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Freitag, 2. Oktober 2020
Dumm gelaufen
c. fabry, 17:03h
„Was lange gärt, wird endlich Wut.“, sagte Carola und zog ihm von hinten das Paddel über den Schädel.
Wurde Zeit, dass Breisz den Thron räumte, der würde sich niemals ändern, da nützte auch keine erlebnispädagogische Teambuilding-Aktion. Ein Verwaltungschef, der zu faul ist, seine Unterlagen zu lesen, keinen Überblick hat und lediglich täglich mehrere Mitarbeitende in sein Büro zitiert, um irgendwen für das zusammenzufalten, was mal gerade wieder schief gelaufen ist, irgendwen, der dafür gar keine Verantwortung trägt, lässt Führungskompetenz offensichtlich deutlich vermissen. Doch die Mühlen der evangelischen Kirche mahlen langsam. Zu langsam. Zu träge und geduldig wird jahre- wenn nicht jahrzehntelang der Missstand nicht angegangen, der doch von so vielen beklagt wird.
Carola war zuerst ziemlich angefressen, dass sie mit dem Chef in ein Kanu musste. Er saß hinten und lenkte, was er offenkundig nicht sonderlich beherrschte, das war ja nichts Neues, aber lenken konnte Carola noch viel weniger, sie machte stattdessen die ganze Arbeit – wie immer. Dann hatte ihre Blase gedrückt. Sie hatte ihn gebeten, anzulegen, damit sie kurz im Gebüsch verschwinden konnte. Das hatte sie auch getan. Als sie zurückkam und seine fettige Glatze, gerahmt von den Bügeln seiner Designer-Brille in der Sonne glänzen sah, die geröteten Speckröllchen im ausrasierten Stiernacken, die runden, hängenden Bürohengst-Schultern, das alles wie ein Schandfleck auf der spätsommerlich, sonnendurchfluteten Flussidylle wirkte, da war es über sie gekommen. Sie hatte das Paddel mit ans Ufer genommen, um sich abzustützen. Jetzt war es die perfekte Waffe.
Wenn sie noch eine Woche gewartet hätte, hätte sie erlebt, wie Breisz von allen Verantwortlichkeiten freigestellt worden wäre. Seine Zeit war ohnehin abgelaufen, die Kündigung lag schon in der Schublade.
Dumm gelaufen, Carola.
Wurde Zeit, dass Breisz den Thron räumte, der würde sich niemals ändern, da nützte auch keine erlebnispädagogische Teambuilding-Aktion. Ein Verwaltungschef, der zu faul ist, seine Unterlagen zu lesen, keinen Überblick hat und lediglich täglich mehrere Mitarbeitende in sein Büro zitiert, um irgendwen für das zusammenzufalten, was mal gerade wieder schief gelaufen ist, irgendwen, der dafür gar keine Verantwortung trägt, lässt Führungskompetenz offensichtlich deutlich vermissen. Doch die Mühlen der evangelischen Kirche mahlen langsam. Zu langsam. Zu träge und geduldig wird jahre- wenn nicht jahrzehntelang der Missstand nicht angegangen, der doch von so vielen beklagt wird.
Carola war zuerst ziemlich angefressen, dass sie mit dem Chef in ein Kanu musste. Er saß hinten und lenkte, was er offenkundig nicht sonderlich beherrschte, das war ja nichts Neues, aber lenken konnte Carola noch viel weniger, sie machte stattdessen die ganze Arbeit – wie immer. Dann hatte ihre Blase gedrückt. Sie hatte ihn gebeten, anzulegen, damit sie kurz im Gebüsch verschwinden konnte. Das hatte sie auch getan. Als sie zurückkam und seine fettige Glatze, gerahmt von den Bügeln seiner Designer-Brille in der Sonne glänzen sah, die geröteten Speckröllchen im ausrasierten Stiernacken, die runden, hängenden Bürohengst-Schultern, das alles wie ein Schandfleck auf der spätsommerlich, sonnendurchfluteten Flussidylle wirkte, da war es über sie gekommen. Sie hatte das Paddel mit ans Ufer genommen, um sich abzustützen. Jetzt war es die perfekte Waffe.
