Mittwoch, 13. August 2025
2nd Spoiler 22
c. fabry, 16:12h
1995
Den Schmerz der Zurückweisung durch den schönen Dietmar hatte Sigrid seit nunmehr einem Jahr beharrlich mit viel Arbeit betäubt. Wenn sie den ganzen Tag beschäftigt war, blieb zum Grübeln keine Zeit und abends fiel sie regelmäßig in einen bleiernen, traumlosen Schlaf. Doch die Selbstausbeutung und die verdrängte Kränkung forderten auf Dauer ihren Tribut. Es stellten sich körperliche Beschwerden ein, die sich schließlich nicht mehr ignorieren ließen. Ein entzündetes Schultergelenk schränkt die Bewegung ein und der Schmerz lässt sich nicht mit Aspirin oder Paracetamol betäuben. Sie suchte ihre Hausarztpraxis auf und geriet an einen jungen Arzt in Ausbildung, der deutlich freundlicher und sensibler zu Werke ging als ihr grobschlächtiger alter Hausarzt. Sie hatten nicht nur wegen des geringen Altersunterschiedes sofort einen Draht zueinander, unterhielten sich angeregt und machten Scherze. Sigrid war sofort schockverliebt, wischte den Gedanken aber beiseite, um nicht wieder enttäuscht, gedemütigt und verletzt zu werden.
Doch in den folgenden Monaten folgte eine Malaise auf die andere: Magenschleimhautentzündung, Drehschwindel, eine Herpesinfektion, Wadenkrämpfe und ein hartnäckiger grippaler Infekt.
So hatte sie immer wieder Kontakt zu dem sympathischen, jungen Mann und schließlich brach ihre innere Abwehr ein und sie begann, sich in ihren Tagträumen an seiner Seite zu sehen. Nach endlosen inneren Debatten zwischen ihrer Sehnsucht und ihrer Vernunft, setzte die Sehnsucht sich m Ende durch. Sie nahm all ihren Mut zusammen und fragte ihn an einem Mittwochvormittag bei einer Konsultation wegen einer Lappalie: „Hätten Sie vielleicht Lust, wenn Sie heute Feierabend machen, einen Kaffee mit mir trinken zu gehen?“
Er zuckte irritiert zusammen und erwiderte dann: „Oh, das geht leider nicht. Ich begleite meine Frau heute Nachmittag zu einer Ultraschall-Untersuchung ins Krankenhaus, wir bekommen bald unser erstes Kind.“
Er lächelte gewinnend.
Diese Information traf Sigrid wie ein Faustschlag in die Magengrube. Sie spürte ein unangenehmes Kribbeln im unteren Hinterkopf und musste sich für den Bruchteil einer Sekunde sammeln. Begeisterung heuchelnd erwiderte sie fröhlich: „Oh, das ist sehr erfreulich! Dann wünsche ich Ihnen alles Gute!“
Er bedankte sich und sie gab sich die allergrößte Mühe, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und die Praxis würdevoll zu verlassen.
Sie lud ihn nie wieder zum Kaffee ein.
Den Schmerz der Zurückweisung durch den schönen Dietmar hatte Sigrid seit nunmehr einem Jahr beharrlich mit viel Arbeit betäubt. Wenn sie den ganzen Tag beschäftigt war, blieb zum Grübeln keine Zeit und abends fiel sie regelmäßig in einen bleiernen, traumlosen Schlaf. Doch die Selbstausbeutung und die verdrängte Kränkung forderten auf Dauer ihren Tribut. Es stellten sich körperliche Beschwerden ein, die sich schließlich nicht mehr ignorieren ließen. Ein entzündetes Schultergelenk schränkt die Bewegung ein und der Schmerz lässt sich nicht mit Aspirin oder Paracetamol betäuben. Sie suchte ihre Hausarztpraxis auf und geriet an einen jungen Arzt in Ausbildung, der deutlich freundlicher und sensibler zu Werke ging als ihr grobschlächtiger alter Hausarzt. Sie hatten nicht nur wegen des geringen Altersunterschiedes sofort einen Draht zueinander, unterhielten sich angeregt und machten Scherze. Sigrid war sofort schockverliebt, wischte den Gedanken aber beiseite, um nicht wieder enttäuscht, gedemütigt und verletzt zu werden.
Doch in den folgenden Monaten folgte eine Malaise auf die andere: Magenschleimhautentzündung, Drehschwindel, eine Herpesinfektion, Wadenkrämpfe und ein hartnäckiger grippaler Infekt.
