Freitag, 24. April 2020
Pest - Kurzkrimi ohne Anspruch auf Historizität
Damals kam die Menschlichkeit abhanden. Aber vielleicht war sie auch nie dagewesen. Vorher war es ja auch nicht leicht gewesen. Isgard hatte täglich schwer schuften müssen auf dem Land des Lehnsherren, ständig auf der Flucht vor dem Grindkopf, der seine Sehnsucht in ihr stillen wollte. Die Männer waren verschwunden, bei den zahlreichen Scharmützeln der Fürstentümer reihenweise dahingeschlachtet worden. Mit fünfunddreißig
war Isgard längst über die Zeit, sie würde keinem Mann mehr Kinder schenken, damit hatte sie sich abgefunden und sie war ja bei weitem nicht die Einzige, die dieses Schicksal ereilt hatte. Die wenigen Männer, die noch zu haben waren, wollte keine Frau geschenkt, nicht einmal die Verzweifeltsten.
Aber Isgard hatte auch ein bisschen Glück gehabt. Sie durfte bei Arnulf auf dem Feld helfen und Edburga, seine Frau kochte etwas mehr Grütze, sodass auch Isgard und die andere Magd Albrun noch satt wurden. Arnulf war ein guter Mann. Nie verließ ein böses Wort seine Lippen, er arbeitete hart, lebte fromm und bescheiden und war trotzdem ein lustiger Geselle. Ein Jammer, dachte Isgard so oft, dass mir nicht so einer begegnet ist, als es Zeit für mich gewesen wäre.
Ihr Leben war hart und beschwerlich gewesen, aber sie war zufrieden, dass sie es trotz allem so gut getroffen hatte. Und dann war alles schlimm geworden.
Die ersten hatte es in der weit entfernten Stadt erwischt. Die durchreisenden Bediensteten der Burgherren hatte die Kunde verbreitet. Der Pfarrer war von Hof zu Hof, von Hütte zu Hütte gezogen und hatte die Türen mit Weihwasser besprengt. Was für ein armseliger Schutzzauber, hatte Isgard gedacht. Sie sprach zwar täglich die Gebete und ging am Sonntag in die Kirche, weil das ja schließlich verlangt wurde, aber wirksame Zauber brauchten schon etwas mehr als ein paar Spritzer Wasser und ein bisschen Hokuspokus.

Dann war die Seuche doch näher gekommen. Die alte Mechthild hatte mit Fieber gelegen, dann hatte ihr Mann berichtet, dass sie Beulen unter den Armen und in den Leisten hatte. Immer schlechter war es ihr gegangen, ein schlimmer Husten war dazu gekommen und dann waren Finger und Zehen schwarz geworden. Die Pest hatte ihr Dorf erreicht.

Die Angst breitete sich aus. Am Sonntag sprach der Pfarrer in der Kirche von der Hoffnung. Davon, dass nun alle Christenmenschen zusammenhalten müssten, denn die Pest habe der Teufel geschickt, um die Menschen zu quälen und vom Herrgott fortzutreiben. Aber der Herrgott würde die Menschen nicht allein lassen, die Rettung sei nahe und nun müssten alle sich gegenseitig helfen. Ja, er sei sicher, dass dieser gemeinsame Feind die Gemeinschaft zusammenschweißen würde. Sie alle mussten nun einsehen, dass einer des anderen Last tragen müsse, dass es anders gar nicht gehe und dass man als Einzelner nur umkommen könne.
Nach dem Kirchgang hängte sich Albrun mal wieder an Isgards Fersen, um sie mit einem unendlichen Wortschwall zu übergießen: „Ja, da hat der Herr Pfarrer mal wieder wahre Worte gesprochen. Jetzt, wo alle zusammenrücken müssen, da wird die Menschlichkeit wieder zurückkehren. Alle werden erkennen, was wirklich zählt und die Welt wird nach der Seuche eine andere sein, eine bessere.“
„Was zählt denn wirklich?“, fragte Isgard und bereute es schon in dem Moment, als sie es aussprach.
„Die Liebe untereinander.“, schwärmte Albrun, „Einer sorgt sich um den anderen. Die knappen Güter werden geteilt und auf einmal ist genug für alle da, obwohl es doch weniger ist als vorher, so wie bei dem Herrn Jesus und dem Brotwunder. Den Witwen hilft der Nachbar bei der Feldarbeit und den Witwern kocht die Nachbarin die Grütze. Die Waisen werden mitversorgt, die Arbeit und die Ernte werden geteilt.“
„Das klingt verlockend.“, erwiderte Isgard. „Hoffen wir, dass du Recht behältst.“

Sie hoffte es wirklich, nicht nur um ihrer selbst willen. Aber sie glaubte nicht an Albruns Visionen. Außerdem konnte sie sich nicht helfen. Wenn Albrun plötzlich von Witwen und Witwern redete, dann träumte sie von ganz anderen Dingen wie Barmherzigkeit und Gerechtigkeit. Sie wartete auf die erste tote Bauersfrau, deren Platz sie einnehmen konnte, denn so war Albrun. Sie tat stets fromm und so, als läge ihr nur das Wohl der anderen am Herzen, dabei sorgte sie nur für sich und darin war sie gut und überaus geschickt, um nicht zu sagen durchtrieben, denn sie ließ es immer so aussehen, als habe sie aus edelsten Motiven gehandelt und fast jeder ging ihr auf den Leim – nur Isgard nicht.