Wenn sie noch eine Woche gewartet hätte, hätte sie erlebt, wie Breisz von allen Verantwortlichkeiten freigestellt worden wäre. Seine Zeit war ohnehin abgelaufen, die Kündigung lag schon in der Schublade.
Dumm gelaufen, Carola.
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Samstag, 19. September 2020
Spinner
c. fabry, 13:53h
Sie war schon fünf mal daran vorbei gelaufen. Sie wollte sich jetzt nicht damit befassen. Noch nicht. Aber irgendwann würde sie sich darum kümmern müssen. Bald schon. Bevor es anfing, schlecht zu riechen. Ja, das konnte sie nicht eine Woche herumliegen lassen, so wie er seine Socken im Bad.
Sie mixte sich einen großen Martini, so als sei Sommer, mit Zitrone und Eis, machte sich eine Wärmflasche, stopfte die unter den Pullover, wickelte sich in die dicke Kamelhaardecke und setzte sich so auf den Balkon. Die untergehende Sonne ließ den Cocktail Kristalllüster-artig glitzern, so wie vor vielen Jahren auf der Terrasse mit Meerblick im Norden Siziliens, wenn sich die lauen Aprilabende zum Ende neigten.
Der Alkohol machte ihr das Herz leicht und senkte die Schranken in ihrem Kopf, die Hemmungen, den Ekel. Die Süße half ihr, sich lebendig zu fühlen und die Erinnerung an die Zeit ihrer Jugend tat das Übrige.
Als sie sich frisch gestärkt fühlte, setzte sie sich dem Anblick endlich in vollem Umfang aus. Völlig absurd lag er da neben dem Heimtrainer, dem Spinner, wie er ihn immer wichtigtuerisch genannt hatte. Es roch noch säuerlich nach seinem Schweiß. Seine evangelische Verschwendungsphobie war ihm zum Verhängnis geworden. „Nein, wir müssen keinen neuen Staubsauger kaufen, nur weil das Kabel lose ist, da kann man sich doch einfach in acht nehmen.“
Von morgens bis abends hatte er Konsumverzicht gepredigt. Gegen den Hunger in der Welt. Gegen den Klimawandel. Gegen die Verschwendung von Ressourcen. Gegen die Befeuerung des Kapitalismus. Aber selbst hatte er nie auf etwas verzichtet: alle paar Jahre eine neue Aktenmappe aus feinstem Leder, zwei Mal im Jahr Designerschuhe, alle zwei Jahre eine neue Gregory-Peck-Brille und sogar für den Heimtrainer spezielle Funktionskleidung. Trotzdem hatte der den Spinner regelmäßig mit seinem Schweiß vollgetropft und nie abgewischt.
Er hatte darauf bestanden, dass das Gerät im Wohnzimmer stand. Damit er nebenbei fernsehen konnte. Und – auch wenn er das niemals zugegeben hätte – damit er vor Freunden und Bekannten mit seiner Sportlichkeit protzen konnte. Millionen Männergespräche hatte sie schon über sich ergehen lassen müssen über technische Details des Fitnessgerätes. Dabei stellte es genauso einen Bruch im ästhetischen Konzept des Wohnzimmers dar wie seine leere Hülle.
Komisch. Sie hatte schon seit langem das Gefühl gehabt, eigentlich nur mit einer leeren Hülle verheiratet zu sein. Allerdings einer, die Geräusche machte: unkontrollierte Schnaufer, Schmatzer, permanentes Räuspern, lautstarkes Schnäuzen und vor allem theologische Fachvorträge ohne Substanz.
