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Samstag, 19. Oktober 2024
2nd Spoiler 5
c. fabry, 00:21h
1965
Die Narzissen standen in voller Pracht, als zu diesem späten Osterfest die Glocken läuteten. Als zwei Wochen später die Konfirmationen gefeiert wurden, waren die Tulpen schon draußen. Dies macht Hildegard sich bei der Tischdekoration für Renates Fest zunutze.
Es war praktisch den eigenen Gasthof für diesen Tag zur Verfügung zu haben, obwohl es einen nicht unerheblichen Verdienstausfall bedeutete, wenn auch nicht die kulinarische Ausrichtung anderer Konfirmationsfeiern, denn das war zu dieser Zeit auf dem Land noch nicht üblich.
Hildegard hatte sich Hilfe aus der Verwandtschaft geholt und so ein formidables Mittagessen und viele ansehnliche, wohlschmeckende Torten aufs Buffet gezaubert.
Es wurde ein fröhliches Fest, bei dem es auch ein paar Geschenke gab, über die Renate sich freute – wenn es sich auch überwiegend um Wäsche für die Aussteuer handelte. Aber tatsächlich war auch ein Plattenspieler und eine erste Langspielplatte dabei: Die Beatles, für die Renate seit kurzem schwärmte.
Verwandte und Freunde der Familie unterhielten sich zwar mehr untereinander als mit der Konfirmandin, aber diesen Umgang war das Mädchen gewohnt wie die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ihrer Generation. Dafür gab es Vetter und Cousinen, mit denen sie sich gut unterhalten konnte. In dieser ausgelassenen Atmosphäre wurde zünftig getrunken, wobei auch Heinrich sich keineswegs zurückhielt. Es ging überaus lustig zu und erst gegen Abend gingen die letzten Gäste nach Hause.
Als es nun ans unliebsame Aufräumen ging, kippte die Laune des betrunkenen Vaters von ausgelassen nach reizbar. Er wurde Renate gegenüber ausfallend und beleidigend. „Mach Platz da! Du machst ja mit deinen beiden linken Händen mehr kaputt als ich mit meiner rechten!“
Eingeschüchtert und vollkommen verunsichert stolperte die vierzehnjährige Renate, die eben noch von allen gefeiert worden war wie ein geprügelter Hund zwischen den Stühlen umher. Heinrich wurde mit jeder ihrer Reaktionen ausfallender und lauter. Hildegard nahm ihre Tochter beiseite und erklärte: „Der Papa ist nicht er selbst, das ist morgen wieder gut. Pass mal auf. Die Carola hat ihr Geschenk noch noch gar nicht. Zieh du dir doch eben eine Hose an und eine Jacke über und bring es ihr. Bestell ihr schöne Grüße von uns und sag, dass ich auch alle Hände voll zu tun hab, weil morgen ja noch die Nachbarn zum Kaffee kommen. Und jetzt ab mit dir!“
Renate kleidete sich um, griff das verpackte Geschenk, das auf dem Schuhschrank neben der Garderobe bereit lag, holte ihr Rad aus der Scheune und machte sich auf den Weg. Ihren Tränen ließ sie dabei freien Lauf. Nach den acht Kilometern, die sie bis nach Theenhausen unterwegs war, wären sie getrocknet.
Doch die Bäche auf ihren Wangen wollten einfach nicht versiegen. Immer wieder sprudelten neue Quellen des Schmerzes hervor und dabei spielten nicht nur die jüngsten Verletzungen eine Rolle, sondern auch die längst vergangenen und fast vergessenen. Immer wieder bekam sie aufs Neue um die Ohren gehauen, dass sie versagt hatte, nicht genug war, dass sie ihren Vater enttäuscht hatte, egal, wie sehr sich sich bemühte, alles richtig zu machen.
Als sie nach einer halben Stunde bei ihrer Verwandtschaft in Theenhausen eintrudelte, wo ihre Cousine Carola ebenfalls Konfirmation gefeiert hatte, war ihr Gesicht rotfleckig und verquollen.
„Was ist passiert, Renate?“, fragte Tante Margret besorgt, doch Renate schluchzte nur und sagte: „Nichts.“, denn sie wusste nicht, wie sie sich erklären sollte, ohne ihren Vater erneut gegen sich aufzubringen.
„Aber man weint doch nicht so schrecklich wegen nichts.“
„Ach, ich hab‘ nur über traurige Dinge nachgedacht.“, erklärte Renate. „Das geht gleich wieder. Ich wollte Carola ihr Konfirmationsgeschenk bringen, weil wir ja heute Morgen keine Zeit hatten, weil wir selbst in der Kirche waren. Und schöne Grüße von Mama und Papa, die haben so viel zu tun, weil morgen ja noch die Nachbarn kommen.“
„Ja, natürlich.“, sagte die Tante. „Jetzt zieh aber mal deine Jacke aus und iss Abendbrot mit uns, bevor du die lange Strecke zurück strampelst.“
„Nee, das geht nicht.“, erklärte Renate. „Es wird ja bald dunkel und mein Rücklicht ist kaputt und zu Hause warten sie ja auch mit dem Abendbrot.“
„Na, dann nimm wenigstens dein Geschenk und eine Tafel Schokolade mit.“, sagte Tante Margret. Falls dir unterwegs die Puste ausgeht. Willst du nicht wenigstens ein Glas Sprudel trinken?“
„Nein, Danke.“, sagte Renate und winkte Carola zu, die mittlerweile in der Tür stand.
