Freitag, 12. August 2022
Strandgut - Auflösung der Foto-Blue-Black Story
c. fabry, 13:44h
Da lag sie nun; so wie er sie am liebsten in Erinnerung behalten wollte: sanft, rein, bescheiden und unschuldig. Einer von den jungen Leuten da drüben hätte sicher ein oder mehrere Fotos geschossen, um das Bild festzuhalten. Er machte es auf die altmodische Art. Er sah sie an und prägte sich alles ein.
Die letzten Jahre waren schwer, aber schön gewesen. Sie hatte sich ganz und gar seiner Fürsorge hingegeben, ihr war schließlich nichts anderes übrig geblieben. Und so war sie fast wieder zu der Frau geworden, die er geheiratet hatte.
Davor gab es eine Zeit der beginnenden Ablösung.
Sie hatten sich auf einer mehrtägigen Jugend-Evangelisation kennengelernt. Er war damals zwei-und-zwanzig, sie siebzehn Jahre alt gewesen. Nach einem halben Jahr hatten sie sich verlobt, nach einem Jahr geheiratet. Kinder waren ihnen versagt geblieben. Sie hatten nie nach den Ursachen geforscht, es einfach so angenommen und ihre gesamte Kraft in den Dienst der Gemeinde gestellt.
Aber dann, als das Thema mit den Kindern endgültig abgehakt war, da war sie seltsam geworden. Immer häufiger hatte sie vorgegeben, sich ausruhen zu müssen, wenn Kirchgang oder Gemeindeversammlung anstanden, sie war ihm beim Tischgebet teilnahmslos erschienen, hatte sogar dazu geneigt, es zu vergessen, hatte sich ohne Not neue Kleidung gekauft und im Bad hatte er lauter Tiegelchen und Fläschchen entdeckt, die vorher nicht da gewesen waren.
Als der Urlaub am Meer anstand, den sie sich einmal im Jahr gönnten, hatte sie vorgeschlagen, sich in einem feinen Hotel verwöhnen zu lassen, statt wie in jedem Jahr die kostenlose Ferienunterkunft ihrer Freunde zu nutzen. Das hatte er entschieden abgelehnt und gedacht, wenn sie erst wieder in der hübschen Wohnung sei und sie täglich durch die Dünen zum Strand radelten, käme sie schon wieder zur Vernunft.
Mitnichten! Sie hatte einkaufen wollen in den schönen Geschäften, war zurückgekommen mit Taschen voller überflüssiger Textilien und sinnlosen Dekorations-Artikeln, Kerzen, Seifen, Keramik...Sie war dem Dämon der Konsumsucht verfallen, dazu war sie aufmüpfig geworden, verletzend und immer unzugänglicher. Er hatte deutlich gespürt, wie sie sich von ihm entfernte. Er hatte befürchtet, sie zu verlieren und mit ihr auch seinen untadeligen Ruf, seine Stellung in der Gemeinde. Selbst, wenn sie bei ihm geblieben wäre: Welches Bild hätte er abgegeben mit einer derartig von Wollust und Dekadenz durchzogenen Gattin an seiner Seite?
Eines Nachmittags erklärte sie: "Ich habe noch nie Austern gegessen, so richtig, mit Zitrone und Weißwein und allem, was dazu gehört. Lass uns morgen Abend mal in das Restaurant am Yachthafen gehen, die haben Austern auf der Karte."
"Aber das ist entsetzlich teuer!", hatte er protestiert.
"Na und?", hatte sie frech entgegnet. "Wir bezahlen ja schon nichts für die Ferienwohnung, da können wir uns doch einmal einen Abend in einem schicken Restaurant gönnen. Ich will schon seit vielen Jahren einmal frische Austern probieren, es hat sich nur nie ergeben."
"Die kann man auch selbst zubereiten.", hatte er entgegnet. "Ich fahre gleich morgen früh zum Fischhändler und hole frische Austern. Dann besorge ich Zitronen, Gemüse für Salat, Kartoffeln, Knoblauch, Brot, Weißwein und etwas zum Nachtisch. Zufrieden?"
"Kannst du das denn?"
"In der Küche steht ein Kochbuch mit Fisch- und Muschel-Rezepten. Das klappt schon."
Am kommenden Tag war er nur mit der Vorbereitung des Menüs beschäftigt. Mit den Austern musste man nicht viel tun. Die Kartoffeln schob er mit Olivenöl, Salz und Rosmarinzweigen in den Ofen. Er bereitete einen Salat aus Rucola, Tomaten und Gurken, machte Knoblauchbutter zum Baguette und knappste etwas von dem Weißwein für den Nachtisch ab, den er einfror, um das Eis später fein zu hobeln und mit Honig und frischem Sanddornmark zu vermischen.
Er radelte in Dünen, erntete Sanddornbeeren und hübsche gelbe Blumen, mit denen er am Abend die Tafel dekorierte.
