Freitag, 1. September 2023
Spin-off
c. fabry, 16:24h
Zu dem Krimi, "Ich hab‘ den Ausbau nicht gewollt" von 2016.
So was wie Fanfiktion, aber ich habe keine Fans, darum muss ich das selbst machen.
"Heute wäre Oma hundert geworden." dachte Larissa und blickte sich um im Laden. "hier ist sie bestimmt gern hingekommen. Sieht aus wie früher."
Die Kundin vor ihr wirkte unentschlossen. Himbeerschnitte oder Nusstorte? Sie drehte sich fragend zu Larissa um, wie um sie um Rat zu fragen, dann wirkte sie plötzlich überrascht. "Ist das nicht Sickendieks Larissa? Die Tochter von Tappes?"
Larissa nickte irritiert. Sollte sie die ältere Dame kennen? Ein Blick in die lebhaften, blauen Augen weckte Erinnerungen an frisch gezapfte Limo, die über den Tresen gereicht wurde. Das musste Hildegard Bierhoff aus dem Gasthof sein. Die war aber alt geworden.
Larissa nickte und erwiderte: "Ja, und du bist Tante Hilde aus dem Gasthof."
"Mensch Mädchen, dich hätte ich kaum wiedererkannt.", stieß die ältere Dame hervor. "So schlank bist du geworden und so erwachsen. Wie lange warst du nicht mehr in Häger?"
"Sind bestimmt schon zwei Jahre. Ich komme nicht so oft. In jeder Woche, die ich hier verbringe, würde ich direkt zwei Kilo zunehmen."
"Ja, bei Muttern schmeckts am besten!", meinte Hildegard.
Larissa schwieg beredt. Die Ursache für ihre adipösen Tendenzen hatte durchaus nicht im schmackhaften Nahrungsmittelangebot des Elternhauses gelegen
"Ich habe ja seinerzeit viel mit Deiner Oma unternommen, die war nur wenige Jahre älter als ich. Wir waren zusammen in der Frauenhilfe."
In der Zwischenzeit hatte ein älter gewordener Lehrer den Laden betreten, den Larissa noch aus Kindertagen kannte. Der mischte sich nun ins Gespräch ein: "Frauenhilfe. Da hat die Luise sich den Heiligenschein aufpolieren lassen, der unter der Woche immer abblätterte."
"Ach, was du immer redest, Hartmut!", entrüstete sich Hildegard. "Luise hat als Vorsitzende mehr geleistet als so mancher im Stadtrat."
"Kann ja sein.", erwiderte Hartmut beleidigt, der ebenfalls einen Sitz im Stadtrat hatte. "Aber mit der christlichen Nächstenliebe hat sie es nicht so genau genommen. Hat gerne das halbe Dorf durch den Kakao gezogen."
"Wer nicht?", erwiderte Hildegard schulterzuckend. "Beim letzten Gemeindefest, das sie erleben durfte, hat sie noch mal den Vogel abgeschossen. Günther Lohmann hatte sich unmöglich gemacht, die jungen Mädchen bei der Modenschau mit schlüpfrigen Kommentaren und dezenten Grabbeleien irritiert und was sagte Luise? 'Jetzt guck dir doch mal Lohmanns Günther an, den alten Kleiderständer. Willst du so einen zu Hause sitzen haben? Da bleibe ich doch lieber alleine und guck aus dem Fenster.'"
Larissa musste lachen. Ja, so kannte sie ihre Oma. Im Zweifelswall sagte Luise, wie es ist.
"Gibt es eigentlich mal wieder ein großes Fest in Häger?", fragte sie in die Runde.
Eine ihr unbekannte Frau in wallenden Lagen-Look-Gewändern betrat den Laden.
Hartmut wies auf sie und sagte: "Frag Irmtraut."
"Was denn?", fragte Irmtraut.
"Ob es mal wieder ein richtig großes Fest in Häger gibt?"
"Ich weiß nicht. Wäre ja schön, aber vor dem Hägeraner Advent steht nichts an, glaube ich."