So hatte sie immer wieder Kontakt zu dem sympathischen, jungen Mann und schließlich brach ihre innere Abwehr ein und sie begann, sich in ihren Tagträumen an seiner Seite zu sehen. Nach endlosen inneren Debatten zwischen ihrer Sehnsucht und ihrer Vernunft, setzte die Sehnsucht sich m Ende durch. Sie nahm all ihren Mut zusammen und fragte ihn an einem Mittwochvormittag bei einer Konsultation wegen einer Lappalie: „Hätten Sie vielleicht Lust, wenn Sie heute Feierabend machen, einen Kaffee mit mir trinken zu gehen?“
Er zuckte irritiert zusammen und erwiderte dann: „Oh, das geht leider nicht. Ich begleite meine Frau heute Nachmittag zu einer Ultraschall-Untersuchung ins Krankenhaus, wir bekommen bald unser erstes Kind.“
Er lächelte gewinnend.
Diese Information traf Sigrid wie ein Faustschlag in die Magengrube. Sie spürte ein unangenehmes Kribbeln im unteren Hinterkopf und musste sich für den Bruchteil einer Sekunde sammeln. Begeisterung heuchelnd erwiderte sie fröhlich: „Oh, das ist sehr erfreulich! Dann wünsche ich Ihnen alles Gute!“
Er bedankte sich und sie gab sich die allergrößte Mühe, sich die Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und die Praxis würdevoll zu verlassen.
Sie lud ihn nie wieder zum Kaffee ein.
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Sonntag, 20. Juli 2025
2nd Spoiler 21
c. fabry, 16:14h
1994
Beruflich war Sigrid angekommen in dem neuen Lebensabschnitt. Alles lief weitetgehend nach Plan und bewährte sich. Ihre Mutter und die Großmutter zogen mit. Doch sie war jung und mit zwanzig Jahren noch immer Single. Hildegard machte sich Sorgen, schwieg aber weise und übte sich in Geduld.
Die Hotelfachfrau verbrachte einen Teil ihrer Freizeit bei der Landjugend. Aus geschäftlicher Sicht war das klug, auf dem Dorf war man darauf angewiesen, einigermaßen vernetzt zu sein, aber es machte ihr auch Freude, etwa Gleichaltrige zu treffen, zu gemeinsamen Unternehmungen, Partys, aber auch einfach zum Quatschen.
Und da war Dietmar, ein lebenslustiger, bildschöner Jungbauer, der sie immer zum Lachen brachte, der beim Tanzen nach Gesundheit und Leben duftete statt nach kaltem Rauch, Bier und ranzigem Männerschweiß. Er gefiel den meisten jungen Frauen, auch denen, die schon einen Freund hatten und er würde eines Tages einen ziemlich großen Hof erben. Das interessierte Sigrid überhaupt nicht, aber viele andere Anwärterinnen. Sie sahen Status und Lifestyle mit einem äußerst präsentablen Gatten an ihrer Seite vor sich. Sigrid dagegen war einfach nur schwer verliebt.
Dietmar war ein Sonnenschein, stets charmant und zugewandt. Sigrid fühlte sich gesehen, lebendig und auch ein bisschen begehrenswert. Sie wischte alle Bedenken beiseite, wagte etwas, ging das eine ums andere Mal auf Dietmar zu, schlug einen gemeinsamen Kinobesuch vor, sogar mit Erfolg, lud ihn zu einem Spieleabend ein.
Schließlich stand ein großes Ereignis an: Landjugend köhlert. Das war ein Riesenspaß mit wechselnder Nachtwache am Feuer, Grillwurst, reichlich Bier und Übernachtung in Drei-Mann-Zelten. Sigrid malte sich viele wildromantische Szenen aus, alles schien möglich, die Türen in eine leuchtende Zukunft standen sperrangelweit offen. Dann kam der große Tag. Sie räumte ihren Schlafsack nachlässig in eins der Mädchenzelte, überzeugt, das sie im Laufe des Abends umziehen würde. Die Stimmung war ausgelassen, jemand hatte für Hintergrundmusik gesorgt, die Grundlage für den strapazierfähigen Magen war schnell gelegt und es floss reichlich Bier zu ausgelassenen Späßen.
