Samstag, 8. Dezember 2018
AKK
Diesmal würde es klappen. Fritz war sich seiner Sache sicher. J.S. Hatte keine Chance auf den Posten, viel zu jung und schnöselig, unerfahren und selbstgefällig. Der würde die gleiche Klatsche kassieren wie Fritz damals, vor zwölf Jahren, als er das erste Mal in den Ring gestiegen war. Das Wahlvolk hatte wohl gewittert, dass er nur fürs Presbyterium kandidiert hatte, um seine Karrierechancen im Kreiskirchenamt zu verbessern. Eigentlich hatte er es ja nicht so mit Kirche. Damals hatten sie die dröge Dorothea auf den freien Posten gewählt, sie hatte sich schon seit Jahren ehrenamtlich in der Gemeinde engagiert, hatte das Pöstchen verdient. Erst nach der Wahl war ihm klar geworden, dass er damals nicht den Hauch einer Chance gehabt hatte. Er war davon ausgegangen, dass alles offen war, da ja jeder einzelne Presbyter gewählt wurde. Er kannte den Laden damals noch nicht und darum war ihm auch entgangen, dass altgediente Presbyter, die erneut kandidierten, grundsätzlich wieder gewählt wurden. So mussten neue Bewerber um die frei gewordenen ein bis drei Stellen konkurrieren. Ja, damals war er chancenlos gewesen, aber jetzt lag die Sache anders:

Durch seine zwölfjährige Berufspraxis in der kirchlichen Verwaltung war er mit allen Winkelzügen vertraut, hatte sich die übliche Sprache draufgeschafft, kannte die heiklen Themen und die drängensten Baustellen. Er würde sie alle in die Tasche stecken, nicht nur J.S., auch die Ann-Kathrin, diese farblose Quotentussi.

Im Wahlgottesdienst übertrafen die Posaunen sich selbst, wenn auch die Pfarrerin, diese elende Öko-Schlampe, wieder über den Klimawandel und nachhaltiges Wirtschaften predigte. Wenn er erst im Presbyterium wäre, hätte er morgen den Posten des Kirchmeisters und übermorgen den Vorsitz inne. Er würde der Pastorin richtig einheizen, so lange, bis sie burn-out ging und dann ab mit dem sprechenden Flokati und endlich wieder ein schneidiger Pfarrer auf der Kanzel, der anspruchsvoll predigte und mit dem man Sonntags abends bei einem Glas alten Scotch philosophieren konnte. Und der Superintendent würde dem aufstrebenden Finanzexperten mit presbyterialem Engagement jede Tür öffnen, die er noch durchschreiten musste auf dem Weg zum Verwaltungsleiter.

Der Gang zur Urne, ein abgestandener Filterkaffee und ein paar billige Butterkekse, dann wurde das Ergebnis bekannt gegeben:
Ann-Kathrin Krüger. Aus der Traum. Schon wieder eine Frau. Scheiß Quote. Mit Kompetenz hatte das nichts zu tun. Sie war es nur geworden, weil sie keinen Penis hatte. Wurde langsam Zeit, dass die Männer den Tussis wieder welche verpassten und genau das würde er jetzt tun.

Damals, vor zwölf Jahren, hatte er dafür bezahlt. Und es war ein schaler Geschmack zurück geblieben. Heute würde er sich eine kostenlose Verjüngungskur gönnen, die sich gewaschen hatte und er wusste auch schon wo.

Wenige Tage später wurde Dennis verhaftet. Ann-Kathrin Krüger hatte als Anwältin alle Hände voll zu tun, die Unschuld des vermeintlichen Vergewaltigers zu verteidigen. Sie gab sich die allergrößte Mühe, schließlich war Dennis ihr Sohn.

Das Opfer erinnerte sich an fast nichts, nicht einmal an den schmierigen, ältlichen Typen, der sie in ihrem Stammcafé zur Coke eingeladen hatte. Nur an diesen Streit mit Dennis, ihrem Freund, konnte sie sich erinnen.