Dann wurde das Schrot für die Grütze knapp. Eigentlich waren um diese Zeit noch immer reichlich Vorräte vorhanden, in den Hütten, in den Scheunen, in den Vorratskammern der Burg. Doch wie von Zauberhand war plötzlich kein Schrot mehr zu bekommen, auch kein Hafer. Sie hatten noch Rüben, Äpfel, Zwiebeln in der Grube gehabt und Roggen auf dem Speicher, aber als Edburga eines Morgens die Zutaten für die Mittagssuppe zusammensuchen wollte, war ihr ein gellender Schrei aus der Kehle entwichen. Diebe hatten die Grube leer geräumt und nur ein paar verschrumpelte Rüben und faulige Zwiebeln übriggelassen. Sie hatte Isgard zum Markt geschickt, dort gab es Essen, aber zu Wucherpreisen, die kein Leibeigener bezahlen konnte und schon fuhren die Edelleute und freien Bauern mit großen Wagen vor und kauften in großen Mengen ein, obwohl ihre Scheunen und Kammern noch randvoll waren. Isgard sah etwas in ihren Augen, das sie so noch nie gesehen hatte: Da war zwar die Gier im Blick, die sie längst kannte, dieses rastlose Schweifen der Augäpfel über alles, was da ist, dieses alles haben Wollen und zwar schnell und ungeteilt, aber sie sah zum ersten Mal die Angst. Die Angst, dass irgendwann nichts mehr da war, dass es auch für alles Gold der Welt kein Brot mehr zu kaufen gab, kein Korn, kein Schrot, kein Mehl, keine Rüben, keine Zwiebeln, keine Äpfel, keine Nüsse.

Schon bald sprachen die Knechte und Mägde der Großbauern davon, dass die Scheuen ihrer Herren fast überquollen, dass sie sie aber verriegelten und verrammelten und eifersüchtig bewachten, während drinnen das Obst verfaulte, das Gemüse verschimmelte und die Ratten einzogen, um sich am reich gedeckten Tisch gütlich zu tun.
Die Armen Leute litten Hunger. Auch Arnulf und seine Sippe. An manchen Tagen konnte Isgard sich kaum auf den Beinen halten bei der Arbeit, aber sie mussten das Feld bestellen, wenn sie jemals wieder etwas zu essen haben wollten. Isgard hatte immer einen kräftigen Oberkörper gehabt, weil sie es gewohnt war, kräftig zuzupacken, darum sah sie noch immer stark und gesund aus, obwohl ihre Beine mittlerweile so dünn wie Streichhölzer und völlig kraftlos waren. Aber sie riss sich zusammen, schleppte sich aufs Feld und arbeitete so gut sie es eben konnte. Arnulf war immer gut zu ihr gewesen und jagte sie auch jetzt nicht fort, darum musste sie alles geben. Edburga fand noch immer irgendetwas Essbares im Wald, und manchmal erlegte Arnulf eine Taube für die Suppe, er durfte sich nur nicht erwischen lassen. Den größten Anteil am Essen bekam immer Albrun. Sie sei doch die Magerste von allen und auch die Schwächste, erklärte Arnulf und schob ihr immer einen Extrabissen zu. Dabei verbarg Albrun ihre Vorräte unter ihren Röcken. Von der Taille aufwärts schien sie zart und zerbrechlich zu sein und in der Tat hatte sie nichts im Ärmel, weil sie sich zeitlebens vor harter Arbeit drückte, aber Isgard hatte beim Baden im Fluss schon einmal ihre prallen Pobacken und mächtigen Schenkel gesehen, so schnell würde diese Magd nicht verhungern. Doch ihr hohlwangiger, trauriger, bedürftiger Blick vermochte es die meisten zu täuschen. Hunger litt sie natürlich auch, denn es gab weniger als wenig zu verteilen.
Die Reichen fraßen sich voll, als gebe es kein Morgen, immer voller Angst, dass bald nichts mehr da sein könnte, das sie in sich hineinstopfen konnten. Wer sich dem Haus eines Edlen oder Wohlhabenden bis auf weniger als hundert Schritte näherte, wurde mit Auspeitschen oder Stockschlägen bestraft – man wollte sich die Pest vom Pöbel nicht einfangen.

Aber die Pest machte vor keiner Schwelle halt, schon gar nicht vor der Schwelle der Reichen, mit den reichlichen Vorräten, an denen die Ratten sich gütlich taten, die die Flöhe mitbrachten, die auch in wohlhabendes, weißes Fleisch bissen und die Seuche weiter gaben.

Zorn breitete sich aus gegen den unsichtbaren Feind. Es musste einen Schuldigen geben. Der Pfarrer hatte vom Teufel gesprochen, doch der Teufel hatte immer Verbündete. Misstrauen breitete sich aus, einer schlich hinter dem anderen her, vielleicht vollzog da jemand faulen Zauber und schleppte das Elend ins Land.
Andere machten die Juden dafür verantwortlich, denn sie pflegten seltsame Sitten und wurden selbst von der Pestilenz verschont. Dafür konnte es nur eine Erklärung geben: Sie wollten die Christenheit mit diesem Fluch vernichten, hatten ihn über die Menschen gebracht und sich selbst dagegen gefeit. Dass ihre Reinheitsgebote ihnen die Ratten, damit die Flöhe und damit die Pest vom Leibe hielten, wusste ja niemand.

Und dann starb Edburga und Arnulf war vor Kummer und Entsetzen erstarrt. Isgard konnte es kaum ertragen, ihn so zu sehen. Sie hatte sich immer nach seiner Liebe gesehnt. Er war zwar schon in seinem zweiundvierzigsten Lebensjahr und damit sieben Jahre älter, doch er strotzte noch immer vor Gesundheit und die großen, dunklen Augen in dem schmalen, wettergegerbten Gesicht waren noch immer so voller Leben und Wärme und Schelmerei gewesen, sogar in der harten Zeit. Aber mit Edburgas Tod schien das Licht in seinen Augen erloschen. So gern hätte sie ihn getröstet, den Arm um die zitternden Schultern gelegt, den Kopf an ihre Brust gedrückt und das noch immer volle Haar gestreichelt, das sie mit seinen einzelnen weißen Fäden in all der dunkelbraunen Pracht an das Fell eines Dachses erinnerte. Aber sie wagte es nicht und befürchtete, dass ihm das keine Hilfe war. Er brauchte nicht ihre Liebe. Er brauchte ihre Kraft. Sie musste noch härter arbeiten, damit sie nicht verhungerten – damit Arnulf überlebte.