Und dann hielt Dietmar plötzlich die zartgliedrige Sonja im Arm, mit ihrem Zimt-Teint und den unerhört Gold reflektierenden, üppigen, hüftlangen, blonden Haaren. Sigrid hatte schon oft gedacht, dass sie für diesen Körper dem Teufel ihre Seele verkauft haben musste, denn sie besaß weder Anstand noch Mitgefühl. Sie schmiegte sich an ihn wie an seinen Leib gegossen, sandte triumphierende Blicke in die Runde, dass sie die begehrte Trophäe ergattert hatte. Und Dietmar saß nur da mit rosigen Wangen, tiefschwarzen Pupillen und folgte mit seien schwitzigen Händen ihren Kurven. Sigrid musste all ihre Kräfte mobilisieren, um nicht aus der Rolle zu fallen. Dabei tröstete es sie keineswegs, dass sie in großer Gesellschaft war. Mindestens fünf andere junge Frauen litten gegenwärtig vergleichbare Qualen. Doch der eigene Schmerz ist immer der Schlimmste. Es folgten tiefdunkle Wochen, in denen sie funktionierte wie ferngesteuert, aber keinerlei Freude am Leben empfand.
Als sie sich an die Demütigung gewöhnt hatte, lebte sie das Leben einer abgeklärten Singlefrau jenseits der Menopause und glaubte, so würde es nun bleiben bis ans Ende ihrer Tage und sie begann, sich darin einzurichten.
Beruflich war Sigrid angekommen in dem neuen Lebensabschnitt. Alles lief weitetgehend nach Plan und bewährte sich. Ihre Mutter und die Großmutter zogen mit. Doch sie war jung und mit zwanzig Jahren noch immer Single. Hildegard machte sich Sorgen, schwieg aber weise und übte sich in Geduld.
Die Hotelfachfrau verbrachte einen Teil ihrer Freizeit bei der Landjugend. Aus geschäftlicher Sicht war das klug, auf dem Dorf war man darauf angewiesen, einigermaßen vernetzt zu sein, aber es machte ihr auch Freude, etwa Gleichaltrige zu treffen, zu gemeinsamen Unternehmungen, Partys, aber auch einfach zum Quatschen.
Und da war Dietmar, ein lebenslustiger, bildschöner Jungbauer, der sie immer zum Lachen brachte, der beim Tanzen nach Gesundheit und Leben duftete statt nach kaltem Rauch, Bier und ranzigem Männerschweiß. Er gefiel den meisten jungen Frauen, auch denen, die schon einen Freund hatten und er würde eines Tages einen ziemlich großen Hof erben. Das interessierte Sigrid überhaupt nicht, aber viele andere Anwärterinnen. Sie sahen Status und Lifestyle mit einem äußerst präsentablen Gatten an ihrer Seite vor sich. Sigrid dagegen war einfach nur schwer verliebt.
Dietmar war ein Sonnenschein, stets charmant und zugewandt. Sigrid fühlte sich gesehen, lebendig und auch ein bisschen begehrenswert. Sie wischte alle Bedenken beiseite, wagte etwas, ging das eine ums andere Mal auf Dietmar zu, schlug einen gemeinsamen Kinobesuch vor, sogar mit Erfolg, lud ihn zu einem Spieleabend ein.
Schließlich stand ein großes Ereignis an: Landjugend köhlert. Das war ein Riesenspaß mit wechselnder Nachtwache am Feuer, Grillwurst, reichlich Bier und Übernachtung in Drei-Mann-Zelten. Sigrid malte sich viele wildromantische Szenen aus, alles schien möglich, die Türen in eine leuchtende Zukunft standen sperrangelweit offen. Dann kam der große Tag. Sie räumte ihren Schlafsack nachlässig in eins der Mädchenzelte, überzeugt, das sie im Laufe des Abends umziehen würde. Die Stimmung war ausgelassen, jemand hatte für Hintergrundmusik gesorgt, die Grundlage für den strapazierfähigen Magen war schnell gelegt und es floss reichlich Bier zu ausgelassenen Späßen.
