Freitag, 14. März 2025
2nd Spoiler 13
c. fabry, 00:00h
1981
In der zweiten Klasse kamen zwei Jungen dazu, die das Schuljahr wiederholen mussten und es ergab sich, dass Sigrid neben einem von ihnen saß: Raimund Ramöller. Er war ein stiller, schüchterner Junge, der jedes Mal den Kopf einzog, wenn die Lehrerin, Frau Heinrich ihn ansprach. Sigrid empfand Mitleid mit ihm, denn er hatte sich schließlich nicht ausgesucht, dass er im Unterricht nicht so mitkam und deshalb ein Jahr wiederholen musste. Sie fragte, ob er in der Pause Zielschießen mit Stöckchen spielen wolle und er war dabei. Beide hatten so viel Spaß daran, dass sie eine Gewohnheit daraus machten und sich nebenbei Witze erzählten. Sigrid kannte die besten; zumindest lachte Raimund so herzerfrischend darüber, dass das Mädchen innerlich bei jeder gezündeten Pointe ein Stück größer wurde. Weiter wuchs sie, als Raimund sie zum Klettern auf die einzeln stehenden Bäume animierte und sie ihr Talent entdeckte. Schrammen auf der Haut und grüne Streifen in der Kleidung waren ihr dabei vollkommen egal. Und zum Glück schaffte Renate es, über den Mehraufwand in der Waschküche großzügig hinwegzusehen.
Die Freundschaft zwischen den beiden Kindern schien sich zu festigen. Es war ein sonniger Morgen Anfang September, als Renate beim Frühstück verkündete: „Die neuen Kartoffeln sind gekommen. Ich backe heute Reibeplätzchen.“
„Oh, das ist toll!“, rief Sigrid begeistert. „Mit Zucker?“
„Vor allem mit Apfelmus.“
„Das ist auch lecker.“
In der großen Pause sprach Sigrid Raimund an: „Komm doch nach der Schule mit zu uns. Meine Mama macht heute Reibeplätzchen, die werden nie alle, da kannst du welche mitessen und die sind echt lecker. Und bis die fertig sind, können wir noch ein bisschen spielen und danach auch.“
„Au ja!“, jubelte Raimund. „Reibeplätzchen sind mein Lieblingsessen.“
Es duftete schon aus der Küche. Oma Hildegard stand am Herd und Sigrid kündigte ihren Überraschungsgast an. „Wie schön!“, erwiderte Hildegard. „Dann mache ich ein paar mehr. In einer halben Stunde sind sie fertig.“
Sigrid lotste Raimund zum Spielen auf die Apfelwiese, wo die meisten Früchte noch auf den Bäumen hingen und der reichen Ernte entgegenreiften. Sie lud Raimund ein, ihr Schaukelbrett zu testen und gab ihm Anschwung. Sie wechselten sich ab und Raimund konnte viel kräftiger schubsen als all ihre Freundinnen. Es machte großen Spaß, so plötzlich in die Höhe zu schnellen und mit den Zehenspitzen auf die Äpfel zu zielen.
Dann rief die Oma zum Essen. Der erste Puffer musste mit Apfelmus bedeckt sein. Danach war der weiße Streuzucker erlaubt, der in einem großen Porzellantopf auf dem Tisch stand. Sigrid staunte nicht schlecht, was in Raimunds Bauch alles hineinging. Ihr Ehrgeiz wurde geweckt 7und sie gab alles, um sich nicht abhängen zu lassen. Die ersten süßen Kartoffelpfannkuchen glitten nur so über die Zunge, bald wurde es mühsam, nachzulegen und schließlich gaben beide auf. Raimund führte mit 15 zu 13, aber Sigrid konnte einfach nicht mehr.
