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Freitag, 11. November 2016
Ohrenbeichte - DREI JAHRE SPÄTER
c. fabry, 19:07h
Zufrieden legte der Pfarrer die Tageszeitung zusammen und murmelte: „Endlich.“
„Was heißt hier endlich?“, fragte Miriam aufmerksam. „Bist du so froh, dass ich mein Abi geschafft habe und mit einem auswärtigen Studienplatz hoffentlich bald ausziehe?“
„Darauf habe ich mich gerade nicht bezogen.“
„Worauf denn?“
Lange sah der Pfarrer seine Tochter schweigend an, dann schlug er seufzend die Zeitung auf, breitete sie vor seiner Tochter aus und zeigte auf folgenden Artikel:
„MUTTERMÖRDER RECHTSKRÄFTIG VERURTEILT.
Dem einundvierzigjährigen Olaf S. Hat das Oberlandgericht den Mord an seiner Mutter Inge S. Nun endgültig lückenlos nachgewiesen. Olaf S. bestreitet die Tat nach wie vor. Inge S. verstarb an einer Überdosis Schmerzmittel. Dabei sollte der Eindruck erweckt werden, das Opfer habe sich das Medikament selbst verabreicht. Tatsächlich fanden sich aber Fingerabdrücke und DNA-Spuren an entscheidenden Stellen, die die Gabe des Medikamentes durch den Tatverdächtigen bewiesen, während keine Fingerabdrücke der Mutter zu finden waren. Der Täter handelte offenkundig aus Habgier, da seine Mutter über ein erhebliches Vermögen verfügte, dessen Erbe an ihn fiel. Wegen besonders niederer Motive und der hinterhältigen Heimtücke, mit der der Beschuldigte vorgegangen sei, verurteilte das Gericht ihn zu einer lebenslamgen Freiheitsstrafe, die keinesfalls vor dem Ablauf von 15 Jahren enden wird.“
„Und?“, fragte Miriam. „Was interessiert dich so daran?“
Der Pfarrer setzte sich zurecht und gab seiner Tochter durch seine Körpersprache zu verstehen, dass sie sich auf ein längeres und ernsthaftes Gespräch einstellen musste. Dann sagte er: „Stell dir vor, der vermeintliche Mörder war gar nicht der Täter, aber er wäre in einem anderen Fall schuldig geworden, ohne bestraft zu werden, erheblich schuldig. Stell dir dann vor, dieser nicht verurteilte, völlig unbehelligt weiterlebende Schwerverbrecher hat eine Mutter, die schon lange nicht mehr leben will, unheilbar krank, so sehr, dass sie schon um Sterbehilfe gebettelt hat. Stell dir vor, jemand tut ihr den Gefallen, besorgt ihr ein Medikament, hilft ihr bei der Einnahme und trägt Handschuhe, damit er keine Spuren hinterlässt, aber er sorgt dafür, dass vorher die Spuren des Täters auf der Medikamentenschachtel und dem Blisterstreifen landen. Stell dir vor, jetzt wandert er wegen Mordes ins Gefängnis. Und stell dir vor, das wäre dein Vergewaltiger gewesen.“
Miriam starrte ihren Vater fassungslos an. „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein! Du hast eine alte Frau ermordet und ihrem unschuldigen Sohn die Tat in die Schuhe geschoben?“
„Nein. So war das nicht. Erstens habe nicht ich das getan sondern jemand, den ich darauf angesetzt habe. Zweitens handelte es sich genau genommen um halbaktive Sterbehilfe. Die Dame hätte die Medikamente selbst aus der Packung geholt, wenn ihr Helfer nicht so zuvorkommend gewesen wäre. Und der Sohn war nicht unschuldig. Er hat es mir selbst gebeichtet.“
„Wann?“
„Vor drei Jahren, etwa fünf Monate nach der Tat.“
„Und warum hast du ihn verdammt nochmal nicht angezeigt? Warum hast du mir nichts davon erzählt? Schließlich ging es um mich!“
„Ich wollte dir das alles ersparen.