Donnerstag, 17. Februar 2022
Brandstifter - DAS ORCHESTER
"Was wird denn jetzt, wo der Trams tot ist?", fragte die Klarinette.
"Ja, das frage ich mich auch.", erwiderte die Oboe.
"Wenn die Führungspersönlichkeiten fehlen, ist so ein Projekt auch mal ganz schnell zu Ende.", meinte die Pianistin.
"Führungspersönlichkeiten. Pah!", rief die Pauke. "Chaoten waren das, Messis. Solche Leute können eine Weile den Schein wahren, aber früher oder später bröckelt die Fassade."
Die erste Geige meldete sich zu Wort: "Da sitzen bestimmt schon die nächsten kleinen Wichtigtuer in den Startlöchern. So welche geben nicht auf. Die behalten wir an der Backe, bis wir endlich ein Presbyterium wählen, das Tatsachen schafft."
"Wie meinst du das?", fragte die zweite Geige.
"Wir müssen unsere Leute aufstellen und ordentlich die Werbetrommel rühren.", antwortete die erste Geige. "Dann gibt es einen Beschluss, dass die Initiative sich bis zu einem Stichtag einen anderen Unterschlupf suchen muss und wir bekommen unseren Raum zurück. Das ist ja so, als könnte man als Vermieter niemandem mehr wegen Eigenbedarfs kündigen. Nur das braucht Zeit und einen langen Atem. Bis zur nächsten Wahl zieht noch ein Jahr ins Land."
"Glaubst du denn, dass so viele Leute im Stadtteil Verständnis für uns haben? Das "Reset" ist doch allgemein sehr beliebt.", wandte die Oboe ein
"Aber bei weitem nicht bei allen. Hat man doch überall gehört, was die Leute so über die reden.", erwiderte die erste Geige.
"Ja, Leute wie wir. Aber wir sind nicht die Mehrheit.", gab die Klarinette zu bedenken.
Die Oboe gab ebenfalls ihren Befürchtungen Ausdruck: "Bestimmt gibt es demnächst einen Shitstorm gegen uns, weil wir im Stadtteilkurier mal Tacheles geredet haben, wenn die uns nicht sogar verdächtigen, das Feuer selbst gelegt zu haben."
"Aber wir waren doch im Recht mit unserem Unmut!", hielt die Pauke dagegen. "Überall macht dieses Gesindel von der Arbeitslosen-Initiative sich breit und die alteingesessenen Gemeindegruppen zählen überhaupt nicht mehr. Die taten doch immer so, als sei das hier ihr Firmengelände."
Die Pianistin pflichtete ihr bei: "Und denkt mal an die ganzen zerstörten Instrumente. Ohne das "Reset" wäre das nie passiert."
"War sowieso eine unmögliche Entscheidung, die wertvollen Stücke im Keller zu lagern. Vor allem das Cembalo. Auf so einen Unsinn können nur Banausen kommen.", meinte die Trompete.
"Von Tuten und Blasen keine Ahnung.", sagte das Flügelhorn.
Die Pauke trommelte mit den Fingern auf der Kirchenbank und sagte: "Ich verstehe aber auch nicht, dass so viele den Trams noch die Treue gehalten haben. Weiß doch jeder, dass die was für sich privat abgezwackt haben."
"Bist du sicher?", gab die Oboe ihrem Zweifel Ausdruck. "Gehört habe ich das auch, aber wenn das wirklich gestimmt hätte, hätten sie die doch dran gekriegt."
"Vielleicht konnten sie ihnen nichts nachweisen.", wandte die Pauke ein.
"Abwarten und musizieren. Kommen auch wieder bessere Zeiten.", meinte das Flügelhorn.
"Hauptsache, die Kinder kommen in geordnete Verhältnisse.", sagte die Pianistin.
"Ja.", erwiderte die Klarinette, "das ist die Hauptsache."


