Freitag, 2. Dezember 2022
Gemein

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Freitag, 25. November 2022
Letzte Provokation
Eine Kreuzigung wie im Mittelalter. X-förmig. Nur horizontal. Wie kommt man auf so etwas?

Ein Adventskranzhalter. Der Adventskranz ist ein Symbol für Hoffnung auf bessere Zeiten, für die Rückkehr des Lichts, das mehr und mehr die Dunkelheit vertreibt.

Wenn das Symbol der Hoffnung zum Folterwerkzeug wird, wenn der Träger des wiederkehrenden Lichts zum Mordmotiv wird, wo ist da das Motiv?

Hoffnung kann Folter sein. Wenn man sich immer wieder aufbäumt. Kämpft, sich in Krämpfen windet, um am Ende doch zu vergehen.

Und Licht kann töten: Der Nachtfalter, der ins Feuer fliegt, geblendete Autofahrer, die wegen behinderter Sicht vor einen Baum rasen.

Die trügerische Hoffnung.

Das Irrlicht.

Es ist ein Zeichen, dass die Christen einem leeren Versprechen auf den Leim gehen. Es gibt keine Rettung. Für niemanden.

"Scheiße.", dachte Keller. "Ich wünschte, sie würden sich wieder auf der Straße festkleben."

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Freitag, 18. November 2022
Ohne Abzüge
Svenja ließ Lovis durchs Unterholz rennen. Das war zwar nicht erlaubt, aber der Hund brauchte auch mal seine Freiheit und so ein herzensguter, weiblicher Goldy richtete keinen Schaden an, scheuchte höchstens ein paar Hasen, Rehe und Fasane auf. Das taten die Weidmänner bei der Treibjagd auch und schossen sie zu allem Übel noch über den Haufen. Regeln sind gut, man sollte sie einhalten, aber man sollte auch sein Gehirn einschalten und die Regeln ausschalten, wenn sie übertrieben oder in einer speziellen Situation völlig sinnlos waren. So sah Svenja das.
Es lief dann leider nicht so gut für sie. Sie wurde erwischt bei ihrer Ordnungswidrigkeit. Plötzlich hörte sie Lovis in der Ferne winseln und es dauerte ein bis zwei Minuten, bis sie sie gefunden hatte. Sie befürchtete das Schlimmste: Ein Fuchseisen oder die Wirkung eines Giftköders. Aber es war weitaus Schlimmer, wenn auch nicht für ihren Hund. Lovis hatte etwas ausgebuddelt, eigentlich nur Laub hinweg gescharrt und etwas freigelegt. Jemanden. Einen Mann, leblos, schmutzig vom feuchten Waldboden und mit einer bösen Kopfwunde geschlagen. Svenja schrie vor Entsetzen. Da ließ Lovis von ihrem Fund ab.

Es wurde bereits dunkel und Frieder hielt die Stirnlampe bereit, denn im Unterholz war es so finster, dass er sich keinesfalls zurechtgefunden hätte. Doch als er näher kam, bemerkte er, dass eine ausreichende Beleuchtung nicht sein Problem war. Nahezu taghell war es an der Stelle, blau-weiße Absperrbänder säumten den weiteren Umkreis. Gut, dass er seine Lichtquelle noch nicht eingesetzt hatte, ausrichten konnte er ohnehin nichts mehr, am besten war es, schnellstens nach Hause zurückzukehren.

"Gibt es Hinweise auf die Identität des Verstorbenen?", fragte Keller und massierte die steifen Hände in der feuchtkalten Nachtluft.
"Ein Jogger", erwiderte die Pathologin. "Die tragen selten Dokumente bei sich. Dieser hier hat nicht einmal ein Mobiltelefon dabei. Aber einen Hausschlüssel. Vielleicht müssen wir die Vermisstenmeldungen abwarten."

Das Warten lohnte sich. Eine Frau meldete ihren Mann als vermisst, wurde zur Leichenschau in die Gerichtsmedizin gebeten und identifizierte ihn als Rainer Nonnsen, Pfarrer im Ruhestand, seit gerade einmal vier Monaten. Nein, Feinde hatte er nicht gehabt, warum auch, er sei ein liebenswerter Mensch gewesen, der Konflikten grundsätzlich aus dem Weg gegangen war. Das musste ein Wahnsinniger gewesen sein, dessen beliebiges Opfer er zufällig geworden war.

