Freitag, 8. November 2024
2nd Spoiler 8
c. fabry, 08:48h
1970
Erste Lieben halten oft nicht länger als zwei Jahre. Die streitbare Renate wurde Klaus irgendwann zu anstrengend; man musste das, was man wollte, doch auch bekommen können, ohne stetige Schimpftiraden und unvorhergesehene Vulkanausbrüche. Schon bald verliebte er sich in ein sanfteres Wesen und beendete die Beziehung zu Renate.
„Gut, dass ich auf mich aufgepasst habe und keinen Bastard von dir an der Backe habe.“, lautete ihr einziger Kommentar. Doch innerlich war sie tief getroffen und verletzt von der unerwarteten Zurückweisung. Sie fühlte sich abgewertet, ausrangiert, benutzt und weggeworfen. Doch sie war zu stolz, sich diese demütigende Verletzlichkeit anmerken zu lassen.
Der Liebeskummer hätte Renate zum Fallstrick werden können, aber das gönnte sie Klaus nicht. Sie stürzte sich stattdessen mit aller Kraft in die Vorbereitungen für ihre Gesellinnen-Prüfung und schloss sie glücklich mit sehr guten Bewertungen ab. Für großartige Feierlichkeiten oder irgendeine Auszeit gab es aber keinen Raum. Im Gasthof musste ein Ereignis nach dem anderen bewältigt werden und Aushilfen waren knapp, weil die Erntezeit alle brauchbaren Landfrauen auf ihren Höfen in Anspruch nahm. Renate hatte vom Betrieb ein Übernahme-Angebot bekommen und dazu ein paar Wochen Bedenkzeit, aber sie fand nie den passenden Augenblick, ihren Eltern diese wunderbare Perspektive zu eröffnen, weil die nun vor allem froh waren, dass ihre Ausbildung abgeschlossen war und sie über die volle Arbeitskraft ihrer Tochter verfügen konnten.
Renate war fest entschlossen, ihrem Ausbildungsbetrieb zuzusagen, aber nicht, bevor sie diesen Entschluss nicht ihren Eltern mitgeteilt und deren Segen erhalten hatte. Sie fand, dass so ein geregeltes Einkommen in der Familie ja auch kein schlechtes Standbein war, falls die Geschäfte einmal nicht so liefen, wie sie sollten.
Anfang November hatte sich eine große Jagdgesellschaft angekündigt. Es gab unendlich viel zu tun mit Einkäufen, Bestellungen, umfangreichen Vorbereitungen in der Küche und bei der Dekoration der Gasträume. Darüber hinaus war abzusehen, dass im Anschluss ein exorbitanter Putzmarathon anstand, denn die Jäger schleppten einen halben Acker und ein kleines Waldstück an ihren Stiefeln in den Gasthof und die letzten sauberen Flächen wurden von den verdreckten Hunden verschmutzt. Entsprechend hoch war der Stresspegel bei Hildegard und Heinrich und übertrug sich auch auf Renate.
Es gab Schwierigkeiten mit dem Bierlieferanten, viel Aufregung und Ärger, bis die Fässer in letzter Minute doch noch in den Keller gerollt wurden.
Für die Jagdgesellschaft selbst war diese Anspannung nicht erkennbar. Sie verlebten einen formidablen Abend voller Horridos, voller deftiger Teller, zischender Biere und bitterer Schnäpse.
Als der letzte Gast gegangen war, atmete Heinrich einmal tief ein und wieder aus. Der nächste Atemzug wollte nicht recht gelingen, da klemmte etwas im Gebälk, er sah das gedämpfte Licht im Schankraum schwächer werden und schließlich ganz verlöschen.
Hildegard räumte noch immer gemeinsam mit Renate die Küche auf und wunderte sich irgendwann, dass aus dem Gastraum so gar kein Gläserklappern oder Stühlerücken mehr zu vernehmen war. Sie sah nach ihrem Mann und konnte ihn zunächst nirgends finden, doch dann entdeckte sie seine Schuhe, die hinter der Theke hervorlugten.Blick und wusste schlagartig, dass nichts mehr so werden würde, wie es war.
Nach der ersten Aufregung und ein paar Stunden unruhigen Schlafes stand Hildegard in der Dunkelheit auf und schaffte Ordnung, kochte sich einen starken Kaffee und als die ersten Sonnenstrahlen die Verbindung zur Außenwelt wiederherstellten, schlüpfte sie in ihren Mantel, schlug ein wollenes Tuch um den Kopf und ging an die frische Luft. Einen Spaziergang in der Natur hatte sie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht unternommen. Während sie einen Fuß vor den anderen setzte und die eisige Morgenluft einsog, als wollte sie die trüben Gedanken in ihrem Kopf hinaus lüften, klärte sie für sich, welche Schritte als nächstes zu unternehmen waren und wie es künftig weitergehen könnte mit ihrem Leben, dem Gasthof und Renate.
Renate dagegen blieb an diesem Morgen so lange es ging im Bett liegen. Hellwach aber wie gelähmt von dem gewaltsamen Hieb des Todes, dessen plötzlicher Einbruch sie mit einer solchen Wucht getroffen hatte, dass sie sogar im Liegen taumelte, entsetzt, fassungslos, ohne jegliche Orientierung. Ihre Gedanken kreisten zunächst ausschließlich um die Ungeheuerlichkeit, dass die Existenz ihres Vaters von einem Augenblick auf den anderen ausgelöscht war. Unwiderruflich. Für immer.
Das zu begreifen, kostete sie weitaus mehr Kraft, als sie sich jemals hätte vorstellen können.
Dann beschritt sie die nächste Stufe: Wie würde in ihrem Zuhause das Leben weitergehen? Würde es überhaupt weitergehen? Auf welche Veränderungen musste sie sich einstellen? Wie würde ihre Mutter diesen Schicksalsschlag verkraften?
