Freitag, 23. Juni 2017
Kurschuss schreibt, Lenz antwortet
Hätte die Pastorin gewusst, welche Folgen ihr Brief haben würde, hätte sie ihn lieber nicht selbst geschrieben. Aber hinterher ist man immer schlauer

Hätte Herr Lenz gewusst, was er mit dem folgenden Brief anrichtet, hätte er ihn wohl nur an die Adressatin geschickt und nicht gleich auf seine Facebookseite. Am Ende hatte er keine Liebste mehr. Von der hatte ein Fan des Höchsten ihn befreit. Der wollte nämlich ein Zeichen setzen, für Frieden und Gerechtigkeit und für das Recht der Evangelischen Kirche, sich selbst zu feiern, ohne dass Stänkerer ihr in die Suppe spuckten.

„Sehr geehrter Herr Lenz,
wissen Sie schon, was Sie für den 31. Oktober planen? Wieso? Weil das in diesem Jahr erstmalig ein Feiertag sein wird.“
Aber natürlich, gnädige Frau. Ich werde ausschlafen und kurz vor Mittag Tiefkühlbrötchen in den Ofen schieben, weil an besonderen Feiertagen die Bäcker geschlossen haben und ich den Schrott von der Tankstelle nicht mag.
Dann werde ich zu meiner Liebsten ins Bett kriechen und die Liebe aufwecken, bis es ihr selbst gefällt (frei nach Hoheslied Salomo 8,4).
Ich werde ausgiebig frühstücken, duschen, lesen oder Fernsehen und schließlich die Wohnung dekorieren, sowie mich selbst. Wieso? Weil ich eine stimmungsvolle Halloween-Party geben werde.
Sie schrieben: „Der Reformationstag jährt sich dann zum 500. Mal.“
Sie geben das als Grund für Ihren Brief an. Warum schreiben Sie mir überhaupt? Ich kenne Sie gar nicht. Sie schreiben:“Sie sind Mitglied der Evangelischen Kirche von Westfalen, in der ich als Präses leitende Pastorin bin.“
Was wollen Sie mir damit sagen? Dass Sie mein Chef sind? Oder sogar meine Schäferin? Stalken Sie jede Ihrer Karteileichen? Oder nur Pfarrerssöhne wie mich? Schwarze Schafe, die den Anschluss an die Herde verpasst haben? Aber woher wollen Sie wissen, wer ich bin? Wie ich schon sagte, wir kennen uns gar nicht. Da nützt auch Ihr gefotoshoptes Bewerbungsfoto nicht. Ebenso wenig Ihre Schlagzeilen: „Kein Mensch kann und muss sich selbst gut machen.“
Sie schreiben, dass Martin Luther am 31. Oktober 1517 mit dieser „bahnbrechenden Erkenntnis“ an die Öffentlichkeit ging. So weit, so platt. Aber dann erklären Sie mir: „Luther nannte das die Freiheit des Christenmenschen.“
Muslime, Juden, Hindus, Buddhisten, Schamanisten, Atheisten, Agnostiker, Esoteriker und Restreligiöse sind dann wohl keine Menschen, sondern Geschmeiß, das sich durchaus selbst gut machen müsste, wenn es das denn könnte?
Und dann soll der fünfhundert Jahre alte Befreiungsschlag uns auch gleich noch vom Höher, Schneller, Weiter des Turbokapitalismus befreien? Haben Sie noch alle Abendmahlsgeräte in der Sakristei?
Sie schreiben: „Was kann uns aus dieser Spirale befreien? Dass Gott uns mit Liebe ansieht. Diese Gewissheit haben wir durch Jesus Christus.“
Wir?! Wer ist wir?! Also ich nicht. Nichts ist gewiss. Sie glauben vielleicht, dass Gott Sie mit Liebe ansieht. Mich hat er mein Leben lang in den Arsch getreten.
Und über Jesus „hatte nicht einmal der Tod das letzte Wort“? Hat der Tod überhaupt Worte?
„Er schenkt uns Gemeinschaft mit Gott, die durch nichts und niemanden in Frage gestellt wird.“
Ich widerspreche. Ich stelle in Frage. Bin ich etwa niemand?
Wenn das wirklich „frei zu einem aufrechten Leben“ macht, warum schleichen dann so viele freie Christenmenschen mit gekrümmten Rücken und gequälten Seelen frei von Selbstwertgefühl durch die Gemeindehäuser? Und dann haben Sie die Stirn den Satz weiterzuspinnen mit den Worten „Und hoffentlich auch zu einem getrosten Sterben.“ Sind Sie noch bei Trost? Natürlich hoffe ich, nicht zu sterben.
„Martin Luther hat seine Entdeckung beim Lesen der Bibel gemacht.“ Ja, was kann man da schon erwarten? Richtige Entdecker machten ihre Entdeckungen auf riskanten Fernreisen, in Laboratorien unter zum Teil lebensbedrohliche Bedingungen. Sie haben gearbeitet. Luther hat gelesen. Oh, da hat er was entdeckt! Heureka! Ja gut, ich weiß, dass er auch sein Leben riskiert hat, aber das war nach der „Entdeckung“.
Die nächste Schlagzeile in Ihrem Drohbrief lautet: „Wir werden am Reformationstag 2017 frei haben – als Zeichen dafür, dass wir befreit sind von der ständigen Sorge um uns selbst.“
Haben Sie sich das selbst ausgedacht? Glauben Sie, ich werde mich an diesem Tag weniger um mich selbst sorgen, nur weil Sie das so anordnen? Weil Sie meinen, der alte Luther hätte mich davon befreit? Von was wollen Sie mich denn noch befreien? Vielleicht von finanziellem Ballast? Schließlich müssen Sie diese Massenpost ja irgendwie refinanzieren. Und dann wollen Sie mir, nachdem Sie 1 ½ Seiten über Freiheit geschwafelt haben, auch noch vorschreiben, wie ich diesen arbeitsfreien Tag verbringen, beziehungsweise zu was ich ihn nutzen soll:
„- zum Innehalten und Gottesdienstfeiern
zum Einsatz für Mitmenschen und Mitgeschöpfe, die sonst niemand im Blick hat
zum tatkräftigen Eintreten für Frieden und Gerechtigkeit.“
Entweder tut man so etwas mindestens hundert Mal im Jahr oder eben nicht. Was haben übersehene Mitgeschöpfe davon, wenn ich Sie am 31. Oktober ausnahmsweise einmal angucke? Wie tritt man einen Tag lang für Frieden und Gerechtigkeit ein?
Nein, ich bin nicht neugierig auf den Festgottesdienst meiner Kirchengemeinde. Ich bin neugierig auf die lustvollen Melodien, die meine Liebste von sich gibt, wenn ich Sie zum Singen bringe und später auf den Verlauf meiner Halloweenparty. Und wenn ich fernsehe, dann sicher keinen Wiesenkirchen-Gottesdienst.
Sie wünschen mir, dass ich entdecke, warum ich Evangelisch bin? Ich weiß, warum das so ist. Mein Vater war Pfarrer, hat mich ohne zu fragen in diese Kirche reingetauft und wieder rauskonfirmiert. Ausgetreten bin ich nur nicht, weil ich dafür bisher zu faul war.
Ist das wirklich alles, was Ihnen zu fünfhundert Jahren Reformation einfällt? Die alte Suppe zum fünfhundertsten Mal aufwärmen? Wenn das mal am Ende keine kalten Füße gibt. Gott segne Sie meinetwegen auch. Is' mir egal.
Lenz
P.S.: Ein Wort, dass Ihnen in Ihrem Repertoire sicherlich noch fehlt. Evangelistischer Terminus für Prostituierte: Mietgeschöpfe

