksame Besucher auf dem Gelände flanierten. Estefania und Danilo hatten das perfekte Versteck in einem verwinkelten Lagerhaus gefunden, schwiegen und hielten zeitweise den Atem an, bis sie sicher sein konnten, dass sie nicht mehr gehört wurden.
„Und jetzt setzen wir uns auf die wellenförmigen Bodenmosaike im Casa di Livia, trinken unseren Wein und suchen Livias Schlafzimmer.“
Es war unkomfortabler als es aussah, auf dem historischen Mosaíkboden zu speisen, der unregelmäßig abgesackt war, wie von Friedensreich Hundertwasser entworfen und dann durch Überzeichnung ad absurdum geführt. Spannend war nur der Reiz des Verbotenen und das erhabene Gefühl, diesen historischen Hügel, der nur den absoluten Spitzen der römischen Gesellschaft vorbehalten war, ganz für sich zu haben. Der Rotwein entspannte und enthemmte, die Steine waren längst kühl, aber Isomatten und Doppelschlafsack taten ihren Dienst und schließlich fanden sie eine Stelle im antiken Patrizierhaus, die an Lauschigkeit nicht zu überbieten war. Danilos Hände fanden Knöpfe und Reißverschlüsse, Haken und Ösen, und sein Mund wanderte über Estefanias Hals, ihr Schlüsselbein und schließlich zu ihren festen Brüsten unter denen ihr Herz genauso heftig pochte wie seins. Sie zog ihm Hemd und Hose aus, und legte sich auf ihn, nicht nur aus Lust sondern auch, um sich an seinem muskulösen, gut durchbluteten Körper zu wärmen. Irgendwann war es eigentlich egal, wo sie sich gerade befanden, ein Bett in einer abgeranzten Wohngemeinschaft hätte keinen Unterschied gemacht.
Ein Schmerz zeriss Estefanias Brust. Ihr Atem stockte. Sie konnte nicht mehr sprechen.
Danilo fühlte etwas Warmes und Schmieriges auf seiner Brust, dann Estefanias Körper, der schwer und unbeweglich auf ihm lag. Er rüttelte an ihren Schultern. Was lief da über seinen Oberkörper? Er fing gerade an zu begreifen, was passiert war, da trennte ihn ein jäher Schmerz in der Schläfe von der Wirklichkeit.
Am nächsten Morgen herrschte helle Aufregung, das Forum Romanum und der Palatin waren ein Tatort und für Touristen gesperrt. Niemand verstand, was hier passiert war und weder von einem Täter noch von der Tatwaffe fand sich auch nur die geringste Spur...
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