“, rechtfertigte sich der Vater. „Außerdem hätte ich das Beichtgeheimnis verletzt, an das ich als evangelischer Pfarrer auch gebunden bin. Ich kann die Ohrenbeichte verweigern, aber wenn ich jemanden unter diesem Versprechen zuhöre, muss ich das Gehörte genauso für mich behalten wie ein katholischer Priester das muss. Das Schwein hat mir seine Tat haarklein beschrieben und sich noch an meinem Entsetzen aufgegeilt und sich darüber gefreut, dass ich nichts gegen ihn unternehmen kann. Ich habe ihn des Pfarrhauses verwiesen und ihm verboten jemals wieder das Grundstück zu betreten, dafür tauchte er dann regelmäßig im Gottesdienst oder bei Gemeindeveranstaltungen auf, grinste überlegen, machte dreiste, zweideutige Bemerkungen, die nur ich verstand. Ich habe dann schließlich einen Privatdetektiv auf ihn angesetzt, der möglichst viel über ihn herausfinden sollte, damit ich einen Ansatz fand, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Nach einem halben Jahr hatte ich schließlich die Information mit der todkranken Mutter. Ich kenne einen ehemaligen Häftling aus meiner Zeit in der Gefängnis-Seelsorge, der hat das mit der Sterbehilfe übernommen, sich geschickt in das Leben der alten Dame gedrängt und ihr schließlich das Medikament verabreicht. Er hat vorher dafür gesorgt, dass der Täter es anfasst, ohne etwas zu bemerken, hat ihm KO-Tropfen verpasst. Er war gut darin, sich im Verborgenen zu halten, hatte mit der Mutter die Vereinbarung getroffen, ihre Freundschaft geheim zu halten, hatte einen Wohnungsschlüssel, von dem der Sohn nichts wusste usw. Dein Vergewaltiger wusste nicht einmal, dass dieser Freund seiner Mutter existierte.“
„Aber das ist Selbstjustiz!“
„Ja.“
„Und du sagst immer: Mein ist die Rache, spricht der Herr.“
„Ja.“
„Du hast Gott gespielt.“
„Ja, vielleicht, ein bisschen.“, gab der Pfarrer zu. „Aber warum auch nicht? Gott wohnt in jedem von uns. Von Zeit zu Zeit müssen wir ihn auch mal seine Arbeit machen lassen und für Gerechtigkeit sorgen.“
„Jetzt verstehe ich, was der alte Luther gemeint hat“, sagte Miriam deren innere Distanzierung von ihrem Vater nicht zu übersehen war, „wenn er sagte, du sollst den Herrn, deinen Gott über alle Dinge fürchten und lieben. Geliebt habe ich dich schon immer. Ich hätte nie gedacht, dass ich dich auch einmal fürchten würde.“
ENDE –
Hauptsächlich inspiriert von Birgit die Starke, aber irgendwie auch von allen anderen, Ich hatte viel Spaß bei diesem kleinen Projekt und plane nach ein paar Leckerbissen aus meinem aktuellen Roman einen interaktiven Krimi, bei dem ihr hoffentlich auch wieder alle mitschreibt. Danke!
„Was heißt hier endlich?“, fragte Miriam aufmerksam. „Bist du so froh, dass ich mein Abi geschafft habe und mit einem auswärtigen Studienplatz hoffentlich bald ausziehe?“
„Darauf habe ich mich gerade nicht bezogen.“
„Worauf denn?“
Lange sah der Pfarrer seine Tochter schweigend an, dann schlug er seufzend die Zeitung auf, breitete sie vor seiner Tochter aus und zeigte auf folgenden Artikel:
„MUTTERMÖRDER RECHTSKRÄFTIG VERURTEILT.
Dem einundvierzigjährigen Olaf S. Hat das Oberlandgericht den Mord an seiner Mutter Inge S. Nun endgültig lückenlos nachgewiesen. Olaf S. bestreitet die Tat nach wie vor. Inge S. verstarb an einer Überdosis Schmerzmittel. Dabei sollte der Eindruck erweckt werden, das Opfer habe sich das Medikament selbst verabreicht. Tatsächlich fanden sich aber Fingerabdrücke und DNA-Spuren an entscheidenden Stellen, die die Gabe des Medikamentes durch den Tatverdächtigen bewiesen, während keine Fingerabdrücke der Mutter zu finden waren. Der Täter handelte offenkundig aus Habgier, da seine Mutter über ein erhebliches Vermögen verfügte, dessen Erbe an ihn fiel. Wegen besonders niederer Motive und der hinterhältigen Heimtücke, mit der der Beschuldigte vorgegangen sei, verurteilte das Gericht ihn zu einer lebenslamgen Freiheitsstrafe, die keinesfalls vor dem Ablauf von 15 Jahren enden wird.“
„Und?“, fragte Miriam. „Was interessiert dich so daran?“
Der Pfarrer setzte sich zurecht und gab seiner Tochter durch seine Körpersprache zu verstehen, dass sie sich auf ein längeres und ernsthaftes Gespräch einstellen musste. Dann sagte er: „Stell dir vor, der vermeintliche Mörder war gar nicht der Täter, aber er wäre in einem anderen Fall schuldig geworden, ohne bestraft zu werden, erheblich schuldig. Stell dir dann vor, dieser nicht verurteilte, völlig unbehelligt weiterlebende Schwerverbrecher hat eine Mutter, die schon lange nicht mehr leben will, unheilbar krank, so sehr, dass sie schon um Sterbehilfe gebettelt hat. Stell dir vor, jemand tut ihr den Gefallen, besorgt ihr ein Medikament, hilft ihr bei der Einnahme und trägt Handschuhe, damit er keine Spuren hinterlässt, aber er sorgt dafür, dass vorher die Spuren des Täters auf der Medikamentenschachtel und dem Blisterstreifen landen. Stell dir vor, jetzt wandert er wegen Mordes ins Gefängnis. Und stell dir vor, das wäre dein Vergewaltiger gewesen.“
