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Freitag, 1. Dezember 2017
GANZ SCHÖN WÜST
c. fabry, 16:24h
„Ausgerechnet Laschi und Linschi“, dachte Keller und erschrak über sich selbst, dass er trotz des Anblicks der grausam entstellten Leichen eine seltsame Befriedigung spürte. Augen und Mund waren weit aufgerissen, Torso und Extremitäten schienen unversehrt, aber in ihren Mundhöhlen befand sich eine schwarze, ausgehärtete Masse, die, wie Gerichtsmedizinerin Konstanze Flegel vermutete, im flüssigen oder breiigen Zustand in den Mund gepresst worden war, wodurch die Opfer einen schauderhaften Erstickungstod fanden.
„Was genau ist das?“, fragte Keller. „Das sieht aus wie Teer.“
„Asphalt.“, entgegnete die Pathologin. „Ich tippe auf ganz gewöhnlichen Straßenbelag. Wenn ich Recht habe, muss die Masse beim Befüllen der Mundhöhlen heiß gewesen sein, sie dürften also auch entsetzliche Verbrennungen erlitten haben. Wahrhaftig kein schönes Ende. Aber jetzt frage ich dich, Stefan: Wer macht so was?“
„Sieht nach Mafia aus.“, grunzte Keller.
„In Bielefeld?!“, entgegnete Konstanze deutlich erstaunt.
„Die waren ja nur wegen der Landessynode hier.“, erwiderte der Kommissar. „Wollten sich mit der Kirche gut stellen; der eine, damit das C in seiner Partei nicht unglaubwürdig wird, der andere weil er sich überall und bei jedem anbiedern muss, nachdem er zuerst den Landtag als Sprungbrett benutzt hat und kürzlich bewiesen hat, dass es ihm auch auf Bundesebene nur um seine Karriere geht. Die haben doch beide haufenweise heiße Drähte in die freie Wirtschaft, da landet man schnell in kriminellen Verstrickungen. Ist auf jeden Fall eine Hinrichtung.“
„Was ist das denn?“ Konstanze wies auf ein Stück Papier, das unter dem Gesäß des einen hervorlugte. Keller hob die Leiche vorsichtig an und zupfte ein DinA4-Blatt hervor, auf das in dicken Lettern folgendes gedruckt war:
ab-wickeln, -schieben, -hängen
und von der Straße drängen
Sozialticket kassieren
und dann die Straße schmieren
mit Geld, das ihr genommen
von uns, dass die's bekommen
die eh schon alles haben
dann könn' sie schneller fahren
und trotzdem Steuern sparen
ersticken sollt ihr am Asphalt
und H. W. Ist der Nächste bald.
Keuchend erwachte Hendrik aus seinem Alptraum. Er wusste, was zu tun war. Die Sache eilte nicht und in einem Jahr würde eine andere Sau durchs Dorf getrieben.
„Was genau ist das?“, fragte Keller. „Das sieht aus wie Teer.“
„Asphalt.“, entgegnete die Pathologin. „Ich tippe auf ganz gewöhnlichen Straßenbelag. Wenn ich Recht habe, muss die Masse beim Befüllen der Mundhöhlen heiß gewesen sein, sie dürften also auch entsetzliche Verbrennungen erlitten haben. Wahrhaftig kein schönes Ende. Aber jetzt frage ich dich, Stefan: Wer macht so was?“
„Sieht nach Mafia aus.“, grunzte Keller.
„In Bielefeld?!“, entgegnete Konstanze deutlich erstaunt.
„Die waren ja nur wegen der Landessynode hier.“, erwiderte der Kommissar. „Wollten sich mit der Kirche gut stellen; der eine, damit das C in seiner Partei nicht unglaubwürdig wird, der andere weil er sich überall und bei jedem anbiedern muss, nachdem er zuerst den Landtag als Sprungbrett benutzt hat und kürzlich bewiesen hat, dass es ihm auch auf Bundesebene nur um seine Karriere geht. Die haben doch beide haufenweise heiße Drähte in die freie Wirtschaft, da landet man schnell in kriminellen Verstrickungen. Ist auf jeden Fall eine Hinrichtung.“
„Was ist das denn?“ Konstanze wies auf ein Stück Papier, das unter dem Gesäß des einen hervorlugte. Keller hob die Leiche vorsichtig an und zupfte ein DinA4-Blatt hervor, auf das in dicken Lettern folgendes gedruckt war:
ab-wickeln, -schieben, -hängen
und von der Straße drängen
Sozialticket kassieren
und dann die Straße schmieren
mit Geld, das ihr genommen
von uns, dass die's bekommen
die eh schon alles haben
dann könn' sie schneller fahren
und trotzdem Steuern sparen
ersticken sollt ihr am Asphalt
und H. W. Ist der Nächste bald.
Keuchend erwachte Hendrik aus seinem Alptraum. Er wusste, was zu tun war. Die Sache eilte nicht und in einem Jahr würde eine andere Sau durchs Dorf getrieben.
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Freitag, 24. November 2017
Ohne Tote – die Fortsetzung – für Dreadpan – quasi als Totensonntagsgeschenk
c. fabry, 02:04h
Kathrins gute Laune hielt sich beständig. Zu wissen, dass die Bombe in absehbarer Zeit hochgehen würde, erfüllte sie mit einer tiefen Freude. Sie fühlte sich, als hätte sie stimmungsaufhellende Drogen eingeworfen. Wenn sie geahnt hätte, welche Wirkung ihre kleine Manipulation auf ihr Gemüt haben würde, hätte sie diesen Schritt schon viel eher gewagt.
Und dann war es schließlich so weit. Ein paar Verträge mussten zur Unterschrift vorgelegt werden und sie betrat Breiszs Büro, der sie nach dem Anklopfen zwar nicht hereingebeten hatte, was aber möglicherweise der Tatsache geschuldet war, dass er gerade woanders im Gespräch war oder ein paar Türen weiter die Klobrille anwärmte. Das Surren der Lüftung verriet, dass der Laptop eingeschaltet war, auch wenn der Bildschirm im tiefschwarzen Energiesparmodus eine Außerbetriebnahme suggerierte Sie bediente eine beliebige Taste und schon huschte ein süffisantes Lächeln über ihr Gesicht. „Jean-Luc bringt Ramona zum Singen“ lautete der für Frankophile eindeutige Untertitel des noch unmissverständlicheren Fotos. Doch etwas stimmte nicht an diesem Bild, wenn an pornographischen Darstellungen überhaupt etwas stimmen konnte. Ramona trug zwar einen gerüschten Push-up, aber was da nach oben gedrückt wurde waren keinesfalls Milchdrüsen sonder nur Haut und Bindegewebe in homöopathischen Dosen. Die vermeintlich rasierte Scham erwies sich bei näherer Betrachtung als ein vom fast unsichtbaren, zarten Flaum der Vorpubertät bedeckten Geschlechtsteil. Wie zum Teufel kamen solche Bilder auf seinen Rechner? War ihr da vielleicht ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen? Eine Freistellung wegen Pornos auf dem Dienstrechner – da konnte man ja irgendwo wieder neu anfangen, ins Gefängnis kam man dafür nicht, aber was sie ihm hier angetan hatte, das kostete ihn mehr als seine Stelle.
Plötzlich öffnete sich die Tür und sie hatte keine Gelegenheit mehr, Desinteresse vorzuschützen, zu eindeutig stand sie hinter seinem Schreibtisch, zu entsetzt ihr Gesichtsausdruck.
Breisz erfasste sie Situation sofort. Wie der Blitz huschte er hinter seinen Schreibtisch, packte Kathrin an den schulterlangen Haaren und zerrte sie zu Boden. Sie dachte, er wolle ihr einfach nur eine Abreibung verpassen, aber er hatte grausamere Pläne. Er riss sie nur ein wenig nach oben, um sie dann gegen ein Gehäuse aus Plastik zu drücken. Warum tat er das? Während er sie krampfhaft festhielt, fummelte er nervös an der Steckerleiste herum und auf einen Schlag wurde Kathrin klar, wo genau ihr Gesicht sich befand: am Eingangsschlitz des Aktenschredders. Hastig tastete sie nach dem Kippschalter: Hinten lief der Schredder Rückwärts, vorne vorwärts und in der Mitte war er außer Betrieb. Sie brachte den Schalter in die Ruheposition. War das so richtig? War das bei allen Aktenschreddern gleich? Wollte er ihr nur Angst machen oder wollte er ihr Gesicht entstellen? Womöglich sogar ihre Zunge zerreißen, damit sie nicht mehr sprechen könnte? Unsinn, sie könnte dann ja immer noch schreiben. Aber wenn er sich dann auch ihre Finger vornähme?