Und Fritz strich es rot im Kalender an, wieder hatte er einen Punkt für sein Team geholt, er würde am Ball bleiben und in vier Jahren klappte es bestimmt.

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Freitag, 30. November 2018
Anfang und Ende - ein Romanauszug
Die sind das erste und das vorletzte Kapitel des Kriminalromans: "Ich hab den Ausbau nicht gewollt" von Cristina Fabry. Erschienen bei Neobooks 2017
Prolog – Dezember 2016
Sie wunderte sich nicht, als nach einmaligem Klingeln niemand öffnete. Sicher hatte er wieder nichts gehört und aufgeregt war er bestimmt auch, war ja kein leichter Gang für ihn heute. Glücklicherweise hatte sie ihren eigenen Haustürschlüssel dabei; sie hatte ihn am Ende doch überreden können, ihr einen zu überlassen, falls einmal ein Notfall eintreten sollte. Jetzt beschwerte er sich dauernd, wenn sie einfach aufschloss, weil sie nicht die Geduld und die Nerven hatte, fünfmal zu klingeln, bevor er sich bequemte, endlich zur Haustür zu schlurfen.
Alles war in Ordnung. Die Zeitung und die Post hatte er schon herein geholt, vermutlich hielt er gerade sein Mittagsschläfchen. Sie steuerte direkt auf sein Schlafzimmer zu. Das Zimmer war leer und dem Bett sah man an, dass er es soeben verlassen hatte. Dann war er wohl schon im Bad, aber auch hier rührte sich nichts. Sie zuckte mit den Schultern und öffnete die Wohnzimmertür. Er lag vor dem offenen Kaminofen. Neben sich einen Stapel mit Zeitungen und einen Stapel mit Prospekten. Ein Feuer hatte bei offener Tür im Ofen gebrannt, war aber mittlerweile erloschen. Sie beugte sich zu ihm herab, um ihn anzusprechen. Als sie ihn berührte, merkte sie, dass er sich ganz kalt und starr anfühlte, offensichtlich war er schon vor Stunden gestorben. Etwas von dem Papier, das er zum Anzünden benutzt hatte, war wieder aus dem Ofen herausgefallen. Er hatte es wohl ausgetreten, bevor er gestürzt war, unter seinem Hausschuh war es ganz schwarz und die Asche um das Papier war zerstoben. Auf den übriggebliebenen Fetzen konnte sie eine Frauenhandschrift entziffern. War das etwa ein Liebesbrief? Sie nahm das fast verbrannte Papier in die Hand und entzifferte „lauwarmem Wasser“, „Tageslicht“ und „Heizung auf der Fensterbank“. Ach nein, da ging es wohl eher um die Anleitung zur Anzucht von Gemüse oder Blumen für die Rabatten. Sie warf den Zettel zurück in den Ofen – beim nächsten Beheizen würde er endgültig verbrennen. Sie ging zum Telefon und rief als erstes den Hausarzt an. Danach das Bestattungsunternehmen.