„Herzlichen Glückwunsch.“, sagte sie.
„Gleichfalls.“, erwiderte Carola.
„Ich muss los.“, sagte Renate und ging eilig zu ihrem Rad. Bevor sie ausstieg, fiel ihr noch etwas ein: „Tante Margret“, sagte sie, „sag Mama und Papa bitte nichts davon, dass ich geheult habe. Die denken dann, dass wunders was los ist und machen mir die Hölle heiß. Es ist aber alles in Ordnung. Ich habe nur an was Trauriges gedacht, was ich geelesen habe.“
„Ist in Ordnung, Renate.“, erwiderte Margret und blickte dem eilig davon radelnden Mädchen nachdenklich hinterher.
„Weißt du, was mit Renate los ist?“, fragte sie ihre Tochter.
„Nee.“, sagte die. „Die will sich bestimmt nur wichtig machen. Wenn es mal nicht so läuft, wie sie will, macht sie Drama. Einfach nicht beachten.“
Carola schlurfte zurück ins Haus und öffnete ihr Geschenk. „Noch ein Badetuch.“, seufzte sie und legte es zu den anderen.
Die Narzissen standen in voller Pracht, als zu diesem späten Osterfest die Glocken läuteten. Als zwei Wochen später die Konfirmationen gefeiert wurden, waren die Tulpen schon draußen. Dies macht Hildegard sich bei der Tischdekoration für Renates Fest zunutze.
Es war praktisch den eigenen Gasthof für diesen Tag zur Verfügung zu haben, obwohl es einen nicht unerheblichen Verdienstausfall bedeutete, wenn auch nicht die kulinarische Ausrichtung anderer Konfirmationsfeiern, denn das war zu dieser Zeit auf dem Land noch nicht üblich.
Hildegard hatte sich Hilfe aus der Verwandtschaft geholt und so ein formidables Mittagessen und viele ansehnliche, wohlschmeckende Torten aufs Buffet gezaubert.
Es wurde ein fröhliches Fest, bei dem es auch ein paar Geschenke gab, über die Renate sich freute – wenn es sich auch überwiegend um Wäsche für die Aussteuer handelte. Aber tatsächlich war auch ein Plattenspieler und eine erste Langspielplatte dabei: Die Beatles, für die Renate seit kurzem schwärmte.
Verwandte und Freunde der Familie unterhielten sich zwar mehr untereinander als mit der Konfirmandin, aber diesen Umgang war das Mädchen gewohnt wie die Mehrheit der Kinder und Jugendlichen ihrer Generation. Dafür gab es Vetter und Cousinen, mit denen sie sich gut unterhalten konnte. In dieser ausgelassenen Atmosphäre wurde zünftig getrunken, wobei auch Heinrich sich keineswegs zurückhielt. Es ging überaus lustig zu und erst gegen Abend gingen die letzten Gäste nach Hause.
Als es nun ans unliebsame Aufräumen ging, kippte die Laune des betrunkenen Vaters von ausgelassen nach reizbar. Er wurde Renate gegenüber ausfallend und beleidigend. „Mach Platz da! Du machst ja mit deinen beiden linken Händen mehr kaputt als ich mit meiner rechten!“
Eingeschüchtert und vollkommen verunsichert stolperte die vierzehnjährige Renate, die eben noch von allen gefeiert worden war wie ein geprügelter Hund zwischen den Stühlen umher. Heinrich wurde mit jeder ihrer Reaktionen ausfallender und lauter. Hildegard nahm ihre Tochter beiseite und erklärte: „Der Papa ist nicht er selbst, das ist morgen wieder gut. Pass mal auf. Die Carola hat ihr Geschenk noch noch gar nicht. Zieh du dir doch eben eine Hose an und eine Jacke über und bring es ihr. Bestell ihr schöne Grüße von uns und sag, dass ich auch alle Hände voll zu tun hab, weil morgen ja noch die Nachbarn zum Kaffee kommen. Und jetzt ab mit dir!“
Renate kleidete sich um, griff das verpackte Geschenk, das auf dem Schuhschrank neben der Garderobe bereit lag, holte ihr Rad aus der Scheune und machte sich auf den Weg. Ihren Tränen ließ sie dabei freien Lauf. Nach den acht Kilometern, die sie bis nach Theenhausen unterwegs war, wären sie getrocknet.
Doch die Bäche auf ihren Wangen wollten einfach nicht versiegen. Immer wieder sprudelten neue Quellen des Schmerzes hervor und dabei spielten nicht nur die jüngsten Verletzungen eine Rolle, sondern auch die längst vergangenen und fast vergessenen. Immer wieder bekam sie aufs Neue um die Ohren gehauen, dass sie versagt hatte, nicht genug war, dass sie ihren Vater enttäuscht hatte, egal, wie sehr sich sich bemühte, alles richtig zu machen.
Als sie nach einer halben Stunde bei ihrer Verwandtschaft in Theenhausen eintrudelte, wo ihre Cousine Carola ebenfalls Konfirmation gefeiert hatte, war ihr Gesicht rotfleckig und verquollen.