Die Nachbarn sahen es genauso. Kerkenbrock überlegte, ob man zum Presbyterium seiner ehemaligen Gemeinde hinzu stoßen könne. Keller willigte ein, wenn auch unter unwilligem Grunzen.

Als die Beamten sich am folgenden Abend dem örtlichen Kirchenparlament vorstellten, lief es Frieder kalt den Rücken hinunter. Ob sie etwas witterten? Er spulte die eigene Geschichte wie im Zeitraffer vor seinem inneren Auge ab, um sich zu wappnen und zu entscheiden, was er preisgeben konnte und was nicht.
Frieder Handlanger: Grundschule in Friedberg, Kinder-Gottesdienst- und Jungschar-Kind, Realschule in Kosen, Freizeit in der Evangelischen Jugend Friedberg, Jugendleiterschulung, langjährige Mitarbeit, Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann bei Gerds Textilien, Abendgymnasium, Abitur, Aufstieg zum Prokuristen, Zusammenbruch, Rückkehr ins Leben durch Engagement in der Freizeitarbeit der Gemeinde, Umschulung, Quereinsteiger als Grundschul-Lehrer, Kandidatur für das Presbyteramt, Wahl zum Jugendpresbyter, seit nunmehr sechs Jahren.
Vor vier Monaten wurde Pfarrer Rainer Nonnsen in den Ruhestand verabschiedet. Bei der anschließenden Presbyteriumssitzung ging es um neue Hiobsboschaften aus dem Finanzsektor. Der Plan, das Gemeindehaus zu vermieten und die Kirche umzubauen war nicht umsetzbar. Alles muss weg, die Gemeinde musste sich mit den Nachbarn zusammentun und die Personaldecke im nicht pastoralen Bereich musste ebenfalls um 50 % gekürzt werden.
Frieder hatte vorgeschlagen, in der anderen Gemeinde zu gucken, was da an Kapazitäten sei und dann zu entscheiden, wo Einschnitte vorgenommen würden. Das hatte man getan. Dann hatte er zwei Tage vor dieser Sitzung das Ergebnis erfahren: Die Jugendreferentin kann eingespart werden.

Ihm war bewusst geworden, dass es nie so weit gekommen wäre, wenn Nonnsen sich bereits fünf Jahre früher in den Ruhestand verabschiedet hätte, dazu war er aber nicht bereit gewesen, weil das Abzüge von seiner Pension bedeutet hätte. Damals hätte man die Jugendreferentin direkt als IPT-Kraft einstellen und weitere fünf Jahre halten können. Sie hätte dann teilweise andere Aufgaben übernehmen müssen, hätte aber bleiben können und den Ehrenamtlichen weiterhin als Ansprechpartnerin zur Verfügung gestanden. Jetzt war es dafür zu spät. Man würde die 60-Jährige in die Arbeitslosigkeit entlassen.
Frieder wollte eine lebendige Gemeinde, eine spirituelle Heimat für Anwohner, einen fußläufig erreichbaren Ort für alle.
Die finanzielle Krise verhinderte die Erreichung dieses Ziels. Und der Schuldige an dieser verheerenden Situation hatte die Kirche mehrere Dekaden ein fettes Gehalt gekostet. Er war stets ein totaler Arbeitsverweigerer gewesen und hatte die Pension nicht verdient, nicht einmal eine mit Abzügen, erst recht keine so umfangreiche, wie es jetzt der Fall war. Er hatte sich sein ganzes Arbeitsleben lang geschont, er würde steinalt werden und die Kirche ein Vermögen kosten.

Frieder hatte gefühlt, wie die Wut seine Seele vergiftete. Am Ende bekäme er wieder ein Magengeschwür. Die Energien mussten ausgeleitet werden. Er war in die Laufschuhe geschlüpft, um sich eine Stunde im Wald auszutoben.
Im Rhythmus seines Atems hatte er einen Fuß vor den anderen gesetzt, die Last war langsam von ihm abgefallen. Probleme verlangten nach Lösungen. Er war Mitglied des Presbyteriums. Sie würden gemeinsam Lösungen finden.

