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Freitag, 7. Mai 2021
Aktionismus, blinder
c. fabry, 21:47h
"Du musst die Tische noch desinfizieren."
"Ich könnte auch ebenso gut eine Handvoll Salz über die Schulter werfen."
"Wieso das denn?"
"Salz desinfiziert doch auch. Und wenn man dieses Lebensmittel verschüttet hat, wirft man zusätzlich etwas davon über die Schulter, sonst bringt das Verschütten von Salz Unglück."
"So ein Quatsch!"
"Desinfizieren ist auch Quatsch."
"Ist es nicht. Das tötet Viren"
"Ja, vor allem die toten Viren."
"Du hast keine Ahnung!"
"Glashaus. Pass mal auf: Sämtliche Wissenschaftler sind sich einig, dass Covid-Viren ausschließlich über die Atemluft übertragen werden und dass die, wenn die auf Oberflächen geraten, ruck zuck verrecken und zwar innerhalb von Minuten. Du musst also schon folgende Kettenreaktion haben, um dich bei Oberflächenkontakt anzustecken: Infizierte Person hustet, niest oder spuckt in die hohle Hand, stützt sich auf der Tischplatte ab, du fasst sofort danach auf die Platte und steckst dir die Finger in den Mund oder die Nase oder reibst dir damit die Augen. Alles wissen das. Trotzdem rennen alle mit der Sprühflasche rum und züchten multiresistente Keime. Desinfiziert, desinfiziert! Das sind der Mose und die Propheten!?
"Aber es steht doch in sämtlichen Corona-Schutzverordnungen, dass wir das machen müssen."
"Ja, weil wir eben ein blödes Volk sind, dass vorzugsweise die Bekloppten wählt, um sich vertreten zu lassen und nicht die Intelligenten, weil die immer so anstrengend sind und lauter Zeug erzählen, das man nicht sofort versteht."
"Also ich mache das trotzdem, ich will mir hinterher nicht vorwerfen lassen, ich hätte einen Fehler gemacht, falls sich bei uns doch jemand ansteckt."
"Natürlich nicht. Eigentlich ist es dir ja egal, ob sich jemand ansteckt. Hauptsache, dir kann man keinen Fehler nachweisen."
Covid 22 lag schon auf der Lauer und lachte sich ins Fäustchen. Ja, hängt ihr nur munter Baguas und Windspiele auf, sprüht alles voll und wischt die Leichen meiner Vorfahren weg. Wir kriegen euch alle. So oder so. Wir werden immer mehr. Und stärker. Und härter.
"Ich könnte auch ebenso gut eine Handvoll Salz über die Schulter werfen."
"Wieso das denn?"
"Salz desinfiziert doch auch. Und wenn man dieses Lebensmittel verschüttet hat, wirft man zusätzlich etwas davon über die Schulter, sonst bringt das Verschütten von Salz Unglück."
"So ein Quatsch!"
"Desinfizieren ist auch Quatsch."
"Ist es nicht. Das tötet Viren"
"Ja, vor allem die toten Viren."
"Du hast keine Ahnung!"
"Glashaus. Pass mal auf: Sämtliche Wissenschaftler sind sich einig, dass Covid-Viren ausschließlich über die Atemluft übertragen werden und dass die, wenn die auf Oberflächen geraten, ruck zuck verrecken und zwar innerhalb von Minuten. Du musst also schon folgende Kettenreaktion haben, um dich bei Oberflächenkontakt anzustecken: Infizierte Person hustet, niest oder spuckt in die hohle Hand, stützt sich auf der Tischplatte ab, du fasst sofort danach auf die Platte und steckst dir die Finger in den Mund oder die Nase oder reibst dir damit die Augen. Alles wissen das. Trotzdem rennen alle mit der Sprühflasche rum und züchten multiresistente Keime. Desinfiziert, desinfiziert! Das sind der Mose und die Propheten!?
"Aber es steht doch in sämtlichen Corona-Schutzverordnungen, dass wir das machen müssen."
"Ja, weil wir eben ein blödes Volk sind, dass vorzugsweise die Bekloppten wählt, um sich vertreten zu lassen und nicht die Intelligenten, weil die immer so anstrengend sind und lauter Zeug erzählen, das man nicht sofort versteht."