"Unser Dorfgemeinschaftsfest hat Irmtraut nur einmal erlebt", meinte Hartmut. "Aber für viel Aufwand hat keiner mehr Zeit oder nimmt sie sich nicht. In unserem Dorfladenteam fehlen auch die jungen Leute. Hoffentlich sind unseren ganzen Initiativen nicht das Strohfeuer einer Generation und wenn wir abtreten, fällt Häger wieder in den Dornröschenschlaf."
"Das sag auch Mann, Hartmut.", meinte Hildegard. "Der Küsterdienst sucht auch händeringend Leute, sonst gibt es hier bald keine Gottesdienste mehr."
Zwei ältere Herren betraten den Laden. Hartmut begrüßte sie. "Hallo Heinz. Tach Öse. Hat Frieda dich wieder aus‘m Haus gejagt?"
"Wer hat was ausgesagt?", fragte der Angesprochene.
Hartmut wiederholte seine Frage sehr laut und deutlich. Der Alte nickte und sagte: "Doppelback is‘ alle."
Der etwas vitalere Heinz raunte: "Gut, dass wir jetzt innerorts Tempo 30 haben, auch wenn die Kita schon wieder zu ist. Muss man weniger Angst haben, ob Öse auch heil über die Straße kommt."
"Aber außerorts wird es dafür umso krimineller", echauffierte sich Irmtraut. "Da rasen alle wie die Irren."
"Ja, genau", mischte Hartmut sich wieder ein. "Da hört der Radweg auf, es gilt Tempo 100 und im Auftrag des Landrates wird die ADFC-Lobby gelegentlich reduziert."
Irmtraut verabschiedete sich und zog mit wehenden Textilien in leuchtenden Farben von dannen. Öse trug sein Doppelback heim und eine weitere alte Bekannte betrat den Laden: Elke Mensendiek, die Tochter des Altnazis aus der Nachbarschaft. Der hatte zeitlebens erfolglos Oma Luise den Hof gemacht. Die beiden Frauen kamen gleich ins Gespräch.
"Aber es war ja auch besonders tragisch", meinte Elke, "dass mein Vater ausgerechnet am Tag der Beerdigung deiner Oma gestorben ist. Er hätte ihr so gern die letzte Ehre erwiesen. Und außerdem war es mysteriös."
"Wieso mysteriös?"
"Weil da so ein eigenartiger Zettel vor dem Ofen lag. Ich habe ihn damals direkt weggeräumt, aber vielleicht war das ein Hinweis darauf, was ihn so aufgeregt hat. Irgendwas mit Schweinefleisch und letaler Dosis, mehr weiß ich nicht mehr. Ich ärgere mich noch heute, dass ich ihn weggeschmissen habe."
"Das ist wirklich eigenartig."
Larissas Mutter Martina betrat den Laden. Sie war keine gern gesehene Zeitgenossin. Das war weniger ihrer desolaten Erscheinung geschuldet als der Tatsache, dass sie ihre Mutter im Alter mehr als schlecht behandelt hatte. Im Dorf war man sich einig, dass sie den Tod der alten Dame durch soziale Isolation beschleunigt hatte. Beim Anblick von Elke Mensendiek wurde sie leichenblass. Larissa fragte sich, warum.
Martina ging in die Offensive: "Wir fragen uns seit einer halben Stunde, wo die Brötchen bleiben, Larissa.",
"Ich habe so viele alte Bekannte getroffen", rechtfertigte sich die Tochter. "Elke hat übrigens gerade was von einem seltsamen Zettel erzählt, den sie damals bei ihrem toten Vater gefunden hat. Was stand da noch mal drauf?"
"Irgendwas mit Schweinefleisch und letaler Dosis.", meinte Elke.
Martina wurde weiß wie Schnee.
"Kannst du dir das erklären?", fragte Larissa.
"Nein.", sagte Martina. "Wieso sollte ich mir das auch erklären können?"
Dann bestellte sie eilig die Brötchen, für die sie eigentlich ihre Tochter in den Laden geschickt hatte.
Larissa zuckte mit den Schultern und meinte: "Ich bleibe noch einen Moment. Hier steht so viel interessantes Zeug rum und vielleicht treffe ich ja noch mehr Leute."