Und schließlich beschäftigte sie sich mit ihrer eigenen Rolle in diesem Drama je länger sie darüber nachdachte, umso unausweichlicher schien ihr die Verpflichtung, ihre Mutter mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft zu unterstützen. Schweren Herzens nahm sie Abschied vom Traum von einer eigenständigen Berufstätigkeit, einer inhaltlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit, einer eigenen Identität losgelöst vom Elternhaus. Sie wurde gebraucht und konnte ihre Mutter nicht hängen lassen.
Als Hildegard vom Spaziergang zurückkehrte, hatte Renate bereits den Frühstückstisch gedeckt.
„Mama“, sagte sie. „Ich halte zu dir. Zusammen halten wir den Laden zusammen. Und jetzt musst du was esse, damit du bei Kräften bleibst. Ich brauche dich noch.“
Hildegard sank schluchzend in die Arme ihrer so schnell erwachsen gewordenen Tochter. „Ja“, dachte sie, „zusammen können wir das schaffen, mein Mädchen und ich.“
Erste Lieben halten oft nicht länger als zwei Jahre. Die streitbare Renate wurde Klaus irgendwann zu anstrengend; man musste das, was man wollte, doch auch bekommen können, ohne stetige Schimpftiraden und unvorhergesehene Vulkanausbrüche. Schon bald verliebte er sich in ein sanfteres Wesen und beendete die Beziehung zu Renate.
„Gut, dass ich auf mich aufgepasst habe und keinen Bastard von dir an der Backe habe.“, lautete ihr einziger Kommentar. Doch innerlich war sie tief getroffen und verletzt von der unerwarteten Zurückweisung. Sie fühlte sich abgewertet, ausrangiert, benutzt und weggeworfen. Doch sie war zu stolz, sich diese demütigende Verletzlichkeit anmerken zu lassen.
Der Liebeskummer hätte Renate zum Fallstrick werden können, aber das gönnte sie Klaus nicht. Sie stürzte sich stattdessen mit aller Kraft in die Vorbereitungen für ihre Gesellinnen-Prüfung und schloss sie glücklich mit sehr guten Bewertungen ab. Für großartige Feierlichkeiten oder irgendeine Auszeit gab es aber keinen Raum. Im Gasthof musste ein Ereignis nach dem anderen bewältigt werden und Aushilfen waren knapp, weil die Erntezeit alle brauchbaren Landfrauen auf ihren Höfen in Anspruch nahm. Renate hatte vom Betrieb ein Übernahme-Angebot bekommen und dazu ein paar Wochen Bedenkzeit, aber sie fand nie den passenden Augenblick, ihren Eltern diese wunderbare Perspektive zu eröffnen, weil die nun vor allem froh waren, dass ihre Ausbildung abgeschlossen war und sie über die volle Arbeitskraft ihrer Tochter verfügen konnten.
Renate war fest entschlossen, ihrem Ausbildungsbetrieb zuzusagen, aber nicht, bevor sie diesen Entschluss nicht ihren Eltern mitgeteilt und deren Segen erhalten hatte. Sie fand, dass so ein geregeltes Einkommen in der Familie ja auch kein schlechtes Standbein war, falls die Geschäfte einmal nicht so liefen, wie sie sollten.
Anfang November hatte sich eine große Jagdgesellschaft angekündigt. Es gab unendlich viel zu tun mit Einkäufen, Bestellungen, umfangreichen Vorbereitungen in der Küche und bei der Dekoration der Gasträume. Darüber hinaus war abzusehen, dass im Anschluss ein exorbitanter Putzmarathon anstand, denn die Jäger schleppten einen halben Acker und ein kleines Waldstück an ihren Stiefeln in den Gasthof und die letzten sauberen Flächen wurden von den verdreckten Hunden verschmutzt. Entsprechend hoch war der Stresspegel bei Hildegard und Heinrich und übertrug sich auch auf Renate.
Es gab Schwierigkeiten mit dem Bierlieferanten, viel Aufregung und Ärger, bis die Fässer in letzter Minute doch noch in den Keller gerollt wurden.
Für die Jagdgesellschaft selbst war diese Anspannung nicht erkennbar. Sie verlebten einen formidablen Abend voller Horridos, voller deftiger Teller, zischender Biere und bitterer Schnäpse.
Als der letzte Gast gegangen war, atmete Heinrich einmal tief ein und wieder aus. Der nächste Atemzug wollte nicht recht gelingen, da klemmte etwas im Gebälk, er sah das gedämpfte Licht im Schankraum schwächer werden und schließlich ganz verlöschen.
Hildegard räumte noch immer gemeinsam mit Renate die Küche auf und wunderte sich irgendwann, dass aus dem Gastraum so gar kein Gläserklappern oder Stühlerücken mehr zu vernehmen war. Sie sah nach ihrem Mann und konnte ihn zunächst nirgends finden, doch dann entdeckte sie seine Schuhe, die hinter der Theke hervorlugten.Blick und wusste schlagartig, dass nichts mehr so werden würde, wie es war.
Nach der ersten Aufregung und ein paar Stunden unruhigen Schlafes stand Hildegard in der Dunkelheit auf und schaffte Ordnung, kochte sich einen starken Kaffee und als die ersten Sonnenstrahlen die Verbindung zur Außenwelt wiederherstellten, schlüpfte sie in ihren Mantel, schlug ein wollenes Tuch um den Kopf und ging an die frische Luft. Einen Spaziergang in der Natur hatte sie seit einer gefühlten Ewigkeit nicht unternommen. Während sie einen Fuß vor den anderen setzte und die eisige Morgenluft einsog, als wollte sie die trüben Gedanken in ihrem Kopf hinaus lüften, klärte sie für sich, welche Schritte als nächstes zu unternehmen waren und wie es künftig weitergehen könnte mit ihrem Leben, dem Gasthof und Renate.
