Freitag, 4. Oktober 2019
Um die Ecke – ein Fortsetzngskrimi in mehreren Teilen – Teil 4 - Uschi
Ein Kunde noch, hatte die Chefin gesagt, dann konnte sie Feierabend machen. Wenn sie sich ranhielt, konnte sie sich den Klienten sogar aussuchen, heute war es voll, die nächste Schicht hatte alle Hände voll zu tun. Sie freute sich schon auf die Laufstrecke im Wald, die ausgiebige Dusche, den kuscheligen Hausanzug, den Becher heißen Kakao und das Binge Watching auf dem blauen Plüschsofa. So würde sie am Vorabend ihren freien Tag einläuten, um morgen dann einen netten Ausflug zu unternehmen und ihre alten Schulfreundinnen wieder zu sehen. Also musste sie jetzt sorgfältig auswählen, kein mieses Arschloch dessen Fratze, Stimme oder Geruch sich in ihrer Erinnerung festsetzte, niemand der Ärger machte.

Ihr Blick fiel auf einen Mann im fortgeschrittenen Alter, der etwas abseits an einem kleinen Tisch saß, vor sich den preiswertesten Cocktail und ein Gesichtsausdruck, der deutlich verriet, dass er zum ersten Mal hier war. Scheu und etwas aufgeregt sah er sich um, schien sich zu fragen, ob er hier wirklich richtig war. Er sah aus wie jemand, der bisher sein ganzes Leben hinter einem Schreibtisch verbracht hatte, wie jemand, der noch nie von einer Frau berührt worden war und wenn, dann höchstens im Dunkeln, unter der Bettdecke, mit gerade mal so viel beseite geschobener Nachtwäsche, dass sich die Erfüllung der ehelichen Pflichten umsetzen ließ.
Alle anderen taxierten mit routinierter Kennermiene das Angebot, einer unangenehmer als der andere. Sie zögerte nicht und steuerte auf den Bistrotisch zu.
„Darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte sie
„Ja, gern.“, stieß er heiser hervor. „Möchten Sie etwas trinken?“
„Ein Mojito Sinalco wäre toll.“
„Das kling ja interessant. Was ist da drin?“
„Limetten, frische Minze, Rohrzucker, sehr viel Eis und Sodawasser.“
„Kein Alkohol?“
„Nein, Darum heißt er Sinalco, sin alcohol ist Spanisch und heißt ohne Alkohol. Ansonsten sind es die gleichen Zutaten wie beim klassischen Mojito, es fehlt nur der kubanische Rum oder Cachaca.“
„Das klingt sehr gesund. Dann bestellen Sie sich doch bitte einen auf meine Rechnung.“

Schon bald lockerte der Alkohol in seinem Cocktail seine Zunge, sie überzeugte ihn, Brüderschaft zu trinken und besiegelte die Vereinbarung mit einem scheuen Kuss, das war genau die Anbahnung, die er brauchte.
„Johann heißt Du also.“, sagte sie schmunzelnd. „Klingt wie ein Diener.“
„Nanana“, tadelte er sie scherzhaft. „Eher wie ein berühmter Komponist. Ich heiße Johann, mein Sohn heißt Sebastian. Zusammen sind wir Bach.“
Er kicherte seehoferisch und es lief ihr ein wenig kalt den Rücken herunter. Bestimmt hatte er sich das alles ausgedacht, malte das Bild von sich, das er für erstrebenswert hielt. Wahrscheinlich hieß er Hans-Jürgen, war kinderlos und vollkommen unmusikalisch dazu. Sie mussten allmählich zur Sache kommen, sie wollte nicht den ganzen Abend hier sitzen. Also entschied sie sich für einen direkten Vorstoß: „Hör mal, Johann, du bist doch sicher nicht nur zum Plaudern hier her gekommen, oder?“
„Nein.“, erwiderte er und errötete feuermelderartig.
„Was hältst Du davon, wenn wir es uns in einem eigenen Zimmer gemütlich machen und da alles Weitere besprechen?“