Was sie aber auch Jahr für Jahr immer mehr gestresst hatte, war die akribische Einhaltung seines Sportprogramms. Das Sirren des Rades, das Schnurrren der Pedale und dazu sein ambitioniertes Keuchen, gepaart mit dem Anblick eines Dahinwelkenden, der verzweifelt gegen den Verfall anstrampelte, in Gestank verbreitenden, hautengen Shirts, unter denen sich der Brustgurt zur Pulskontrolle abzeichnete. Schade sie hatte versäumt zu beobachten, wie die Anzeige ausschlug, in dem Moment als sie das Staubsaugerkabel an den Edelstahlfuß gehalten hatte. Es war Bestimmung gewesen. Sie hatte gesaugt, um das Sirren und Schnaufen zu übertönen, wenigstens für fünfzehn Minuten. Und dann war es passiert: das Kabel war aus dem Gerät gerissen, das Motorengeräusch erstarb und das rythmische Knarzen des Sattels begleitet von der Dynamik des Gerätes und dem schweren Atem des Zwangssportlers füllte den Raum so sehr aus, dass sie nicht mehr atmen konnte. Sie nahm das Kabel in die Hand. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sie noch gar nicht fertig gesaugt hatte, so sehr war er bei sich und seinen Werten. Und dann hatte sie es einfach getan, ohne über die Folgen nachzudenken. Er hatte kurz innegehalten, sich ein wenig nach hinten überstreckt und war dann abgestürzt.
Jetzt musste sie eine Entscheidung treffen, doch sie spürte, dass sie noch nicht so weit war. Die ersten Jahre mit ihm waren ja noch ganz schön gewesen. Er hatte etwas hergemacht, als Pfarrer ein ordentliches Gehalt verdient, kannte interessante Geschichten und spannende Tatsachen. Nur war dieser Fundus irgendwann erschöpft gewesen, da war nichts Neues mehr hinzu gekommen und er war immer mehr dazu übergegangen, um sich selbst und seine Bedürfnisse zu kreisen. Vielleicht lag das am Beruf, bei dem man immer für andere da sein und sich selbst dauernd zurücknehmen musste. Wo alle einem das Herz ausschütten wollte, aber sich niemand für einen interessierte, außer vielleicht diejenigen, von denen man sich den größtmöglichen Abstand wünschte, weil sie nicht ohne Grund verzweifelt auf der Suche nach Sozialkontakten waren.
Aber in einer ehelichen Lebensgemeinschaft konnte man doch wohl erwarten, dass der Partner auch mal auf die Bedürfnisse seiner Angetrauten Rücksicht nahm und nicht immer und überall die Bedingungen vorgab. Jetzt hatte sie den Rahmen gesprengt und sie war nicht bereit, sich auch noch einen einzigen weiteren Augenblick von ihm einengen zu lassen. Nein, sie würde keineswegs die Polizei anrufen, sich schuldig bekennen und fünfzehn Jahre im Gefängnis büßen. Sie hatte ihre Strafe längst abgesessen, im Voraus.
Der Generalschlüssel für Gemeindehaus und Kirche hing im Pfarrbüro. Im Technikraum lagerte die Küsterin ihr Werkzeug. Da gab es auch eine Feine Stichsäge. Sie selbst hatte im Keller noch feste Malerfolie. Damit ließ sich doch etwas machen. Ihr würde schon etwas einfallen. Aber vorher noch einen schönen Martini auf dem Balkon. Und am Ende des Tages blinzelte sie zuversichtlich in den Sonnenuntergang.
Sie mixte sich einen großen Martini, so als sei Sommer, mit Zitrone und Eis, machte sich eine Wärmflasche, stopfte die unter den Pullover, wickelte sich in die dicke Kamelhaardecke und setzte sich so auf den Balkon. Die untergehende Sonne ließ den Cocktail Kristalllüster-artig glitzern, so wie vor vielen Jahren auf der Terrasse mit Meerblick im Norden Siziliens, wenn sich die lauen Aprilabende zum Ende neigten.
Der Alkohol machte ihr das Herz leicht und senkte die Schranken in ihrem Kopf, die Hemmungen, den Ekel. Die Süße half ihr, sich lebendig zu fühlen und die Erinnerung an die Zeit ihrer Jugend tat das Übrige.