Arnulf sah, wie sehr Isgard sich anstrengte. Es beruhigte ihn. Isgard war stark, auf sie konnte er sich verlassen, sie warf nichts um, um sie musste er sich nicht sorgen. Albrun trat in die Hütte. Ihre Finger waren blutig.
„Was ist dir geschehen?“, fragte Arnulf besorgt.
„Ach, nichts weiter.“, winkte Albrun ab. „Mir haben nur die Brombeerdornen die Finger zerkratzt, aber darunter habe ich Pilze gefunden, die wir kochen können.“
„Um diese Jahreszeit?“
„Ich habe die alte Arnhild getroffen und sie gefragt, was sie von den Pilzen hält. Sie hat geantwortet, dass sie mir nur erzählen kann, wofür die Pilze gut sind, wenn ich ihr die Stelle zeige, wo ich sie gefunden habe. Das habe ich getan, aber ich hatte alle abgepflückt. Daraufhin hat sie erklärt, sie könnte mir nur Auskunft geben, wenn ich ihr die Hälfte abtrete. Da war mir klar, dass man die Pilze essen kann. Aber ach, dann dauerte mich das alte Weib und ich habe ihr ein Viertel gegeben und gesagt, sie habe ja nur noch ihren Mann, wir dagegen seien zu siebt und sie wars zufrieden.“
„Das hast du gut gemacht, Albrun.“, sagte Arnulf mit dankbarer, warmer Stimme. „Und das, obwohl du doch so entkräftet bist und dich schonen musst.“
„Für dich ist mir kein Gang zu viel, Arnulf“, erklärte Albrun. „Ich sehe doch, wie du leidest, wie könnte ich dich da im Stich lassen? Du arbeitest hart auf dem Feld, du brauchst etwas Anständiges zu essen und tue nur was ich kann.“

Isgard hatte alles mit angehört, sie hatte hinter der Hütte wilde Petersilienwurzeln geschrubbt, das würde mit den Pilzen ja ein Festessen geben. Als sie die Wurzeln in die Hütte trug, rief sie fröhlich: „Schaut mal, was ich gefunden habe, das ist schmackhaftes Gemüse. Jetzt müssten wir nur noch die Kinder zur Burg schicken, damit sie den Pferden ein wenig Hafer stibitzen und wir hätten ein richtiges Festessen.“
„Ja, das mit den Wurzeln ist schön.“, sagte Arnulf. „Das mit dem Hafer lassen wir mal lieber.“
Er hatte noch immer kein Lächeln übrig und Isgard biss die Zähne zusammen und machte sich daran, das Essen vorzubereiten. Arnulf ging wieder an die Arbeit und Albrun stellte Isgard den Korb mit den Pilzen hin. „Hier“, sagte sie, „du bist doch so eine gute Köchin. Bestimmt kannst du sie besser zubereiten als ich. Und einer muss sich ja um den traurigen Arnulf kümmern. Ich glaube, er weint schon wieder.“
Mit diesen Worten verließ sie die Hütte und folgte ihrer Beute. Isgard spürte ein Feuer in sich brennen, trotz des Hungers und der Erschöpfung war da immer noch Kraft für glühenden Zorn. Es war einfach nicht zu glauben, dass Albrun sich immer alles nahm, was sie wollte, während sie, die gute Isgard immer nur gab. Das musste ein Ende haben. Wozu hatte sie als Kind die Alte Walburga so oft in ihrer abgelegenen Kate besucht?
„Blutzauber“, hatte Walburga gesagt, „ist dunkel und schlecht. Man muss sich seiner enthalten, es sei denn, die allergrößte Not verlangt es.“
„Was ist die allergrößte Not?“, hatte Isgard neugierig gefragt.
„Das wirst du dann schon merken.“, war die Antwort gewesen.
Und jetzt merkte sie es. Eile war geboten. Alles, was sie für das Ritual brauchte, befand sich im Haus. Sie war allein. Sie dachte scharf nach, grub in ihren Erinnerungen, dann fiel es ihr wieder ein. Eines von Albruns weißblonden Haaren war schnell gefunden. War es weißblond oder schon grau? Das sah man bei dieser Haarfarbe nie so genau, Albrun war schließlich auch schon dreiunddreißig Jahre alt. Zwei Jahre jünger als Isgard, längst nicht so abgearbeitet, aber zum Gebären auch zu alt. Doch als Stiefmutter konnte sie sich sicher gut verkaufen, wo sie doch so köstliche Pilze im Wald gefunden hatte. Ob sie die wohl in Wahrheit der alten Arnhild abgeschwatzt hatte? Im Austausch gegen ein paar aufregende Gerüchte, die Arnhild doch so gern verbreitete? Ihr sollte es recht sein. Sie drehte das weißblonde Haar zu einem Ring, stach sich mit einem Dorn in den Finger und benetzte das Haar mit ihrem Blut. Dann sprach sie den Fluch, flüsterte ihn nur, obwohl sie ganz allein war, aber sie hatte das Gefühl, dass eine ungeheuerliche Macht von ihr ausging, jedoch auch, dass diese von ihr Besitz ergriffen hatte. Sie verbarg das Haar unter Albruns Schlafstatt und kochte die Suppe. Bald war ein Esser weniger.