"Also ich mache das trotzdem, ich will mir hinterher nicht vorwerfen lassen, ich hätte einen Fehler gemacht, falls sich bei uns doch jemand ansteckt."
"Natürlich nicht. Eigentlich ist es dir ja egal, ob sich jemand ansteckt. Hauptsache, dir kann man keinen Fehler nachweisen."
Covid 22 lag schon auf der Lauer und lachte sich ins Fäustchen. Ja, hängt ihr nur munter Baguas und Windspiele auf, sprüht alles voll und wischt die Leichen meiner Vorfahren weg. Wir kriegen euch alle. So oder so. Wir werden immer mehr. Und stärker. Und härter.
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Freitag, 30. April 2021
Nur ein Witz
c. fabry, 12:01h
"...und die deutlichste und sympathischste Form, im interreligiösen Dialog seine Offenheit zu zeigen, ist das Mittel des Humors, die Fähigkeit, auch über das zu lachen, was einem selbst heilig ist.", schloss Reinhard seine Predigt. "So wie in diesem frechen kleinen Witz:
Jesus kehrt erneut zurück auf die Erde und will den Menschen durch ein Wunder beweisen, dass er der Sohn Gottes ist. Während einer Bootsfahrt auf einem See, steigt er plötzlich aus, um auf dem Wasser zu wandeln, geht aber direkt unter und ertrinkt. Wieder im Himmel fragt er seinen Vater: "Wieso hat das beim letzten Mal so gut geklappt und diesmal nicht?"
"Na ja", erklärte sein Vater. "Beim letzten Mal hattest du noch keine Löcher in den Füßen."
- Bei Jesus geht es nicht darum, ihn zur Ikone zu machen und ihm voller Ehrfurcht zu huldigen. Ich glaube so ein eitler und selbstsüchtiger Gott mit Star-Allüren ist Jesus nicht. Es geht darum Dinge so zu tun, wie er sie getan hätte, das ist der beste Weg, ihm die gebührende Ehre zu erweisen. Und ein Witz öffnet Herzen und zaubert ein Lachen auf alle Gesichter. Amen."
Ein leises Raunen ging durch die Bankreihen. Die zum Gottesdienstbesuch verdonnerten Konfirmand*innen kicherten hysterisch. Einige Mienen der älteren Herrschaften waren eingefroren. Damit hatte Reinhard gerechnet.
Beim Händeschütteln klopfte Lothar ihm anerkennend auf die Schultern. "Schöne Predigt.´", sagte er grinsend. "Und mutig." Einige verließen die Kirche ohne Händedruck, ohne Worte, ohne ihn nur eines Blickes zu würdigen. Petermann blieb kurz stehen, nahm ihn ins Visier und sagte nur: "Wir sprechen uns noch.", dann machte er sich auf den Heimweg.
Danach geriet es außer Kontrolle. Finstere E-Mails landeten in seinem Ordner und in dem des Gemeindebüros:
"Gelacht haben nur die Konfirmanden. Vermutlich wollten sie bei denen gut ankommen und das scheint Ihnen gelungen zu sein. Aber wenn die applaudieren, die noch nicht richtig denken können, sind Sie wohl auf dem falschen Dampfer."
"Der Pfarrer macht sich zum Handlanger der Christenverfolger."
"Es gab einmal Zeiten, da hat man Blasphemikern nicht nur das Kanzelrecht entzogen."
"Eine Kirche, die unseren Herrn Jesus zur Witzfigur macht, ist keine Kirche zu der ich länger gehören will."
In einem Leserbrief der Tagespresse war von einem Faustschlag ins Gesicht der Gläubigen die Rede.
An der Supermarktkasse meldeten sich vornehmlich die zu Wort, die weder Gottesdienste in Anspruch nahmen (außer zu Weihnachten und zu Initiationsriten) noch sonst in irgendeiner Weise am Gemeindeleben beteiligt waren.
"Den Pastor sollten sie gleich rausschmeißen!"
"Da hat wohl einer seinen Beruf verfehlt."
"Der will die Kirche unterwandern und alle zu Moslems machen. Dauert nicht mehr lange und der Kirchturm wird zum Minarett."
