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Freitag, 16. Mai 2025
2nd Spoiler 14
c. fabry, 19:03h
1984
Als Zehnjährige wechselte Sigrid planmäßig auf die Gesamtschule in Spenge. Alles war neu, nicht nur der Schulweg, das Gebäude, die Lehrenden, und die Art des Unterrichts; auch die Mitschülerinnen und Mitschüler. Die meisten waren in traditionellen Schulformen untergekommen, nicht eine von Sigrids Freundinnen war mit ihr gekommen und sie musste sich nun mühsam einen neuen Freundeskreis aufbauen.
An einem sonnigen Mittwochnachmittag trat sie tränenüberströmt in den Hausflur. Renate bemerkte es sofort und fragte: „Ist was passiert?“
„Nein“, antwortete Sigrid. „Nur wieder die blöde Anja“
„Was hat sie denn gemacht?“
„Nichts.“
„Wegen nichts heulst du doch nicht.“
„Die erzählt überall, dass ich stinke. Und jetzt will niemand mehr neben mir sitzen, weder in der Klasse, noch im Bus.“
Renate trat an Sigrid heran und schnüffelte. „Ich rieche nichts.“, sagte sie. „Vorsichtshalber wäscht du dich jeden Morgen gründlich mit Seife unter den Armen und benutzt ab sofort Deo. Meinetwegen kannst du auch duschen. Und wenn du jeden Tag das T-Shirt oder die Bluse wechselst, kannst du gar nicht stinken.“
So wurde es gemacht, doch die Sticheleien hörten nicht auf. Renate hatte nicht verstanden, das der vermeintliche Körpergeruch ihrer Tochter nur als Vorwand diente, um sie auszugrenzen und zu erniedrigen. Vom nächsten Vorfall – bei so einem altmodischen Vornamen wie Sigrid müsse man davon ausgehen, dass ihre Eltern Geschwister seien – erzählte sie der Mutter nichts, doch doch nur Maßnahmen ergriff, um das vermeintliche Fehlverhalten ihrer Tochter auszuräumen. Stattdessen richtete sie den Schmerz nach innen, wurde übellaunig, träge, einsilbig und patzig.
Renate ahnte nicht, was in ihrer Tochter vorging, wenn sie stundenlang über den Hausaufgaben brütete und nicht vorankam. Sie hatte keine Kraft für Nachhilfetätigkeiten und in der Bildungseinrichtung, die ihre Tochter nun aufsuchte, sollte das eigentlich die Schule erledigen. Überall ließ Sigrid Sachen fallen und liegen, ihr Zimmer sah regelmäßig so aus, als hätten Einbrecher darin gewütet und Mutter und Tochter prallten wiederholt aufeinander, beide gleichermaßen am Ende ihrer Kräfte, ohne ebendies voneinander zu ahnen.
Wenn aber Ulrich nicht gerade schwer in der Schankstube beschäftigt war, vertraute sie sich ihm an, immer mit der dringenden Bitte, der Mama nichts davon zu erzählen, die verstehe das nicht.
„Die Mama versteht das schon.“, erwiderte Ulrich. „Nur hat sie vielleicht zu schnell Lösungen parat, die dir gar nicht helfen. Und ich habe auch keine Lösung. Ich kann nur zuhören.“
„Das ist aber viel besser.“, meinte Sigrid.
„Aber irgendwann muss das doch mal aufhören.“, sagte der Vater.
„Mir fällt schon was ein.“, erklärte Sigrid. „Und bis dahin erzähle ich dir alles und halte durch.“
Das ist tapfer und weise.“, entgegnete Ulrich.
Als Zehnjährige wechselte Sigrid planmäßig auf die Gesamtschule in Spenge. Alles war neu, nicht nur der Schulweg, das Gebäude, die Lehrenden, und die Art des Unterrichts; auch die Mitschülerinnen und Mitschüler. Die meisten waren in traditionellen Schulformen untergekommen, nicht eine von Sigrids Freundinnen war mit ihr gekommen und sie musste sich nun mühsam einen neuen Freundeskreis aufbauen.