ENDE

... link (0 Kommentare)   ... comment


Mittwoch, 16. Februar 2022
Brandstifter - DIE KINDER
Unser Zimmer ist viel kleiner als das Kinderzimmer in unserer schönen Wohnung. Aber die haben wir ja nicht mehr und es ist besser ein kleines Zimmer zu haben, als auf der Straße zu schlafen. Mama hat ein schönes Zimmer, ganz groß und wenn man aus dem Fenster guckt, sind überall Bäume. Bei Papa im Wohnwagen ist es auch gemütlich, aber da ist zu wenig Platz für eine ganze Familie. Darum sind wir bei Nadine und Claas. Nadine ist nett, aber sie redet die ganze Zeit, da klingelt es manchmal schon in meinem Kopf. Claas ist meistens weg und wenn er da ist, hat man das Gefühl, dass hier gar kein Platz mehr ist. Er ist überall und riesig und laut und er riecht komisch. Aber er macht gern Witze und ist auch nett. Nadine und Claas schreien sich nie an. Sie sehen auch nie so traurig aus wie Mama und Papa und sie hören immer zu, wenn man mit ihnen redet.
Marlon hat ein Zimmer, das ist doppelt so groß wie unseres und das hat er für sich allein. Aber er ist ja auch das richtige Kind und er bleibt hier, wir sind ja nur zu Besuch. Früher hatten wir auch auch so ein Zimmer. Wir hatten immer genug Geld, seit Tante Emmi gestorben ist, weil die, als die noch gelebt hat, gesagt hat, dass Mama alles von ihr kriegen soll, wenn sie tot ist. Und Tante Emmi hatte viel Geld. Aber das Geld ist jetzt alle. Mama hatte keine Zeit zum Geldverdienen, weil sie sich um uns kümmern musste und ums ?Reset?, das ist Papas Firma und die haben ganz viele Mitarbeiter, aber da bleibt dann für uns gar nichts übrig, weil die anderen Mitarbeiter ja noch weniger haben als wir und die dann alles brauchen, was ?Reset? verdient. Papa sagt immer, das wird bald anders, aber bald heißt doch eigentlich übermorgen oder nächste Woche und Papa hat das aber schon gesagt, als ich noch in die Grundschule ging.
Augustus macht immer ins Bett, aber Nadine schimpft nie. Sie wechselt dann einfach das Laken und die Unterlage. Sie sagt, Augustus muss sich gründlich ausruhen von dem ganzen Stress. Sie sagt, für uns Kinder ist das alles am schlimmsten, weil wir gar nichts machen können, weil mit uns immer einfach alles passiert. Aber das stimmt gar nicht, wir können doch was machen. Ich kann ein Bild malen, Fahrrad fahren und sogar bei ?Reset? helfen, einen Hund Gassi führen oder irgendwo Laub zusammenharken. Aber Augustus ist ja erst acht, da kann der noch nicht so viel wie ich.
Bestimmt findet Papa bald eine bessere Arbeit, wo er mehr Geld verdient und Mama kommt aus dem Krankenhaus und findet auch eine kleine Arbeit, wenn wir morgens in der Schule sind und dann haben die beiden bald wieder genug Geld, dass wir eine schöne Wohnung mieten können und wir kriegen alle neue Fahrräder und machen mal eine Tour um den Dümmer See. Davon reden die beiden schon immer. Und wenn ich groß bin, fliege ich nach Amerika und werde so eine Frau, die immer schicke Sachen an hat und den anderen erklärt, was man sich ins Gesicht schmieren muss, damit man toll aussieht. Dann gibt es eine feine Creme und die heißt Livia genau wie ich. Morgens mache ich dann immer die Videos für YouTube und nachmittags gehe ich Schwimmen im Meer oder reite am Strand lang oder liege auf meiner Terrasse und lese ein Buch oder ich male ein Bild und höre dabei Musik.
Nadine und Claas haben gerade Besuch gekriegt und jetzt rufen sie mich. Ich schreibe später weiter.