"Der Herr Pastor wäre wohl gerne Komiker. Aber Witze über den Kreuzestod sind nicht witzig sondern einfach nur geschmacklos."
Abends amüsierten sie sich dann über gestreamte groteske Serien und freuten sich auf den nächsten Aufreger. War ja sonst nichts los.
Arno fand dagegen, dass es jetzt reichte. Wenn sich einer als Gottesmann ausgab, der den HERRN verhöhnte, brauchte es jemanden der ihm Einhalt gebot. Arno besaß keine Waffen. Auch keine prall trainierten Muskeln. Arno besaß ein Feuerzeug, Benzin und Öl. Leider mussten Frau und Kinder mit auf die Reise gehen. Die Frau hatte sich den Mann ja ausgesucht. Die Kinder waren unschuldig. Aber sie konnten schließlich nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
Jesus kehrt erneut zurück auf die Erde und will den Menschen durch ein Wunder beweisen, dass er der Sohn Gottes ist. Während einer Bootsfahrt auf einem See, steigt er plötzlich aus, um auf dem Wasser zu wandeln, geht aber direkt unter und ertrinkt. Wieder im Himmel fragt er seinen Vater: "Wieso hat das beim letzten Mal so gut geklappt und diesmal nicht?"
"Na ja", erklärte sein Vater. "Beim letzten Mal hattest du noch keine Löcher in den Füßen."
- Bei Jesus geht es nicht darum, ihn zur Ikone zu machen und ihm voller Ehrfurcht zu huldigen. Ich glaube so ein eitler und selbstsüchtiger Gott mit Star-Allüren ist Jesus nicht. Es geht darum Dinge so zu tun, wie er sie getan hätte, das ist der beste Weg, ihm die gebührende Ehre zu erweisen. Und ein Witz öffnet Herzen und zaubert ein Lachen auf alle Gesichter. Amen."
Ein leises Raunen ging durch die Bankreihen. Die zum Gottesdienstbesuch verdonnerten Konfirmand*innen kicherten hysterisch. Einige Mienen der älteren Herrschaften waren eingefroren. Damit hatte Reinhard gerechnet.
Beim Händeschütteln klopfte Lothar ihm anerkennend auf die Schultern. "Schöne Predigt.´", sagte er grinsend. "Und mutig." Einige verließen die Kirche ohne Händedruck, ohne Worte, ohne ihn nur eines Blickes zu würdigen. Petermann blieb kurz stehen, nahm ihn ins Visier und sagte nur: "Wir sprechen uns noch.", dann machte er sich auf den Heimweg.
Danach geriet es außer Kontrolle. Finstere E-Mails landeten in seinem Ordner und in dem des Gemeindebüros:
"Gelacht haben nur die Konfirmanden. Vermutlich wollten sie bei denen gut ankommen und das scheint Ihnen gelungen zu sein. Aber wenn die applaudieren, die noch nicht richtig denken können, sind Sie wohl auf dem falschen Dampfer."
"Der Pfarrer macht sich zum Handlanger der Christenverfolger."
"Es gab einmal Zeiten, da hat man Blasphemikern nicht nur das Kanzelrecht entzogen."
"Eine Kirche, die unseren Herrn Jesus zur Witzfigur macht, ist keine Kirche zu der ich länger gehören will."
In einem Leserbrief der Tagespresse war von einem Faustschlag ins Gesicht der Gläubigen die Rede.
An der Supermarktkasse meldeten sich vornehmlich die zu Wort, die weder Gottesdienste in Anspruch nahmen (außer zu Weihnachten und zu Initiationsriten) noch sonst in irgendeiner Weise am Gemeindeleben beteiligt waren.
"Den Pastor sollten sie gleich rausschmeißen!"
"Da hat wohl einer seinen Beruf verfehlt."
"Der will die Kirche unterwandern und alle zu Moslems machen. Dauert nicht mehr lange und der Kirchturm wird zum Minarett."
"Der Herr Pastor wäre wohl gerne Komiker. Aber Witze über den Kreuzestod sind nicht witzig sondern einfach nur geschmacklos."