Schröttinghausener Straße – Freitag, 02. Dezember 2016
Es war gar kein guter Morgen für Erich Mensendiek, als er sich am Freitag vor dem 2. Advent aus dem Bett quälte. In der Nacht hatte er dreimal die Toilette aufsuchen müssen, der verfluchte Arzt hatte ihn bei den Wassertabletten wieder falsch eingestellt. Außerdem kroch ihm der Winter in die alten Knochen, da schaffte es auch die zentrale Ölheizung nicht, seine Morgensteifigkeit zu vertreiben, dabei war er doch in den Siebziger Jahren so stolz gewesen auf die Installation dieser damals so hochmodernen Anlage. Auf den meisten Höfen wurde nur noch mit Kohle geheizt und in den Nebenräumen behalf man sich mit Heizlüftern oder Radiatoren. Etliche waren damals auch dem Trend der Nachtspeicheröfen auf den Leim gegangen, aber Mensendiek hatte sofort gewittert, dass das nicht die gewünschten Ergebnisse brachte. Er hatte damals auch Ludwig in den Ohren gelegen, bis er ihn schließlich überzeugt hatte. Seine Luise sollte auf keinen Fall frieren. Jetzt lag sie in der Kühlkammer des Friedhofs in Werther. Die Blumen auf ihrem Grab würden welken, verfärben und erfrieren. Die Spruchbänder der Kränze mit Erde besprenkelt, die bei den kräftigen Regengüssen der nächsten Tage hoch spritzen würden. Ob sie auf der anderen Seite wohl auf ihn wartete? Oder ob sich ihm seine Lieselotte in den Weg stellte? Ob man sich wohl aussuchen konnte, mit wem man die Ewigkeit verbringen wollte?
Er ging ins Bad, um sich zu waschen. Alles fiel ihm schwer an diesem Tag, als würde er sich durch Brei bewegen. Ob das wohl die Trauer war? Luise war immer seine große Liebe gewesen und nun war sie gerade mal seit einer Woche tot. Heute Mittag würden sie sie in die Erde legen und er würde vor ihrem offenen Grab stehen, eine Blume und eine Schaufel Erde auf den Sargdeckel werfen und dann wäre sie nur noch in seiner Erinnerung vorhanden.
Als er gewaschen und angezogen war, entschloss er sich, den Kaminofen im Wohnzimmer anzuheizen. Er würde die ersten Morgenstunden vor dem Feuer verbringen und sich gründlich durchwärmen lassen.
Weil er die Tageszeitung nur noch mittwochs und samstags abonniert hatte, fehlte ihm Papier zum Anzünden. Also schlüpfte er in eine warme Jacke und schlurfte zur Altpapiertonne, die er am Vorabend heraus gestellt hatte. Zum Glück war die Müllabfuhr noch nicht da gewesen. In seiner Tonne war aber so wenig Inhalt, dass er das Papier nicht erreichen konnte. Er öffnete Tappes Tonne, die direkt neben seiner stand, die war glücklicherweise randvoll. Er griff einen großen Stapel Zeitungen und nahm sie mit ins Haus. Vor dem Ofen begann er, die Blätter auseinanderzunehmen und zu zerknüllen. Er schichtete dünne Holzstäbe auf und zündete sein Konstrukt an. Warm und behaglich züngelten die ersten Flammen Richtung Abzug, nach und nach legte er immer größere Hölzer auf und schließlich drei Scheite, aus denen ein prächtiges Feuer wuchs. Die Ofentür hatte er mit einem Keil blockiert. Er hatte Lust auf die direkte Wärme und starrte zufrieden in die Hitze. Er sortierte das Papier: Die Zeitungen legte er auf einen ordentlichen Stapel zum Anheizen, die Prospekte kämen bei nächster Gelegenheit zurück in die Altpapiertonne und die Schmierzettel und Computerausdrucke konnte er gleich mit im Ofen verbrennen.
Das Atmen fiel ihm schwer heute morgen, sicher weil er total verspannt war, die Kälte ließ alle Muskeln verkrampfen. Er begann, die Schmierzettel einzeln zu zerknüllen und nach und nach in das prasselnde Feuer zu werfen. Er liebte es, wenn das Feuer kurz aufloderte und das helle Papier auffraß und zu einem hauchdünnen, geschrumpften, schwarzen Blatt verdaute, das schließlich in feine Asche zerfiel.
Platenkuchen – Mehl – Eier – Milch – Joghurt – Butter – Das war wohl ein Einkaufszettel für den Dorfladen.
Skoda in blau, silber, schwarz und dunkelgrün – wollten Tappes sich ein neues Auto kaufen? Offensichtlich keines von diesen, jetzt gingen ihre Bilder in Rauch auf.
Sonderangebote für Särge. Fichte? Mein Gott, sie wollten Luise doch hoffentlich nicht in so einer schäbigen Fichtenholzkiste beisetzen. Sie hatte einen eichenen Sarg verdient. Mindestens! Wenn es nach ihm gegangen wäre, dann wäre der Eichensarg mit weißem Lack überzogen und auf dem Deckel ein prachtvolles Gesteck aus rosa Rosen. Die hatte sie so geliebt. Ihm stiegen Tränen in die Augen und die Billigsärge schmolzen in seinem Ofen wie in einem Krematorium.
Kryptische Zahlen und Buchstaben: Aufnehmen 86 M, 20 R, 2 Re 2 L, dann 150 R. Ging es da um eine Musik- oder Filmaufzeichnung? Er wusste es nicht. Sicher war es nicht wichtig.
Schweinefleisch, das 14 Tage im Wasser liegt, entwickelt eine hochtoxische Substanz. Wird sie dem Körper täglich zugeführt über einen Zeitraum von mehreren Tagen, kann das eine letale Dosis bedeuten, die im Übrigen pathologisch nicht nachweisbar ist. Geeignet sind besonders muskelarme Partien, also zum Beispiel frischer Speck. Die toxischen Stoffe entwickeln sich am heftigsten in lauwarmem Wasser und wenn das Gefäß – im günstigsten Fall aus Glas – intensivem Tageslicht ausgesetzt ist, beispielsweise über der Heizung auf der Fensterbank.
Er zerknüllte das Blatt mit den sinnlos erscheinenden Text und warf es ebenfalls ins Feuer. Doch dann fügten sich die scheinbar sinnlosen Informationen in seinem Kopf zu einem System zusammen. Letal? Hieß das nicht tödlich?! Und war das, was er da gerade gelesen hatte, nicht eine Anleitung zur Herstellung eines tödlichen Giftes? Dazu noch eines, das man bei Toten nicht nachweisen konnte? Er versuchte, den brennenden Zettel aus den Flammen zu retten. Er trat auf das glimmende Bündel, das er auf den steinernen Boden vor dem Ofen geschleudert hatte. Als er sich bückte, um danach zu greifen, durchzog ein stechender Schmerz seinen Oberkörper. Verdammter Rücken. Er richtete sich auf und diesmal brannte der Schmerz noch heftiger. Er zog bis in die Fingerspitzen. Er fühlte, wie sich klebriger Schweiß auf seiner Stirn bildete, dabei war ihm ganz kalt. Er bekam kaum noch Luft. Es musste etwas Ernsteres sein als der Rücken, er wollte zum Telefon eilen, doch er schaffte es nicht mehr. Die letzten Kräfte verließen ihn und er stürzte zu Boden.