Komisch, dachte Isgard, das Laken ist schon wieder kraus. Jeden Tag dasselbe. Haben wir eine Katze im Haus? Ich weiß genau, dass ich es heute Morgen glatt gezogen habe. Sie wusch den Bärlauch, den sie im Wald gesammelt hatte und war noch ganz in Gedanken als plötzlich zwei gewaltige Kerle polternd die Hütte betraten.
„Isgard Weißwasser“, sagte der eine „wir müssen dich zum Pfarrer bringen, es liegt etwas gegen dich vor.“
Isgard wusste nicht, wie ihr geschah. Sie banden ihr die Hände auf dem Rücken zusammen und brachten sie zur Kirche. Dort wartete nicht nur der Pfarrer, sondern sogar der Bischof. Dieser richtete auch das Wort an Isgard.
„Isgard Weißwasser. Du bist gesehen worden bei der Ausübung eines Zaubers, als du dich gemein gemacht hast mit dem Teufel um Schaden anzurichten. Da du nun gesehen wurdest, gestehst du deine Untat?“
Isgard gefror das Blut in den Adern. Das konnte nicht sein. Niemand war im Haus gewesen, keine Fensteröffnung hatte Einblick gewährt und es war ein kleiner, schneller Zauber gewesen, jemand von außen hätte gedacht, sie räume auf, habe sich ein wenig verletzt und sich leise über den Schmerz beklagt. Außerdem hatte der Zauber bis jetzt nicht gewirkt. Albrun schwebte noch immer untätig über die Wiesen und machte Arnulf schöne Augen. Sie schüttelte mit dem Kopf und antwortete mit zitternder Stimme: „Ich bin verleumdet, heiliger Vater, ich habe nichts getan.“
„So leugnest du, den bösen Pestzauber, deinen Verkehr mit einem schwarzen Hahn bei Vollmond in den Flussauen, obwohl die ehrenwerte Arnhild Ackersmann dich eindeutig dabei beobachtet hat?“
„Wie will sie mich bei Vollmond beobachtet haben, wo sie sicher fest schlafend im warmen Bette lag?“
„Du gibst es also zu?“
„Gar nichts gebe ich zu. Ich liege selbst bei Vollmond tief schlafend in meiner Bettstatt und die Meinen können das bezeugen.“
„Da vernahmen wir andere Kunde.“, erklärte der Bischof.
Isgard sollte nicht erfahren, wer sie fälschlicherweise beschuldigt hatte. Sie ahnte, das Albrun dahinter steckte, aber sie wusste nicht, dass ihre Rivalin den Schachzug von langer Hand geplant hatte und die Skandallüsternheit der schwatzhafte Arnhild genutzt hatte, um Isgard aus dem Weg zu räumen. Was sie überdies erst recht nicht wusste, war, dass Albrun außerdem heimlich täglich verunreinigte Kleidung der verstorbenen Edburga in Isgards Nachtlager gewälzt hatte, um diese mit der Pest zu infizieren. Erst als Isgard auch nach Tagen nicht erkrankte, spann sie die Intrige mit der Hexerei. Und die Rechnung ging auf. Isgard starb bei der Hexenprobe im Dorfteich. Von der Beisetzung auf einem kirchlichen Friedhof konnte sie sich die gestohlene Lebenszeit nicht zurück kaufen.

Doch die Flöhe in Edburgas Kleidung, die Isgard verschont hatten, bissen auch Albrun und die Pest erwischt sie schließlich auch.

Arnulf blieb zurück ohne all die Frauen und versprach seinen Kindern, ihnen keine böse Stiefmutter vor die Nase zu setzen. Er machte ihnen Mut, als er sagte: „Die Zukunft wird Besserung bringen. Und wenn auch Eure Enkel vielleicht noch in einer Welt leben müssen, in der jeder nur an sich denkt, in der die einen sich auf Kosten der anderen bereichern, in der die Barmherzigkeit immer wieder von der Gier besiegt wird, so bleibt doch zu hoffen, dass in vielleicht fünfhundert Jahren die Menschheit diese Schwächen überwunden hat. Und wir wollen daran mitarbeiten.“

Und Arnulf starb alt und lebenssatt in den Armen einer jüngeren Frau mit seinen Kindern an seinem Sterbebett.

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Freitag, 17. April 2020
Christenverfolgung – ein Goedereede-Krimi
Zwei Jahre waren vergangen seit dem letzten Urlaub auf Goeree. Letztes Jahr um diese Zeit hatte das Corona-Virus weltweit gewütet und von etwas Luftveränderung hatten wir alle nur träumen können. Dabei waren wir ja privilegiert mit eigenem Haus und Garten, krisensicheren Jobs, vollkommen ausreichender Versorgungslage, also mit Lebensmitteln, Infrastruktur, Medizin… Für uns änderte sich gar nicht so viel. Wir gehörten auch nicht zu den Menschen, die sonst haufenweise Sozialkontakte pflegten und von einer Party zur anderen flatterten. Aber so gar nicht mehr zu mehreren treffen, das war schon schade. Und als es dann Sommer wurde und man nicht ans Meer konnte, ach, das war etwas bitter gewesen. Aber in finanziell knapperen Zeiten hatten wir das auch schon erlebt und waren nicht verzweifelt.
Jetzt war die Krise vorüber. Wirksame Medikamente und ein Impfstoff entwickelt, die Wirtschaft brummte wieder und überall gab es Hilfsprogramme für diejenigen, denen die Krise finanziell das Genick gebrochen hatte. Bis auf einige, die leider auch durch die Maschen dieses Netzes fielen. Ganz zu schweigen von denen, die nicht im privilegierten Europa lebten.
Äußerlich hatte sich im schönen Goedereede nichts geändert. Die historischen Fassaden am Marktplatz spiegelten sich in den gewohnten brillanten Farben im ruhigen Wasser des versandeten Hafenbeckens. Die Windmühle drehte sich, vom Leuchtturm tönte das skurrile Spiel der Carillons und in der Pieterstraat blühten Frühlingsblumen und Hortensien in großen Kübeln vor den kleinen, uralten Fischerhäusern. Der Bäcker verkaufte sein Brot und vor dem Laden saßen Ausflügler bei einer Tasse Milchkaffee.

