Donnerstag, 11. August 2016
TEN SING-Seifenoper – fast abgeschlossener Kurzkrimi, diesmal als Rätsel
Ganz entspannt und mit einem breiten Grinsen stand Lucas vor der PA und drehte heimlich den Regler für die Bassgitarre hoch. Bis Leon, der eitle Lead-Gitarrist das merken würde, wäre „Guns In My Head“ schon runtergespielt. Plötzlich spürte er eine Hand auf der Schulter und in freudiger Erwartung eines vor Ärger verzerrten Leon-Gesichts drehte er sich langsam um, blickte aber in die verschmitzten, grauen Augen von Keyboarder Damian.
„Na?“, fragte der schelmisch, „Mal wieder den Frentrup auf die Palme bringen?“
„Welche Palme?“, fragte Lucas. „Ich seh hier keine Palme.“
„Na, ich habe jedenfalls auch nichts gesehen und bin auf die Üerraschung gespannt.“, feixte Damian und schlenderte lässig in Richtung Bühne. „Wieder Mega-Pupillen, der Irre.“, nuschelte er vor sich hin. „Hoffentlich verteilt der morgen nix.“
Ariane bürstete auf die Bühne und krakeelte: „Habt ihr alle 'n Ei am wandern? Wir wollen endlich anfangen, also kommt in die Puschen!“
Arianes Funktion war eigentlich alles und nichts. Sie war die Einzige, die für den ganzen Rummel bezahlt wurde und offiziell die Gesamtleitung der TEN SING-Gruppe innehatte, aber sie spielte weder ein Instrument, noch konnte sie tanzen, singen oder nennenswert Theater spielen. Das Organisieren lag ihr ebenso wenig wie das Entwickeln oder Umsetzen kreativer Ideen, aber sie hatte nun einmal diese berufliche Rolle und versuchte, sie so gut es eben ging auszufüllen. Dass ihre allmählich aus der Form geratene Figur in einer pinken Latzhose steckte und dass das von tiefen Nasolabialfalten, Krähenfüßen und Tränensäcken zerfurchte Gesicht von einer wasserstoffblonden, mit dem Messer geschnittenen und Stylingschaum geboosterten In-Frisur gerahmt war, verlieh ihrer Gestalt etwas besonders Groteskes.
„Du musst heute keinem was beweisen, Aileen.“, zischte sie ein einnehmend hübsches Mädchen mit endlos langen, braunen Haaren an. „Wir wissen alle, dass du seit gestern fieberfrei bist und morgen auf die Bühne kannst. Also übernimm dich nicht gleich.“
„Mit geht’s wieder total gut.“, erwiderte Aileen, zuckte mit den Schultern und nahm betont langsam ihren Platz auf der Chortreppe ein. Der Leadgitarrist Leon verfolgte jeden ihrer Schritte mit Argusaugen.
Polly, eine aparte aber unsichtbare Blondine trat an den Mikrofon-Ständer. Die Band spielte „Guns In My Head“ an, der Chor brandete auf, und dann entpuppte sich Polly als wahre Rockröhre.
„Die singt, als würde sie 'n Amoklauf planen.“, dachte Damian und ahnte gar nicht, dass er nicht vollkommen falsch damit lag.
Für das nächste Solo - „Diamonds“ von Rihanna – trat Aileen ans Mikrofon. Mit ihrer facettenreichen Stimme, die mal rein und klar, mal rauchig daher kam, schien sie alle zu verzaubern. Nur Ariane, die Leiterin, verdrehte genervt die Augen. Sie fand, dieses Zuckerpüppchen wurde völlig überschätzt. Es war nur so, dass die Jungen ihre Zungen gern zwischen ihren fleischigen Lippen versenkt hätten und die Mädchen sie um ihr Fotomodell-taugliches Äußeres beneideten. Zwischen den Ohren hatte Aileen nur Stroh, fand Ariane. Sie fing Jennifers verhaltenes Grinsen auf, die ihre Mimik beobachtet hatte. Jennifer war wirklich hübsch mit ihren blonden Korkenzieherlocken, den himmelblauen Augen und dem Porzellanteint, ein bisschen üppig vielleicht, aber der Babyspeck würde sich später verziehen.
Bei der Tanznummer stand Ariane im Mittelpunkt. Sie selbst hatte diese choreografische Eingebung gehabt, ging damit allen auf die Nerven, hatte sich aber aufgrund ihrer Machtposition durchgesetzt.
„Du solltest dich bei der Startaufstellung nicht direkt vor mich stellen!“, zischte sie Aileen an, die auch im Tanzworkshop mitmischte.