„Was ist passiert, Renate?“, fragte Tante Margret besorgt, doch Renate schluchzte nur und sagte: „Nichts.“, denn sie wusste nicht, wie sie sich erklären sollte, ohne ihren Vater erneut gegen sich aufzubringen.
„Aber man weint doch nicht so schrecklich wegen nichts.“
„Ach, ich hab‘ nur über traurige Dinge nachgedacht.“, erklärte Renate. „Das geht gleich wieder. Ich wollte Carola ihr Konfirmationsgeschenk bringen, weil wir ja heute Morgen keine Zeit hatten, weil wir selbst in der Kirche waren. Und schöne Grüße von Mama und Papa, die haben so viel zu tun, weil morgen ja noch die Nachbarn kommen.“
„Ja, natürlich.“, sagte die Tante. „Jetzt zieh aber mal deine Jacke aus und iss Abendbrot mit uns, bevor du die lange Strecke zurück strampelst.“
„Nee, das geht nicht.“, erklärte Renate. „Es wird ja bald dunkel und mein Rücklicht ist kaputt und zu Hause warten sie ja auch mit dem Abendbrot.“
„Na, dann nimm wenigstens dein Geschenk und eine Tafel Schokolade mit.“, sagte Tante Margret. Falls dir unterwegs die Puste ausgeht. Willst du nicht wenigstens ein Glas Sprudel trinken?“
„Nein, Danke.“, sagte Renate und winkte Carola zu, die mittlerweile in der Tür stand.
„Herzlichen Glückwunsch.“, sagte sie.
„Gleichfalls.“, erwiderte Carola.
„Ich muss los.“, sagte Renate und ging eilig zu ihrem Rad. Bevor sie ausstieg, fiel ihr noch etwas ein: „Tante Margret“, sagte sie, „sag Mama und Papa bitte nichts davon, dass ich geheult habe. Die denken dann, dass wunders was los ist und machen mir die Hölle heiß. Es ist aber alles in Ordnung. Ich habe nur an was Trauriges gedacht, was ich geelesen habe.“
„Ist in Ordnung, Renate.“, erwiderte Margret und blickte dem eilig davon radelnden Mädchen nachdenklich hinterher.
„Weißt du, was mit Renate los ist?“, fragte sie ihre Tochter.
„Nee.“, sagte die. „Die will sich bestimmt nur wichtig machen. Wenn es mal nicht so läuft, wie sie will, macht sie Drama. Einfach nicht beachten.“
Carola schlurfte zurück ins Haus und öffnete ihr Geschenk. „Noch ein Badetuch.“, seufzte sie und legte es zu den anderen.
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Freitag, 11. Oktober 2024
2nd Spoiler 4
c. fabry, 12:28h
1963
Mit dem Wechsel in die siebte Klasse an die Schule in Werther wechselten auch Renates Freundschaften. Das lag nicht etwa daran, dass die Klassen auseinandergerissen worden wären – es gingen ja alle Zwölfjährigen nach Werther – sondern daran, dass keine ihrer neu geschlossenen Freundschaften lange hielt. In der dritten und vierten Klasse war das noch bei allen so gewesen. In diesem Alter wurde viel ausprobiert, man ließ sich auf alles ein, verwarf aber auch vieles und erwarb so Schritt für Schritt eine gewisse Menschenkenntnis. Irgendwann wurden aus Kindern Jugendliche mit einem Gespür dafür, wer zu ihnen passte und wer nicht, aber auch mit der Fähigkeit, das Schiff einer guten Freundschaft durch stürmische Krisen zu manövrieren. Bei Renate zeichnete sich diese Veränderung aber keineswegs ab. Gefühlt brachte sie monatlich eine neue beste Freundin mit nach Hause, mit der sie nach wenigen Wochen bereits zerstritten war. Sie waren alle sehr unterschiedlich, Hildegard erkannte keinen roten Faden, kein Konzept. Scheinbar nahm Renate einfach, was sie kriegen konnte, war aber nicht fähig, einen Menschen an sich zu binden. Wenn sie das später mit den Männern genauso machte, standen ihnen schauderhafte Zeiten bevor.
Hildegard sorgte sich sehr und suchte das Gespräch: „Warum triffst du dich eigentlich nicht mehr mit Karin?“
„Die hat keine Zeit.“
„Aber zuerst hatte sie doch mehrmals die Woche Zeit.“
„Jetzt aber nicht mehr.“
„Und warum nicht?“
„Hat sie nicht gesagt.“
„Und was ist mit Dagmar?“
„Die trifft sich jetzt immer mit Almut und Monika. Die machen dann so Schmink-Nachmittage oder fahren nach Spenge ins Kino.“
„Und das ist nichts für dich?“
„Weiß nicht. Die fragen mich ja nicht, ob ich mitmachen will.“
„Und Hanna?“
„Die ist doof.“
„Warum?“
„Die macht immer so Witze, die keiner versteht und dann lacht sie total irre.“
„Aber die Susanne war doch nett. Warum triffst du dich denn gar nicht mehr mit der?“
„Die geht doch mit Petra zum Klavierunterricht und zum Reiten. Die machen jetzt alles zusammen. Da kommt keiner mehr zwischen.“
Hildegard seufzte ratlos, aber sie hatte zu viel zu tun, um weitere Nachforschungen anzustellen.