An einem sonnigen Mittwochnachmittag trat sie tränenüberströmt in den Hausflur. Renate bemerkte es sofort und fragte: „Ist was passiert?“
„Nein“, antwortete Sigrid. „Nur wieder die blöde Anja“
„Was hat sie denn gemacht?“
„Nichts.“
„Wegen nichts heulst du doch nicht.“
„Die erzählt überall, dass ich stinke. Und jetzt will niemand mehr neben mir sitzen, weder in der Klasse, noch im Bus.“
Renate trat an Sigrid heran und schnüffelte. „Ich rieche nichts.“, sagte sie. „Vorsichtshalber wäscht du dich jeden Morgen gründlich mit Seife unter den Armen und benutzt ab sofort Deo. Meinetwegen kannst du auch duschen. Und wenn du jeden Tag das T-Shirt oder die Bluse wechselst, kannst du gar nicht stinken.“
So wurde es gemacht, doch die Sticheleien hörten nicht auf. Renate hatte nicht verstanden, das der vermeintliche Körpergeruch ihrer Tochter nur als Vorwand diente, um sie auszugrenzen und zu erniedrigen. Vom nächsten Vorfall – bei so einem altmodischen Vornamen wie Sigrid müsse man davon ausgehen, dass ihre Eltern Geschwister seien – erzählte sie der Mutter nichts, doch doch nur Maßnahmen ergriff, um das vermeintliche Fehlverhalten ihrer Tochter auszuräumen. Stattdessen richtete sie den Schmerz nach innen, wurde übellaunig, träge, einsilbig und patzig.
Renate ahnte nicht, was in ihrer Tochter vorging, wenn sie stundenlang über den Hausaufgaben brütete und nicht vorankam. Sie hatte keine Kraft für Nachhilfetätigkeiten und in der Bildungseinrichtung, die ihre Tochter nun aufsuchte, sollte das eigentlich die Schule erledigen. Überall ließ Sigrid Sachen fallen und liegen, ihr Zimmer sah regelmäßig so aus, als hätten Einbrecher darin gewütet und Mutter und Tochter prallten wiederholt aufeinander, beide gleichermaßen am Ende ihrer Kräfte, ohne ebendies voneinander zu ahnen.
Wenn aber Ulrich nicht gerade schwer in der Schankstube beschäftigt war, vertraute sie sich ihm an, immer mit der dringenden Bitte, der Mama nichts davon zu erzählen, die verstehe das nicht.
„Die Mama versteht das schon.“, erwiderte Ulrich. „Nur hat sie vielleicht zu schnell Lösungen parat, die dir gar nicht helfen. Und ich habe auch keine Lösung. Ich kann nur zuhören.“
„Das ist aber viel besser.“, meinte Sigrid.
„Aber irgendwann muss das doch mal aufhören.“, sagte der Vater.
„Mir fällt schon was ein.“, erklärte Sigrid. „Und bis dahin erzähle ich dir alles und halte durch.“
Das ist tapfer und weise.“, entgegnete Ulrich.
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Freitag, 14. März 2025
2nd Spoiler 13
c. fabry, 00:00h
1981
In der zweiten Klasse kamen zwei Jungen dazu, die das Schuljahr wiederholen mussten und es ergab sich, dass Sigrid neben einem von ihnen saß: Raimund Ramöller. Er war ein stiller, schüchterner Junge, der jedes Mal den Kopf einzog, wenn die Lehrerin, Frau Heinrich ihn ansprach. Sigrid empfand Mitleid mit ihm, denn er hatte sich schließlich nicht ausgesucht, dass er im Unterricht nicht so mitkam und deshalb ein Jahr wiederholen musste. Sie fragte, ob er in der Pause Zielschießen mit Stöckchen spielen wolle und er war dabei. Beide hatten so viel Spaß daran, dass sie eine Gewohnheit daraus machten und sich nebenbei Witze erzählten. Sigrid kannte die besten; zumindest lachte Raimund so herzerfrischend darüber, dass das Mädchen innerlich bei jeder gezündeten Pointe ein Stück größer wurde. Weiter wuchs sie, als Raimund sie zum Klettern auf die einzeln stehenden Bäume animierte und sie ihr Talent entdeckte. Schrammen auf der Haut und grüne Streifen in der Kleidung waren ihr dabei vollkommen egal. Und zum Glück schaffte Renate es, über den Mehraufwand in der Waschküche großzügig hinwegzusehen.