Renate dagegen blieb an diesem Morgen so lange es ging im Bett liegen. Hellwach aber wie gelähmt von dem gewaltsamen Hieb des Todes, dessen plötzlicher Einbruch sie mit einer solchen Wucht getroffen hatte, dass sie sogar im Liegen taumelte, entsetzt, fassungslos, ohne jegliche Orientierung. Ihre Gedanken kreisten zunächst ausschließlich um die Ungeheuerlichkeit, dass die Existenz ihres Vaters von einem Augenblick auf den anderen ausgelöscht war. Unwiderruflich. Für immer.
Das zu begreifen, kostete sie weitaus mehr Kraft, als sie sich jemals hätte vorstellen können.
Dann beschritt sie die nächste Stufe: Wie würde in ihrem Zuhause das Leben weitergehen? Würde es überhaupt weitergehen? Auf welche Veränderungen musste sie sich einstellen? Wie würde ihre Mutter diesen Schicksalsschlag verkraften?
Und schließlich beschäftigte sie sich mit ihrer eigenen Rolle in diesem Drama je länger sie darüber nachdachte, umso unausweichlicher schien ihr die Verpflichtung, ihre Mutter mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft zu unterstützen. Schweren Herzens nahm sie Abschied vom Traum von einer eigenständigen Berufstätigkeit, einer inhaltlichen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit, einer eigenen Identität losgelöst vom Elternhaus. Sie wurde gebraucht und konnte ihre Mutter nicht hängen lassen.
Als Hildegard vom Spaziergang zurückkehrte, hatte Renate bereits den Frühstückstisch gedeckt.
„Mama“, sagte sie. „Ich halte zu dir. Zusammen halten wir den Laden zusammen. Und jetzt musst du was esse, damit du bei Kräften bleibst. Ich brauche dich noch.“
Hildegard sank schluchzend in die Arme ihrer so schnell erwachsen gewordenen Tochter. „Ja“, dachte sie, „zusammen können wir das schaffen, mein Mädchen und ich.“
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Freitag, 1. November 2024
2nd Spoiler 7
c. fabry, 18:13h
1969
„Heute geht es nicht, die Schaumzäpfchen sind alle.“
„Aber wir nehmen doch Gummis und ich passe ja auch auf.“
„Das wüsste ich aber. Wäre nicht das erste Mal, dass du dich so ungeschickt anstellst, dass die Lümmeltüte daneben liegt.“
„Warum lässt du dir auch nicht einfach die Pille verschreiben?“
„Das ist nicht einfach. Das würde meine Mutter mitbekommen und was da los wäre, muss ich dir ja wohl nicht erklären.“
„Aber ich kann ja auch vorher aufhören.“
„Vergiss es. Das klappt sowieso nicht. Nächste Woche komme ich wieder in die Drogerie. Bis dahin wirst du es ja wohl noch aushalten, zumindest, wenn du mich liebst.“
„Eben weil ich dich liebe, halte ich es nicht so lange aus.“
„Das, was du meinst, das ist keine Liebe, das ist Lust. Ist ja in Ordnung , aber ich hatte vor zwei Wochen meine Tage und wir haben nur Kondome, das ist mir zu riskant. Wenn‘s daneben geht, bin ich diejenige, die das Kind unterm Kittel hat. Wer sagt mir denn, dass du mich nicht sitzen lässt?“
„Wer sagt denn, dass ich dich sitzen lasse?“, fragte Klaus nun mit einem zunehmenden Unterton der Verärgerung. „Wenn du so schlecht von mir denkst, warum lässt du mich dann überhaupt ran? Wieso bist du mit einem zusammen, dem du nicht vertraust?“ Denkst du echt, ich bin so einer?“
„Woher soll ich das wissen?“, entgegnete Renate. „Ich kann dir doch nur vor den Kopf gucken.“
„Wir kennen uns seit über einem Jahr!“
„Manchmal merkt man erst nach vielen Ehejahren, dass man eine Niete gezogen hat.“
„Wenn du mich für eine Niete hältst, solltest du jetzt lieber gehen!“
„Ach Klaus, ich halte dich doch nicht für eine Niete. Ich habe einfach Angst, schwanger zu werden. Wir sind doch beide noch zu jung, um zu heiraten und Kinder zu kriegen. Ich bin einfach nur vernünftig und vorsichtig.“
„Und du glaubst, dass ich nicht aufpassen kann.“
„Ja, das glaube ich. Das ist ja auch schwierig. Jetzt sei nicht sauer. Ich hab‘ ja auch Lust, aber es ist eben zu riskant.“
Diesmal fügte Klaus sich in sein Schicksal, dann würde er seine Energie eben ins Fußballtraining stecken.
Das war es dann, woran Renate sich als nächstes stieß. „Können wir sonntags nicht mal was Anderes machen, als immer nur Fußball?“
„Was willst du denn machen?“
„Einen Ausflug, zum Beispiel.“
„Mach den doch mit den Mädels.“
„Ich will aber mit dir was machen.“
„Ich bin Fußballer.“
„Das ist ein Hobby!“
„Eben. Entweder man ist dabei oder nicht. Sonntags ist Spiel. Ich mache keine halben Sachen.“
„Aber man muss doch nicht jeden Sonntag spielen.“
„Doch, muss man. Außer man ist krank, oder es ist gerade jemand zu Hause gestorben, oder man muss arbeiten. Ausflug mit Freundin ist kein Grund.“
Renate verließ stampfend den Raum und schlug die Zimmertür mit Wucht zu. Sie schlüpfte in ihre Jacke und radelte heulend vor Wut nach Hause.
