... newer stories
Freitag, 8. September 2023
macht ohn macht
c. fabry, 18:46h
"Ihr da oben, Ihr macht mit uns, was ihr wollt!"
"Aber jetzt gerade sind Sie da oben und ich hier unten, und Sie machen mit mir, was Sie wollen."
"Ja. Jetzt ist es umgekehrt."
"Ist es das?"
Schweigen.
"Was haben Sie denn jetzt davon?"
"Jetzt sind Sie mal unten."
"Ja, aber was haben SIE davon?"
"Dann merken Sie mal, wie das ist und ändern was."
"Warum sollte ich das tun?"
"Damit Sie hier rauskommen."
"Aber hier kann ich doch gar nichts tun."
"Aber danach."
"Aber wenn ich hier raus bin und wieder was tun kann, bin ich ja vielleicht nur voll von Rachedurst. Und dann haben Sie gar nichts gewonnen. Im Gegenteil.
"Sie schaufeln gerade Ihr eigenes Grab."
"Vielleicht ist mir das ja egal."
§Warum sollte Ihnen das egal sein?"
"Weil ich vielleicht ohnehin gerade vorhatte, meinem Leben ein Ende zu setzen."
"Aus welchem Grund? Sie haben doch alles."
"Ja. Ich habe wirklich alles, inklusive Krebs im Endstadium."
"Au Backe."
"Nee. Bauchspeicheldrüse."
"Tut mir leid."
"Danke."
längeres Schweigen.
"Aber wenn Sie sowieso bald abtreten müssen, dann könnten Sie sich doch ein Denkmal setzen. Einen richtig großen Wurf. Eine Entscheidung mit Folgen. Etwas, wofür Sie alle bewundern werden."
"Und was soll das sein?"
"Sie könnten was für den kleinen Mann tun."
"Welchen?"
"So allgemein. Für die Leute, die wenig haben und zu nichts kommen."
"Ach, und Sie meinen, ich könnte etwas tun, das bewirkt, dass die kleinen Leute die nichts haben und nichts erreichen, plötzlich erfolgreich sind und Vermögen anhäufen? Was glauben Sie, woran es liegt, dass die zu nichts kommen? Weil ich da oben den falschen Schalter umgelegt habe?"
"Weil immer von unten nach oben verteilt wird, statt umgekehrt."
"Immer ist ein großes Wort."
"Aber meistens. Dafür gibt es Beweise."
"Ja, habe ich auch schon gehört. Vielleicht liegt es daran, dass man lieber in Dinge investiert, aus denen etwas entsteht, statt das Geld von denen verbrauchen zu lassen, die nichts daraus machen. Aber bevor Sie jetzt anfangen, mich zur Strafe zu foltern: Ich weiß dass es kaum zu schaffen ist, sich etwas zu erarbeiten, wenn man kaum Chancen hat. Ich weiß, dass das Vermögen ungleich verteilt ist, sowohl in unserem Land als auch weltweit. Aber das zu ändern, ist ein ziemlich dickes Brett. Das kann nicht einer alleine bohren und ich schon gar nicht."
"Na dann."
Ein Knall.
Stille.
Ob die Sache mit der Bauchspeicheldrüse wohl erfunden war?
"Aber jetzt gerade sind Sie da oben und ich hier unten, und Sie machen mit mir, was Sie wollen."
"Ja. Jetzt ist es umgekehrt."
"Ist es das?"
Schweigen.
"Was haben Sie denn jetzt davon?"
"Jetzt sind Sie mal unten."
"Ja, aber was haben SIE davon?"
"Dann merken Sie mal, wie das ist und ändern was."
"Warum sollte ich das tun?"
"Damit Sie hier rauskommen."
"Aber hier kann ich doch gar nichts tun."
"Aber danach."
"Aber wenn ich hier raus bin und wieder was tun kann, bin ich ja vielleicht nur voll von Rachedurst. Und dann haben Sie gar nichts gewonnen. Im Gegenteil.
"Sie schaufeln gerade Ihr eigenes Grab."
"Vielleicht ist mir das ja egal."
§Warum sollte Ihnen das egal sein?"
"Weil ich vielleicht ohnehin gerade vorhatte, meinem Leben ein Ende zu setzen."
"Aus welchem Grund? Sie haben doch alles."
"Ja. Ich habe wirklich alles, inklusive Krebs im Endstadium."
"Au Backe."
"Nee. Bauchspeicheldrüse."
"Tut mir leid."
"Danke."
längeres Schweigen.
"Aber wenn Sie sowieso bald abtreten müssen, dann könnten Sie sich doch ein Denkmal setzen. Einen richtig großen Wurf. Eine Entscheidung mit Folgen. Etwas, wofür Sie alle bewundern werden."
"Und was soll das sein?"
"Sie könnten was für den kleinen Mann tun."
"Welchen?"
"So allgemein. Für die Leute, die wenig haben und zu nichts kommen."
"Ach, und Sie meinen, ich könnte etwas tun, das bewirkt, dass die kleinen Leute die nichts haben und nichts erreichen, plötzlich erfolgreich sind und Vermögen anhäufen? Was glauben Sie, woran es liegt, dass die zu nichts kommen? Weil ich da oben den falschen Schalter umgelegt habe?"
"Weil immer von unten nach oben verteilt wird, statt umgekehrt."
"Immer ist ein großes Wort."
"Aber meistens. Dafür gibt es Beweise."
