Donnerstag, 2. November 2017
Rotary – abgeschlossener Kurzkrimi mit Gelegenheit zur Fanfiction
Sie linste hinter der Orgel hervor. Alles wirkte ganz normal – keine schwarzen Kerzen, Opfertiere oder okkulten Symbole, die Altarkerzen brannten ruhig, die Bibel lag aufgeschlagen an ihrem Platz, die Anwesenden saßen wie jede Gemeinde ruhig in den Bänken, unauffällig gekleidet, wenn auch auffällig hochwertig. Als befremdlich erwies sich lediglich der Umstand, dass nur Männer anwesend waren.
Das Eingangslied „Die Nacht ist vorgedrungen“ stammte ebenfalls aus dem evangelischen Gesangbuch. Sie begann, sich für ihre Satanismus-Paranoia zu schämen. Eine ganz normale Adventsandacht des caritativen, männlichen Establishments. Sicherlich widerwärtig angesichts der mangelnden Bereitschaft, den unermesslichen Reichtum gerecht mit anderen zu teilen, aber überaus weltlich und nicht spiritistisch.
Der Kollege las einen kurzen biblischen Text aus der Offenbarung des Johannes. Das war nun wieder seltsam, handelte es sich um einen Predigttext für den Ewigkeitssonntag, an dem man der Toten und der Hoffnung auf das ewige Leben gedachte, aber es war auch nicht theologisch unangebracht, zumal die Jahreslosung für das neue Kirchenjahr darin enthalten war.
Er sprach vom Trost aus Gottes Wort, der Sehnsucht nach einer besseren Welt, der Erneuerung der Gemeinde, vom tröstenden Gott und der Hoffnung auf Gottes bleibende Stadt, in der jeder Durst mit dem Wasser des Lebens gestillt wird. Es waren die üblichen evangelischen Phrasen, derer sie sich zugegebenermaßen auch schon oft bedient hatte, wenn sie unsicher war oder ihr nichts Besseres einfiel.
Das war hier also das spirituelle Wellness-Programm für betuchte, netzwerkende Penisträger mit gesellschaftlichem, politischem und vor allem wirtschaftlichem Einfluss. Ihre durch die Bänke aufrechte Haltung mit straffen Schultern und geraden Köpfen ließ sie durchweg zufriedene, entspannte Gesichter vermuten, die vor Selbstgerechtigkeit trieften.
Bruder Bertram resümierte:
„Kinder teilen die Welt gern in schwarz und weiß, gut und böse, wir und ihr, richtig und falsch. Doch zum Erwachsenwerden gehört die Erkenntnis, dass es nur unendlich viele Grautöne gibt.“
Mein Gott! - , dachte Sarah – Jetzt kriegt er doch glatt noch die Kurve zu Fifty Shades Of Grey! -
Doch ihre Erwartung im Hinblick auf sexuelle Entfesselung wurde nicht bedient. Stattdessen fuhr er fort:
„Um unsere Ziele zu erreichen, müssen wir bereit sein, unkonventionelle Wege zu beschreiten. Wenn wir uns dabei die, für die wir uns doch einsetzen, nicht zu Feinden machen wollen, müssen wir oft im Verborgenen agieren, da geht es dann auch schon mal in anthrazitfarbene Abgründe. Aber das Ergebnis ist weiß oder zumindest lichtgrau. Schmieren Sie Asche auf Ihr weißes Hemd, ist es schmutzig. Machen Sie sich einen Fettfleck auf die weiße Weste, ist die Weste an dieser Stelle nicht mehr weiß. Doch mit Seife bekommen Sie beides wieder sauber. Und woraus wird Seife hergestellt? Aus Asche und Fett.
Wenn wir zusammenhalten, das Ziel nicht aus den Augen verlieren und den Kreis geschlossen halten, dann wird der eben besungene Morgenstern aufgehen und uns und allen anderen leuchten. Amen.“
Er unterstrich das Amen mit der Merkelraute.
