... newer stories
Samstag, 20. Mai 2017
Kita-Cluedo – Auflösung – Die Geschichte hinter der Geschichte
c. fabry, 17:09h
Donnerstag, 11.25 Uhr
Ingo Sondermühlen stieg aus seinem weißen Kleinwagen. Der Lack war schadhaft und glanzlos, aber das fiel bei einem weißen Auto nicht so eklatant ins Auge. Er hatte lange überlegt, ob er es wagen sollte. Wenn ihn nun jemand erwischte? Die Kinder nebenan in der Kita waren krakeelend in ihr Spiel vertieft. Immer wieder linste er zu den Fenstern der Nummer 25 herüber, um einen Blick auf Annika zu erhaschen. Dabei ging er möglichst unauffällig auf und ab.
11.45 Uhr
Heute war im Puff nicht viel zu tun. Hatten die am Mittwoch wohl nicht so viel Betrieb. Es war ja auch besonders schönes Wetter und die Leute hatten sich in den Biergärten gedrängt wie Zwiebeln auf dem Acker. Manchmal gab es besonders unappetitliche Flecken, denn manche Freier standen auf Spielchen mit Exkrementen und die Nutten machten nur das Gröbste weg, dafür hatten sie ja schließlich eine Putzfrau. Das war bei dem anderen Anstellungsträger schon angenehmer, auch wenn er nicht so gut zahlte. Ganz früher, da war es noch richtig gut gewesen. Da hatte sie einen Job als Reinigungskraft in ihrer Kirchengemeinde gehabt. Sie hatte Gemeindehaus und Kirche geputzt, der Küster war nur für geistliche Aufgaben zuständig gewesen. Die Kirche hatte sie anständig bezahlt, mit allen Sicherheiten und Zusatzversorgungen. Aber dann war ihnen nach und nach die Kohle ausgegangen. Die Sekretärin hatte ihr gesteckt, dass der Laden nur Pleite ging, weil die viel zu vielen Pfarrer frühzeitig in Rente gingen und dadurch natürlich noch länger lebten und Jahrzehntelang Ruhegehalt kassierten, schon ab 58 und das alles ohne Abzüge. Darum verschwanden nach und nach alle anderen Berufsgruppen aus der Kirche und irgendwann würden die Pfarrer alles allein machen müssen oder es ihren Ehrenamtlichen aufhalsen, bis die auch die Schnauze voll hätten und dann wäre aber so was von Schluss mit lustig. Sie hatten ihr dann diesen Job bei der Service-Abteilung der Diakonie angeboten und sie hatte angenommen, was blieb ihr anderes übrig? Zwei Einsatzorte, täglich geteilter Dienst und viel weniger Lohn, da hatte sie sich dann den Turnhallenjob gesucht und schließlich den besser bezahlten Job im Puff. Hier ließ man sie wenigstens in Ruhe. In der Diakonie stand immer einer hinter ihr und machte Stress. Der Schlimmst von allen war der Chef, dieser Frederking. Wenn er auf seinem lächerlichen Segway die Bielefelder Dorfstraße herunterfuhr, war das schon peinlich genug, aber am lächerlichsten war es, wenn er damit von seinem Büro in den Aufzug fuhr und wenn er Mitarbeitenden begegnete, stieg er nicht ab, sondern blieb auf seinem Sockel stehen und bellte Kommandos oder andere Demütigungen. Sie hatte sich ihm gegenüber immer so ausgeliefert gefühlt in ihrer ohnmächtigen Wut.
Dann, etwa vor einem halben Jahr, hatte sie zufällig ein Video auf Youtube entdeckt: In dem Puff, in dem sie arbeitete, feierten drei Männer ausgelassen mit sechs Nutten eine Champagner-Orgie im Whirlpool: Der Industrielle Auer von der Eurodent, der Oberkirchenfuzzi Schuster und mittendrin Frederking, in einem Arm eine Nutte, im anderen eine Flasche Schampus und das Goldkettchen glitzerte an seinem Hals. Wer auch immer das gefilmt und ins Netz gestellt hatte, hatte sich natürlich strafbar gemacht, aber sie hatte sich das Filmchen gesichert: auf der Festplatte und auf einem Stick. Mit diesem Stick hatte sie Frederking in der Hand. Sie arbeitete nur noch an dem perfekten Plan, wie sie ihn damit erpressen konnte, ohne dass ihr etwas nachzuweisen war und sie stand kurz vor der Lösung des Problems.
12.10 Uhr
Die Erzieherin auf dem Außengelände schien auf ihn aufmerksam geworden zu sein. Ingo Sondermühlen gab sein Vorhaben für heute auf. Annika lief ihm so schnell nicht weg. Er könnte ja am Samstag wieder kommen, dann war kein Betrieb in der Kita, aber immer noch genug Geschäftigkeit auf der Straße.
16.30 Uhr
Frau Ludwig, die gegenüber der Kita wohnt, trank einen Kaffee und guckte aus dem Küchenfenster. Da kam gerade die müde Putzfrau. Der sah man
überdeutlich an, dass sie wirklich gar keine Freude am Leben hatte, dachte Frau Ludwig.
16.36 Uhr
Jennifer Werning war vollkommen fertig mit den Nerven. Schon wieder hatte der Chef sie nicht pünktlich gehen lassen. Er wollte sie damit mürbe machen, damit sie schließlich das Handtuch warf, da war sie sich sicher. Der alte Macho aus dem 20. Jahrhundert wollte keine Mütter in seinem Laden, nur Männer, die sich auf ihre Arbeit konzentrierten, weil sie da ihre Ruhe hatten, statt sich den Herausforderungen des Familienlebens zu stellen. Von den echten Vollzeitarbeitern alter Schule einmal abgesehen hatte er gern knackige, junge Dinger als Mitarbeiterinnen, damit man etwas zu gucken und zu schäkern hatte. So war Jennifer auch vor acht Jahren an den Job gekommen. Jetzt würden die Ladies in der Kita ihr wieder ihre sauertöpfische Mine präsentieren, weil sie nicht pünktlich Feierabend machen konnten. Wie weit dieser Schneeballeffekt wohl reichte? Sie eilte ins Gebäude und sah die alte Schlüter, die sich gerade an ihrem Putzwagen zu schaffen machte. Sie war die Sisyphusarbeit gegen die Diakonie dermaßen leid. Mit dem Essen kamen sie einfach nicht voran und diese schmuddelige Schluderputze wurden sie auch nicht los. Aber heute hatte sie keine Lust, sich mit diesem Haufen Präkariat auseinanderzusetzen. Sie wollte nur noch Lilly abholen und dann nichts wie nach Hause.
16.41 Uhr
Frau Ludwig von gegenüber hatte den Kaffee noch nicht ausgetrunken. Diese Yuppie-Mutti, die gerade zu spät gekommen war, zog jetzt ihre bedauernswerte Tochter hinter sich her.
17.05 Uhr
Regina Heuer atmete tief durch. Sie war freundlich zu Jennifer Werning gewesen, war niemandem auf die Füße getreten und hatte der Schlüter eine deutliche Ansage gemacht. Jetzt wollte sie nur noch ihre Ruhe haben. Sie setzte sich in ihren Wagen und machte sich auf den langen Heimweg.