Er nickte stumm. Sie stand auf, ergriff seine Hand und zog ihn hiter sich her. Sie schaltete die Beleuchtung auf warmes, gedimmtes Gelb, das an romantisches Kerzenlicht erinnerte – sündhaftes Rot verursachte bei diesem Typ Mann nur entsetzliche Hemmungen und sie hätte alle Hände voll zu tun, bis sie endlich zum Wesentlichen gelangten. Sie erklärte ihm kurz die Geschäftsbedingungen, er war einverstanden und dann begann sie, abwechselnd ihn und sich selbst auszuziehen.
Sie drückte ihn sanft auf die Matratze und zog alle Register, die sie in puncto Blümchensex auf Lager hatte. Er begann sich sichtlich zu entspannen und genoss es ausgiebig. Auf dem Gipfel der Lust hielt er die Luft an, das war nicht ungewöhnlich, doch dann kamen merkwürdige Geräusche, als versuche er vergeblich zu atmen, so als wenn sich Laub in einer Lüftung festgesetzt hatte. Sie sah ihn an, seine staunend aufgerissen Augen, das Gesicht verfärbte sich erst rötlich violett und schließlich blau. Dann schrillte die Alarmglocke in ihrem Kopf. Sie tastete nach seinem Puls und fühlte nichts. Sie kramte die Erinnerungen aus ihrem erste-Hilfe-Kurs hervor, versuchte eine Herzmassage und nach 30 Stößen eine Mund-zu-Nase-Beatmung, die sich aber als wirkungslos erwies, weil seine Nase verrotzt war. Musste sie ihn eben über den Mund beatmen. Dann wieder Massage und sie schrie, schrie aus Leibeskräften, sie brauchte Hilfe, sie konnte ihn nicht allein retten.

Marcel stürmte herein, bereit dem Freier die Eier zu brechen, doch dann sah er, was wirklich los war.
„Jetzt mach schon!“, schrie sie, „Hol einen Krankenwagen!“
„Der braucht keinen Krankenwagen mehr.“, stellte Marcel mit Kennermiene fest. „Kannst aufhören, auf ihm rumzureiten. Den müssen wir mit den Füßen zuerst raustragen. - Schöner Tod, so will ich auch mal abgehen.“
Uschi sprang auf und wollte ihm das Mobiltelfon aus der Tasche ziehen, doch er hielt ihre Handgelenke mit seinen Schraubstockpranken fest.
„Hör zu!“, zischte er. „Die Chefin will keinen Skandal. Wenn wir hier 'ne Leiche haben, rennen die Bullen hier rum und das ist verdammt schlecht fürs Geschäft. Der Freier ist mausetot und längst im Himmel, dem ist egal, was wir mit ihm anstellen. Also schaffen wir ihn weg. Du ziehst dir jetzt was an und ich hole die Chefin und dann entscheiden wir zusammen, was am besten zu tun ist.“

Es war die Chefin, die die geniale Idee mit der Fitness-Factory hatte. Sie zogen ihm gemeinschaftlich seine Kleidung an, Marcel nahm seinen Autoschlüssel, machte den Wagen ausfindig und fuhr ihn vor die Hintertür. Dann trugen sie die Leiche auf die Ladefläche des Kofferraums, fuhren gemeinsam auf den Parkplatz gegenüber der Muckibude, wo es unter dem Schatten der alten Linde etwas dunkel und wenig einsehbar war und verfrachteten den Leichnam auf den Fahrersitz.
Nachher rannte sie, als wolle sie sich die Seele aus dem Leib laufen, die Bilder verscheuchen, die Geräusche und Gerüche. Dabei wusste sie genau, sie würden sie nicht mehr loslassen.

ENDE

... link (5 Kommentare)   ... comment


Freitag, 27. September 2019
Um die Ecke – ein Fortsetzungskrimi in mehreren Teilen - Teil 3 - Hinrichsen
In seinem Kopf ging alles durcheinander. Gerade eben hatten sie die Talsohle durchschritten, das Licht am Ende des Tunnels gesehen und die frische Luft der neuen Freiheit geatmet und nun hatte sich das nächste Finanzloch aufgetan und der ganze Mist mit der Haushaltssicherung ging von vorn los. Wieder zwei Jahre Grabenkämpfe mit Gemeindeleitungen, die nur den eigenen Kirchturm im Blick hatten und Ressortleitende, die ihr eigenes Arbeitsgebiet für das allerwichtigste hielten.