Sie roch unangenehm. Nie hätte sie sich vorstellen können, dermaßen zu stinken. Das war wohl der Angstschweiß. Oder war das sein Paniksekret? Es roch süßlich, muffig, einen widerwärtigen Reiz am Gaumen auslösend und darüber lag eine Wolke eines landläufigen Herrendufts, charakterlos aber teuer. Er keuchte und fluchte. Seine Haltung schien ihm Beschwerden zu verursachen, das machte ihn unaufmerksam und sie nutzte den passenden Moment, um sich aus seinem festen Griff zu winden. Sie rammte ihren Kopf in seinen Schritt und versuchte, sich aufzurappeln. Er griff erneut nach ihren Haaren – das Konzept hatte sich immerhin bewährt, doch sie befreite sich diesmal mit einem Ruck, die Todesangst hatte ihre Schmerzgrenze erheblich herabgesetzt. Sie richtete sich auf und stürmte in Richtung Tür, als er von hinten ihre Taille umfasste und seinen Mund an ihr Ohr presste: „Wir werden schön den Mund halten, gell?“, raunte er. „Wir wollen doch unsere süße, kleine Karriere nicht aufs Spiel setzen, oder? Ich habe überall Freunde mit Einfluss, du hast nur Freundinnen mit Ausfluss, also überleg dir genau, was du jetzt tust.“
Sie rammte ihm den Ellbogen in die Leber, nicht planvoll, eher zufällig, dafür umso effizienter. Er brach stöhnend zusammen. Sie brachte sich in Sicherheit.
Eine Woche später hatte sie seinen Schreibtisch – und ein schlechtes Gewissen. Sie hatte ihm das angehängt. Gut, er war ein Drecksack, hatte einen Dämpfer verdient und es war ausgesprochen angenehm, nicht mehr mit ihm arbeiten zu müssen. Aber sie fühlte sich schäbig und sie ärgerte sich über ihre gutes Herz. Breisz hätte sich an ihrer Stelle nicht eine Sekunde schlecht gefühlt. Doch am Ende siegte das Gewissen wie so oft bei ihr. Sie ließ sich mit dem Kommissariat verbinden, das den Fall bearbeitete.
Als Kathrin zwei Stunden später auf dem Polizeipräsidium saß, ärgerte sie sich schon wieder über die eigene Ehrlichkeit. Sie hätte jetzt so schön auf ihrem blauen Sofa bei einem Cappuccino ihren Feierabend genießen können, aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
„Herr Breisz ist unschuldig.“ erklärte sie. „Er hat die Pornoseiten nicht selbst heruntergeladen, ich habe die auf seinen Rechner gespielt.“ gab sie zu. „Es sollte ein Streich sein.“, log sie. „Ich wollte ihm ein paar ganz gängige Sexseiten auf die Festplatte mogeln, aber doch keine pädophilen Inhalte. Ich verstehe gar nicht, wie das passieren konnte.“
„Wie haben sie die Manipulation an seinem Laptop denn vorgenommen?“, fragte der Kommissar.
„Ich habe mich in seinen Rechner gehackt und dann diese Seiten installiert. Ich habe einen besonders billig klingenden Titel ausgewählt, Uschimuschi oder so.“
„Ja, dass diese Daten durch Manipulation von außen aufgespielt wurden, haben unsere Experten schon herausgefunden. Das waren dann also Sie.“
„Ja.“, gab Kathrin zerknirscht zu. „Ich schätze den Kollegen überhaupt nicht, aber ich kann doch nicht zulassen, dass er ins Gefängnis geht, nur weil ich ihm einen Streich spielen wollte.“
„Sagt Ihnen die Seite Lol*mops etwas?“
„Wie bitte? Äh, nein. Was ist das?“
„Eine Tauschbörse für pornographisches Material für Pädophile.“
„Warum sollte mir das etwas sagen?“
„Weil die Daten, die zur Verhaftung ihres Kollegen führten, aus diesem Kontext stammen. Die haben Sie nicht installiert. Das war er selbst. Warum sonst, glauben Sie, hat er Sie im Büro angegriffen?“
„Ich dachte, er hätte herausgefunden, dass ich ihm die Pornoseiten verpasst hatte.“
„Wie hätte er das herausfinden sollen?“
„Er hätte es ahnen können, spätestens, als er mich da hinter seinem Schreibtisch erwischte.“
„Er hat aber nie abgestritten, das Material selbst auf den Rechner geladen zu haben. Was er beharrlich abstreitet ist der Vorwurf, dass er selbst diese Aufnahmen gemacht hat.“
„Und?“, fragte Kathrin, „Hat er?“
„Dazu kann und darf ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt keine Auskunft geben.“, sagte der Kommissar. „Allerdings müssen Sie mit einer Anzeige rechnen, eine Geldstrafe wird da sehr wahrscheinlich auf Sie zukommen, auch wenn der eine oder andere Richter denken wird, dass Sie sich da genau den Richtigen vorgenommen haben.“
Als Kathrin das Protokoll ihrer Aussage unterschrieb, ärgerte sie sich zum dritten Mal an diesem Tag über ihre Ehrlichkeit. Doch dann dachte sie sich, dass die Erkenntnis, dass nicht ihre Durchtriebenheit sondern seine eigene Widerwärtigkeit Breisz zu Fall gebracht hatte, diesen finanziellen Aufwand wert war.
ENDE – UND ZWAR ENDGÜLTIG
Und dann war es schließlich so weit. Ein paar Verträge mussten zur Unterschrift vorgelegt werden und sie betrat Breiszs Büro, der sie nach dem Anklopfen zwar nicht hereingebeten hatte, was aber möglicherweise der Tatsache geschuldet war, dass er gerade woanders im Gespräch war oder ein paar Türen weiter die Klobrille anwärmte. Das Surren der Lüftung verriet, dass der Laptop eingeschaltet war, auch wenn der Bildschirm im tiefschwarzen Energiesparmodus eine Außerbetriebnahme suggerierte Sie bediente eine beliebige Taste und schon huschte ein süffisantes Lächeln über ihr Gesicht. „Jean-Luc bringt Ramona zum Singen“ lautete der für Frankophile eindeutige Untertitel des noch unmissverständlicheren Fotos. Doch etwas stimmte nicht an diesem Bild, wenn an pornographischen Darstellungen überhaupt etwas stimmen konnte. Ramona trug zwar einen gerüschten Push-up, aber was da nach oben gedrückt wurde waren keinesfalls Milchdrüsen sonder nur Haut und Bindegewebe in homöopathischen Dosen. Die vermeintlich rasierte Scham erwies sich bei näherer Betrachtung als ein vom fast unsichtbaren, zarten Flaum der Vorpubertät bedeckten Geschlechtsteil. Wie zum Teufel kamen solche Bilder auf seinen Rechner? War ihr da vielleicht ein unverzeihlicher Fehler unterlaufen? Eine Freistellung wegen Pornos auf dem Dienstrechner – da konnte man ja irgendwo wieder neu anfangen, ins Gefängnis kam man dafür nicht, aber was sie ihm hier angetan hatte, das kostete ihn mehr als seine Stelle.
Plötzlich öffnete sich die Tür und sie hatte keine Gelegenheit mehr, Desinteresse vorzuschützen, zu eindeutig stand sie hinter seinem Schreibtisch, zu entsetzt ihr Gesichtsausdruck.
Breisz erfasste sie Situation sofort. Wie der Blitz huschte er hinter seinen Schreibtisch, packte Kathrin an den schulterlangen Haaren und zerrte sie zu Boden. Sie dachte, er wolle ihr einfach nur eine Abreibung verpassen, aber er hatte grausamere Pläne. Er riss sie nur ein wenig nach oben, um sie dann gegen ein Gehäuse aus Plastik zu drücken. Warum tat er das? Während er sie krampfhaft festhielt, fummelte er nervös an der Steckerleiste herum und auf einen Schlag wurde Kathrin klar, wo genau ihr Gesicht sich befand: am Eingangsschlitz des Aktenschredders. Hastig tastete sie nach dem Kippschalter: Hinten lief der Schredder Rückwärts, vorne vorwärts und in der Mitte war er außer Betrieb. Sie brachte den Schalter in die Ruheposition. War das so richtig? War das bei allen Aktenschreddern gleich? Wollte er ihr nur Angst machen oder wollte er ihr Gesicht entstellen? Womöglich sogar ihre Zunge zerreißen, damit sie nicht mehr sprechen könnte? Unsinn, sie könnte dann ja immer noch schreiben. Aber wenn er sich dann auch ihre Finger vornähme?