Und dann hielt Dietmar plötzlich die zartgliedrige Sonja im Arm, mit ihrem Zimt-Teint und den unerhört Gold reflektierenden, üppigen, hüftlangen, blonden Haaren. Sigrid hatte schon oft gedacht, dass sie für diesen Körper dem Teufel ihre Seele verkauft haben musste, denn sie besaß weder Anstand noch Mitgefühl. Sie schmiegte sich an ihn wie an seinen Leib gegossen, sandte triumphierende Blicke in die Runde, dass sie die begehrte Trophäe ergattert hatte. Und Dietmar saß nur da mit rosigen Wangen, tiefschwarzen Pupillen und folgte mit seien schwitzigen Händen ihren Kurven. Sigrid musste all ihre Kräfte mobilisieren, um nicht aus der Rolle zu fallen. Dabei tröstete es sie keineswegs, dass sie in großer Gesellschaft war. Mindestens fünf andere junge Frauen litten gegenwärtig vergleichbare Qualen. Doch der eigene Schmerz ist immer der Schlimmste. Es folgten tiefdunkle Wochen, in denen sie funktionierte wie ferngesteuert, aber keinerlei Freude am Leben empfand.
Als sie sich an die Demütigung gewöhnt hatte, lebte sie das Leben einer abgeklärten Singlefrau jenseits der Menopause und glaubte, so würde es nun bleiben bis ans Ende ihrer Tage und sie begann, sich darin einzurichten.
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Freitag, 11. Juli 2025
2nd Spoiler 20
c. fabry, 15:36h
1993
Im Herbst des Jahres 1993 schloss Sigrid ihre Ausbildung im Hotelfach erfolgreich ab. Sie gehörte zu den Besten ihres Jahrgangs und erhielt ein Angebot des Ausbilders, im Betrieb zu bleiben – mit den allerbesten Karriereaussichten. Aber Sigrid hatte nach drei Jahren Daueranspannung und permanenten Ausreizens der Belastungsgrenze genug von diesem anspruchsvollen Arbeitsbereich, wo stets ein rauer Ton herrschte und Rücksicht ein Fremdwort war. Die devote Kundenergebenheit gegenüber den finanzstarken Gästen hing ihr zum Hals heraus. Sich für einen Hungerlohn wie eine Sklavin behandeln zu lassen, war unter ihrer Würde. Sie bedankte sich für das Angebot und schlug es aus. Sie habe eines Tages ein Erbe anzutreten und wolle schon heute daran mitwirken, dass es sich auch in Zukunft rentiere.
Dass sie tatsächlich lieber selbst etwas gestalten wollte, statt Befehle auszuführen und dass sie Mutte und Großmutter nicht im Stich lassen wollte, behielt sie für sich, das ging ihren selbstherrlichen Chef nichts an. Sie freute sich auf die neue Aufgabe und umso mehr freuten sich Hildegard und Renate über ihren Entschluss, auch wenn sie heimlich fürchteten, dass eines Tages die Liebe einen Strich durch die Rechnung machen könnte.
Zunächst arbeitete Sigrid sich wieder ein in die zum Teil vergessenen Abläufe, lief mit, tat was zu machen war, funktionierte.
Eines Abends – am Ende eines Ruhetages – trommelte sie Mutter und Großmutter zusammen und erklärte: „Ich glaube, ich bin jetzt ausreichend im Bilde wie die Dinge hier laufen. Aber meine Ausbildung soll ja nicht umsonst gewesen sein. Ich hätte für den Anfang ein paar Vorschläge, die sich schnell umsetzen lassen, aber auch ein paar Investitionen, die sicher anstrengend werden.“
„Lass hören.“, sagte Hildegard.
„Also kurzfristig“, erklärte Sigrid, „würde ich die Speisekarte umstellen. Sachen, die nicht mehr laufen – wie Strammer Max – runternehmen und durch etwas Aktuelleres ersetzen, wie zum Beispiel Croques.“
„Was ist das denn?“, fragte Hildegard entsetzt, die hinter dem fremden Wort eine undefinierbare, kulinarische Beleidigung des guten Geschmacks befürchtete.
„Baguette, längs aufgeschnitten, belegt wie Pizza, mit Käse überbacken. Schnell, knusprig, lecker und total angesagt.
Und wenn Schafmeiers Werner einen Strammen Max haben will, kannst du ihm doch trotzdem einen machen. Graubrot, Butter, Mettwurst und Eier sind ja sowieso im Haus.“
Sigrid schlug außerdem ein paar zeitgemäße Drinks vor und kam dann zum großen Projekt.