"Ja, habe ich auch schon gehört. Vielleicht liegt es daran, dass man lieber in Dinge investiert, aus denen etwas entsteht, statt das Geld von denen verbrauchen zu lassen, die nichts daraus machen. Aber bevor Sie jetzt anfangen, mich zur Strafe zu foltern: Ich weiß dass es kaum zu schaffen ist, sich etwas zu erarbeiten, wenn man kaum Chancen hat. Ich weiß, dass das Vermögen ungleich verteilt ist, sowohl in unserem Land als auch weltweit. Aber das zu ändern, ist ein ziemlich dickes Brett. Das kann nicht einer alleine bohren und ich schon gar nicht."
"Na dann."
Ein Knall.
Stille.
Ob die Sache mit der Bauchspeicheldrüse wohl erfunden war?
... link (0 Kommentare) ... comment
Freitag, 1. September 2023
Spin-off
c. fabry, 16:24h
Zu dem Krimi, "Ich hab‘ den Ausbau nicht gewollt" von 2016.
So was wie Fanfiktion, aber ich habe keine Fans, darum muss ich das selbst machen.
"Heute wäre Oma hundert geworden." dachte Larissa und blickte sich um im Laden. "hier ist sie bestimmt gern hingekommen. Sieht aus wie früher."
Die Kundin vor ihr wirkte unentschlossen. Himbeerschnitte oder Nusstorte? Sie drehte sich fragend zu Larissa um, wie um sie um Rat zu fragen, dann wirkte sie plötzlich überrascht. "Ist das nicht Sickendieks Larissa? Die Tochter von Tappes?"
Larissa nickte irritiert. Sollte sie die ältere Dame kennen? Ein Blick in die lebhaften, blauen Augen weckte Erinnerungen an frisch gezapfte Limo, die über den Tresen gereicht wurde. Das musste Hildegard Bierhoff aus dem Gasthof sein. Die war aber alt geworden.
Larissa nickte und erwiderte: "Ja, und du bist Tante Hilde aus dem Gasthof."
"Mensch Mädchen, dich hätte ich kaum wiedererkannt.", stieß die ältere Dame hervor. "So schlank bist du geworden und so erwachsen. Wie lange warst du nicht mehr in Häger?"
"Sind bestimmt schon zwei Jahre. Ich komme nicht so oft. In jeder Woche, die ich hier verbringe, würde ich direkt zwei Kilo zunehmen."
"Ja, bei Muttern schmeckts am besten!", meinte Hildegard.
Larissa schwieg beredt. Die Ursache für ihre adipösen Tendenzen hatte durchaus nicht im schmackhaften Nahrungsmittelangebot des Elternhauses gelegen
"Ich habe ja seinerzeit viel mit Deiner Oma unternommen, die war nur wenige Jahre älter als ich. Wir waren zusammen in der Frauenhilfe."
In der Zwischenzeit hatte ein älter gewordener Lehrer den Laden betreten, den Larissa noch aus Kindertagen kannte. Der mischte sich nun ins Gespräch ein: "Frauenhilfe. Da hat die Luise sich den Heiligenschein aufpolieren lassen, der unter der Woche immer abblätterte."
"Ach, was du immer redest, Hartmut!", entrüstete sich Hildegard. "Luise hat als Vorsitzende mehr geleistet als so mancher im Stadtrat."
"Kann ja sein.", erwiderte Hartmut beleidigt, der ebenfalls einen Sitz im Stadtrat hatte. "Aber mit der christlichen Nächstenliebe hat sie es nicht so genau genommen. Hat gerne das halbe Dorf durch den Kakao gezogen."
"Wer nicht?", erwiderte Hildegard schulterzuckend. "Beim letzten Gemeindefest, das sie erleben durfte, hat sie noch mal den Vogel abgeschossen. Günther Lohmann hatte sich unmöglich gemacht, die jungen Mädchen bei der Modenschau mit schlüpfrigen Kommentaren und dezenten Grabbeleien irritiert und was sagte Luise? 'Jetzt guck dir doch mal Lohmanns Günther an, den alten Kleiderständer. Willst du so einen zu Hause sitzen haben? Da bleibe ich doch lieber alleine und guck aus dem Fenster.'"
Larissa musste lachen. Ja, so kannte sie ihre Oma. Im Zweifelswall sagte Luise, wie es ist.
"Gibt es eigentlich mal wieder ein großes Fest in Häger?", fragte sie in die Runde.
Eine ihr unbekannte Frau in wallenden Lagen-Look-Gewändern betrat den Laden.
Hartmut wies auf sie und sagte: "Frag Irmtraut."
"Was denn?", fragte Irmtraut.
"Ob es mal wieder ein richtig großes Fest in Häger gibt?"
"Ich weiß nicht. Wäre ja schön, aber vor dem Hägeraner Advent steht nichts an, glaube ich."
"Unser Dorfgemeinschaftsfest hat Irmtraut nur einmal erlebt", meinte Hartmut. "Aber für viel Aufwand hat keiner mehr Zeit oder nimmt sie sich nicht. In unserem Dorfladenteam fehlen auch die jungen Leute. Hoffentlich sind unseren ganzen Initiativen nicht das Strohfeuer einer Generation und wenn wir abtreten, fällt Häger wieder in den Dornröschenschlaf."
"Das sag auch Mann, Hartmut.", meinte Hildegard. "Der Küsterdienst sucht auch händeringend Leute, sonst gibt es hier bald keine Gottesdienste mehr."
Zwei ältere Herren betraten den Laden. Hartmut begrüßte sie. "Hallo Heinz. Tach Öse. Hat Frieda dich wieder aus‘m Haus gejagt?"
"Wer hat was ausgesagt?", fragte der Angesprochene.
Hartmut wiederholte seine Frage sehr laut und deutlich. Der Alte nickte und sagte: "Doppelback is‘ alle."