Einige Wochen später gab es eine Einladung zum 70. Geburtstag von Renates Großmutter. Renate war zu Klaus geradelt, um ihn zu Hause abzuholen und dann gemeinsam als Paar aufzutreten. Die Großmutter fand, wenn das Kind einen Burschen habe, solle der auch zur Feierlichkeit dazu kommen, obwohl das zu dieser Zeit noch nicht üblich war.; bestenfalls Verlobte wurden dazu gebeten, Renate freute sich, dass sie mit jemandem teilnehmen durfte, der zu ihr gehörte und nicht als vereinzelte Enkelin, den Kinderschuhen kaum entwachsen.
„Kannst du dich ein bisschen beeilen, Klaus? Es ist schon fünf vor und ich fände es doof, wenn wir zu spät kämen.“
„Jetzt hab‘ dich nicht so. Ich muss mich noch eben waschen und umziehen. Sonst beschwerst du dich, dass ich stinke und dreckig bin.“
„Warum hast du das nicht längst erledigt?“
„Meine Fresse. Es gibt ja wohl Wichtigeres als den Geburtstag von deiner Oma.“
„Für mich im Moment nicht. Wenn ich so rumklüngeln würde, wenn es zum Fußball geht, wäre aber was los.“
„Das ist ja auch wichtig.“
„Für dich vielleicht.“
„Ja, eben.“
Klaus vollzog jede seiner Bewegungen betont langsam.
„Jetzt hab‘ ich aber genug!“, schrie Renate. „Beeil dich gefälligst, wenn du morgen noch eine Freundin haben willst, denn wenn wir mehr als fünf Minuten zu spät kommen, kannst du gleich hier bleiben und musst auch nie wieder irgendwo mit hin kommen!“
Widerwillig legte Klaus einen Zahn zu. Wenn Renate zur Furie wurde, tat man besser, was sie sagte, sonst musste man am Ende auf das verzichten, wofür man ihre Launen ertrug.
Sie kamen zehn Minuten zu spät. Renate trennte sich trotzdem nicht. Was waren schon zehn Minuten?
„Heute geht es nicht, die Schaumzäpfchen sind alle.“
„Aber wir nehmen doch Gummis und ich passe ja auch auf.“
„Das wüsste ich aber. Wäre nicht das erste Mal, dass du dich so ungeschickt anstellst, dass die Lümmeltüte daneben liegt.“
„Warum lässt du dir auch nicht einfach die Pille verschreiben?“
„Das ist nicht einfach. Das würde meine Mutter mitbekommen und was da los wäre, muss ich dir ja wohl nicht erklären.“
„Aber ich kann ja auch vorher aufhören.“
„Vergiss es. Das klappt sowieso nicht. Nächste Woche komme ich wieder in die Drogerie. Bis dahin wirst du es ja wohl noch aushalten, zumindest, wenn du mich liebst.“
„Eben weil ich dich liebe, halte ich es nicht so lange aus.“
„Das, was du meinst, das ist keine Liebe, das ist Lust. Ist ja in Ordnung , aber ich hatte vor zwei Wochen meine Tage und wir haben nur Kondome, das ist mir zu riskant. Wenn‘s daneben geht, bin ich diejenige, die das Kind unterm Kittel hat. Wer sagt mir denn, dass du mich nicht sitzen lässt?“
„Wer sagt denn, dass ich dich sitzen lasse?“, fragte Klaus nun mit einem zunehmenden Unterton der Verärgerung. „Wenn du so schlecht von mir denkst, warum lässt du mich dann überhaupt ran? Wieso bist du mit einem zusammen, dem du nicht vertraust?“ Denkst du echt, ich bin so einer?“
„Woher soll ich das wissen?“, entgegnete Renate. „Ich kann dir doch nur vor den Kopf gucken.“
„Wir kennen uns seit über einem Jahr!“
„Manchmal merkt man erst nach vielen Ehejahren, dass man eine Niete gezogen hat.“
„Wenn du mich für eine Niete hältst, solltest du jetzt lieber gehen!“
„Ach Klaus, ich halte dich doch nicht für eine Niete. Ich habe einfach Angst, schwanger zu werden. Wir sind doch beide noch zu jung, um zu heiraten und Kinder zu kriegen. Ich bin einfach nur vernünftig und vorsichtig.“
„Und du glaubst, dass ich nicht aufpassen kann.“
„Ja, das glaube ich. Das ist ja auch schwierig. Jetzt sei nicht sauer. Ich hab‘ ja auch Lust, aber es ist eben zu riskant.“
Diesmal fügte Klaus sich in sein Schicksal, dann würde er seine Energie eben ins Fußballtraining stecken.
Das war es dann, woran Renate sich als nächstes stieß. „Können wir sonntags nicht mal was Anderes machen, als immer nur Fußball?“
„Was willst du denn machen?“
„Einen Ausflug, zum Beispiel.“
„Mach den doch mit den Mädels.“
„Ich will aber mit dir was machen.“
„Ich bin Fußballer.“
„Das ist ein Hobby!“
„Eben. Entweder man ist dabei oder nicht. Sonntags ist Spiel. Ich mache keine halben Sachen.“
„Aber man muss doch nicht jeden Sonntag spielen.“
„Doch, muss man. Außer man ist krank, oder es ist gerade jemand zu Hause gestorben, oder man muss arbeiten. Ausflug mit Freundin ist kein Grund.“
Renate verließ stampfend den Raum und schlug die Zimmertür mit Wucht zu. Sie schlüpfte in ihre Jacke und radelte heulend vor Wut nach Hause.