„Wo soll ich denn stehen, wenn Leonie immer so weit rüber kommt?“, fauchte Aileen zurück und wandte sich dann an ihre Mittänzerin: „Leonie!“, fuhr sie sie an, „Wenn du dir die Choreo nicht merken kannst, solltest du echt besser im Chor bleiben, wo du hingehörst.“
„Gestern war der Frosch noch krank, jetzt qualmt er wieder, Gott sei Dank!“, ging Ariane dazwischen. Dann lief die Musik aus der Konserve, zu dem der Tanzworkshop eine wilde Mischung aus klassischen Jazz-Dance-Elementen, Hiphop-Moves und Thai Chi-Übungen hinlegte. Es folgte eine Theater-Szene, in der Jennifer, das blond gelockte Moppelchen, eine Jugendliche spielte, die überlegte, sich bei „DSDS“ zu bewerben. Die aparte Aileen spielte ihre große Schwester, die sich über die Träume der Jüngeren lustig machte.
„Wieso hat Jennifer eigentlich die Hauptrolle?“, flüsterte der pfiffige Damian der farblosen Polly ins Ohr. „Die spielt wie'n Stück Holz.“
„Ganz einfach.“, wisperte Polly zurück. „Sie leitet den Theater-Workshop. Noch Fragen?“
Noch zwei Lieder, eine Spielszene und zwei weitere Lieder, dann wurde die Generalprobe an der Stelle unterbrochen, an der auch am kommenden Tag die Pause anstand. Nur wenige Akteure zogen sich in den zur Garderobe umfunktionierten Klassenraum zurück. Als sich nach dreißig Minuten wieder alle auf der Bühne einfanden, fehlte Aileen. Das fiel sofort auf, weil sie beim ersten Stück nach der Pause Akustikgitarre spielen musste.
Die Diva und ihre Star-Allüren!“, stöhnte Ariane, die Fachkraft. „Kann mal einer unsere Superpüppi aus der Garderobe holen?“
Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, spurtete Leon, der Leadgitarrist los, kam aber nicht zurück.
„Wenn man hier nicht alles selber macht!“, ärgerte sich Ariane und rannte hinter die Bühne. In der Garderobe fand sie Leon, der sich verzweifelt über die bewusstlose Aileen beugte und versuchte, sie zu wecken.
Aus dem Mund des Mädchens schien etwas heraus gelaufen zu sein, die Augen waren geöffnet, aber wie erstarrt. Ariane kniete sich neben Aileen und tastete nach ihrem Puls. Sie fühlte nichts. Danach kontrollierte sie die Atmung, auch hier konnte sie nichts feststellen. „Ruf sofort einen Krankenwagen!“, sagte sie zu Leon und begann mit der Wiederbelebung. Nachdem Leon den Notruf abgesetzt hatte, kamen fast alle in den Klassenraum und Damian unterstützte Ariane bei der Reanimation bis der Rettungswagen eintraf. Doch der Versuch blieb erfolglos. In dem Moment, als allen klar wurde, dass Aileen tatsächlich verstorben war, schien die Zeit stehen zu bleiben. In mehreren Köpfen lief ein ähnliches Programm: „Und die Show? Und wer singt jetzt „Diamonds“? Kann die Show überhaupt noch stattfinden? Wie bin ich eigentlich drauf? Wie kann ich jetzt noch an die Show denken?“
Niemand hatte es zugegeben, aber gleich nach dem Schock über diesen furchtbar tragischen, plötzlichen und unvorstellbaren Tod breitete sich Enttäuschung aus,dass ein ganzes Jahr voller kreativer Prozesse, bis zum I-Tüpfelchen ausgeklügelter Organisation, Training, Übung, gemeinsamen Proben, Hämmern, Sägen, Pinsel Schwingen umsonst gewesen sein sollte, weil es eine von ihnen aus ihrer Mitte gerissen hatte.
Das Rettungsteam stellte klar, dass hier dringend die Kriminalpolizei eingeschaltet werden musste, denn sie hielten es für unwahrscheinlich, dass ein so junger, gesunder Mensch von einer Minute auf die andere einfach tot umfiel.
Nachdem als erstes die Spurensicherung eingetroffen war und den Tatort gesichert hatte, kam bald ein Ermittlerduo dazu: Kriminalhauptkommissar Stefan Keller und seine Kollegin Sabine Kerkenbrock von der Bielefelder Mordkommission. Weil es für erste Hypothesen bezüglich der Todesursache noch zu früh war, beschlossen sie, zunächst alle 25 Gruppenmitglieder einzeln zu vernehmen. Allerdings winkte Konstanze Flegel Kerkenbrock kurz vor der Befragung noch einmal zu sich heran und meinte: „Ich kann das erst nach gründlicher Untersuchung abschließend bestätigen, aber alles deutet darauf hin, dass das Opfer Seifenstein getrunken hat.“