Sie begann ihren Korb zu füllen mit isländischen Lakritzen, Orangenmarmelade, Hanföl und Weißwein.
So was wie Fanfiktion, aber ich habe keine Fans, darum muss ich das selbst machen.
"Heute wäre Oma hundert geworden." dachte Larissa und blickte sich um im Laden. "hier ist sie bestimmt gern hingekommen. Sieht aus wie früher."
Die Kundin vor ihr wirkte unentschlossen. Himbeerschnitte oder Nusstorte? Sie drehte sich fragend zu Larissa um, wie um sie um Rat zu fragen, dann wirkte sie plötzlich überrascht. "Ist das nicht Sickendieks Larissa? Die Tochter von Tappes?"
Larissa nickte irritiert. Sollte sie die ältere Dame kennen? Ein Blick in die lebhaften, blauen Augen weckte Erinnerungen an frisch gezapfte Limo, die über den Tresen gereicht wurde. Das musste Hildegard Bierhoff aus dem Gasthof sein. Die war aber alt geworden.
Larissa nickte und erwiderte: "Ja, und du bist Tante Hilde aus dem Gasthof."
"Mensch Mädchen, dich hätte ich kaum wiedererkannt.", stieß die ältere Dame hervor. "So schlank bist du geworden und so erwachsen. Wie lange warst du nicht mehr in Häger?"
"Sind bestimmt schon zwei Jahre. Ich komme nicht so oft. In jeder Woche, die ich hier verbringe, würde ich direkt zwei Kilo zunehmen."
"Ja, bei Muttern schmeckts am besten!", meinte Hildegard.
Larissa schwieg beredt. Die Ursache für ihre adipösen Tendenzen hatte durchaus nicht im schmackhaften Nahrungsmittelangebot des Elternhauses gelegen
"Ich habe ja seinerzeit viel mit Deiner Oma unternommen, die war nur wenige Jahre älter als ich. Wir waren zusammen in der Frauenhilfe."
In der Zwischenzeit hatte ein älter gewordener Lehrer den Laden betreten, den Larissa noch aus Kindertagen kannte. Der mischte sich nun ins Gespräch ein: "Frauenhilfe. Da hat die Luise sich den Heiligenschein aufpolieren lassen, der unter der Woche immer abblätterte."
"Ach, was du immer redest, Hartmut!", entrüstete sich Hildegard. "Luise hat als Vorsitzende mehr geleistet als so mancher im Stadtrat."
"Kann ja sein.", erwiderte Hartmut beleidigt, der ebenfalls einen Sitz im Stadtrat hatte. "Aber mit der christlichen Nächstenliebe hat sie es nicht so genau genommen. Hat gerne das halbe Dorf durch den Kakao gezogen."
"Wer nicht?", erwiderte Hildegard schulterzuckend. "Beim letzten Gemeindefest, das sie erleben durfte, hat sie noch mal den Vogel abgeschossen. Günther Lohmann hatte sich unmöglich gemacht, die jungen Mädchen bei der Modenschau mit schlüpfrigen Kommentaren und dezenten Grabbeleien irritiert und was sagte Luise? 'Jetzt guck dir doch mal Lohmanns Günther an, den alten Kleiderständer. Willst du so einen zu Hause sitzen haben? Da bleibe ich doch lieber alleine und guck aus dem Fenster.'"
Larissa musste lachen. Ja, so kannte sie ihre Oma. Im Zweifelswall sagte Luise, wie es ist.
"Gibt es eigentlich mal wieder ein großes Fest in Häger?", fragte sie in die Runde.
Eine ihr unbekannte Frau in wallenden Lagen-Look-Gewändern betrat den Laden.
Hartmut wies auf sie und sagte: "Frag Irmtraut."
"Was denn?", fragte Irmtraut.
"Ob es mal wieder ein richtig großes Fest in Häger gibt?"
"Ich weiß nicht. Wäre ja schön, aber vor dem Hägeraner Advent steht nichts an, glaube ich."