Ein anderer Läufer war ihm entgegengekommen. Als er sich näherte, hatte er ihn schließlich erkannt. Er war Rainer Nonnsen in den Weg getreten, hatte ihn am Weiterlaufen gehindert und ihn zum Gespräch gezwungen.
"Hallo Rainer. Ich weiß nicht, ob du es wusstest, aber die Finanzsituation deiner ehemaligen Gemeinde ist mittlerweile dermaßen prekär, dass Olivia ihren Arbeitsplatz verliert. Ersatzlos. Und wir stehen ohne Jugendreferentin da. Das wäre nicht passiert, wenn du vor fünf Jahren freiwillig gegangen wärst, denn eigentlich hattest du ja schon längst keine Lust mehr. Ich finde, du bist es Olivia schuldig, dich für sie einzusetzen. Lass deine Kontakte spielen, damit sie nicht auf der Straße landet. Das ist das Mindeste das du tun kannst, um deine Schuld auszugleichen."
"Solche Frechheiten muss ich mir nicht mehr anhören.", hatte Rainer Nonnsen schnippisch erwidert. "Ich habe mit alldem nichts mehr zu tun, ich bin im Ruhestand."
"Du bist aber immer noch Teil dieser Gemeinde und kannst als Gast an den Sitzungen des Presbyteriums teilnehmen."
"Ja und? Warum sollte ich mich für Olivia einsetzen? Sie kostet eine Haufen Geld und eine Sechzigjährige ist doch wirklich eine Zumutung für die Jugendlichen. Da finden sich sicher gute Lösungen auf kreiskirchlicher Ebene. Friedberg wird nicht die einzige Gemeinde sein, die derartige Einschnitte vornehmen muss. Außerdem habe ich keine Kontakte, die mir irgendeine Einflussnahme ermöglichen. Da muss ich dich enttäuschen."

Im Verlauf dieses Monologs war der Druck in Frieders Kessel kontinuierlich angestiegen. "Pech für dich.", hatte er geantwortet, nach einem kräftigen Ast gegriffen und damit auf den Schädel des Pensionärs eingedroschen, bis dieser blutend zusammengebrochen war.
Ohne lange zu überlegen, hatte Frieder den leblosen Körper tief ins Unterholz geschliffen, um ihn dort später zu begraben. Inder Dunkelheit hatte er mit Spaten und Stirnlampe zurückkehren wollen. Die Leiche hatte er provisorisch mit Laub bedeckt.

Jetzt saßen die vermeintlich ahnungslosen Polizisten im Presbyterium und stellten eigenartige Fragen. Niemand deutete auch nur an, dass Nonnsen ein arbeitsscheuer Parvenü gewesen war, der jeder Auseinandersetzung aus dem Wege ging, es sei denn, es betraf seine ureigensten, persönlichen Interessen. Seine Predigten waren blutleer gewesen, sein Engagement nicht existent und im Pfarrkonvent hatte er keine Freunde gehabt. Es gab auch Mitglieder dieses Gremiums, die sich gern in seinem Dunstkreis bewegt hatten, weil es ihrem Leben ein Flair von gesellschaftlicher Bedeutung verlieh. Man ging bei Pfarrers ein und aus, man gehörte zur illustren Gesellschaft. Das waren die Substanzlosen, die man in jedem Gremium aus Freiwilligen vorfand. Aber einige hier sahen die Dinge genauso wie Frieder. Nur aussprechen wollte sie niemand und er am allerwenigsten.

Sie kamen ihm nicht auf die Schliche. Die Ermittlungen wurde irgendwann eingestellt. Aber Frieder fand keine Ruhe mehr. Nonnsen wurde er nie wieder los.

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Donnerstag, 10. November 2022
Meine Freundin Paura
Ich hatte sie gern, auch wenn sie mich viel Kraft kostete, aber sie war mir vertraut. Sie war meine ständige Begleiterin. Sie neigte dazu, mich vor Gefahren zu schützen, mich zu warnen und sie half mir, Dinge einzuordnen, mir einfach ein Bild von der Sachlage zu machen, eine vernünftige Strategie zu entwickeln und am Ende so sicher meine Ziele zu erreichen.
Sie war nicht schön, sie hatte ein hässliches Gesicht und man kann auch nicht direkt sagen, dass sie mir unmittelbar guttat. Ich fühlte mich nie wohl, wenn sie in meiner Nähe war. Etwas herrschsüchtig war sie auch, sie wollte sehr gern den Ton angeben, ließ sich nicht leicht beschwichtigen und neigte dazu, alles und jeden zu übertönen, sogar die Vernunft.