Der etwas vitalere Heinz raunte: "Gut, dass wir jetzt innerorts Tempo 30 haben, auch wenn die Kita schon wieder zu ist. Muss man weniger Angst haben, ob Öse auch heil über die Straße kommt."
"Aber außerorts wird es dafür umso krimineller", echauffierte sich Irmtraut. "Da rasen alle wie die Irren."
"Ja, genau", mischte Hartmut sich wieder ein. "Da hört der Radweg auf, es gilt Tempo 100 und im Auftrag des Landrates wird die ADFC-Lobby gelegentlich reduziert."
Irmtraut verabschiedete sich und zog mit wehenden Textilien in leuchtenden Farben von dannen. Öse trug sein Doppelback heim und eine weitere alte Bekannte betrat den Laden: Elke Mensendiek, die Tochter des Altnazis aus der Nachbarschaft. Der hatte zeitlebens erfolglos Oma Luise den Hof gemacht. Die beiden Frauen kamen gleich ins Gespräch.
"Aber es war ja auch besonders tragisch", meinte Elke, "dass mein Vater ausgerechnet am Tag der Beerdigung deiner Oma gestorben ist. Er hätte ihr so gern die letzte Ehre erwiesen. Und außerdem war es mysteriös."
"Wieso mysteriös?"
"Weil da so ein eigenartiger Zettel vor dem Ofen lag. Ich habe ihn damals direkt weggeräumt, aber vielleicht war das ein Hinweis darauf, was ihn so aufgeregt hat. Irgendwas mit Schweinefleisch und letaler Dosis, mehr weiß ich nicht mehr. Ich ärgere mich noch heute, dass ich ihn weggeschmissen habe."
"Das ist wirklich eigenartig."
Larissas Mutter Martina betrat den Laden. Sie war keine gern gesehene Zeitgenossin. Das war weniger ihrer desolaten Erscheinung geschuldet als der Tatsache, dass sie ihre Mutter im Alter mehr als schlecht behandelt hatte. Im Dorf war man sich einig, dass sie den Tod der alten Dame durch soziale Isolation beschleunigt hatte. Beim Anblick von Elke Mensendiek wurde sie leichenblass. Larissa fragte sich, warum.
Martina ging in die Offensive: "Wir fragen uns seit einer halben Stunde, wo die Brötchen bleiben, Larissa.",
"Ich habe so viele alte Bekannte getroffen", rechtfertigte sich die Tochter. "Elke hat übrigens gerade was von einem seltsamen Zettel erzählt, den sie damals bei ihrem toten Vater gefunden hat. Was stand da noch mal drauf?"
"Irgendwas mit Schweinefleisch und letaler Dosis.", meinte Elke.
Martina wurde weiß wie Schnee.
"Kannst du dir das erklären?", fragte Larissa.
"Nein.", sagte Martina. "Wieso sollte ich mir das auch erklären können?"
Dann bestellte sie eilig die Brötchen, für die sie eigentlich ihre Tochter in den Laden geschickt hatte.
Larissa zuckte mit den Schultern und meinte: "Ich bleibe noch einen Moment. Hier steht so viel interessantes Zeug rum und vielleicht treffe ich ja noch mehr Leute."
Sie begann ihren Korb zu füllen mit isländischen Lakritzen, Orangenmarmelade, Hanföl und Weißwein.
So was wie Fanfiktion, aber ich habe keine Fans, darum muss ich das selbst machen.
"Heute wäre Oma hundert geworden." dachte Larissa und blickte sich um im Laden. "hier ist sie bestimmt gern hingekommen. Sieht aus wie früher."
Die Kundin vor ihr wirkte unentschlossen. Himbeerschnitte oder Nusstorte? Sie drehte sich fragend zu Larissa um, wie um sie um Rat zu fragen, dann wirkte sie plötzlich überrascht. "Ist das nicht Sickendieks Larissa? Die Tochter von Tappes?"
Larissa nickte irritiert. Sollte sie die ältere Dame kennen? Ein Blick in die lebhaften, blauen Augen weckte Erinnerungen an frisch gezapfte Limo, die über den Tresen gereicht wurde. Das musste Hildegard Bierhoff aus dem Gasthof sein. Die war aber alt geworden.
Larissa nickte und erwiderte: "Ja, und du bist Tante Hilde aus dem Gasthof."
"Mensch Mädchen, dich hätte ich kaum wiedererkannt.", stieß die ältere Dame hervor. "So schlank bist du geworden und so erwachsen. Wie lange warst du nicht mehr in Häger?"
"Sind bestimmt schon zwei Jahre. Ich komme nicht so oft. In jeder Woche, die ich hier verbringe, würde ich direkt zwei Kilo zunehmen."
"Ja, bei Muttern schmeckts am besten!", meinte Hildegard.
Larissa schwieg beredt. Die Ursache für ihre adipösen Tendenzen hatte durchaus nicht im schmackhaften Nahrungsmittelangebot des Elternhauses gelegen
"Ich habe ja seinerzeit viel mit Deiner Oma unternommen, die war nur wenige Jahre älter als ich. Wir waren zusammen in der Frauenhilfe."
In der Zwischenzeit hatte ein älter gewordener Lehrer den Laden betreten, den Larissa noch aus Kindertagen kannte. Der mischte sich nun ins Gespräch ein: "Frauenhilfe. Da hat die Luise sich den Heiligenschein aufpolieren lassen, der unter der Woche immer abblätterte."
"Ach, was du immer redest, Hartmut!", entrüstete sich Hildegard. "Luise hat als Vorsitzende mehr geleistet als so mancher im Stadtrat."
"Kann ja sein.", erwiderte Hartmut beleidigt, der ebenfalls einen Sitz im Stadtrat hatte. "Aber mit der christlichen Nächstenliebe hat sie es nicht so genau genommen. Hat gerne das halbe Dorf durch den Kakao gezogen."