Wir trugen unser Gepäck ins Haus und liefen zum Supermarkt, um etwas zum Abendessen und zum Frühstücken einzukaufen. Es gab alles, was wir brauchten, sogar Mehl, Nudeln und Toilettenpapier. Alles war wieder normal. Das Wetter war schön, sonnig und warm. Wir machten einen Spaziergang durch den Ort, bewunderten die Dekoration vor dem Blumenladen, liefen noch einmal zum Auto und ließen das Kanu zu Wasser, brachten es durch den Hafen und die Gracht bis hinters Haus und kochten uns ein leckeres Pasta-Gericht. Im Schein von Gartenfackeln kuschelten wir uns auf der Terrasse in warme Wolldecken, genossen unser Abendessen und spülten mit viel köstlichem Weißwein nach, bis wir müde und entspannt zu Bett gingen.

Mitten in der Nacht ertönten Sirenen und in der Straße war überall Aufregung und Geschrei. Ein Blick aus dem Fenster und wir sahen schwarzen Rauch und orangerotes Licht hinter der gegenüberliegenden Häuserzeile. Ich wollte lieber im Haus bleiben und abwarten, mein Liebster war anderer Ansicht: Neugier trieb ihn aus dem Haus, genauso wie Sorge, was das alles zu bedeuten habe und das Bedürfnis, Hilfe anzubieten, wo auch immer sie erforderlich war. Natürlich konnte ich da nicht allein zurück bleiben, vom Weiterschlafen ganz zu schweigen.
Wir zogen uns an und verließen die sicheren vier Wände. Draußen liefen und schrien alle durcheinander, man konnte kein Wort verstehen. War hier irgendwo ein Osterfeuer aus dem Ruder gelaufen? In der Nacht auf Karfreitag? Das war doch höchst unwahrscheinlich.

Dass der Alte noch lebte, war ein schwacher Trost. Er, der in seiner Selbstgerechtigkeit immer sehr viel Wert darauf gelegt hatte, alles richtig zu machen und den Finger in jede noch so kleine Wunde zu legen. Es war eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass es ihn nicht erwischt hatte, das Alter hätte er immerhin gehabt. Aber er war ein zäher Knochen, fuhr täglich 30-40 Kilometer mit dem Fahrrad, wühlte im Garten, aß viel Gemüse, rauchte nicht, trank nicht, war schlank und drahtig, ging pünktlich zu Bett, stand mit den Hühnern auf und pflegte ein kurzes aber wirksames Mittagsschläfchen. Seine Abwehr stand wie eine übermächtige Streitkraft.

Afina dagegen hatte es nicht geschafft, als hätte der Alte seiner Schwiegertochter die Lebensenergie abgesaugt, die Krankheit hatte sie überrollt wie die Geburtswehen: schnell, heftig, gewaltig. Sie hatten sie zu Hause gelassen, mit Anfang dreißig würde sie das locker überstehen, hatten sie gedacht. Falsch gedacht. Als sie erkannten, dass sie es ohne medizinische Hilfe nicht schaffen konnte, war es zu spät gewesen. Als Jasper ebenfalls Fieber bekam, brachten sie ihn vorsichtshalber in die Klinik, auch wenn er erst zehn Jahre alt gewesen war. Doch auch ihn hatte das Virus so schwer erkranken lassen, dass es ohne Beatmung nicht ging – nur dass sein heranwachsender Körper auch mit dieser Technik nicht fertig geworden war und den Kampf schließlich aufgegeben hatte. Jetzt saß Tjerk da mit dem übriggebliebenen Alten, der schon seine Ehefrau mit seiner Lebensgier unter die Erde gebracht hatte. So sehr er seinen Vater verabscheute, er trug nicht die Schuld an diesem grausamen Schicksal, er hatte das Virus nicht eingeschleppt, war übervorsichtig gewesen und auch nicht erkrankt.

Als die Kunde von der näher rückenden Pandemie in den Nachrichten zu hören gewesen war, hatte Tjerk sich in Sicherheit gewiegt. Im frühen Frühjahr kamen kaum Touristen nach Südholland und hier in Goedereede lebten so wenige Menschen, auch nicht so viele Fernreisende wie in den Metropolen. Sicher, da konnte schon mal jemand von einer Geschäftsreise aus China zurückkehren oder aus dem Skiurlaub in Österreich oder Norditalien, aber so wenig, wie hier los war, würde sich die Seuche sicher nicht rasend schnell ausbreiten.
Dann waren die Zahlen gestiegen und mit den Zahlen auch die Angst. Nur eine bestimmte Gruppe hatte keine Angst. Ausgerechnet diejenigen, die sich eigentlich vor allem fürchteten, was das Leben ausmachte: Vor überbordender Lebenslust, vor Alkohol, vor außerehelichem Geschlechtsverkehr, vor rauen Flüchen und derben Späßen. Es waren die Anhänger der calvinistisch ausgerichteten reformierten Kirche und die der noch strengeren wiederhergestellten reformierten Kirche, die die Warnungen und Appelle der Regierung und der Virologen in den Wind geschlagen hatten und in der festen Überzeugung, der Herr werde die Rechtschaffenen, die reinen Herzens sind, schon beschützen, weiter ihre Gottesdienste, eng aneinander gedrängt in schmalen Bänken abhielten. Aber auch unter ihnen, gab es solche, die auf Reisen gewesen waren oder zu jenen, die sich auf Reisen infiziert hatten, Kontakt hatten. Der Herr hatte ihre Immunabwehr nicht auf 100 Prozent gesetzt und so hatten sie in ihrem unverbesserlichen, naiven Gottvertrauen – oder in ihrer selbstgerechten religiösen Pflichtbesessenheit - erheblich zur Ausbreitung des Virus auf der ganzen Insel Goeree beigetragen. Hunderte Infizierte innerhalb kürzester Zeit auf einem so dünn besiedelten Landstrich. Nun war nur etwa die Hälfte der Bewohner dieses sogenannten Bibelgürtels von Frömmigkeit durchdrungen, die andere Hälfte war weltoffen, lebensfroh, gesellig, experimentierfreudig und säkular oder nur mäßig religiös. Eine gespaltene Bevölkerung in der sich durch das Hereinbrechen des Virus ein tragischer Rollentausch vollzogen hatte: die selbsternannten Gerechten und Heiligen wurden zu denen mit der größten Schuld und die räudigen, hedonistischen, gedankenlosen Sünder zu unschuldigen Opfern, die vom gerechten Volkszorn durchdrungen waren. Ein Pulverfass. Und das war nun hoch gegangen. Beide Gotteshäuser standen in Flammen. Das fromme Pack hatte mit seiner Unverbesserlichkeit Tjerks Leben zerstört, nun zerstörte er das ihre, das fand er nur gerecht. Den Alten hätte er am liebsten gleich mit verbrannt, auch wenn das Afina und Jasper nicht zurückbrachte.