Ach ja, wenn Herr Lenz gewusst hätte, was er damit anrichtet....

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Freitag, 16. Juni 2017
Terry und der Tote im Wald – ein nicht ganz ernst gemeinter Kurzkrimi der Siebzigerjahre
„Willi, fahr schon mal den Wagen vor.“ Kriminalhauptkommissar Steven Terry musste noch eben telefonische Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft nehmen, bevor er ebenfalls in seinen beigefarbenen Trenchcoat schlüpfte und die Treppen zum Parkplatz hinuntereilte. Unterwegs fuhr er sich noch einmal vorsorglich mit dem statisch nicht aufladbaren Hornkamm durch die schütteren Haare, denn er trat stets äußerst gepflegt auf. Ein einfacher Plastikkamm hätte es indes auch getan, da naturpomadierte Haare, die nur einmal wöchentlich in Kontakt mit den fettbindenden Tensiden eines Shampoos kamen, durch statische Aufladung kaum aus der Form gerieten.
Willi Lüttke wartete pflichtschuldig am Steuer des Dienstwagens mit dem für ihn typischen devoten Gesichtsausdruck. „Hast Du etwas in Erfahrung bringen können, Steven?“, fragte Willi.
„Allerdings.“, erwiderte Terry. „Wir können die Verhaftung vornehmen, wenn er uns in die Falle geht.“
„Wo genau findet die Beerdigung statt?“
„Johannesfriedhof, Mittelgang. Nicht zu verfehlen.“
„Na dann los.“
Mit hochgeschlagenen Mantelkrägen und versteinerten Gesichtern wappnete die Trauergemeinde sich gegen den eisigen Wind, der hin und wieder von Sprühregen begleitet wurde. Die Männer trugen überwiegend schwarze Regenmäntel zum eleganten Anzug, nur wenige waren in kurze Popeline-Jacken gewandet. Die Damen litten entsetzlich unter dem scharfen Wind, waren ihre Beine doch meistenteils mit zarten Seidenstrümpfen bekleidet, die auch nicht von den Mänteln bedeckt wurden, weil die aktuelle Mode ihnen einen kurzen Schnitt aufzwang.
„So ein Sauwetter und das Anfang Mai.“, fluchte Willi Lüttke.
Gerlinde Winkler hatten sie bald ausgemacht. Die aparte Erscheinung, die über dem schwarzen Etui-Kleid nur eine Jacke aus Walkstoff trug, dazu einen Hut auf den hochgesteckten Haaren, das Gesicht hinter einem Schleier aus schwarzem Tüll verborgen, war die fünfte in der Reihe der Kondolierenden. Roman Winkler dagegen entdeckten sie nicht. Hatte er sich etwa bereits aus dem Staub gemacht? Das Geld dafür stand ihm unweigerlich zur Verfügung.
Um nicht pietätlos zu wirken, warteten sie ab, bis Gerlinde Winkler eine Schaufel Erde ins Grab geworfen und der Ehefrau des verstorbenen Pfarrers kondoliert hatte. Als sie außer Hörweite der Angehörigen war, kamen sie auf sie zu : „Guten Morgen, Frau Winkler“, sprach Steven Terry die attraktive Mittvierzigerin an. „Gibt es einen besonderen Grund, dass Ihr Mann heute nicht zur Beerdigung erschienen ist?“
„Keinen besonderen Grund.“, erwiderte sie emotionslos. „Er fühlt sich einfach nicht wohl. Etwas angegriffen von der vielen Arbeit, eine leichte Erkältung, da wollte er bei diesem Wetter nicht im eisigen Wind und Nieselregen stehen. Er ist auch nicht in die Firma gegangen, sondern arbeitet heute ausschließlich von zu Hause aus. Kann ich ihm etwas ausrichten?“
„Nein, das wird nicht nötig sein.“, erwiderte Steven Terry. „Wir werden ihn direkt zu Hause aufsuchen.“
„Brauchen Sie mich auch? Ich bin nämlich zum anschließenden Kaffeetrinken eingeladen.“
„Das ist kein Problem.“, erwiderte Willi Lüttke. „Wir wollen ja nur Ihren Mann sprechen.“

