Donnerstag, 12. September 2024
2nd Spoiler 1
Werte Lesende,
hier folgt nun die Reihe der zweiten Recherche zu meinem aktuellen Buchprojekt. Familie Vollweiter/Ramöller ist abgeschlossen. Nun wird es um Familie Bierhoff/Husemann gehen. Das Gegenmodell. Hoffentlich haben Sie Freude beim Lesen.

Danach wird es wieder die üblichen Kurzkrimis geben.

1955
Hildegard Bierhoff holte tief Luft. Seit zehn Jahren war der Krieg nun vorbei. Und noch immer quälten die Folgen ihren Mann, würden dies bis ans Ende seines Lebens tun, zumindest körperlich, denn er hatte seinen linken Arm verloren.
Sie selbst war gerade fünfzehn Jahre alt gewesen, Hildegard Temming, fröhlich, lebenslustig, jüngste Tochter von einem stattlichen Bauernhof.
Als die jungen Männer heimkehrten, rührte der ein-und-zwanzig-jährige Heinrich vom Gasthof ihr großes Herz an, obwohl er sie, versunken in innerer Dunkelheit, keines Blickes gewürdigt hatte.
Sie hatte gegen Kriegsende angefangen gegen schmale Bezahlung im Gasthof auszuhelfen, mehr aus dem Willen, zu unterstützen, denn aus Geldnot. Ferdinand Bierhoff, der einstige Herr im Haus, war in Frankreich gefallen und vom einzigen Sohn war bereits die Nachricht seiner Kriegsverletzung durchs ganze Dorf gegangen. Mutter und Tochter waren allein und mussten den Betrieb aufrechterhalten. So half die junge Hildegard und für die schweren Arbeiten sprangen Männer aus der Nachbarschaft ein.

Den traurigen Heinrich empfand Hildegard als Herausforderung und über eine Zeit von mehreren Jahren zauberte sie immer häufiger ein Lächeln auf sein Gesicht, später fröhliches Lachen und schließlich Liebe in sein Herz.
Doch die finsteren Tage und Blicke, die Reizbarkeit und Unbeherrschtheit verschwanden nie ganz. Sie kehrten regelmäßig zurück und machten Heinrich aus, wie sein Lachen und seinen fehlenden linken Arm.

1949 hatten sie geheiratet, 1951 war die gemeinsame Tochter Renate zur Welt gekommen. Heinrich hatte Stolz und Freude empfunden, Zuversicht und Lebensmut beim Anblick seines neu geborenen Kindes. Aber als Hildegard feststellte, dass auch ein kleines Mädchen nicht dauerhaft die dunklen Wolken vertreiben konnte, sondern im Gegenteil den väterlichen Gewitterstürmen regelmäßig ausgesetzt war, hatte Hildegard entschieden, dass keine weiteren Kinder folgen sollten. Sie würde alles tun, um dieses eine Mädchen zu umsorgen, zu lieben und zu beschützen, das würde ihre gesamte Kraft erfordern.

Gerade eben hatte er wieder getobt, weil sie versäumt hatte, ein neues Bierfass anzuschließen, weil sie Renates Puppe repariert hatte, die außer sich gewesen war, weil ihr geliebtes Baby beschädigt gewesen war. Heinrich hatte gebrüllt: „Wegen so einem albernen Kinderkram die wichtigen Arbeiten vergessen, das kann ja wohl nicht wahr sein!“ Er hatte voll Wut gegen die Küchentür getreten und Renate hatte vor Angst gezittert, auch wenn sie einen derartigen Kontrollverlust nicht zum ersten Mal erlebte.
Hildegard nahm Renate auf den Arm: „Wollen wir mit deiner Liese mal zu Tante Edeltraud gehen und euch beiden einen Lutscher kaufen?“
Renate nickte mit großen Augen und Hildegard floh mit ihrer Tochter nach draußen. Bis sie zurück waren, würde Heinrich das Fass selbst angesteckt und sich beruhigt haben. Und sie würde ihm eine seiner Lieblingszigarren mitbringen und ihn in den Arm nehmen. Und Renate würde sehen, dass alles gut war; zwischen ihren Eltern und überhaupt.

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