Es sind immer die dummen Menschen, die ihre persönlichen Beweggründe generalisieren.

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Donnerstag, 9. April 2020
Verzweifelte Suche - Ein Antikrimi mit Peter Margo in mehreren Teilen – Teil 5
Während der unwirtliche Hafen von Bensersiel mir die Laune verdarb, veränderte sich meine Stimmung, sobald das Schiff abgelegt hatte. Ich konnte gut verstehen, warum der Professor ans Meer gefahren war: die unbelastete Luft weitete die Atemwege, das Wasser bis zum Horizont weitete den Blick und entspannte die Sinne: hier lenkte nichts ab, hier wurde man unmittelbar auf sich selbst zurückgeworfen. Als ich vor Benraths Unterkunft stand, verließ der gerade das Haus, ich erkannte ihn sofort und heftete mich an seine Fersen. Vielleicht schaffte ich es, mir Gewissheit sowohl über seine Identität, als auch über seine Motive für die spontane Reise zu verschaffen. Eigentlich war das gar nicht nötig, ich hatte meinen Auftrag erfüllt, hätte direkt wieder abreisen können, aber meine Neugier war stärker. Als Benrath einen Fahrradverleih ansteuerte, beschloss ich, es ihm gleichzutun. „Und? Haben Sie schon ein Ziel vor Augen?“, fragte ich. „Oder wollen sie einfach nur drauflos radeln?“
„Ich dachte an die Ostspitze.“, erwiderte er freundlich. „Und Sie?“
„Ich verfolge keinen konkreten Plan. Was ist so reizvoll an der Ostspitze?“
„Man legt einen Weg von zwei mal neun Kilometern zurück, keine Elektrokarren, keine Flaneure, keine Läden, kein Imbissgeruch. Unterwegs kann man einkehren, falls man etwas braucht, in den Dünen blühen wilde Orchideen und wenn man an der Spitze ankommt, fühlt es sich an, als sei man ans Ende der Welt gelangt.“
„Klingt verlockend. Darf ich mich in Ihren Windschatten begeben oder steht Ihnen der Sinn nach Einsamkeit?“
„Das war eigentlich der Plan.“, erwiderte Benrath, „Aber ich habe schon fünf einsame Wochen hinter mir, da kann ein bisschen Gesellschaft nicht schaden. Sind Sie zum ersten Mal hier auf der Insel?“
„Allerdings.“, erwiderte ich. „Ich versuche herauszufinden, was die Menschen an so einem Ort fasziniert. Warum geht man bewusst in die politische, ökonomische und kulturelle Provinz, nur um mit Massen konsumierender Mittelständler tagein tagaus nebeneinander her zu leben?“
„Das weiß ich nicht.“, erwiderte der Professor. „Ich komme hier her, weil ich hier viele ruhige Plätze kenne, an denen ich ungestört meinen Gedanken nachgehen kann. Ich brauche gerade in mehrfacher Hinsicht Abstand von meinem Leben.“
Er war an der Reihe, sich ein Fahrrad auszusuchen und ich zog direkt mit. Als der Vertrag abgewickelt war, setzten wir uns in Bewegung. Wir redeten nicht, radelten hintereinander, denn der Gegenverkehr war erheblich. Nach einigen Kilometern erklärte Benrath: „Wir kommen jetzt in die Vogelkolonie. Wenn Sie mögen, können wir Pause auf einer Bank machen und ein wenig den wilden Tieren zusehen.“
„Warum nicht.“, antwortete ich. „Machen Sie das mit der Vogelkunde beruflich?“
„Nein, ich habe überhaupt keine Ahnung von Flora und Fauna. Ich bin Soziologe.“
„Und was tun Sie da?“
„Ich erforsche die unterschiedlichen Prägungen durch das politische System und die daraus resultierenden wirtschaftlichen und kulturellen Lebensumstände im Osten und im Westen der Republik.“
„Und dann fahren Sie in den Norden, um darüber nachzudenken?“
„Nein, darüber denke ich jetzt gerade nicht nach. Ach was soll‘s, wir kennen uns ja nicht, ich kann es Ihnen ruhig erzählen. Ich habe eine Mitarbeiterin, die wirklich einen guten Job macht und auch sehr nett ist, aber eben nur nett, wenn Sie mich verstehen.“
„Nett im Sinne von die kleine Schwester von Scheiße?“
„Nein, eher nett im Sinne von nur nett und mehr nicht. Jedenfalls scheint diese Mitarbeiterin mehr von mir zu erwarten, als ich zu geben bereit bin. Kürzlich hat sie mir eine vollkommen unangemessene E-Mail geschickt, lauter Offenbarungen, die sie mir eigentlich vorenthalten wollte und am Ende doch nicht bei sich behalten konnte. Ich wusste gar nicht, wie ich darauf reagieren sollte. Ich lege keinen Wert auf Kontakt zu komplizierten Frauen, so eine habe ich schon und darunter leide ich bereits entsetzlich.
Darum habe ich mir eine Auszeit gegönnt. Ich habe meiner Frau nicht gesagt, wohin ich fahre, nicht einmal wie lange. Ich habe ihr nur einen Zettel hinterlassen, dass ich für längere Zeit verschwinden müsse, aber nicht das Opfer eines Verbrechens sei. Dass ich Abstand brauche und Zeit für mich. Und das entspricht ja der Wahrheit.
Ich wollte endlich mal wieder ans Meer fahren, ist schon ein-einhalb Jahre her. Ich wollte aufs Wasser starren bis der Kopf ganz leer wird, mich durchpusten lassen vom frischen Wind in milder Luft. Den eigenen Körper spüren, bei mir selbst sein. Das war mir wichtig. Ist es immer noch. Das schwülstige Gedicht meiner liebeskranken Mitarbeiterin habe ich bewusst zu Hause gelassen. Soll meine Frau es doch finden. Wenn sie sich deswegen trennen will, ist es mir recht. Wenn nicht, auch egal. Das ist gerade nicht wichtig. Wichtig ist im Augenblick für mich, herauszufinden, was ich noch will vom Leben, was ich wirklich brauche, wonach ich mich am innigsten sehne. Er weiß es immer noch nicht, aber ich bin der Sache näher gekommen. Ein gesunder Rhythmus mit leichten Aussetzern, damit das Leben sich nicht wie eine Endlosschleife anfühlt, Bewegung, frische Luft, Stille, Natur, Zeit zum Nachdenken, intellektuelle Herausforderungen, aber auch körperliche, gesunde und genussreiche Ernährung, maßvolle Rauschepisoden, Kontakte zu freundlichen, klugen und wohlwollenden Menschen. Alle anderen sollen mir gestohlen bleiben. Habe ich Sie jetzt mit meiner Verbaldiarrhoe reizüberflutet?“
„Nein, ganz im Gegenteil. Sie haben meine Neugier befriedigt und mich zum Nachdenken angeregt. Ich frage mich auch oft, warum ich jeden Morgen aufstehe und tue, was man von mir verlangt, statt einfach liegenzubleiben und auf den unausweichlichen Tod zu warten. Ich könnte die Frage nach meiner größten Sehnsucht ebenso wenig beantworten wie die nach meinem ehrgeizigsten Ziel. Glauben Sie, man kommt dahinter, wenn man nur lange genug aufs Wasser starrt?“
„Es ist nicht das Wasser worauf es ankommt. Es ist die äußere Reizreduktion, die den Blick nach innen wandern lässt. Es kann aber lange dauern, bis sich was tut.“
„Tja, für lange dauern habe ich heute keine Zeit, aber vielleicht gönne ich mir mal einen längeren Urlaub am Meer, um mich selbst zu suchen.“
„Schreiben Sie mir eine Postkarte, wenn Sie sich gefunden haben?“
„Nein.“
„Warum nicht?“
„Wenn ich mich erst gefunden habe, ist jeder andere mir vollkommen egal.“
„Ja, vielleicht. Aber warten Sie es ab. Vielleicht sind Sie anders, als sie denken.“
ENDE