Einige Wochen später gab es eine Einladung zum 70. Geburtstag von Renates Großmutter. Renate war zu Klaus geradelt, um ihn zu Hause abzuholen und dann gemeinsam als Paar aufzutreten. Die Großmutter fand, wenn das Kind einen Burschen habe, solle der auch zur Feierlichkeit dazu kommen, obwohl das zu dieser Zeit noch nicht üblich war.; bestenfalls Verlobte wurden dazu gebeten, Renate freute sich, dass sie mit jemandem teilnehmen durfte, der zu ihr gehörte und nicht als vereinzelte Enkelin, den Kinderschuhen kaum entwachsen.
„Kannst du dich ein bisschen beeilen, Klaus? Es ist schon fünf vor und ich fände es doof, wenn wir zu spät kämen.“
„Jetzt hab‘ dich nicht so. Ich muss mich noch eben waschen und umziehen. Sonst beschwerst du dich, dass ich stinke und dreckig bin.“
„Warum hast du das nicht längst erledigt?“
„Meine Fresse. Es gibt ja wohl Wichtigeres als den Geburtstag von deiner Oma.“
„Für mich im Moment nicht. Wenn ich so rumklüngeln würde, wenn es zum Fußball geht, wäre aber was los.“
„Das ist ja auch wichtig.“
„Für dich vielleicht.“
„Ja, eben.“
Klaus vollzog jede seiner Bewegungen betont langsam.
„Jetzt hab‘ ich aber genug!“, schrie Renate. „Beeil dich gefälligst, wenn du morgen noch eine Freundin haben willst, denn wenn wir mehr als fünf Minuten zu spät kommen, kannst du gleich hier bleiben und musst auch nie wieder irgendwo mit hin kommen!“
Widerwillig legte Klaus einen Zahn zu. Wenn Renate zur Furie wurde, tat man besser, was sie sagte, sonst musste man am Ende auf das verzichten, wofür man ihre Launen ertrug.
Sie kamen zehn Minuten zu spät. Renate trennte sich trotzdem nicht. Was waren schon zehn Minuten?
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Freitag, 25. Oktober 2024
2nd Spoiler 6
c. fabry, 09:08h
1968
Seit einem Jahr befand sich Renate in Ausbildung zur Konditorin – es gab einen Ausbildungsbetrieb im wenige Kilometer entfernten Spenge. Dieser Beruf war nah genug am Thema Gastronomie, sodass ihre Eltern keine Angst haben mussten, dass sie die letzte Generation im Gasthof waren, aber es kam gleichzeitig Renates wachsendem Rebellentum entgegen, dass sie etwas Anderes und Besonderes lernte. Vielleicht würde sie eines Tages ein Café aus dem Gasthof machen, vielleicht sogar ein angesagtes Musik-Café, in dem statt deutscher Schlager. Marsch- und Volksmusik moderne Popsongs gespielt wurden, beispielsweise von den Beatles oder von Cliff Richard. Von denen hatte Renate alle Schallplatten gesammelt derer sie habhaft werden konnte.
Renate ging auch zur Landjugend. Hildegard hatte durchgesetzt, dass das Mädchen einmal in der Woche zu diesen Treffen gehen durfte und natürlich auch am Wochenende mit feiern durfte, wenn auch nicht so lange. Sie war streitbar und eckte noch immer vielerorts an, aber sie war durchaus attraktiv und so kamen sie und Klaus Tönsing sich näher. Klaus hörte auch gern die Beatles und Cliff Richard und beide hatten eine Leidenschaft fürs Kino. In Spenge liefen die aktuellen Filme und 1968 Western und Science Fiction aus den USA, aber auch deutsche Produktionen wie „Zur Sache Schätzchen“ oder „Oswald Kolle: das Wunder der Liebe“ gehörten zu ihren Erlebnissen.
Klaus spielte Fußball beim SV Häger und Renate stand bei Spielen am Wochenende unter den Zuschauenden und feuerte ihn an. Es war eine junge Liebe wie im Bilderbuch. Das lag aber auch daran, dass Renate trotz ihres rebellischen und impulsiven Wesens an eine Partnerschaft noch gar keine Ansprüche stellte. Es war toll, einen Freund zu haben, mit dem man auf Feten knutschen und eng tanzen konnte, mit dem man ins Kino gehen und den man beim Fußball anfeuern konnte, ohne scheele Blicke zu ernten, denn man gehörte ja zusammen. Klaus war ruhig, freundlich, weder jähzornig noch handgreiflich. Er sah gut aus, war lustig und unterhaltsam. Mehr verlangte sie nicht.
Doch nach einigen Monaten stellten sich die ersten Unstimmigkeiten ein. Renates Schlafzimmer hatte er noch nie von innen gesehen, dass hätte Hildegard niemals zugelassen, er selbst hatte jedoch Eltern, die häufig nicht zu Hause waren und sich bei einem Sohn ohnehin weniger Sorgen machten. Wenn sie bei auf dem Bett lagen, Musik hörten und Zärtlichkeiten austauschten wurde er jedes Mal ein wenig stürmischer. Eine Hand unter der Bluse ließ Renate sich ja noch gefallen, doch als er ihr an den Schlüpfer ging, bekam sie Angst, trotz des Aufklärungsfilms – oder gerade deswegen. Sie wollte es ja auch, aber nicht so schnell. Klaus bekam dann schlechte Laune und fragte, was das denn solle, dafür sei man ja schließlich zusammen.
Renate spürte, dass in Klaus Kopf etwas gründlich falsch lief, aber sie war noch nicht in der Lage, diesen Missstand zu analysieren. Sie zog sich zurück, schützte häusliche Pflichte vor und vertröstete ihn aufs nächste Mal. Mit ihrer Mutter konnte sie sich diesbezüglich nicht beraten und richtig gute Freundinnen hatte sie nicht. Es waren ja allesamt die alten Bekannten aus der Grundschulzeit, sie trug das Bild von der unleidlichen, verletzenden Giftspritze noch stets mit sich herum. Also bereitete sie sich vor auf das Erste Mal, erkundigte sich nach Verhütungsmitteln und wie sie am besten an diese gelangen konnte, ohne dass ihr Eltern jemals etwas davon erfahren würden.