Vaters Klinikaufenthalt ging zu Ende und sie mussten seine weitere Betreuung regeln. Das bedeutete, er musste es regeln, denn seine beiden Schwestern waren mittlerweile so hinfällig, dass er befürchtete, sich in naher Zukunft auch noch mit ihrer Pflege befassen zu müssen.

Sieglinde war ihm auch keine Stütze – sie wirbelte von morgens bis abends wegen ihrer Tafel umher, trug unendlich viel Verantwortung und die Zeit, die übrigblieb, benötigte sie für den Haushalt. Es war tatsächlich schon so weit gekommen, dass ihn zum Einkaufen oder Staubsaugen verdonnerte, wo er doch ein ganzes Erwerbsleben lang den Löwenanteil des Familieneinkommens beigesteuert hatte, Sieglinde sich dagegen immer nur mit ein paar Stunden in Teilzeit etwas dazu verdient und sich selbst verwirklicht hatte, damit sie nicht einrostete und ein wenig eigenes Geld besaß, das sie ohne schlechtes Gewissen für ihre persönlichen Bedürfnisse ausgeben konnte. Leider gehörte sie nicht zu den Frauen, die gern in einen stabilen Zustand ihres Seelengefäßes investierten. Sie bevorzugte Café-Verabredungen, Operetten-Besuche, elegante Handtaschen und sündhaft teure Wolle, aus denen sie individuelle Strickkreationen zauberte. An körperlicher Nähe war sie kaum interessiert und mittlerweile war er angesichts ihrer schwindenden Reize und fortgeschrittenen sexuellen Teilnahmslosigkeit äußerst dankbar für diese Entwicklung. Er selbst hatte durchaus noch erotische Bedürfnisse, verbot sich aber ausdrücklich, sein Begehren gegenüber den vom ihm favorisierten jüngeren Frauen zum Ausdruck zu bringen, da er über eine realistische Einschätzung seines Marktwertes verfügte. Er begnügte sich damit, sie anzusehen, ein klein wenig zu flirten und sich hernach im Kopfkino auszumalen, wie es wäre, wenn…

Saskia meldete sich immer seltener über Skype, war mit ihrem Klinikjob in Delaware glücklich und ausgelastet und manchmal musste er die Fotoalben aus dem Regal holen, weil er sich kaum erinnerte, wie sie aussah. Hatte er eine Tochter? Doch ja, aber er spürte nichts mehr davon.

Wie hatte er sich darauf gefreut, sich im Ruhestand endlich voll und ganz auf sein Ehrenamt konzentrieren zu können und trotzdem über ausreichend Muße zu verfügen, um ein gutes Buch zu lesen, ein eindrucksvolles Konzert zu genießen oder einen Waldspaziergang zu unternehmen. Stattdessen stand er gegenwärtig unter Dauerstress und niemand war da, der etwas davon vertreiben konnte durch Ausstreichen, Durchkneten, Wegpusten oder Kaputtlachen.

Aber dann kam alles anders. Nie hätte er geglaubt, dass er sich dazu hätte hinreißen lassen, aber nun passierte es. „Du bist der Boss,“ hauchte sie in sein Ohr und dann rutschte ihr fester Körper an seinem entlang, bis ihre Brüste genau da zum Einsatz kamen, wo er sie haben wollte. Ihm entfuhren laute Seufzer, soviel angestaute Lust brach sich in diesem Moment Bahn, dass der Boden unter ihm sich zu drehen schien und es in seinen Schläfen pochte, als seien Wichtel damit beschäftigt, an seiner Schädeldecke Erze abzubauen. Schließlich explodierte alles in ihm, ein wildes Kribbeln in Armen und Beinen, ein Schauer wie von Millionen feinster Regentropfen zog durch sein Rückenmark und sein Gehirn jubelte Hosianna, Halleluja und Heureka zusammen. Ihre zarten Fingerkuppen fuhren sanft durch sein Brusthaar und Schweißperlen liefen über seinen Oberkörper. Ihm war heiß. Dann fröstelte ihn; das kühlende Schwitzwasser tat seine Wirkung. Er nahm einen tiefen Atemzug, doch plötzlich kam er nicht mehr weiter, ein jäher Schmerz durchbohrte ihn, er bekam keine Luft, fühlte, wie es ihn zerriss, sah Vater und Mutter an der Kaffeetafel mit Großmutter und Tante Frieda, jagte Gisela durchs Unterholz, gab Sieglinde den ersten Kuss, trug Saskia auf dem Arm, erlebte seine erste Synode, versuchte den nächsten Atemzug und stürzte, stürzte, stürzte…