Was Hildegard nicht ahnte: Ihre Tochter neigte zu großer Impulsivität. Ob sie das von Heinrich erlernt hatte oder ob es eine Folge der Anpassung aufgrund permanenter Alarmbereitschaft war, die von den unkalkulierbaren Zornentladungen ihres Vaters herrührte, konnte niemand wissen. Renates starke Emotionen gepaart mit einer natürlichen, kindlichen Offenheit verschreckten viele Freundinnen und nahmen sie gegen die Wirtstochter ein. So blieb keine Beziehung stabil und von Dauer, was Renate mit noch viel größerer Ratlosigkeit und Verzweiflung zur Kenntnis nahm als ihre besorgte Mutter, war sie doch diejenige, die von diesem Problem unmittelbar betroffen war.
Sie lernte selbst im Laufe der folgenden Jahre, sich etwas zurückzuhalten mit ihrer direkten und explosiven Art, zumindest gegenüber denjenigen, an denen ihr etwas lag
Mit dem Wechsel in die siebte Klasse an die Schule in Werther wechselten auch Renates Freundschaften. Das lag nicht etwa daran, dass die Klassen auseinandergerissen worden wären – es gingen ja alle Zwölfjährigen nach Werther – sondern daran, dass keine ihrer neu geschlossenen Freundschaften lange hielt. In der dritten und vierten Klasse war das noch bei allen so gewesen. In diesem Alter wurde viel ausprobiert, man ließ sich auf alles ein, verwarf aber auch vieles und erwarb so Schritt für Schritt eine gewisse Menschenkenntnis. Irgendwann wurden aus Kindern Jugendliche mit einem Gespür dafür, wer zu ihnen passte und wer nicht, aber auch mit der Fähigkeit, das Schiff einer guten Freundschaft durch stürmische Krisen zu manövrieren. Bei Renate zeichnete sich diese Veränderung aber keineswegs ab. Gefühlt brachte sie monatlich eine neue beste Freundin mit nach Hause, mit der sie nach wenigen Wochen bereits zerstritten war. Sie waren alle sehr unterschiedlich, Hildegard erkannte keinen roten Faden, kein Konzept. Scheinbar nahm Renate einfach, was sie kriegen konnte, war aber nicht fähig, einen Menschen an sich zu binden. Wenn sie das später mit den Männern genauso machte, standen ihnen schauderhafte Zeiten bevor.
Hildegard sorgte sich sehr und suchte das Gespräch: „Warum triffst du dich eigentlich nicht mehr mit Karin?“
„Die hat keine Zeit.“
„Aber zuerst hatte sie doch mehrmals die Woche Zeit.“
„Jetzt aber nicht mehr.“
„Und warum nicht?“
„Hat sie nicht gesagt.“
„Und was ist mit Dagmar?“
„Die trifft sich jetzt immer mit Almut und Monika. Die machen dann so Schmink-Nachmittage oder fahren nach Spenge ins Kino.“
„Und das ist nichts für dich?“
„Weiß nicht. Die fragen mich ja nicht, ob ich mitmachen will.“
„Und Hanna?“
„Die ist doof.“
„Warum?“
„Die macht immer so Witze, die keiner versteht und dann lacht sie total irre.“
„Aber die Susanne war doch nett. Warum triffst du dich denn gar nicht mehr mit der?“
„Die geht doch mit Petra zum Klavierunterricht und zum Reiten. Die machen jetzt alles zusammen. Da kommt keiner mehr zwischen.“
Hildegard seufzte ratlos, aber sie hatte zu viel zu tun, um weitere Nachforschungen anzustellen.
Was Hildegard nicht ahnte: Ihre Tochter neigte zu großer Impulsivität. Ob sie das von Heinrich erlernt hatte oder ob es eine Folge der Anpassung aufgrund permanenter Alarmbereitschaft war, die von den unkalkulierbaren Zornentladungen ihres Vaters herrührte, konnte niemand wissen. Renates starke Emotionen gepaart mit einer natürlichen, kindlichen Offenheit verschreckten viele Freundinnen und nahmen sie gegen die Wirtstochter ein. So blieb keine Beziehung stabil und von Dauer, was Renate mit noch viel größerer Ratlosigkeit und Verzweiflung zur Kenntnis nahm als ihre besorgte Mutter, war sie doch diejenige, die von diesem Problem unmittelbar betroffen war.
Sie lernte selbst im Laufe der folgenden Jahre, sich etwas zurückzuhalten mit ihrer direkten und explosiven Art, zumindest gegenüber denjenigen, an denen ihr etwas lag
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Freitag, 4. Oktober 2024
2nd Spoiler 4
c. fabry, 00:44h
1961
Die Grundschulzeit ging zu Ende, das Schulgebäude blieb das Gleiche. Für das dritte Schuljahr war Renate in den Klassenraum mit Blick zum Schulhof umgezogen – etwas langweiliger war die Aussicht schon und dort war es auch weniger hell; nun ging es in den großen Raum mit Bühne und mit Aussicht auf den Garten des Schulleiters, der die Klasse in Mathematik, Naturwissenschaften und Geschichte unterrichtete. Männer waren Renate suspekt: sie kannte den launischen, bisweilen jähzornigen Vater, betrunkene, lautstark palavernde Stammgäste im Gasthof, rüde Bauern in der Verwandtschaft, aber selten jemanden, der einen feinsinnigen oder einfühlsamen Eindruck machte.