"Wer nicht?", erwiderte Hildegard schulterzuckend. "Beim letzten Gemeindefest, das sie erleben durfte, hat sie noch mal den Vogel abgeschossen. Günther Lohmann hatte sich unmöglich gemacht, die jungen Mädchen bei der Modenschau mit schlüpfrigen Kommentaren und dezenten Grabbeleien irritiert und was sagte Luise? 'Jetzt guck dir doch mal Lohmanns Günther an, den alten Kleiderständer. Willst du so einen zu Hause sitzen haben? Da bleibe ich doch lieber alleine und guck aus dem Fenster.'"
Larissa musste lachen. Ja, so kannte sie ihre Oma. Im Zweifelswall sagte Luise, wie es ist.
"Gibt es eigentlich mal wieder ein großes Fest in Häger?", fragte sie in die Runde.
Eine ihr unbekannte Frau in wallenden Lagen-Look-Gewändern betrat den Laden.
Hartmut wies auf sie und sagte: "Frag Irmtraut."
"Was denn?", fragte Irmtraut.
"Ob es mal wieder ein richtig großes Fest in Häger gibt?"
"Ich weiß nicht. Wäre ja schön, aber vor dem Hägeraner Advent steht nichts an, glaube ich."
"Unser Dorfgemeinschaftsfest hat Irmtraut nur einmal erlebt", meinte Hartmut. "Aber für viel Aufwand hat keiner mehr Zeit oder nimmt sie sich nicht. In unserem Dorfladenteam fehlen auch die jungen Leute. Hoffentlich sind unseren ganzen Initiativen nicht das Strohfeuer einer Generation und wenn wir abtreten, fällt Häger wieder in den Dornröschenschlaf."
"Das sag auch Mann, Hartmut.", meinte Hildegard. "Der Küsterdienst sucht auch händeringend Leute, sonst gibt es hier bald keine Gottesdienste mehr."
Zwei ältere Herren betraten den Laden. Hartmut begrüßte sie. "Hallo Heinz. Tach Öse. Hat Frieda dich wieder aus‘m Haus gejagt?"
"Wer hat was ausgesagt?", fragte der Angesprochene.
Hartmut wiederholte seine Frage sehr laut und deutlich. Der Alte nickte und sagte: "Doppelback is‘ alle."
Der etwas vitalere Heinz raunte: "Gut, dass wir jetzt innerorts Tempo 30 haben, auch wenn die Kita schon wieder zu ist. Muss man weniger Angst haben, ob Öse auch heil über die Straße kommt."
"Aber außerorts wird es dafür umso krimineller", echauffierte sich Irmtraut. "Da rasen alle wie die Irren."
"Ja, genau", mischte Hartmut sich wieder ein. "Da hört der Radweg auf, es gilt Tempo 100 und im Auftrag des Landrates wird die ADFC-Lobby gelegentlich reduziert."
Irmtraut verabschiedete sich und zog mit wehenden Textilien in leuchtenden Farben von dannen. Öse trug sein Doppelback heim und eine weitere alte Bekannte betrat den Laden: Elke Mensendiek, die Tochter des Altnazis aus der Nachbarschaft. Der hatte zeitlebens erfolglos Oma Luise den Hof gemacht. Die beiden Frauen kamen gleich ins Gespräch.
"Aber es war ja auch besonders tragisch", meinte Elke, "dass mein Vater ausgerechnet am Tag der Beerdigung deiner Oma gestorben ist. Er hätte ihr so gern die letzte Ehre erwiesen. Und außerdem war es mysteriös."
"Wieso mysteriös?"
"Weil da so ein eigenartiger Zettel vor dem Ofen lag. Ich habe ihn damals direkt weggeräumt, aber vielleicht war das ein Hinweis darauf, was ihn so aufgeregt hat. Irgendwas mit Schweinefleisch und letaler Dosis, mehr weiß ich nicht mehr. Ich ärgere mich noch heute, dass ich ihn weggeschmissen habe."
"Das ist wirklich eigenartig."
Larissas Mutter Martina betrat den Laden. Sie war keine gern gesehene Zeitgenossin. Das war weniger ihrer desolaten Erscheinung geschuldet als der Tatsache, dass sie ihre Mutter im Alter mehr als schlecht behandelt hatte. Im Dorf war man sich einig, dass sie den Tod der alten Dame durch soziale Isolation beschleunigt hatte. Beim Anblick von Elke Mensendiek wurde sie leichenblass. Larissa fragte sich, warum.
Martina ging in die Offensive: "Wir fragen uns seit einer halben Stunde, wo die Brötchen bleiben, Larissa.",
"Ich habe so viele alte Bekannte getroffen", rechtfertigte sich die Tochter. "Elke hat übrigens gerade was von einem seltsamen Zettel erzählt, den sie damals bei ihrem toten Vater gefunden hat. Was stand da noch mal drauf?"
"Irgendwas mit Schweinefleisch und letaler Dosis.", meinte Elke.
Martina wurde weiß wie Schnee.
"Kannst du dir das erklären?", fragte Larissa.
"Nein.", sagte Martina. "Wieso sollte ich mir das auch erklären können?"
Dann bestellte sie eilig die Brötchen, für die sie eigentlich ihre Tochter in den Laden geschickt hatte.
Larissa zuckte mit den Schultern und meinte: "Ich bleibe noch einen Moment. Hier steht so viel interessantes Zeug rum und vielleicht treffe ich ja noch mehr Leute."
Sie begann ihren Korb zu füllen mit isländischen Lakritzen, Orangenmarmelade, Hanföl und Weißwein.