Fortsetzung folgt

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 20. September 2019
Um die Ecke – ein Fortsetzungskrimi in mehreren Teilen – Teil 2 - Kerstin
Sie öffnete ihr E-Mail-Postfach und hätte sich am liebsten direkt übergeben. Wie das Abbild eines Horroclowns grinste ihr das Riesenbaby-Gesicht von Hinrichsen entgegen. Was wollte er denn jetzt schon wieder?

Viel zu oft hatte sie in letzter Zeit seine penetrante Gegenwart ertragen müssen, den Kontakt zu seinen fleischigen Pranken nicht vermeiden können, in seine wässrig blauen Augen sehen müssen und immer auf der Hut sein vor seinen Fallstrickfragen.

Er wollte die Kontrolle über sämtliche Finanzströme; nicht nur über die Kita-Konten, die beim Kirchenkreis geführt wurden, auch über die Einnahmen aus Elterninitiativen und wofür sie verwendet wurden. Als ob ihn das irgendetwas anginge, wenn die Eltern für ihre Kinder aktiv wurden und Mittel erwirtschafteten, um für die Kita neue Spielgeräte anzuschaffen.

Da es in der Vergangenheit schon einmal einen solchen Fall gegeben hatte, bei dem der Kirchmeister solche Einkünfte aus elterlichem Engagement verwendet hatte, um Haushaltslöcher zu stopfen, ahnte sie, dass seine permanenten Anfragen darauf zielten, sie als Kita-Leitung finanziell vollends zu entmündigen. Gepaart mit seiner väterlichen Überlegenheit, hinter der er seine hormonellen Begehrlichkeiten zu verbergen suchte, war dies ein ekelerregendes Gesamtpaket, dessen sie sich am liebsten umgehend entledigt hätte. Doch wie sollte sie das anstellen, ohne ihre Freiheit aufs Spiel zu setzen?

Fortsetzung folgt

... link (0 Kommentare)   ... comment


Freitag, 13. September 2019
Um die Ecke – ein Fortsetzungskrimi in mehreren Teilen – Teil 1 - Keller
Er sah so friedlich aus, wie er hinter dem Steuer seines Turans klemmte, den Kopf leicht zur Seite geneigt, die Hände auf dem Schoß, die Augen entspannt geöffnet, wie eine lebensechte Wachsfigur. Wächsern war auch seine Haut.

„Wird sich im Fitness-Center übernommen haben, der ältere Herr.“, mutmaßte Constanze Flegel und beeilte sich, dem Widerspruch Kommissar Kellers zuvorzukommen: „Ich will mich nicht in eure Arbeit einmischen, ich meine nur, es sieht nach plötzlichem Herztod aus. Und die Muckibude ist direkt gegenüber.“

In der Fitness-Factory hatte ihn aber niemand gesehen und nach der ausgiebigen Obduktion fasste die Gerichtsmedizinerin zusammen: „Sport hat er wohl zum letzten Mal in seiner Jugend getrieben. Allerdings hatte er wohl kurz vor seinem Ableben geschützten Geschlechtsverkehr.“
„Ist der Parkplatz der neue Straßenstrich?“, fragte Keller.
„Ich denke nicht, dass es im Auto passiert ist. Die Kleidung wird noch auf Spuren untersucht.“
„Du bist Dir aber sicher, dass er nicht im Auto gestorben ist?“
„Allerdings. Der Zeitpunkt der Absonderung der Körperflüssigkeiten lässt sich zeitlich etwas genauso eingrenzen wie der Todeszeitpunkt.“
„Du meinst, er ist im Bett gestorben?“
„Wo auch immer, aber vermutlich unmittelbar nach vollzogenem Geschlechtsverkehr. Das ist ja keine Seltenheit.“
„Aber wer hat ihn danach angezogen und ins Auto gesetzt? Und aus welchem Grund?

Fortsetzung folgt

... link (0 Kommentare)   ... comment