Fortsetzung Donnerstag

... link (0 Kommentare)   ... comment


Dienstag, 15. Februar 2022
Brandstifter - DIE ERMITTLER IN DER GEMEINDE
Sie suchten das Gemeindebüro auf und trafen die Verwaltungsfachkraft, einen der Pfarrer und die Kirchmeisterin an. Nachdem sie sich vorgestellt und zum Entsetzen der Anwesenden die Sachlage erklärt hatten, auch, dass sie davon ausgingen, dass es sich nicht um einen Unfall oder Suizid handele, fragten sie , was man ihnen über die Eheleute Trams erzählen könne.
?Die beiden waren sehr engagiert in einer Arbeitsloseninitiative. Sie haben den dafür angemieteten Treffpunkt vor etwa einem Jahr verloren, weil der Eigentümer das Gebäude hat abreißen lassen. Auf der Suche nach einer neuen Möglichkeit haben sie sich dann an unser Presbyterium gewandt und wir konnten einen Raum im Gemeindehaus anbieten. Seit dem arbeitet unsere Gemeinde mit der Arbeitsloseninitiative zusammen.?
?Und was genau macht diese Gruppe??, fragte Kerkenbrock ehrlich interessiert.
?In erster Linie ist es eine Selbsthilfegruppe.?, antwortete die Kirchmeisterin mit spitzen Lippen.
?Aber auch ein bisschen mehr.?, wandte die Frau hinter dem Bildschirm ein. ?Sie organisieren kleine Arbeitsaufträge und versuchen auf diesem Weg langfristig so etwas wie eine eigene Firma aufzubauen, so eine Art fliegendes Hausmeisterkommando für alle Fälle.?
?Das ist doch eine tolle Idee.?, meinte Sabine Kerkenbrock.
?Im Prinzip schon.?, erwiderte die Kirchmeisterin. ?Nur muss auch alles gut durchdacht sein und ich kann nicht behauten, dass es hier so wäre. Während des Corona-Lockdowns hat das Orchester nicht geprobt, darum wurde deren Proberaum nicht benötigt. Das Schlagzeug wurde abgebaut, das Cembalo eingepackt, ebenso die weiteren Leihinstrumente, also Blechblasinstrumente, 2 Konzertgitarren und ein Cello. Alles wanderte zum Einlagern in den Keller der Kirche. Am Ende des Lockdowns wolle man weiter sehen.
Als es dann wieder los ging, hatte die Initiative sich aber so gut im Gemeindehaus eingelebt, dass das Orchester künftig in der Kirche probte, auch wegen der Aerosole. Die Instrumente lagerten weiterhin im Keller, nur der Flügel wanderte von Anfang an in den Chorraum der Kirche. Und dann kam das Wasser. Alle Instrumente, die im Keller lagerten, waren hin und die Leute von ?Reset?, so nennt sich die Initiative, zuckten mit den Schultern. Seitdem ist die Stimmung in der Gemeinde ein wenig aufgeheizt. Allerdings nicht so sehr, dass ich jemanden für fähig hielte, Matthias Trams Wohnwagen in Brand zu setzen.?
?Wissen Sie etwas über die Familie??, fragte Keller.
Jetzt meldete sich die Bürokraft zu Wort. ?Die Trams hatten immer schon ein geringes Einkommen. Er hatte eine 25-Stunden-Stelle als Reinigungskraft und sie war nicht erwerbstätig. Sie hatten wohl noch ein paar stille Reserven, so konnten sie sich die Miete für eine günstige, aber großzügige Wohnung leisten. Nur irgendwann war einfach nichts mehr da, das Jugendamt hatte wegen der beiden Kinder auch schon mehrfach auf der Matte gestanden und schließlich kam die Kündigung der Wohnung. Das war zu viel für Katja, sie ist psychisch zusammengebrochen und seitdem in der Psychiatrie. Die Kinder sind bei Freunden untergebracht ? solange das Jugendamt nichts davon mitbekommt ? und Matthias ist auf den Campingplatz gezogen. Er war aber total zuversichtlich, dass er wieder die Kurve kriegt und sich über ?Reset? eine einträgliche berufliche Zukunft aufbauen könnte.?
?Wie alt sind die Kinder??, fragte Kerkenbrock.
?Livia ist elf und Augustus ist acht.?, antwortete die Verwaltungsfachkraft. ?Total nette Kinder. Wer gibt denen eigentlich Bescheid??
?Wir werden uns darum kümmern.?, erwiderte Kerkenbrock.

Fortsetzung Mittwoch

... link (0 Kommentare)   ... comment


Montag, 14. Februar 2022
Brandstifter - DIE ERMITTLER AM TATORT
"Wer ist das Opfer?", fragte Keller und bestaunte die gewaltige Atemwolke, die seinem Mund entwich.
"Matthias Trams", erwiderte Kerkenbrock. "42 Jahre alt, verheiratet, lebte aber allein hier. War nur für den Übergang gedacht. Er hat vor kurzem seine Wohnung verloren und wartete hier auf eine neue Unterkunft."
"Und seine Frau?"
"Ist für längere Zeit im Krankenhaus, hat er erzählt. Der Nachbar hat nichts mitbekommen, der war letzte Nacht nicht da. Er nutzt den Wohnwagen als Wochenendhäuschen oder wie eine Schrebergarten-Hütte. Niemand war gestern Abend hier, nur der Betreiber und der hat irgendwann bemerkt, dass Trams Wohnwagen lichterloh brannte und hat die Feuerwehr alarmiert. Er hat mir auch den Tipp gegeben, einmal im Büro der evangelischen Kirchengemeinde nachzufragen, die wüssten vielleicht mehr."
"Ein auf dem Campingplatz Gestrandeter bei den akkuraten Bildungsbürgern? Es geschehen noch Zeichen und Wunder."

Kerkenbrock rollte mit den Augen. Kellers unerschütterliche Vorurteile gingen ihr schon seit Jahren auf die Nerven. Dagegen half weder das Aufzählen von Beispielen, die andere Hypothesen stützten, noch gegenteilige Erfahrungen, die der alternde Kommissar in den vergangenen Jahren nachweislich gemacht hatte. Er pflegte seine Klischees. An irgend etwas musste man sich ja festhalten.

Fortsetzung Dienstag

... link (0 Kommentare)   ... comment