Sie roch unangenehm. Nie hätte sie sich vorstellen können, dermaßen zu stinken. Das war wohl der Angstschweiß. Oder war das sein Paniksekret? Es roch süßlich, muffig, einen widerwärtigen Reiz am Gaumen auslösend und darüber lag eine Wolke eines landläufigen Herrendufts, charakterlos aber teuer. Er keuchte und fluchte. Seine Haltung schien ihm Beschwerden zu verursachen, das machte ihn unaufmerksam und sie nutzte den passenden Moment, um sich aus seinem festen Griff zu winden. Sie rammte ihren Kopf in seinen Schritt und versuchte, sich aufzurappeln. Er griff erneut nach ihren Haaren – das Konzept hatte sich immerhin bewährt, doch sie befreite sich diesmal mit einem Ruck, die Todesangst hatte ihre Schmerzgrenze erheblich herabgesetzt. Sie richtete sich auf und stürmte in Richtung Tür, als er von hinten ihre Taille umfasste und seinen Mund an ihr Ohr presste: „Wir werden schön den Mund halten, gell?“, raunte er. „Wir wollen doch unsere süße, kleine Karriere nicht aufs Spiel setzen, oder? Ich habe überall Freunde mit Einfluss, du hast nur Freundinnen mit Ausfluss, also überleg dir genau, was du jetzt tust.“
Sie rammte ihm den Ellbogen in die Leber, nicht planvoll, eher zufällig, dafür umso effizienter. Er brach stöhnend zusammen. Sie brachte sich in Sicherheit.
Eine Woche später hatte sie seinen Schreibtisch – und ein schlechtes Gewissen. Sie hatte ihm das angehängt. Gut, er war ein Drecksack, hatte einen Dämpfer verdient und es war ausgesprochen angenehm, nicht mehr mit ihm arbeiten zu müssen. Aber sie fühlte sich schäbig und sie ärgerte sich über ihre gutes Herz. Breisz hätte sich an ihrer Stelle nicht eine Sekunde schlecht gefühlt. Doch am Ende siegte das Gewissen wie so oft bei ihr. Sie ließ sich mit dem Kommissariat verbinden, das den Fall bearbeitete.
Als Kathrin zwei Stunden später auf dem Polizeipräsidium saß, ärgerte sie sich schon wieder über die eigene Ehrlichkeit. Sie hätte jetzt so schön auf ihrem blauen Sofa bei einem Cappuccino ihren Feierabend genießen können, aber jetzt gab es kein Zurück mehr.
„Herr Breisz ist unschuldig.“ erklärte sie. „Er hat die Pornoseiten nicht selbst heruntergeladen, ich habe die auf seinen Rechner gespielt.“ gab sie zu. „Es sollte ein Streich sein.“, log sie. „Ich wollte ihm ein paar ganz gängige Sexseiten auf die Festplatte mogeln, aber doch keine pädophilen Inhalte. Ich verstehe gar nicht, wie das passieren konnte.“
„Wie haben sie die Manipulation an seinem Laptop denn vorgenommen?“, fragte der Kommissar.
„Ich habe mich in seinen Rechner gehackt und dann diese Seiten installiert. Ich habe einen besonders billig klingenden Titel ausgewählt, Uschimuschi oder so.“
„Ja, dass diese Daten durch Manipulation von außen aufgespielt wurden, haben unsere Experten schon herausgefunden. Das waren dann also Sie.“
„Ja.“, gab Kathrin zerknirscht zu. „Ich schätze den Kollegen überhaupt nicht, aber ich kann doch nicht zulassen, dass er ins Gefängnis geht, nur weil ich ihm einen Streich spielen wollte.“
„Sagt Ihnen die Seite Lol*mops etwas?“
„Wie bitte? Äh, nein. Was ist das?“
„Eine Tauschbörse für pornographisches Material für Pädophile.“
„Warum sollte mir das etwas sagen?“
„Weil die Daten, die zur Verhaftung ihres Kollegen führten, aus diesem Kontext stammen. Die haben Sie nicht installiert. Das war er selbst. Warum sonst, glauben Sie, hat er Sie im Büro angegriffen?“
„Ich dachte, er hätte herausgefunden, dass ich ihm die Pornoseiten verpasst hatte.“
„Wie hätte er das herausfinden sollen?“
„Er hätte es ahnen können, spätestens, als er mich da hinter seinem Schreibtisch erwischte.“
„Er hat aber nie abgestritten, das Material selbst auf den Rechner geladen zu haben. Was er beharrlich abstreitet ist der Vorwurf, dass er selbst diese Aufnahmen gemacht hat.“
„Und?“, fragte Kathrin, „Hat er?“
„Dazu kann und darf ich Ihnen zu diesem Zeitpunkt keine Auskunft geben.“, sagte der Kommissar. „Allerdings müssen Sie mit einer Anzeige rechnen, eine Geldstrafe wird da sehr wahrscheinlich auf Sie zukommen, auch wenn der eine oder andere Richter denken wird, dass Sie sich da genau den Richtigen vorgenommen haben.“
Als Kathrin das Protokoll ihrer Aussage unterschrieb, ärgerte sie sich zum dritten Mal an diesem Tag über ihre Ehrlichkeit. Doch dann dachte sie sich, dass die Erkenntnis, dass nicht ihre Durchtriebenheit sondern seine eigene Widerwärtigkeit Breisz zu Fall gebracht hatte, diesen finanziellen Aufwand wert war.
ENDE – UND ZWAR ENDGÜLTIG
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Freitag, 17. November 2017
Ohne Tote
c. fabry, 10:32h
„Aber wohin ist die Summe verschwunden?“, fragte Miriam fassungslos.
Kathrin zuckte mit den Schultern und sah sie aus resignierten, traurigen Augen an. „Hier geht doch alles nur noch drunter und drüber, wird von Jahr zu Jahr schlimmer, Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann uns der Laden endgültig um die Ohren fliegt.“
„Ja, wir haben einfach zu wenig Personal.“, seufzte Miriam.
„Das stimmt.“, erwiderte Kathrin. „Aber das ist nicht der Grund. Personalmangel erklärt, dass Arbeit länger liegen bleibt, auch dass mal ein Fehler passiert oder etwas vergessen wird. Aber hier haben wir es mit einem anderen Problem zu tun.“
„Was meinst du?“
„Missmanagement.“, murmelte Kathrin kaum hörbar.
„Du meinst, die Leitung ist Schuld?“, fragte Miriam mit großen Augen.
„Pscht! Wenn das in falsche Ohren gelangt, verschwinden wir schneller, als ein DinA4-Blatt im Aktenschredder.“
„Aber was genau meinst du denn?“, hakte Miriam nach.
„Erzähle ich dir heute Abend.“, erklärte Kathrin. „Komm doch mal auf ein Glas Wein bei mir vorbei.“
Wie in einem schlechten Horrorfilm öffnete sich die Tür plötzlich mit einem gespenstischen Knarren und Breisz stand im Rahmen, den er mittlerweile fast ausfüllte. Als er als junger Spund – in der Hierarchie noch unter Kathrin – hier angefangen hatte, war er zwar nicht athletisch, aber doch durchschnittlich schlank gewesen. Nach mittlerweile fünfzehn Jahren sah er aus wie eine über die Höchstmenge befüllte Wärmflasche mit beginnender Materialermüdung, das konnten auch die hochwertige Kleidung und die Designerbrille nicht wettmachen.
„Sind die neuen Personalverträge soweit vorbereitet, Frau Tanski?“, fragte er Miriam.
Sie griff nach einer Aktenhülle in der Ablage und überreichte sie wortlos ihrem Chef.
Der nickte grunzend und verschwand direkt wieder.
„Siehst Du, was ich meine?“, zischte Kathrin.
Miriam nickte.
Abends saßen sie mit einem frischen Rosé auf Kathrins Balkon. Sie hatten beide nur noch zwei Wochen bis um Sommerurlaub, da war endlich einmal wieder Zeit zum Durchatmen.
„War ja gruselig, wie der Breisz plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte.“, nahm Miriam den Faden vom Vormittag wieder auf.
„Viel gruseliger finde ich, wie unsere Leute nach und nach verschwinden.“, erklärte Kathrin verbittert. „Meinst Du, Birte hat sich einfach so in einem anderen Amt beworben?“
„Nee.“, meinte Miriam. „Die hatte endgültig den Kaffee auf. Die ging ja förmlich unter in der Arbeit.“
„Ja, das wäre schon Grund genug gewesen.“, bemerkte Kathrin. „Aber Birte hatte vor allem Angst. Warum sonst, glaubst du, dass sie grundsätzlich nicht mehr für Rückfragen zur Verfügung steht? Sie hat sich in dem Zahlendschungel nicht mehr zurechtfinden können, weil Breisz ihr ständig dazwischen funkte, ihr Anweisungen erteilte, dieses so und jenes so zu buchen, weil er das so brauchte.“
„Du meinst, er wollte die Zahlen schönen?“
„Mindestens. Wenn er nicht sogar etwas beiseite geschafft hat. Ich glaube, Birte ist ihm draufgekommen und da hat er sie massiv unter Druck gesetzt, hat dafür gesorgt, dass es so aussieht, als wenn sie schlampig gearbeitet hätte, so dass er alles auf sie abwälzen konnte. So hat er es schon immer gemacht.“
„Warum hat er Dich eigentlich auf der Karriereleiter überholt?“, fragte Miriam. „Du warst doch ziemlich gut aufgestellt, noch keine dreißig und schon Leiterin der Personalabteilung. Ich weiß noch, wie du immer mit den Augen gerollt hast, als er anfing, dass er nichts kapierte, aber immer die Klappe ganz weit aufriss.“
„Ja, so setzt man sich durch in einer deutschen Verwaltung. Der Grund warum er Karriere gemacht hat und nicht ich ist ganz einfach: Er hat einen Penis und ich habe keinen.“
„Hättest dich ja hochschlafen können.“, kicherte Miriam.
