Freitag, 23. November 2018
Polizeistaatparanoia – Ein Kurzkrimi ohne Auflösung
War ein ziemlich langer Arbeitstag, länger als lang, kräftezehrend und schreit nach Scotch am Kaminfeuer. Fürs Arbeiten bis 23.00 Uhr bin ich eigentlich zu alt. Aber für Dienststart um 7.00 Uhr erst recht. Dann lieber so wie es ist, morgen kann ich ja ausschlafen.
Als sich endlich die passende Bettschwere einstellt, ist es bereits 1.30 Uhr. Beim Befüllen der Wärmflasche blendet mich ein grelles Licht. Komisch, warum fahren die Spasemacken, die die ganze Zeit Fernlicht anhaben, nicht weiter? Liegen geblieben? Hat zwar was Gruseliges, aber ich habe auch keine Lust, in Kälte und Dunkelheit die Landstraße entlangzulaufen, um meine möglicherweise unerwünschte Hilfe anzubieten. Gehe schlafen, aber mit einem mulmigen Gefühl.
Auf dem Weg ins Land der Träume blendet mich ein helles Licht. Jäh richte ich mich auf. Jetzt steht der Wagen mit dem aufgeblendeten Fernlicht vor unserem Haus. Wer hat uns da im Visier? Und warum?
Jetzt erst nehme ich wahr, dass es sich um einen Streifenwagen handelt. Also keine Einbrecher oder Terroristen auf der Flucht, keine Neonazis, die unsere Adresse herausbekommen haben. Warum auch? Aber wen oder was suchen die Bullen?
Jetzt steigt einer aus und richtet seine Taschenlampe auf unser Haus, auf mein Fenster, leuchtet mir ins Gesicht. Vor meinem inneren Auge laufen uralte Bilder ab. Polizei, die mitten in der Nacht Türen aufbricht und Menschen aus ihren Betten zerrt. Ich höre meinen eigenen Puls. Pok pok pok pok...
Der Leuchtmittelbeamte steigt wieder ein. Langsam setzt der Wagen sich in Bewegung, aber nur 20 Meter. Vor der Einfahrt des Nachbarn kommt er wieder zum Stehen. Nach wenigen Minuten setzt das Fahrzeug abrupt zurück. Was passiert jetzt?! Der Puls wird noch lauter und schneller. Pock Pock Pock Pock!
Der Wagen setzt noch weiter zurück, bis er wieder da steht, wo er mir aufgefallen ist. Mir wird abwechselnd heiß und kalt. Warum beobachtet die Polizei unser Haus? Was ist da los?
Ich weiß nicht einmal, vor wem ich Angst haben muss. In Gedanken checke ich all meine Aktivitäten. Könnte ich mit irgendetwas in das Visier der Ermittler geraten sein? Oder ist es Zufall, dass sie gerade hier jemandem auflauern?
Ich gehe wieder ins Bett. Es hilf ja nichts. Morgen muss ich fit sein. Ich kann ja halbwegs ausschlafen. Jetzt noch sieben Stunden, dann klingelt der Wecker.

Aua! Nicht so fest! Sie tun mir weh. Ich stolpere, falle, ein Reißen geht durch meine Schultergelenke und mein Handgelenke brennen vor Schmerz. Sie sind laut und wüst. Sie schlagen die Menschen, die mir am liebsten sind und zwingen mich, zuzusehen. Sie fragen wer. Sie fragen was. Ich weiß die Antwort nicht und darum werden sie uns alle töten.

Ich brenne – ich friere – ich schwitze - ich zittere – alles ist nass. 5.30 Uhr. Was für ein Alptraum. Noch vier Stunden Zeit, zu schlafen. Ich stehe auf, tausche den nassen Pyjama gegen einen trockenen, hole mir ein Glas Wasser aus der Küche. Atme auf: keine Scheinwerfer mehr. Gefahr gebannt.

Ein Knall, ein Scheppern, nur mühsam öffne ich die Augen. Verdammt. 7.30 Uhr. Was ist da los? Ich sehe aus dem Fenster: Ein Mann in Arbeitskleidung, ein PKW, geschäftig rennt er um das Auto herum, öffnet Türen, schlägt sie wieder zu. Wer ist das? Prüft er die Kläranlage? Oder den Gastank? Ich werde ihn fragen, stehe auf, er blickt in mein Fenster, sieht mich an und verschwindet hinter dem Haus. Was will er da?
Ich schlüpfe in meinen Bademantel, eile zur Haustür, blicke mich um: niemand da. Gut, dann eben zur Hintertür, er ist ja auch hinters Haus gegangen. Ich sehe überall nach, rufe, doch niemand ist hier, nur die Hühner gackern, die Schafe blicken tumb über den Zaun, Erpel und Ganter prügeln sich um die letzten Reste faulen Fallobstes und Meisen flattern hektisch und panisch in der Hühnervoliere umher, weil sie den Ausgang nicht finden und menschliche Gewalt fürchten. Sie sollten sich lieber vor der Katze fürchten, die bereits in der offenen Hintertür lauert.