... link (0 Kommentare) ... comment
Sonntag, 13. August 2023
Allons enfants de la patrie
c. fabry, 19:44h
Ihr Gesicht kam mir irgendwie bekannt vor. Vielleicht kannte ich sie nur fröhlich; aktuell wirkte sie bedrückt, eine Mischung aus Schockstarre und Resignation. Warum sie wohl da hinten im Polizeiwagen saß?
Hatte sie einen lässlichen Ladendiebstahl begangen? War sie gewalttätig gegen einen Nachbarn geworden? Oder musste sie am Ende die Leiche eines Ertrunkenen identifizieren?
Ich tauschte die Kühlakkus an der Campingplatzbar und schlurfte zum Zelt zurück. Meine Zehennägel zierten schon wieder Trauerränder. Eigentlich könnte man das Waschen der Füße auch vorübergehend einstellen, es sei denn man entscheidet sich für Socken und feste Schuhe.
Die Nudelsauce simmerte auf dem Campingkocher. Rudi rührte lustlos um. „Die Hälfte der Tomaten haben die Vögel gefressen.“, beklagte er sich. Ich warf einen Blick in die Pfanne. „Na und? Reicht doch und schmeckt nicht alles nur nach Tomaten.“
Rudi schnaubte. „Das Wasser ist übrigens alle. Kannst du was holen?“
Na toll! Die nächste Zapfstelle wurde aktuell von mutmaßlichen Neonazis belagert undvor dem Klohäuschen lagerte schon den ganzen Tag irgendein Riesenvieh von einem knurrenden Köter. Also wieder den ganzen Sandhügel hochkämpfen wie in dem Film „The Hill“ mit Sean Connery, nur kein Sean weit und breit, nur hyperaktive Holländer und lethargische Franzosen. Campst du noch oder lebst du schon? Irgendwie war ich den ganzen Tag damit beschäftigt, mein Leben zu organisieren. Keine Zeit zum Träumen, Lesen, in-den-Tag-hineinlumpen. Immer musste irgendetwas gemacht werden. Wie viele Ehen wohl am Camping zerbrachen?
Und warum tut man so etwas? Warum verlässt man sein komfortables Haus mit Garten und bezahlt auch noch Geld dafür, ein paar Wochen so zu leben, als sei man auf der Flucht? Wie dekadent ist unsere untergehende Hochkultur, dass Besitzlosigkeit und raue Lebensbedingungen als Urlaub empfunden werden, als romantische Grenzerfahrung, während an den EU-Außengrenzen gänzlich unromantische Grenzerfahrungen gemacht werden von denen, mit denen wir den Luxus der restlichen elf Monate nicht teilen mögen; wenn sie nicht schon vorher im Mittelmeer ertrunken sind.
Unser Essen war delikat, vielleicht auch nur aufgrund unseres Bärenhungers, der uns regelmäßig überfiel, weil wir den ganzen Tag in Bewegung waren – zum Herumliegen hatten wir nicht nur zu wenig Zeit, es war auch zu kalt.
Im Ennepetal war es ruhig geworden. So nannten wir eine Senke im Pinienhain, in der sich ein Paar aus dem Ruhrgebiet häuslich niedergelassen hatte, oder zeltlich, um genau zu sein.
„Nächstes Jahr will ich Zimmerservice!“, forderte ich beim Schlafengehen.
„Kannst du gerne machen.“, erwiderte Rudi und lachte dreckig. Im zelt nebenan quietschten zuerst die Luftmatratzen und dann die aparte Holländerin. Ich sehnte mich nach Steinwänden und Holzfußboden, Federkernmatratzen und Daunenkissen, dem Summen der Spülmaschine und trockenen, sauberen Füßen. Seufzende streckte ich mich auf der Luftmatratze aus und fiel in den bleiernen Schlaf der Gerechten.
Eine gigantische Jakobsmuschel trieb auf dem Meer, darin saß eine Frau, die verzweifelt mit unruhigem Blick die Wasseroberfläche absuchte.
„Miesmuscheln nur bei Ebbe!“, rief ich vom Strand aus. „Und nur in den Monaten mit R.“
Sie hörte mich nicht, sondern trieb weiter aufs tosende Meer hinaus. Ein unangenehmes Geräusch riss mich aus den Träumen. Rudi schnarchte. Es grenzte an ein Wunder, dass die Pinien noch standen. Wenn es nicht dauernd geregnet hätte, wäre ich zum Schlafen an den Strand umgezogen. Aber die Bretagne ist nicht Aquitanien und der Weg wäre ohnehin viel zu anstrengend gewesen.
Ich hörte Schritte neben dem Zelt und Schleifgeräusche. Baute jemand ab? Mitten in der Nacht? Oder hätten wir morgen früh neue Nachbarn? Manche Camper reisten auch zu fortgeschrittener Stunde an.
Am nächsten Morgen war alles normal. Die hyperaktiven Holländer räumten ihr Frühstücksgeschirr weg und spielten Frisbee, im Ennepetal herrschte Stille und wir kochten Tee und holten die Aufstriche aus der Kühltasche.
Eine Woche später war ich schon wieder im Alltag angekommen: Frühstück ohne Croissants, dafür unkomplizierte Morgentoilette, Aufbruch zur Endstation mit dem Fahrrad ohne einen einzigen steile Gipfel, der bezwungen werden musste, ab in die Straßenbahn und dem Arbeitsplatz entgegendösen.