„Ja, stimmt.“, überlegte Kathrin und grinste ironisch. „Den Job habe ich ja auch nur wegen meiner Rehaugen bekommen. Und beim Hochschlafen hat man dann ja auch einen Penis, zumindest vorübergehend.“
„Gab's Angebote?“
„Na ja, der Simons hat schon immer ein bisschen gierig geguckt, aber ich glaube, der war zu vorsichtig für sowas, das hätte seiner externen Karriere geschadet.“
„Also keine Chance auf einen Penis.“
„Auf jeden Fall kein Interesse. Ich habe auch keine Lust mehr, mich mit Breisz anzulegen. Der hat überall seine Buddys sitzen, da habe ich keine Chance. Ich mache nur noch das, was ich muss, dann gehe ich wenigstens nicht so abgearbeitet nach Hause und hier mache ich es mir dann schön.“
„Aber wenn wir den an den Eiern hätten, würden wir ihn endlich los.“, bemerkte Miriam eifrig. „Wenn wir ihn nicht aufhalten, dann fährt er den Karren endgültig in den Dreck und wir verlieren alle unseren Job.“
„Suchen wir uns eben einen neuen.“
„Aber so eine Position, wie du sie jetzt hast, bekommst du doch nie wieder, schon gar nicht mit diesem Gehalt. Obwohl du natürlich bessere Chancen hast als ein Verwaltungsleiter, der gerade einen ganzen Kirchenkreis in den Ruin getrieben hat.“
„Der kommt irgendwo unter. Fett schwimmt oben. Sieh dir das doch mal in der freien Wirtschaft an: da reiten Manager ganze Produktionszweige oder sogar Konzerne in den Konkurs, bekommen noch eine Abfindung, bei der es sich für uns gar nicht mehr lohnen würde, noch einmal arbeiten zu gehen und ratz fatz haben die einen neuen Job, in dem sie weiter Ressourcen verbrennen dürfen. Ich glaube, es gibt nicht eine einzige Frau, die sich so eine Nummer geleistet hat. Bestimmt sind die Mütter schuld, die ihre kleinen Sonnenscheine von Anfang an mit einem völlig unbegründeten, übersteigerten Selbstwertgefühl ausgestattet haben.“
„Und wenn wir mal etwas beiseite schaffen würden?“, überlegte Miriam. „Da käme niemand drauf, weil man uns das im Leben nicht zutraut.“
„Nein.“, sagte Kathrin, „am Ende landen wir im Knast, das ist es mir nicht wert. Aber ich hätte schon Lust auf einen kleinen Taschenspielertrick. Wenn wir Breisz seine Verfehlungen nicht nachweisen können, hängen wir ihm eben etwas an.“
Mit einem süffisanten Grinsen ließ sie ihren Dienstlaptop hochfahren.
ENDE
Kathrin zuckte mit den Schultern und sah sie aus resignierten, traurigen Augen an. „Hier geht doch alles nur noch drunter und drüber, wird von Jahr zu Jahr schlimmer, Es ist nur noch eine Frage der Zeit, wann uns der Laden endgültig um die Ohren fliegt.“
„Ja, wir haben einfach zu wenig Personal.“, seufzte Miriam.
„Das stimmt.“, erwiderte Kathrin. „Aber das ist nicht der Grund. Personalmangel erklärt, dass Arbeit länger liegen bleibt, auch dass mal ein Fehler passiert oder etwas vergessen wird. Aber hier haben wir es mit einem anderen Problem zu tun.“
„Was meinst du?“
„Missmanagement.“, murmelte Kathrin kaum hörbar.
„Du meinst, die Leitung ist Schuld?“, fragte Miriam mit großen Augen.
„Pscht! Wenn das in falsche Ohren gelangt, verschwinden wir schneller, als ein DinA4-Blatt im Aktenschredder.“
„Aber was genau meinst du denn?“, hakte Miriam nach.
„Erzähle ich dir heute Abend.“, erklärte Kathrin. „Komm doch mal auf ein Glas Wein bei mir vorbei.“
Wie in einem schlechten Horrorfilm öffnete sich die Tür plötzlich mit einem gespenstischen Knarren und Breisz stand im Rahmen, den er mittlerweile fast ausfüllte. Als er als junger Spund – in der Hierarchie noch unter Kathrin – hier angefangen hatte, war er zwar nicht athletisch, aber doch durchschnittlich schlank gewesen. Nach mittlerweile fünfzehn Jahren sah er aus wie eine über die Höchstmenge befüllte Wärmflasche mit beginnender Materialermüdung, das konnten auch die hochwertige Kleidung und die Designerbrille nicht wettmachen.
„Sind die neuen Personalverträge soweit vorbereitet, Frau Tanski?“, fragte er Miriam.
Sie griff nach einer Aktenhülle in der Ablage und überreichte sie wortlos ihrem Chef.
Der nickte grunzend und verschwand direkt wieder.
„Siehst Du, was ich meine?“, zischte Kathrin.
Miriam nickte.
Abends saßen sie mit einem frischen Rosé auf Kathrins Balkon. Sie hatten beide nur noch zwei Wochen bis um Sommerurlaub, da war endlich einmal wieder Zeit zum Durchatmen.
„War ja gruselig, wie der Breisz plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte.“, nahm Miriam den Faden vom Vormittag wieder auf.
„Viel gruseliger finde ich, wie unsere Leute nach und nach verschwinden.“, erklärte Kathrin verbittert. „Meinst Du, Birte hat sich einfach so in einem anderen Amt beworben?“
„Nee.“, meinte Miriam. „Die hatte endgültig den Kaffee auf. Die ging ja förmlich unter in der Arbeit.“
„Ja, das wäre schon Grund genug gewesen.“, bemerkte Kathrin. „Aber Birte hatte vor allem Angst. Warum sonst, glaubst du, dass sie grundsätzlich nicht mehr für Rückfragen zur Verfügung steht? Sie hat sich in dem Zahlendschungel nicht mehr zurechtfinden können, weil Breisz ihr ständig dazwischen funkte, ihr Anweisungen erteilte, dieses so und jenes so zu buchen, weil er das so brauchte.“
„Du meinst, er wollte die Zahlen schönen?“
„Mindestens. Wenn er nicht sogar etwas beiseite geschafft hat. Ich glaube, Birte ist ihm draufgekommen und da hat er sie massiv unter Druck gesetzt, hat dafür gesorgt, dass es so aussieht, als wenn sie schlampig gearbeitet hätte, so dass er alles auf sie abwälzen konnte. So hat er es schon immer gemacht.“
„Warum hat er Dich eigentlich auf der Karriereleiter überholt?“, fragte Miriam. „Du warst doch ziemlich gut aufgestellt, noch keine dreißig und schon Leiterin der Personalabteilung. Ich weiß noch, wie du immer mit den Augen gerollt hast, als er anfing, dass er nichts kapierte, aber immer die Klappe ganz weit aufriss.“
„Ja, so setzt man sich durch in einer deutschen Verwaltung. Der Grund warum er Karriere gemacht hat und nicht ich ist ganz einfach: Er hat einen Penis und ich habe keinen.“
„Hättest dich ja hochschlafen können.“, kicherte Miriam.
„Ja, stimmt.“, überlegte Kathrin und grinste ironisch. „Den Job habe ich ja auch nur wegen meiner Rehaugen bekommen. Und beim Hochschlafen hat man dann ja auch einen Penis, zumindest vorübergehend.“
„Gab's Angebote?“
„Na ja, der Simons hat schon immer ein bisschen gierig geguckt, aber ich glaube, der war zu vorsichtig für sowas, das hätte seiner externen Karriere geschadet.“
„Also keine Chance auf einen Penis.“
„Auf jeden Fall kein Interesse. Ich habe auch keine Lust mehr, mich mit Breisz anzulegen. Der hat überall seine Buddys sitzen, da habe ich keine Chance. Ich mache nur noch das, was ich muss, dann gehe ich wenigstens nicht so abgearbeitet nach Hause und hier mache ich es mir dann schön.“
„Aber wenn wir den an den Eiern hätten, würden wir ihn endlich los.“, bemerkte Miriam eifrig. „Wenn wir ihn nicht aufhalten, dann fährt er den Karren endgültig in den Dreck und wir verlieren alle unseren Job.“
„Suchen wir uns eben einen neuen.“
„Aber so eine Position, wie du sie jetzt hast, bekommst du doch nie wieder, schon gar nicht mit diesem Gehalt. Obwohl du natürlich bessere Chancen hast als ein Verwaltungsleiter, der gerade einen ganzen Kirchenkreis in den Ruin getrieben hat.“
„Der kommt irgendwo unter. Fett schwimmt oben. Sieh dir das doch mal in der freien Wirtschaft an: da reiten Manager ganze Produktionszweige oder sogar Konzerne in den Konkurs, bekommen noch eine Abfindung, bei der es sich für uns gar nicht mehr lohnen würde, noch einmal arbeiten zu gehen und ratz fatz haben die einen neuen Job, in dem sie weiter Ressourcen verbrennen dürfen. Ich glaube, es gibt nicht eine einzige Frau, die sich so eine Nummer geleistet hat. Bestimmt sind die Mütter schuld, die ihre kleinen Sonnenscheine von Anfang an mit einem völlig unbegründeten, übersteigerten Selbstwertgefühl ausgestattet haben.“
„Und wenn wir mal etwas beiseite schaffen würden?“, überlegte Miriam. „Da käme niemand drauf, weil man uns das im Leben nicht zutraut.“
„Nein.“, sagte Kathrin, „am Ende landen wir im Knast, das ist es mir nicht wert. Aber ich hätte schon Lust auf einen kleinen Taschenspielertrick. Wenn wir Breisz seine Verfehlungen nicht nachweisen können, hängen wir ihm eben etwas an.“
Mit einem süffisanten Grinsen ließ sie ihren Dienstlaptop hochfahren.