Als sie sich frisch gestärkt fühlte, setzte sie sich dem Anblick endlich in vollem Umfang aus. Völlig absurd lag er da neben dem Heimtrainer, dem Spinner, wie er ihn immer wichtigtuerisch genannt hatte. Es roch noch säuerlich nach seinem Schweiß. Seine evangelische Verschwendungsphobie war ihm zum Verhängnis geworden. „Nein, wir müssen keinen neuen Staubsauger kaufen, nur weil das Kabel lose ist, da kann man sich doch einfach in acht nehmen.“
Von morgens bis abends hatte er Konsumverzicht gepredigt. Gegen den Hunger in der Welt. Gegen den Klimawandel. Gegen die Verschwendung von Ressourcen. Gegen die Befeuerung des Kapitalismus. Aber selbst hatte er nie auf etwas verzichtet: alle paar Jahre eine neue Aktenmappe aus feinstem Leder, zwei Mal im Jahr Designerschuhe, alle zwei Jahre eine neue Gregory-Peck-Brille und sogar für den Heimtrainer spezielle Funktionskleidung. Trotzdem hatte der den Spinner regelmäßig mit seinem Schweiß vollgetropft und nie abgewischt.
Er hatte darauf bestanden, dass das Gerät im Wohnzimmer stand. Damit er nebenbei fernsehen konnte. Und – auch wenn er das niemals zugegeben hätte – damit er vor Freunden und Bekannten mit seiner Sportlichkeit protzen konnte. Millionen Männergespräche hatte sie schon über sich ergehen lassen müssen über technische Details des Fitnessgerätes. Dabei stellte es genauso einen Bruch im ästhetischen Konzept des Wohnzimmers dar wie seine leere Hülle.
Komisch. Sie hatte schon seit langem das Gefühl gehabt, eigentlich nur mit einer leeren Hülle verheiratet zu sein. Allerdings einer, die Geräusche machte: unkontrollierte Schnaufer, Schmatzer, permanentes Räuspern, lautstarkes Schnäuzen und vor allem theologische Fachvorträge ohne Substanz.
Was sie aber auch Jahr für Jahr immer mehr gestresst hatte, war die akribische Einhaltung seines Sportprogramms. Das Sirren des Rades, das Schnurrren der Pedale und dazu sein ambitioniertes Keuchen, gepaart mit dem Anblick eines Dahinwelkenden, der verzweifelt gegen den Verfall anstrampelte, in Gestank verbreitenden, hautengen Shirts, unter denen sich der Brustgurt zur Pulskontrolle abzeichnete. Schade sie hatte versäumt zu beobachten, wie die Anzeige ausschlug, in dem Moment als sie das Staubsaugerkabel an den Edelstahlfuß gehalten hatte. Es war Bestimmung gewesen. Sie hatte gesaugt, um das Sirren und Schnaufen zu übertönen, wenigstens für fünfzehn Minuten. Und dann war es passiert: das Kabel war aus dem Gerät gerissen, das Motorengeräusch erstarb und das rythmische Knarzen des Sattels begleitet von der Dynamik des Gerätes und dem schweren Atem des Zwangssportlers füllte den Raum so sehr aus, dass sie nicht mehr atmen konnte. Sie nahm das Kabel in die Hand. Ihm war nicht einmal aufgefallen, dass sie noch gar nicht fertig gesaugt hatte, so sehr war er bei sich und seinen Werten. Und dann hatte sie es einfach getan, ohne über die Folgen nachzudenken. Er hatte kurz innegehalten, sich ein wenig nach hinten überstreckt und war dann abgestürzt.
Jetzt musste sie eine Entscheidung treffen, doch sie spürte, dass sie noch nicht so weit war. Die ersten Jahre mit ihm waren ja noch ganz schön gewesen. Er hatte etwas hergemacht, als Pfarrer ein ordentliches Gehalt verdient, kannte interessante Geschichten und spannende Tatsachen. Nur war dieser Fundus irgendwann erschöpft gewesen, da war nichts Neues mehr hinzu gekommen und er war immer mehr dazu übergegangen, um sich selbst und seine Bedürfnisse zu kreisen. Vielleicht lag das am Beruf, bei dem man immer für andere da sein und sich selbst dauernd zurücknehmen musste. Wo alle einem das Herz ausschütten wollte, aber sich niemand für einen interessierte, außer vielleicht diejenigen, von denen man sich den größtmöglichen Abstand wünschte, weil sie nicht ohne Grund verzweifelt auf der Suche nach Sozialkontakten waren.