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Mittwoch, 8. April 2020
Verzweifelte Suche - Ein Antikrimi mit Peter Maro in mehreren Teilen - Teil 5
In der Wohnung fanden sich keine Hinweise auf ein Verbrechen. War er mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin durchgebrannt? Ich notierte mir den Namen, fotografierte vorsichtshalber die Ausdrucke und legte alles so zurück, wie ich es vorgefunden hatte. Danach machte ich mich auf den Weg zur Universität. Nadine Reuter hieß die Verfasserin der ausgedruckten Mails. Schnell fand ich heraus, in welchem Büro sie saß und klopfte an ihre Tür. Ich leistete dem freundlichen „Herein!“ Folge und sah vor mir eine sympathische, nicht mehr ganz junge Frau mit lässiger Kurzhaarfrisur in einem luftigen Leinenkleid.
„Was kann ich für sie tun?“, fragte sie mit angenehmer Stimme.
„Ich bin auf der Suche nach einer vermissten Person.“, erklärte ich. „Vielleicht können Sie helfen, dass sich das alles in Kürze aufklärt. Haben Sie irgendeine Ahnung wo Rüdiger Benrath sich gegenwärtig aufhält?“
Sie sah mich erschrocken an und antwortete zunächst gar nicht. Dann stand sie auf und ich stellte fest, dass sie zwar nicht umwerfend attraktiv war, aber dennoch über ansprechende weibliche Konturen verfügte. Etwas mehr Körperspannung hätte ihr gut getan, aber ich muss gerade reden.
„Nehmen Sie doch Platz.“, sagte sie und wies auf den Besucherstuhl vor ihrem Schreibtisch. Ich setzte mich und sie ließ sich auch wieder auf ihren Bürostuhl fallen. Sie atmete schnell. Dann endlich sammelte sie sich ein wenig und sagte: „Ich bin davon ausgegangen, dass Rüdiger zu Hause ist. Es ist ja gerade vorlesungsfreie Zeit und er hatte vor, der Uni eine Weile fernzubleiben, zumal er sich auf einen Wechsel vorbereitet. In einem halben Jahr nimmt er eine Forschungs- und Lehrtätigkeit in Berlin auf.“
„Könnte es denn sein, dass er nach Berlin gefahren ist?“
„Theoretisch könnte er überall hin gefahren sein, aber dann wüsste seine Frau ja davon. Die hat ihn doch sicher als vermisst gemeldet, oder?“
„Nicht direkt.“, erwiderte ich. „Es ist einer außenstehenden Person aufgefallen, dass er seit einiger Zeit verschwunden ist. Ich will nicht den Teufel an die Wand malen, aber ich bin nicht sicher, ob seine Frau mir die Wahrheit sagt. Sie hat mir gegenüber behauptet, er halte sich aus beruflichen Gründen im Ausland auf. Welches Ausland, wollte sie mir nicht verraten.“
„Das ist aber wirklich Quatsch.“, bemerkte Nadine Reuter. „Er beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit den gesellschaftlichen Auswirkungen der Wiedervereinigung, macht vergleichende Ost-West-Studien an unterschiedlichen Altersgruppen und so weiter. In welches Ausland sollte er dafür reisen? Korea?“
„Wissen Sie näheres über den Zustand seiner Ehe?“
Nadine Reuter fühlte sich sichtlich unwohl. Das war ein heikles Thema für sie, ganz dünnes Eis, denn sicher wünschte sie sich von Herzen, dass seine Ehe am Ende sei und durfte es sich um keinen Preis anmerken lassen, wenn sie nicht ihr Gesicht verlieren wollte. Sie schob ihre geheimen Leidenschaften in die Besenkammer und setzte ein betont sachliches Gesicht auf, als sie sagte: „Ich dachte er sei sehr zufrieden. Er erzählte gelegentlich von seiner Frau und das nur mit großem Respekt und Wohlwollen. Sie wollte ihn zwar nicht nach Berlin begleiten, weil das auch ein zeitlich begrenztes Forschungsprojekt ist und es sehr gut sein kann, dass er in zwei bis drei Jahren hierher zurückkehrt oder es ihn an noch eine andere Hochschule verschlägt. Seine Frau ist beruflich auch erfolgreich und wirft natürlich nicht sofort die Brocken hin, nur weil der Herr Ehegatte sich ein wenig beruflich verändern will.“
„Kennen Sie seine Frau persönlich?“
„Nicht wirklich. Ich habe sie mal kurz gesehen, als ich Rüdiger ein paar Bücher vorbei gebracht habe, aber normalerweise treffen wir uns nur in der Uni und seine Frau kommt hier nicht hin.“
„Hat er Feinde, Menschen, denen er im Weg ist?“
„Hier an der Hochschule gibt es schon Konkurrenten. Aber er hat nie dafür gesorgt, dass jemandem eine Beförderung verweigert wird oder dass jemand keine Stelle bekommt. Das einzige, das ich mir vorstellen könnte, wäre jemand, der im Studium gescheitert ist und Rüdiger dafür verantwortlich macht. Für sehr wahrscheinlich halte ich das aber nicht.“
„Sie kennen den Professor ja recht gut.“, versuchte ich mehr aus ihr herauszukitzeln. „Wo fährt er denn am liebsten hin, wenn er einfach mal seine Ruhe haben will? Es wäre ja immerhin möglich, dass er sich mit seiner Frau gestritten hat und Abstand gesucht hat.“
„Ach so.“, erwiderte die wissenschaftliche Mitarbeiterin. „Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Wenn er den Kopf frei bekommen will, fährt er gern ans Meer. Vorzugsweise nach Langeoog, aber nicht unbedingt ins Ausland.“
„Wissen Sie denn auch, wo er da vorzugsweise absteigt?“
„Ich glaube er ist so der Typ für Pensionen. Da muss er nichts mitschleppen, hat alles, was er braucht und zum Essen nutzt er die örtliche Gastronomie. Aber Sie können ja schlecht bei den Pensionen auf der Insel nachfragen, die werden Ihnen ja nicht verraten, wer bei ihnen wohnt. Oder sind Sie von der Polizei?“
„Nein, ich bin Privatdetektiv, aber glauben Sie mir, ich verstehe etwas von meinem Ruf. Wenn er auf Langeoog ist, werde ich ihn höchstwahrscheinlich ausfindig machen.“
„Würden Sie mich informieren, wenn Sie näheres wissen?“
Ich legte ihr meine Karte auf den Schreibtisch. „Rufen Sie mich ab Morgen Abend an, dann werde ich Sie an meinem aktuellen Kenntnisstand teilhaben lassen.“
Dankbar steckte sie die Karte ein.

