Samstag, 13. April 2024
Spoiler 22
c. fabry, 15:06h
1997
Mehr als 24 Jahre war Raimund Ramöller nun schon auf der Welt, führte nahezu selbstständig einen Bauernhof, die die Mutter ihm beizeiten überschreiben würde, war erfolgreich, fleißig und stark und saß nun in den Startlöchern für den nächsten Schritt. Eine feste Partnerin war jedoch nicht in Sicht. Er lebte nicht in den Fünfzigern, wo er mit einem ordentlich geführten und reichlich ausgestatteten Hof noch eine gute Partie abgegeben hätte. Es brauchte mehr als wirtschaftliche Sicherheit. Raimund war bei der Weiblichkeit in der Umgebung als liebloser Rüpel verschrien, der ohne jegliche Empathie nur sein eigenes Vergnügen suchte. Ebenso hielt sich seine körperliche Attraktivität in Grenzen: die definierten Muskeln saßen nicht an den richtigen Stellen und aus dem vierschrötigen Bauerngesicht blickten nicht gerade die elektrisierenden Augen eines Brad Pitt.
Alle Zelt- und Spritzenhausfeste der vergangenen drei Jahre waren ergebnislos für ihn verlaufen, ihm blieben weiterhin nur harte Arbeit und Männerabende, sonst nichts. Doch sollte ihm ein gänzlich anderer ruraler Brauch in seinem 24. Frühling weiterhelfen. Die Landjugend übernahm in diesem Jahr die Wache beim Osterfeuer und Heike Sommer brachte ihre Schulfreundin Astrid aus Halle mit. Sie fiel ihm sofort auf, gertenschlank und vorteilhaft gekleidet wie sie war in ihrer Boyfriend-Jeans mit dem breiten Ledergürtel, der unter dem lässigen Kurzpulli hervor lugte.
Er machte ein paar unverfängliche Scherze, nahm neben ihr auf einem Strohballen Platz und fragte neugierig, wer sie sei und was sie so mache.
Astrid war 19 Jahre alt, schloss gerade ihre Ausbildung in der Krankenpflege ab, lebte noch bei ihren Eltern, plante jedoch, in Kürze mit einer Freundin zusammen zu ziehen, gern auf dem Land, weil die bezahlbaren Wohnungen hier oft großzügiger geschnitten waren und man sich in der Ruhe und Abgeschiedenheit besser von dem turbulenten Berufsalltag regenerieren konnte.
Sie betrachtete Raimund nicht mit der gewohnten Herablassung, hörte ihm aufmerksam zu, lachte über seine ausgewählten, harmlosen Witze, die er mit Bedacht gegen die üblichen derben Späße austauschte, um es nicht zu vermasseln. Er trank auch wenig Alkohol, um die Kontrolle zu behalten. Zum ersten Mal seit seiner Kindheit hatte er so ein tiefschürfendes und freundliches Gespräch mit einem weiblichen Wesen geführt. In der Nacht ging sein Kopf auf Reisen in triefend kitschige Kulissen, aber auch in seine reale Umgebung, jedoch niemals allein, sondern immer mit Astrid.
Sie trafen sich schon bald darauf wieder, beim Tanz in den Mai, tanzten, scherzten, tranken, kamen sich näher. Es folgten Freizeitaktivitäten mit ausgewählten Mitgliedern der Landjugend: Bowling, Kartbahn, Spaßbad, sowie ein gemischter Himmelfahrtsausflug.
Im Juni ließ er es krachen und feierte eine Garagenparty, um den 24. Geburtstag vom unwirtlichen Februar in den lauen Frühsommer zu verlegen. Natürlich war Astrid ebenfalls eingeladen und natürlich nahm sie die Einladung an. Und praktischerweise blieb sie über Nacht. Er hielt sich dennoch zurück, drängte sich ihr nicht auf, um seine Chancen nicht zu verspielen. Am nächsten Morgen zeigte er ihr sein Elternhaus und sprach von seinen Umbauplänen für die Zukunft. Sie war äußerst interessiert, machte Vorschläge, empfahl ihm dieses und riet von jenem ab. Er war hingerissen. Als sie heimfuhr, verabredeten sie sich zu einem weiteren „Beratungstermin“ bei gepflegten Getränken.