Ein vierschrötiger Kerl begrüßte lautstark einen Artgenossen, der mir seltsam bekannt vorkam. „Mensch Jürgen, wat machs du denn hier? Bisse auch rauf inn‘n Norden? Wir ham uns ja ewich nich jeseh‘n.“
„Mehr so aufe Durchreise.“, meinte Jürgen und beschwor den alten Bekannten mit vielsagendem Blick, nicht weiter nachzuhaken. Stattdessen fragte er: „Gehnwer‘n Kaffee trinken? Watt meinze?“
Und plötzlich wusste ich, dass ich heute zu spät zur Arbeit erscheinen würde, denn jetzt wusste ich, woher ich Jürgen kannte und ein spezieller Nerv, der vom Nacken ausgehend bis tief in den Hinterkopf hineinkitzelte, sagte mir, dass da etwas Ungeheuerliches in der Luft lag und ich der Sache auf den Grund gehen musste.
Der Kumpel hatte Zeit. Sie steigen zwei Stationen vor meinem Zielbahnhof aus und hockten sich in die Kaffeebude des Bahnhofsbäckers. Ich nahm unauffällig am Nebentisch Platz, um nur ja nichts von ihrem Gespräch zu verpassen.
„Ich mach‘n Abflug.“, raunte Jürgen.
Und Angela ist schon da und wartet auf dich?“, fragte der Kumpel.
„Angela wartet woanders.“
„Wo willst du denn hin?“
„Asien.“
„Wo genau?“
„Das weiß besser keiner.“
„Und Angela? Was ist mit ihr?“, der Kumpel wurde merklich unruhig.
„Keine Angst. Ich hab‘ sie nicht umgelegt. Sie muss nur ein paar Jahre woanders warten.“
„Wo denn?“
„Brest, vermute ich.“
„In Polen?“
„Nee, in Frankreich. Die sitzt.“
„Warum?“
„Weil sie ihren Mann ermordet hat. Hat ihn einfach im Atlantik ertrinken lassen.“
„Aber du sitzt doch hier.“
„Das wissen die in Brest aber nicht.“
„Du verschwindest, Leiche auf Urlaub, ohne Rückfahrschein. Und wovon willst du leben? Luft und Liebe?“
„Ich habe vorgesorgt. Hab‘ da unten ein Konto, das ist randvoll. Wenn Angela raus kommt, hat sie nix mehr. Kein Haus, kein Auto, nur ein paar Klamotten, Fotoalben, Taschenbücher und so weiter. Hab‘ ich in einer Garage eingelagert. Die Miete fließt monatlich von unserem Konto, das hab‘ ich nicht ganz leer geräumt. Ich kann einfach nicht mehr. Ich muss hier weg und nochmal ganz von vorn anfangen.“
So ein Halunke! Wenn ich schnell handelte, konnte ich verhindern, dass sein Plan aufging. Doch was würde dann geschehen? Ihm würden einige Jahr Haft drohen wegen Vortäuschung einer Straftat, aber die Frau käme trotzdem nicht an das Konto in Asien. Das würde er hübsch geheim halten. Und wenn sie ihm doch auf die Schliche kämen, würde er nach wenigen Jahren aus dem Gefängnis entlassen und würde sie vielleicht töten, weil sie seinen Traum zerstört hatte, der doch zum Greifen nah gewesen war.
Nein. Ich wollte nicht Gott spielen. Ich würde der Frau helfen, indem ich zur Polizei ging, das Foto und den heimlichen Mitschnitt des Gesprächs zur Verfügung stellen, um zu beweisen, dass die unter Mordverdacht stehende Angela aus Ennepetal unschuldig war.
Vielleicht war dies der Beginn einer außergewöhnlichen und unerschütterlichen Freundschaft. Le jour de gloire est arrivé.
Hatte sie einen lässlichen Ladendiebstahl begangen? War sie gewalttätig gegen einen Nachbarn geworden? Oder musste sie am Ende die Leiche eines Ertrunkenen identifizieren?
Ich tauschte die Kühlakkus an der Campingplatzbar und schlurfte zum Zelt zurück. Meine Zehennägel zierten schon wieder Trauerränder. Eigentlich könnte man das Waschen der Füße auch vorübergehend einstellen, es sei denn man entscheidet sich für Socken und feste Schuhe.
Die Nudelsauce simmerte auf dem Campingkocher. Rudi rührte lustlos um. „Die Hälfte der Tomaten haben die Vögel gefressen.“, beklagte er sich. Ich warf einen Blick in die Pfanne. „Na und? Reicht doch und schmeckt nicht alles nur nach Tomaten.“
Rudi schnaubte. „Das Wasser ist übrigens alle. Kannst du was holen?“
Na toll! Die nächste Zapfstelle wurde aktuell von mutmaßlichen Neonazis belagert undvor dem Klohäuschen lagerte schon den ganzen Tag irgendein Riesenvieh von einem knurrenden Köter. Also wieder den ganzen Sandhügel hochkämpfen wie in dem Film „The Hill“ mit Sean Connery, nur kein Sean weit und breit, nur hyperaktive Holländer und lethargische Franzosen. Campst du noch oder lebst du schon? Irgendwie war ich den ganzen Tag damit beschäftigt, mein Leben zu organisieren. Keine Zeit zum Träumen, Lesen, in-den-Tag-hineinlumpen. Immer musste irgendetwas gemacht werden. Wie viele Ehen wohl am Camping zerbrachen?
Und warum tut man so etwas? Warum verlässt man sein komfortables Haus mit Garten und bezahlt auch noch Geld dafür, ein paar Wochen so zu leben, als sei man auf der Flucht? Wie dekadent ist unsere untergehende Hochkultur, dass Besitzlosigkeit und raue Lebensbedingungen als Urlaub empfunden werden, als romantische Grenzerfahrung, während an den EU-Außengrenzen gänzlich unromantische Grenzerfahrungen gemacht werden von denen, mit denen wir den Luxus der restlichen elf Monate nicht teilen mögen; wenn sie nicht schon vorher im Mittelmeer ertrunken sind.