Miriam starrte ihren Vater fassungslos an. „Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein! Du hast eine alte Frau ermordet und ihrem unschuldigen Sohn die Tat in die Schuhe geschoben?“
„Nein. So war das nicht. Erstens habe nicht ich das getan sondern jemand, den ich darauf angesetzt habe. Zweitens handelte es sich genau genommen um halbaktive Sterbehilfe. Die Dame hätte die Medikamente selbst aus der Packung geholt, wenn ihr Helfer nicht so zuvorkommend gewesen wäre. Und der Sohn war nicht unschuldig. Er hat es mir selbst gebeichtet.“
„Wann?“
„Vor drei Jahren, etwa fünf Monate nach der Tat.“
„Und warum hast du ihn verdammt nochmal nicht angezeigt? Warum hast du mir nichts davon erzählt? Schließlich ging es um mich!“
„Ich wollte dir das alles ersparen.“, rechtfertigte sich der Vater. „Außerdem hätte ich das Beichtgeheimnis verletzt, an das ich als evangelischer Pfarrer auch gebunden bin. Ich kann die Ohrenbeichte verweigern, aber wenn ich jemanden unter diesem Versprechen zuhöre, muss ich das Gehörte genauso für mich behalten wie ein katholischer Priester das muss. Das Schwein hat mir seine Tat haarklein beschrieben und sich noch an meinem Entsetzen aufgegeilt und sich darüber gefreut, dass ich nichts gegen ihn unternehmen kann. Ich habe ihn des Pfarrhauses verwiesen und ihm verboten jemals wieder das Grundstück zu betreten, dafür tauchte er dann regelmäßig im Gottesdienst oder bei Gemeindeveranstaltungen auf, grinste überlegen, machte dreiste, zweideutige Bemerkungen, die nur ich verstand. Ich habe dann schließlich einen Privatdetektiv auf ihn angesetzt, der möglichst viel über ihn herausfinden sollte, damit ich einen Ansatz fand, ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Nach einem halben Jahr hatte ich schließlich die Information mit der todkranken Mutter. Ich kenne einen ehemaligen Häftling aus meiner Zeit in der Gefängnis-Seelsorge, der hat das mit der Sterbehilfe übernommen, sich geschickt in das Leben der alten Dame gedrängt und ihr schließlich das Medikament verabreicht. Er hat vorher dafür gesorgt, dass der Täter es anfasst, ohne etwas zu bemerken, hat ihm KO-Tropfen verpasst. Er war gut darin, sich im Verborgenen zu halten, hatte mit der Mutter die Vereinbarung getroffen, ihre Freundschaft geheim zu halten, hatte einen Wohnungsschlüssel, von dem der Sohn nichts wusste usw. Dein Vergewaltiger wusste nicht einmal, dass dieser Freund seiner Mutter existierte.“
„Aber das ist Selbstjustiz!“
„Ja.“
„Und du sagst immer: Mein ist die Rache, spricht der Herr.“
„Ja.“
„Du hast Gott gespielt.“
„Ja, vielleicht, ein bisschen.“, gab der Pfarrer zu. „Aber warum auch nicht? Gott wohnt in jedem von uns. Von Zeit zu Zeit müssen wir ihn auch mal seine Arbeit machen lassen und für Gerechtigkeit sorgen.“
„Jetzt verstehe ich, was der alte Luther gemeint hat“, sagte Miriam deren innere Distanzierung von ihrem Vater nicht zu übersehen war, „wenn er sagte, du sollst den Herrn, deinen Gott über alle Dinge fürchten und lieben. Geliebt habe ich dich schon immer. Ich hätte nie gedacht, dass ich dich auch einmal fürchten würde.“
ENDE –
Hauptsächlich inspiriert von Birgit die Starke, aber irgendwie auch von allen anderen, Ich hatte viel Spaß bei diesem kleinen Projekt und plane nach ein paar Leckerbissen aus meinem aktuellen Roman einen interaktiven Krimi, bei dem ihr hoffentlich auch wieder alle mitschreibt. Danke!
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