Montag, 13. Juni 2016
Sommerkonzert – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 23:07h
Gisela war die Erste, sonst waren nur die Starken und Emsigen vom Obst- und Gartenbau-Verein angerückt, die die Bierzeltgarnituren in Hagedorns Eichen aufbauten sowie den Verköstigungs-Pavillon mit Grill, Getränke-Kühlbox und Bierfass, denn nach Kaffee und Kuchen, für den der Frauenchor sorgte, sollte es einen zünftigen Ausklang geben.
Die Tradition des Sommerkonzerts in Hagedorns Eichen bestand erst seit etwa zehn Jahren, aber alle Beteiligten hatten das Gefühl, es sei schon ihr Leben lang so gewesen. Aus der Kirchengemeinde wirkten neben dem Frauenchor, dem Gisela angehörte, der Posaunenchor und der Kinderchor mit und in diesem Jahr zum ersten Mal der Gospelchor. Dazu kamen der Männer-Gesangsverein die Feuerwehr-Kapelle und der gemischte Kirchenchor aus dem Nachbarort. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einer Andacht des Pfarrers und einem Lied des Frauenchores. Danach ging es bei Kaffee und Kuchen weiter.
Gisela hatte ihre traditionelle Friesen-Torte gebacken und sechs Kannen Kaffee gekocht. DA kam auch schon Ursula mit ihrem schlichten Gugelhupf. Die frau hatte wirklich nicht einen Funken Ehrgeiz. Karin kam endlich mit den Papier-Tischdecken, sie hatte auch Servietten, Kaffeebecher, Pappteller und Plastik-Gabeln dabei – und die neumodischen Fanta-Schnitten, die Gisela aus tiefster Seele verachtete. In null Komma nichts war das Buffet aufgebaut, die Torte geschnitten und der Blumenschmuck aus diversen Gärten auf den Tischen verteilt – hier hatten sich die Damen vom Obst- und Gartenbauverein nicht lumpen lassen.
Nun kam es zum akustischen Super-GAU, denn alle Chöre sangen sich gleichzeitig ein, nur die Bläser hatten sich auf den nahegelegenen Schulhof verzogen, um nicht alle anderen zu übertönen.
Es war bereits 14.30 Uhr, als alle mit den Füßen scharrten, weil der Pfarrer noch nicht da war. Das war umso verwunderlicher, weil er grundsätzlich dazu neigte, eine halbe Stunde früher da zu sein.
„Vielleicht hat er sich den Fuß verknackst.“, mutmaßte Luise. „Er kommt doch meistens zu Fuß in die Eichen.“
„Wo geht er denn dann lang?“, fragte Hannelore.
„Sein Auto stand eben noch beim Friedhof. Wenn er von da aus zu Fuß losgegangen ist, ist er bestimmt am Sportplatz vorbei gegangen. Vielleicht ist er aufm Feldweg umgeknickt. Sollte vielleicht mal einer losfahren und suchen.“
Während Sigrid den vermeintlichen Fußweg des Pfarrers abfuhr, ging Edeltraud noch einmal tiefer in das Eichenwäldchen, um im Unterholz frische Holunderblüten für die Bowle zu sammeln, die sie für den späten Nachmittag angesetzt hatte. Sie steuerte gerade auf ein paar besonders üppige Dolden zu, als sie an der Peripherie ihres Gesichtsfelds einen Schatten wahrnahm, der nicht so recht ins Bild passen wollte. Sie wandte sich dem Schatten zu und erstarrte augenblicklich. So ein grauenvoller Anblick hatte sich ihr nie zuvor geboten: Vor einer Eiche stand der Pfarrer mit gespaltenem Schädel. Die Axt, die jemand mit mächtiger Wucht in seinen Kopf getrieben hatte, steckte in dem Baum, an dem er lehnte. Eins der toten Augen starrte sie erbarmungslos an und das Blut aus der klaffenden Kopfwunde war den Hals hinab bis zum Kragen gesickert und hatte das sonst blütenweiße Beffchen dunkelrot gefärbt. Es sah absurd aus, wie der Talar-Träger da so barbarisch an den Baum genagelt worden war, unwirklich, wie eine Szene aus dem Mittelalter. Und warum trug er überhaupt sein Amts-Gewand? Er sollte doch nur eine Andacht halten, keinen Gottesdienst. War er in der Robe durch den Ort geschlendert oder hatte er sich etwas hier im Wald umgezogen?
Gisela hörte Edeltrauds Schreie zuerst und setzte sich augenblicklich in Bewegung, um ihr zur Hilfe zu eilen, kurz darauf stimmte sie mit ein und nach und nach kamen mehr Mutige, die alle aufgeregt durcheinanderschrien.
„Einer muss die Polizei rufen.“, sagte Gisela schließlich, nachdem sie sich einigermaßen gefasst hatte. „Buhrmesters Herbert hat doch so ’n Handy.“
Edeltraud, froh darüber, einen guten Grund zu haben, dem Ort des Grauens zu entkommen, leif zum Festplatz zurück, um Herbert zu suchen.