Dann gehe ich eben wieder ins Bett. Vielleicht ist der Mann mit dem Auto liegen geblieben und zum Bus gegangen. 7.46 Uhr. Noch 1 Stunde und 44 Minuten Schlaf. Aber jetzt ist der Puls wieder oben, zu viel Licht, um wieder zur Ruhe zu kommen. Die Katze kommt in mein Bett und schnurrt mir die Ohren voll. Ich bleibe liegen. Wenigstens ausruhen will ich mich, wenn ich auch nicht mehr einschlafen kann.

Heute fahre ich um 11.00 Uhr zur Arbeit. Wird wieder ein langer Tag. Kasse abrechnen, haufenweise E-Mails bearbeiten und den Mitarbeitendenkreis vorbereiten. Mit dem geistlichen Impuls tue ich mich heute besonders schwer, kann gar nicht richtig denken, zu wenig Schlaf, zu viel Irritierendes. Wird schon für alles eine Erklärung geben. Heute Abend können wir zusammen spekulieren.

Als ich um 19.30 Uhr Feierabend mache, bin ich völlig gerädert. Im Auto kann ich kaum die Augen offen halten. Hoffentlich brennt schon ein Feuer im Ofen.
Jetzt ist es nicht mehr weit. Ob der Wagen wohl noch da ist? Und haben die anderen beiden das Essen schon aufgewärmt?

Es ist schon wieder so hell. So hell wie von zwanzig Streifenwagen. Das Feuer brennt schon, aber nicht nur im Ofen. Das Auto scheint weg zu sein oder nein, es hat nur eine andere Form angenommen, sich entmaterialisiert oder besser gesagt aufgelöst und neu angeordnet. Noch keine Polizei, von Ferne die Musik der herannahenden Feuerwehr. Von den anderen beiden keine Spur.

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Freitag, 16. November 2018
Wie Pech und Schwefel

Vielleicht hätte man es doch auf sich beruhen lassen sollen, dachte er. Jetzt konnte er sehen, wie er die Sauerei aus der Welt schaffte. Das ganze Bad hatte sie ihm vollgeblutet. Aber sie hatte es ja nicht anders gewollt, er hatte sie nicht eingeladen, sie war zu ihm gekommen wie ein Lemming, der sich lebenssatt in den Abgrund stürzt. Es war nicht seine Schuld, dass sie sich zeitlebens so auf ihn eingeschossen hatte.

Sieben Jahre lag das jetzt zurück. Sie hatte einfach nicht locker gelassen, hatte nicht eingesehen, dass das Techtelmechtel damals auf der Chorfreizeit nichts weiter als ein Ausrutscher gewesen war. Als sie vor drei Jahren wegzog, hatte er aufgeatmet. Sie würde ein neues Leben anfangen, sich einen Kerl in ihrem Alter suchen, und wenn sie sich wieder in eine Mentor-Schützling-Beziehung stürzte, sollte ihm das auch recht sein.

Zwei ruhige Jahre hatte er nichts von ihr gehört, dann kamen die Briefe. Jeden Monat ein paar um geistreiche Formulierungen bemühte Zeilen, aber es war zwecklos. Sie war noch immer von kindlichem Gemüt und bestenfalls durchschnittlicher Intelligenz. Von ihrer unterirdischen, erotischen Anziehungskraft einmal ganz zu schweigen. Ja, auf der Chorfreizeit, da war sie ihm im Kerzenlicht und unter der Wirkung etlicher Gläser Wein verführerisch wie die Lorelei erschienen. Doch schon am nächsten Morgen hatte er es bereut. Sie hatte sicher zehn Kilo zu viel auf den Hüften gehabt, ihren Brüsten hatte die jugendliche Straffheit gefehlt, die Haut war talgig und picklig gewesen und die Schenkel viel zu üppig und haarig. Sie war so ein Naturkind gewesen und sie hatte geglaubt, das gefalle ihm, wo er doch so ein frommer Mann der Kirchenmusik war, immun gegen die überflutenden Reize der degenerierten Welt von sterilem Blingbling und Plastiksex. In der Tat hatte er es überhaupt nicht mit dem Rotlichtmilieu, aber er war doch nicht aus Holz, liebte schwungvolle Hüften an zarter Taille, flache Bäuche und sanft gerundete Pos, Brüste wie Pfirsiche und eine Haut wie Seidenpapier, große Augen mit langen, gebogenen Wimpern und weiche, leicht fleischige Lippen.
Sie hatte nichts von dem zu bieten gehabt und auch jetzt nicht, obwohl sie ein paar Pfund abgespeckt und ihren Körper leicht trainiert hatte. Das Hautbild hatte sich auch ein wenig verbessert, aber sie war eben kein Alphaweibchen, nicht einmal B-Ware wie seine Frau. Sie war einfach nur lästig – und sie wurde gefährlich.

