Samstag, 30. März 2024
Spoiler 20
c. fabry, 18:19h
1992 - Raimund
Es war eine willkommene Ausrede gewesen, die Arbeit auf dem zugigen Feld den Anderen überlassen zu dürfen und sich nach einer warmen Mittagsmahlzeit und einer Dosis Lieblingsmusik stattdessen der warmen, windgeschützten Stallarbeit zu widmen. Raimund schätzte seine Großmutter nicht sonderlich, sie verbreitete stets schlechte Stimmung und ihr Dasein brachte für ihn keinerlei Vorteile mit sich. Auch wenn seine Mutter in den folgenden Wochen täglich das Krankenhaus aufsuchte, änderte sich für ihn persönlich so gut wie nichts. Er war weiterhin auf dem Lehrhof, das Essen kam jetzt häufiger aus dem Imbiss oder der Tiefkühltruhe und das fand er ohnehin schmackhafter, als Omas traditionelle Hausmannskost.
An den Wochenenden ließ er sich auch im Krankenhaus blicken, saß seine Zeit am Bett der hinfälligen Greisin ab und fragte sich stets, wie lange es wohl noch dauern würde. Als sie dann nach drei Wochen entlassen wurde und im Pflegebett wieder Teil der täglichen Routine wurde, war er regelrecht enttäuscht. Es war Zeit, dass sie verschwand. Sie war nie auf seiner Seite gewesen, hatte ihn nur drangsaliert, ihn gefordert und ihm nichts gegönnt. Jetzt war sie nur noch eine Last, verwandelte seine Mutter in ein hohläugiges Nervenbündel und das Haus in eine Stätte immerwährender Düsternis. Sie sollte gehen. Sie war dran.
Lisbeth
Es waren die schlimmsten Stunden ihres Lebens gewesen, dort auf dem kalten Kellerboden, zur Hilflosigkeit verdammt, frierend in einer empfundenen Ewigkeit. So musste sich die Hölle anfühlen. Als ihre Tochter sie schließlich gefunden und zunächst nur geschrien hatte wie am Spieß, hätte sie sie am liebsten geschüttelt und eine Ansage gemacht: "Jetzt reiß dich mal zusammen! Hilf mir lieber! Ich bin nämlich noch nicht tot."
Aber dann hatte sie ja etwas unternommen, Hilfe geholt, sie gewärmt und alles, was sie brauchte ins Krankenhaus gebracht.
Dort hatte sie anfangs noch gehofft, dass alles wieder gut würde, dass sie sie schon wieder hinbekämen. Sie hatten sie ja reichlich gequält mit Untersuchungen, Krankengymnastik und dem unsäglich faden Essen, mit dem sie sie wieder aufpäppeln wollten. Als sie dann austherapiert nach Hause entlassen wurde, freute sie sich zwar, in ihre gewohnte Umgebung zurückzukehren, doch als sie das Pflegebett in ihrem eichenen Schlafzimmer erblickte, sank ihr Mut - diesen Raum würde sie nicht mehr lebend verlassen, daran änderten auch die frischen Blumen nichts,die jemand aus der Nachbarschaft vorbei gebracht hatte. Sie ergab sich in ihr Schicksal, was blieb ihr auch anderes übrig? Und so lag sie da, starrte abwechselnd die Zimmerdecke, den Kleiderschrank und den durchs Fenster sichtbaren Himmel an und wartete, dass es endlich aufhörte.
Es war eine willkommene Ausrede gewesen, die Arbeit auf dem zugigen Feld den Anderen überlassen zu dürfen und sich nach einer warmen Mittagsmahlzeit und einer Dosis Lieblingsmusik stattdessen der warmen, windgeschützten Stallarbeit zu widmen. Raimund schätzte seine Großmutter nicht sonderlich, sie verbreitete stets schlechte Stimmung und ihr Dasein brachte für ihn keinerlei Vorteile mit sich. Auch wenn seine Mutter in den folgenden Wochen täglich das Krankenhaus aufsuchte, änderte sich für ihn persönlich so gut wie nichts. Er war weiterhin auf dem Lehrhof, das Essen kam jetzt häufiger aus dem Imbiss oder der Tiefkühltruhe und das fand er ohnehin schmackhafter, als Omas traditionelle Hausmannskost.
An den Wochenenden ließ er sich auch im Krankenhaus blicken, saß seine Zeit am Bett der hinfälligen Greisin ab und fragte sich stets, wie lange es wohl noch dauern würde. Als sie dann nach drei Wochen entlassen wurde und im Pflegebett wieder Teil der täglichen Routine wurde, war er regelrecht enttäuscht. Es war Zeit, dass sie verschwand. Sie war nie auf seiner Seite gewesen, hatte ihn nur drangsaliert, ihn gefordert und ihm nichts gegönnt. Jetzt war sie nur noch eine Last, verwandelte seine Mutter in ein hohläugiges Nervenbündel und das Haus in eine Stätte immerwährender Düsternis. Sie sollte gehen. Sie war dran.
Lisbeth
Es waren die schlimmsten Stunden ihres Lebens gewesen, dort auf dem kalten Kellerboden, zur Hilflosigkeit verdammt, frierend in einer empfundenen Ewigkeit. So musste sich die Hölle anfühlen. Als ihre Tochter sie schließlich gefunden und zunächst nur geschrien hatte wie am Spieß, hätte sie sie am liebsten geschüttelt und eine Ansage gemacht: "Jetzt reiß dich mal zusammen! Hilf mir lieber! Ich bin nämlich noch nicht tot."
Aber dann hatte sie ja etwas unternommen, Hilfe geholt, sie gewärmt und alles, was sie brauchte ins Krankenhaus gebracht.
Dort hatte sie anfangs noch gehofft, dass alles wieder gut würde, dass sie sie schon wieder hinbekämen. Sie hatten sie ja reichlich gequält mit Untersuchungen, Krankengymnastik und dem unsäglich faden Essen, mit dem sie sie wieder aufpäppeln wollten. Als sie dann austherapiert nach Hause entlassen wurde, freute sie sich zwar, in ihre gewohnte Umgebung zurückzukehren, doch als sie das Pflegebett in ihrem eichenen Schlafzimmer erblickte, sank ihr Mut - diesen Raum würde sie nicht mehr lebend verlassen, daran änderten auch die frischen Blumen nichts,die jemand aus der Nachbarschaft vorbei gebracht hatte. Sie ergab sich in ihr Schicksal, was blieb ihr auch anderes übrig? Und so lag sie da, starrte abwechselnd die Zimmerdecke, den Kleiderschrank und den durchs Fenster sichtbaren Himmel an und wartete, dass es endlich aufhörte.
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