Samstag, 19. Oktober 2024
2nd Spoiler 5
c. fabry, 00:21h
1965
Die Narzissen standen in voller Pracht, als zu diesem späten Osterfest die Glocken läuteten. Als zwei Wochen später die Konfirmationen gefeiert wurden, waren die Tulpen schon draußen. Dies macht Hildegard sich bei der Tischdekoration für Renates Fest zunutze.
Es war praktisch den eigenen Gasthof für diesen Tag zur Verfügung zu haben, obwohl es einen nicht unerheblichen Verdienstausfall bedeutete, wenn auch nicht die kulinarische Ausrichtung anderer Konfirmationsfeiern, denn das war zu dieser Zeit auf dem Land noch nicht üblich.
Hildegard hatte sich Hilfe aus der Verwandtschaft geholt und so ein formidables Mittagessen und viele ansehnliche, wohlschmeckende Torten aufs Buffet gezaubert.
Es wurde ein fröhliches Fest, bei dem es auch ein paar Geschenke gab, über die Renate sich freute – wenn es sich auch überwiegend um Wäsche für die Aussteuer handelte. Aber tatsächlich war auch ein Plattenspieler und eine erste Langspielplatte dabei: Die Beatles, für die Renate seit kurzem schwärmte.
Verwandte und Freunde der Familie unterhielten sich zwar mehr untereinander als mit der Konfirmandin, aber diesen Umgang war das Mädchen gewohnt wie die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ihrer Generation. Dafür gab es Vetter und Cousinen, mit denen sie sich gut unterhalten konnte. In dieser ausgelassenen Atmosphäre wurde zünftig getrunken, wobei auch Heinrich sich keineswegs zurückhielt. Es ging überaus lustig zu und erst gegen Abend gingen die letzten Gäste nach Hause.
Als es nun ans unliebsame Aufräumen ging, kippte die Laune des betrunkenen Vaters von ausgelassen nach reizbar. Er wurde Renate gegenüber ausfallend und beleidigend. „Mach Platz da! Du machst ja mit deinen beiden linken Händen mehr kaputt als ich mit meiner rechten!“
Eingeschüchtert und vollkommen verunsichert stolperte die vierzehnjährige Renate, die eben noch von allen gefeiert worden war wie ein geprügelter Hund zwischen den Stühlen umher. Heinrich wurde mit jeder ihrer Reaktionen ausfallender und lauter. Hildegard nahm ihre Tochter beiseite und erklärte: „Der Papa ist nicht er selbst, das ist morgen wieder gut. Pass mal auf. Die Carola hat ihr Geschenk noch noch gar nicht. Zieh du dir doch eben eine Hose an und eine Jacke über und bring es ihr. Bestell ihr schöne Grüße von uns und sag, dass ich auch alle Hände voll zu tun hab, weil morgen ja noch die Nachbarn zum Kaffee kommen. Und jetzt ab mit dir!“
Renate kleidete sich um, griff das verpackte Geschenk, das auf dem Schuhschrank neben der Garderobe bereit lag, holte ihr Rad aus der Scheune und machte sich auf den Weg. Ihren Tränen ließ sie dabei freien Lauf. Nach den acht Kilometern, die sie bis nach Theenhausen unterwegs war, wären sie getrocknet.
Doch die Bäche auf ihren Wangen wollten einfach nicht versiegen. Immer wieder sprudelten neue Quellen des Schmerzes hervor und dabei spielten nicht nur die jüngsten Verletzungen eine Rolle, sondern auch die längst vergangenen und fast vergessenen. Immer wieder bekam sie aufs Neue um die Ohren gehauen, dass sie versagt hatte, nicht genug war, dass sie ihren Vater enttäuscht hatte, egal, wie sehr sich sich bemühte, alles richtig zu machen.
Als sie nach einer halben Stunde bei ihrer Verwandtschaft in Theenhausen eintrudelte, wo ihre Cousine Carola ebenfalls Konfirmation gefeiert hatte, war ihr Gesicht rotfleckig und verquollen.
„Was ist passiert, Renate?“, fragte Tante Margret besorgt, doch Renate schluchzte nur und sagte: „Nichts.“, denn sie wusste nicht, wie sie sich erklären sollte, ohne ihren Vater erneut gegen sich aufzubringen.