Die Freundschaft zwischen den beiden Kindern schien sich zu festigen. Es war ein sonniger Morgen Anfang September, als Renate beim Frühstück verkündete: „Die neuen Kartoffeln sind gekommen. Ich backe heute Reibeplätzchen.“
„Oh, das ist toll!“, rief Sigrid begeistert. „Mit Zucker?“
„Vor allem mit Apfelmus.“
„Das ist auch lecker.“
In der großen Pause sprach Sigrid Raimund an: „Komm doch nach der Schule mit zu uns. Meine Mama macht heute Reibeplätzchen, die werden nie alle, da kannst du welche mitessen und die sind echt lecker. Und bis die fertig sind, können wir noch ein bisschen spielen und danach auch.“
„Au ja!“, jubelte Raimund. „Reibeplätzchen sind mein Lieblingsessen.“
Es duftete schon aus der Küche. Oma Hildegard stand am Herd und Sigrid kündigte ihren Überraschungsgast an. „Wie schön!“, erwiderte Hildegard. „Dann mache ich ein paar mehr. In einer halben Stunde sind sie fertig.“
Sigrid lotste Raimund zum Spielen auf die Apfelwiese, wo die meisten Früchte noch auf den Bäumen hingen und der reichen Ernte entgegenreiften. Sie lud Raimund ein, ihr Schaukelbrett zu testen und gab ihm Anschwung. Sie wechselten sich ab und Raimund konnte viel kräftiger schubsen als all ihre Freundinnen. Es machte großen Spaß, so plötzlich in die Höhe zu schnellen und mit den Zehenspitzen auf die Äpfel zu zielen.
Dann rief die Oma zum Essen. Der erste Puffer musste mit Apfelmus bedeckt sein. Danach war der weiße Streuzucker erlaubt, der in einem großen Porzellantopf auf dem Tisch stand. Sigrid staunte nicht schlecht, was in Raimunds Bauch alles hineinging. Ihr Ehrgeiz wurde geweckt 7und sie gab alles, um sich nicht abhängen zu lassen. Die ersten süßen Kartoffelpfannkuchen glitten nur so über die Zunge, bald wurde es mühsam, nachzulegen und schließlich gaben beide auf. Raimund führte mit 15 zu 13, aber Sigrid konnte einfach nicht mehr.
Plötzlich erschien Ingrid Ramöller in der Tür, Raimunds Mutter. Sie machte kein freundliches Gesicht und Sigrid erschien sie irgendwie teigig und aus der Form geraten. Raimund starrte sie mit offenem Mund und hoch gezogenen Schultern an. Ingrid streckte ungeduldig die Hand aus und herrschte ihren Sohn an: „Raimund, du kommst jetzt sofort hier her!“
Ängstlich rutschte Raimund von der Küchenbank und ging auf seine Mutter zu. Die zog ihn ins Wohnzimmer, um von da aus in den Flur und nach draußen zu verschwinden. Auf einmal machte Raimund ein undefinierbares Geräusch und das gesamte Mittagessen schoss in hohem Bogen aus seinem Hals und verteilte sich auf dem Teppich.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, dich so zu überfressen?“, schimpfte seine Mutter und zerrte ihn nach draußen. „Ich komme gleich wieder und mach das weg.“, rief sie beim Hinausgehen.