„Was ist das denn?“
„Ein Gemisch aus Natriumhydroxid und Soda, eine hoch ätzende Chemikalie zur traditionellen Herstellung von Seife. Verätzt alles und kann je nach Menge und Konzentration innerhalb weniger Minuten zum Tod führen.“
„Danke, Konstanze.“, erwiderte Kerkenbrock und schloss sich wieder ihrem Kollegen zwecks Befragung an.
Die meisten hatten zu Aileen – zumindest nach eigener Aussage – so gut wie keinen Kontakt gehabt und wussten auch sonst nichts über sie zu sagen, außer dass sie eine Säule der Show gewesen sei, weil sie in jedem Workshop mitwirkte und dies auch auf der Bühne sichtbar werden sollte.
Leonie war nicht so gut auf Aileen zu sprechen. „Bevor Sie es von jemand Anderem erfahren“, erklärte sie, „sage ich es Ihnen lieber selbst. Aileen hat mich nach Strich und Faden gedisst. Ich habe ihr nichts getan, aber vielleicht nimmt sie es mit übel, dass ich den Ausbildungsplatz bekommen habe, auf den sie sich auch beworben hat.“
„Was für eine Ausbildung machen Sie?“, fragte Kerkenbrock.
„Pharmazeutisch technische Assistentin. Ich arbeite in der Apotheke bei uns vor Ort.“
Auch Polly, eine auf unspektakuläre Weise hübsche Siebzehnjährige erklärte, sie müsse zugeben, dass sich ihre Trauer in Grenzen halte, weil Aileen ihr vor drei Monaten den Freund ausgespannt habe.
Jennifer - „Welch barocker Rauschgoldengel“, dachte Keller – gab ihrem Bedauern darüber Ausdruck, dass Aileen nun nie wieder ihr Solo singen könne: „Ich meine, ich kann „Diamonds“ von Rihanna auch ziemlich gut singen, aber bei Aileen klang das noch mal ganz anders. Es gibt ja so vieles, das sie in der Show gemacht hätte, das muss jetzt alles umbesetzt werden.“
Leon, der sie gefunden hatte, war immer noch völlig aufgelöst. Er zitterte am ganzen Körper und er redete und weinte abwechselnd, beides wie ein Wasserfall. Es war nicht zu übersehen, dass er etwas Besonderes für das Mädchen empfunden hatte.
„War Aileen deine Freundin?“, fragte Kerkenbrock einfühlsam.
„Ja, schon irgendwie.“, antwortete Leon, sah dann verstört vom einen zum anderen und stellte das Missverständnis richtig: „Also, wir sind nicht zusammen, nur Freunde. Aileen ist mit Noah zusammen, aber der ist nicht bei TEN SING.“
Die Hauptamtliche erklärte, Aileen sei ein ziemliches Früchtchen gewesen. „Wenn sie nicht everybodys Darling war, wurde sie schnell zur Furie, aber meistens konnte sie ihre Altersgenossen ganz gut um den Finger wickeln. Ich glaube ja, dass ihr der Ehrgeiz, von dem sie getrieben war, zum Verhängnis geworden ist. Sie hat bis vorgestern mit einer schweren Grippe mit hohem Fieber flachgelegen, und heute sprang sie hier herum, als wäre nichts gewesen. Ich wette, sie hat sich eine Herzmuskelentzündung zugezogen.“
Damian, der Keyboarder, erwies sich als stiller Beobachter, der viel mitbekam von dem, was zwischen einzelnen Jugendlichen untereinander ablief. So erklärte er: „Ariane kann Aileen nicht ausstehen, weil sie ihr vor Augen führt, wie man aussehen kann, wenn man nicht nur flippig, sondern auch noch jung und hübsch ist. Obwohl sie schon recht hat, dass Aileen nie genug bekam von Bewunderung und Anerkennung; dafür hat sie sich echt abgestrampelt. Leon ist total scharf auf sie, hat keine Chance, hört aber nicht auf zu probieren.“
Soweit Damians Beobachtungen, allerdings hatte auch er nicht den Hauch einer Ahnung, ob jemand in der Pause mit Aileen allein in der Garderobe gewesen war.
Ein Blick in Lucas Augen und die Polizeibeamten wussten, dass sie dieser Junge heute Abend noch aufs Revier begleiten würde. Als sie mit ihm fertig waren, sagte Kerkenbrock: „Also, Herr Keller, wir müssen ja noch abwarten, was bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung heraus kommt, aber ich glaube, ich weiß, wie es passiert ist, wer es war und eventuell auch warum.“