„Aber man weint doch nicht so schrecklich wegen nichts.“
„Ach, ich hab‘ nur über traurige Dinge nachgedacht.“, erklärte Renate. „Das geht gleich wieder. Ich wollte Carola ihr Konfirmationsgeschenk bringen, weil wir ja heute Morgen keine Zeit hatten, weil wir selbst in der Kirche waren. Und schöne Grüße von Mama und Papa, die haben so viel zu tun, weil morgen ja noch die Nachbarn kommen.“
„Ja, natürlich.“, sagte die Tante. „Jetzt zieh aber mal deine Jacke aus und iss Abendbrot mit uns, bevor du die lange Strecke zurück strampelst.“
„Nee, das geht nicht.“, erklärte Renate. „Es wird ja bald dunkel und mein Rücklicht ist kaputt und zu Hause warten sie ja auch mit dem Abendbrot.“
„Na, dann nimm wenigstens dein Geschenk und eine Tafel Schokolade mit.“, sagte Tante Margret. Falls dir unterwegs die Puste ausgeht. Willst du nicht wenigstens ein Glas Sprudel trinken?“
„Nein, Danke.“, sagte Renate und winkte Carola zu, die mittlerweile in der Tür stand.
„Herzlichen Glückwunsch.“, sagte sie.
„Gleichfalls.“, erwiderte Carola.
„Ich muss los.“, sagte Renate und ging eilig zu ihrem Rad. Bevor sie ausstieg, fiel ihr noch etwas ein: „Tante Margret“, sagte sie, „sag Mama und Papa bitte nichts davon, dass ich geheult habe. Die denken dann, dass wunders was los ist und machen mir die Hölle heiß. Es ist aber alles in Ordnung. Ich habe nur an was Trauriges gedacht, was ich geelesen habe.“
„Ist in Ordnung, Renate.“, erwiderte Margret und blickte dem eilig davon radelnden Mädchen nachdenklich hinterher.
„Weißt du, was mit Renate los ist?“, fragte sie ihre Tochter.
„Nee.“, sagte die. „Die will sich bestimmt nur wichtig machen. Wenn es mal nicht so läuft, wie sie will, macht sie Drama. Einfach nicht beachten.“
Carola schlurfte zurück ins Haus und öffnete ihr Geschenk. „Noch ein Badetuch.“, seufzte sie und legte es zu den anderen.
Die Narzissen standen in voller Pracht, als zu diesem späten Osterfest die Glocken läuteten. Als zwei Wochen später die Konfirmationen gefeiert wurden, waren die Tulpen schon draußen. Dies macht Hildegard sich bei der Tischdekoration für Renates Fest zunutze.
Es war praktisch den eigenen Gasthof für diesen Tag zur Verfügung zu haben, obwohl es einen nicht unerheblichen Verdienstausfall bedeutete, wenn auch nicht die kulinarische Ausrichtung anderer Konfirmationsfeiern, denn das war zu dieser Zeit auf dem Land noch nicht üblich.
Hildegard hatte sich Hilfe aus der Verwandtschaft geholt und so ein formidables Mittagessen und viele ansehnliche, wohlschmeckende Torten aufs Buffet gezaubert.
Es wurde ein fröhliches Fest, bei dem es auch ein paar Geschenke gab, über die Renate sich freute – wenn es sich auch überwiegend um Wäsche für die Aussteuer handelte. Aber tatsächlich war auch ein Plattenspieler und eine erste Langspielplatte dabei: Die Beatles, für die Renate seit kurzem schwärmte.
Verwandte und Freunde der Familie unterhielten sich zwar mehr untereinander als mit der Konfirmandin, aber diesen Umgang war das Mädchen gewohnt wie die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ihrer Generation. Dafür gab es Vetter und Cousinen, mit denen sie sich gut unterhalten konnte. In dieser ausgelassenen Atmosphäre wurde zünftig getrunken, wobei auch Heinrich sich keineswegs zurückhielt. Es ging überaus lustig zu und erst gegen Abend gingen die letzten Gäste nach Hause.