Ein paar trickreiche Telefonate später kannte ich seinen Aufenthaltsort. Er war gerade unterwegs, konnte darum nicht ans Telefon kommen. Musste ich mich davon überzeugen, dass es auch wirklich der richtige Rüdiger Benrath war? Ich rief meine Auftraggeberin an und setzte sie in Kenntnis vom Stand meiner Ermittlungen.
„Oh bitte, fahren Sie morgen da hin und überprüfen Sie, ob er es auch wirklich ist. Das könnte ja ein Trick sein, um sein Verschwinden zu vertuschen.“
„Das wird aber teuer, Lady. Können Sie sich das leisten?“
„Ja, das ist es mir wert.“
„Aber es ist doch durchaus plausibel, dass er sich mit seiner Frau gestritten hat und zum Entspannen an seinen Sehnsuchtsort gefahren ist.“
„Aber warum hat seine Frau Sie dann angelogen und behauptet, er sei im Ausland?“
„Weil es ihr peinlich ist, dass sie einen Ehekrach hat und nicht genau weiß, wo er ist.“
„Das hätte sie sich doch aber denken können. Sie hätte ja auch sagen können, mein Mann brauchte mal eine kleine Auszeit und möchte dort auf keinen Fall gestört werden.“
„Und das wäre Ihnen nicht verdächtig vorgekommen?“
„Doch.“
„Sehen Sie.“
„Ich würde mich trotzdem wohler fühlen, wenn Sie nachsehen. Ich würde es ja selber machen, aber ich habe berufliche Verpflichtungen, denen ich nachkommen muss.“
„Gut, dann nehme ich den Auftrag an. Ich nehme die Fähre um 10.00 Uhr, werde also gegen 7.00 Uhr hier starten. Dann sollte ich gegen 11.00 Uhr am Ort sein und wenn er dann nicht in der Pension ist, werde ich den ganzen Tag über nach ihm Ausschau halten und ihn spätestens am Abend aufsuchen. Dann käme allerdings noch eine Übernachtung dazu.“
„Ja, dann ist das so.“
„Gut. Sie hören dann spätestens morgen Abend von mir.“

FORTSETZUNG FOLGT

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