Montag, 6. Juni 2016
Little Red Rooster
c. fabry, 11:21h
Es war eine wilde Party gewesen, fast so wie früher. Jetzt stand er vor dem Gemeindehaus und stellte sich vor, wie es aussah, wenn in etwa ein bis zwei Stunden die Sonne über die Dächer stieg und die Wiese in goldenes Licht tauchte. Er dachte an die frühen Kindertage: mit Sören und Hennes im Sandkasten unter dem Glockenturm, Gemeindefeste mit Bratwurst und einem überwältigen Salatbuffet, inklusive Kuchen und Nachtisch. Er wusste, dass er im Kirchsaal getauft worden war, auch dass seine Eltern hier geheiratet hatten. Dann war er zur Grundschule gegangen und die Spielgruppe „Remmidemmis“ hatte einmal wöchentlich stattgefunden. Unzählige Male hatten sie auf der Wiese Fußball gespielt oder „A Zerlatscht“ ein Versteckspiel mit Fangen und Freischlagen. Sie waren zum Bude bauen in den Wald gegangen und bei nicht so gutem Wetter hatten sie im Haus Kreisspiele gemacht, gebastelt, Pizza gebacken oder Tischtennis gespielt. Zu Weihnachten hatte er mehrere Male beim Krippenspiel mitgewirkt: Den Josef, einen Hirten, den Wirt und einmal sogar einen Löwen. Als die Kinderzeit vorbei war, war er zum kirchlichen Unterricht gegangen, das war zwar oft ziemlich langweilig, aber man hatte wieder die alten Hasen aus der Grundschulzeit getroffen, die jetzt alle zu unterschiedlichen Schulen gingen. Zur Konfirmation wollten viele lieber in die große Kirche im Stadtteil nebenan, aber er hatte sich gefreut, dass es hier stattgefunden hatte, hier war er zu Hause, das fühlte sich richtig an. Als Jugendlicher hatte er mit seinen Freunden hier abgehangen, meistens auf der Wiese oder im Schutz des Kirchturms, aber einmal in der Woche hatte es einen Jugendtreff gegeben. Er war den Betreuungsangeboten entwachsen, hatte die Schule abgeschlossen, eine Ausbildung gemacht und war mittlerweile als Geselle übernommen worden. Eigentlich hatte er nicht mehr ans Gemeindehaus gedacht, Hochzeit und Kindtaufe waren noch weit weg, aber dann war er vor ein paar Wochen nach Hause gekommen und seine Mutter hatte da gestanden mit Tränen in den geröteten Augen.
„Sie wollen es schließen und abreißen:“, hatte sie gesagt. „Das ganze Gemeindehaus und das Pfarrhaus gleich mit. Und dann bauen sie Wohnungen auf dem Grundstück, auch auf der Wiese, auf der ihr immer gespielt habt.“
„Warum?“
„Die Gemeinde muss einsparen, sich verkleinern. Und wenn gespart werden muss, dann trifft es uns hier in unserem kleinen Ortsteil immer zuerst. Der Kirchmeister passt schon auf, dass es in ihrem „Dom“ an nichts fehlt. Die haben gerade ein komplett neues Dach bekommen. Das Gemeindehaus haben sie auch frisch gestrichen, während es hier nicht einmal für einen Eimer Farbe gereicht hat, um die Altarwand im Kirchsaal wieder schön zu machen. „Lohnt nicht!“, hat Kloppstock immer gesagt und unsere Fraktion im Presbyterium konnte so laut aufschreien wie sie wollte, die anderen haben uns immer überstimmt.“
„Aber wo sollen die Leute denn hin, wenn das Gemeindehaus abgerissen wird?“
„Ins große Gemeindehaus nach W. Da gibt es schließlich alles. Dann sollen wir uns den Gruppen da anschließen oder gucken, ob für unsere Gruppen zu deren Zeiten noch ein Raum frei ist.“
„Aber die in W. Sind doch total spießig.“
„Ja, und die sagen immer, dass wir irgendwie komisch sind. Die rümpfen die Nase, weil wir hier viel politischer und unkonventioneller sind. Eigentlich wollen die uns gar nicht bei sich haben, es ist wirklich verrückt. Und die Kinder, die hier einfach zu Fuß hingehen können, müssen jetzt von den Eltern nach W. gebracht werden. Das macht dann doch auch keiner. Dann sitzen sie am Ende alle allein vor ihren Computern.“
Jetzt stand er vor dem Haus voller Erinnerungen und es begann in ihm zu kochen. Wieso bekamen die in W. Immer alles und warum musste hier alles weichen? Mit welchem Recht, nahm man ihnen ihr Gemeindehaus weg? Wieso mussten sie alle nach W. gehen? Alle Welt sprach davon, dass die Kirchen immer mehr schrumpften. Am Ende würde man den Riesenkomplex in W. auch nicht mehr halten können und dann bliebe gar nichts übrig. Warum nicht gleich das kleine, günstigere Gemeindehaus mit integriertem Kirchsaal behalten? Da würde es nicht so schnell ungemütlich.