Als es nun ans unliebsame Aufräumen ging, kippte die Laune des betrunkenen Vaters von ausgelassen nach reizbar. Er wurde Renate gegenüber ausfallend und beleidigend. „Mach Platz da! Du machst ja mit deinen beiden linken Händen mehr kaputt als ich mit meiner rechten!“
Eingeschüchtert und vollkommen verunsichert stolperte die vierzehnjährige Renate, die eben noch von allen gefeiert worden war wie ein geprügelter Hund zwischen den Stühlen umher. Heinrich wurde mit jeder ihrer Reaktionen ausfallender und lauter. Hildegard nahm ihre Tochter beiseite und erklärte: „Der Papa ist nicht er selbst, das ist morgen wieder gut. Pass mal auf. Die Carola hat ihr Geschenk noch noch gar nicht. Zieh du dir doch eben eine Hose an und eine Jacke über und bring es ihr. Bestell ihr schöne Grüße von uns und sag, dass ich auch alle Hände voll zu tun hab, weil morgen ja noch die Nachbarn zum Kaffee kommen. Und jetzt ab mit dir!“
Renate kleidete sich um, griff das verpackte Geschenk, das auf dem Schuhschrank neben der Garderobe bereit lag, holte ihr Rad aus der Scheune und machte sich auf den Weg. Ihren Tränen ließ sie dabei freien Lauf. Nach den acht Kilometern, die sie bis nach Theenhausen unterwegs war, wären sie getrocknet.
Doch die Bäche auf ihren Wangen wollten einfach nicht versiegen. Immer wieder sprudelten neue Quellen des Schmerzes hervor und dabei spielten nicht nur die jüngsten Verletzungen eine Rolle, sondern auch die längst vergangenen und fast vergessenen. Immer wieder bekam sie aufs Neue um die Ohren gehauen, dass sie versagt hatte, nicht genug war, dass sie ihren Vater enttäuscht hatte, egal, wie sehr sich sich bemühte, alles richtig zu machen.
Als sie nach einer halben Stunde bei ihrer Verwandtschaft in Theenhausen eintrudelte, wo ihre Cousine Carola ebenfalls Konfirmation gefeiert hatte, war ihr Gesicht rotfleckig und verquollen.
„Was ist passiert, Renate?“, fragte Tante Margret besorgt, doch Renate schluchzte nur und sagte: „Nichts.“, denn sie wusste nicht, wie sie sich erklären sollte, ohne ihren Vater erneut gegen sich aufzubringen.
„Aber man weint doch nicht so schrecklich wegen nichts.“
„Ach, ich hab‘ nur über traurige Dinge nachgedacht.“, erklärte Renate. „Das geht gleich wieder. Ich wollte Carola ihr Konfirmationsgeschenk bringen, weil wir ja heute Morgen keine Zeit hatten, weil wir selbst in der Kirche waren. Und schöne Grüße von Mama und Papa, die haben so viel zu tun, weil morgen ja noch die Nachbarn kommen.“
„Ja, natürlich.“, sagte die Tante. „Jetzt zieh aber mal deine Jacke aus und iss Abendbrot mit uns, bevor du die lange Strecke zurück strampelst.“
„Nee, das geht nicht.“, erklärte Renate. „Es wird ja bald dunkel und mein Rücklicht ist kaputt und zu Hause warten sie ja auch mit dem Abendbrot.“
„Na, dann nimm wenigstens dein Geschenk und eine Tafel Schokolade mit.“, sagte Tante Margret. Falls dir unterwegs die Puste ausgeht. Willst du nicht wenigstens ein Glas Sprudel trinken?“
„Nein, Danke.“, sagte Renate und winkte Carola zu, die mittlerweile in der Tür stand.
„Herzlichen Glückwunsch.“, sagte sie.
„Gleichfalls.“, erwiderte Carola.
„Ich muss los.“, sagte Renate und ging eilig zu ihrem Rad. Bevor sie ausstieg, fiel ihr noch etwas ein: „Tante Margret“, sagte sie, „sag Mama und Papa bitte nichts davon, dass ich geheult habe. Die denken dann, dass wunders was los ist und machen mir die Hölle heiß. Es ist aber alles in Ordnung. Ich habe nur an was Trauriges gedacht, was ich geelesen habe.“
„Ist in Ordnung, Renate.“, erwiderte Margret und blickte dem eilig davon radelnden Mädchen nachdenklich hinterher.
„Weißt du, was mit Renate los ist?“, fragte sie ihre Tochter.
„Nee.“, sagte die. „Die will sich bestimmt nur wichtig machen. Wenn es mal nicht so läuft, wie sie will, macht sie Drama. Einfach nicht beachten.“
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c. fabry,
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