Die Villa der Winklers lag im besten Viertel der Stadt und war vom Friedhof aus fußläufig erreichbar. Im Vorgarten blühte der Rhododendron in leuchtenden Farben, noch wenige Tage zuvor hatte die Sonne aus allen Löchern geschienen und Pflanzen wie Menschen mit ihrer wohltuenden Wärme verwöhnt.
Sie läuteten an der Haustür, die bald darauf von einer Angestellten geöffnet wurde. Fräulein Drexhage, eine altjüngferliche Vollblut-Hausdame der alten Schule geleitete die ihr bereits bekannten Herren ins Wohnzimmer mit der Bitte, sich einen Augenblick zu gedulden. Die Villa stammte aus dem vergangenen Jahrhundert, die Einrichtung dagegen war modern und sehr exklusiv. Die kugelrunden weißen Deckenleuchten schienen über dem gläsernen Couchtisch zu schweben wie schwerelose Himmelskörper. Die schnörkellosen, mit weißem Veloursleder bezogenen Polstermöbel verströmten eine kühle Eleganz, die lediglich durch den weißen Flokatiteppich aufgelockert wurde. Auf einem Beistelltischchen verströmte ein Strauß üppiger Fliederdolden in weiß, hell- und dunkelviolett einen betörenden Duft.
Die Wohnzimmertür öffnete sich und der Maschinenteile-Fabrikant Roman Winkler trat ein. Zur schwarzen Hose trug er ein cremefarbenes Hemd, anstelle einer Krawatte einen weinroten Seidenschal elegant um den Hals gelegt und in das offene Hemd eingesteckt, dazu eine leichte Kaschmir-Strickjacke im selben Farbton. Sein volles, dunkles, von Silberfäden durchzogenes Haar umspielte in ausladenden Wellen sein Solarium-gebräuntes Gesicht. Es war nicht zu übersehen, dass er trotz des Aufwandes, den er um sein Äußeres betrieb, dem Alkohol regelmäßig zusprach. So auch jetzt. „Guten Tag, die Herren.“, begrüßte er die Beamten mit sonorer Stimme. „Kann ich Ihnen bei diesem entsetzlichen Wetter einen wärmenden Cognac zur Aufmunterung anbieten?“
„Nein danke.“, erwiderte Steven Terry. „Wir sind im Dienst.“
Winkler goss sich selbst jedoch eine große Portion aus der geschliffenen Karaffe in den gewaltigen Cognacschwenker, bat die Beamten Platz zu nehmen, setzte sich dann selbst in einen Thron-artigen Sessel, schlug die Beine übereinander und lehnte sich entspannt zurück. Er ließ das Branntwein-Getränk durch schwingende Bewegungen seiner rechten Hand im Glas kreisen und betrachtete versonnen das Farbenspiel in der goldbraunen Flüssigkeit. „Womit kann ich Ihnen dienen, meine Herren?“, fragte er.
„Herr Winkler.“, begann Steven Terry die Befragung. „Wir wissen mittlerweile von Ihrem Verhältnis mit Gabriela Watermann, die Sie im Tennisclub kennengelernt und regelmäßig getroffen haben.“
„Der Gentleman genießt und schweigt.“, erklärte Roman Winkler mit einem süffisanten Lächeln und nahm einen kräftigen Schluck aus seinem Glas.
„Ja“, entgegnete Terry streng. „Vor allem gegenüber der Ehefrau, von deren Wohlwollen ihre gesamte Existenz abhängt, denn die Firma ist ja das Erbe Ihrer Frau und im Falle einer Scheidung bliebe nicht viel für Sie übrig.“
„Das ist richtig.“, erwiderte Winkler. „Aber aus welchem Grund sollten meine Frau und ich uns scheiden lassen? Unsere Ehe verläuft absolut harmonisch.“
„Und wenn Ihre Frau von der Affäre erfährt?“, hakte Willi Lüttke nach.
„Dann wäre sie verständlicherweise etwas verärgert, aber das ist nichts, was man nicht mit ein paar romantischen Abenden und einem kleinen Urlaub wieder geradebiegen kann. Haben Sie vor, mich bei ihr anzuschwärzen?“
„Keineswegs.“, erwiderte Terry. „Aber ich muss Sie jetzt noch einmal fragen: Wo genau waren Sie am Mittwoch Abend zwischen 18.00 und 22.00 Uhr? Und ich rate Ihnen, unbedingt die Wahrheit zu sagen.“