Als sie nach dem ersten Tag in der fünften Klasse nach Hause kam, spürte sie sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie bemühte sich, alles richtig zu machen, stellte den Ranzen ordentlich auf die Ecke der Küchenbank, vermied es, Geräusche zu machen und hängte sorgsam ihre Jacke an die Garderobe.
Tatsächlich war es ihr aber entgangen, dass sie in die Hinterlassenschaft eines größeren Vogels getreten war, und nun, da sie es versäumt hatte, die Straßenschuhe gegen Pantoffeln einzutauschen, verteilte sie in mehreren Räumen hässliche Kotflecken.
Heinrich hatte soeben äußerst ärgerliche Post vom Finanzamt geöffnet, noch etwas Unangenehmes, um das er sich kümmern musste, dabei hatte er gerade die Bierleitung gereinigt und am Nachmittag erwartete er eine größere Gesellschaft, die nicht nur trinken, sondern auch essen wollten – wenn auch nur Brühwürstchen mit Kartoffelsalat.
Als es nun in seinen Augen so aussah, als müssten sämtliche Fußböden noch einmal gründlich gewischt werden, löste sich seine Selbstbeherrschung vollständig auf. „Verdammt nochmal! Wie dumm bist du eigentlich?“ brüllte er Renate an, die - sich keiner Schuld bewusst – zusammenzuckte.
„Du weißt doch, dass man seine Straßenschuhe auszieht, wenn man nach Hause kommt!“
Sie sah an sich herunter und fand den Fehler. Schnell streifte sie die Schuhe ab, schlüpfte in die Pantoffeln und wollte die Schuhe ins Regal stellen, als ihr Vater einen Satz auf sie zu machte, sie am Arm packte und schüttelte.
„Wo hast du denn deinen Verstand?“, brüllte er. „Bring deine dreckigen Treter nach draußen und mach sie gründlich sauber. Und dann machst du Wischwasser und wischt hier alles feucht durch.“
„Lass sie los!“, unterbrach Hildegard ihren Mann. „Gib mir die Schuhe, Renate, ich mach das. Dein Essen steht schon auf dem Tisch. Geh ruhig in die Küche. Die paar Flecken, die ich noch nicht gefunden habe, putze ich nach dem Essen weg. Deswegen muss nicht alles nochmal gewischt werden.“
Renate floh in die Küche und Heinrich stand mit offenem Mund da. „Wieso mischt du dich ein?“, fragte er und seine Augen blitzten angriffslustig. „Sie muss doch schließlich lernen, Ordnung zu halten.“
„So wie du versuchst, ihr das beizubringen, lernt sie nur eins: dass ihr Papa ein böser Mann ist, vor dem sie sich in acht nehmen muss. Darüber vergisst sie dann alles, was wirklich wichtig ist. Wir haben viel Arbeit und manchmal hat man keine Geduld mehr mit einem Kind. Aber wenn wir wollen, dass Renate uns im Alter unterstützt, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie etwas lernt. Und das wird nichts, wenn sie immer Angst hat.“
Heinrich erklärte der unsicheren Renate, dass er eigentlich nicht so hart und laut reagieren wollte. Er sei eben gereizt, wenn alles zu viel würde, aber das sei nicht ihre Schuld.
„Lass mich das nächste Mal einfach stehen, wenn ich dich anschreie.“, schlug er schmunzelnd vor. „Dann fällt mir vielleicht wieder ein, dass ich das nicht will.“
Renate lächelte vorsichtig und schöpfte ein wenig Hoffnung.
Die Grundschulzeit ging zu Ende, das Schulgebäude blieb das Gleiche. Für das dritte Schuljahr war Renate in den Klassenraum mit Blick zum Schulhof umgezogen – etwas langweiliger war die Aussicht schon und dort war es auch weniger hell; nun ging es in den großen Raum mit Bühne und mit Aussicht auf den Garten des Schulleiters, der die Klasse in Mathematik, Naturwissenschaften und Geschichte unterrichtete. Männer waren Renate suspekt: sie kannte den launischen, bisweilen jähzornigen Vater, betrunkene, lautstark palavernde Stammgäste im Gasthof, rüde Bauern in der Verwandtschaft, aber selten jemanden, der einen feinsinnigen oder einfühlsamen Eindruck machte.
Als sie nach dem ersten Tag in der fünften Klasse nach Hause kam, spürte sie sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie bemühte sich, alles richtig zu machen, stellte den Ranzen ordentlich auf die Ecke der Küchenbank, vermied es, Geräusche zu machen und hängte sorgsam ihre Jacke an die Garderobe.
Tatsächlich war es ihr aber entgangen, dass sie in die Hinterlassenschaft eines größeren Vogels getreten war, und nun, da sie es versäumt hatte, die Straßenschuhe gegen Pantoffeln einzutauschen, verteilte sie in mehreren Räumen hässliche Kotflecken.
Heinrich hatte soeben äußerst ärgerliche Post vom Finanzamt geöffnet, noch etwas Unangenehmes, um das er sich kümmern musste, dabei hatte er gerade die Bierleitung gereinigt und am Nachmittag erwartete er eine größere Gesellschaft, die nicht nur trinken, sondern auch essen wollten – wenn auch nur Brühwürstchen mit Kartoffelsalat.