Seit einem Jahr befand sich Renate in Ausbildung zur Konditorin – es gab einen Ausbildungsbetrieb im wenige Kilometer entfernten Spenge. Dieser Beruf war nah genug am Thema Gastronomie, sodass ihre Eltern keine Angst haben mussten, dass sie die letzte Generation im Gasthof waren, aber es kam gleichzeitig Renates wachsendem Rebellentum entgegen, dass sie etwas Anderes und Besonderes lernte. Vielleicht würde sie eines Tages ein Café aus dem Gasthof machen, vielleicht sogar ein angesagtes Musik-Café, in dem statt deutscher Schlager. Marsch- und Volksmusik moderne Popsongs gespielt wurden, beispielsweise von den Beatles oder von Cliff Richard. Von denen hatte Renate alle Schallplatten gesammelt derer sie habhaft werden konnte.
Renate ging auch zur Landjugend. Hildegard hatte durchgesetzt, dass das Mädchen einmal in der Woche zu diesen Treffen gehen durfte und natürlich auch am Wochenende mit feiern durfte, wenn auch nicht so lange. Sie war streitbar und eckte noch immer vielerorts an, aber sie war durchaus attraktiv und so kamen sie und Klaus Tönsing sich näher. Klaus hörte auch gern die Beatles und Cliff Richard und beide hatten eine Leidenschaft fürs Kino. In Spenge liefen die aktuellen Filme und 1968 Western und Science Fiction aus den USA, aber auch deutsche Produktionen wie „Zur Sache Schätzchen“ oder „Oswald Kolle: das Wunder der Liebe“ gehörten zu ihren Erlebnissen.
Klaus spielte Fußball beim SV Häger und Renate stand bei Spielen am Wochenende unter den Zuschauenden und feuerte ihn an. Es war eine junge Liebe wie im Bilderbuch. Das lag aber auch daran, dass Renate trotz ihres rebellischen und impulsiven Wesens an eine Partnerschaft noch gar keine Ansprüche stellte. Es war toll, einen Freund zu haben, mit dem man auf Feten knutschen und eng tanzen konnte, mit dem man ins Kino gehen und den man beim Fußball anfeuern konnte, ohne scheele Blicke zu ernten, denn man gehörte ja zusammen. Klaus war ruhig, freundlich, weder jähzornig noch handgreiflich. Er sah gut aus, war lustig und unterhaltsam. Mehr verlangte sie nicht.
Doch nach einigen Monaten stellten sich die ersten Unstimmigkeiten ein. Renates Schlafzimmer hatte er noch nie von innen gesehen, dass hätte Hildegard niemals zugelassen, er selbst hatte jedoch Eltern, die häufig nicht zu Hause waren und sich bei einem Sohn ohnehin weniger Sorgen machten. Wenn sie bei auf dem Bett lagen, Musik hörten und Zärtlichkeiten austauschten wurde er jedes Mal ein wenig stürmischer. Eine Hand unter der Bluse ließ Renate sich ja noch gefallen, doch als er ihr an den Schlüpfer ging, bekam sie Angst, trotz des Aufklärungsfilms – oder gerade deswegen. Sie wollte es ja auch, aber nicht so schnell. Klaus bekam dann schlechte Laune und fragte, was das denn solle, dafür sei man ja schließlich zusammen.
Renate spürte, dass in Klaus Kopf etwas gründlich falsch lief, aber sie war noch nicht in der Lage, diesen Missstand zu analysieren. Sie zog sich zurück, schützte häusliche Pflichte vor und vertröstete ihn aufs nächste Mal. Mit ihrer Mutter konnte sie sich diesbezüglich nicht beraten und richtig gute Freundinnen hatte sie nicht. Es waren ja allesamt die alten Bekannten aus der Grundschulzeit, sie trug das Bild von der unleidlichen, verletzenden Giftspritze noch stets mit sich herum. Also bereitete sie sich vor auf das Erste Mal, erkundigte sich nach Verhütungsmitteln und wie sie am besten an diese gelangen konnte, ohne dass ihr Eltern jemals etwas davon erfahren würden.
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Samstag, 19. Oktober 2024
2nd Spoiler 5
c. fabry, 00:21h
1965
Die Narzissen standen in voller Pracht, als zu diesem späten Osterfest die Glocken läuteten. Als zwei Wochen später die Konfirmationen gefeiert wurden, waren die Tulpen schon draußen. Dies macht Hildegard sich bei der Tischdekoration für Renates Fest zunutze.
Es war praktisch den eigenen Gasthof für diesen Tag zur Verfügung zu haben, obwohl es einen nicht unerheblichen Verdienstausfall bedeutete, wenn auch nicht die kulinarische Ausrichtung anderer Konfirmationsfeiern, denn das war zu dieser Zeit auf dem Land noch nicht üblich.
Hildegard hatte sich Hilfe aus der Verwandtschaft geholt und so ein formidables Mittagessen und viele ansehnliche, wohlschmeckende Torten aufs Buffet gezaubert.
Es wurde ein fröhliches Fest, bei dem es auch ein paar Geschenke gab, über die Renate sich freute – wenn es sich auch überwiegend um Wäsche für die Aussteuer handelte. Aber tatsächlich war auch ein Plattenspieler und eine erste Langspielplatte dabei: Die Beatles, für die Renate seit kurzem schwärmte.
Verwandte und Freunde der Familie unterhielten sich zwar mehr untereinander als mit der Konfirmandin, aber diesen Umgang war das Mädchen gewohnt wie die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ihrer Generation. Dafür gab es Vetter und Cousinen, mit denen sie sich gut unterhalten konnte. In dieser ausgelassenen Atmosphäre wurde zünftig getrunken, wobei auch Heinrich sich keineswegs zurückhielt. Es ging überaus lustig zu und erst gegen Abend gingen die letzten Gäste nach Hause.