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Freitag, 23. November 2018
Polizeistaatparanoia – Ein Kurzkrimi ohne Auflösung
War ein ziemlich langer Arbeitstag, länger als lang, kräftezehrend und schreit nach Scotch am Kaminfeuer. Fürs Arbeiten bis 23.00 Uhr bin ich eigentlich zu alt. Aber für Dienststart um 7.00 Uhr erst recht. Dann lieber so wie es ist, morgen kann ich ja ausschlafen.
Als sich endlich die passende Bettschwere einstellt, ist es bereits 1.30 Uhr. Beim Befüllen der Wärmflasche blendet mich ein grelles Licht. Komisch, warum fahren die Spasemacken, die die ganze Zeit Fernlicht anhaben, nicht weiter? Liegen geblieben? Hat zwar was Gruseliges, aber ich habe auch keine Lust, in Kälte und Dunkelheit die Landstraße entlangzulaufen, um meine möglicherweise unerwünschte Hilfe anzubieten. Gehe schlafen, aber mit einem mulmigen Gefühl.
Auf dem Weg ins Land der Träume blendet mich ein helles Licht. Jäh richte ich mich auf. Jetzt steht der Wagen mit dem aufgeblendeten Fernlicht vor unserem Haus. Wer hat uns da im Visier? Und warum?
Jetzt erst nehme ich wahr, dass es sich um einen Streifenwagen handelt. Also keine Einbrecher oder Terroristen auf der Flucht, keine Neonazis, die unsere Adresse herausbekommen haben. Warum auch? Aber wen oder was suchen die Bullen?
Jetzt steigt einer aus und richtet seine Taschenlampe auf unser Haus, auf mein Fenster, leuchtet mir ins Gesicht. Vor meinem inneren Auge laufen uralte Bilder ab. Polizei, die mitten in der Nacht Türen aufbricht und Menschen aus ihren Betten zerrt. Ich höre meinen eigenen Puls. Pok pok pok pok...
Der Leuchtmittelbeamte steigt wieder ein. Langsam setzt der Wagen sich in Bewegung, aber nur 20 Meter. Vor der Einfahrt des Nachbarn kommt er wieder zum Stehen. Nach wenigen Minuten setzt das Fahrzeug abrupt zurück. Was passiert jetzt?! Der Puls wird noch lauter und schneller. Pock Pock Pock Pock!
Der Wagen setzt noch weiter zurück, bis er wieder da steht, wo er mir aufgefallen ist. Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Warum beobachtet die Polizei unser Haus? Was ist da los?
Ich weiß nicht einmal, vor wem ich Angst haben muss. In Gedanken checke ich all meine Aktivitäten. Könnte ich mit irgendetwas in das Visier der Ermittler geraten sein? Oder ist es Zufall, dass sie gerade hier jemandem auflauern?
Ich gehe wieder ins Bett. Es hilf ja nichts. Morgen muss ich fit sein. Ich kann ja halbwegs ausschlafen. Jetzt noch sieben Stunden, dann klingelt der Wecker.