„Das habe ich Ihnen doch bereits erklärt. Bis etwa 18.30 Uhr war ich in der Firma. Von dort habe ich ein Spritztour unternommen. Ich bin über die Dörfer bis nach Herford gefahren, habe in irgendeinem Imbiss ein halbes Hähnchen gegessen und bin dann wieder eine andere Strecke zurückgefahren. Dabei habe ich mich ein wenig verirrt und war erst gegen 22.30 Uhr wieder zu Hause.“
„Mit welchem Wagen?“
„Mit dem Citroën.“
„Sehen Sie.“, sagte Terry ruhig. „Und damit haben Sie nun quasi den Mord an Pfarrer Robert Leuschner gestanden. Ich sage Ihnen jetzt, wie es war, Herr Winkler. Sie hatten seit einiger Zeit ein Verhältnis mit der neunzehnjährigen Gabriela Watermann. Bei einem ihrer Treffen in eindeutigen Posen wurden Sie von Fräulein Watermanns drei Jahre jüngeren Schwester Saskia beobachtet. Saskia Watermann hatte als Kindergottesdienst-Helferin großes Vertrauen zu Pfarrer Leuschner und berichtete ihm von ihren Beobachtungen und den Seelennöten, die das bei ihr auslöste. Leuschner stellte Sie zur Rede und Sie schlugen vor, das Ganze in Ruhe zu besprechen, aber so, dass ihre Frau nichts davon mitbekäme. Sie verabredeten sich mit dem Pfarrer für Mittwoch Abend in Ihrer Jagdhütte im Mindener Wald. Das Telefongespräch fand am Sonntag statt, am Montag meldeten Sie ihre Jagdflinte als gestohlen. Damit der Diebstahl glaubwürdig erschien, sind Sie selbst noch am Sonntag in Ihre Jagdhütte eingebrochen und haben die Flinte an einem sicheren Ort in der Nähe versteckt. Am Mittwoch verließen Sie gegen 18.30 Uhr die Firma in Ihrem Citroën. Sie fuhren jedoch nicht herum, sondern direkt zu Ihrer Jagdhütte, wo Sie gegen 19.30 Uhr mit dem Pfarrer verabredet waren. Sie holten die Flinte aus dem Versteck und legten sich in der Hütte auf die Lauer. Was Ihnen nämlich entgangen ist: Saskia Watermann war zu dieser Zeit mit einer Freundin zu einer Radtour unterwegs. Gegen 18.50 Uhr sah sie zufällig Ihren Wagen auf dem Weg zur Jagdhütte. Sie verdächtigte Sie, mit ihrer Schwester unterwegs zu sein und folgte dem Weg, den Sie mit dem Auto gefahren waren. Die Mädchen schlichen sich kurz vor der Hütte in den Wald und beobachteten, wie Sie, der bereits einige Minuten vor ihnen angekommen war, die Hütte verließen und in den hinteren Teil des Waldes verschwanden. Da Saskia es für unwahrscheinlich hielt, dass ihre Schwester mitten in den Tannen auf ihren Liebhaber wartete, kehrten sie und ihre Freundin unverrichteter Dinge zurück. Sie holten inzwischen die Flinte aus dem Versteck und legten sich unweit der Hütte auf die Lauer. Als der Pfarrer schließlich wie verabredet vorfuhr und aus seinem Wagen stieg, schossen Sie ihn nieder. Sie hoben die Leiche auf den Beifahrersitz und fuhren zu einer anderen Stelle im Wald, wo Sie den Toten bestatteten. Dann fuhren Sie mit diesem Wagen zu einem weiteren Ort im Wald, etwa fünf Kilometer entfernt, an dem Sie die Flinte vergruben, die mittlerweile gefunden wurde. Schließlich ließen Sie den Wagen in einer der Ihrer Hütte nahegelegenen Tongruben versinken, in der Hoffnung, er würde nie gefunden. Sie liefen mehrere Kilometer zu Fuß zur Hütte zurück, entsorgten wie auch immer die Kleidungsstücke, an denen sich Blut- und Schmauchspuren befanden und fuhren zurück nach Hause, wo sie gegen 22.30 Uhr ankamen. Wie uns Ihre Frau berichtete, seien Sie bei Ihrer Ankunft direkt hungrig über den Kühlschrank hergefallen – nach einem halben Hähnchen gegen 19.30 Uhr wäre das wohl kaum der Fall gewesen. Und jetzt bin ich gespannt auf Ihre Ausreden, Herr Winkler.“
Roman Winkler leerte den Cognacschwenker in einem Zug. „Man muss wissen, wann man verloren hat.“, erklärte er gelassen. „Nur so kann man in Würde verlieren. Wenn ich bitte noch eben meinen Anwalt informieren dürfte? Danach stehe ich voll zu Ihrer Verfügung.“