Als es nun in seinen Augen so aussah, als müssten sämtliche Fußböden noch einmal gründlich gewischt werden, löste sich seine Selbstbeherrschung vollständig auf. „Verdammt nochmal! Wie dumm bist du eigentlich?“ brüllte er Renate an, die - sich keiner Schuld bewusst – zusammenzuckte.
„Du weißt doch, dass man seine Straßenschuhe auszieht, wenn man nach Hause kommt!“
Sie sah an sich herunter und fand den Fehler. Schnell streifte sie die Schuhe ab, schlüpfte in die Pantoffeln und wollte die Schuhe ins Regal stellen, als ihr Vater einen Satz auf sie zu machte, sie am Arm packte und schüttelte.
„Wo hast du denn deinen Verstand?“, brüllte er. „Bring deine dreckigen Treter nach draußen und mach sie gründlich sauber. Und dann machst du Wischwasser und wischt hier alles feucht durch.“
„Lass sie los!“, unterbrach Hildegard ihren Mann. „Gib mir die Schuhe, Renate, ich mach das. Dein Essen steht schon auf dem Tisch. Geh ruhig in die Küche. Die paar Flecken, die ich noch nicht gefunden habe, putze ich nach dem Essen weg. Deswegen muss nicht alles nochmal gewischt werden.“
Renate floh in die Küche und Heinrich stand mit offenem Mund da. „Wieso mischt du dich ein?“, fragte er und seine Augen blitzten angriffslustig. „Sie muss doch schließlich lernen, Ordnung zu halten.“
„So wie du versuchst, ihr das beizubringen, lernt sie nur eins: dass ihr Papa ein böser Mann ist, vor dem sie sich in acht nehmen muss. Darüber vergisst sie dann alles, was wirklich wichtig ist. Wir haben viel Arbeit und manchmal hat man keine Geduld mehr mit einem Kind. Aber wenn wir wollen, dass Renate uns im Alter unterstützt, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie etwas lernt. Und das wird nichts, wenn sie immer Angst hat.“
Heinrich erklärte der unsicheren Renate, dass er eigentlich nicht so hart und laut reagieren wollte. Er sei eben gereizt, wenn alles zu viel würde, aber das sei nicht ihre Schuld.
„Lass mich das nächste Mal einfach stehen, wenn ich dich anschreie.“, schlug er schmunzelnd vor. „Dann fällt mir vielleicht wieder ein, dass ich das nicht will.“
Renate lächelte vorsichtig und schöpfte ein wenig Hoffnung.
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Samstag, 28. September 2024
2nd Spoiler 3
c. fabry, 16:09h
1957
Nur wenige Tage nach Ostern war es soweit: Renate bekam ein neues Kleid mit fröhlichem Blumenmuster und gebauschtem Rock, dazu schneeweiße Strumpfhosen und eine wärmende Strickjacke für die Morgenstunden. Ein paar Tage zuvor hatte sie auf dem Friseurstuhl gesessen und einen praktischen Kurzhaarschnitt erhalten. Der Ranzen war aus genarbtem, braunem Leder, die Schultüte groß und bunt und voller Spannung wartete Renate auf die Mittagszeit, wenn sie ihre Überraschungen auspacken durfte.
Das Schulgebäude in Häger wirkte mit seinem hellen Anstrich und den frisch austreibenden Bäumen freundlich und einladend.
Die großen Kinder sangen zur Begrüßung ein fröhliches Lied im Chor, die Mütter blieben zunächst bei ihren Kindern und sahen zu. Vor einem malerischen Hintergrund von Narzissen und rot blühenden, wilden Johannisbeeren nahm jedes einzelne Kind Aufstellung neben einem lustigen Osterhasen, der eine Kiepe mit bunten Eiern trug, dazu ein ovales, dunkelblaues Schild in der Pfote mit der Aufschrift: Mein erster Schultag.
Renate wirkte auf dem Foto ein wenig eingeschüchtert. So viele Kinder auf einem Haufen und dazu all die fremden Erwachsenen stellten eine große Herausforderung dar. Noch schneller schlug das Herz und Renate musste heftig schlucken, als es nun ohne Mutter in den Klassenraum ging.
Der Raum – eingerichtet mit klassischen Schulbänken, einer Tafel, ein wenig schmückenden Bildern hatte etwas Beängstigendes, auch wenn die zahlreichen hohen Fenster viel Licht hereinließen. Die Lehrerin sprach freundlich, aber auch streng, so als lauere hinter ihrer kultivierten Maske eine unberechenbare Monströsität, die jederzeit entfesselt werden konnte, man wusste nur nicht wodurch. Renate stand unter einer gewaltigen Anspannung, die zu kleinen Schalen geformten Hände lagen auf dem Tisch und unter ihnen entstanden auf der dunkelbraun lackierten Fläche kleine Schweißpfützen.
Nach einer Stunde war sie schon wieder erlöst und stürzte erleichtert in die Arme ihrer wartenden Mutter.
Zuhause durfte sie endlich die Schultüte auspacken: Sie fand Wachsmalkreiden, einen Flummi, ein neues Springseil, einen Kreisel, neue Kleider für die Anziehpuppen, Glanzbilder, Zuckerstangen, Brausebonbons, Karamell, Schokolade und Kaugummi.