Er würde das Unausweichliche verhindern. Er würde Tatsachen schaffen. In der Garage stand ein Kanister Benzin und eine Kanne Öl. Leere Flaschen und alte Lapen gab es auch genug. „Zehn leere Flaschen Wein können schnell zehn Mollies sein.“, trällerte er vor sich hin. Er arbeitete zügig, denn er wollte in W. ankommen, bevor die Spießer Brötchen holen gingen.
„I'm a littler red rooster“, sang er, als die erste Flammen im inneren der großen Kirche aufzüngelten. Auch der Dachstuhl des Gemeindehauses brannte schneller, als er es erwartet hatte. Wenn er seine Mutter das nächste Mal weinen sähe, wären es Freudentränen. Er war zu betrunken um zu ahnen, dass es Tränen der Verzweiflung sein würden.
„Sie wollen es schließen und abreißen:“, hatte sie gesagt. „Das ganze Gemeindehaus und das Pfarrhaus gleich mit. Und dann bauen sie Wohnungen auf dem Grundstück, auch auf der Wiese, auf der ihr immer gespielt habt.“
„Warum?“
„Die Gemeinde muss einsparen, sich verkleinern. Und wenn gespart werden muss, dann trifft es uns hier in unserem kleinen Ortsteil immer zuerst. Der Kirchmeister passt schon auf, dass es in ihrem „Dom“ an nichts fehlt. Die haben gerade ein komplett neues Dach bekommen. Das Gemeindehaus haben sie auch frisch gestrichen, während es hier nicht einmal für einen Eimer Farbe gereicht hat, um die Altarwand im Kirchsaal wieder schön zu machen. „Lohnt nicht!“, hat Kloppstock immer gesagt und unsere Fraktion im Presbyterium konnte so laut aufschreien wie sie wollte, die anderen haben uns immer überstimmt.“
„Aber wo sollen die Leute denn hin, wenn das Gemeindehaus abgerissen wird?“
„Ins große Gemeindehaus nach W. Da gibt es schließlich alles. Dann sollen wir uns den Gruppen da anschließen oder gucken, ob für unsere Gruppen zu deren Zeiten noch ein Raum frei ist.“
„Aber die in W. Sind doch total spießig.“
„Ja, und die sagen immer, dass wir irgendwie komisch sind. Die rümpfen die Nase, weil wir hier viel politischer und unkonventioneller sind. Eigentlich wollen die uns gar nicht bei sich haben, es ist wirklich verrückt. Und die Kinder, die hier einfach zu Fuß hingehen können, müssen jetzt von den Eltern nach W. gebracht werden. Das macht dann doch auch keiner. Dann sitzen sie am Ende alle allein vor ihren Computern.“
Jetzt stand er vor dem Haus voller Erinnerungen und es begann in ihm zu kochen. Wieso bekamen die in W. Immer alles und warum musste hier alles weichen? Mit welchem Recht, nahm man ihnen ihr Gemeindehaus weg? Wieso mussten sie alle nach W. gehen? Alle Welt sprach davon, dass die Kirchen immer mehr schrumpften. Am Ende würde man den Riesenkomplex in W. auch nicht mehr halten können und dann bliebe gar nichts übrig. Warum nicht gleich das kleine, günstigere Gemeindehaus mit integriertem Kirchsaal behalten? Da würde es nicht so schnell ungemütlich.
Er würde das Unausweichliche verhindern. Er würde Tatsachen schaffen. In der Garage stand ein Kanister Benzin und eine Kanne Öl. Leere Flaschen und alte Lapen gab es auch genug. „Zehn leere Flaschen Wein können schnell zehn Mollies sein.“, trällerte er vor sich hin. Er arbeitete zügig, denn er wollte in W. ankommen, bevor die Spießer Brötchen holen gingen.
„I'm a littler red rooster“, sang er, als die erste Flammen im inneren der großen Kirche aufzüngelten. Auch der Dachstuhl des Gemeindehauses brannte schneller, als er es erwartet hatte. Wenn er seine Mutter das nächste Mal weinen sähe, wären es Freudentränen. Er war zu betrunken um zu ahnen, dass es Tränen der Verzweiflung sein würden.
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