Freitag, 2. April 2021
Vier Teile - 2. Das Außen
c. fabry, 13:30h
Wie sie schon wieder aussah! Nicht nur der desolate Zustand ihres Outfits, wo wirklich gar nichts zusammen passte. Dazu das meiste kraus, verwaschen und angeschmuddelt. Nein, auch der Gesichtsausdruck, die herabgezogenen Mundwinkel, die hektisch umherblickenden Augen, wie ein Tier, das man in die Enge getrieben hatte. Und so eine ließ man auf Kinder los. Schlimm genug, dass die Unterprivilegierten aus den prekären Verhältnissen hier zunehmend herumlungerten, wo man ständig aufpassen musste, dass die nichts mitgehen ließen und niemandem zu nahe traten, ohne sich dabei zu weit aus dem Fenster zu lehnen und sich damit den Stempel des Unsozialen einzufangen. Jesus war ja vor allem für die Entrechteten eingetreten. Wenn die Mittellosen nur nicht immer auch zu den Geistlosen und Unkultivierten gehörten, die wie Vierjährige nur um ihre eigenen Bedürfnisse kreisten - natürlich, weil sie nicht anders konnten, aber mein Gott, war das anstrengend!
Da brauchte man Mitarbeitende, die rund liefen, mit sich im Lot waren, halfen, den Laden am Laufen und zusammen zu halten. So eine Verstörte mit Altlasten und daraus resultierenden drohenden Totalausfällen, die zusätzlich ein Höchstmaß an Nächstenliebe einforderte, selbst aber nur unbrauchbares Stückwerk, lediglich Ansätze guten Willens zu bieten hatte, die machte die Arbeit unerträglich. Sie hing allen wie ein Mühlstein am Hals und hielt sich dabei selbst für die Lösung aller Probleme, für die streitbare und unbeugsame Anwältin der Kinder und Jugendlichen, für die Speerspitze der Bewegung der unerschrockenen Avantgarde. Und war doch nur eine dilettantische, dreckige Verliererin. Es mussten neue Aufgaben für sie gefunden werden; etwas, wo sie keinen Schaden anrichtete. Für unfähige Theologen gab es schließlich auch allerorten Parkplätze, warum nicht auch für pädagogische Fachkräfte, die doch nur gut die Hälfte kosteten?
"Was war denn mit Veronika los, dass die so eilig aus dem Haus gestürmt ist?", fragte Hella, während sie ganz nebenbei wie eine strickende Multitaskerin Serienbriefe eintütete.
"Ach", antwortete Sabine, "Ich habe ihr gerade erklärt, dass sie die Einladungen zu den Konfirmanden-Andachten unbedingt zum passenden Zeitpunkt raus schicken muss. Jahrelang hat sie die immer viel zu früh abgeschickt, dann hatten die Jugendlichen das schon wieder vergessen und in letzter Zeit gibt sie die immer auf den letzten Drücker in die Post, dann kommen die sehr kurzfristig oder sogar zu spät an. Ständig rufen verärgerte Eltern bei mir an."
?Bei mir auch auch.", seufzte Hella.
Henning betrat das Büro. "Was ist denn mit Veronika los?", fragte er und machte dabei große Augen. "Ich wollte etwas mit ihr wegen des neuen Konfi-Jahrgangs besprechen und sie schrie nur, das sie das schon wisse und lief weg. Dabei konnte sie gar nicht wissen, was ich ihr sagen wollte."
Sabine erklärte ihrem Kollegen die Sachlage. Er blickte betont betroffen. Etwas zu betont für Hellas Geschmack, die sich immer wieder fragte, ob sie eigentlich die Einzige war, die sich beruflich im Gemeindehaus aufhielt, ohne mit ernsthaften psychischen Problemen belastet zu sein.
Reinhard betrat das Büro. "Oh", nuschelte Sabine in ihre FFP2-Maske. "Vier sind einer zu viel, ich gehe dann mal."
"Nein.", sagte Reinhard entschieden. "Ich muss unbedingt mit Euch reden. Olivia rufe ich auch gleich an. Vielleicht können wir uns in den Saal setzen. Ich habe eben Veronika beim Einkaufen getroffen und bevor sie wieder hier auftaucht, würde ich gern mit Euch besprechen, wie wir mit unserem enger werdenden Finanzrahmen umgehen."