Unser Essen war delikat, vielleicht auch nur aufgrund unseres Bärenhungers, der uns regelmäßig überfiel, weil wir den ganzen Tag in Bewegung waren – zum Herumliegen hatten wir nicht nur zu wenig Zeit, es war auch zu kalt.
Im Ennepetal war es ruhig geworden. So nannten wir eine Senke im Pinienhain, in der sich ein Paar aus dem Ruhrgebiet häuslich niedergelassen hatte, oder zeltlich, um genau zu sein.
„Nächstes Jahr will ich Zimmerservice!“, forderte ich beim Schlafengehen.
„Kannst du gerne machen.“, erwiderte Rudi und lachte dreckig. Im zelt nebenan quietschten zuerst die Luftmatratzen und dann die aparte Holländerin. Ich sehnte mich nach Steinwänden und Holzfußboden, Federkernmatratzen und Daunenkissen, dem Summen der Spülmaschine und trockenen, sauberen Füßen. Seufzende streckte ich mich auf der Luftmatratze aus und fiel in den bleiernen Schlaf der Gerechten.
Eine gigantische Jakobsmuschel trieb auf dem Meer, darin saß eine Frau, die verzweifelt mit unruhigem Blick die Wasseroberfläche absuchte.
„Miesmuscheln nur bei Ebbe!“, rief ich vom Strand aus. „Und nur in den Monaten mit R.“
Sie hörte mich nicht, sondern trieb weiter aufs tosende Meer hinaus. Ein unangenehmes Geräusch riss mich aus den Träumen. Rudi schnarchte. Es grenzte an ein Wunder, dass die Pinien noch standen. Wenn es nicht dauernd geregnet hätte, wäre ich zum Schlafen an den Strand umgezogen. Aber die Bretagne ist nicht Aquitanien und der Weg wäre ohnehin viel zu anstrengend gewesen.
Ich hörte Schritte neben dem Zelt und Schleifgeräusche. Baute jemand ab? Mitten in der Nacht? Oder hätten wir morgen früh neue Nachbarn? Manche Camper reisten auch zu fortgeschrittener Stunde an.
Am nächsten Morgen war alles normal. Die hyperaktiven Holländer räumten ihr Frühstücksgeschirr weg und spielten Frisbee, im Ennepetal herrschte Stille und wir kochten Tee und holten die Aufstriche aus der Kühltasche.
Eine Woche später war ich schon wieder im Alltag angekommen: Frühstück ohne Croissants, dafür unkomplizierte Morgentoilette, Aufbruch zur Endstation mit dem Fahrrad ohne einen einzigen steile Gipfel, der bezwungen werden musste, ab in die Straßenbahn und dem Arbeitsplatz entgegendösen.
Ein vierschrötiger Kerl begrüßte lautstark einen Artgenossen, der mir seltsam bekannt vorkam. „Mensch Jürgen, wat machs du denn hier? Bisse auch rauf inn‘n Norden? Wir ham uns ja ewich nich jeseh‘n.“
„Mehr so aufe Durchreise.“, meinte Jürgen und beschwor den alten Bekannten mit vielsagendem Blick, nicht weiter nachzuhaken. Stattdessen fragte er: „Gehnwer‘n Kaffee trinken? Watt meinze?“
Und plötzlich wusste ich, dass ich heute zu spät zur Arbeit erscheinen würde, denn jetzt wusste ich, woher ich Jürgen kannte und ein spezieller Nerv, der vom Nacken ausgehend bis tief in den Hinterkopf hineinkitzelte, sagte mir, dass da etwas Ungeheuerliches in der Luft lag und ich der Sache auf den Grund gehen musste.
Der Kumpel hatte Zeit. Sie steigen zwei Stationen vor meinem Zielbahnhof aus und hockten sich in die Kaffeebude des Bahnhofsbäckers. Ich nahm unauffällig am Nebentisch Platz, um nur ja nichts von ihrem Gespräch zu verpassen.
„Ich mach‘n Abflug.“, raunte Jürgen.
Und Angela ist schon da und wartet auf dich?“, fragte der Kumpel.
„Angela wartet woanders.“
„Wo willst du denn hin?“
„Asien.“
„Wo genau?“
„Das weiß besser keiner.“
„Und Angela? Was ist mit ihr?“, der Kumpel wurde merklich unruhig.
„Keine Angst. Ich hab‘ sie nicht umgelegt. Sie muss nur ein paar Jahre woanders warten.“
„Wo denn?“
„Brest, vermute ich.“
„In Polen?“
„Nee, in Frankreich. Die sitzt.“
„Warum?“
„Weil sie ihren Mann ermordet hat. Hat ihn einfach im Atlantik ertrinken lassen.“
„Aber du sitzt doch hier.“
„Das wissen die in Brest aber nicht.“
„Du verschwindest, Leiche auf Urlaub, ohne Rückfahrschein. Und wovon willst du leben? Luft und Liebe?“
„Ich habe vorgesorgt. Hab‘ da unten ein Konto, das ist randvoll. Wenn Angela raus kommt, hat sie nix mehr. Kein Haus, kein Auto, nur ein paar Klamotten, Fotoalben, Taschenbücher und so weiter. Hab‘ ich in einer Garage eingelagert. Die Miete fließt monatlich von unserem Konto, das hab‘ ich nicht ganz leer geräumt. Ich kann einfach nicht mehr. Ich muss hier weg und nochmal ganz von vorn anfangen.“
So ein Halunke! Wenn ich schnell handelte, konnte ich verhindern, dass sein Plan aufging. Doch was würde dann geschehen? Ihm würden einige Jahr Haft drohen wegen Vortäuschung einer Straftat, aber die Frau käme trotzdem nicht an das Konto in Asien. Das würde er hübsch geheim halten. Und wenn sie ihm doch auf die Schliche kämen, würde er nach wenigen Jahren aus dem Gefängnis entlassen und würde sie vielleicht töten, weil sie seinen Traum zerstört hatte, der doch zum Greifen nah gewesen war.