Das Menü war gelungen. Es schmeckte ihr und ihm auch. Beim Salat hielt er sich ein wenig zurück, gab vor, Rucola nicht ausstehen zu können und so stopfte sie sich mit dem Rucola auch das ganze Jakobskreuzkraut in den Mund. Von Pflanzen wusste sie nicht viel, darum machten die hübschen gelben Blumen, deren Blätter denen des Rucola täuschend ähnlich sahen, sie auch nicht misstrauisch.
Nun musste er nur noch warten. Etwa zwei Jahre später war es soweit. Die geplante Wirkung hatte eingesetzt. Bauchschmerzen und eine eigenartige Entfärbung des Stuhls ließen sie endlich einen Arzt aufsuchen, nachdem sie sich schon über ein Jahr unwohl gefühlt hatte.
Leberkrebs lautete die Diagnose. Nahezu unausweichlich nach dem Verzehr von Jakobskreuzkraut.
Als sie kaum noch bei Kräften war, überredete er sie zu einem letzten Urlaub am Meer. Am Strand tat sie ihren letzten Atemzug. Er hatte sie für immer verloren und gleichzeitig für immer behalten. Zum Abschied dekorierte er ihre Leiche mit den Artefakten ihrer Henkersmahlzeit.
Die letzten Jahre waren schwer, aber schön gewesen. Sie hatte sich ganz und gar seiner Fürsorge hingegeben, ihr war schließlich nichts anderes übrig geblieben. Und so war sie fast wieder zu der Frau geworden, die er geheiratet hatte.
Davor gab es eine Zeit der beginnenden Ablösung.
Sie hatten sich auf einer mehrtägigen Jugend-Evangelisation kennengelernt. Er war damals zwei-und-zwanzig, sie siebzehn Jahre alt gewesen. Nach einem halben Jahr hatten sie sich verlobt, nach einem Jahr geheiratet. Kinder waren ihnen versagt geblieben. Sie hatten nie nach den Ursachen geforscht, es einfach so angenommen und ihre gesamte Kraft in den Dienst der Gemeinde gestellt.
Aber dann, als das Thema mit den Kindern endgültig abgehakt war, da war sie seltsam geworden. Immer häufiger hatte sie vorgegeben, sich ausruhen zu müssen, wenn Kirchgang oder Gemeindeversammlung anstanden, sie war ihm beim Tischgebet teilnahmslos erschienen, hatte sogar dazu geneigt, es zu vergessen, hatte sich ohne Not neue Kleidung gekauft und im Bad hatte er lauter Tiegelchen und Fläschchen entdeckt, die vorher nicht da gewesen waren.
Als der Urlaub am Meer anstand, den sie sich einmal im Jahr gönnten, hatte sie vorgeschlagen, sich in einem feinen Hotel verwöhnen zu lassen, statt wie in jedem Jahr die kostenlose Ferienunterkunft ihrer Freunde zu nutzen. Das hatte er entschieden abgelehnt und gedacht, wenn sie erst wieder in der hübschen Wohnung sei und sie täglich durch die Dünen zum Strand radelten, käme sie schon wieder zur Vernunft.
Mitnichten! Sie hatte einkaufen wollen in den schönen Geschäften, war zurückgekommen mit Taschen voller überflüssiger Textilien und sinnlosen Dekorations-Artikeln, Kerzen, Seifen, Keramik...Sie war dem Dämon der Konsumsucht verfallen, dazu war sie aufmüpfig geworden, verletzend und immer unzugänglicher. Er hatte deutlich gespürt, wie sie sich von ihm entfernte. Er hatte befürchtet, sie zu verlieren und mit ihr auch seinen untadeligen Ruf, seine Stellung in der Gemeinde. Selbst, wenn sie bei ihm geblieben wäre: Welches Bild hätte er abgegeben mit einer derartig von Wollust und Dekadenz durchzogenen Gattin an seiner Seite?
Eines Nachmittags erklärte sie: "Ich habe noch nie Austern gegessen, so richtig, mit Zitrone und Weißwein und allem, was dazu gehört. Lass uns morgen Abend mal in das Restaurant am Yachthafen gehen, die haben Austern auf der Karte."
"Aber das ist entsetzlich teuer!", hatte er protestiert.
"Na und?", hatte sie frech entgegnet. "Wir bezahlen ja schon nichts für die Ferienwohnung, da können wir uns doch einmal einen Abend in einem schicken Restaurant gönnen. Ich will schon seit vielen Jahren einmal frische Austern probieren, es hat sich nur nie ergeben."
"Die kann man auch selbst zubereiten.", hatte er entgegnet. "Ich fahre gleich morgen früh zum Fischhändler und hole frische Austern. Dann besorge ich Zitronen, Gemüse für Salat, Kartoffeln, Knoblauch, Brot, Weißwein und etwas zum Nachtisch. Zufrieden?"