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Freitag, 9. Juni 2017
Giftpfeile
Mit seinen Gedanken war er noch beim Cloud-Schießen. Er würde nie begreifen was die meditativen Typen an diesen Distanz-Schüssen fanden. Er zielte lieber auf Scheiben oder 3D-Figuren, wenn auch mit dem englischen Langbogen und nicht mit einem dieser seelenlosen Sportbögen aus Fiberglas. Er hatte auch gar nicht die Kraft, so weit durchzuziehen. Was ihn interessierte, war die Konzentration und Präzision, Tugenden die er sowohl in seiner beruflichen, als auch seiner ehrenamtlichen Tätigkeit benötigte. Dank dieses konzentrierten und präzisen Blickes, war ihm klar, dass diese ungepflegte, verhuschte, alternde Jugendmitarbeiterin viel zu teuer war, für das, was sie ablieferte. Er bekam keinen ausgeglichenen Haushalt hin, so lange diese Schmarotzer sich auf Kosten des Kirchensteuerzahlers in die Hängematte legten. Am Ende dieser Sitzung würde sie den Raum als Arbeitslose verlassen und dem Kirchenkreis ein paar rote Zahlen ersparen. Wie wichtigtuerisch sie ihren Bleistift aus der Federmappe kramte, um ihn dann doch nur ungenutzt auf den Tisch zu legen. Ihr Gesichtsausdruck war so finster, dass er sich fragte, welche düsteren Gedanken ihr wohl gerade durch den Kopf gingen.