Raimund hatte Zeichnungen angefertigt, die besprachen und überarbeiteten sie bei Campari-Orange. Sie tauschten sich aus über ihre Lebensträume: Er sprach über effektive Landwirtschaft, Synergieeffekte durch betriebliche Kooperationen, Spezialisierung und Arbeitsteilung, sie sprach über mobile Palliativ-Pflegedienste, insbesondere für Kinder, die es flächendeckend aufzubauen galt. Beide träumten von großzügigen Wohnräumen und glücklichen Kindern und von einer großen Reise in die Sonne.
Am Ende des Abends blieb sie nicht über Nacht, denn sie musste am nächsten Tag arbeiten, darum radelte sie nach Hause, doch zum Abschied kam es zu ersten Küssen, vorsichtig, zart, aber eindeutig.
Bereits eine Woche später lud Astrid ihn zu sich nach Hause ein, eine kleine Kellerparty, mit Raimund als einzigem Übernachtungsgast in ihrem Ein-Meter-Zwanzig-Bett, zu zweit. Es passierte, was passieren musste und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Raimund sich ganz und heil und richtig.
Von nun an waren sie ein Paar, trafen sich regelmäßig, rückten näher zusammen und trieben die Umbaupläne voran. Sie verlobten sich klassisch unterm Weihnachtsbaum, mit Solitär-Brillantring und Sekt zum Anstoßen. Heiraten wollten sie erst, wenn das neue Heim bezugsfertig war.
Ingrid war sich in diesem Tagen nicht im Klaren darüber, was sie fühlte. Sie war hin- und hergerissen zwischen der Genugtuung, dass mit ihrem Sohn alles in Ordnung war, inklusive Enkelkindern, auf die sie sich freuen durfte und der nagenden Eifersucht, weil sie ihren Sohn künftig teilen musste und in seinem Leben auf den zweiten Platz verwiesen wurde. Sie wurde zum Zaungast in ihrem eigenen Zuhause, so machtlos und der Gunst anderer hilflos ausgeliefert wie die längste zeit in ihrem Leben.
Mehr als 24 Jahre war Raimund Ramöller nun schon auf der Welt, führte nahezu selbstständig einen Bauernhof, die die Mutter ihm beizeiten überschreiben würde, war erfolgreich, fleißig und stark und saß nun in den Startlöchern für den nächsten Schritt. Eine feste Partnerin war jedoch nicht in Sicht. Er lebte nicht in den Fünfzigern, wo er mit einem ordentlich geführten und reichlich ausgestatteten Hof noch eine gute Partie abgegeben hätte. Es brauchte mehr als wirtschaftliche Sicherheit. Raimund war bei der Weiblichkeit in der Umgebung als liebloser Rüpel verschrien, der ohne jegliche Empathie nur sein eigenes Vergnügen suchte. Ebenso hielt sich seine körperliche Attraktivität in Grenzen: die definierten Muskeln saßen nicht an den richtigen Stellen und aus dem vierschrötigen Bauerngesicht blickten nicht gerade die elektrisierenden Augen eines Brad Pitt.
Alle Zelt- und Spritzenhausfeste der vergangenen drei Jahre waren ergebnislos für ihn verlaufen, ihm blieben weiterhin nur harte Arbeit und Männerabende, sonst nichts. Doch sollte ihm ein gänzlich anderer ruraler Brauch in seinem 24. Frühling weiterhelfen. Die Landjugend übernahm in diesem Jahr die Wache beim Osterfeuer und Heike Sommer brachte ihre Schulfreundin Astrid aus Halle mit. Sie fiel ihm sofort auf, gertenschlank und vorteilhaft gekleidet wie sie war in ihrer Boyfriend-Jeans mit dem breiten Ledergürtel, der unter dem lässigen Kurzpulli hervor lugte.
Er machte ein paar unverfängliche Scherze, nahm neben ihr auf einem Strohballen Platz und fragte neugierig, wer sie sei und was sie so mache.