Sarah zitterte. Auch wenn hier keine Insignien zu sehen waren, so war sie sicher, dass sie doch Recht gehabt hatte. Andreas in seiner grenzenlosen Naivität und zur Schau getragenen Offenheit hatte sich natürlich nichts dabei gedacht, Bruder Bertram die Kirche für eine Adventsandacht der Rotarier zur Verfügung zu stellen. Als sie ihn eindringlich gewarnt hatte, dass dieser geheime Männerbund in Verbindung zu den Freimaurern stehe und zum Teil mithilfe satanistischer Aktivitäten seine Macht ausbaue, hatte er sie ausgelacht und ihr geraten, die Finger von unseriösen Internetseiten zu lassen.
„Dr. Reinhard wird ein Gebet für uns alle sprechen und zum Abschluss singen wir noch einmal die erste Strophe des Liedes Nr. 16. Diesmal werde ich uns an der Orgel begleiten.“
Wie gelähmt beobachtete Sarah, wie Bruder Bertram mit festem Blick den Mittelgang entlangschritt, während Dr. Reinhard seine scheinbar harmlosen Gebetsworthülsen von sich gab. Hätte sie zugehört, wäre sie womöglich direkt ohnmächtig geworden. Bruder Bertram würde sie gleich hier finden, wie sollte sie ihm das erklären? Dass sie ihre Noten an der Orgel vergessen hätte? Ihre Gedanken rasten. Warum hatte er das Lied von Jochen Klepper ausgewählt? - Die Nacht ist vorgedrungen / der Tag ist nicht mehr fern. / So sei nun Lob gesungen / dem hellen Morgenstern./... - Sie hörte seine Schritte auf den ersten Treppenstufen. Natürlich! Sie konnte sich in das Turmzimmer verziehen. Vielleicht war die Verbindungstür zum Dachboden offen und dann könnte sie über die Treppe nach draußen gelangen. Nahezu lautlos huschte sie zur Tür, öffnete sie glücklich und zog sie sanft hinter sich ins Schloss.
Sie hörte, wie er den Deckel über dem Manual öffnete, wie er die notwendigen Register zog. Sie versuchte, die Tür zum Dachboden zu öffnen, doch die war verschlossen. Dann musste sie eben warten, bis die rotierenden Testosteronschleudern abgezogen waren. Seine glatten Ledersohlen klapperten auf dem Pedal. Er spielte und sang selbst mit Inbrunst: „Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“
Das Lied war zu Ende. Die Register wurden zurück geschoben, der Deckel über dem Manual geschlossen. Die glatten Ledersohlen klapperten nun auf den alten Fichtendielen. Sie kamen näher. Die Türklinke wurde nach unten gedrückt, die Tür öffnete sich. Er sah ihr wissend in die Augen. Sie fröstelte.

ENDE – oder?
Wer mag, kann eine Fortsetzung schreiben, die wird dann unter Angabe der Quelle in der Buchversion dieses Blogs veröffentlicht.

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Interessant ...
... aber Freimaurer sind doch keine Satanisten ... oder habe ich da im Text was falsch verstanden?

Ich dachte, Bruder Bertram würde die Tür von aussen zuschliessen ... ;o)

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Es gibt Hinweise darauf, dass es in Freimaurerkreisen satanistische Zirkel gibt. Es gibt aber auch viele Verschwörungstheorien und Räuberpistolen im Internet, das ist manchmal schon ziemlich witzig.

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Ich glaube die Satanisten sind eher in der Grossfinanz zu suchen und in einigen der heutigen Königshäuser ...

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Na ja,
Großfinanz und Freimaurer schließen sich ja nicht gegenseitig aus. Ebenso wie Lions-Club und Rotary, das sind ja auch alles Clubs besser verdienender Männer und Geheimbünde dazu. So etwas eignet sich für viele Sauerein. Und die gestaltenden Figuren in satanistischen Kreisen glauben ja nicht an den Tinnef, den sie da verbreiten, sie nutzen diese Methode um sich die Angst leicht manipulierbarer Menschen zunutze zu machen.

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