„Nicht nötig.“, rief Hildegard. „Versorg lieber dein krankes Kind. Wir schaffen das schon.“
Mutter und Oma machten sich direkt ans Werk, trugen die groben Brocken ab, saugten die Flüssigkeit mit Schwämmen auf und verteilten dann Natronlauge zum Einweichen und späterem Abtupfen.
„Der arme Junge.“, stöhnte Renate. „Darf nicht einmal nach Herzenslust essen, was ihm gut schmeckt.“
„Ach“, erwiderte Hildegard, „Ingrid hat sich sicher Sorgen gemacht, weil er von der Schule nicht nach Hause gekommen ist. Ich hätte anrufen sollen. Daran habe ich nicht gedacht.“
„Trotzdem muss man ein kleines Kind nicht so einschüchtern.“, erwiderte Renate.
„Das kannst di aber auch ganz gut.“, hielt Hildegard dagegen.
„Sigrid“, wandte sich Renate hilfesuchend an ihre Tochter, „hab ich dir schon mal so doll Angst gemacht, dass du brechen musstest?“
Sigrid schüttelte den Kopf.
„Vielleicht waren es einfach zu viele Reibeplätzchen. Also lass gut sein.“, meinte Hildegard.
Raimund besuchte Sigrid nie wieder und wurde auch in der Schule wortkarger. Sie fand das schade, fand sich aber schnell damit ab, denn es gab genug andere Spielkameraden und -kameradinnen.
In der zweiten Klasse kamen zwei Jungen dazu, die das Schuljahr wiederholen mussten und es ergab sich, dass Sigrid neben einem von ihnen saß: Raimund Ramöller. Er war ein stiller, schüchterner Junge, der jedes Mal den Kopf einzog, wenn die Lehrerin, Frau Heinrich ihn ansprach. Sigrid empfand Mitleid mit ihm, denn er hatte sich schließlich nicht ausgesucht, dass er im Unterricht nicht so mitkam und deshalb ein Jahr wiederholen musste. Sie fragte, ob er in der Pause Zielschießen mit Stöckchen spielen wolle und er war dabei. Beide hatten so viel Spaß daran, dass sie eine Gewohnheit daraus machten und sich nebenbei Witze erzählten. Sigrid kannte die besten; zumindest lachte Raimund so herzerfrischend darüber, dass das Mädchen innerlich bei jeder gezündeten Pointe ein Stück größer wurde. Weiter wuchs sie, als Raimund sie zum Klettern auf die einzeln stehenden Bäume animierte und sie ihr Talent entdeckte. Schrammen auf der Haut und grüne Streifen in der Kleidung waren ihr dabei vollkommen egal. Und zum Glück schaffte Renate es, über den Mehraufwand in der Waschküche großzügig hinwegzusehen.
Die Freundschaft zwischen den beiden Kindern schien sich zu festigen. Es war ein sonniger Morgen Anfang September, als Renate beim Frühstück verkündete: „Die neuen Kartoffeln sind gekommen. Ich backe heute Reibeplätzchen.“
„Oh, das ist toll!“, rief Sigrid begeistert. „Mit Zucker?“
„Vor allem mit Apfelmus.“
„Das ist auch lecker.“
In der großen Pause sprach Sigrid Raimund an: „Komm doch nach der Schule mit zu uns. Meine Mama macht heute Reibeplätzchen, die werden nie alle, da kannst du welche mitessen und die sind echt lecker. Und bis die fertig sind, können wir noch ein bisschen spielen und danach auch.“
„Au ja!“, jubelte Raimund. „Reibeplätzchen sind mein Lieblingsessen.“
Es duftete schon aus der Küche. Oma Hildegard stand am Herd und Sigrid kündigte ihren Überraschungsgast an. „Wie schön!“, erwiderte Hildegard. „Dann mache ich ein paar mehr. In einer halben Stunde sind sie fertig.“
Sigrid lotste Raimund zum Spielen auf die Apfelwiese, wo die meisten Früchte noch auf den Bäumen hingen und der reichen Ernte entgegenreiften. Sie lud Raimund ein, ihr Schaukelbrett zu testen und gab ihm Anschwung. Sie wechselten sich ab und Raimund konnte viel kräftiger schubsen als all ihre Freundinnen. Es machte großen Spaß, so plötzlich in die Höhe zu schnellen und mit den Zehenspitzen auf die Äpfel zu zielen.