"Was hat das mit Veronika zu tun?", fragte Hella.
"Das", erklärte Reinhard herablassend, "wirst du spätestens erfahren, wenn du das Protokoll der nächsten Presbyteriums-Sitzung schreibst."
Jetzt ging es an Veronikas Stelle. War vielleicht nicht die schlechteste Lösung, dann musste man sich nicht mit ihr als Person auseinandersetzen, sondern konnte die Entscheidung auf die finanziellen Zwänge schieben. Sabine straffte die Schultern. Das würde unangenehm, aber sie würde es überleben.
Da brauchte man Mitarbeitende, die rund liefen, mit sich im Lot waren, halfen, den Laden am Laufen und zusammen zu halten. So eine Verstörte mit Altlasten und daraus resultierenden drohenden Totalausfällen, die zusätzlich ein Höchstmaß an Nächstenliebe einforderte, selbst aber nur unbrauchbares Stückwerk, lediglich Ansätze guten Willens zu bieten hatte, die machte die Arbeit unerträglich. Sie hing allen wie ein Mühlstein am Hals und hielt sich dabei selbst für die Lösung aller Probleme, für die streitbare und unbeugsame Anwältin der Kinder und Jugendlichen, für die Speerspitze der Bewegung der unerschrockenen Avantgarde. Und war doch nur eine dilettantische, dreckige Verliererin. Es mussten neue Aufgaben für sie gefunden werden; etwas, wo sie keinen Schaden anrichtete. Für unfähige Theologen gab es schließlich auch allerorten Parkplätze, warum nicht auch für pädagogische Fachkräfte, die doch nur gut die Hälfte kosteten?
"Was war denn mit Veronika los, dass die so eilig aus dem Haus gestürmt ist?", fragte Hella, während sie ganz nebenbei wie eine strickende Multitaskerin Serienbriefe eintütete.
"Ach", antwortete Sabine, "Ich habe ihr gerade erklärt, dass sie die Einladungen zu den Konfirmanden-Andachten unbedingt zum passenden Zeitpunkt raus schicken muss. Jahrelang hat sie die immer viel zu früh abgeschickt, dann hatten die Jugendlichen das schon wieder vergessen und in letzter Zeit gibt sie die immer auf den letzten Drücker in die Post, dann kommen die sehr kurzfristig oder sogar zu spät an. Ständig rufen verärgerte Eltern bei mir an."
?Bei mir auch auch.", seufzte Hella.
Henning betrat das Büro. "Was ist denn mit Veronika los?", fragte er und machte dabei große Augen. "Ich wollte etwas mit ihr wegen des neuen Konfi-Jahrgangs besprechen und sie schrie nur, das sie das schon wisse und lief weg. Dabei konnte sie gar nicht wissen, was ich ihr sagen wollte."
Sabine erklärte ihrem Kollegen die Sachlage. Er blickte betont betroffen. Etwas zu betont für Hellas Geschmack, die sich immer wieder fragte, ob sie eigentlich die Einzige war, die sich beruflich im Gemeindehaus aufhielt, ohne mit ernsthaften psychischen Problemen belastet zu sein.
Reinhard betrat das Büro. "Oh", nuschelte Sabine in ihre FFP2-Maske. "Vier sind einer zu viel, ich gehe dann mal."
"Nein.", sagte Reinhard entschieden. "Ich muss unbedingt mit Euch reden. Olivia rufe ich auch gleich an. Vielleicht können wir uns in den Saal setzen. Ich habe eben Veronika beim Einkaufen getroffen und bevor sie wieder hier auftaucht, würde ich gern mit Euch besprechen, wie wir mit unserem enger werdenden Finanzrahmen umgehen."
"Was hat das mit Veronika zu tun?", fragte Hella.
"Das", erklärte Reinhard herablassend, "wirst du spätestens erfahren, wenn du das Protokoll der nächsten Presbyteriums-Sitzung schreibst."
Jetzt ging es an Veronikas Stelle. War vielleicht nicht die schlechteste Lösung, dann musste man sich nicht mit ihr als Person auseinandersetzen, sondern konnte die Entscheidung auf die finanziellen Zwänge schieben. Sabine straffte die Schultern. Das würde unangenehm, aber sie würde es überleben.
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