Er hatte gehofft, sie habe sich damit abgefunden, dass sie sich alles nur eingebildet hatte, dass ihre Wunschträume während der Chorfreizeit ihr aufgrund ihrer Intensität real erschienen waren.

Aber damit kam er nicht durch. Sie erinnerte sich einfach an alles, auch das Davor und das Danach. Und jetzt wollte sie Tacheles reden, er sollte ihr Rede und Antwort stehen und ihre Fragen waren fürchterlich. Sie würde am Ende alles rausposaunen und sein Leben wäre im Eimer. Strafanzeige, Berufsverbot und Vivien würde ihn verlassen.

Für den Notausgang hatte er gesorgt, kurz bevor sie auftauchte. Er hatte den Schlüssel fürs Bad verschwinden lassen. Sicher würde sie irgendwann die Toilette benutzen, wenn er nur genug Kaffee in sie hinein kübelte.
Sie hatte sich reichlich aufgebrezelt, kam im kleinen Schwarzen, hatte irgendetwas mit ihren Haaren angestellt, aber sie war und blieb bestenfalls Durchschnitt. Da tat sich einfach nichts. Und dann hatte sie ihn in die Zange genommen. Alles auf den Tisch gepackt und immer wieder gefragt warum.
Kann ich mich gar nicht mehr erinnern – hatte er geantwortet. Habe ich das wirklich so gesagt? Verwechselst du mich nicht mit irgendwem?
Sie war immer ärgerlicher geworden, nicht laut, aber ärgerlich, man konnte direkt sehen, wie sich ein böses Unwetter in ihr zusammenbraute. Und wenn der Gewittersturm zur falschen Zeit am falschen Ort losbrach, dann wäre er erledigt. Darum musste er es erledigen. Es ging nicht anders.
„Dürfte ich mal bitte die Toilette benutzen?“, hatte sie gefragt.
„Selbstverständlich.“, hatte er geantwortet – und sie solle nicht erschrecken, weil es keinen Schlüssel mehr gab – den habe seine kleine Tochter vermutlich verschusselt. Dann hatte er sie überrumpelt: einfach rein ins Bad, über ihren erstaunten Aufschrei hinweggehen, das Rasiermesser aus dem Spiegelschrank holen und einmal damit über die Halsschlagader fahren. Es ging ziemlich schnell, auch wenn es ihm wie eine Ewigkeit vorgekommen war, wie sie realisierte, dass das Leben aus ihr herauslief und sie vom Klo plumpste wie ein Mehlsack mit Übergewicht. Sie sah aus wie das Opfer eines Triebtäters, wie sie da mit der heruntergezogenen Strumpfhose in ihrem Blut lag und ins Leere starrte. Bald wurde es dunkel. Er würde sie in einem Bettbezug zusammen mit ein paar Steinen in der Ruhr versenken. DNA-Spuren hatte er nicht hinterlassen. Und wer käme schon darauf, dass sie bei ihm gewesen war. Und selbst wenn: dann war sie eben wieder abgereist. Mit den richtigen Chemikalien würden sich auch die letzten Blutspuren beseitigen lassen. Und dann hätte er endlich Ruhe.