"Unser Dorfgemeinschaftsfest hat Irmtraut nur einmal erlebt", meinte Hartmut. "Aber für viel Aufwand hat keiner mehr Zeit oder nimmt sie sich nicht. In unserem Dorfladenteam fehlen auch die jungen Leute. Hoffentlich sind unseren ganzen Initiativen nicht das Strohfeuer einer Generation und wenn wir abtreten, fällt Häger wieder in den Dornröschenschlaf."
"Das sag auch Mann, Hartmut.", meinte Hildegard. "Der Küsterdienst sucht auch händeringend Leute, sonst gibt es hier bald keine Gottesdienste mehr."
Zwei ältere Herren betraten den Laden. Hartmut begrüßte sie. "Hallo Heinz. Tach Öse. Hat Frieda dich wieder aus‘m Haus gejagt?"
"Wer hat was ausgesagt?", fragte der Angesprochene.
Hartmut wiederholte seine Frage sehr laut und deutlich. Der Alte nickte und sagte: "Doppelback is‘ alle."
Der etwas vitalere Heinz raunte: "Gut, dass wir jetzt innerorts Tempo 30 haben, auch wenn die Kita schon wieder zu ist. Muss man weniger Angst haben, ob Öse auch heil über die Straße kommt."
"Aber außerorts wird es dafür umso krimineller", echauffierte sich Irmtraut. "Da rasen alle wie die Irren."
"Ja, genau", mischte Hartmut sich wieder ein. "Da hört der Radweg auf, es gilt Tempo 100 und im Auftrag des Landrates wird die ADFC-Lobby gelegentlich reduziert."
Irmtraut verabschiedete sich und zog mit wehenden Textilien in leuchtenden Farben von dannen. Öse trug sein Doppelback heim und eine weitere alte Bekannte betrat den Laden: Elke Mensendiek, die Tochter des Altnazis aus der Nachbarschaft. Der hatte zeitlebens erfolglos Oma Luise den Hof gemacht. Die beiden Frauen kamen gleich ins Gespräch.
"Aber es war ja auch besonders tragisch", meinte Elke, "dass mein Vater ausgerechnet am Tag der Beerdigung deiner Oma gestorben ist. Er hätte ihr so gern die letzte Ehre erwiesen. Und außerdem war es mysteriös."
"Wieso mysteriös?"
"Weil da so ein eigenartiger Zettel vor dem Ofen lag. Ich habe ihn damals direkt weggeräumt, aber vielleicht war das ein Hinweis darauf, was ihn so aufgeregt hat. Irgendwas mit Schweinefleisch und letaler Dosis, mehr weiß ich nicht mehr. Ich ärgere mich noch heute, dass ich ihn weggeschmissen habe."
"Das ist wirklich eigenartig."
Larissas Mutter Martina betrat den Laden. Sie war keine gern gesehene Zeitgenossin. Das war weniger ihrer desolaten Erscheinung geschuldet als der Tatsache, dass sie ihre Mutter im Alter mehr als schlecht behandelt hatte. Im Dorf war man sich einig, dass sie den Tod der alten Dame durch soziale Isolation beschleunigt hatte. Beim Anblick von Elke Mensendiek wurde sie leichenblass. Larissa fragte sich, warum.
Martina ging in die Offensive: "Wir fragen uns seit einer halben Stunde, wo die Brötchen bleiben, Larissa.",
"Ich habe so viele alte Bekannte getroffen", rechtfertigte sich die Tochter. "Elke hat übrigens gerade was von einem seltsamen Zettel erzählt, den sie damals bei ihrem toten Vater gefunden hat. Was stand da noch mal drauf?"
"Irgendwas mit Schweinefleisch und letaler Dosis.", meinte Elke.
Martina wurde weiß wie Schnee.
"Kannst du dir das erklären?", fragte Larissa.
"Nein.", sagte Martina. "Wieso sollte ich mir das auch erklären können?"
Dann bestellte sie eilig die Brötchen, für die sie eigentlich ihre Tochter in den Laden geschickt hatte.
Larissa zuckte mit den Schultern und meinte: "Ich bleibe noch einen Moment. Hier steht so viel interessantes Zeug rum und vielleicht treffe ich ja noch mehr Leute."
Sie begann ihren Korb zu füllen mit isländischen Lakritzen, Orangenmarmelade, Hanföl und Weißwein.
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