Aua! Nicht so fest! Sie tun mir weh. Ich stolpere, falle, ein Reißen geht durch meine Schultergelenke und mein Handgelenke brennen vor Schmerz. Sie sind laut und wüst. Sie schlagen die Menschen, die mir am liebsten sind und zwingen mich, zuzusehen. Sie fragen wer. Sie fragen was. Ich weiß die Antwort nicht und darum werden sie uns alle töten.

Ich brenne – ich friere – ich schwitze - ich zittere – alles ist nass. 5.30 Uhr. Was für ein Alptraum. Noch vier Stunden Zeit, zu schlafen. Ich stehe auf, tausche den nassen Pyjama gegen einen trockenen, hole mir ein Glas Wasser aus der Küche. Atme auf: keine Scheinwerfer mehr. Gefahr gebannt.

Ein Knall, ein Scheppern, nur mühsam öffne ich die Augen. Verdammt. 7.30 Uhr. Was ist da los? Ich sehe aus dem Fenster: Ein Mann in Arbeitskleidung, ein PKW, geschäftig rennt er um das Auto herum, öffnet Türen, schlägt sie wieder zu. Wer ist das? Prüft er die Kläranlage? Oder den Gastank? Ich werde ihn fragen, stehe auf, er blickt in mein Fenster, sieht mich an und verschwindet hinter dem Haus. Was will er da?
Ich schlüpfe in meinen Bademantel, eile zur Haustür, blicke mich um: niemand da. Gut, dann eben zur Hintertür, er ist ja auch hinters Haus gegangen. Ich sehe überall nach, rufe, doch niemand ist hier, nur die Hühner gackern, die Schafe blicken tumb über den Zaun, Erpel und Ganter prügeln sich um die letzten Reste faulen Fallobstes und Meisen flattern hektisch und panisch in der Hühnervoliere umher, weil sie den Ausgang nicht finden und menschliche Gewalt fürchten. Sie sollten sich lieber vor der Katze fürchten, die bereits in der offenen Hintertür lauert.