Abends amüsierten sie sich dann über gestreamte groteske Serien und freuten sich auf den nächsten Aufreger. War ja sonst nichts los.
Arno fand dagegen, dass es jetzt reichte. Wenn sich einer als Gottesmann ausgab, der den HERRN verhöhnte, brauchte es jemanden der ihm Einhalt gebot. Arno besaß keine Waffen. Auch keine prall trainierten Muskeln. Arno besaß ein Feuerzeug, Benzin und Öl. Leider mussten Frau und Kinder mit auf die Reise gehen. Die Frau hatte sich den Mann ja ausgesucht. Die Kinder waren unschuldig. Aber sie konnten schließlich nicht tiefer fallen als in Gottes Hand.
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Freitag, 23. April 2021
Raserei
c. fabry, 12:18h
Sie hatte extra keine schwarzen Sachen angezogen. Hier war ja zunächst einmal Notfallseelsorge angesagt, kein Trauergespräch. Kirchenmausgrau und der Verzicht auf den obligatorischen bunten Seidenschal mussten reichen. Sie hatte die Kleidung wie eine Rüstung angelegt, um sich gegen die Angriffe auf ihre Seele zu wappnen, denn die standen unweigerlich bevor, in einer solchen Situation. Gedeckt, dezent und bieder - das war nicht sie und darum konnte sie auch nicht verletzt werden. Zumindest bestand darin der Plan.
Der Vorgarten war ungepflegt oder eher verwahrlost. Vor ihrem inneren Auge entstanden Bilder von aufgedunsenen, nach billigem Tabak und Schnaps stinkenden Erwachsenen mit Trauerkloßmienen in bequemer Discounter-Kleidung umgeben von ungewaschenen, verhaltensauffälligen Kindern inmitten von halbvollen und leer getrunkenen Flaschen, Pizzakartons, Chipstüten. Sie atmete tief durch. Und wenn schon, dachte sie, die brauchen erst recht meine Hilfe.
Ein Polizeibeamter öffnete die Tür. Sie blickte in eine lieblos eingerichtete Wohnung, allerdings nicht in ein prekäres Chaos. Stattdessen wurde sie von einem gepflegten, schwanzwedelnden Mischlingshund begrüßt, die Umgebung wirkte sauber und wohlgeordnet. Es gab eben Menschen, die hielten sich nicht mit Dekoration auf. Im Wohnzimmer stieß sie auf zwei erwachsene Häufchen Elend, die blass, zitternd und mit roten Augen auf dem Sofa saßen und sich aneinander festhielten. Sie kannte die Familie bisher nicht und fragte einen der anwesenden Polizeibeamten im Flüsterton: ?Wo sind die anderen Kinder??
"Gibt keine.", erwiderte der Beamte. "Die Spurensicherung im Kinderzimmer ist noch nicht abgeschlossen, das heißt, die Kleine liegt da noch und die Große wurde bereits in eine Einrichtung verbracht."
Sie war so dankbar, dass er nicht von Opfer und Täterin gesprochen hatte. Die Große war auch nicht wirklich groß, gerade mal elf Jahre alt.
Sie stellte sich vor. "Darf ich hier auf dem Sessel Platz nehmen?", fragte sie höflich.
Die Eltern nickten. Sie hätte fragen können, was passiert war, aber sie wusste es bereits, die Elfjährige hatte der Fünfjährigen den Schädel zertrümmert. Die Eltern hatten das alles bereits der Polizei erzählt und jede Wiederholung des Berichts würde sich anfühlen, als drehe ihnen jemand das Messer in der Wunde um.
Das Kind, das noch lebte, war vorerst versorgt. Niemand wusste, wie es zu dieser unfassbaren Gewalttat gekommen war und es war auch nicht ihre Aufgabe, das herauszufinden. Sie musste helfen, die Eltern emotional zu stabilisieren, damit sie dieses Drama überlebten und zu gegebener Zeit wieder voll uns ganz für ihre Tochter da sein konnten. Sie musste jetzt da sitzen und darauf warten, dass einer von beiden von sich aus etwas sagte.
"Warum hat sie das nur gemacht?" flüsterte der Vater mit brüchiger Stimme.