- Diese kraftlosen, bleichen Arme, übersät mit unästhetischen Pigmentflecken. Mir ist jetzt noch schlecht vom fleischigen Händedruck seiner überdimensionierten Pranken. Der fleischbergige Finanzhansel sitzt bräsig da wie ein Sack Kartoffeln. Mir dreht sich der Magen um beim Anblick des aufgetriebenen Organverfettungsleibes, den er selbstgefällig wie eine kastrierte, alte Katze auf dem Schoß sitzen hat. Wie kann jemand, dem die freie Durchfahrt zur Schädelrückwand so offensichtlich auf die Stirn geschrieben steht, jemand, dessen dümmlich-wässrig blickende Augen durch die stillose Goldrandbrille glotzen, tatsächlich von der eigenen Genialität überzeugt sein? Warum strebt ein farblos dahinwelkender No-Name-Promovierter so unersättlich nach Macht über Dinge, mit denen er sich nicht auskennt? Weil er ein farblos dahinwelkender No-name-Promovierter ist und das auch schon war, als die anderen Jungs in seinem Alter noch voll im Saft standen und neben der in voller Blüte befindlichen Ehefrau und den wohlgestalteten, leistungsstarken Vorzeigekindern keine blutjunge Gelegenheit für den kleinen Hunger zwischendurch ausließen? Ich sollte meine Lebenszeit an keinen einzigen Gedanken in dieser Richtung verschwenden. Ein paar dunkle Gedanken und Feng-Shui-Giftpfeile sollten reichen, um ihm langfristig die Energie zu rauben. Er wäre nicht der Erste bei dem das klappt. Die glibbrige Wanderkröte hat am Ende auch die Flagge gestrichen. Hat nicht gewusst, dass ich dahinter stecke. Wird es auch nie erfahren. Ich lasse euch alle leiden. Jeden Einzelnen von Euch, der sich meinem Lebensglück in den Weg stellt. Ihr braucht dann keine Hölle mehr. Ihr habt sie schon. -

„Was ich immer noch nicht verstehe“, sagte der Jugendpfarrer, „ist dein Motiv. Du bist seit sechzehn Jahren bei uns, warst immer loyal und jetzt posaunst du plötzlich überall in der Gegend herum, der KSV haue dich übers Ohr. Dir muss doch klar sein, dass das Konsequenzen hat.“
„Ach ja? Und welche Konsequenzen hat es bitte schön, wenn Mittel, die ich durch Eigeninitiative und gute Ideen erwirtschaftet habe, um Ehrenamtlichen aus prekären Verhältnissen die Teilnahme an einer Qualitäts-Freizeit zu ermöglichen, in Haushaltslöchern verschwinden, die ich nicht zu verantworten habe?“
„Das kann ja gar nicht sein.“, meinte der Superintendent
„Nein, normalerweise kann so etwas gar nicht sein.“, gab Nicole von Behren ihm Recht.
„Jetzt werden Sie mal nicht unverschämt.“, meinte der Kirchmeister.
„Ich bin nicht unverschämt.“
„Jetzt lassen Sie uns das doch vernünftig klären.“, versuchte der Superintendent die Wogen zu glätten. „Wenn ich Sie richtig verstehe, Frau von Behren, dann haben Sie die hochkarätigen Sprachreisen organisiert und damit Mittel erwirtschaftet, aus denen sie Zuschüsse für andere Freizeiten gezahlt haben. Und diese Mittel stehen Ihnen jetzt nicht mehr zur Verfügung?“
„Genau so ist es.“
„Und wenn wir diese Summe aus Fördermitteln unserer Stiftung ausgleichen würden? Dann bekämen wir einen ausgeglichenen Haushalt hin und Ihre Arbeit wäre dennoch nicht gefährdet. Sie müssen nämlich wissen, dass wir die Stiftungsgelder nicht direkt in den Haushalt einstellen dürfen.“
„Aber mit Mitteln aus dem Jugendetat dürfen Sie das?“, fragte Nicole angriffslustig.
Der Kirchmeister mischte sich wieder ein: „Die Löcher, die wir stopfen, befinden sich ja im Jugendetat, das heißt, die Mittel werden keineswegs zweckentfremdet.“
„Das sind aber Löcher, die durch Gebäudekosten entstanden sind.“, hielt Nicole dagegen. „Sie verwechseln Äpfel mit Birnen. Sie plündern ja auch nicht die Chorkasse, um die Orgel zu reparieren.“
„Diesen Ton verbitte ich mir.“, entgegnete der Kirchmeister.
„Und ich verbitte mir derartige Eingriffe in meine Arbeit.“, erwiderte Nicole.
„Das steht Ihnen nicht zu.“, stellte der Superintendent energisch fest. „Wenn Sie sich auf die von mir vorgeschlagene Lösung einlassen können und in Zukunft den Ball flach halten und sich für den Fall, dass wieder mal ein Konflikt entsteht, an den Jugendpfarrer oder direkt an mich wenden, können Sie die Abmahnung in einem halben Jahr vergessen. Wäre Ihnen das möglich?“
„Wenn Sie die entsprechenden Mittel bereit stellen können, auf jeden Fall.“
„Gut, dann sind wir uns ja einig.“, beendete der Superintendent zufrieden die Diskussion.