Dann rief die Oma zum Essen. Der erste Puffer musste mit Apfelmus bedeckt sein. Danach war der weiße Streuzucker erlaubt, der in einem großen Porzellantopf auf dem Tisch stand. Sigrid staunte nicht schlecht, was in Raimunds Bauch alles hineinging. Ihr Ehrgeiz wurde geweckt 7und sie gab alles, um sich nicht abhängen zu lassen. Die ersten süßen Kartoffelpfannkuchen glitten nur so über die Zunge, bald wurde es mühsam, nachzulegen und schließlich gaben beide auf. Raimund führte mit 15 zu 13, aber Sigrid konnte einfach nicht mehr.
Plötzlich erschien Ingrid Ramöller in der Tür, Raimunds Mutter. Sie machte kein freundliches Gesicht und Sigrid erschien sie irgendwie teigig und aus der Form geraten. Raimund starrte sie mit offenem Mund und hoch gezogenen Schultern an. Ingrid streckte ungeduldig die Hand aus und herrschte ihren Sohn an: „Raimund, du kommst jetzt sofort hier her!“
Ängstlich rutschte Raimund von der Küchenbank und ging auf seine Mutter zu. Die zog ihn ins Wohnzimmer, um von da aus in den Flur und nach draußen zu verschwinden. Auf einmal machte Raimund ein undefinierbares Geräusch und das gesamte Mittagessen schoss in hohem Bogen aus seinem Hals und verteilte sich auf dem Teppich.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, dich so zu überfressen?“, schimpfte seine Mutter und zerrte ihn nach draußen. „Ich komme gleich wieder und mach das weg.“, rief sie beim Hinausgehen.
„Nicht nötig.“, rief Hildegard. „Versorg lieber dein krankes Kind. Wir schaffen das schon.“
Mutter und Oma machten sich direkt ans Werk, trugen die groben Brocken ab, saugten die Flüssigkeit mit Schwämmen auf und verteilten dann Natronlauge zum Einweichen und späterem Abtupfen.
„Der arme Junge.“, stöhnte Renate. „Darf nicht einmal nach Herzenslust essen, was ihm gut schmeckt.“
„Ach“, erwiderte Hildegard, „Ingrid hat sich sicher Sorgen gemacht, weil er von der Schule nicht nach Hause gekommen ist. Ich hätte anrufen sollen. Daran habe ich nicht gedacht.“
„Trotzdem muss man ein kleines Kind nicht so einschüchtern.“, erwiderte Renate.
„Das kannst di aber auch ganz gut.“, hielt Hildegard dagegen.
„Sigrid“, wandte sich Renate hilfesuchend an ihre Tochter, „hab ich dir schon mal so doll Angst gemacht, dass du brechen musstest?“
Sigrid schüttelte den Kopf.
„Vielleicht waren es einfach zu viele Reibeplätzchen. Also lass gut sein.“, meinte Hildegard.
Raimund besuchte Sigrid nie wieder und wurde auch in der Schule wortkarger. Sie fand das schade, fand sich aber schnell damit ab, denn es gab genug andere Spielkameraden und -kameradinnen.
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Mittwoch, 22. Januar 2025
Dystopie
c. fabry, 10:45h
"Wie würdest Du eine Gruppe demokratisch an der Programmplanung beteiligen?"
"Ich würde Vorschläge machen. Zum Beispiel: Eishalle, Filmnachmittag, Karnevalsparty, Pizza machen, Spielenachmittag, Frühlingsbasteln, Schnitzeljagd."