"Sie war so wütend in letzter Zeit.", sagte die Mutter. "Alles ging ihr auf die Nerven. Ihr fehlte der Ausgleich. Sie konnte sich nicht mit ihren Freundinnen treffen, die hatten alle eine andere beste Freundin, die sie für die Eins-zu-Eins-Treffen ausgesucht hatten. Zum Stall durfte sie auch nicht mehr. Sie war ja praktisch nur noch im Haus.?
"Zum Stall?", fragte die Seelsorgerin. "Hat sie eine Reitbeteiligung?"
"So etwas ähnliches. Ein kleiner Hof, die ein paar Pferde halten und Kindern für schmales Geld die Möglichkeit geben, mit den Tieren zusammen zu sein. Keine Reitpferde, nur Shetland-Ponys. Aber die Besitzerin gehört zur Corona-Risiko-Gruppe, hat aber noch keinen Impftermin. Zwischendurch sah sie das etwas lockerer, sind ja immer alle draußen, aber seitdem die Zahlen wieder steigen, hat sie auf die Bremse getreten. Lilly war praktisch täglich bei den Tieren und jetzt hat sie nur Lernstoff, Videokonferenzen und das Haus.?
In diesem Haus würde ich auch aggressiv werden, dachte die Pfarrerin. Hier gibt es einfach nichts Schönes. Außer vielleicht den Hund.
"Konnte sie nicht mal mit dem Hund raus gehen?"
"In dieser Gegend?", die Mutter sah sie an, als habe sie vorgeschlagen, Kinder nachts in den Stadtpark zu schicken. "Wir würden sie nicht einmal allein in den Garten lassen, nachher erregen sie noch die Aufmerksamkeit eines Kinderschänders."
Die Pfarrerin fragte sich, ob sie nicht gelegentlich Ausflüge unternommen hatten, befürchtete aber, das könne nach einem Vorwurf klingen. Darum schwieg sie.
"Sie hat auch ihre Musik.", sagte der Vater.
"Das ist wohl eher dein Projekt.", fuhr die Mutter ihn an.
"Lilly spielt Klarinette.", erklärte der Vater. "Wir sind beide selbst Musiker, das heißt, ich bin eher Musiklehrer und meine Frau spielt im Orchester."
"Aber dann hat sie doch eine schöne Ablenkung."
"Als Ventil hat es aber offenkundig nicht gereicht.", erklärte die Mutter. "Wir hätten etwas unternehmen müssen, als sie immer wieder ausflippte."
"Wie ist sie denn ausgeflippt?"
"Sie warf mit Sachen um sich, brüllte aus Leibeskräften, stieß Schimpfwörter aus, stampfte auf den Boden, knallte die Türen, weil die kleine Schwester sie beim Lesen störte, weil ich ihre Schulsachen irgendwo hin gelegt hatte, wo sie sie nicht wieder fand, weil eine der wenigen Freundinnen ein Treffen absagte. Aber wir haben ihr nicht geholfen, sie nur zurechtgewiesen, als wäre sie eine Erwachsene."
"Was sollten wir auch tun?", fragte der Vater. "Selbst wenn wir uns therapeutische Hilfe geholt hätten, bis ein Platz frei gewesen wäre, wäre das alles trotzdem längst passiert."
"Es hilft niemandem, wenn Sie sich jetzt Vorwürfe machen.", erklärte die Theologin. "Sie müssen nicht die Schuld auf sich nehmen. Das hilft Ihnen nicht, weil sie am Ende daran zerbrechen, das hilft ihrer zornigen Tochter nicht, denn die braucht Eltern, die sie lieben und die Kraft haben, für sie da zu sein, und das rettet auch ihre kleine Tochter nicht."
Die Mutter begann herzerweichend zu weinen, die Pfarrerin konnte es kaum ertragen; vor allem ,weil sie fast nichts tun konnte außer zuzuhören und auszuhalten. Und das war schon fast zu viel.