So wortreich die Gedanken der Nicole von Behren zu Beginn der Sitzung waren, so kurz und schlicht waren sie zwei Stunden später: „Aua – ich kann nicht atmen – Scheiße – ich hätte Jasper gern noch einmal gesehen – Scheiße.“
Dann fiel sie krachend zu Boden. Sie hätte ihre Feng Shui-Giftpfeile nicht auf einen Bogenschützen richten sollen.

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Sonntag, 28. Mai 2017
Ein Gugelhupf für ein Gospelsolo
Das Chorwochenende kam ihr im Rückblick vor wie 14 Tage Robinson-Club. So intensiv, so voller Begegnungen und endlich hatte sie zeigen können, was in ihr steckte; ein ganzes langes Wochenende hindurch. Sie hatte gesehen, wie es allen durch Mark und Bein ging, als sie „I Will Follow Him“ zum Besten gegeben hatte.
Lilian hatte keine Zeit, sie musste sich auf eine Prüfung vorbereiten, darum hatte sie ihren Part übernommen und nach ihren Auftritten war sie ganz sicher gewesen, dass das junge Küken ihr nicht das Wasser reichen konnte.
Doch dann – am Sonntag Vormittag, kurz vor der Rückreise – hörte sie zufällig auf der Toilette ein Gespräch zwischen Beate und Gudula mit an:
„Ich bin ja heilfroh, wenn Lilian endlich ihre Prüfung hinter sich hat und wieder bei den Proben dabei ist.“, sagte Beate.
„Ach komm.“, erwiderte Gudula. „So schlecht hat Heike doch gar nicht gesungen. Für die Proben war das völlig okay.“
Solange Lilian da war, würde sie das Solo nicht singen können. Sie erklärte sich bereit, Lilian nachher die Noten vorbei zu bringen, die an diesem Wochenende neu dazugekommen waren, damit sie sich bis zur Probe am Dienstag Abend auf den neuesten Stand bringen konnte – ihre Prüfung stand Montag Mittag an. Wenn man so im Prüfungsstress war, konnte man einen saftigen Kuchen gebrauchen, von dem man sich von Zeit zu Zeit eine Scheibe abschneiden konnte. Sie zauberte ihren berühmten Mandel-Gugelhupf mit Bittermandelöl und echter Vanille – das Rezept veränderte sie nur um eine kleine, kaum wahrnehmbare Variante, von der sie sich aber eine große Wirkung versprach. Lilian würde sich am Dienstag krank melden und sie würde das Solo erneut singen. Irgendwann konnten sie es ihr einfach nicht mehr wegnehmen, schließlich waren sie nicht im gnadenlosen Show-Business unterwegs, sondern der Gospelchor einer evangelischen Kirchengemeinde, eine Gruppe, für die christliche Werte im Vordergrund standen.
Pünktlich zur Kaffeezeit stand sie vor Lilians Tür. Die junge Frau öffnete nach einer Weile. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, die Haare waren nicht gekämmt und sie war nachlässig gekleidet.
„Hallo Lilian, ich wollte dir schon einmal die Noten für Dienstag vorbei bringen und hier einen schönen Gugelhupf, damit du beim Lernen bei Kräften bleibst.“
„Oh, danke.“, antwortete Lilian. „Was ist denn da drin?“
„Eier, Butter, Zucker, Bittermandelöl, Vanillemark, Dinkelmehl, ungeschälte, gemahlene Mandeln, Backpulver und Milch.“
„Ja, super, danke. „Zucker und Fett ist ja gut für die Nerven.“
„Ja, und Mandeln sind basisch, damit du nicht übersäuerst. Und als Belohnung nach der Prüfung ist das ja auch das Richtige. So ein Gugelhupf hält sich ja ein paar Tage.“
„Toll. Du ich würde dich ja gerne zum Kaffee einladen, aber...“
„Nein, nein, du sollst ja lernen. Und ich habe auch überhaupt keine Zeit. Ich muss ja erst einmal die Wäsche vom Wochenende waschen. Viel Glück morgen und dann bis Dienstag.“
„Ja, danke. Bis Dienstag. Tschüss.“
Sie rieb sich die Hände: „Heute back ich, morgen wart ich, übermorgen singe ich der Lilian ihr Lied – ach wie gut dass niemand weiß, in welchen Kuchen sie gleich beißt.“

Am Montag nach der Arbeit putzte sie ihre Wohnung gründlich – schließlich hatte sie am Wochenende keine Zeit gehabt und es lenkte sie ein wenig von der Aufregung ab – so ganz risikolos war ihr kleiner Anschlag nicht gewesen. Man könnte ihr auf die Schliche kommen und dann wäre alle Hoffnung auf das Solo vergebens.