17.07 Uhr
Frederking stieg auf seinen Segway. Wie schön, dass die Räume der Geschäftsleitung der
Eurodent nur einen knappen Kilometer entfernt lagen. So kam er wenigstens an die frische Luft. Gut gelaunt rauschte er die Bielefelder Dorfstraße hinunter, grüßte flüchtig Bekannte und kam nach wenigen Minuten vor Auers Bürotür an, doch der war nicht da. Hatte ihn sein Rotarier-Kollege doch glatt versetzt. Vielleicht war er ja in ihrem Stammlokal. Frederking rauschte zurück zur Diakonie. Unterwegs genehmigte er sich in einem der zahlreichen Backshops einen Coffee to go. Normalerweise war es seinem Alter nicht unbedingt von Nutzen, den Blutdruck unnötig in die Höhe zu treiben, aber er wollte seinen Feierabend auf besondere Weise beschließen und dazu erwies sich die Wirkung der Betablocker, die er regelmäßig einnahm, als äußerst kontraproduktiv. Nur ein starker Kaffee konnte dieses Ärgernis ausgleichen.
17.20 Uhr
Regina Heuer brauchte zwar nur noch fünf Minuten bis sie zu Hause war, doch beim Blick auf die Tankanzeige stellte sie fest, dass das Benzin zur Neige ging. Sie steuerte die nächste Tankstelle an und befüllte den Wagen. Als sie bezahlen wollte, entdeckte sie, dass sie ihr Portemonnaie nicht dabei hatte. Sicher lag es noch in der Einrichtung. Sie erklärte dem Kassierer ihre missliche Lage, der schrieb sich ihre Nummer auf und willigte ein, dass sie auf dem Rückweg bezahlen konnte. Bei der Rückkehr zur Kita geriet sie in einen hartnäckigen Stau und verfluchte sich selbst für ihre eigene Schusseligkeit.
17.26 Uhr Frederking hatte die letzten unangenehmen Telefongespräche für heute abgearbeitet, den Segway im Büro eingeschlossen und saß in seinem 380er BMW auf dem Weg zum Hexenhaus, seinem Lieblings-Märchenwald für Erwachsene. Für erwachsene Männer. Für erwachsene Männer mit Steherqualitäten. Vielleicht würde er Auer dort antreffen, wenn nicht, auch gut. Angelina wartete sicher schon gut ausgeruht auf ihren Königstiger.
Donnerstag, 17.29 Uhr Langsam, fast in Zeitlupe, schließt Pascal seine Wohnungstür auf. Den heutigen Tag hat er gerettet. Sogar für morgen und übermorgen hat er gesorgt. Vielleicht kümmert er sich übermorgen schon um Nachschub, aber morgen wird er den ganzen Tag zu Hause bleiben und sich einfach bei ein paar Ego Shootern entspannen; es am Samstag vielleicht auch bei ein, zwei Blowjobs belassen. Das heute war wirklich die Hölle. Er war schon leicht auf turkey und seine Sinne hatten sich angefühlt wie Einflugschneisen. Widerlich gestunken hatte der Kerl. Überall in diesem verdammten Auto gab es Stellen, an denen man sich stieß und der Kerl hat eine mächtige Palme gehabt, das war alles andere als schmerzfrei über die Bühne gegangen. Aber er hatte gut gezahlt, das war die Hauptsache. Jetzt hatte er genug Stoff für zwei Tage und um das alles zu vergessen. Er warf sich aufs Bett und gab sich der Wirkung der immer noch recht frisch verabreichten Droge hin. Vor Mitternacht war er kaum ansprechbar.
Donnerstag , 17.34 Uhr
Raimund wunderte sich, warum sich fast eine Stunde, nachdem Daniela die Wohnung verlassen hatte, noch immer keine Ruhe in ihm ausbreiten wollte. Jetzt konnte er nicht einmal mehr abschalten, wenn sie weg war. Wenn er nur an sie dachte, lief ihm die Galle über. Was hatte er nur damals an ihr gefunden? Vermutlich gar nichts, dachte er, sie war einfach die Einzige, die er hatte haben können. Eine Zeitlang war das ja in Ordnung gewesen, aber die letzten fünfzehn Jahre waren die Hölle gewesen und es war in jedem Jahr schlimmer geworden. Es war nicht zum Aushalten. Er musste etwas unternehmen. Er stemmte sich aus dem Sofa, griff zuerst in die Küchenschublade und dann ans Schlüsselbrett. Zum Glück hatte Daniela keinen Führerschein, sonst wäre sie ja jetzt selbst mit dem Auto losgezogen.
Donnerstag, 17.45 Uhr
Frau Ludwig von gegenüber hatte gerade die Wäsche aus der Maschine geholt. Auf dem Weg vom Bad in den Keller kam sie am Flurfenster vorbei und wunderte sich über den älteren Bauarbeiter-Typen, der jetzt noch in die Kita stiefelte. Ließen die etwa die Putzfrau mit den Handwerkern allein? Und welche Firma schickte denn nach Feierabend noch Mitarbeiter vorbei? Aber was ging es sie an? Sie seufzte und ging in den Garten, um die Wäsche aufzuhängen.
Donnerstag 17.46 Uhr
Daniela schmerzte der Rücken. Das tägliche Putzen tat ihr überhaupt nicht gut. Und sie hatte ja noch 15 Jahre bis zur Rente. Ob sie das wohl durchhielt? Plötzlich war der Schmerz einfach nur noch unerträglich. Sie bekam keine Luft mehr, da stimmt etwas nicht. Jemand stand hinter ihr. Sie spürte, wie es warm an ihrem Rücken herunter lief. Mit letzter Kraft sah sie sich um und blickte in ein Gesicht, das ihr vertraut und fremd zugleich vorkam. Raimund, dachte sie noch, dann spürte sie, wie sie der Welt entschwand.
Raimund zog das Fleischmesser wieder heraus. Er war sich nicht sicher, ob sie wirklich tot war, aber er konnte das auf keinen Fall noch einmal tun. Er ließ die Waffe fallen, streifte geistesgegenwärtig die Handschuhe ab und steckte sie in die Hosentasche. Dann konnte er nicht mehr denken, wollte nur noch weg.
Donnerstag, 18.05 Uhr
Regina Heuer steuerte die Bürotür an und hoffte, dass Daniela Schlüter ihr nicht noch einmal über den Weg lief. Im Augenwinkel bemerkte sie, dass da irgendetwas nicht stimmte. Da war etwas Großes, das da nicht hingehörte und sich nicht bewegte. Sie wandte den Blick zur Seite und sah Daniela Schlüter blutend am Boden liegen.
Ingo Sondermühlen stieg aus seinem weißen Kleinwagen. Der Lack war schadhaft und glanzlos, aber das fiel bei einem weißen Auto nicht so eklatant ins Auge. Er hatte lange überlegt, ob er es wagen sollte. Wenn ihn nun jemand erwischte? Die Kinder nebenan in der Kita waren krakeelend in ihr Spiel vertieft. Immer wieder linste er zu den Fenstern der Nummer 25 herüber, um einen Blick auf Annika zu erhaschen. Dabei ging er möglichst unauffällig auf und ab.
