Freitag, 2. August 2019
Kein Entkommen
c. fabry, 08:24h
Sie betrachtete sich kritisch im Spiegel, wie sie es schon immer getan hatte. Damals hatte sie sich immer eine exotische Figur gewünscht. Der Wunsch war in Erfüllung gegangen: Apfelsinenpo, Ananastaille, Bananenbrüste, Kiwikinn. Sie hätte damals präziser wünschen müssen, dann würde das Ergebnis heute mehr ihren damaligen Vorstellungen entsprechen.
Nun musste sie mit diesem Körper leben oder sich seiner und des eigenen Lebens entledigen, doch sie glaubte noch immer an Überraschungen, Wendungen, Wunder.
Sie steckte schon lange fest im Sumpf der Eintönigkeit und Mittelmäßigkeit, es gab in ihrem Leben keine helle Freude, keinen höheren Genuss, keine uferlose Extase. Wenn sie nicht gerade übersehen wurde, dann bemerkte sie in den Augen ihrer Betrachter bestenfalls Belustigung, im Wesentlichen jedoch Verachtung. Diese Verachtung galt nicht nur ihrem wenig aufregenden Körper, sondern auch ihrer Lebensleistung. Sie machte ihre Arbeit gerade mal so gut, dass man sie nicht rauswerfen konnte, aber niemand hätte ihr auch nur eine Träne nachgeweint. Sie verstand es nicht, ihre Mitmenschen in schwierigen Zeiten zu unterstützen, hatte nichts Interessantes zu berichten und war weder mit messerscharfer Intelligenz noch mit ansteckendem Humor gesegnet – ihre Witze waren nichts als flache, abgedroschene Sprüche, ihre Meinung ein einziger Gemeinplatz. Und doch hielt sie an ihrem Dasein fest wie ein Hungriger an einem Laib Brot. Sie wartete noch immer auf den Anteil, der ihr in diesem Leben zustand.
Dann kam sie eines Tages, die Gelegenheit, die Wegscheide, an der es galt, die richtige Entscheidung zu treffen. Und sie kam unvorbereitet und so plötzlich daher, dass es sie erwischte wie ein Faustschlag.
Ganz zufällig hatte sie mitangehört, wie sie sich vertraulich unterhalten hatten, der fiese Finanzheini und ihr Chef, den sie nach wie vor für einen freundlichen, anständigen Menschen hielt.
„Sind Sie sicher, dass wir das so machen können?“, hatte ihr Chef gefragt.
„Warum nicht?“, hatte der Finanzheini geantwortet. „Uns wird man ja kaum Vorteilsnahme unterstellen, wir schichten nur intern ein bisschen was um. Das geht doch keinen was an, das muss auch keiner wissen.“
„Und wenn die in Mühringen Einsicht in die Sachkonten verlangen?“
„Dann sagen wir, dass das aus buchhalterisch-datenschutztechnischen Gründen nicht möglich ist, weil sie sonst automatisch Einblick in die Sachkonten der anderen Gemeinden hätten und dass sie sich mit den Abschlüssen zufrieden geben müssen. Davon abgesehen, müssen die ja erst einmal darauf kommen und so schnell, wie die immer mit den Sitzungen fertig werden wollen, haben die gar keine Zeit, sich solche Fragen zu stellen. Wir machen das jetzt ein paar Jahre so, bis alle Konten wieder ausgeglichen sind und dann gucken wir uns das noch einmal an und verteilen neu. Das kriegt keiner mit.“
Aber er hatte nicht mit ihr gerechnet. Und sie wusste, wenn sie es dem Kirchmeister von Mühringen steckte, was sie da gehört hatte, würde den beiden der Skandal um die Ohren fliegen. Allerdings würde ihr Chef ebenfalls über die Klinge springen und das passte ihr gar nicht, denn wer konnte schon wissen, wer danach auf seinen Posten käme. Andererseits würde dieser Jemand sich gewiss vor ihr in acht nehmen, mit ihr wäre zu rechnen, sie würde bestimmt nicht mehr übersehen oder belächelt, eher gefürchtet.
Sie hätte mehr Vorsicht walen lassen sollen, leiser von dannen schleichen oder noch besser, sich im Verborgenen halten, bis die beiden Verschwörer verschwunden waren. So hatte der Finanzheini sie bemerkt und sofort verstanden, welches Risiko sie darstellte.
Die Bahn kam überpünktlich und der Lokführer würde sich den Rest seines Lebens dafür hassen, denn eine Minute später hätte sich der tragische Unfall womöglich gar nicht ereignet. Jetzt war eine Frau tot, eine ohne Familie, mit einem traurigen Leben ohne jede Chance, das Ruder noch einmal herumzureißen.
Der Kirchmeister von Mühringen war vielbeschäftigt und der Finanzheini regierte weiter, bis schließlich...
...aber das ist eine andere Geschichte.