Aber in einer ehelichen Lebensgemeinschaft konnte man doch wohl erwarten, dass der Partner auch mal auf die Bedürfnisse seiner Angetrauten Rücksicht nahm und nicht immer und überall die Bedingungen vorgab. Jetzt hatte sie den Rahmen gesprengt und sie war nicht bereit, sich auch noch einen einzigen weiteren Augenblick von ihm einengen zu lassen. Nein, sie würde keineswegs die Polizei anrufen, sich schuldig bekennen und fünfzehn Jahre im Gefängnis büßen. Sie hatte ihre Strafe längst abgesessen, im Voraus.
Der Generalschlüssel für Gemeindehaus und Kirche hing im Pfarrbüro. Im Technikraum lagerte die Küsterin ihr Werkzeug. Da gab es auch eine Feine Stichsäge. Sie selbst hatte im Keller noch feste Malerfolie. Damit ließ sich doch etwas machen. Ihr würde schon etwas einfallen. Aber vorher noch einen schönen Martini auf dem Balkon. Und am Ende des Tages blinzelte sie zuversichtlich in den Sonnenuntergang.
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Freitag, 11. September 2020
Streit.
c. fabry, 10:59h
Sie hatten sich schon wieder angeschrien. Er konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, wer den Anfang gemacht hatte. Spontan suchte er die Initialzündung bei ihr, aber war das wirklich so? Ja, sie war wie meistens zuerst an die Decke gegangen, war laut geworden, hatte ihn beschimpft, abgewertet, mit Vorwürfen überhäuft. Aber warum? Warum stritten sie ständig? Was passierte da eigentlich, beim Streiten?
Als Streit bezeichnet man die Austragung eines Konfliktes.
Als Streit bezeichnet man eine Störung in der wechselseitigen Beziehung.
Als Streit bezeichnet man die Unvereinbarkeit unterschiedlicher oder sogar konkurrierender Interessen.
Könnte man es so definieren?
Er sah in seinem antiquierten Lexikon nach. Hier gab es nur zusammengesetzte Wörter. Angeblich verstand sich das Wort von selbst.
Im Etymologischen Wörterbuch stand: Geht vermutlich von einer Grundbedeutung „Widerstreben, Starrsinn, Aufruhr“ aus...es gehört also wohl der unter „starren“ dargestellten Wortgruppe.
Als Streit bezeichnet man also ein als negativ empfundenes Ereignis.
Als Streit bezeichnet man etwas, das mit Gegnerschaft verbunden ist.
Als Streit bezeichnet man etwas, bei dem viel Energie im Spiel ist.
Ja, Energie war ja nichts Schlechtes. Streit musste nichts Schlechtes sein. Nicht umsonst sprach man von Streitkultur oder Streitlust.
Die Suchmaschine ergab: heftiges Sichauseinandersetzen, Zanken (mit einem persönlichen Gegner) in oft erregten Erörterungen, hitzigen Wortwechseln, oft auch in Handgreiflichkeiten.
Oder auch: die unverhohlene Austragung einer zwischen mehreren Personen oder Parteien bestehenden Meinungsverschiedenheit, die nicht unbedingt feindselig sein muss, oft aber von starkem emotionalen Charakter ist.
Aber warum? Und was genau machte es so unerträglich? Und half es überhaupt, es zu verstehen?
Es wäre doch alles viel entspannter, wenn er sich nicht mehr für jeden Schmatzer schämen, für jede Verspätung rechtfertigen, für jedes überflüssige Kilo entschuldigen, für jede stehengelassene Tasse beschimpfen lassen musste. Schlafen solange er wollte, Den Fernseher ein- um- und wieder ausschalten, wann er es wollte. Duschen, wenn ihm danach war, essen was ihm schmeckte und so viel ihm behagte, sich verabreden oder sich auch einmal ein ganzes Wochenende in die Wohnung zurückziehen, Musik hören, trainieren, lesen, aus dem Fenster starren.
Er könnte einfach ausziehen. Aber einfach war das nicht. Er hatte es schön hier, sich eingerichtet, ein richtiger Wohlfühlort.