„Die Etagen-Badezimmer müssen weg. Wir brauchen Nasszellen auf jedem Zimmer. Das wird allmählich zum Standard und wenn wir da nicht nachrüsten, bleiben uns über kurz oder lang die Gäste weg.“
„Und wie soll das gehen?“, fragte Renate entsetzt. „Wenn wir das nach und nach machen lassen, müssen unsere Gäste Baulärm ertragen. Wenn wir alles auf einmal machen, haben wir monatelang fehlende Einnahmen.“
„Die Handwerker kommen ja nicht nachts.“, beschwichtigte Sigrid sie. „Hier schlafen doch überwiegend Monteure und Geschäftsreisende. Wir können damit werben, dass wir in der Bauphase unseren Kunden preislich entgegenkommen. Das wird manch einer sich überlegen.“
Renate blieb skeptisch, aber Hildegard meinte: „Weißt du was, Sigrid? Du bist die einzige von uns, die das, was wir hier machen, wirklich gelernt hat. Deine Mutter und ich, wir sind nur Amateure. Wenn du sagst, dass wir das machen müssen, dann machen wir das. Ich bin froh, dass du den Gasthof für die Zukunft bereit machen willst, und ich finde, wir sollten dir vertrauen.“
Im Herbst des Jahres 1993 schloss Sigrid ihre Ausbildung im Hotelfach erfolgreich ab. Sie gehörte zu den Besten ihres Jahrgangs und erhielt ein Angebot des Ausbilders, im Betrieb zu bleiben – mit den allerbesten Karriereaussichten. Aber Sigrid hatte nach drei Jahren Daueranspannung und permanenten Ausreizens der Belastungsgrenze genug von diesem anspruchsvollen Arbeitsbereich, wo stets ein rauer Ton herrschte und Rücksicht ein Fremdwort war. Die devote Kundenergebenheit gegenüber den finanzstarken Gästen hing ihr zum Hals heraus. Sich für einen Hungerlohn wie eine Sklavin behandeln zu lassen, war unter ihrer Würde. Sie bedankte sich für das Angebot und schlug es aus. Sie habe eines Tages ein Erbe anzutreten und wolle schon heute daran mitwirken, dass es sich auch in Zukunft rentiere.
Dass sie tatsächlich lieber selbst etwas gestalten wollte, statt Befehle auszuführen und dass sie Mutte und Großmutter nicht im Stich lassen wollte, behielt sie für sich, das ging ihren selbstherrlichen Chef nichts an. Sie freute sich auf die neue Aufgabe und umso mehr freuten sich Hildegard und Renate über ihren Entschluss, auch wenn sie heimlich fürchteten, dass eines Tages die Liebe einen Strich durch die Rechnung machen könnte.
Zunächst arbeitete Sigrid sich wieder ein in die zum Teil vergessenen Abläufe, lief mit, tat was zu machen war, funktionierte.
Eines Abends – am Ende eines Ruhetages – trommelte sie Mutter und Großmutter zusammen und erklärte: „Ich glaube, ich bin jetzt ausreichend im Bilde wie die Dinge hier laufen. Aber meine Ausbildung soll ja nicht umsonst gewesen sein. Ich hätte für den Anfang ein paar Vorschläge, die sich schnell umsetzen lassen, aber auch ein paar Investitionen, die sicher anstrengend werden.“
„Lass hören.“, sagte Hildegard.
„Also kurzfristig“, erklärte Sigrid, „würde ich die Speisekarte umstellen. Sachen, die nicht mehr laufen – wie Strammer Max – runternehmen und durch etwas Aktuelleres ersetzen, wie zum Beispiel Croques.“
„Was ist das denn?“, fragte Hildegard entsetzt, die hinter dem fremden Wort eine undefinierbare, kulinarische Beleidigung des guten Geschmacks befürchtete.
„Baguette, längs aufgeschnitten, belegt wie Pizza, mit Käse überbacken. Schnell, knusprig, lecker und total angesagt.
Und wenn Schafmeiers Werner einen Strammen Max haben will, kannst du ihm doch trotzdem einen machen. Graubrot, Butter, Mettwurst und Eier sind ja sowieso im Haus.“
Sigrid schlug außerdem ein paar zeitgemäße Drinks vor und kam dann zum großen Projekt.