Als es nun ans unliebsame Aufräumen ging, kippte die Laune des betrunkenen Vaters von ausgelassen nach reizbar. Er wurde Renate gegenüber ausfallend und beleidigend. „Mach Platz da! Du machst ja mit deinen beiden linken Händen mehr kaputt als ich mit meiner rechten!“
Eingeschüchtert und vollkommen verunsichert stolperte die vierzehnjährige Renate, die eben noch von allen gefeiert worden war wie ein geprügelter Hund zwischen den Stühlen umher. Heinrich wurde mit jeder ihrer Reaktionen ausfallender und lauter. Hildegard nahm ihre Tochter beiseite und erklärte: „Der Papa ist nicht er selbst, das ist morgen wieder gut. Pass mal auf. Die Carola hat ihr Geschenk noch noch gar nicht. Zieh du dir doch eben eine Hose an und eine Jacke über und bring es ihr. Bestell ihr schöne Grüße von uns und sag, dass ich auch alle Hände voll zu tun hab, weil morgen ja noch die Nachbarn zum Kaffee kommen. Und jetzt ab mit dir!“
Renate kleidete sich um, griff das verpackte Geschenk, das auf dem Schuhschrank neben der Garderobe bereit lag, holte ihr Rad aus der Scheune und machte sich auf den Weg. Ihren Tränen ließ sie dabei freien Lauf. Nach den acht Kilometern, die sie bis nach Theenhausen unterwegs war, wären sie getrocknet.
Doch die Bäche auf ihren Wangen wollten einfach nicht versiegen. Immer wieder sprudelten neue Quellen des Schmerzes hervor und dabei spielten nicht nur die jüngsten Verletzungen eine Rolle, sondern auch die längst vergangenen und fast vergessenen. Immer wieder bekam sie aufs Neue um die Ohren gehauen, dass sie versagt hatte, nicht genug war, dass sie ihren Vater enttäuscht hatte, egal, wie sehr sich sich bemühte, alles richtig zu machen.
Als sie nach einer halben Stunde bei ihrer Verwandtschaft in Theenhausen eintrudelte, wo ihre Cousine Carola ebenfalls Konfirmation gefeiert hatte, war ihr Gesicht rotfleckig und verquollen.
„Was ist passiert, Renate?“, fragte Tante Margret besorgt, doch Renate schluchzte nur und sagte: „Nichts.“, denn sie wusste nicht, wie sie sich erklären sollte, ohne ihren Vater erneut gegen sich aufzubringen.
„Aber man weint doch nicht so schrecklich wegen nichts.“
„Ach, ich hab‘ nur über traurige Dinge nachgedacht.“, erklärte Renate. „Das geht gleich wieder. Ich wollte Carola ihr Konfirmationsgeschenk bringen, weil wir ja heute Morgen keine Zeit hatten, weil wir selbst in der Kirche waren. Und schöne Grüße von Mama und Papa, die haben so viel zu tun, weil morgen ja noch die Nachbarn kommen.“
„Ja, natürlich.“, sagte die Tante. „Jetzt zieh aber mal deine Jacke aus und iss Abendbrot mit uns, bevor du die lange Strecke zurück strampelst.“
„Nee, das geht nicht.“, erklärte Renate. „Es wird ja bald dunkel und mein Rücklicht ist kaputt und zu Hause warten sie ja auch mit dem Abendbrot.“
„Na, dann nimm wenigstens dein Geschenk und eine Tafel Schokolade mit.“, sagte Tante Margret. Falls dir unterwegs die Puste ausgeht. Willst du nicht wenigstens ein Glas Sprudel trinken?“
„Nein, Danke.“, sagte Renate und winkte Carola zu, die mittlerweile in der Tür stand.
„Herzlichen Glückwunsch.“, sagte sie.
„Gleichfalls.“, erwiderte Carola.
„Ich muss los.“, sagte Renate und ging eilig zu ihrem Rad. Bevor sie ausstieg, fiel ihr noch etwas ein: „Tante Margret“, sagte sie, „sag Mama und Papa bitte nichts davon, dass ich geheult habe. Die denken dann, dass wunders was los ist und machen mir die Hölle heiß. Es ist aber alles in Ordnung. Ich habe nur an was Trauriges gedacht, was ich geelesen habe.“
„Ist in Ordnung, Renate.“, erwiderte Margret und blickte dem eilig davon radelnden Mädchen nachdenklich hinterher.
„Weißt du, was mit Renate los ist?“, fragte sie ihre Tochter.
„Nee.“, sagte die. „Die will sich bestimmt nur wichtig machen. Wenn es mal nicht so läuft, wie sie will, macht sie Drama. Einfach nicht beachten.“
Carola schlurfte zurück ins Haus und öffnete ihr Geschenk. „Noch ein Badetuch.“, seufzte sie und legte es zu den anderen.
Die Narzissen standen in voller Pracht, als zu diesem späten Osterfest die Glocken läuteten. Als zwei Wochen später die Konfirmationen gefeiert wurden, waren die Tulpen schon draußen. Dies macht Hildegard sich bei der Tischdekoration für Renates Fest zunutze.
Es war praktisch den eigenen Gasthof für diesen Tag zur Verfügung zu haben, obwohl es einen nicht unerheblichen Verdienstausfall bedeutete, wenn auch nicht die kulinarische Ausrichtung anderer Konfirmationsfeiern, denn das war zu dieser Zeit auf dem Land noch nicht üblich.