Sie würde niemals ausziehen. Um keinen Preis. Sie war viel zu stolz auf all die liebevollen Details, mit der sie die Wohnung zu ihrem persönlichen Paradies gemacht hatte.
Sie schrie schon wieder. Diesmal waren es die nassen Handtücher auf dem Badezimmerboden. Wieso hängte sie sie nicht einfach über die Heizung und schwieg, so wie andere Frauen?
Sie rannte hin und her. Vom Bad ins Schlafzimmer. Vom Schlafzimmer ins Arbeitszimmer. Vom Arbeitszimmer ins Wohnzimmer. Dabei schrie sie unentwegt. Sie schimpfte, brüllte, würgte, heulte, es war unerträglich. Es gab keinen Knopf zum Abschalten, nur die finale Implosion.
Den Mottek hatte er noch nicht zurückgegeben, darüber hatte sie sich auch schon drei oder fünf mal aufgeregt, weil er immer noch im Flur herumstand und den Parkettfußboden vermackelte. Tat er gar nicht. Er war hart und schwer und ganz besonders mächtig. Er hatte schon immer eine Affinität zu sehr großen Hämmern gehabt. Dieser hier konnte viel. Man musste ihn nur Hochheben, danach nur noch im passenden Moment loslassen.
Als der helle Läufer im Flur sich rot färbte, als es endlich still und die Implosion erfolgt war, kamen endlich längst verdrängte Bilder zurück:
Ihr helles Lachen und das strahlende Gesicht.
Ihr Stöhnen und Schreien und die festen Muskeln unter der glatten Haut.
Der Duft ihres dichten Haares.
Die Abenteuerreisen und die entspannten Wochenenden am Strand.
Die Geburten der gemeinsamen Kinder.
Ihre samtweichen Küsse.
Der Quark-Kirschauflauf mit Gries und Vanille.
Würde doch einsam werden, die Ruhe.
Ob der Schwager den Mottek überhaupt zurück haben wollte?
Als Streit bezeichnet man die Austragung eines Konfliktes.
Als Streit bezeichnet man eine Störung in der wechselseitigen Beziehung.
Als Streit bezeichnet man die Unvereinbarkeit unterschiedlicher oder sogar konkurrierender Interessen.
Könnte man es so definieren?
Er sah in seinem antiquierten Lexikon nach. Hier gab es nur zusammengesetzte Wörter. Angeblich verstand sich das Wort von selbst.
Im Etymologischen Wörterbuch stand: Geht vermutlich von einer Grundbedeutung „Widerstreben, Starrsinn, Aufruhr“ aus...es gehört also wohl der unter „starren“ dargestellten Wortgruppe.
Als Streit bezeichnet man also ein als negativ empfundenes Ereignis.
Als Streit bezeichnet man etwas, das mit Gegnerschaft verbunden ist.
Als Streit bezeichnet man etwas, bei dem viel Energie im Spiel ist.
Ja, Energie war ja nichts Schlechtes. Streit musste nichts Schlechtes sein. Nicht umsonst sprach man von Streitkultur oder Streitlust.
Die Suchmaschine ergab: heftiges Sichauseinandersetzen, Zanken (mit einem persönlichen Gegner) in oft erregten Erörterungen, hitzigen Wortwechseln, oft auch in Handgreiflichkeiten.
Oder auch: die unverhohlene Austragung einer zwischen mehreren Personen oder Parteien bestehenden Meinungsverschiedenheit, die nicht unbedingt feindselig sein muss, oft aber von starkem emotionalen Charakter ist.
Aber warum? Und was genau machte es so unerträglich? Und half es überhaupt, es zu verstehen?
Es wäre doch alles viel entspannter, wenn er sich nicht mehr für jeden Schmatzer schämen, für jede Verspätung rechtfertigen, für jedes überflüssige Kilo entschuldigen, für jede stehengelassene Tasse beschimpfen lassen musste. Schlafen solange er wollte, Den Fernseher ein- um- und wieder ausschalten, wann er es wollte. Duschen, wenn ihm danach war, essen was ihm schmeckte und so viel ihm behagte, sich verabreden oder sich auch einmal ein ganzes Wochenende in die Wohnung zurückziehen, Musik hören, trainieren, lesen, aus dem Fenster starren.