Nein. Ich wollte nicht Gott spielen. Ich würde der Frau helfen, indem ich zur Polizei ging, das Foto und den heimlichen Mitschnitt des Gesprächs zur Verfügung stellen, um zu beweisen, dass die unter Mordverdacht stehende Angela aus Ennepetal unschuldig war.
Vielleicht war dies der Beginn einer außergewöhnlichen und unerschütterlichen Freundschaft. Le jour de gloire est arrivé.
... link (0 Kommentare) ... comment
Samstag, 29. Juli 2023
Trendsetter
c. fabry, 16:09h
Das Igluzelt stand schon seit Tagen auf seinem Platz, ohne dass sich etwas rührte.
Sie machten Witze darüber: es handele sich möglicherweise um campierende Vampire, atypisch minimalistische Dauercamper oder eine bretonische Fata Morgana.
Als nach einer Woche mit dem Wind, der vom Meer kam regelmäßig ein unangenehm süßlicher Geruch herüberwehte, machten sie sich Sorgen.
Einfach einmal nachsehen oder gleich die Polizei einschalten. Es fuhr ja täglich eine Streife über den gesamten Campingplatz.
Der alternde Dorfpolizist bewegte sich offenbar nicht gern. "Ce n'est pas grave.", winkte er ab. "Bien sur c'est de rien."
Sie versuchten, mit ihrem radebrechenden Französisch zu erklären, dass es nach Verwesung roch: "Mal odeur." "Peutêtre les personnes mortes."
Er schüttelte mit dem Kopf, winkte ab und fuhr weiter.
Als der Geruch zwei Tage später überdeutlich und kaum noch zu ertragen war, öffneten sie das Zelt.
Sie lagen zu zweit friedlich nebeneinander. Ein Mann, eine Frau, vielleicht Anfang Siebzig. Er hatte sie noch lebend gesehen und ihr berichtet, wie missgünstig sie auf ihr Zelt geblickt hatten, als sie es am Abend der Ankunft unweit des Iglus errichtet hatten, weil dort so ein schöner Platz war.
Sie hielten sich an den Händen und stanken im Duett. Die Haut gelblich fahl, die Wangen eingefallen und am Kopfende wie zur Erklärung leere Tablettenröhrchen und Wasserflaschen. Gemeinschaftlicher Suizid.
Diesmal stieg der Dorfpolizist aus. "Grande Merde!", fluchte er, schickte sie mit einer Handbewegung weg, telefonierte, wartete schwitzend vor dem Zelt, nachdem er alles mit Flatterband abgesperrt hatte. Er verhaftete wohl lieber Taschendiebe.
Sie gingen zum Strand, freuten sich, dass sie gesund und lebendig waren.
Am Abend überlegten sie, wie sie es machen würden. Und wo. Vielleicht war der frische Atlantik ein guter Ort, um gemeinsam in Würde von dieser Welt in die andere hinüber zu gleiten.
Sie machten Witze darüber: es handele sich möglicherweise um campierende Vampire, atypisch minimalistische Dauercamper oder eine bretonische Fata Morgana.
Als nach einer Woche mit dem Wind, der vom Meer kam regelmäßig ein unangenehm süßlicher Geruch herüberwehte, machten sie sich Sorgen.
Einfach einmal nachsehen oder gleich die Polizei einschalten. Es fuhr ja täglich eine Streife über den gesamten Campingplatz.
Der alternde Dorfpolizist bewegte sich offenbar nicht gern. "Ce n'est pas grave.", winkte er ab. "Bien sur c'est de rien."
Sie versuchten, mit ihrem radebrechenden Französisch zu erklären, dass es nach Verwesung roch: "Mal odeur." "Peutêtre les personnes mortes."
Er schüttelte mit dem Kopf, winkte ab und fuhr weiter.
Als der Geruch zwei Tage später überdeutlich und kaum noch zu ertragen war, öffneten sie das Zelt.
Sie lagen zu zweit friedlich nebeneinander. Ein Mann, eine Frau, vielleicht Anfang Siebzig. Er hatte sie noch lebend gesehen und ihr berichtet, wie missgünstig sie auf ihr Zelt geblickt hatten, als sie es am Abend der Ankunft unweit des Iglus errichtet hatten, weil dort so ein schöner Platz war.
Sie hielten sich an den Händen und stanken im Duett. Die Haut gelblich fahl, die Wangen eingefallen und am Kopfende wie zur Erklärung leere Tablettenröhrchen und Wasserflaschen. Gemeinschaftlicher Suizid.
Diesmal stieg der Dorfpolizist aus. "Grande Merde!", fluchte er, schickte sie mit einer Handbewegung weg, telefonierte, wartete schwitzend vor dem Zelt, nachdem er alles mit Flatterband abgesperrt hatte. Er verhaftete wohl lieber Taschendiebe.
Sie gingen zum Strand, freuten sich, dass sie gesund und lebendig waren.
Am Abend überlegten sie, wie sie es machen würden. Und wo. Vielleicht war der frische Atlantik ein guter Ort, um gemeinsam in Würde von dieser Welt in die andere hinüber zu gleiten.
... link (0 Kommentare) ... comment
... older stories