Dann gehe ich eben wieder ins Bett. Vielleicht ist der Mann mit dem Auto liegen geblieben und zum Bus gegangen. 7.46 Uhr. Noch 1 Stunde und 44 Minuten Schlaf. Aber jetzt ist der Puls wieder oben, zu viel Licht, um wieder zur Ruhe zu kommen. Die Katze kommt in mein Bett und schnurrt mir die Ohren voll. Ich bleibe liegen. Wenigstens ausruhen will ich mich, wenn ich auch nicht mehr einschlafen kann.

Heute fahre ich um 11.00 Uhr zur Arbeit. Wird wieder ein langer Tag. Kasse abrechnen, haufenweise E-Mails bearbeiten und den Mitarbeitendenkreis vorbereiten. Mit dem geistlichen Impuls tue ich mich heute besonders schwer, kann gar nicht richtig denken, zu wenig Schlaf, zu viel Irritierendes. Wird schon für alles eine Erklärung geben. Heute Abend können wir zusammen spekulieren.

Als ich um 19.30 Uhr Feierabend mache, bin ich völlig gerädert. Im Auto kann ich kaum die Augen offen halten. Hoffentlich brennt schon ein Feuer im Ofen.
Jetzt ist es nicht mehr weit. Ob der Wagen wohl noch da ist? Und haben die anderen beiden das Essen schon aufgewärmt?

Es ist schon wieder so hell. So hell wie von zwanzig Streifenwagen. Das Feuer brennt schon, aber nicht nur im Ofen. Das Auto scheint weg zu sein oder nein, es hat nur eine andere Form angenommen, sich entmaterialisiert oder besser gesagt aufgelöst und neu angeordnet. Noch keine Polizei, von Ferne die Musik der herannahenden Feuerwehr. Von den anderen beiden keine Spur.

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Freitag, 16. November 2018
Wie Pech und Schwefel

Vielleicht hätte man es doch auf sich beruhen lassen sollen, dachte er. Jetzt konnte er sehen, wie er die Sauerei aus der Welt schaffte. Das ganze Bad hatte sie ihm vollgeblutet. Aber sie hatte es ja nicht anders gewollt, er hatte sie nicht eingeladen, sie war zu ihm gekommen wie ein Lemming, der sich lebenssatt in den Abgrund stürzt. Es war nicht seine Schuld, dass sie sich zeitlebens so auf ihn eingeschossen hatte.

Sieben Jahre lag das jetzt zurück. Sie hatte einfach nicht locker gelassen, hatte nicht eingesehen, dass das Techtelmechtel damals auf der Chorfreizeit nichts weiter als ein Ausrutscher gewesen war. Als sie vor drei Jahren wegzog, hatte er aufgeatmet. Sie würde ein neues Leben anfangen, sich einen Kerl in ihrem Alter suchen, und wenn sie sich wieder in eine Mentor-Schützling-Beziehung stürzte, sollte ihm das auch recht sein.

Zwei ruhige Jahre hatte er nichts von ihr gehört, dann kamen die Briefe. Jeden Monat ein paar um geistreiche Formulierungen bemühte Zeilen, aber es war zwecklos. Sie war noch immer von kindlichem Gemüt und bestenfalls durchschnittlicher Intelligenz. Von ihrer unterirdischen, erotischen Anziehungskraft einmal ganz zu schweigen. Ja, auf der Chorfreizeit, da war sie ihm im Kerzenlicht und unter der Wirkung etlicher Gläser Wein verführerisch wie die Lorelei erschienen. Doch schon am nächsten Morgen hatte er es bereut. Sie hatte sicher zehn Kilo zu viel auf den Hüften gehabt, ihren Brüsten hatte die jugendliche Straffheit gefehlt, die Haut war talgig und picklig gewesen und die Schenkel viel zu üppig und haarig. Sie war so ein Naturkind gewesen und sie hatte geglaubt, das gefalle ihm, wo er doch so ein frommer Mann der Kirchenmusik war, immun gegen die überflutenden Reize der degenerierten Welt von sterilem Blingbling und Plastiksex. In der Tat hatte er es überhaupt nicht mit dem Rotlichtmilieu, aber er war doch nicht aus Holz, liebte schwungvolle Hüften an zarter Taille, flache Bäuche und sanft gerundete Pos, Brüste wie Pfirsiche und eine Haut wie Seidenpapier, große Augen mit langen, gebogenen Wimpern und weiche, leicht fleischige Lippen.
Sie hatte nichts von dem zu bieten gehabt und auch jetzt nicht, obwohl sie ein paar Pfund abgespeckt und ihren Körper leicht trainiert hatte. Das Hautbild hatte sich auch ein wenig verbessert, aber sie war eben kein Alphaweibchen, nicht einmal B-Ware wie seine Frau. Sie war einfach nur lästig – und sie wurde gefährlich.