11.45 Uhr
Heute war im Puff nicht viel zu tun. Hatten die am Mittwoch wohl nicht so viel Betrieb. Es war ja auch besonders schönes Wetter und die Leute hatten sich in den Biergärten gedrängt wie Zwiebeln auf dem Acker. Manchmal gab es besonders unappetitliche Flecken, denn manche Freier standen auf Spielchen mit Exkrementen und die Nutten machten nur das Gröbste weg, dafür hatten sie ja schließlich eine Putzfrau. Das war bei dem anderen Anstellungsträger schon angenehmer, auch wenn er nicht so gut zahlte. Ganz früher, da war es noch richtig gut gewesen. Da hatte sie einen Job als Reinigungskraft in ihrer Kirchengemeinde gehabt. Sie hatte Gemeindehaus und Kirche geputzt, der Küster war nur für geistliche Aufgaben zuständig gewesen. Die Kirche hatte sie anständig bezahlt, mit allen Sicherheiten und Zusatzversorgungen. Aber dann war ihnen nach und nach die Kohle ausgegangen. Die Sekretärin hatte ihr gesteckt, dass der Laden nur Pleite ging, weil die viel zu vielen Pfarrer frühzeitig in Rente gingen und dadurch natürlich noch länger lebten und Jahrzehntelang Ruhegehalt kassierten, schon ab 58 und das alles ohne Abzüge. Darum verschwanden nach und nach alle anderen Berufsgruppen aus der Kirche und irgendwann würden die Pfarrer alles allein machen müssen oder es ihren Ehrenamtlichen aufhalsen, bis die auch die Schnauze voll hätten und dann wäre aber so was von Schluss mit lustig. Sie hatten ihr dann diesen Job bei der Service-Abteilung der Diakonie angeboten und sie hatte angenommen, was blieb ihr anderes übrig? Zwei Einsatzorte, täglich geteilter Dienst und viel weniger Lohn, da hatte sie sich dann den Turnhallenjob gesucht und schließlich den besser bezahlten Job im Puff. Hier ließ man sie wenigstens in Ruhe. In der Diakonie stand immer einer hinter ihr und machte Stress. Der Schlimmst von allen war der Chef, dieser Frederking. Wenn er auf seinem lächerlichen Segway die Bielefelder Dorfstraße herunterfuhr, war das schon peinlich genug, aber am lächerlichsten war es, wenn er damit von seinem Büro in den Aufzug fuhr und wenn er Mitarbeitenden begegnete, stieg er nicht ab, sondern blieb auf seinem Sockel stehen und bellte Kommandos oder andere Demütigungen. Sie hatte sich ihm gegenüber immer so ausgeliefert gefühlt in ihrer ohnmächtigen Wut.
Dann, etwa vor einem halben Jahr, hatte sie zufällig ein Video auf Youtube entdeckt: In dem Puff, in dem sie arbeitete, feierten drei Männer ausgelassen mit sechs Nutten eine Champagner-Orgie im Whirlpool: Der Industrielle Auer von der Eurodent, der Oberkirchenfuzzi Schuster und mittendrin Frederking, in einem Arm eine Nutte, im anderen eine Flasche Schampus und das Goldkettchen glitzerte an seinem Hals. Wer auch immer das gefilmt und ins Netz gestellt hatte, hatte sich natürlich strafbar gemacht, aber sie hatte sich das Filmchen gesichert: auf der Festplatte und auf einem Stick. Mit diesem Stick hatte sie Frederking in der Hand. Sie arbeitete nur noch an dem perfekten Plan, wie sie ihn damit erpressen konnte, ohne dass ihr etwas nachzuweisen war und sie stand kurz vor der Lösung des Problems.
12.10 Uhr
Die Erzieherin auf dem Außengelände schien auf ihn aufmerksam geworden zu sein. Ingo Sondermühlen gab sein Vorhaben für heute auf. Annika lief ihm so schnell nicht weg. Er könnte ja am Samstag wieder kommen, dann war kein Betrieb in der Kita, aber immer noch genug Geschäftigkeit auf der Straße.
16.30 Uhr
Frau Ludwig, die gegenüber der Kita wohnt, trank einen Kaffee und guckte aus dem Küchenfenster. Da kam gerade die müde Putzfrau. Der sah man
überdeutlich an, dass sie wirklich gar keine Freude am Leben hatte, dachte Frau Ludwig.
16.36 Uhr
Jennifer Werning war vollkommen fertig mit den Nerven. Schon wieder hatte der Chef sie nicht pünktlich gehen lassen. Er wollte sie damit mürbe machen, damit sie schließlich das Handtuch warf, da war sie sich sicher. Der alte Macho aus dem 20. Jahrhundert wollte keine Mütter in seinem Laden, nur Männer, die sich auf ihre Arbeit konzentrierten, weil sie da ihre Ruhe hatten, statt sich den Herausforderungen des Familienlebens zu stellen. Von den echten Vollzeitarbeitern alter Schule einmal abgesehen hatte er gern knackige, junge Dinger als Mitarbeiterinnen, damit man etwas zu gucken und zu schäkern hatte. So war Jennifer auch vor acht Jahren an den Job gekommen. Jetzt würden die Ladies in der Kita ihr wieder ihre sauertöpfische Mine präsentieren, weil sie nicht pünktlich Feierabend machen konnten. Wie weit dieser Schneeballeffekt wohl reichte? Sie eilte ins Gebäude und sah die alte Schlüter, die sich gerade an ihrem Putzwagen zu schaffen machte. Sie war die Sisyphusarbeit gegen die Diakonie dermaßen leid. Mit dem Essen kamen sie einfach nicht voran und diese schmuddelige Schluderputze wurden sie auch nicht los. Aber heute hatte sie keine Lust, sich mit diesem Haufen Präkariat auseinanderzusetzen. Sie wollte nur noch Lilly abholen und dann nichts wie nach Hause.
16.41 Uhr
Frau Ludwig von gegenüber hatte den Kaffee noch nicht ausgetrunken. Diese Yuppie-Mutti, die gerade zu spät gekommen war, zog jetzt ihre bedauernswerte Tochter hinter sich her.
17.05 Uhr
Regina Heuer atmete tief durch. Sie war freundlich zu Jennifer Werning gewesen, war niemandem auf die Füße getreten und hatte der Schlüter eine deutliche Ansage gemacht. Jetzt wollte sie nur noch ihre Ruhe haben. Sie setzte sich in ihren Wagen und machte sich auf den langen Heimweg.
17.07 Uhr
Frederking stieg auf seinen Segway. Wie schön, dass die Räume der Geschäftsleitung der
Eurodent nur einen knappen Kilometer entfernt lagen. So kam er wenigstens an die frische Luft. Gut gelaunt rauschte er die Bielefelder Dorfstraße hinunter, grüßte flüchtig Bekannte und kam nach wenigen Minuten vor Auers Bürotür an, doch der war nicht da. Hatte ihn sein Rotarier-Kollege doch glatt versetzt. Vielleicht war er ja in ihrem Stammlokal. Frederking rauschte zurück zur Diakonie. Unterwegs genehmigte er sich in einem der zahlreichen Backshops einen Coffee to go. Normalerweise war es seinem Alter nicht unbedingt von Nutzen, den Blutdruck unnötig in die Höhe zu treiben, aber er wollte seinen Feierabend auf besondere Weise beschließen und dazu erwies sich die Wirkung der Betablocker, die er regelmäßig einnahm, als äußerst kontraproduktiv. Nur ein starker Kaffee konnte dieses Ärgernis ausgleichen.