Und jetzt frage ich Euch, liebe Leserinnen und Leser: Habt Ihr eine Hypothese bezüglich Täter, Motiv und Tathergang? Ich bin schon sehr gespannt. In etwa einer Woche löse ich das Rätsel an dieser Stelle auf. Alternativ-Fragen (also solche, die nur mit Ja oder Nein beantwortet werden können) – und natürlich nicht solche wie „Ist XXX der Täter?“ - kann ich schon vorher in den Kommentaren beantworten.
VIEL SPASS BEIM RÄTSELN!!!

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Ich habe zwei Verdächtige
Einmal Jennifer Goldlöckchen, die vielleicht ihre Harmlosigkeit überspielt und in Wirklichkeit gerne der Star der Show sein möchte.

Zum Zweiten Polly, dem das Opfer den Freund ausgespannt hat. Das Motiv scheint mir mehr plausibel, Eifersucht und so.

Aber, wie das passieren konnte? Ich meine, dass diese Chemikalie stinkt, also muss man sie "verbrämen". Aber würde ein Getränk zum überdecken reichen? Ausserdem würde sie das beim ersten Schluck sofort merken und da müsste ein Glas auf dem Boden rumliegen.

Auch die Herzmuskelentzündung könnte eine Möglichkeit sein. Ich glaube Letzteres ist mein Favorit! Weil sie sich nicht auskuriert hat, bevor sie wieder auf der Bühne "herumsprang".

Das mit der Chemikalie scheint mir zu unwahrscheinlich. Wie kommt man an sowas, wie verabreicht man die, wenn sie doch stinkt und giftige Dämpfe abgibt? Da gibt es bessere Methoden ...

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Chefermittlerin Birgit :-)
Das ging ja ruck zuck :-) Tut mir regelrecht leid, Dich jetzt eine Woche auf die Folter zu spannen, aber auf jeden Fall viele interessante Ansätze. Mir juckt es in den Fingern etwas dazu zu schreiben, aber dann würde ich zuviel verraten.

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Hehehe! ;o)

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