"Und dann?"
"Wie und dann?"
"Wie würdest du die Gruppe beteiligen?"
"Ach so. Ja gut, ich würde zwei oder drei Filme zur Auswahl anbieten, fragen, ob jemand Snacks mitbringen möchte. Bei der Karnevalsparty würde ich fragen, wer die Krapfen mitbringt, wer die Chips, wer die Kästespieße usw. und für die Pizza würde ich verschiedene Zutaten einkaufen, dann können die ja entscheiden, wer was auf sein Stück legt."
"Und das reicht dir?"
"Klar. Wieso nicht. Werden alle beteiligt. Ich bin immer für Partizipation."
Sie hatte sich für eine lupenreine Demokratin und glühende Antifaschistin gehalten. Auch dann noch, als sie davon sprach, dass Angebote für Knder und Jugendliche nicht demokratisch sein könnten, weil diese ja gar nicht in der Lage seien, den Überblick zu behalten. Man müsse sie leiten und führen und sie müssten folgen. Es geschehe zu ihrem Besten man müsse sie schützen.
Damals war sie fast noch ein Teenager.
Nun - 20 Jahre später - in unserer zerstörten Welt von 2045 gehört sie zu den glühenden Followern derer, denen sie schon damals ihre Seele verkauft hat. Sie macht mit. Sie funktioniert. So kann sie überleben. Denkt sie. Ich denke, daran wird bald jemand etwas ändern. Der Jasper, der damals nie zu Wort kam, der wird sich demnächst Gehör verschaffen. Ich habe gesehen, wie er vor ihrem Haus rumlungert. Ein Gescheiterter, einer der nicht mitmacht und nicht funktioniert. Einer der es nicht geschafft hat, weil er denkt, dass sie ihn nicht gelassen hat, als er es gebraucht hätte.
"Ich würde Vorschläge machen. Zum Beispiel: Eishalle, Filmnachmittag, Karnevalsparty, Pizza machen, Spielenachmittag, Frühlingsbasteln, Schnitzeljagd."
"Und dann?"
"Wie und dann?"
"Wie würdest du die Gruppe beteiligen?"
"Ach so. Ja gut, ich würde zwei oder drei Filme zur Auswahl anbieten, fragen, ob jemand Snacks mitbringen möchte. Bei der Karnevalsparty würde ich fragen, wer die Krapfen mitbringt, wer die Chips, wer die Kästespieße usw. und für die Pizza würde ich verschiedene Zutaten einkaufen, dann können die ja entscheiden, wer was auf sein Stück legt."
"Und das reicht dir?"
"Klar. Wieso nicht. Werden alle beteiligt. Ich bin immer für Partizipation."
Sie hatte sich für eine lupenreine Demokratin und glühende Antifaschistin gehalten. Auch dann noch, als sie davon sprach, dass Angebote für Knder und Jugendliche nicht demokratisch sein könnten, weil diese ja gar nicht in der Lage seien, den Überblick zu behalten. Man müsse sie leiten und führen und sie müssten folgen. Es geschehe zu ihrem Besten man müsse sie schützen.
Damals war sie fast noch ein Teenager.
Nun - 20 Jahre später - in unserer zerstörten Welt von 2045 gehört sie zu den glühenden Followern derer, denen sie schon damals ihre Seele verkauft hat. Sie macht mit. Sie funktioniert. So kann sie überleben. Denkt sie. Ich denke, daran wird bald jemand etwas ändern. Der Jasper, der damals nie zu Wort kam, der wird sich demnächst Gehör verschaffen. Ich habe gesehen, wie er vor ihrem Haus rumlungert. Ein Gescheiterter, einer der nicht mitmacht und nicht funktioniert. Einer der es nicht geschafft hat, weil er denkt, dass sie ihn nicht gelassen hat, als er es gebraucht hätte.