Plötzlich erschien Ingrid Ramöller in der Tür, Raimunds Mutter. Sie machte kein freundliches Gesicht und Sigrid erschien sie irgendwie teigig und aus der Form geraten. Raimund starrte sie mit offenem Mund und hoch gezogenen Schultern an. Ingrid streckte ungeduldig die Hand aus und herrschte ihren Sohn an: „Raimund, du kommst jetzt sofort hier her!“
Ängstlich rutschte Raimund von der Küchenbank und ging auf seine Mutter zu. Die zog ihn ins Wohnzimmer, um von da aus in den Flur und nach draußen zu verschwinden. Auf einmal machte Raimund ein undefinierbares Geräusch und das gesamte Mittagessen schoss in hohem Bogen aus seinem Hals und verteilte sich auf dem Teppich.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, dich so zu überfressen?“, schimpfte seine Mutter und zerrte ihn nach draußen. „Ich komme gleich wieder und mach das weg.“, rief sie beim Hinausgehen.
„Nicht nötig.“, rief Hildegard. „Versorg lieber dein krankes Kind. Wir schaffen das schon.“
Mutter und Oma machten sich direkt ans Werk, trugen die groben Brocken ab, saugten die Flüssigkeit mit Schwämmen auf und verteilten dann Natronlauge zum Einweichen und späterem Abtupfen.
„Der arme Junge.“, stöhnte Renate. „Darf nicht einmal nach Herzenslust essen, was ihm gut schmeckt.“
„Ach“, erwiderte Hildegard, „Ingrid hat sich sicher Sorgen gemacht, weil er von der Schule nicht nach Hause gekommen ist. Ich hätte anrufen sollen. Daran habe ich nicht gedacht.“
„Trotzdem muss man ein kleines Kind nicht so einschüchtern.“, erwiderte Renate.
„Das kannst di aber auch ganz gut.“, hielt Hildegard dagegen.
„Sigrid“, wandte sich Renate hilfesuchend an ihre Tochter, „hab ich dir schon mal so doll Angst gemacht, dass du brechen musstest?“
Sigrid schüttelte den Kopf.
„Vielleicht waren es einfach zu viele Reibeplätzchen. Also lass gut sein.“, meinte Hildegard.
Raimund besuchte Sigrid nie wieder und wurde auch in der Schule wortkarger. Sie fand das schade, fand sich aber schnell damit ab, denn es gab genug andere Spielkameraden und -kameradinnen.
In der zweiten Klasse kamen zwei Jungen dazu, die das Schuljahr wiederholen mussten und es ergab sich, dass Sigrid neben einem von ihnen saß: Raimund Ramöller. Er war ein stiller, schüchterner Junge, der jedes Mal den Kopf einzog, wenn die Lehrerin, Frau Heinrich ihn ansprach. Sigrid empfand Mitleid mit ihm, denn er hatte sich schließlich nicht ausgesucht, dass er im Unterricht nicht so mitkam und deshalb ein Jahr wiederholen musste. Sie fragte, ob er in der Pause Zielschießen mit Stöckchen spielen wolle und er war dabei. Beide hatten so viel Spaß daran, dass sie eine Gewohnheit daraus machten und sich nebenbei Witze erzählten. Sigrid kannte die besten; zumindest lachte Raimund so herzerfrischend darüber, dass das Mädchen innerlich bei jeder gezündeten Pointe ein Stück größer wurde. Weiter wuchs sie, als Raimund sie zum Klettern auf die einzeln stehenden Bäume animierte und sie ihr Talent entdeckte. Schrammen auf der Haut und grüne Streifen in der Kleidung waren ihr dabei vollkommen egal. Und zum Glück schaffte Renate es, über den Mehraufwand in der Waschküche großzügig hinwegzusehen.