Der Vorgarten war ungepflegt oder eher verwahrlost. Vor ihrem inneren Auge entstanden Bilder von aufgedunsenen, nach billigem Tabak und Schnaps stinkenden Erwachsenen mit Trauerkloßmienen in bequemer Discounter-Kleidung umgeben von ungewaschenen, verhaltensauffälligen Kindern inmitten von halbvollen und leer getrunkenen Flaschen, Pizzakartons, Chipstüten. Sie atmete tief durch. Und wenn schon, dachte sie, die brauchen erst recht meine Hilfe.
Ein Polizeibeamter öffnete die Tür. Sie blickte in eine lieblos eingerichtete Wohnung, allerdings nicht in ein prekäres Chaos. Stattdessen wurde sie von einem gepflegten, schwanzwedelnden Mischlingshund begrüßt, die Umgebung wirkte sauber und wohlgeordnet. Es gab eben Menschen, die hielten sich nicht mit Dekoration auf. Im Wohnzimmer stieß sie auf zwei erwachsene Häufchen Elend, die blass, zitternd und mit roten Augen auf dem Sofa saßen und sich aneinander festhielten. Sie kannte die Familie bisher nicht und fragte einen der anwesenden Polizeibeamten im Flüsterton: ?Wo sind die anderen Kinder??
"Gibt keine.", erwiderte der Beamte. "Die Spurensicherung im Kinderzimmer ist noch nicht abgeschlossen, das heißt, die Kleine liegt da noch und die Große wurde bereits in eine Einrichtung verbracht."
Sie war so dankbar, dass er nicht von Opfer und Täterin gesprochen hatte. Die Große war auch nicht wirklich groß, gerade mal elf Jahre alt.
Sie stellte sich vor. "Darf ich hier auf dem Sessel Platz nehmen?", fragte sie höflich.
Die Eltern nickten. Sie hätte fragen können, was passiert war, aber sie wusste es bereits, die Elfjährige hatte der Fünfjährigen den Schädel zertrümmert. Die Eltern hatten das alles bereits der Polizei erzählt und jede Wiederholung des Berichts würde sich anfühlen, als drehe ihnen jemand das Messer in der Wunde um.
Das Kind, das noch lebte, war vorerst versorgt. Niemand wusste, wie es zu dieser unfassbaren Gewalttat gekommen war und es war auch nicht ihre Aufgabe, das herauszufinden. Sie musste helfen, die Eltern emotional zu stabilisieren, damit sie dieses Drama überlebten und zu gegebener Zeit wieder voll uns ganz für ihre Tochter da sein konnten. Sie musste jetzt da sitzen und darauf warten, dass einer von beiden von sich aus etwas sagte.
"Warum hat sie das nur gemacht?" flüsterte der Vater mit brüchiger Stimme.
"Sie war so wütend in letzter Zeit.", sagte die Mutter. "Alles ging ihr auf die Nerven. Ihr fehlte der Ausgleich. Sie konnte sich nicht mit ihren Freundinnen treffen, die hatten alle eine andere beste Freundin, die sie für die Eins-zu-Eins-Treffen ausgesucht hatten. Zum Stall durfte sie auch nicht mehr. Sie war ja praktisch nur noch im Haus.?
"Zum Stall?", fragte die Seelsorgerin. "Hat sie eine Reitbeteiligung?"
"So etwas ähnliches. Ein kleiner Hof, die ein paar Pferde halten und Kindern für schmales Geld die Möglichkeit geben, mit den Tieren zusammen zu sein. Keine Reitpferde, nur Shetland-Ponys. Aber die Besitzerin gehört zur Corona-Risiko-Gruppe, hat aber noch keinen Impftermin. Zwischendurch sah sie das etwas lockerer, sind ja immer alle draußen, aber seitdem die Zahlen wieder steigen, hat sie auf die Bremse getreten. Lilly war praktisch täglich bei den Tieren und jetzt hat sie nur Lernstoff, Videokonferenzen und das Haus.?
In diesem Haus würde ich auch aggressiv werden, dachte die Pfarrerin. Hier gibt es einfach nichts Schönes. Außer vielleicht den Hund.
"Konnte sie nicht mal mit dem Hund raus gehen?"
"In dieser Gegend?", die Mutter sah sie an, als habe sie vorgeschlagen, Kinder nachts in den Stadtpark zu schicken. "Wir würden sie nicht einmal allein in den Garten lassen, nachher erregen sie noch die Aufmerksamkeit eines Kinderschänders."