17.20 Uhr
Regina Heuer brauchte zwar nur noch fünf Minuten bis sie zu Hause war, doch beim Blick auf die Tankanzeige stellte sie fest, dass das Benzin zur Neige ging. Sie steuerte die nächste Tankstelle an und befüllte den Wagen. Als sie bezahlen wollte, entdeckte sie, dass sie ihr Portemonnaie nicht dabei hatte. Sicher lag es noch in der Einrichtung. Sie erklärte dem Kassierer ihre missliche Lage, der schrieb sich ihre Nummer auf und willigte ein, dass sie auf dem Rückweg bezahlen konnte. Bei der Rückkehr zur Kita geriet sie in einen hartnäckigen Stau und verfluchte sich selbst für ihre eigene Schusseligkeit.
17.26 Uhr Frederking hatte die letzten unangenehmen Telefongespräche für heute abgearbeitet, den Segway im Büro eingeschlossen und saß in seinem 380er BMW auf dem Weg zum Hexenhaus, seinem Lieblings-Märchenwald für Erwachsene. Für erwachsene Männer. Für erwachsene Männer mit Steherqualitäten. Vielleicht würde er Auer dort antreffen, wenn nicht, auch gut. Angelina wartete sicher schon gut ausgeruht auf ihren Königstiger.
Donnerstag, 17.29 Uhr Langsam, fast in Zeitlupe, schließt Pascal seine Wohnungstür auf. Den heutigen Tag hat er gerettet. Sogar für morgen und übermorgen hat er gesorgt. Vielleicht kümmert er sich übermorgen schon um Nachschub, aber morgen wird er den ganzen Tag zu Hause bleiben und sich einfach bei ein paar Ego Shootern entspannen; es am Samstag vielleicht auch bei ein, zwei Blowjobs belassen. Das heute war wirklich die Hölle. Er war schon leicht auf turkey und seine Sinne hatten sich angefühlt wie Einflugschneisen. Widerlich gestunken hatte der Kerl. Überall in diesem verdammten Auto gab es Stellen, an denen man sich stieß und der Kerl hat eine mächtige Palme gehabt, das war alles andere als schmerzfrei über die Bühne gegangen. Aber er hatte gut gezahlt, das war die Hauptsache. Jetzt hatte er genug Stoff für zwei Tage und um das alles zu vergessen. Er warf sich aufs Bett und gab sich der Wirkung der immer noch recht frisch verabreichten Droge hin. Vor Mitternacht war er kaum ansprechbar.
Donnerstag , 17.34 Uhr
Raimund wunderte sich, warum sich fast eine Stunde, nachdem Daniela die Wohnung verlassen hatte, noch immer keine Ruhe in ihm ausbreiten wollte. Jetzt konnte er nicht einmal mehr abschalten, wenn sie weg war. Wenn er nur an sie dachte, lief ihm die Galle über. Was hatte er nur damals an ihr gefunden? Vermutlich gar nichts, dachte er, sie war einfach die Einzige, die er hatte haben können. Eine Zeitlang war das ja in Ordnung gewesen, aber die letzten fünfzehn Jahre waren die Hölle gewesen und es war in jedem Jahr schlimmer geworden. Es war nicht zum Aushalten. Er musste etwas unternehmen. Er stemmte sich aus dem Sofa, griff zuerst in die Küchenschublade und dann ans Schlüsselbrett. Zum Glück hatte Daniela keinen Führerschein, sonst wäre sie ja jetzt selbst mit dem Auto losgezogen.
Donnerstag, 17.45 Uhr
Frau Ludwig von gegenüber hatte gerade die Wäsche aus der Maschine geholt. Auf dem Weg vom Bad in den Keller kam sie am Flurfenster vorbei und wunderte sich über den älteren Bauarbeiter-Typen, der jetzt noch in die Kita stiefelte. Ließen die etwa die Putzfrau mit den Handwerkern allein? Und welche Firma schickte denn nach Feierabend noch Mitarbeiter vorbei? Aber was ging es sie an? Sie seufzte und ging in den Garten, um die Wäsche aufzuhängen.
Donnerstag 17.46 Uhr
Daniela schmerzte der Rücken. Das tägliche Putzen tat ihr überhaupt nicht gut. Und sie hatte ja noch 15 Jahre bis zur Rente. Ob sie das wohl durchhielt? Plötzlich war der Schmerz einfach nur noch unerträglich. Sie bekam keine Luft mehr, da stimmt etwas nicht. Jemand stand hinter ihr. Sie spürte, wie es warm an ihrem Rücken herunter lief. Mit letzter Kraft sah sie sich um und blickte in ein Gesicht, das ihr vertraut und fremd zugleich vorkam. Raimund, dachte sie noch, dann spürte sie, wie sie der Welt entschwand.
Raimund zog das Fleischmesser wieder heraus. Er war sich nicht sicher, ob sie wirklich tot war, aber er konnte das auf keinen Fall noch einmal tun. Er ließ die Waffe fallen, streifte geistesgegenwärtig die Handschuhe ab und steckte sie in die Hosentasche. Dann konnte er nicht mehr denken, wollte nur noch weg.
Donnerstag, 18.05 Uhr
Regina Heuer steuerte die Bürotür an und hoffte, dass Daniela Schlüter ihr nicht noch einmal über den Weg lief. Im Augenwinkel bemerkte sie, dass da irgendetwas nicht stimmte. Da war etwas Großes, das da nicht hingehörte und sich nicht bewegte. Sie wandte den Blick zur Seite und sah Daniela Schlüter blutend am Boden liegen.
... link (8 Kommentare) ... comment
Freitag, 12. Mai 2017
Kita-Cluedo – Kurzkrimi zum selbst Ermitteln
c. fabry, 02:15h
Daniela nimmt die Kaffeekanne von der Heizplatte. Raimunds Raucherhusten tönt aus dem Bad. Bestimmt versäumt er wieder, den grünlich gelben Schleim herunterzuspülen, den er ins Waschbecken rotzt. Der Toaster katapultiert zwei Scheiben an die Luft. Es riecht verbrannt. Raimund hat das Gerät wieder zu stark eingestellt. Soll er doch den schwarzen Toast essen Sie legt ihm die Scheiben auf den Teller, stellte den Regler herunter und steckt zwei neue Weißbrot-Schnitten in das Röstgerät. Als Raimund die Küche betritt, beißt sie schon in den zweiten Toast mit Honig.
„Was soll denn der Dreck?“, fragt er verärgert mit einem zornigen Blick auf die Portion verbrannter, leerer Kalorien auf seinem Teller. „Soll ich das etwa essen?“
„Musst du den Toaster nicht so hoch einstellen.“, antwortet Daniela.