Nun musste sie mit diesem Körper leben oder sich seiner und des eigenen Lebens entledigen, doch sie glaubte noch immer an Überraschungen, Wendungen, Wunder.
Sie steckte schon lange fest im Sumpf der Eintönigkeit und Mittelmäßigkeit, es gab in ihrem Leben keine helle Freude, keinen höheren Genuss, keine uferlose Extase. Wenn sie nicht gerade übersehen wurde, dann bemerkte sie in den Augen ihrer Betrachter bestenfalls Belustigung, im Wesentlichen jedoch Verachtung. Diese Verachtung galt nicht nur ihrem wenig aufregenden Körper, sondern auch ihrer Lebensleistung. Sie machte ihre Arbeit gerade mal so gut, dass man sie nicht rauswerfen konnte, aber niemand hätte ihr auch nur eine Träne nachgeweint. Sie verstand es nicht, ihre Mitmenschen in schwierigen Zeiten zu unterstützen, hatte nichts Interessantes zu berichten und war weder mit messerscharfer Intelligenz noch mit ansteckendem Humor gesegnet – ihre Witze waren nichts als flache, abgedroschene Sprüche, ihre Meinung ein einziger Gemeinplatz. Und doch hielt sie an ihrem Dasein fest wie ein Hungriger an einem Laib Brot. Sie wartete noch immer auf den Anteil, der ihr in diesem Leben zustand.
Dann kam sie eines Tages, die Gelegenheit, die Wegscheide, an der es galt, die richtige Entscheidung zu treffen. Und sie kam unvorbereitet und so plötzlich daher, dass es sie erwischte wie ein Faustschlag.
Ganz zufällig hatte sie mitangehört, wie sie sich vertraulich unterhalten hatten, der fiese Finanzheini und ihr Chef, den sie nach wie vor für einen freundlichen, anständigen Menschen hielt.
„Sind Sie sicher, dass wir das so machen können?“, hatte ihr Chef gefragt.
„Warum nicht?“, hatte der Finanzheini geantwortet. „Uns wird man ja kaum Vorteilsnahme unterstellen, wir schichten nur intern ein bisschen was um. Das geht doch keinen was an, das muss auch keiner wissen.“
„Und wenn die in Mühringen Einsicht in die Sachkonten verlangen?“
„Dann sagen wir, dass das aus buchhalterisch-datenschutztechnischen Gründen nicht möglich ist, weil sie sonst automatisch Einblick in die Sachkonten der anderen Gemeinden hätten und dass sie sich mit den Abschlüssen zufrieden geben müssen. Davon abgesehen, müssen die ja erst einmal darauf kommen und so schnell, wie die immer mit den Sitzungen fertig werden wollen, haben die gar keine Zeit, sich solche Fragen zu stellen. Wir machen das jetzt ein paar Jahre so, bis alle Konten wieder ausgeglichen sind und dann gucken wir uns das noch einmal an und verteilen neu. Das kriegt keiner mit.“
Aber er hatte nicht mit ihr gerechnet. Und sie wusste, wenn sie es dem Kirchmeister von Mühringen steckte, was sie da gehört hatte, würde den beiden der Skandal um die Ohren fliegen. Allerdings würde ihr Chef ebenfalls über die Klinge springen und das passte ihr gar nicht, denn wer konnte schon wissen, wer danach auf seinen Posten käme. Andererseits würde dieser Jemand sich gewiss vor ihr in acht nehmen, mit ihr wäre zu rechnen, sie würde bestimmt nicht mehr übersehen oder belächelt, eher gefürchtet.
Sie hätte mehr Vorsicht walen lassen sollen, leiser von dannen schleichen oder noch besser, sich im Verborgenen halten, bis die beiden Verschwörer verschwunden waren. So hatte der Finanzheini sie bemerkt und sofort verstanden, welches Risiko sie darstellte.
Die Bahn kam überpünktlich und der Lokführer würde sich den Rest seines Lebens dafür hassen, denn eine Minute später hätte sich der tragische Unfall womöglich gar nicht ereignet. Jetzt war eine Frau tot, eine ohne Familie, mit einem traurigen Leben ohne jede Chance, das Ruder noch einmal herumzureißen.
Der Kirchmeister von Mühringen war vielbeschäftigt und der Finanzheini regierte weiter, bis schließlich...
...aber das ist eine andere Geschichte.
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heyley,
Montag, 12. August 2019, 20:46
"Bis schließlich"?
Doch noch Gerechtigkeit kam?
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wilferedh,
Dienstag, 27. August 2019, 12:12
Eine Geschichte, wie aus dem wahren Leben. Oder ist sie vielleicht wahr? Wahrscheinlich!
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c. fabry,
Dienstag, 27. August 2019, 13:12
Natürlich ist sie nicht wahr. Nur das Drumherum hat ein bisschen Ähnlichkeit mit der einen oder anderen Wirklichkeit.
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