Die Pfarrerin fragte sich, ob sie nicht gelegentlich Ausflüge unternommen hatten, befürchtete aber, das könne nach einem Vorwurf klingen. Darum schwieg sie.
"Sie hat auch ihre Musik.", sagte der Vater.
"Das ist wohl eher dein Projekt.", fuhr die Mutter ihn an.
"Lilly spielt Klarinette.", erklärte der Vater. "Wir sind beide selbst Musiker, das heißt, ich bin eher Musiklehrer und meine Frau spielt im Orchester."
"Aber dann hat sie doch eine schöne Ablenkung."
"Als Ventil hat es aber offenkundig nicht gereicht.", erklärte die Mutter. "Wir hätten etwas unternehmen müssen, als sie immer wieder ausflippte."
"Wie ist sie denn ausgeflippt?"
"Sie warf mit Sachen um sich, brüllte aus Leibeskräften, stieß Schimpfwörter aus, stampfte auf den Boden, knallte die Türen, weil die kleine Schwester sie beim Lesen störte, weil ich ihre Schulsachen irgendwo hin gelegt hatte, wo sie sie nicht wieder fand, weil eine der wenigen Freundinnen ein Treffen absagte. Aber wir haben ihr nicht geholfen, sie nur zurechtgewiesen, als wäre sie eine Erwachsene."
"Was sollten wir auch tun?", fragte der Vater. "Selbst wenn wir uns therapeutische Hilfe geholt hätten, bis ein Platz frei gewesen wäre, wäre das alles trotzdem längst passiert."
"Es hilft niemandem, wenn Sie sich jetzt Vorwürfe machen.", erklärte die Theologin. "Sie müssen nicht die Schuld auf sich nehmen. Das hilft Ihnen nicht, weil sie am Ende daran zerbrechen, das hilft ihrer zornigen Tochter nicht, denn die braucht Eltern, die sie lieben und die Kraft haben, für sie da zu sein, und das rettet auch ihre kleine Tochter nicht."
Die Mutter begann herzerweichend zu weinen, die Pfarrerin konnte es kaum ertragen; vor allem ,weil sie fast nichts tun konnte außer zuzuhören und auszuhalten. Und das war schon fast zu viel.
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Freitag, 16. April 2021
Vier Teile - 4. Das Danach
c. fabry, 13:18h
Kerkenbrock hätte heulen können. So ein Massaker hatte sie noch nie angetroffen. Vielleicht mal zwei Verstorbene, Serien, grausame Morde mit unappetitlichen Details. Aber gleich fünf Leichen, allesamt zerhackt, zerstochen oder zerschmettert, überall Blut und dazu dieser Geruch, der sich durch die Wärme des täglich erstarkenden Frühlings stündlich intensivierte.
Die Beamten vor Ort hatten bereits gute Arbeit geleistet. Nicht nur die Spurensicherung steckte mitten in der Arbeit, auch die Kolleginnen und Kollegen, die alles aufnahmen und dokumentierten, hatten bereits ermittelt, um wen es sich bei den Verstorbenen handelte. Gemeindepfarrerin und Gemeindepfarrer, Kirchmeister und Jugendpresbyterin und schließlich die Jugendreferentin. Eine Zeugin hatte beobachtet, wie kurz vor dem Auffinden der Toten die Verwaltungsfachkraft das Gemeindebüro eilig verlassen hatte. Die Fahndung lief bereits.
Der Kirchmeister und die Pfarrerin waren durch heftige Stichwunden verblutet, die Tatwaffe lag am Boden. Jugendpresbyterin und Pfarrer dagegen waren brutal erschlagen worden, mit einer Menorah, die wohl bis dahin unschuldig im Regal gestanden hatte. Im Vorraum lag der zerschmetterte Körper der Jugendreferentin, die offensichtlich über die Brüstung des Obergeschosses gestürzt war.
"Ich glaube, die Sekretärin scheidet als Tatverdächtige aus.", erklärte die Kommissarin. "Wir haben es hier offensichtlich mit einem erweiterten Suzid zu tun, beziehungsweise einem Totschlag im Affekt mit anschließender Selbsttötung.