Raimund hält dagegen:„Musst du nicht immer schon neues Brot kaufen, wenn die alte Packung gerade angefangen ist. Das Brot ist einfach zu trocken. Und überhaupt, das ist ja schon kalt.“
Daniela lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: „Dann musst du dich eben ein bisschen beeilen. Oder dir jetzt zwei neue Scheiben toasten. Hast ja noch 10 Minuten.“
Jennifer zerrt Lilly hinter sich her. „Jetzt komm schon, beeil dich ein bisschen, ich komme sonst zu spät zur Arbeit.“
„Ich muss aber noch meine Jacke zu machen.“, mault Lilly, „sonst verkälte ich mich.“
„Lilly, vom Auto bis zum Eingang sind es fünfzehn Meter. Du würdest dich nicht einmal erkälten, wenn du im Bikini da hin laufen würdest. Jetzt komm endlich.“
Gleichzeitig kommt Pia mit Leander an. „Hallo Jennifer. Gibt's schon was Neues wegen des Mittagessens?“
„Bis jetzt keine Reaktion.“, antwortet die Gefragte. „Ich packe Lilly nach wie vor jeden Tag ein Fresspaket, damit sie diesen Rotz nicht essen muss.“
„Ja, Leander kriegt auch immer was mit, aber das geht doch nicht, wir bezahlen schließlich dafür. Ich meine, wenn man die Übermittag-Betreuung gegen Preisnachlass ohne Essen buchen könnte, wäre das ja ein Kompromiss, aber so.“
„Und dreckig ist es auch immer noch.“, bemerkt Jennifer. „Ich habe echt Angst, dass Lilly sich multiresistente Keime einfängt, so wie die Schlüter immer mit dem Desinfektionsmittel rumsaut. Hier ein bisschen sprühen, da ein bisschen sprühen und die Ecken bleiben klebrig und staubig. Zum Kotzen ist das.“
Ein Schlag auf den Schädel. Noch einer. Pascal weiß nicht, wo er ist. Er blinzelt. Mein Gott, ist das hell! Mindestens 1000 Watt. Und noch ein Schlag. Er ist unverletzt. Es sind die zuschlagenden Autotüren vor der KiTa, die sich in seinem Kopf anfühlen, als bekäme er eins mit dem Sandsack übergezogen. Die plappernden und kreischenden Pissbotten und ihre hysterischen Mamas schrillen in seinem Kopf. Schrillen? Gibt es dieses Wort überhaupt? Etwas kann schrill klingen, klingeln oder schräbbeln. Aber schrillen? Egal. Er muss sowieso bald aufstehen und was organisieren. Spätestens heute Mittag braucht er wieder Nachschub, sonst überlebt er diesen Tag nicht.
Jetzt ist es gerade so schön ruhig. Regina fühlt jedes Mal um diese Zeit, dass die erste Hürde geschafft ist: Alle Kinder sind da, alle Eltern sind weg, das Frühstück ist abgeräumt und die Morgenstuhlkreise beginnen. Kein Getöse. Aber leider auch genau der Zeitpunkt, an dem schwierige Telefonate anstehen. So auch jetzt. Es nützt ja nichts. Sie muss Frederking anrufen und weiter Druck machen. Als Leitung wird das von ihr erwartet. Als Frederking sich mit seiner lauten Herrenmenschenstimme meldet, hat sie erst recht keine Lust mehr, aber sie atmet tief ein und mit der Luft im Büro auch jeweils eine große Portion Mut und Pflichtgefühl: „Guten Morgen, hier spricht Regina Heuer. Ich habe nach drei Telefongesprächen und fünf E-Mails noch immer keine Rückmeldung erhalten wegen meiner Beschwerde über die Leistungen der Service-Abteilung.“
„Was genau für eine Rückmeldung wollen Sie denn haben?“, fragt Frederking schnodderig.
„Was Sie unternommen haben, wie Sie das Problem lösen wollen.“
„Welches Problem?“
„Herr Frederking!“, schimpft Regina ungehalten. „Die Eltern rennen mir die Bude ein, weil sie vollkommen unzufrieden mit der Qualität des Mittagessens sind und das völlig zu Recht. Es ist überaus peinlich, dass ich nichts dazu sagen kann, als immer wieder auf die Geschäftsführung zu verweisen, von der die Eltern leider auch keine Reaktion bekommen. Und das ist ja nicht der einzige Beschwerde-Anlass. Die Reinigungsleistung von Frau Schlüter ist unter aller Sau. Das ist nicht nur ein ästhetisches Problem. Wenn das Gesundheitsamt eines Tages auf der Matte steht, sind wir geliefert.“
„Haben Sie das mit der Putzfrau der Frau Renner gemeldet?“
„Etwa Fünfzehn Mal. Frau Renner war auch schon einmal hier, hat sich das angesehen und Besserung gelobt. Das war's.“
„Dann kümmere ich mich persönlich um die Frau Schlüter.“, antwortet Frederking versöhnlich.
„Und was ist mit dem Essen?“
„Eins nachdem Anderen, Frau Heuer.“, antwortet der Geschäftsführer der Diakonie. „Eins nach dem Anderen.“
Daniela Schlüter ist unterwegs zu ihrem ersten Job für diesen Tag. Als man ihr das Angebot gemacht hat, war sie kurz davor, dem Mann im Jobcenter eine runter zu hauen. Aber jetzt findet sie es gar nicht schlecht: Eine Tour morgens, eine nachmittags, eine abends, da kommt richtig etwas zusammen. Früher musste sie schon vor Raimund das Haus verlassen, um zwischen 5:30 Uhr und 7:30 Uhr eine Turnhalle zu putzen. Jetzt kann sie morgens den Haushalt erledigen und danach putzt sie im Puff. Vor 10 Uhr wollen die Nutten niemanden da haben. Die meisten anderen Putzstellen sind nachmittags oder abends. So wie die Jobs in der Kita und im Café der Diakonie, die sie bei diesem kirchennahen Träger bekommen hat. Wenn die wüssten, was sie am Vormittag tut, würden sie sie sicher raus schmeißen. So wie die zahlen, würde sie auch lieber ganztägig im Puff putzen. Oder abends zwischen 5 und 11, dann würde sie Raimund fast überhaupt nicht mehr sehen. Aber der Boss wird vielleicht bald mehr rausrücken. Wer auch immer die Fotos ins Netz gestellt hat, wenn der wüsste, was Daniela damit anstellen kann und wenn der scheiß Boss wüsste, dass die sowieso längst im Netz sind...
Saskia ist heute als Gartenaufsicht abgestellt. Lilly und Fiona belagern die Korbschaukel schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Die anderen Kinder werden langsam ungeduldig.
„Ihr müsst die anderen Kinder aber jetzt auch einmal in die Korbschaukel lassen.“, ermahnt Saskia die zwei kleinen Platzhirschkühe.
„Aber gestern haben Kim, Lavinia und German ganz ganz lange geschaukelt und uns auch nicht gelassen und jetzt sind wir dran, sonst ist das ja nicht gerecht.“
„Also, Fiona“, erwidert Saskia. „Melina hat mir gestern erzählt, dass du ganz ganz lange mit Lilly in der Korbschaukel gelegen hast und die anderen Kinder erst rein gelassen hast, als sie die Schaukel festgehalten hat. Wenn ihr jetzt nicht aussteigt, habt ihr die Schaukelzeit für Morgen auch schon verbraucht. Wenn ihr jetzt Platz macht, kommt ihr vielleicht in einer halben Stunde noch einmal dran.“
Die mathematische Ungenauigkeit dieser Rechnung fällt Fiona und Lilly nicht auf. Schnell räumen sie das Feld in dem Glauben, sich eines besonders klugen Schachzugs zu bedienen. Als der Konflikt gelöst ist, bemerkt die Erzieherin auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen seltsamen Typen. Auf den ersten Blick sieht er nach Business-Look aus, doch bei näherer Betrachtung wirkt alles an ihm schäbig, wie aus zweiter Hand. Sogar die Frisur macht einen billigen Eindruck. Er lungert da herum, in einer Straße, in der es nichts weiter gibt als Wohnhäuser und eine KiTa. Sie behält ihn im Auge. Der soll ja die Finger von den Kindern lassen.