Hildegard hatte sich Hilfe aus der Verwandtschaft geholt und so ein formidables Mittagessen und viele ansehnliche, wohlschmeckende Torten aufs Buffet gezaubert.
Es wurde ein fröhliches Fest, bei dem es auch ein paar Geschenke gab, über die Renate sich freute – wenn es sich auch überwiegend um Wäsche für die Aussteuer handelte. Aber tatsächlich war auch ein Plattenspieler und eine erste Langspielplatte dabei: Die Beatles, für die Renate seit kurzem schwärmte.
Verwandte und Freunde der Familie unterhielten sich zwar mehr untereinander als mit der Konfirmandin, aber diesen Umgang war das Mädchen gewohnt wie die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ihrer Generation. Dafür gab es Vetter und Cousinen, mit denen sie sich gut unterhalten konnte. In dieser ausgelassenen Atmosphäre wurde zünftig getrunken, wobei auch Heinrich sich keineswegs zurückhielt. Es ging überaus lustig zu und erst gegen Abend gingen die letzten Gäste nach Hause.
Als es nun ans unliebsame Aufräumen ging, kippte die Laune des betrunkenen Vaters von ausgelassen nach reizbar. Er wurde Renate gegenüber ausfallend und beleidigend. „Mach Platz da! Du machst ja mit deinen beiden linken Händen mehr kaputt als ich mit meiner rechten!“
Eingeschüchtert und vollkommen verunsichert stolperte die vierzehnjährige Renate, die eben noch von allen gefeiert worden war wie ein geprügelter Hund zwischen den Stühlen umher. Heinrich wurde mit jeder ihrer Reaktionen ausfallender und lauter. Hildegard nahm ihre Tochter beiseite und erklärte: „Der Papa ist nicht er selbst, das ist morgen wieder gut. Pass mal auf. Die Carola hat ihr Geschenk noch noch gar nicht. Zieh du dir doch eben eine Hose an und eine Jacke über und bring es ihr. Bestell ihr schöne Grüße von uns und sag, dass ich auch alle Hände voll zu tun hab, weil morgen ja noch die Nachbarn zum Kaffee kommen. Und jetzt ab mit dir!“
Renate kleidete sich um, griff das verpackte Geschenk, das auf dem Schuhschrank neben der Garderobe bereit lag, holte ihr Rad aus der Scheune und machte sich auf den Weg. Ihren Tränen ließ sie dabei freien Lauf. Nach den acht Kilometern, die sie bis nach Theenhausen unterwegs war, wären sie getrocknet.
Doch die Bäche auf ihren Wangen wollten einfach nicht versiegen. Immer wieder sprudelten neue Quellen des Schmerzes hervor und dabei spielten nicht nur die jüngsten Verletzungen eine Rolle, sondern auch die längst vergangenen und fast vergessenen. Immer wieder bekam sie aufs Neue um die Ohren gehauen, dass sie versagt hatte, nicht genug war, dass sie ihren Vater enttäuscht hatte, egal, wie sehr sich sich bemühte, alles richtig zu machen.
Als sie nach einer halben Stunde bei ihrer Verwandtschaft in Theenhausen eintrudelte, wo ihre Cousine Carola ebenfalls Konfirmation gefeiert hatte, war ihr Gesicht rotfleckig und verquollen.
„Was ist passiert, Renate?“, fragte Tante Margret besorgt, doch Renate schluchzte nur und sagte: „Nichts.“, denn sie wusste nicht, wie sie sich erklären sollte, ohne ihren Vater erneut gegen sich aufzubringen.
„Aber man weint doch nicht so schrecklich wegen nichts.“
„Ach, ich hab‘ nur über traurige Dinge nachgedacht.“, erklärte Renate. „Das geht gleich wieder. Ich wollte Carola ihr Konfirmationsgeschenk bringen, weil wir ja heute Morgen keine Zeit hatten, weil wir selbst in der Kirche waren. Und schöne Grüße von Mama und Papa, die haben so viel zu tun, weil morgen ja noch die Nachbarn kommen.“
„Ja, natürlich.“, sagte die Tante. „Jetzt zieh aber mal deine Jacke aus und iss Abendbrot mit uns, bevor du die lange Strecke zurück strampelst.“
„Nee, das geht nicht.“, erklärte Renate. „Es wird ja bald dunkel und mein Rücklicht ist kaputt und zu Hause warten sie ja auch mit dem Abendbrot.“
„Na, dann nimm wenigstens dein Geschenk und eine Tafel Schokolade mit.“, sagte Tante Margret. Falls dir unterwegs die Puste ausgeht. Willst du nicht wenigstens ein Glas Sprudel trinken?“
„Nein, Danke.“, sagte Renate und winkte Carola zu, die mittlerweile in der Tür stand.
„Herzlichen Glückwunsch.“, sagte sie.
„Gleichfalls.“, erwiderte Carola.
„Ich muss los.“, sagte Renate und ging eilig zu ihrem Rad. Bevor sie ausstieg, fiel ihr noch etwas ein: „Tante Margret“, sagte sie, „sag Mama und Papa bitte nichts davon, dass ich geheult habe. Die denken dann, dass wunders was los ist und machen mir die Hölle heiß. Es ist aber alles in Ordnung. Ich habe nur an was Trauriges gedacht, was ich geelesen habe.“
„Ist in Ordnung, Renate.“, erwiderte Margret und blickte dem eilig davon radelnden Mädchen nachdenklich hinterher.
„Weißt du, was mit Renate los ist?“, fragte sie ihre Tochter.
„Nee.“, sagte die. „Die will sich bestimmt nur wichtig machen. Wenn es mal nicht so läuft, wie sie will, macht sie Drama. Einfach nicht beachten.“
Carola schlurfte zurück ins Haus und öffnete ihr Geschenk. „Noch ein Badetuch.“, seufzte sie und legte es zu den anderen.
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