Auf der Party gab es jemanden, der mir gefiel. Und Paura saß direkt neben mir und sagte: "Den kennst du doch gar nicht. Willst du wirklich ein Gespräch mit dem anfangen? Weißt du, wo das endet? Vermutlich macht er sich hinterher über dich lustig. Er ist wahrscheinlich irritiert, wenn du ihn ansprichst, weil du nicht das bist, was im Allgemeinen so gefragt ist. Dein Marktwert bewegt sich eher im unteren Mittelfeld."
Ich sagte: "Komm, Paura, warte mal hier. Ich gehe jetzt da hin und später gucken wir beide, was dabei herausgekommen ist."
So ging ich zu dem fremden Mann, sprach ihn an, er war freundlich und lustig und schon bald waren wir in ein Gespräch vertieft und ich hatte Paura ganz vergessen, als er plötzlich sagte: "Bist du eigentlich experimentierfreudig oder stehst du eher auf Blümchensex?"

Als hätte sie auf so eine Frage gewartet, stand Paura plötzlich neben mir. Sie raunte mir ins Ohr: "Finger weg! Der macht irgendetwas fieses mit dir. Gibt dir gleich K.O.-Tropfen in die Cola oder überredet dich, mit zu ihm nach Hause zu kommen und dann gibt's Bondage oder sogar Würgespielchen. Ich würde das nicht machen. Es kann sein, dass du das nicht überlebst. Auf jeden Fall, hat der 'n Knall. Lass die Finger von dem!"
Mir fehlten die Worte. Wer so mit der Tür ins Haus fiel, spielte definitiv in einer vollkommen anderen Liga als ich. Ich wollte mich abwenden, als er plötzlich laut auflachte.
"Ich konnte direkt sehen, wie dir gerade alles aus dem Gesicht fiel.", lachte er. "Ich mache das öfter. Ich stelle irgendwelche beknackten Fragen und gucke wie mein Gegenüber reagiert. Hätte auch sein können, dass du mich beeindrucken willst mit wilden Bondage- Geschichten. Dann hätte ich das Gespräch bald beendet. Mir gehen Leute auf die Nerven, die sich auf allen Feldern des menschlichen Daseins profilieren müssen und aus jedem Scheiß einen Wettbewerb machen."
"Was guckst du so?" Ich schickte Paura weg und sagte: "Lass mich mit dem Typen alleine. Er ist interessant."
"Bist du sicher?", fragte Paura.
"Ja, ich bin ganz sicher.", sagte ich. Und wir plauderten während der gesamten Party, mit einigen Unterbrechungen auf der Tanzfläche, oder wenn mal einer von uns kurz aufs Klo musste. Es war toll. Dann wurde die Stimmung bei dem Fest etwas weniger ausgelassen und es war nicht mehr interessant. Wir hatten uns eigentlich alles erzählt, was wir uns erzählen wollten, aber wir waren immer noch neugierig aufeinander. Und er sagte: "Der DJ heute Abend war ja nicht der Knaller. Du bist doch auch ein großer Fan von den Dire Straits."
"Ja.", sagte ich.
"Ich hab' ein paar sensationelle Platten, die damals in limitierter Auflage erschienen sind.", meinte er. "Da sind Stücke drauf, die kennt kaum jemand. Hast du Lust, dir das jetzt einmal anzuhören oder wollen wir uns für irgendeinen anderen Termin verabreden?"
Ich sagte: "Nee, heute Abend nicht mehr, ich bin müde, ich muss nach Hause. Ich muss zwar morgen nicht arbeiten, aber wenn ich jetzt noch bis tief in die Nacht irgendetwas mache, dann bin ich morgen total zerstört, Den Tag kann ich knicken, aber wir können uns gern verabreden."
Wir tauschten Handy-Nummern aus und ich ging ziemlich zufrieden mit mir nach Hause. Paura hatte die Party längst verlassen. Als ich in meiner Wohnung ankam, saß sie schon auf der Couch. Sie trank ein Glas Rotwein, sah mir tief in die Augen und sagte: "Das wird nichts mehr."
"Wie?", sagte ich, "Was wird nichts mehr?"
"Du hast die Gelegenheit verpasst. Heute Abend war er in Stimmung. Du hättest ihn haben können, aber ich glaube, das wird nichts mehr."
"Wir haben doch Handy-Nummern ausgetauscht.", sagte ich.
"Ach ja", sagte Paura, "wie man das eben so macht. Hast du schon mal gecheckt, ob die überhaupt echt ist? Wahrscheinlich wollte er dich heute Abend abschleppen und vielleicht hättest du ihn mit deiner Sexiness überzeugen können, aber jetzt bist du nichts weiter als eine von den üblichen lahmen Enten, die den Eindruck machen, dass sie sich um ihre Unschuld sorgen. Vielleicht hält er dich sogar für eine Jungfrau. Du hast nicht mehr den Hauch einer Chance. Er wird sich nicht mehr bei dir melden."
"Wir werden ja sehen.", sagte ich.