Die Kaffeemaschine ist gerade durchgelaufen, als sich der Schlüssel in der Wohnungstür dreht. Raimund hat pünktlich Feierabend machen können. Schön für ihn. Daniela würde es vorziehen, noch eine halbe Stunde für sich zu haben. Statt dessen wird sie nun Kaffee und Berliner in Anwesenheit ihres schweigenden, schnaufenden und schmatzenden Mannes einnehmen, um direkt danach zu ihrem 2. Putzjob aufzubrechen. Er wird duschen und sich vor den Fernseher knallen, während sie arbeitet und direkt danach das Abendessen kocht und die Küche wieder aufräumt, um nach dem Essen zu ihrem dritten Job zu fahren. Sie hat es so satt. Nach einem halben Stück Kuchen und ein paar Schlucken Kaffee sagt sie: „Du musst heute nach dem Essen den Tisch abräumen und die Küche sauber machen, heute ist im Diakonie-Café viel zu tun, die haben da eine Großveranstaltung.“
„Wieso?“, fragt Raimund. „Dann machst du die Küche eben etwas später sauber.“
„Nach so einem langen Tag bin ich auch mal kaputt!“, schimpft Daniela. „Du gehst nur arbeiten und lässt dich bedienen. Ich kaufe ein, koche, wasche, halte alles sauber und du furzt nur den Sessel voll!“
„Also da hört sich doch alles auf.“, entrüstet sich Raimund. „Von meiner Hände Arbeit lebst du nicht schlecht, Frollein, die paar Kröten, die du mit deiner Putzerei verdienst, reichen ja gerade mal für den Lippenstift, den du dir ins Gesicht schmierst, als wenn das noch irgendwas bringen würde.“
„Ich hätte vielleicht auch gern einen Beruf gelernt.“, wehrt sich Daniela. „Wenn du damals besser aufgepasst hättest und ich nicht gleich schwanger geworden wäre, hätte das auch geklappt, dann würde ich heute auch besser verdienen. Ich hab' schließlich die Kinder allein großgezogen. Hast du dich auch nicht drum gekümmert.“
„Stimmt doch gar nicht!“, widerspricht Raimund entschieden. „Wie oft war ich mit Marvin beim Fußball und wie oft habe ich Nadine von irgendwelchen Feten oder aus der Disco abgeholt? Und außerdem: wer kümmert sich denn um das Auto, den Fernseher oder wenn was zu reparieren ist?“
„Weißt du was?“, erwidert Daniela trotzig. „Du musst gar nichts machen. Ich esse auswärts. Kannst du ja auch machen. Wieso soll ich dich jeden Tag bedienen? Du reparierst ja auch nicht jeden Tag was.“
Raimund funkelt sie böse an, hüllt sich aber wieder in sein gewohntes Schweigen. Statt dessen studiert er demonstrativ die Fernsehzeitung. Daniela trinkt ihre Kaffee aus und macht sich auf den Weg in die KiTa.
Lilly malt schon die dritte Ritterburg. Saskia seufzt. Sie hat gleich eine Verabredung und will nicht zu spät kommen. Es sind immer die gleichen Eltern, die es nicht schaffen, ihre lieben Kleinen pünktlich abzuholen. Jennifer Werning ist eine der schlimmsten. Immer in Schale, immer superbusy, leitet den Elternrat als wäre sie die Stimme der Geknechteten, stellt immer nur Forderungen – nur ihren Teil der Vereinbarung einzuhalten, das schafft sie nicht. Natürlich ist sie nicht die erfolgreiche Topmanagerin oder Projektleiterin oder als was sie sonst gern gesehen werden möchte. Nein, sie ist Zahntechnikerin, eine Angestellte unter vielen und bestimmt entbehrlich, wenn sie ihr Kind abholen muss. Die Reinigungskraft ist schon da. Vielleicht soll das heute so sein, da könnte Saskia sie ja einmal direkt ansprechen: „Frau Schlüter, so geht das nicht weiter. Sie müssen auch regelmäßig die Ecken putzen, da sind überall Wollmäuse.“
„Du hast mir gar nichts zu sagen, Mäuschen.“, fährt Daniela Schlüter die blutjunge Erzieherin an.
„Unsere Leitung sieht das genauso.“, erwidert Saskia spitz.
„Dann soll sie mir das selbst sagen.“
Kurz darauf geht Regina Heuer auf die Putzfrau zu. „Hören Sie mal, wir erklären Ihnen das doch nicht zum ersten Mal. In einer Kita gibt es Hygiene-Vorschriften. Es reicht nicht, einmal über den Fußboden zu feudeln. Sie müssen ja nicht täglich alle Ecken putzen wie eine vor Langeweile kranke Hausfrau, aber vielleicht mal am Montag die Waschbecken gründlicher scheuern, am Dienstag die Schränke in dem einen Gruppenraum abziehen und auch dahinter wischen usw. Wir bezahlen einen Haufen Geld für diese Dienstleistung, 23,- € die Stunde, da kann man jawohl wenigstens erwarten, dass es sauber ist.“
„Ich sehe von den angeblichen 23,-€ aber nur 8,50 €.“, erwidert Daniela.
„Das ist schlimm.“, sagt Regina verständnisvoll, „aber für Reinigungsarbeiten braucht man ja auch keine hochkarätige Ausbildung. Also seien Sie bitte so gut und nehmen sich heute mal die Bauecke vor, da sitzt überall Staub in den Ritzen. Ich muss jetzt los. Auf Wiedersehen.“
„Verdammte Zimtzicken!“, flucht Daniela vor sich hin. „Meinen, nur weil sie ein bisschen länger zur Schule gegangen sind, können sie mir erzählen, wie ich meine Arbeit machen muss. Als wenn sie was Besseres wären. Was machen die denn schon? Spielen den ganzen Tag mit Kindern. Hab' ich auch jahrelang gemacht. Hat mir keiner was für bezahlt.“
Sie arbeitet das übliche Programm ab. Die Kindergartenziegen können sie mal. Sollen sie doch selbst die Wollmäuse aus der Bauecke kratzen. Sie hat von ihrer Chefin keine Anweisung, dass sie so etwas reinigen soll. Fußböden, Waschbecken, Klos und waagerechte Oberflächen, also Tische, Stühle, Schränke, Fensterbänke. 23,- € die Stunde, das hört sie heute zum ersten Mal. Die von der Diakonie verdienen sich an ihrer Arbeit eine goldene Nase. Jetzt weiß sie auch, wovon der Chef seinen dicken Schlitten bezahlt. Sie hört, wie die Eingangstür geöffnet wird. Hat eine von den Schlampen wohl noch was vergessen.