Er könnte einfach ausziehen. Aber einfach war das nicht. Er hatte es schön hier, sich eingerichtet, ein richtiger Wohlfühlort.
Sie würde niemals ausziehen. Um keinen Preis. Sie war viel zu stolz auf all die liebevollen Details, mit der sie die Wohnung zu ihrem persönlichen Paradies gemacht hatte.
Sie schrie schon wieder. Diesmal waren es die nassen Handtücher auf dem Badezimmerboden. Wieso hängte sie sie nicht einfach über die Heizung und schwieg, so wie andere Frauen?
Sie rannte hin und her. Vom Bad ins Schlafzimmer. Vom Schlafzimmer ins Arbeitszimmer. Vom Arbeitszimmer ins Wohnzimmer. Dabei schrie sie unentwegt. Sie schimpfte, brüllte, würgte, heulte, es war unerträglich. Es gab keinen Knopf zum Abschalten, nur die finale Implosion.
Den Mottek hatte er noch nicht zurückgegeben, darüber hatte sie sich auch schon drei oder fünf mal aufgeregt, weil er immer noch im Flur herumstand und den Parkettfußboden vermackelte. Tat er gar nicht. Er war hart und schwer und ganz besonders mächtig. Er hatte schon immer eine Affinität zu sehr großen Hämmern gehabt. Dieser hier konnte viel. Man musste ihn nur Hochheben, danach nur noch im passenden Moment loslassen.
Als der helle Läufer im Flur sich rot färbte, als es endlich still und die Implosion erfolgt war, kamen endlich längst verdrängte Bilder zurück:
Ihr helles Lachen und das strahlende Gesicht.
Ihr Stöhnen und Schreien und die festen Muskeln unter der glatten Haut.
Der Duft ihres dichten Haares.
Die Abenteuerreisen und die entspannten Wochenenden am Strand.
Die Geburten der gemeinsamen Kinder.
Ihre samtweichen Küsse.
Der Quark-Kirschauflauf mit Gries und Vanille.
Würde doch einsam werden, die Ruhe.
Ob der Schwager den Mottek überhaupt zurück haben wollte?
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Freitag, 4. September 2020
Schuld
c. fabry, 13:52h
Vor der Steinstraße 26 machte sie halt. Acht Jahre wohnte sie nun schon hier. Gute Gegend und trotzdem keine hohe Miete. Da hatte sie Glück gehabt. Das Leben meinte es oft gut mit ihr. Nicht immer, auf vieles musste sie verzichten, aber sie konnte wenigstens jeden Morgen ohne schlechtes Gewissen in den Spiegel sehen. Der Spiegel war ihr Freund. Sonst war auch niemand da, jedenfalls nicht in der Steinstraße 26. Wenn sie sich verliebte, war der Mann immer schon vergeben. Kein Wunder, sie war schon über dreißig und wollte sich nicht mit B-Ware zufrieden geben. Dann lieber ganz verzichten. Wie auf so vieles. Fleisch aß sie schon seit Jahren nicht mehr. Wie konnte sie sonst einem Tier ins Auge sehen, wenn sie vielleicht wenige Tage vorher, einen Teil seiner Artgenossen verspeist hatte?
Brot und Nuss-Paprika-Aufstrich reichten noch fürs Frühstück, da konnte sie auch morgen wieder einkaufen gehen. Nur das Nötigste. Sie war ja schon wieder pleite.
Sie wollte Schlafen gehen und von Bertil träumen. Träumen war ja erlaubt. Aber da war diese innere Unruhe.
Raoul. Sieben Jahre. Und es ist ja nichts passiert. Nur etwas vorgefallen. Ein Vorfall. Etwas, das nach vorne geht. Nicht regulär. Außerhalb des grünen Bereichs. Distanzlosigkeiten. Grenzüberschreitungen. Keine Straftaten. Immer hart an der Grenze. Oder auch knapp drüber. Konsequenzen? Vielleicht. Ein Vieraugengespräch? Ganz bestimmt. Doch was gab es da zu sagen?
Ein „Ich habe ein Auge auf dich“?
