Freitag, 27. April 2018
Braut in rot - ein abgeschlossener Kurzkrimi
So etwas Groteskes hat er in all seinen Amtsjahren noch nie gesehen, außer vielleicht im Fernsehen, aber er guckt ja nur wenig und dann meistens keine Krimis. Spielfilme auch lieber im Kino und dann eben keine mit solchen Szenen. Diese Unvereinbarkeit des Rahmens mit dem Ausdruck auf den Gesichtern, wie in einem Albtraum. Aber es ist ja auch ein Albtraum. Alle in festlicher Kleidung, neben den fetten Schnecken auch die grazilen Gazellen in hauchzarten Chiffon-Träumen, überall Blumen, die Sonne scheint und der gertenschlanke, junge Mann im schwarzen Anzug beugt sich über seine sterbende Geliebte, nein, sie ist ja seine Frau, seit gerade eben und nun liegt sie mit zerfetztem Unterleib auf den Stufen vor der Eingangstür und der Traum aus weißem Satin und Tüll saugt sich unaufhaltsam voll mit ihrem Lebenssaft, um schließlich darin zu trocknen, zu stocken, hart und braun zu werden, während sie, die Braut, auch braun werden wird, aber nicht von der Sonne und hart wird sie auch nicht, sondern weich und glibbrig, sie wird zerfallen wie eine Melone auf dem Komposthaufen und er, der Bräutigam weiß das und beugt sich über sie, will sie festhalten, aber sie entgleitet ihm bereits und statt auf dem Weg in die Ewigkeit tröstend ihre Hand zu halten, schreit er sie an, dass sie ihn nicht allein lassen soll, aber dann bricht ihr Blick und es ist offensichtlich, dass sie nicht mehr dazu gehört.
Irgendjemand hat die Polizei gerufen. Überall Gemurmel, ob das wohl der zionistische Bruder war, weil der junge Mann eine Schickse geheiratet hat. Man weiß ja, wie die Zionisten so sind, die wollen ja unbedingt unter sich bleiben, notfalls mit Gewalt. Steht auch alles im Alten Testament, da waren die schon immer erbarmungslos. Der Bräutigam, der war ja anders, der war ja sogar zum Christentum konvertiert, aber jetzt sieht man ja, was die Braut davon hat. Hätte sie sich mal besser nicht drauf eingelassen.

Jemand von der Spurensicherung untersucht eine Schmiererei an der Seitenwand. Dass da jemand etwas gesprüht hat, ist ihm noch gar nicht aufgefallen. „Keine Rassenschande in Höfelsen“ steht da und die grazilen Gazellen sind sich genauso wie die fetten Schnecken immer noch einig, dass das ja der Beweis ist, dass es nur der zionistische Bruder gewesen sein kann.

Aber er weiß, dass es nicht so war. Solche Begriffe verwendet kein Zionist, schon aus Prinzip nicht. Er hat sie umgebracht, es ist seine Schuld. Nein, er hat nicht die Waffe geführt und den Abzug gedrückt, aber er hat nicht aufgepasst, damals, als dieser seltsame, geprügelte Hund in seinen Konfirmandenunterricht kam. Er hat immer gebetet, dass er diesmal nicht erscheinen möge, weil es ihm bei seinem Anblick jedes Mal kalt den Rücken herunterlief. Wenn er dann aber, wie meistens, da war, hatte er inständig das Ende der Stunde herbeigesehnt. Er hatte nie mit den Eltern gesprochen, dass da etwas nicht stimmte mit ihrem Sohn, dass sein Mund zu verschlossen und sein Blick zu finster sei für einen Dreizehnjährigen. Er war einfach nur froh, als er ihn endlich rauskonfirmieren konnte. Danach hat er ihn nur noch sporadisch gesehen. Hat gesehen, wie die Beine länger und der Rücken breiter wurde, wie sich die spargeligen Arme in muskulöse Werkzeuge verwandelten, wie die Kopfhaare immer kürzer wurden und schließlich ganz verschwanden, wie die Kordhosen von aufgekrempelten Jeans abgelöst wurden, die Sportshirts von Kapuzenjacken der immer gleichen Marke und die Turnschuhe von lang geschnürten Arbeitsschuhen. Seine Frau sagte, der Junge sei zum Mann geworden. Aber er wusste, dass er nur zu dem Monster geworden war, das schon immer in ihm steckte. Er hätte es verhindern können, dafür sorgen, dass der Junge rechtzeitig Hilfe bekam. Er hat es versäumt und jetzt ist jemand tot. Sein Blick schweift über den Platz auf der Suche nach dem leitenden Ermittler. Er wird sich für alles verantworten.

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