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Dienstag, 6. November 2018
Verbaldiarrhoe - Kurzkrimi mit offenem Ende
„Ich möchte ja noch einmal auf das Jugend-Gottesdienstmodell aus Vennebeck zurückkommen.“
Er rückte seinen Stuhl zurecht, streckte den Rücken durch und setzte zum Angriff an.
„Die sind da wirklich total erfolgreich, die haben da Besucherzahlen von denen wir nur träumen und es wäre ein leichtes, einen Bus mit Konfirmanden und Mitarbeitern zu füllen und dorthin zu fahren, die Jugendlichen wären begeistert und sofort voller Tatendrang, da bin ich sicher. Da wirken unglaublich viele Ehrenamtliche mit, die sind technisch auf dem aktuellsten Stand, da singen alle mit, da wird Theater gespielt, die Predigten richten sich nach dem Thema des Gottesdienstes und nicht nach dem liturgischen Kalender...“

Sie hörte nicht mehr zu, sie sah ihn nur noch plappern. Das war fatal, denn sie war ja schließlich nur hier, um das Protokoll zu führen. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte heraus gelassen, was in ihrem Kopf schrie: „Jetzt halt endlich den Rand, kapier es endlich, dass das keiner hören will. Finde dich damit ab, dass wir hier nicht in der evangelikalen Provinz hocken, wo die Jugendlichen immer so schrecklich dankbar sind, wenn man ihnen ein paar bunte Scheinwerfer, Schlagzeug und die Chance, sich wichtig zu machen anbietet. Steffen hat schon fünfundzwanzig Mal erklärt, dass er für so ein Projekt gar keine Kapazitäten hat. Es gibt auch keine Ehrenamtlichen, die sich das auf die Fahne schreiben würden und unsere Pfarrer sind jetzt schon vollkommen überlastet. Und du kleiner Wichtigtuer, der hier kompensiert, dass er in der harten Arbeitswelt nichts geworden ist, du stellst auch nichts auf die Beine, du laberst nur jedem die ganze Tasche voll und bist jedes Mal beleidigt, wenn bei deinen Pestideen nicht immer alle gleich Hurra schreien. Im Büro hältst du mich nahezu täglich von der Arbeit ab mit deinen immer neuen, genialen Einfällen, aber Absprachen einhalten, das hast du nicht nötig, machst ja alles nur ehrenamtlich.“

Sein Vortrag ließ sich mit ein paar oberflächlichen Sätzen zusammenfassen, er lieferte ohnehin immer den gleichen Sermon ab. Sie war froh, als der Tagesordnungspunkt endlich abgehandelt war, immerhin der vorvorletzte.
Danach ging es kurz um eine Neueinstellung in der Kita und dann um ein neues Konzept für die Raumbelegung im Gemeindehaus. Eigentlich musste sich nur jemand finden, der eine schlaue Excel-Tabelle anlegte, die sie an alle Gruppenleitungen mailen konnte, mit dem Hinweis, sich bei Raumbelegungswünschen zügig zu melden. Aber weit gefehlt. Mister VIP machte auch aus dieser Lapalie einen echten Krisenfall. Sie wollte nur noch nach Hause, war todmüde, morgen früh musste sie wieder die Kinder für Schule und Kita bereit machen, danach ins Büro hetzen und vielleicht blieb ihr zwischen Feierabend und Ende von OGS noch ein kleines Zeitfenster für Steffen...nur davon hätte sie nicht viel, weil sie vermutlich die meiste Zeit über diesen unsäglichen Presbyter wettern und sich Strategien überlegen würden, wie man diese Flausen, die er in so manchen Kopf gesetzt hatte, wieder austrieb.

Es war nicht nur der Stuss, den er redete, es war die Stimme, der Tonfall, die Geschwindigkeit, fast so schlimm, als wenn jemand Kreide auf einer Schiefertafel quietschen ließ oder Technomusik im Nebenraum, während man an einer Migräne laborierte. Ihr Puls beschleunigte sich, der Kopf wurde heiß, der Achselschweiß rann am Oberkörper herunter und sie konnte kaum stillsitzen, so als würde ein Puppenspieler an Marionettenfäden ziehen und sie müsste mit aller Kraft dagegen halten.

Und dann war es irgendwann 23.20 Uhr. Sie wollte noch eben den Laptop im Safe einschließen, da strunzte der Laberhannes doch tatsächlich ins Büro und fragte: „Sag mal, Deine Kinder kommen doch auch bald in das Alter, wo Jugendgottesdienste interessant werden. Hast Du da nicht auch ein begründetes Interesse, dass da endlich mal was passiert? Der Erkens macht ja gar nichts in der Richtung, der fährt nur Kanu, geht Klettern und leitet ein paar Gruppen, wo kaum jemand hingeht. Wir wollen ja schließlich auch kirchlichen Nachwuchs, also religionspädagogische Angebote, Verkündigung, Erbauung, gerade für Jugendliche...“