ENDE
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Donnerstag, 2. November 2017
Rotary – abgeschlossener Kurzkrimi mit Gelegenheit zur Fanfiction
c. fabry, 22:53h
Sie linste hinter der Orgel hervor. Alles wirkte ganz normal – keine schwarzen Kerzen, Opfertiere oder okkulten Symbole, die Altarkerzen brannten ruhig, die Bibel lag aufgeschlagen an ihrem Platz, die Anwesenden saßen wie jede Gemeinde ruhig in den Bänken, unauffällig gekleidet, wenn auch auffällig hochwertig. Als befremdlich erwies sich lediglich der Umstand, dass nur Männer anwesend waren.
Das Eingangslied „Die Nacht ist vorgedrungen“ stammte ebenfalls aus dem evangelischen Gesangbuch. Sie begann, sich für ihre Satanismus-Paranoia zu schämen. Eine ganz normale Adventsandacht des caritativen, männlichen Establishments. Sicherlich widerwärtig angesichts der mangelnden Bereitschaft, den unermesslichen Reichtum gerecht mit anderen zu teilen, aber überaus weltlich und nicht spiritistisch.
Der Kollege las einen kurzen biblischen Text aus der Offenbarung des Johannes. Das war nun wieder seltsam, handelte es sich um einen Predigttext für den Ewigkeitssonntag, an dem man der Toten und der Hoffnung auf das ewige Leben gedachte, aber es war auch nicht theologisch unangebracht, zumal die Jahreslosung für das neue Kirchenjahr darin enthalten war.
Er sprach vom Trost aus Gottes Wort, der Sehnsucht nach einer besseren Welt, der Erneuerung der Gemeinde, vom tröstenden Gott und der Hoffnung auf Gottes bleibende Stadt, in der jeder Durst mit dem Wasser des Lebens gestillt wird. Es waren die üblichen evangelischen Phrasen, derer sie sich zugegebenermaßen auch schon oft bedient hatte, wenn sie unsicher war oder ihr nichts Besseres einfiel.
Das war hier also das spirituelle Wellness-Programm für betuchte, netzwerkende Penisträger mit gesellschaftlichem, politischem und vor allem wirtschaftlichem Einfluss. Ihre durch die Bänke aufrechte Haltung mit straffen Schultern und geraden Köpfen ließ sie durchweg zufriedene, entspannte Gesichter vermuten, die vor Selbstgerechtigkeit trieften.
Bruder Bertram resümierte:
„Kinder teilen die Welt gern in schwarz und weiß, gut und böse, wir und ihr, richtig und falsch. Doch zum Erwachsenwerden gehört die Erkenntnis, dass es nur unendlich viele Grautöne gibt.“
Mein Gott! - , dachte Sarah – Jetzt kriegt er doch glatt noch die Kurve zu Fifty Shades Of Grey! -
Doch ihre Erwartung im Hinblick auf sexuelle Entfesselung wurde nicht bedient. Stattdessen fuhr er fort:
„Um unsere Ziele zu erreichen, müssen wir bereit sein, unkonventionelle Wege zu beschreiten. Wenn wir uns dabei die, für die wir uns doch einsetzen, nicht zu Feinden machen wollen, müssen wir oft im Verborgenen agieren, da geht es dann auch schon mal in anthrazitfarbene Abgründe. Aber das Ergebnis ist weiß oder zumindest lichtgrau. Schmieren Sie Asche auf Ihr weißes Hemd, ist es schmutzig. Machen Sie sich einen Fettfleck auf die weiße Weste, ist die Weste an dieser Stelle nicht mehr weiß. Doch mit Seife bekommen Sie beides wieder sauber. Und woraus wird Seife hergestellt? Aus Asche und Fett.
Wenn wir zusammenhalten, das Ziel nicht aus den Augen verlieren und den Kreis geschlossen halten, dann wird der eben besungene Morgenstern aufgehen und uns und allen anderen leuchten. Amen.“
Er unterstrich das Amen mit der Merkelraute.
Sarah zitterte. Auch wenn hier keine Insignien zu sehen waren, so war sie sicher, dass sie doch Recht gehabt hatte. Andreas in seiner grenzenlosen Naivität und zur Schau getragenen Offenheit hatte sich natürlich nichts dabei gedacht, Bruder Bertram die Kirche für eine Adventsandacht der Rotarier zur Verfügung zu stellen. Als sie ihn eindringlich gewarnt hatte, dass dieser geheime Männerbund in Verbindung zu den Freimaurern stehe und zum Teil mithilfe satanistischer Aktivitäten seine Macht ausbaue, hatte er sie ausgelacht und ihr geraten, die Finger von unseriösen Internetseiten zu lassen.
„Dr. Reinhard wird ein Gebet für uns alle sprechen und zum Abschluss singen wir noch einmal die erste Strophe des Liedes Nr. 16. Diesmal werde ich uns an der Orgel begleiten.“
Wie gelähmt beobachtete Sarah, wie Bruder Bertram mit festem Blick den Mittelgang entlangschritt, während Dr. Reinhard seine scheinbar harmlosen Gebetsworthülsen von sich gab. Hätte sie zugehört, wäre sie womöglich direkt ohnmächtig geworden. Bruder Bertram würde sie gleich hier finden, wie sollte sie ihm das erklären? Dass sie ihre Noten an der Orgel vergessen hätte? Ihre Gedanken rasten. Warum hatte er das Lied von Jochen Klepper ausgewählt? - Die Nacht ist vorgedrungen / der Tag ist nicht mehr fern. / So sei nun Lob gesungen / dem hellen Morgenstern./... - Sie hörte seine Schritte auf den ersten Treppenstufen. Natürlich! Sie konnte sich in das Turmzimmer verziehen. Vielleicht war die Verbindungstür zum Dachboden offen und dann könnte sie über die Treppe nach draußen gelangen. Nahezu lautlos huschte sie zur Tür, öffnete sie glücklich und zog sie sanft hinter sich ins Schloss.
Sie hörte, wie er den Deckel über dem Manual öffnete, wie er die notwendigen Register zog. Sie versuchte, die Tür zum Dachboden zu öffnen, doch die war verschlossen. Dann musste sie eben warten, bis die rotierenden Testosteronschleudern abgezogen waren. Seine glatten Ledersohlen klapperten auf dem Pedal. Er spielte und sang selbst mit Inbrunst: „Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“
Das Lied war zu Ende. Die Register wurden zurück geschoben, der Deckel über dem Manual geschlossen. Die glatten Ledersohlen klapperten nun auf den alten Fichtendielen. Sie kamen näher. Die Türklinke wurde nach unten gedrückt, die Tür öffnete sich. Er sah ihr wissend in die Augen. Sie fröstelte.
ENDE – oder?
Wer mag, kann eine Fortsetzung schreiben, die wird dann unter Angabe der Quelle in der Buchversion dieses Blogs veröffentlicht.
Das Eingangslied „Die Nacht ist vorgedrungen“ stammte ebenfalls aus dem evangelischen Gesangbuch. Sie begann, sich für ihre Satanismus-Paranoia zu schämen. Eine ganz normale Adventsandacht des caritativen, männlichen Establishments. Sicherlich widerwärtig angesichts der mangelnden Bereitschaft, den unermesslichen Reichtum gerecht mit anderen zu teilen, aber überaus weltlich und nicht spiritistisch.
Der Kollege las einen kurzen biblischen Text aus der Offenbarung des Johannes. Das war nun wieder seltsam, handelte es sich um einen Predigttext für den Ewigkeitssonntag, an dem man der Toten und der Hoffnung auf das ewige Leben gedachte, aber es war auch nicht theologisch unangebracht, zumal die Jahreslosung für das neue Kirchenjahr darin enthalten war.