Zwei Tage später befand ich mich in seiner Wohnung. Ich saß auf seinem Sofa. Wir tranken einen Aperitif. Und aus den gigantischen Boxen seiner hochwertigen Stereo-Anlage erklangen die faszinierenden elektronischen Klänge meiner Lieblingsband, den Dire Straits. Das war schon toll. Jemand, der die gleichen Interessen und Leidenschaften hatte wie ich und der dabei auch noch gut aussah und der sich für mich interessierte. Paura lehnte im Türrahmen. "Wo kommst du denn her?", raunte ich.
"Keine Sorge.", sagte sie. "Er sieht mich nicht, aber mal im Ernst, das ist doch alles zu schön, um wahr zu sein. Der wird dich in irgendeiner Art und Weise ausnutzen. Du weißt nur noch nicht wie."
"Lass mich allein.", sagte ich.
"Wie könnte ich?", antwortete Paura. "Ich bin deine Freundin. Ich gebe auch dich acht. Ich sorge mich um dich."
"Ich bin erwachsen.", gab ich zur Antwort. "Und das hier ist eine Situation, in der keine Freundin anwesend sein sollte."

Es war wie in Hollywood. Die abgefahrene Umgebung, der perfekte Soundtrack, das Candle Light Dinner, die Protagonisten auf meine Träume und Bedürfnisse zugeschnitten und schließlich auch das Happyend: ein gigantisches Wasserbett, jedes Klischee wurde hier bedient: Satin-Bettwäsche, tausend Kissen und kein widerwärtiger Spiegel unter der Decke. Stattdessen dezente Beleuchtung, leise Musik, so wie ich es mir immer erträumt hatte. Ich schlief zufrieden ein. Ich musste ja nicht nach Hause, keine Familie, nicht einmal ein Haustier, das darauf wartete, dass ich es hinter den Ohren kraulte und seinen Napf füllte. Ich war frei wie ein Vogel und jetzt, jetzt war ich auf einem fremden Nest gelandet und dachte ernsthaft darüber nach, es nie wieder zu verlassen.