Die Freundschaft zwischen den beiden Kindern schien sich zu festigen. Es war ein sonniger Morgen Anfang September, als Renate beim Frühstück verkündete: „Die neuen Kartoffeln sind gekommen. Ich backe heute Reibeplätzchen.“
„Oh, das ist toll!“, rief Sigrid begeistert. „Mit Zucker?“
„Vor allem mit Apfelmus.“
„Das ist auch lecker.“
In der großen Pause sprach Sigrid Raimund an: „Komm doch nach der Schule mit zu uns. Meine Mama macht heute Reibeplätzchen, die werden nie alle, da kannst du welche mitessen und die sind echt lecker. Und bis die fertig sind, können wir noch ein bisschen spielen und danach auch.“
„Au ja!“, jubelte Raimund. „Reibeplätzchen sind mein Lieblingsessen.“
Es duftete schon aus der Küche. Oma Hildegard stand am Herd und Sigrid kündigte ihren Überraschungsgast an. „Wie schön!“, erwiderte Hildegard. „Dann mache ich ein paar mehr. In einer halben Stunde sind sie fertig.“
Sigrid lotste Raimund zum Spielen auf die Apfelwiese, wo die meisten Früchte noch auf den Bäumen hingen und der reichen Ernte entgegenreiften. Sie lud Raimund ein, ihr Schaukelbrett zu testen und gab ihm Anschwung. Sie wechselten sich ab und Raimund konnte viel kräftiger schubsen als all ihre Freundinnen. Es machte großen Spaß, so plötzlich in die Höhe zu schnellen und mit den Zehenspitzen auf die Äpfel zu zielen.
Dann rief die Oma zum Essen. Der erste Puffer musste mit Apfelmus bedeckt sein. Danach war der weiße Streuzucker erlaubt, der in einem großen Porzellantopf auf dem Tisch stand. Sigrid staunte nicht schlecht, was in Raimunds Bauch alles hineinging. Ihr Ehrgeiz wurde geweckt 7und sie gab alles, um sich nicht abhängen zu lassen. Die ersten süßen Kartoffelpfannkuchen glitten nur so über die Zunge, bald wurde es mühsam, nachzulegen und schließlich gaben beide auf. Raimund führte mit 15 zu 13, aber Sigrid konnte einfach nicht mehr.
Plötzlich erschien Ingrid Ramöller in der Tür, Raimunds Mutter. Sie machte kein freundliches Gesicht und Sigrid erschien sie irgendwie teigig und aus der Form geraten. Raimund starrte sie mit offenem Mund und hoch gezogenen Schultern an. Ingrid streckte ungeduldig die Hand aus und herrschte ihren Sohn an: „Raimund, du kommst jetzt sofort hier her!“
Ängstlich rutschte Raimund von der Küchenbank und ging auf seine Mutter zu. Die zog ihn ins Wohnzimmer, um von da aus in den Flur und nach draußen zu verschwinden. Auf einmal machte Raimund ein undefinierbares Geräusch und das gesamte Mittagessen schoss in hohem Bogen aus seinem Hals und verteilte sich auf dem Teppich.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, dich so zu überfressen?“, schimpfte seine Mutter und zerrte ihn nach draußen. „Ich komme gleich wieder und mach das weg.“, rief sie beim Hinausgehen.
„Nicht nötig.“, rief Hildegard. „Versorg lieber dein krankes Kind. Wir schaffen das schon.“
Mutter und Oma machten sich direkt ans Werk, trugen die groben Brocken ab, saugten die Flüssigkeit mit Schwämmen auf und verteilten dann Natronlauge zum Einweichen und späterem Abtupfen.
„Der arme Junge.“, stöhnte Renate. „Darf nicht einmal nach Herzenslust essen, was ihm gut schmeckt.“
„Ach“, erwiderte Hildegard, „Ingrid hat sich sicher Sorgen gemacht, weil er von der Schule nicht nach Hause gekommen ist. Ich hätte anrufen sollen. Daran habe ich nicht gedacht.“
„Trotzdem muss man ein kleines Kind nicht so einschüchtern.“, erwiderte Renate.
„Das kannst di aber auch ganz gut.“, hielt Hildegard dagegen.
„Sigrid“, wandte sich Renate hilfesuchend an ihre Tochter, „hab ich dir schon mal so doll Angst gemacht, dass du brechen musstest?“
Sigrid schüttelte den Kopf.
„Vielleicht waren es einfach zu viele Reibeplätzchen. Also lass gut sein.“, meinte Hildegard.
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c. fabry,
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