Zitternd steht Regina Heuer neben der blutüberströmten Frau. „Warum zum Teufel habe ich mein Portemonnaie im Büro liegen lassen?“ schießt es ihr durch den Kopf. „Wenn ich dran gedacht hätte, es einzustecken, wäre mir das alles erspart geblieben.“ Daniela Schlüter rührt sich nicht mehr. Das Messer liegt einen halben Meter von ihr entfernt, wie ein achtlos weggeworfenes Einweg-Werkzeug. Regina will einfach nur noch raus aus der Einrichtung. Aber irgendein Areal ihres Gehirnes ermahnt sie, nicht kopflos zu handeln. Sie zieht ihr Mobiltelefon aus der Tasche. Mit letzter Kraft wählt sie den Notruf der Polizei.
LIEBE LESENDE! IHR SEID DIE ERMITTELNDEN POLIZEIKRÄFTE. BEFRAGT DIE BETEILIGTEN ODER AUCH JENE; DEREN EXISTENZ IHR VERMUTET, DIE ABER IM VORLIEGENDEN BERICHT NICHT ZU WORT KOMMEN. ICH WERDE STELLVERTRETEND FÜR JEDE FIGUR, DIE IHR ANSPRECHT, WAHRHEITSGEMÄß ANTWORTEN, NUR NICHT AUF SOLCHE FRAGEN WIE: „SIND SIE DER MÖRDER? SIND SIE UNSCHLUDIG? HABEN SIE DIE PUTZFRAU ERSCHLAGEN?“ USW. , DAS WÄRE JA LANGWEILIG. IN EINER WOCHE ERKLÄRE ICH DANN, WAS TATSÄCHLICH PASSIERT IST. ERHÖHT DIE SPANNUNG FÜR ALLE, INDEM IHR VIELE FRAGEN STELLT!
Falls Ihr nicht wünscht, dass Eure Fragen in der E-book-Version meiner Kurzkrimis erscheinen, bitte ich Euch, dies ausdrücklich zu erklären.
„Was soll denn der Dreck?“, fragt er verärgert mit einem zornigen Blick auf die Portion verbrannter, leerer Kalorien auf seinem Teller. „Soll ich das etwa essen?“
„Musst du den Toaster nicht so hoch einstellen.“, antwortet Daniela.
Raimund hält dagegen:„Musst du nicht immer schon neues Brot kaufen, wenn die alte Packung gerade angefangen ist. Das Brot ist einfach zu trocken. Und überhaupt, das ist ja schon kalt.“
Daniela lässt sich nicht aus der Ruhe bringen: „Dann musst du dich eben ein bisschen beeilen. Oder dir jetzt zwei neue Scheiben toasten. Hast ja noch 10 Minuten.“
Jennifer zerrt Lilly hinter sich her. „Jetzt komm schon, beeil dich ein bisschen, ich komme sonst zu spät zur Arbeit.“
„Ich muss aber noch meine Jacke zu machen.“, mault Lilly, „sonst verkälte ich mich.“
„Lilly, vom Auto bis zum Eingang sind es fünfzehn Meter. Du würdest dich nicht einmal erkälten, wenn du im Bikini da hin laufen würdest. Jetzt komm endlich.“
Gleichzeitig kommt Pia mit Leander an. „Hallo Jennifer. Gibt's schon was Neues wegen des Mittagessens?“
„Bis jetzt keine Reaktion.“, antwortet die Gefragte. „Ich packe Lilly nach wie vor jeden Tag ein Fresspaket, damit sie diesen Rotz nicht essen muss.“
„Ja, Leander kriegt auch immer was mit, aber das geht doch nicht, wir bezahlen schließlich dafür. Ich meine, wenn man die Übermittag-Betreuung gegen Preisnachlass ohne Essen buchen könnte, wäre das ja ein Kompromiss, aber so.“
„Und dreckig ist es auch immer noch.“, bemerkt Jennifer. „Ich habe echt Angst, dass Lilly sich multiresistente Keime einfängt, so wie die Schlüter immer mit dem Desinfektionsmittel rumsaut. Hier ein bisschen sprühen, da ein bisschen sprühen und die Ecken bleiben klebrig und staubig. Zum Kotzen ist das.“
Ein Schlag auf den Schädel. Noch einer. Pascal weiß nicht, wo er ist. Er blinzelt. Mein Gott, ist das hell! Mindestens 1000 Watt. Und noch ein Schlag. Er ist unverletzt. Es sind die zuschlagenden Autotüren vor der KiTa, die sich in seinem Kopf anfühlen, als bekäme er eins mit dem Sandsack übergezogen. Die plappernden und kreischenden Pissbotten und ihre hysterischen Mamas schrillen in seinem Kopf. Schrillen? Gibt es dieses Wort überhaupt? Etwas kann schrill klingen, klingeln oder schräbbeln. Aber schrillen? Egal. Er muss sowieso bald aufstehen und was organisieren. Spätestens heute Mittag braucht er wieder Nachschub, sonst überlebt er diesen Tag nicht.
Jetzt ist es gerade so schön ruhig. Regina fühlt jedes Mal um diese Zeit, dass die erste Hürde geschafft ist: Alle Kinder sind da, alle Eltern sind weg, das Frühstück ist abgeräumt und die Morgenstuhlkreise beginnen. Kein Getöse. Aber leider auch genau der Zeitpunkt, an dem schwierige Telefonate anstehen. So auch jetzt. Es nützt ja nichts. Sie muss Frederking anrufen und weiter Druck machen. Als Leitung wird das von ihr erwartet. Als Frederking sich mit seiner lauten Herrenmenschenstimme meldet, hat sie erst recht keine Lust mehr, aber sie atmet tief ein und mit der Luft im Büro auch jeweils eine große Portion Mut und Pflichtgefühl: „Guten Morgen, hier spricht Regina Heuer. Ich habe nach drei Telefongesprächen und fünf E-Mails noch immer keine Rückmeldung erhalten wegen meiner Beschwerde über die Leistungen der Service-Abteilung.“
„Was genau für eine Rückmeldung wollen Sie denn haben?“, fragt Frederking schnodderig.
„Was Sie unternommen haben, wie Sie das Problem lösen wollen.“
„Welches Problem?“
„Herr Frederking!“, schimpft Regina ungehalten. „Die Eltern rennen mir die Bude ein, weil sie vollkommen unzufrieden mit der Qualität des Mittagessens sind und das völlig zu Recht. Es ist überaus peinlich, dass ich nichts dazu sagen kann, als immer wieder auf die Geschäftsführung zu verweisen, von der die Eltern leider auch keine Reaktion bekommen. Und das ist ja nicht der einzige Beschwerde-Anlass. Die Reinigungsleistung von Frau Schlüter ist unter aller Sau. Das ist nicht nur ein ästhetisches Problem. Wenn das Gesundheitsamt eines Tages auf der Matte steht, sind wir geliefert.“
„Haben Sie das mit der Putzfrau der Frau Renner gemeldet?“
„Etwa Fünfzehn Mal. Frau Renner war auch schon einmal hier, hat sich das angesehen und Besserung gelobt. Das war's.“
„Dann kümmere ich mich persönlich um die Frau Schlüter.“, antwortet Frederking versöhnlich.