Mitten in der Nacht wachte ich plötzlich auf. Ich hatte ein bisschen Kopfweh. Paura lehnte wieder im Türrahmen und sagte: "Ah, ich glaube er hat dir was in den Wein getan."
Ich sagte: "Quatsch! Das kann er gar nicht getan haben, ich meine, ich war ja nicht irgendwie weggetreten oder so und das, was hier passiert ist, das wollte ich ja. Ich hab' alles mitbekommen. Also K.O.-Tropfen halte ich für ausgeschlossen."
"Es gibt auch andere Substanzen, die man in Getränke füllen kann, mit denen man seine Opfer dazu bewegt, das zu tun, was man gern mit ihnen tun will. Das kann alles mögliche sein. Kopfschmerzen sind ein Indiz."
"Die können auch ein Indiz sein für einen nahenden Infekt oder dafür, dass im Wein zu viele Harze waren. Was weiß ich. Hab' ich eben Kopfschmerzen. Wo ist er überhaupt?"
Das Bett neben mir war leer.
"Hm.", meinte Paura. "Wahrscheinlich plant er seinen nächsten Schritt. Wer weiß, was er jetzt vorhat."
"Unsinn", sagte ich, stand auf und dachte: Ich geh mal ins Bad und trinke ein Glas Wasser.
Ich musste eh mal aufs Örtchen und vielleicht lagen da im Bad auch irgendwo Aspirin-Tabletten herum.
Auf dem Weg dorthin, sah ich einen Lichtkegel, der aus der Küche auf den Flur fiel. Ich schlich mich an, wollte ihn nicht stören, wollte ihn unverstellt, unverfälscht, echt und im Original sehen. Dann stand Paura wieder direkt hinter mir. "Siehst du?", sagte sie. "Mit dem stimmt was nicht. "
Er saß vor einem dicken, aufgeschlagenen Buch und las flüsternd darin. An sich nichts furchtbar Ungewöhnliches, wenn es nicht mitten in der Nacht gewesen wäre und er gerade dem Bett entstiegen wäre, in dem er eine romantische, leidenschaftliche Liebesnacht verbracht hatte. Was aber noch viel verstörender war, war die Tatsache, dass der Text, den er da las, offensichtlich ein biblischer war. Und es war nicht irgendein Text. Es waren grausame Bilder, die aus den Büchern der Könige, der Chroniken oder den Büchern Samuel stammten. Ich konnte es nicht zuordnen, aber ich kannte die Geschichte. Die Geschichte der Königin Isebel, die in einem letzten Racheakt aus dem Fenster geworfen und von wilden Hunden zerrissen wird.
Das Küchenfenster stand offen. Ein Windhauch bewegte die Vorhänge und Paura sah mich an und fragte: "Überzeugt?"

Ich nahm die Beine in die Hand, wie man so schön sagt. Ich schlich so schnell ich konnte ins Schlafzimmer zurück. Vergessen waren die Kopfschmerzen, der Durst oder das Bedürfnis, meine Blase zu entleeren. Das war nicht existenziell. Ich schlüpfte heimlich in meine Klamotten, Paura, half mir dabei, reichte mir jedes einzelne Wäschestück, unterstützte mich dabei, meine Schuhe zuzubinden. Es musste eben alles etwas schneller gehen. Sie trieb mich zur Eile an und in kürzester Zeit war ich an der Wohnungstür angekommen, in der einen Hand meine Schuhe, über dem anderen Arm meine Jacke, meine Handtasche. Ich hatte die Hand schon an der Klinke, da trat er aus der Küche, mit glasigem Blick. Ich riss die Tür auf, rannte ins Treppenhaus und zog die Tür hinter mir zu. Dann rannte ich die Stufen runter. Ich hörte, wie die Wohnungstür oben sofort wieder geöffnet wurde, wie er die Treppe hinunterging, seine Schritte, die kraftvoll zwei Stufen auf einmal nahmen und mich einholten. Das konnte ich nicht zulassen. Ich gab Gas. Paura schubste mich, beinahe wäre ich gestrauchelt, gefallen, doch ich schaffte es zur Haustür, nach draußen auf die Straße, wo zu meiner großen Überraschung ein alter Bekannter von mir auf dem Heimweg von einer Zechtour war, dem ich direkt in die Arme lief.
"Ui!", sagte er. "Wo kommst du denn her?"
"Ich glaube, ich bin gerade noch der Hölle entkommen.", sagte ich. "Kannst du mich nach Hause bringen?"
"Klar.", sagte Finn, nahm mich bei der Hand und an der Haustür stand der Irre mit dem glasigen Blick. Ich war ihm durch die Lappen gegangen. Ich dankte Paura still und heimlich. Finn konnte sie nicht sehen.
"Danke" sagte ich noch einmal im Stillen. "Du hast mich mal wieder gerettet. Sorry, dass ich dir nicht vertraut hab."
"Das bin ich gewohnt.", sagte Paura. "Manchmal ist es vielleicht auch ganz gut, wenn du nicht auf mich hörst."

Sie ist meine beste Freundin. Sie ist echt anstrengend, lästig, aber ich möchte sie nicht missen. Sie hat mir schon viele Male das Leben gerettet.
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