Diese alten Laptops waren verdammt schwer. Vielleicht hätte sie mit der flachen Seite zuschlagen sollen, aber dann hätte er womöglich weiter geplappert und sie wollte, dass es einfach nur aufhörte. Nicht diskutieren, nicht still erdulden was er redete und seinem herausfordernd, grenzdebilen Erwartungshaltungsblick standhalten. Hätte sie die flache Seite genommen, wäre er einfach nur lauter und schneller geworden, so wie ihre alte Stereoanlage, bei der der Lautstärkeregler in einer Weise defekt war, dass er, wenn man versuchte die Musik leiser zu drehen, manchmal bei jeder Bewegung lauter wurde, egal, in welche Richtung man drehte. Einen Power-Knopf zum Abschalten hatten Presbyter nicht. Da musste man direkt den Stecker ziehen und das hatte sie wohl getan. Er blutete kaum, nur ein winziges Rinnsal sickerte aus der Schläfe. „Ein Felsenbein wie ein Kleinkind.“, dachte sie noch, dann blickte sie auf und sah einen der Pfarrer in der Tür stehen.

WER MAG, KANN EINE FORTSETZUNG SCHREIBEN.

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Mittwoch, 31. Oktober 2018
Samhain – Kurzkrimi zum Gruseln
Jetzt planen sie wieder ein Fest. An meinem Tag. Sie schlüpfen in ihre schwarzen Roben und zünden weiße Kerzen an. Sie singen von festen Burgen, als ob Mauern mich aufhalten könnten. Als ob irgendetwas oder irgendjemand mich aufhalten könnte, den Herrn über Leben und Tod.
Was haben sie nicht alles versucht: wilde Masken, glühende Kohlen in ausgehöhlten Rüben, die Beschwörung ihres eingebildeten Gottes, das Fällen von Eichen und später dann, das Erpressen der Mitgliedschaft in ihrem Verein, ohne Kirchensteuern keine Anstellung und sie ließen mich ihr wirres Zeug studieren, ein bisschen Theologie für das Fußvolk, um es gefügig zu machen, aber nicht zu viel, wir wollen ja nicht an den Verhältnissen rütteln, uns keine Kuckuckseier ins Nest holen. Und als sie all das Geld, das sie jahrhundertelang aus den Ärmsten der Armen gepresst hatten, dumm verzockt hatten, da machten sie mich zum Bauernopfer, da war es auf einmal gar nicht mehr wichtig, wer zu ihrem Verein dazu gehörte, da musste man schon einer von den Schwarzkitteln sein oder mit einem von ihnen verpartnert, um nicht über die Planke gejagt zu werden. Und über allem hängt der Gefolterte, diese elende Kreatur, von der sie sich alle gerettet glauben. Ich werde Euch zeigen, wer euer Erlöser ist! Wie sagte Euer Gefolterter doch so schön: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen.“ Ihr dagegen verhöhnt seine Worte und faltet darüber scheinheilig die Hände. Aber heute werde ich kommen und ihr werdet mich nicht hinausstoßen, nein, ihr werdet mir folgen und ihr werdet nicht zurückkehren.

Flüsternd bebten seine blutleeren Lippen in dem blassen, ausgemergelten Gesicht. Die schwarze Jeans flatterte um seine abgemagerten Schenkel und wie ein Mantra wiederholte er den letzten Satz: „Ihr werdet mir folgen und ihr werdet nicht zurückkehren.“ und er glaubte tatsächlich jedes Wort davon.

TRAGISCHER ZWISCHENFALL ZUM REFORMATIONSFEST
Ein offensichtlich verwirrter Mann betrat am vergangenen Abend die Evangelische Paulus-Kirche, in der ein Reformations-Gottesdienst stattfinden sollte. Nur wenigen Besuchern fiel er direkt als sonderbar und irritierend auf, weil er mit sich selbst sprach und seinen Blick eigentümlich starr nach vorn richtete. Weil man tiefe, religiöse Motive vermutete, tolerierte man den verhaltensauffälligen Mann. Mitten im Gottesdienst stand er auf, richtete seinen Blick auf den Pfarrer und sprach lautstark seltsam anmutende Flüche aus. Vertreter des Presbyteriums versuchten, den Mann zu beruhigen und informierten den psychologischen Krisendienst. Der Mann wurde in Gewahrsam genommen und in eine psychiatrische Einrichtung verbracht. In diesem Tumult entging es den Anwesenden, dass unterdessen der Pfarrer in seiner Kanzel zusammengebrochen war. Für ihn kam jede Hilfe zu spät.

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