Als Sabine Kerkenbrock später mit der völlig aufgelösten Hella den Vormittag Revue passieren ließ, bestätigte sich ihre Vermutung.
Die Mitarbeiterin hatte das Gemeindebüro so eilig verlassen, weil sie ihren Sohn aus der Kita abholen musste. Die Tat hatte sich offenkundig wenig später ereignet, denn die Jugendreferentin war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zurückgekehrt. Offensichtlich hatten die Opfer gerade über ihre berufliche Zukunft diskutiert, also darüber, sich ihrer zu entledigen, um ihre Stelle einzusparen. Sie war in letzter Zeit besonders reizbar gewesen und hatte vielleicht zufällig mitangehört, was man plante, ihr anzutun. Sie hatte die Kontrolle verloren und alle vier in blinder Wut getötet. Zunächst mit einem Messer, das sie spontan aus der Küche geholt hatte und als die anderen beiden ihr nach der anfänglichen Schockstarre das Messer entwanden, hatte sie nach der Menorah im Regal gegriffen und so brutal um sich geschlagen, dass sie sie nicht zu bändigen vermochten. Angesichts der Folgen hatte sie schließlich selbst ihrem Leben ein Ende gesetzt.
"Nur eins verstehe ich nicht.", sagte Kerkenbrock. "Dass die Entrechteten sich niemals Hilfe holen."
Die Beamten vor Ort hatten bereits gute Arbeit geleistet. Nicht nur die Spurensicherung steckte mitten in der Arbeit, auch die Kolleginnen und Kollegen, die alles aufnahmen und dokumentierten, hatten bereits ermittelt, um wen es sich bei den Verstorbenen handelte. Gemeindepfarrerin und Gemeindepfarrer, Kirchmeister und Jugendpresbyterin und schließlich die Jugendreferentin. Eine Zeugin hatte beobachtet, wie kurz vor dem Auffinden der Toten die Verwaltungsfachkraft das Gemeindebüro eilig verlassen hatte. Die Fahndung lief bereits.
Der Kirchmeister und die Pfarrerin waren durch heftige Stichwunden verblutet, die Tatwaffe lag am Boden. Jugendpresbyterin und Pfarrer dagegen waren brutal erschlagen worden, mit einer Menorah, die wohl bis dahin unschuldig im Regal gestanden hatte. Im Vorraum lag der zerschmetterte Körper der Jugendreferentin, die offensichtlich über die Brüstung des Obergeschosses gestürzt war.
"Ich glaube, die Sekretärin scheidet als Tatverdächtige aus.", erklärte die Kommissarin. "Wir haben es hier offensichtlich mit einem erweiterten Suzid zu tun, beziehungsweise einem Totschlag im Affekt mit anschließender Selbsttötung.
Als Sabine Kerkenbrock später mit der völlig aufgelösten Hella den Vormittag Revue passieren ließ, bestätigte sich ihre Vermutung.
Die Mitarbeiterin hatte das Gemeindebüro so eilig verlassen, weil sie ihren Sohn aus der Kita abholen musste. Die Tat hatte sich offenkundig wenig später ereignet, denn die Jugendreferentin war zu diesem Zeitpunkt noch nicht zurückgekehrt. Offensichtlich hatten die Opfer gerade über ihre berufliche Zukunft diskutiert, also darüber, sich ihrer zu entledigen, um ihre Stelle einzusparen. Sie war in letzter Zeit besonders reizbar gewesen und hatte vielleicht zufällig mitangehört, was man plante, ihr anzutun. Sie hatte die Kontrolle verloren und alle vier in blinder Wut getötet. Zunächst mit einem Messer, das sie spontan aus der Küche geholt hatte und als die anderen beiden ihr nach der anfänglichen Schockstarre das Messer entwanden, hatte sie nach der Menorah im Regal gegriffen und so brutal um sich geschlagen, dass sie sie nicht zu bändigen vermochten. Angesichts der Folgen hatte sie schließlich selbst ihrem Leben ein Ende gesetzt.
"Nur eins verstehe ich nicht.", sagte Kerkenbrock. "Dass die Entrechteten sich niemals Hilfe holen."
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