Ein „Pass auf, dass es dich nicht kalt erwischt“?
Ein „Eigentlich hätten wir uns längst von dir trennen müssen“?
Ein „Versprich mir, dass du dir Hilfe holst“?
Es ist ja nichts passiert. Hoffentlich. Und wer kann schon von sich sagen, er hätte sich immer korrekt verhalten, untadelig und ohne Fehl?
Und doch war da immer was Komisches. Haben die Schutzmechanismen nicht ausgereicht. Ging ja doch zu weit, wenn auch nicht so sehr, aber trotzdem.
Reicht ein Schluss-Strich? Oder muss jetzt alles auf den Tisch? Muss jetzt jedes Fitzelchen aufgearbeitet werden, jeder Spruch, jede verrutschte Hand, jede überzogene Offenherzigkeit?
Wenn es doch wenigstens einfach wäre. Klar. Ja. Nein. Und nicht dieses nebulöse Vielleicht.
Ein minimales Restrisiko für die Zielgruppe eingehen oder ein ein Leben zerstören? Welche Schuld wiegt schwerer? Unschuldig kam sie aus dieser Sache jedenfalls nicht heraus.
Autotüren klapperten. Ein Streit, lautstark und rüde. Sie ging ins Bett, zog sich die Decke über den Kopf. Sie brauchte Ruhe, Ruhe, Ruhe.
In der Steinstraße vor dem Haus mit der Nummer 26 tat eine Frau mittleren Alters ihren letzten Atemzug. Sie hatte Schluss gemacht mit ihrem Freund. Er hatte die Kontrolle verloren. Ihre Hilferufe blieben ungehört.
Brot und Nuss-Paprika-Aufstrich reichten noch fürs Frühstück, da konnte sie auch morgen wieder einkaufen gehen. Nur das Nötigste. Sie war ja schon wieder pleite.
Sie wollte Schlafen gehen und von Bertil träumen. Träumen war ja erlaubt. Aber da war diese innere Unruhe.
Raoul. Sieben Jahre. Und es ist ja nichts passiert. Nur etwas vorgefallen. Ein Vorfall. Etwas, das nach vorne geht. Nicht regulär. Außerhalb des grünen Bereichs. Distanzlosigkeiten. Grenzüberschreitungen. Keine Straftaten. Immer hart an der Grenze. Oder auch knapp drüber. Konsequenzen? Vielleicht. Ein Vieraugengespräch? Ganz bestimmt. Doch was gab es da zu sagen?
Ein „Ich habe ein Auge auf dich“?
Ein „Pass auf, dass es dich nicht kalt erwischt“?
Ein „Eigentlich hätten wir uns längst von dir trennen müssen“?
Ein „Versprich mir, dass du dir Hilfe holst“?
Es ist ja nichts passiert. Hoffentlich. Und wer kann schon von sich sagen, er hätte sich immer korrekt verhalten, untadelig und ohne Fehl?
Und doch war da immer was Komisches. Haben die Schutzmechanismen nicht ausgereicht. Ging ja doch zu weit, wenn auch nicht so sehr, aber trotzdem.
Reicht ein Schluss-Strich? Oder muss jetzt alles auf den Tisch? Muss jetzt jedes Fitzelchen aufgearbeitet werden, jeder Spruch, jede verrutschte Hand, jede überzogene Offenherzigkeit?
Wenn es doch wenigstens einfach wäre. Klar. Ja. Nein. Und nicht dieses nebulöse Vielleicht.
Ein minimales Restrisiko für die Zielgruppe eingehen oder ein ein Leben zerstören? Welche Schuld wiegt schwerer? Unschuldig kam sie aus dieser Sache jedenfalls nicht heraus.
Autotüren klapperten. Ein Streit, lautstark und rüde. Sie ging ins Bett, zog sich die Decke über den Kopf. Sie brauchte Ruhe, Ruhe, Ruhe.
In der Steinstraße vor dem Haus mit der Nummer 26 tat eine Frau mittleren Alters ihren letzten Atemzug. Sie hatte Schluss gemacht mit ihrem Freund. Er hatte die Kontrolle verloren. Ihre Hilferufe blieben ungehört.
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