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Freitag, 27. Dezember 2024
2nd Spoiler 12
c. fabry, 13:31h
1978
Als Vierjährige besuchte Sigrid endlich den Kindergarten in Häger. Sie war begeistert von den ihr uferlos erscheinenden Spielmöglichkeiten, von dieser perfekt auf die Träume und Sehnsüchte von Kindern abgestimmte Welt. Stühle, auf die man sich einfach setzen konnte, ohne zu klettern, an Tischen in passender Höhe, kleine Klos, niedrige Waschbecken, leuchtend farbiges Essgeschirr, herrliche Bauklötze, Puppen mit perfekter Ausstattung, Lego, Bastelpapier, Brettspiele, Holzperlen, Musikinstrumente, Malutensilien...und liebenswert freundliche Erzieherinnen, die sich täglich neue Abenteuer ausdachten, mitspielten, zuhörten, trösteten, einen zum Lachen brachten.
Darüber hinaus wimmelte es von Spielkameradinnen und Spielkameraden. Welch ein Vergnügen es war, mit anderen Kindern Rollenspiele in der Puppenecke zu veranstalten, große Schlösser aus Holzklötzen zu bauen und sie wieder einzureißen, hoch zu schaukeln, Verstecken zu spielen oder Sandkuchen zu backen.
Sigrid schloss Freundschaften mit Jungen und Mädchen, erhielt Einladungen zu Geburtstagsfeiern, verabredete sich und war mit ihrem Leben im Großen und Ganzen glücklich und zufrieden.
Allmählich lernte sie, ihre Mutter zu lesen, wann es besser war, ihr aus dem Weg zu gehen, ihr nicht zu widersprechen, sie nicht zu stören. War sie entspannt und ausgeglichen, ließ sich gut mit ihr auskommen, lachen, spielen und verwöhnt werden.
Renate hatte ebenfalls das Gefühl, dass sie nun in ruhigerem Fahrwasser unterwegs war und sah die Ursache dafür im Kindergarten, der sie entlastete und Sigrid etwas zu bieten hatte.
Als Vierjährige besuchte Sigrid endlich den Kindergarten in Häger. Sie war begeistert von den ihr uferlos erscheinenden Spielmöglichkeiten, von dieser perfekt auf die Träume und Sehnsüchte von Kindern abgestimmte Welt. Stühle, auf die man sich einfach setzen konnte, ohne zu klettern, an Tischen in passender Höhe, kleine Klos, niedrige Waschbecken, leuchtend farbiges Essgeschirr, herrliche Bauklötze, Puppen mit perfekter Ausstattung, Lego, Bastelpapier, Brettspiele, Holzperlen, Musikinstrumente, Malutensilien...und liebenswert freundliche Erzieherinnen, die sich täglich neue Abenteuer ausdachten, mitspielten, zuhörten, trösteten, einen zum Lachen brachten.
Darüber hinaus wimmelte es von Spielkameradinnen und Spielkameraden. Welch ein Vergnügen es war, mit anderen Kindern Rollenspiele in der Puppenecke zu veranstalten, große Schlösser aus Holzklötzen zu bauen und sie wieder einzureißen, hoch zu schaukeln, Verstecken zu spielen oder Sandkuchen zu backen.
Sigrid schloss Freundschaften mit Jungen und Mädchen, erhielt Einladungen zu Geburtstagsfeiern, verabredete sich und war mit ihrem Leben im Großen und Ganzen glücklich und zufrieden.
Allmählich lernte sie, ihre Mutter zu lesen, wann es besser war, ihr aus dem Weg zu gehen, ihr nicht zu widersprechen, sie nicht zu stören. War sie entspannt und ausgeglichen, ließ sich gut mit ihr auskommen, lachen, spielen und verwöhnt werden.
Renate hatte ebenfalls das Gefühl, dass sie nun in ruhigerem Fahrwasser unterwegs war und sah die Ursache dafür im Kindergarten, der sie entlastete und Sigrid etwas zu bieten hatte.
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