Er hatte gehofft, sie habe sich damit abgefunden, dass sie sich alles nur eingebildet hatte, dass ihre Wunschträume während der Chorfreizeit ihr aufgrund ihrer Intensität real erschienen waren.

Aber damit kam er nicht durch. Sie erinnerte sich einfach an alles, auch das Davor und das Danach. Und jetzt wollte sie Tacheles reden, er sollte ihr Rede und Antwort stehen und ihre Fragen waren fürchterlich. Sie würde am Ende alles rausposaunen und sein Leben wäre im Eimer. Strafanzeige, Berufsverbot und Vivien würde ihn verlassen.

Für den Notausgang hatte er gesorgt, kurz bevor sie auftauchte. Er hatte den Schlüssel fürs Bad verschwinden lassen. Sicher würde sie irgendwann die Toilette benutzen, wenn er nur genug Kaffee in sie hinein kübelte.
Sie hatte sich reichlich aufgebrezelt, kam im kleinen Schwarzen, hatte irgendetwas mit ihren Haaren angestellt, aber sie war und blieb bestenfalls Durchschnitt. Da tat sich einfach nichts. Und dann hatte sie ihn in die Zange genommen. Alles auf den Tisch gepackt und immer wieder gefragt warum.
Kann ich mich gar nicht mehr erinnern – hatte er geantwortet. Habe ich das wirklich so gesagt? Verwechselst du mich nicht mit irgendwem?
Sie war immer ärgerlicher geworden, nicht laut, aber ärgerlich, man konnte direkt sehen, wie sich ein böses Unwetter in ihr zusammenbraute. Und wenn der Gewittersturm zur falschen Zeit am falschen Ort losbrach, dann wäre er erledigt. Darum musste er es erledigen. Es ging nicht anders.
„Dürfte ich mal bitte die Toilette benutzen?“, hatte sie gefragt.
„Selbstverständlich.“, hatte er geantwortet – und sie solle nicht erschrecken, weil es keinen Schlüssel mehr gab – den habe seine kleine Tochter vermutlich verschusselt. Dann hatte er sie überrumpelt: einfach rein ins Bad, über ihren erstaunten Aufschrei hinweggehen, das Rasiermesser aus dem Spiegelschrank holen und einmal damit über die Halsschlagader fahren. Es ging ziemlich schnell, auch wenn es ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war, wie sie realisierte, dass das Leben aus ihr herauslief und sie vom Klo plumpste wie ein Mehlsack mit Übergewicht. Sie sah aus wie das Opfer eines Triebtäters, wie sie da mit der heruntergezogenen Strumpfhose in ihrem Blut lag und ins Leere starrte. Bald wurde es dunkel. Er würde sie in einem Bettbezug zusammen mit ein paar Steinen in der Ruhr versenken. DNA-Spuren hatte er nicht hinterlassen. Und wer käme schon darauf, dass sie bei ihm gewesen war. Und selbst wenn: dann war sie eben wieder abgereist. Mit den richtigen Chemikalien würden sich auch die letzten Blutspuren beseitigen lassen. Und dann hätte er endlich Ruhe.

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