„Die Etagen-Badezimmer müssen weg. Wir brauchen Nasszellen auf jedem Zimmer. Das wird allmählich zum Standard und wenn wir da nicht nachrüsten, bleiben uns über kurz oder lang die Gäste weg.“
„Und wie soll das gehen?“, fragte Renate entsetzt. „Wenn wir das nach und nach machen lassen, müssen unsere Gäste Baulärm ertragen. Wenn wir alles auf einmal machen, haben wir monatelang fehlende Einnahmen.“
„Die Handwerker kommen ja nicht nachts.“, beschwichtigte Sigrid sie. „Hier schlafen doch überwiegend Monteure und Geschäftsreisende. Wir können damit werben, dass wir in der Bauphase unseren Kunden preislich entgegenkommen. Das wird manch einer sich überlegen.“
Renate blieb skeptisch, aber Hildegard meinte: „Weißt du was, Sigrid? Du bist die einzige von uns, die das, was wir hier machen, wirklich gelernt hat. Deine Mutter und ich, wir sind nur Amateure. Wenn du sagst, dass wir das machen müssen, dann machen wir das. Ich bin froh, dass du den Gasthof für die Zukunft bereit machen willst, und ich finde, wir sollten dir vertrauen.“
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Donnerstag, 26. Juni 2025
2nd Spoiler 19
c. fabry, 11:14h
1990
Inzwischen hatte Sigrid alles gegeben, um Mutter und Großmutter nicht unnötig zu belasten. Hildegard nahm sie eines Tages beiseite, als sie sich der gesamten Tischwäsche angenommen hatte und sagte: „Kind, das ist lieb, dass du so fleißig mithilfst, aber das schaffen wir schon. Es ist auch wichtig, dass deine Mutter etwas zu tun hat, damit sie wieder ins Leben zurückfindet. Wenn man eine Aufgabe hat, verhindert das, dass man untergeht. Du hast auch eine Aufgabe: Du musst deine Schule gut zu Ende bringen und dich um deine Zukunft kümmern. Wenn du das nicht schaffst, macht deine Mutter sich Vorwürfe und wird kreuzunglücklich. Geh rechtzeitig ins Bett, pünktlich zur Schule, mach deine Hausaufgaben, lerne fleißig, mach dir Gedanken über deinen künftigen Beruf und mach auch mal was Schönes für dich, damit du gesund bleibst. Triff Freundinnen, geh ins Kino, zu Geburtstagen, ins Schwimmbad. Das ist das Allerbeste, was du jetzt tun kannst.“
Sigrid weinte vor Rührung, umarmte ihre Großmutter spontan und drückte sie fest an sich.
„Papa fehlt mir so.“, sagte sie. „Aber er hätte auch gewollt, dass aus mir etwas wird.“
Sigrid schloss die zehnte Klasse mit einem guten Zeugnis ab und startete dann mit der Ausbildung, von der ihr Vater einst geträumt hatte: Hotelfachwirtin. Damit begann für sie eine zeitaufwändige, anstrengende aber auch inspirierende Lebensphase. Den Gasthof bespielten die beiden verbliebenen Frauen im Alleingang ohne eine Ahnung, wohin die Reise einmal gehen würde.
Inzwischen hatte Sigrid alles gegeben, um Mutter und Großmutter nicht unnötig zu belasten. Hildegard nahm sie eines Tages beiseite, als sie sich der gesamten Tischwäsche angenommen hatte und sagte: „Kind, das ist lieb, dass du so fleißig mithilfst, aber das schaffen wir schon. Es ist auch wichtig, dass deine Mutter etwas zu tun hat, damit sie wieder ins Leben zurückfindet. Wenn man eine Aufgabe hat, verhindert das, dass man untergeht. Du hast auch eine Aufgabe: Du musst deine Schule gut zu Ende bringen und dich um deine Zukunft kümmern. Wenn du das nicht schaffst, macht deine Mutter sich Vorwürfe und wird kreuzunglücklich. Geh rechtzeitig ins Bett, pünktlich zur Schule, mach deine Hausaufgaben, lerne fleißig, mach dir Gedanken über deinen künftigen Beruf und mach auch mal was Schönes für dich, damit du gesund bleibst. Triff Freundinnen, geh ins Kino, zu Geburtstagen, ins Schwimmbad. Das ist das Allerbeste, was du jetzt tun kannst.“
Sigrid weinte vor Rührung, umarmte ihre Großmutter spontan und drückte sie fest an sich.
„Papa fehlt mir so.“, sagte sie. „Aber er hätte auch gewollt, dass aus mir etwas wird.“
Sigrid schloss die zehnte Klasse mit einem guten Zeugnis ab und startete dann mit der Ausbildung, von der ihr Vater einst geträumt hatte: Hotelfachwirtin. Damit begann für sie eine zeitaufwändige, anstrengende aber auch inspirierende Lebensphase. Den Gasthof bespielten die beiden verbliebenen Frauen im Alleingang ohne eine Ahnung, wohin die Reise einmal gehen würde.
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