Astrid war 19 Jahre alt, schloss gerade ihre Ausbildung in der Krankenpflege ab, lebte noch bei ihren Eltern, plante jedoch, in Kürze mit einer Freundin zusammen zu ziehen, gern auf dem Land, weil die bezahlbaren Wohnungen hier oft großzügiger geschnitten waren und man sich in der Ruhe und Abgeschiedenheit besser von dem turbulenten Berufsalltag regenerieren konnte.
Sie betrachtete Raimund nicht mit der gewohnten Herablassung, hörte ihm aufmerksam zu, lachte über seine ausgewählten, harmlosen Witze, die er mit Bedacht gegen die üblichen derben Späße austauschte, um es nicht zu vermasseln. Er trank auch wenig Alkohol, um die Kontrolle zu behalten. Zum ersten Mal seit seiner Kindheit hatte er so ein tiefschürfendes und freundliches Gespräch mit einem weiblichen Wesen geführt. In der Nacht ging sein Kopf auf Reisen in triefend kitschige Kulissen, aber auch in seine reale Umgebung, jedoch niemals allein, sondern immer mit Astrid.
Sie trafen sich schon bald darauf wieder, beim Tanz in den Mai, tanzten, scherzten, tranken, kamen sich näher. Es folgten Freizeitaktivitäten mit ausgewählten Mitgliedern der Landjugend: Bowling, Kartbahn, Spaßbad, sowie ein gemischter Himmelfahrtsausflug.
Im Juni ließ er es krachen und feierte eine Garagenparty, um den 24. Geburtstag vom unwirtlichen Februar in den lauen Frühsommer zu verlegen. Natürlich war Astrid ebenfalls eingeladen und natürlich nahm sie die Einladung an. Und praktischerweise blieb sie über Nacht. Er hielt sich dennoch zurück, drängte sich ihr nicht auf, um seine Chancen nicht zu verspielen. Am nächsten Morgen zeigte er ihr sein Elternhaus und sprach von seinen Umbauplänen für die Zukunft. Sie war äußerst interessiert, machte Vorschläge, empfahl ihm dieses und riet von jenem ab. Er war hingerissen. Als sie heimfuhr, verabredeten sie sich zu einem weiteren „Beratungstermin“ bei gepflegten Getränken.
Raimund hatte Zeichnungen angefertigt, die besprachen und überarbeiteten sie bei Campari-Orange. Sie tauschten sich aus über ihre Lebensträume: Er sprach über effektive Landwirtschaft, Synergieeffekte durch betriebliche Kooperationen, Spezialisierung und Arbeitsteilung, sie sprach über mobile Palliativ-Pflegedienste, insbesondere für Kinder, die es flächendeckend aufzubauen galt. Beide träumten von großzügigen Wohnräumen und glücklichen Kindern und von einer großen Reise in die Sonne.
Am Ende des Abends blieb sie nicht über Nacht, denn sie musste am nächsten Tag arbeiten, darum radelte sie nach Hause, doch zum Abschied kam es zu ersten Küssen, vorsichtig, zart, aber eindeutig.
Bereits eine Woche später lud Astrid ihn zu sich nach Hause ein, eine kleine Kellerparty, mit Raimund als einzigem Übernachtungsgast in ihrem Ein-Meter-Zwanzig-Bett, zu zweit. Es passierte, was passieren musste und zum ersten Mal in seinem Leben fühlte Raimund sich ganz und heil und richtig.
Von nun an waren sie ein Paar, trafen sich regelmäßig, rückten näher zusammen und trieben die Umbaupläne voran. Sie verlobten sich klassisch unterm Weihnachtsbaum, mit Solitär-Brillantring und Sekt zum Anstoßen. Heiraten wollten sie erst, wenn das neue Heim bezugsfertig war.
Ingrid war sich in diesem Tagen nicht im Klaren darüber, was sie fühlte. Sie war hin- und hergerissen zwischen der Genugtuung, dass mit ihrem Sohn alles in Ordnung war, inklusive Enkelkindern, auf die sie sich freuen durfte und der nagenden Eifersucht, weil sie ihren Sohn künftig teilen musste und in seinem Leben auf den zweiten Platz verwiesen wurde. Sie wurde zum Zaungast in ihrem eigenen Zuhause, so machtlos und der Gunst anderer hilflos ausgeliefert wie die längste zeit in ihrem Leben.
... comment