"Kannst du das denn?"
"In der Küche steht ein Kochbuch mit Fisch- und Muschel-Rezepten. Das klappt schon."
Am kommenden Tag war er nur mit der Vorbereitung des Menüs beschäftigt. Mit den Austern musste man nicht viel tun. Die Kartoffeln schob er mit Olivenöl, Salz und Rosmarinzweigen in den Ofen. Er bereitete einen Salat aus Rucola, Tomaten und Gurken, machte Knoblauchbutter zum Baguette und knappste etwas von dem Weißwein für den Nachtisch ab, den er einfror, um das Eis später fein zu hobeln und mit Honig und frischem Sanddornmark zu vermischen.
Er radelte in Dünen, erntete Sanddornbeeren und hübsche gelbe Blumen, mit denen er am Abend die Tafel dekorierte.
Das Menü war gelungen. Es schmeckte ihr und ihm auch. Beim Salat hielt er sich ein wenig zurück, gab vor, Rucola nicht ausstehen zu können und so stopfte sie sich mit dem Rucola auch das ganze Jakobskreuzkraut in den Mund. Von Pflanzen wusste sie nicht viel, darum machten die hübschen gelben Blumen, deren Blätter denen des Rucola täuschend ähnlich sahen, sie auch nicht misstrauisch.
Nun musste er nur noch warten. Etwa zwei Jahre später war es soweit. Die geplante Wirkung hatte eingesetzt. Bauchschmerzen und eine eigenartige Entfärbung des Stuhls ließen sie endlich einen Arzt aufsuchen, nachdem sie sich schon über ein Jahr unwohl gefühlt hatte.
Leberkrebs lautete die Diagnose. Nahezu unausweichlich nach dem Verzehr von Jakobskreuzkraut.
Als sie kaum noch bei Kräften war, überredete er sie zu einem letzten Urlaub am Meer. Am Strand tat sie ihren letzten Atemzug. Er hatte sie für immer verloren und gleichzeitig für immer behalten. Zum Abschied dekorierte er ihre Leiche mit den Artefakten ihrer Henkersmahlzeit.
... comment
c. fabry,
Freitag, 12. August 2022, 13:45
Kurzversion
DIE BLACK STORY:
Am Strand fällt der Blick auf eine reglos da liegende Person, neben ihr liegen die Schalen von Austern und ein gelb blühendes Kraut. Was ist passiert?
DIE AUFLÖSUNG:
Ein frommer Ehemann bemerkte, wie sich seine langjährige Gattin zunehmend vom Glauben, der christlichen Gemeinschaft und damit auch von ihm entfernte. Bei einem Urlaub am Meer forderte sie immer mehr von dem für sich ein, was aus seiner Sicht einen dekadenten Lebensstil ausmachte.
Er machte ein Zugeständnis: Einmal Austern essen, doch in der Ferienwohnung. Er würde sie selbst zubereiten. Dazu gab es frisches Brot, Ofenkartoffeln und Rucola-Salat. Zum Nachtisch Sanddorn-Sorbet.
Was sie nicht wusste: Er mischte Jakobskreuzkraut unter den Rucola-Salat. Dann musste er nur noch warten.
Wenige Jahre später erkrankte sie an Leberkrebs. Als sie kaum noch bei Kräften war, überredete er sie zu einem letzten Urlaub am Meer. Am Strand tat sie ihren letzten Atemzug. Er hatte sie für immer verloren und gleichzeitig für immer behalten. Zum Abschied dekorierte er ihre Leiche mit den Artefakten ihrer Henkersmahlzeit.
Am Strand fällt der Blick auf eine reglos da liegende Person, neben ihr liegen die Schalen von Austern und ein gelb blühendes Kraut. Was ist passiert?
DIE AUFLÖSUNG:
Ein frommer Ehemann bemerkte, wie sich seine langjährige Gattin zunehmend vom Glauben, der christlichen Gemeinschaft und damit auch von ihm entfernte. Bei einem Urlaub am Meer forderte sie immer mehr von dem für sich ein, was aus seiner Sicht einen dekadenten Lebensstil ausmachte.
Er machte ein Zugeständnis: Einmal Austern essen, doch in der Ferienwohnung. Er würde sie selbst zubereiten. Dazu gab es frisches Brot, Ofenkartoffeln und Rucola-Salat. Zum Nachtisch Sanddorn-Sorbet.
Was sie nicht wusste: Er mischte Jakobskreuzkraut unter den Rucola-Salat. Dann musste er nur noch warten.
Wenige Jahre später erkrankte sie an Leberkrebs. Als sie kaum noch bei Kräften war, überredete er sie zu einem letzten Urlaub am Meer. Am Strand tat sie ihren letzten Atemzug. Er hatte sie für immer verloren und gleichzeitig für immer behalten. Zum Abschied dekorierte er ihre Leiche mit den Artefakten ihrer Henkersmahlzeit.
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