Er sprach vom Trost aus Gottes Wort, der Sehnsucht nach einer besseren Welt, der Erneuerung der Gemeinde, vom tröstenden Gott und der Hoffnung auf Gottes bleibende Stadt, in der jeder Durst mit dem Wasser des Lebens gestillt wird. Es waren die üblichen evangelischen Phrasen, derer sie sich zugegebenermaßen auch schon oft bedient hatte, wenn sie unsicher war oder ihr nichts Besseres einfiel.
Das war hier also das spirituelle Wellness-Programm für betuchte, netzwerkende Penisträger mit gesellschaftlichem, politischem und vor allem wirtschaftlichem Einfluss. Ihre durch die Bänke aufrechte Haltung mit straffen Schultern und geraden Köpfen ließ sie durchweg zufriedene, entspannte Gesichter vermuten, die vor Selbstgerechtigkeit trieften.
Bruder Bertram resümierte:
„Kinder teilen die Welt gern in schwarz und weiß, gut und böse, wir und ihr, richtig und falsch. Doch zum Erwachsenwerden gehört die Erkenntnis, dass es nur unendlich viele Grautöne gibt.“
Mein Gott! - , dachte Sarah – Jetzt kriegt er doch glatt noch die Kurve zu Fifty Shades Of Grey! -
Doch ihre Erwartung im Hinblick auf sexuelle Entfesselung wurde nicht bedient. Stattdessen fuhr er fort:
„Um unsere Ziele zu erreichen, müssen wir bereit sein, unkonventionelle Wege zu beschreiten. Wenn wir uns dabei die, für die wir uns doch einsetzen, nicht zu Feinden machen wollen, müssen wir oft im Verborgenen agieren, da geht es dann auch schon mal in anthrazitfarbene Abgründe. Aber das Ergebnis ist weiß oder zumindest lichtgrau. Schmieren Sie Asche auf Ihr weißes Hemd, ist es schmutzig. Machen Sie sich einen Fettfleck auf die weiße Weste, ist die Weste an dieser Stelle nicht mehr weiß. Doch mit Seife bekommen Sie beides wieder sauber. Und woraus wird Seife hergestellt? Aus Asche und Fett.
Wenn wir zusammenhalten, das Ziel nicht aus den Augen verlieren und den Kreis geschlossen halten, dann wird der eben besungene Morgenstern aufgehen und uns und allen anderen leuchten. Amen.“
Er unterstrich das Amen mit der Merkelraute.
Sarah zitterte. Auch wenn hier keine Insignien zu sehen waren, so war sie sicher, dass sie doch Recht gehabt hatte. Andreas in seiner grenzenlosen Naivität und zur Schau getragenen Offenheit hatte sich natürlich nichts dabei gedacht, Bruder Bertram die Kirche für eine Adventsandacht der Rotarier zur Verfügung zu stellen. Als sie ihn eindringlich gewarnt hatte, dass dieser geheime Männerbund in Verbindung zu den Freimaurern stehe und zum Teil mithilfe satanistischer Aktivitäten seine Macht ausbaue, hatte er sie ausgelacht und ihr geraten, die Finger von unseriösen Internetseiten zu lassen.
„Dr. Reinhard wird ein Gebet für uns alle sprechen und zum Abschluss singen wir noch einmal die erste Strophe des Liedes Nr. 16. Diesmal werde ich uns an der Orgel begleiten.“
Wie gelähmt beobachtete Sarah, wie Bruder Bertram mit festem Blick den Mittelgang entlangschritt, während Dr. Reinhard seine scheinbar harmlosen Gebetsworthülsen von sich gab. Hätte sie zugehört, wäre sie womöglich direkt ohnmächtig geworden. Bruder Bertram würde sie gleich hier finden, wie sollte sie ihm das erklären? Dass sie ihre Noten an der Orgel vergessen hätte? Ihre Gedanken rasten. Warum hatte er das Lied von Jochen Klepper ausgewählt? - Die Nacht ist vorgedrungen / der Tag ist nicht mehr fern. / So sei nun Lob gesungen / dem hellen Morgenstern./... - Sie hörte seine Schritte auf den ersten Treppenstufen. Natürlich! Sie konnte sich in das Turmzimmer verziehen. Vielleicht war die Verbindungstür zum Dachboden offen und dann könnte sie über die Treppe nach draußen gelangen. Nahezu lautlos huschte sie zur Tür, öffnete sie glücklich und zog sie sanft hinter sich ins Schloss.
Sie hörte, wie er den Deckel über dem Manual öffnete, wie er die notwendigen Register zog. Sie versuchte, die Tür zum Dachboden zu öffnen, doch die war verschlossen. Dann musste sie eben warten, bis die rotierenden Testosteronschleudern abgezogen waren. Seine glatten Ledersohlen klapperten auf dem Pedal. Er spielte und sang selbst mit Inbrunst: „Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.“
Das Lied war zu Ende. Die Register wurden zurück geschoben, der Deckel über dem Manual geschlossen. Die glatten Ledersohlen klapperten nun auf den alten Fichtendielen. Sie kamen näher. Die Türklinke wurde nach unten gedrückt, die Tür öffnete sich. Er sah ihr wissend in die Augen. Sie fröstelte.
ENDE – oder?
Wer mag, kann eine Fortsetzung schreiben, die wird dann unter Angabe der Quelle in der Buchversion dieses Blogs veröffentlicht.
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1975 – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 22:47h
Irritiert legte Sieglinde Ostholt den Telefonhörer zurück auf die Gabel. Das war sicher einer dieser Augenblicke, in denen ihr bewusst wurde, dass sie erst ein Jahr im Amt war. Eigentlich konnte sie es noch immer nicht fassen, dass sie hier gelandet war, ausgerechnet in dieser Wohlstands-verwöhnten, von der Erweckungsbewegung gründlich durc hsetzten Provinzgemeinde. Eine Pfarrstelle im Ruhrgebiet wäre realistisch gewesen, da wollte niemand hin, die gaben sich dann auch mit einer Frau zufrieden. Dass es ausgerechnet hier geklappt hatte, grenzte an ein Wunder.
Nun musste sie peinlich darauf achten, dass ihr möglichst keine Fehler unterliefen, damit sie sich ihrer Wahl auch als würdig erwies. Doch dieser Fehler war eklatant: Sie hatte einen Termin für ein Taufgespräch vereinbart, ohne die Mutter nach ihrem Namen zu fragen. Die Mutter hatte sich aber auch nicht mit Namen gemeldet, sondern war direkt mit der Tür ins Haus gefallen: „Guten Tag, wir möchten gern unsere kleine Tochter taufen lassen. Was müssen wir dafür tun?“
„Das würden wir bei einem Taufgespräch klären, da können wir jetzt direkt einen Termin vereinbaren. Wann hätten Sie denn grundsätzlich Zeit?“
„Am besten passt mir der späte Nachmittag.“, antwortete die Frau. „Da schläft die Kleine und zur Not ist mein Mann dann zu Hause.“
„Wie wäre es denn am Dienstag gegen 17.30 Uhr?“
„Ja, das passt mir gut.“
„Normalerweise komme ich dann zum Taufgespräch sowieso zu Ihnen nach Hause.“
„Ach nein, ich würde das lieber direkt in der Kirche machen. Da kann ich mir das alles besser vorstellen.“
„Meinetwegen. Ganz wie Sie wünschen. Dann also am Dienstag.“
„Ja, vielen Dank und auf Wiedersehen.“
Und jetzt wusste sie nicht einmal, mit wem sie am Dienstag in der Kirche verabredet war. Es war ihr aber auch ganz selbstverständlich vorgekommen, nicht nach dem Namen zu fragen, und da die Verabredung ja zu ihr kam, war es im Grunde egal.
VIER TAGE SPÄTER
Sieglinde eilte durch den Seiteneingang in die offene Kirche, der Küster hatte auch den Haupteingang aufgeschlossen, falls die Mutter also etwas früher gekommen war, musste sie zumindest nicht draußen warten. Es war ja doch schon dunkel und überdies windig, kalt und regnerisch.
Die Konfirmandengruppe war heute wieder besonders anstrengend gewesen, und weil sie noch mit einigen ein persönliches Wort hatte sprechen müssen, hatte sie nicht pünktlich die Tür schließen können. Jetzt war es schon drei Minuten nach halb und sie nahm durch die offene Jacke eine unangenehme Schweißwolke wahr. Hoffentlich hatte die Mutter keine allzu empfindliche Nase.
Die Kirche war leer und dunkel. Sie hatte vergessen, den Küster darum zu bitten, auch das Licht anzumachen. Für alles brauchte der Mann eine Extra-Aufforderung, Mitdenken war nicht seine Sache. Sie eilte zum Westwerk, wo sich der Raum mit den Lichtschaltern befand. Hier war mal wieder die Birne kaputt. Sie legte den Schalter für die Beleuchtung der Vierung um, aber als sie wieder heraustrat, war die Kirche so dunkel wie zuvor. Sie probierte sämtliche Schalter aus, doch nichts tat sich.