Dienstag Abend. Nach und nach trudelten alle ein. Wie sie erwartet hatte, tauchte Lilian nicht auf. Aber sie hatte sich bei niemandem abgemeldet. Sie erschien einfach nicht. Vielleicht war die Wirkung so durchschlagend, dass sie gar nicht mehr vom Klo herunterkam. Vielleicht hatte sie es nicht einmal mehr zur Prüfung geschafft und hatte sich frustriert zu Hause eingeigelt. Aber darüber musste sie sich nicht den Kopf zerbrechen. So ein junges, hübsches, talentiertes Ding wie Lilian bekam immer mehr als eine zweite Chance, das bräche ihr nicht das Genick.
Sie sang das Solo und in der Gewissheit, dass es ihr niemand mehr streitig machen würde, quoll ihr Brustkorb über vor Inbrunst.

Nach der Probe erklärte Beate: „Ich fahre noch mal eben bei Lilian vorbei und sehe nach dem rechten. Hoffentlich ist mit der Prüfung gestern alles gut gegangen.“
„Vielleicht feiert sie immer noch.“, erwiderte Gudula, „und hat die Chorprobe darüber ganz vergessen."

Am Mittwoch hatte sie Schwierigkeiten, sich bei der Arbeit zu konzentrieren. Sie hatte unruhig geschlafen, war immer wieder aus wilden Träumen aufgewacht, an die sie sich nicht erinnern konnte. Und jetzt schwankte sie zwischen Euphorie, wegen des sicheren Solos und einer diffusen Angst, dass da irgendetwas aus dem Ruder lief.

Sie hatte sich gerade einen Kaffee gekocht, da klingelte es an der Wohnungstür. Gudula stand dort und ihre Augen bewegten sich unruhig. „Du, die Lilian ist gestorben.“
Die Nachricht erreichte zuerst ihren Nacken, ging von dort auf direktem Weg zum Solar Plexus und wanderte dann langsam übers Rückenmark unter ihre Schädeldecke. Die Rechenleistung ihrer Neuronen erwies sich als schwer verlangsamt. Das passte nicht zusammen. Rizinusöl brachte niemanden um, es täuschte im schlimmsten Fall einen schweren Magen-Darm-Infekt vor. Es musste einen anderen Grund geben. Ihr Kuchen hatte nichts damit zu tun. Schließlich erwiderte sie: „Aber wie kann das sein? Sie war doch jung und gesund.“
„Ihr Freund hat sie Montag Nachmittag in der Wohnung gefunden. Er wollte sie von der Prüfung abholen, doch da war sie nicht aufgetaucht. Darum ist er zu ihr nach Hause, er hatte einen eigenen Schlüssel. Sie lag im Wohnzimmer. Der Arzt hat dann festgestellt, dass sie schon seit Sonntag Nachmittag tot war. Sie hatte einen anaphylaktischen Schock.“
„Wogegen war sie denn allergisch?“
„Gegen Haselnüsse.“
„Aber das wird sie doch gewusst haben.“
„Sicher, aber sie hat wohl von einem Kuchen gegessen, der Haselnüsse enthielt. Vielleicht hat sie das nicht gewusst.“
„Mein Gott, wie furchtbar.“
„Ja, furchtbar. Du ich muss jetzt weiter, ich wollte noch ein paar Leuten Bescheid sagen. Wir sehen uns dann am Sonntag.“
„Ja natürlich.“
Gudula ging die Treppe herunter. Sie schloss die Tür. Haselnüsse. Sie hatte gemahlene Mandeln in den Kuchen getan. Hatten die vielleicht Spuren von Nüssen enthalten? Aber wenn das so gefährlich war, hätte Lilian doch niemals... Sie öffnete den Deckel der Wertstofftonne. Da lag noch das ganze Verpackungsmaterial von Sonntag. Sie fischte die Mandeltüten aus dem Eimer. „Sunmaid“ stand darauf. „Gemahlene Haselnüsse“.

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