Nach dem Mittagessen war die erste Hausaufgabe dran: Ein Bild von der eigenen Familie malen. Das machte Renate Freude und die neuen Wachsmalkreiden kamen direkt zum Einsatz.
Nachmittags kamen die Paten zu Kaffee und Kuchen und brachten Geld für die Spardose, ein Malbuch und Buntstifte mit. Renate fühlte sich reich beschenkt und ein wenig erschöpft. Am Abend schlief sie stolz und glücklich ein. Am zweiten Schultag war ein Großteil der Angst verflogen und es begannen vier weitestgehend unbeschwerte Jahre für sie.
Nur wenige Tage nach Ostern war es soweit: Renate bekam ein neues Kleid mit fröhlichem Blumenmuster und gebauschtem Rock, dazu schneeweiße Strumpfhosen und eine wärmende Strickjacke für die Morgenstunden. Ein paar Tage zuvor hatte sie auf dem Friseurstuhl gesessen und einen praktischen Kurzhaarschnitt erhalten. Der Ranzen war aus genarbtem, braunem Leder, die Schultüte groß und bunt und voller Spannung wartete Renate auf die Mittagszeit, wenn sie ihre Überraschungen auspacken durfte.
Das Schulgebäude in Häger wirkte mit seinem hellen Anstrich und den frisch austreibenden Bäumen freundlich und einladend.
Die großen Kinder sangen zur Begrüßung ein fröhliches Lied im Chor, die Mütter blieben zunächst bei ihren Kindern und sahen zu. Vor einem malerischen Hintergrund von Narzissen und rot blühenden, wilden Johannisbeeren nahm jedes einzelne Kind Aufstellung neben einem lustigen Osterhasen, der eine Kiepe mit bunten Eiern trug, dazu ein ovales, dunkelblaues Schild in der Pfote mit der Aufschrift: Mein erster Schultag.
Renate wirkte auf dem Foto ein wenig eingeschüchtert. So viele Kinder auf einem Haufen und dazu all die fremden Erwachsenen stellten eine große Herausforderung dar. Noch schneller schlug das Herz und Renate musste heftig schlucken, als es nun ohne Mutter in den Klassenraum ging.
Der Raum – eingerichtet mit klassischen Schulbänken, einer Tafel, ein wenig schmückenden Bildern hatte etwas Beängstigendes, auch wenn die zahlreichen hohen Fenster viel Licht hereinließen. Die Lehrerin sprach freundlich, aber auch streng, so als lauere hinter ihrer kultivierten Maske eine unberechenbare Monströsität, die jederzeit entfesselt werden konnte, man wusste nur nicht wodurch. Renate stand unter einer gewaltigen Anspannung, die zu kleinen Schalen geformten Hände lagen auf dem Tisch und unter ihnen entstanden auf der dunkelbraun lackierten Fläche kleine Schweißpfützen.
Nach einer Stunde war sie schon wieder erlöst und stürzte erleichtert in die Arme ihrer wartenden Mutter.
Zuhause durfte sie endlich die Schultüte auspacken: Sie fand Wachsmalkreiden, einen Flummi, ein neues Springseil, einen Kreisel, neue Kleider für die Anziehpuppen, Glanzbilder, Zuckerstangen, Brausebonbons, Karamell, Schokolade und Kaugummi.
Nach dem Mittagessen war die erste Hausaufgabe dran: Ein Bild von der eigenen Familie malen. Das machte Renate Freude und die neuen Wachsmalkreiden kamen direkt zum Einsatz.
Nachmittags kamen die Paten zu Kaffee und Kuchen und brachten Geld für die Spardose, ein Malbuch und Buntstifte mit. Renate fühlte sich reich beschenkt und ein wenig erschöpft. Am Abend schlief sie stolz und glücklich ein. Am zweiten Schultag war ein Großteil der Angst verflogen und es begannen vier weitestgehend unbeschwerte Jahre für sie.
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2nd Spoiler 3
c. fabry, 16:09h
1957
Nur wenige Tage nach Ostern war es soweit: Renate bekam ein neues Kleid mit fröhlichem Blumenmuster und gebauschtem Rock, dazu schneeweiße Strumpfhosen und eine wärmende Strickjacke für die Morgenstunden. Ein paar Tage zuvor hatte sie auf dem Friseurstuhl gesessen und einen praktischen Kurzhaarschnitt erhalten. Der Ranzen war aus genarbtem, braunem Leder, die Schultüte groß und bunt und voller Spannung wartete Renate auf die Mittagszeit, wenn sie ihre Überraschungen auspacken durfte.
Das Schulgebäude in Häger wirkte mit seinem hellen Anstrich und den frisch austreibenden Bäumen freundlich und einladend.
Die großen Kinder sangen zur Begrüßung ein fröhliches Lied im Chor, die Mütter blieben zunächst bei ihren Kindern und sahen zu. Vor einem malerischen Hintergrund von Narzissen und rot blühenden, wilden Johannisbeeren nahm jedes einzelne Kind Aufstellung neben einem lustigen Osterhasen, der eine Kiepe mit bunten Eiern trug, dazu ein ovales, dunkelblaues Schild in der Pfote mit der Aufschrift: Mein erster Schultag.