Von der anderen Seite näherte sich die dicke Frieda der entsetzten Gruppe. Im altmodischen Sonntagsstaat, mit blitzsauberer, weißer Bluse, dunkelblauem Faltenrock und polierten Schuhen kam sie mit einem fröhlichen Lachen näher. Frieda nahm keiner im Dorf so richtig ernst. Sie war nicht nur über die Maßen dick, so dass die Fahrradreifen auch dann platt wirkten, wenn sie stramm aufgepumpt waren und Frieda auf dem Sattel saß; sie war auch seltsam, war unverheiratet geblieben, sammelte Wildkräuter und alte Füllfederhalter, war abergläubisch und auch sonst irgendwie nicht von dieser Welt.
Als sie bei der Gruppe angekommen war, strahlte sie immer noch.
„Tach.“, sagte sie. „Seid ihr noch nicht angefangen?“
„Frieda!“, rief Gisela. „Hast du keine Augen im Kopf? Du siehst doch, dass einer unseren Pastor erschlagen hat!“
„Wurde ja auch Zeit.“, erwiderte Frieda ungerührt. Alle starrten sie entsetzt an.
„Der hat mir heute zum letzten Mal aufgelauert.“, fuhr sie triumphierend fort. „Der alte Schwarzkittel. Ich dachte ja, der macht das nicht mehr. Als ich groß wurde, hat er irgendwann damit aufgehört. Aber eben, als ich noch ein paar dicke Zweige für meine Bodenvase schlagen wollte, stand er da. Und er hat genauso gegrinst wie damals. Und ich dachte noch, gleich packt er mich wieder. Aber dann hab ich gedacht, du packst mich nicht mehr, du schwarzer Teufel. Und da hab ich ihm eine verpasst. Nur eine. Ein schwarzer Teufel auf einen Streich. Hat mächtig gespritzt. Den Kittel kann ich wegschmeißen, das geht nicht mehr raus. Aber der spritzt nicht mehr. Der hat ausgespritzt.“
Der unschuldige Pfarrer, der sich einen Spaß daraus machen wollte, die kurze Andacht in voller Amtstracht zu halten – ein effektvoller Aufhänger, der sich auf den Inhalt dessen bezog, was er sagen wollte - hatte ahnungslos die grauenvollen Bilder der Taten eines seiner Vorgänger heraufbeschworen und endete an einer Eiche. Friedas Leben, von eben diesem Vorgänger beschmutzt und zerstört, endete in der Psychiatrie. Und die Tradition des Sommerkonzertes, die eigentlich erst vor kurzem begonnen hatte, endete an diesem blutigen Sonntagnachmittag.
Die Tradition des Sommerkonzerts in Hagedorns Eichen bestand erst seit etwa zehn Jahren, aber alle Beteiligten hatten das Gefühl, es sei schon ihr Leben lang so gewesen. Aus der Kirchengemeinde wirkten neben dem Frauenchor, dem Gisela angehörte, der Posaunenchor und der Kinderchor mit und in diesem Jahr zum ersten Mal der Gospelchor. Dazu kamen der Männer-Gesangsverein die Feuerwehr-Kapelle und der gemischte Kirchenchor aus dem Nachbarort. Eröffnet wurde die Veranstaltung mit einer Andacht des Pfarrers und einem Lied des Frauenchores. Danach ging es bei Kaffee und Kuchen weiter.
Gisela hatte ihre traditionelle Friesen-Torte gebacken und sechs Kannen Kaffee gekocht. DA kam auch schon Ursula mit ihrem schlichten Gugelhupf. Die frau hatte wirklich nicht einen Funken Ehrgeiz. Karin kam endlich mit den Papier-Tischdecken, sie hatte auch Servietten, Kaffeebecher, Pappteller und Plastik-Gabeln dabei – und die neumodischen Fanta-Schnitten, die Gisela aus tiefster Seele verachtete. In null Komma nichts war das Buffet aufgebaut, die Torte geschnitten und der Blumenschmuck aus diversen Gärten auf den Tischen verteilt – hier hatten sich die Damen vom Obst- und Gartenbauverein nicht lumpen lassen.
Nun kam es zum akustischen Super-GAU, denn alle Chöre sangen sich gleichzeitig ein, nur die Bläser hatten sich auf den nahegelegenen Schulhof verzogen, um nicht alle anderen zu übertönen.
Es war bereits 14.30 Uhr, als alle mit den Füßen scharrten, weil der Pfarrer noch nicht da war. Das war umso verwunderlicher, weil er grundsätzlich dazu neigte, eine halbe Stunde früher da zu sein.
„Vielleicht hat er sich den Fuß verknackst.“, mutmaßte Luise. „Er kommt doch meistens zu Fuß in die Eichen.“
„Wo geht er denn dann lang?“, fragte Hannelore.