„Muss ein Stromausfall sein.“, murmelte sie, um sich selbst zu beruhigen, denn ein unangenehmes Kribbeln breitete sich vom Nacken über die Kopfhaut aus.
Es konnte auch kein allgemeiner Stromausfall vorliegen, denn von außen drangen die Lichter der Straßenbeleuchtung durch die Buntglasscheiben und ermöglichten ihr, sich halbwegs in der Kirche zurechtzufinden. Schaurig schön war das altehrwürdige Gebäude in der Dunkelheit, mit den hohen Gewölbedecken, den massiven Säulen und den gewaltigen Messingkronleuchtern, die das wenige Licht, das von außen hereinfiel, an einigen Stellen reflektierten.
Sie tastete sich zur Sakristei vor, denn sie wusste genau, in welchem Schrankfach sich die Streichhölzer befanden. Ihr Plan ging auf und schon wenig später entzündete sie die Altarkerzen. Selbst im Schein dieser bescheidenen Lichtquellen leuchtete der Wandschmuck der Apsis schillernd und geheimnisvoll. Wie hatten die alten Baumeister nur so einen perfekten Ort der Kontemplation schaffen können?
Sieglinde hörte ein Geräusch. War es der Haupteingang oder die Seitentür? Sie machte ein paar Schritte vom Altar weg. Die Akustik dieser Kirche war vertrackt, man konnte nie genau lokalisieren, woher ein Geräusch kam. Da sie niemanden sah, drehte sie sich wieder um und erschrak. Hinter dem Altar stand eine Gestalt. Es war eine Frau mit einem straff aufgesteckten Haarknoten. Die Haare lagen so eng am Kopf, dass die Erscheinung in Verbindung mit den hageren Zügen wie ein skelettierter Schädel wirkte.
„Sieglinde“, sagte die Frau mit bedrohlich ruhiger, fester Stimme.
Wie kam die fremde Frau dazu, hier im Altarraum herumzugeistern und sie außerdem mit ihrem Vornamen anzusprechen?
„Wo sind Sie denn auf einmal hergekommen?“, fragte die Pfarrerin überrascht.
„Ja, du warst noch nie besonders helle.“, antwortete die Gestalt.
„Kennen wir uns?“, fragte Sieglinde.
Die Frau trat hinter dem Altar hervor und kam auf die verunsicherte Theologin zu. Sie trug einen dunkelgrauen, knieumspielenden Popelinemantel mit kariertem Futter in den Aufschlägen, den sie in ihrer schmalen Taille mit einem Gürtel eng an den Körper gebunden hatte.
„Das ist wohl dein Fluch, Sieglinde“, erwiderte die Frau, „dass du dein eigen Fleisch und Blut nicht mehr erkennst, nachdem du uns verraten hast.“
Die Pfarrerin spürte, wie unfreiwillige Muskelkontraktionen ihr Gesicht zucken ließen.
„Brunhild!“, keuchte sie. „Was machst du denn hier? Ich habe gar keine Zeit, ich bin zum Taufgespräch verabredet.“
Brunhild lachte heiser. „Dick und doof wie eh und je.“, sagte sie. „Und habe ich dir nicht beigebracht, dich ordentlich zu waschen? Du riechst wie ein ganzer Schweinestall. Ach ja, und im übrigen bin ich das Taufgespräch.“
„Du durchtriebene Giftspritze!“, erwiderte Sieglinde. „Mach sofort, dass du hier rauskommst, du sadistischer Hungerhaken. Ich war schon vor zehn Jahren fertig mit dir und ich habe nicht die Absicht, den Faden wieder aufzunehmen.“
„Das musst du auch nicht.“, sagte Brunhild mit Unheil verkündender Stimme. „Deine Reise endet hier. Oder dachtest du tatsächlich, du würdest nach allem, was du der Familie angetan hast, mit heiler Haut und einem glücklichen, langen Leben davonkommen?“
„Nicht ich habe der Familie etwas angetan, das war unser Vater. Ich habe dafür gesorgt, dass wir wieder aufrecht durchs Leben gehen können.“
„Ach, jetzt bildest du dur auch noch ein, du hättest mit deinem niederträchtigen Denunziantentum die Familienehre wiederhergestellt?“
„So weit würde ich nicht gehen.“
„Oh, wie überaus rücksichtsvoll von dir. Du hast unseren Vater ins Gefängnis gebracht und ihn damit in den Selbstmord getrieben. Der Kummer hat unsere Mutter todkrank gemacht, und Helmut stürzt von einer Depression in die nächste und kriegt sein Leben nicht in den Griff. Ich darf alles, so gut es geht, zusammenhalten, und du machst erst alles kaputt und lässt uns danach im Stich in unserem Elend. Nicht einmal deine alte Mutter besuchst du.“
„Meine alte Mutter hat die Verbrechen ihres Ehemanns gedeckt und auch ideologisch mitgetragen. Weißt du, wie viele Juden er ins KZ gebracht hat?“
„Nein, und das ist mir auch egal.“
„Ach, das ist dir egal, dass unser Vater ein Massenmörder war, aber wenn ich nicht zulassen will, dass der Mantel des Schweigens über diesem Verbrechen ausgebreitet wird, werde ich plötzlich zur Täterin? Und mach mir nicht Helmuts Depressionen zum Vorwurf! Helmut ist an seinem verlogenen und erbarmungslosen Elternhaus zerbrochen, der war schon depressiv bevor ich unseren Vater angezeigt habe. Im übrigen hatte ich im Gegensatz zu dir zu Helmut noch regelmäßig Kontakt. Der fühlt sich eher von seiner Mutter und von seiner großen Schwester im Stich gelassen.“
„Ja, so warst du schon immer.“, zischte Brunhild. „Das unschuldige Küken, dem 1945 die Gnade der späten Geburt zuteil wurde, während ich schon auf der Welt war, als der Krieg begann. Ich war erst neun, als du geboren wurdest. Helmut war fünf und hing dauernd an meinem Rockzipfel und du hast immer nur geschrien und unsere Mutter war zu krank, um dich zu versorgen. Aber du hast dich immer nur von allen bemuttern lassen. Nie musstest du dir etwas erkämpfen, alles ist dir einfach in den Schoß gefallen und zum Dank zerstörst du die, die alles für dich getan haben. Aber weißt du was? Ohne mich wärst du niemals erwachsen geworden. Darum nehme ich mir jetzt auch das Recht, mir das zurückzuholen, was ich zu viel gegeben habe.“
Wie der Blitz schnellte Brunhilds Arm aus der Manteltasche hervor. Einem Traum gleich nahm Sieglinde für den Bruchteil einer Sekunde eine schwache Lichtreflexion wahr, dann einen unsäglichen Schmerz, dann gar nichts mehr.
Sieglinde Ostholt, eine vielversprechende, junge Pfarrerin, wurde nur dreißig Jahre alt. Der Küster fand sie am nächsten Morgen vor dem Altar, die Kerzen waren fast heruntergebrannt, aber sie leuchteten noch. In der Pfarrerin brannte nichts mehr, sie war kalt und erstarrt. Ein Täter wurde nie ermittelt. Erst Tage später stellte man fest, dass jemand die Hauptsicherung für die Stromversorgung herausgenommen hatte. Man ging von einem psychotischen Einzeltäter aus, und eigentlich lag man damit gar nicht so verkehrt. Niemand sah einen Zusammenhang zu dem wenig später folgenden Suizid eines arbeitslosen Werkzeugmachers in einer anderen Stadt. Er war fünf Jahre älter als die Pfarrerin. Und er hieß Helmut.
Nun musste sie peinlich darauf achten, dass ihr möglichst keine Fehler unterliefen, damit sie sich ihrer Wahl auch als würdig erwies. Doch dieser Fehler war eklatant: Sie hatte einen Termin für ein Taufgespräch vereinbart, ohne die Mutter nach ihrem Namen zu fragen. Die Mutter hatte sich aber auch nicht mit Namen gemeldet, sondern war direkt mit der Tür ins Haus gefallen: „Guten Tag, wir möchten gern unsere kleine Tochter taufen lassen. Was müssen wir dafür tun?“
„Das würden wir bei einem Taufgespräch klären, da können wir jetzt direkt einen Termin vereinbaren. Wann hätten Sie denn grundsätzlich Zeit?“
„Am besten passt mir der späte Nachmittag.“, antwortete die Frau. „Da schläft die Kleine und zur Not ist mein Mann dann zu Hause.“
„Wie wäre es denn am Dienstag gegen 17.30 Uhr?“
„Ja, das passt mir gut.“
„Normalerweise komme ich dann zum Taufgespräch sowieso zu Ihnen nach Hause.“
„Ach nein, ich würde das lieber direkt in der Kirche machen. Da kann ich mir das alles besser vorstellen.“
„Meinetwegen. Ganz wie Sie wünschen. Dann also am Dienstag.“
„Ja, vielen Dank und auf Wiedersehen.“
Und jetzt wusste sie nicht einmal, mit wem sie am Dienstag in der Kirche verabredet war. Es war ihr aber auch ganz selbstverständlich vorgekommen, nicht nach dem Namen zu fragen, und da die Verabredung ja zu ihr kam, war es im Grunde egal.