Renate wirkte auf dem Foto ein wenig eingeschüchtert. So viele Kinder auf einem Haufen und dazu all die fremden Erwachsenen stellten eine große Herausforderung dar. Noch schneller schlug das Herz und Renate musste heftig schlucken, als es nun ohne Mutter in den Klassenraum ging.
Der Raum – eingerichtet mit klassischen Schulbänken, einer Tafel, ein wenig schmückenden Bildern hatte etwas Beängstigendes, auch wenn die zahlreichen hohen Fenster viel Licht hereinließen. Die Lehrerin sprach freundlich, aber auch streng, so als lauere hinter ihrer kultivierten Maske eine unberechenbare Monströsität, die jederzeit entfesselt werden konnte, man wusste nur nicht wodurch. Renate stand unter einer gewaltigen Anspannung, die zu kleinen Schalen geformten Hände lagen auf dem Tisch und unter ihnen entstanden auf der dunkelbraun lackierten Fläche kleine Schweißpfützen.
Nach einer Stunde war sie schon wieder erlöst und stürzte erleichtert in die Arme ihrer wartenden Mutter.
Zuhause durfte sie endlich die Schultüte auspacken: Sie fand Wachsmalkreiden, einen Flummi, ein neues Springseil, einen Kreisel, neue Kleider für die Anziehpuppen, Glanzbilder, Zuckerstangen, Brausebonbons, Karamell, Schokolade und Kaugummi.
Nach dem Mittagessen war die erste Hausaufgabe dran: Ein Bild von der eigenen Familie malen. Das machte Renate Freude und die neuen Wachsmalkreiden kamen direkt zum Einsatz.
Nachmittags kamen die Paten zu Kaffee und Kuchen und brachten Geld für die Spardose, ein Malbuch und Buntstifte mit. Renate fühlte sich reich beschenkt und ein wenig erschöpft. Am Abend schlief sie stolz und glücklich ein. Am zweiten Schultag war ein Großteil der Angst verflogen und es begannen vier weitestgehend unbeschwerte Jahre für sie.
Nur wenige Tage nach Ostern war es soweit: Renate bekam ein neues Kleid mit fröhlichem Blumenmuster und gebauschtem Rock, dazu schneeweiße Strumpfhosen und eine wärmende Strickjacke für die Morgenstunden. Ein paar Tage zuvor hatte sie auf dem Friseurstuhl gesessen und einen praktischen Kurzhaarschnitt erhalten. Der Ranzen war aus genarbtem, braunem Leder, die Schultüte groß und bunt und voller Spannung wartete Renate auf die Mittagszeit, wenn sie ihre Überraschungen auspacken durfte.
Das Schulgebäude in Häger wirkte mit seinem hellen Anstrich und den frisch austreibenden Bäumen freundlich und einladend.
Die großen Kinder sangen zur Begrüßung ein fröhliches Lied im Chor, die Mütter blieben zunächst bei ihren Kindern und sahen zu. Vor einem malerischen Hintergrund von Narzissen und rot blühenden, wilden Johannisbeeren nahm jedes einzelne Kind Aufstellung neben einem lustigen Osterhasen, der eine Kiepe mit bunten Eiern trug, dazu ein ovales, dunkelblaues Schild in der Pfote mit der Aufschrift: Mein erster Schultag.
Renate wirkte auf dem Foto ein wenig eingeschüchtert. So viele Kinder auf einem Haufen und dazu all die fremden Erwachsenen stellten eine große Herausforderung dar. Noch schneller schlug das Herz und Renate musste heftig schlucken, als es nun ohne Mutter in den Klassenraum ging.
Der Raum – eingerichtet mit klassischen Schulbänken, einer Tafel, ein wenig schmückenden Bildern hatte etwas Beängstigendes, auch wenn die zahlreichen hohen Fenster viel Licht hereinließen. Die Lehrerin sprach freundlich, aber auch streng, so als lauere hinter ihrer kultivierten Maske eine unberechenbare Monströsität, die jederzeit entfesselt werden konnte, man wusste nur nicht wodurch. Renate stand unter einer gewaltigen Anspannung, die zu kleinen Schalen geformten Hände lagen auf dem Tisch und unter ihnen entstanden auf der dunkelbraun lackierten Fläche kleine Schweißpfützen.
Nach einer Stunde war sie schon wieder erlöst und stürzte erleichtert in die Arme ihrer wartenden Mutter.
Zuhause durfte sie endlich die Schultüte auspacken: Sie fand Wachsmalkreiden, einen Flummi, ein neues Springseil, einen Kreisel, neue Kleider für die Anziehpuppen, Glanzbilder, Zuckerstangen, Brausebonbons, Karamell, Schokolade und Kaugummi.
Nach dem Mittagessen war die erste Hausaufgabe dran: Ein Bild von der eigenen Familie malen. Das machte Renate Freude und die neuen Wachsmalkreiden kamen direkt zum Einsatz.
Nachmittags kamen die Paten zu Kaffee und Kuchen und brachten Geld für die Spardose, ein Malbuch und Buntstifte mit. Renate fühlte sich reich beschenkt und ein wenig erschöpft. Am Abend schlief sie stolz und glücklich ein. Am zweiten Schultag war ein Großteil der Angst verflogen und es begannen vier weitestgehend unbeschwerte Jahre für sie.
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