„Sein Auto stand eben noch beim Friedhof. Wenn er von da aus zu Fuß losgegangen ist, ist er bestimmt am Sportplatz vorbei gegangen. Vielleicht ist er aufm Feldweg umgeknickt. Sollte vielleicht mal einer losfahren und suchen.“
Während Sigrid den vermeintlichen Fußweg des Pfarrers abfuhr, ging Edeltraud noch einmal tiefer in das Eichenwäldchen, um im Unterholz frische Holunderblüten für die Bowle zu sammeln, die sie für den späten Nachmittag angesetzt hatte. Sie steuerte gerade auf ein paar besonders üppige Dolden zu, als sie an der Peripherie ihres Gesichtsfelds einen Schatten wahrnahm, der nicht so recht ins Bild passen wollte. Sie wandte sich dem Schatten zu und erstarrte augenblicklich. So ein grauenvoller Anblick hatte sich ihr nie zuvor geboten: Vor einer Eiche stand der Pfarrer mit gespaltenem Schädel. Die Axt, die jemand mit mächtiger Wucht in seinen Kopf getrieben hatte, steckte in dem Baum, an dem er lehnte. Eins der toten Augen starrte sie erbarmungslos an und das Blut aus der klaffenden Kopfwunde war den Hals hinab bis zum Kragen gesickert und hatte das sonst blütenweiße Beffchen dunkelrot gefärbt. Es sah absurd aus, wie der Talar-Träger da so barbarisch an den Baum genagelt worden war, unwirklich, wie eine Szene aus dem Mittelalter. Und warum trug er überhaupt sein Amts-Gewand? Er sollte doch nur eine Andacht halten, keinen Gottesdienst. War er in der Robe durch den Ort geschlendert oder hatte er sich etwas hier im Wald umgezogen?
Gisela hörte Edeltrauds Schreie zuerst und setzte sich augenblicklich in Bewegung, um ihr zur Hilfe zu eilen, kurz darauf stimmte sie mit ein und nach und nach kamen mehr Mutige, die alle aufgeregt durcheinanderschrien.
„Einer muss die Polizei rufen.“, sagte Gisela schließlich, nachdem sie sich einigermaßen gefasst hatte. „Buhrmesters Herbert hat doch so ’n Handy.“
Edeltraud, froh darüber, einen guten Grund zu haben, dem Ort des Grauens zu entkommen, leif zum Festplatz zurück, um Herbert zu suchen.
Von der anderen Seite näherte sich die dicke Frieda der entsetzten Gruppe. Im altmodischen Sonntagsstaat, mit blitzsauberer, weißer Bluse, dunkelblauem Faltenrock und polierten Schuhen kam sie mit einem fröhlichen Lachen näher. Frieda nahm keiner im Dorf so richtig ernst. Sie war nicht nur über die Maßen dick, so dass die Fahrradreifen auch dann platt wirkten, wenn sie stramm aufgepumpt waren und Frieda auf dem Sattel saß; sie war auch seltsam, war unverheiratet geblieben, sammelte Wildkräuter und alte Füllfederhalter, war abergläubisch und auch sonst irgendwie nicht von dieser Welt.
Als sie bei der Gruppe angekommen war, strahlte sie immer noch.
„Tach.“, sagte sie. „Seid ihr noch nicht angefangen?“
„Frieda!“, rief Gisela. „Hast du keine Augen im Kopf? Du siehst doch, dass einer unseren Pastor erschlagen hat!“
„Wurde ja auch Zeit.“, erwiderte Frieda ungerührt. Alle starrten sie entsetzt an.
„Der hat mir heute zum letzten Mal aufgelauert.“, fuhr sie triumphierend fort. „Der alte Schwarzkittel. Ich dachte ja, der macht das nicht mehr. Als ich groß wurde, hat er irgendwann damit aufgehört. Aber eben, als ich noch ein paar dicke Zweige für meine Bodenvase schlagen wollte, stand er da. Und er hat genauso gegrinst wie damals. Und ich dachte noch, gleich packt er mich wieder. Aber dann hab ich gedacht, du packst mich nicht mehr, du schwarzer Teufel. Und da hab ich ihm eine verpasst. Nur eine. Ein schwarzer Teufel auf einen Streich. Hat mächtig gespritzt. Den Kittel kann ich wegschmeißen, das geht nicht mehr raus. Aber der spritzt nicht mehr. Der hat ausgespritzt.“
Der unschuldige Pfarrer, der sich einen Spaß daraus machen wollte, die kurze Andacht in voller Amtstracht zu halten – ein effektvoller Aufhänger, der sich auf den Inhalt dessen bezog, was er sagen wollte - hatte ahnungslos die grauenvollen Bilder der Taten eines seiner Vorgänger heraufbeschworen und endete an einer Eiche. Friedas Leben, von eben diesem Vorgänger beschmutzt und zerstört, endete in der Psychiatrie. Und die Tradition des Sommerkonzertes, die eigentlich erst vor kurzem begonnen hatte, endete an diesem blutigen Sonntagnachmittag.
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