VIER TAGE SPÄTER
Sieglinde eilte durch den Seiteneingang in die offene Kirche, der Küster hatte auch den Haupteingang aufgeschlossen, falls die Mutter also etwas früher gekommen war, musste sie zumindest nicht draußen warten. Es war ja doch schon dunkel und überdies windig, kalt und regnerisch.
Die Konfirmandengruppe war heute wieder besonders anstrengend gewesen, und weil sie noch mit einigen ein persönliches Wort hatte sprechen müssen, hatte sie nicht pünktlich die Tür schließen können. Jetzt war es schon drei Minuten nach halb und sie nahm durch die offene Jacke eine unangenehme Schweißwolke wahr. Hoffentlich hatte die Mutter keine allzu empfindliche Nase.
Die Kirche war leer und dunkel. Sie hatte vergessen, den Küster darum zu bitten, auch das Licht anzumachen. Für alles brauchte der Mann eine Extra-Aufforderung, Mitdenken war nicht seine Sache. Sie eilte zum Westwerk, wo sich der Raum mit den Lichtschaltern befand. Hier war mal wieder die Birne kaputt. Sie legte den Schalter für die Beleuchtung der Vierung um, aber als sie wieder heraustrat, war die Kirche so dunkel wie zuvor. Sie probierte sämtliche Schalter aus, doch nichts tat sich.
„Muss ein Stromausfall sein.“, murmelte sie, um sich selbst zu beruhigen, denn ein unangenehmes Kribbeln breitete sich vom Nacken über die Kopfhaut aus.
Es konnte auch kein allgemeiner Stromausfall vorliegen, denn von außen drangen die Lichter der Straßenbeleuchtung durch die Buntglasscheiben und ermöglichten ihr, sich halbwegs in der Kirche zurechtzufinden. Schaurig schön war das altehrwürdige Gebäude in der Dunkelheit, mit den hohen Gewölbedecken, den massiven Säulen und den gewaltigen Messingkronleuchtern, die das wenige Licht, das von außen hereinfiel, an einigen Stellen reflektierten.
Sie tastete sich zur Sakristei vor, denn sie wusste genau, in welchem Schrankfach sich die Streichhölzer befanden. Ihr Plan ging auf und schon wenig später entzündete sie die Altarkerzen. Selbst im Schein dieser bescheidenen Lichtquellen leuchtete der Wandschmuck der Apsis schillernd und geheimnisvoll. Wie hatten die alten Baumeister nur so einen perfekten Ort der Kontemplation schaffen können?
Sieglinde hörte ein Geräusch. War es der Haupteingang oder die Seitentür? Sie machte ein paar Schritte vom Altar weg. Die Akustik dieser Kirche war vertrackt, man konnte nie genau lokalisieren, woher ein Geräusch kam. Da sie niemanden sah, drehte sie sich wieder um und erschrak. Hinter dem Altar stand eine Gestalt. Es war eine Frau mit einem straff aufgesteckten Haarknoten. Die Haare lagen so eng am Kopf, dass die Erscheinung in Verbindung mit den hageren Zügen wie ein skelettierter Schädel wirkte.
„Sieglinde“, sagte die Frau mit bedrohlich ruhiger, fester Stimme.
Wie kam die fremde Frau dazu, hier im Altarraum herumzugeistern und sie außerdem mit ihrem Vornamen anzusprechen?
„Wo sind Sie denn auf einmal hergekommen?“, fragte die Pfarrerin überrascht.
„Ja, du warst noch nie besonders helle.“, antwortete die Gestalt.
„Kennen wir uns?“, fragte Sieglinde.
Die Frau trat hinter dem Altar hervor und kam auf die verunsicherte Theologin zu. Sie trug einen dunkelgrauen, knieumspielenden Popelinemantel mit kariertem Futter in den Aufschlägen, den sie in ihrer schmalen Taille mit einem Gürtel eng an den Körper gebunden hatte.
„Das ist wohl dein Fluch, Sieglinde“, erwiderte die Frau, „dass du dein eigen Fleisch und Blut nicht mehr erkennst, nachdem du uns verraten hast.“
Die Pfarrerin spürte, wie unfreiwillige Muskelkontraktionen ihr Gesicht zucken ließen.
„Brunhild!“, keuchte sie. „Was machst du denn hier? Ich habe gar keine Zeit, ich bin zum Taufgespräch verabredet.“
Brunhild lachte heiser. „Dick und doof wie eh und je.“, sagte sie. „Und habe ich dir nicht beigebracht, dich ordentlich zu waschen? Du riechst wie ein ganzer Schweinestall. Ach ja, und im übrigen bin ich das Taufgespräch.“
„Du durchtriebene Giftspritze!“, erwiderte Sieglinde. „Mach sofort, dass du hier rauskommst, du sadistischer Hungerhaken. Ich war schon vor zehn Jahren fertig mit dir und ich habe nicht die Absicht, den Faden wieder aufzunehmen.“
„Das musst du auch nicht.“, sagte Brunhild mit Unheil verkündender Stimme. „Deine Reise endet hier. Oder dachtest du tatsächlich, du würdest nach allem, was du der Familie angetan hast, mit heiler Haut und einem glücklichen, langen Leben davonkommen?“
„Nicht ich habe der Familie etwas angetan, das war unser Vater. Ich habe dafür gesorgt, dass wir wieder aufrecht durchs Leben gehen können.“
„Ach, jetzt bildest du dur auch noch ein, du hättest mit deinem niederträchtigen Denunziantentum die Familienehre wiederhergestellt?“
„So weit würde ich nicht gehen.“
„Oh, wie überaus rücksichtsvoll von dir. Du hast unseren Vater ins Gefängnis gebracht und ihn damit in den Selbstmord getrieben. Der Kummer hat unsere Mutter todkrank gemacht, und Helmut stürzt von einer Depression in die nächste und kriegt sein Leben nicht in den Griff. Ich darf alles, so gut es geht, zusammenhalten, und du machst erst alles kaputt und lässt uns danach im Stich in unserem Elend. Nicht einmal deine alte Mutter besuchst du.“
„Meine alte Mutter hat die Verbrechen ihres Ehemanns gedeckt und auch ideologisch mitgetragen. Weißt du, wie viele Juden er ins KZ gebracht hat?“
„Nein, und das ist mir auch egal.“
„Ach, das ist dir egal, dass unser Vater ein Massenmörder war, aber wenn ich nicht zulassen will, dass der Mantel des Schweigens über diesem Verbrechen ausgebreitet wird, werde ich plötzlich zur Täterin? Und mach mir nicht Helmuts Depressionen zum Vorwurf! Helmut ist an seinem verlogenen und erbarmungslosen Elternhaus zerbrochen, der war schon depressiv bevor ich unseren Vater angezeigt habe. Im übrigen hatte ich im Gegensatz zu dir zu Helmut noch regelmäßig Kontakt. Der fühlt sich eher von seiner Mutter und von seiner großen Schwester im Stich gelassen.“
„Ja, so warst du schon immer.“, zischte Brunhild. „Das unschuldige Küken, dem 1945 die Gnade der späten Geburt zuteil wurde, während ich schon auf der Welt war, als der Krieg begann. Ich war erst neun, als du geboren wurdest. Helmut war fünf und hing dauernd an meinem Rockzipfel und du hast immer nur geschrien und unsere Mutter war zu krank, um dich zu versorgen. Aber du hast dich immer nur von allen bemuttern lassen. Nie musstest du dir etwas erkämpfen, alles ist dir einfach in den Schoß gefallen und zum Dank zerstörst du die, die alles für dich getan haben. Aber weißt du was? Ohne mich wärst du niemals erwachsen geworden. Darum nehme ich mir jetzt auch das Recht, mir das zurückzuholen, was ich zu viel gegeben habe.“
Wie der Blitz schnellte Brunhilds Arm aus der Manteltasche hervor. Einem Traum gleich nahm Sieglinde für den Bruchteil einer Sekunde eine schwache Lichtreflexion wahr, dann einen unsäglichen Schmerz, dann gar nichts mehr.
Sieglinde Ostholt, eine vielversprechende, junge Pfarrerin, wurde nur dreißig Jahre alt. Der Küster fand sie am nächsten Morgen vor dem Altar, die Kerzen waren fast heruntergebrannt, aber sie leuchteten noch. In der Pfarrerin brannte nichts mehr, sie war kalt und erstarrt. Ein Täter wurde nie ermittelt. Erst Tage später stellte man fest, dass jemand die Hauptsicherung für die Stromversorgung herausgenommen hatte. Man ging von einem psychotischen Einzeltäter aus, und eigentlich lag man damit gar nicht so verkehrt. Niemand sah einen Zusammenhang zu dem wenig später folgenden Suizid eines arbeitslosen Werkzeugmachers in einer anderen Stadt. Er war fünf Jahre älter als die Pfarrerin. Und er hieß Helmut.
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