„Und was ist mit dem Essen?“
„Eins nachdem Anderen, Frau Heuer.“, antwortet der Geschäftsführer der Diakonie. „Eins nach dem Anderen.“
Daniela Schlüter ist unterwegs zu ihrem ersten Job für diesen Tag. Als man ihr das Angebot gemacht hat, war sie kurz davor, dem Mann im Jobcenter eine runter zu hauen. Aber jetzt findet sie es gar nicht schlecht: Eine Tour morgens, eine nachmittags, eine abends, da kommt richtig etwas zusammen. Früher musste sie schon vor Raimund das Haus verlassen, um zwischen 5:30 Uhr und 7:30 Uhr eine Turnhalle zu putzen. Jetzt kann sie morgens den Haushalt erledigen und danach putzt sie im Puff. Vor 10 Uhr wollen die Nutten niemanden da haben. Die meisten anderen Putzstellen sind nachmittags oder abends. So wie die Jobs in der Kita und im Café der Diakonie, die sie bei diesem kirchennahen Träger bekommen hat. Wenn die wüssten, was sie am Vormittag tut, würden sie sie sicher raus schmeißen. So wie die zahlen, würde sie auch lieber ganztägig im Puff putzen. Oder abends zwischen 5 und 11, dann würde sie Raimund fast überhaupt nicht mehr sehen. Aber der Boss wird vielleicht bald mehr rausrücken. Wer auch immer die Fotos ins Netz gestellt hat, wenn der wüsste, was Daniela damit anstellen kann und wenn der scheiß Boss wüsste, dass die sowieso längst im Netz sind...
Saskia ist heute als Gartenaufsicht abgestellt. Lilly und Fiona belagern die Korbschaukel schon seit einer gefühlten Ewigkeit. Die anderen Kinder werden langsam ungeduldig.
„Ihr müsst die anderen Kinder aber jetzt auch einmal in die Korbschaukel lassen.“, ermahnt Saskia die zwei kleinen Platzhirschkühe.
„Aber gestern haben Kim, Lavinia und German ganz ganz lange geschaukelt und uns auch nicht gelassen und jetzt sind wir dran, sonst ist das ja nicht gerecht.“
„Also, Fiona“, erwidert Saskia. „Melina hat mir gestern erzählt, dass du ganz ganz lange mit Lilly in der Korbschaukel gelegen hast und die anderen Kinder erst rein gelassen hast, als sie die Schaukel festgehalten hat. Wenn ihr jetzt nicht aussteigt, habt ihr die Schaukelzeit für Morgen auch schon verbraucht. Wenn ihr jetzt Platz macht, kommt ihr vielleicht in einer halben Stunde noch einmal dran.“
Die mathematische Ungenauigkeit dieser Rechnung fällt Fiona und Lilly nicht auf. Schnell räumen sie das Feld in dem Glauben, sich eines besonders klugen Schachzugs zu bedienen. Als der Konflikt gelöst ist, bemerkt die Erzieherin auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen seltsamen Typen. Auf den ersten Blick sieht er nach Business-Look aus, doch bei näherer Betrachtung wirkt alles an ihm schäbig, wie aus zweiter Hand. Sogar die Frisur macht einen billigen Eindruck. Er lungert da herum, in einer Straße, in der es nichts weiter gibt als Wohnhäuser und eine KiTa. Sie behält ihn im Auge. Der soll ja die Finger von den Kindern lassen.
Die Kaffeemaschine ist gerade durchgelaufen, als sich der Schlüssel in der Wohnungstür dreht. Raimund hat pünktlich Feierabend machen können. Schön für ihn. Daniela würde es vorziehen, noch eine halbe Stunde für sich zu haben. Statt dessen wird sie nun Kaffee und Berliner in Anwesenheit ihres schweigenden, schnaufenden und schmatzenden Mannes einnehmen, um direkt danach zu ihrem 2. Putzjob aufzubrechen. Er wird duschen und sich vor den Fernseher knallen, während sie arbeitet und direkt danach das Abendessen kocht und die Küche wieder aufräumt, um nach dem Essen zu ihrem dritten Job zu fahren. Sie hat es so satt. Nach einem halben Stück Kuchen und ein paar Schlucken Kaffee sagt sie: „Du musst heute nach dem Essen den Tisch abräumen und die Küche sauber machen, heute ist im Diakonie-Café viel zu tun, die haben da eine Großveranstaltung.“
„Wieso?“, fragt Raimund. „Dann machst du die Küche eben etwas später sauber.“
„Nach so einem langen Tag bin ich auch mal kaputt!“, schimpft Daniela. „Du gehst nur arbeiten und lässt dich bedienen. Ich kaufe ein, koche, wasche, halte alles sauber und du furzt nur den Sessel voll!“
„Also da hört sich doch alles auf.“, entrüstet sich Raimund. „Von meiner Hände Arbeit lebst du nicht schlecht, Frollein, die paar Kröten, die du mit deiner Putzerei verdienst, reichen ja gerade mal für den Lippenstift, den du dir ins Gesicht schmierst, als wenn das noch irgendwas bringen würde.“
„Ich hätte vielleicht auch gern einen Beruf gelernt.“, wehrt sich Daniela. „Wenn du damals besser aufgepasst hättest und ich nicht gleich schwanger geworden wäre, hätte das auch geklappt, dann würde ich heute auch besser verdienen. Ich hab' schließlich die Kinder allein großgezogen. Hast du dich auch nicht drum gekümmert.“
„Stimmt doch gar nicht!“, widerspricht Raimund entschieden. „Wie oft war ich mit Marvin beim Fußball und wie oft habe ich Nadine von irgendwelchen Feten oder aus der Disco abgeholt? Und außerdem: wer kümmert sich denn um das Auto, den Fernseher oder wenn was zu reparieren ist?“
„Weißt du was?“, erwidert Daniela trotzig. „Du musst gar nichts machen. Ich esse auswärts. Kannst du ja auch machen. Wieso soll ich dich jeden Tag bedienen? Du reparierst ja auch nicht jeden Tag was.“
Raimund funkelt sie böse an, hüllt sich aber wieder in sein gewohntes Schweigen. Statt dessen studiert er demonstrativ die Fernsehzeitung. Daniela trinkt ihre Kaffee aus und macht sich auf den Weg in die KiTa.
Lilly malt schon die dritte Ritterburg. Saskia seufzt. Sie hat gleich eine Verabredung und will nicht zu spät kommen. Es sind immer die gleichen Eltern, die es nicht schaffen, ihre lieben Kleinen pünktlich abzuholen. Jennifer Werning ist eine der schlimmsten. Immer in Schale, immer superbusy, leitet den Elternrat als wäre sie die Stimme der Geknechteten, stellt immer nur Forderungen – nur ihren Teil der Vereinbarung einzuhalten, das schafft sie nicht. Natürlich ist sie nicht die erfolgreiche Topmanagerin oder Projektleiterin oder als was sie sonst gern gesehen werden möchte. Nein, sie ist Zahntechnikerin, eine Angestellte unter vielen und bestimmt entbehrlich, wenn sie ihr Kind abholen muss. Die Reinigungskraft ist schon da. Vielleicht soll das heute so sein, da könnte Saskia sie ja einmal direkt ansprechen: „Frau Schlüter, so geht das nicht weiter. Sie müssen auch regelmäßig die Ecken putzen, da sind überall Wollmäuse.“
„Du hast mir gar nichts zu sagen, Mäuschen.“, fährt Daniela Schlüter die blutjunge Erzieherin an.
„Unsere Leitung sieht das genauso.“, erwidert Saskia spitz.
„Dann soll sie mir das selbst sagen.“
Kurz darauf geht Regina Heuer auf die Putzfrau zu. „Hören Sie mal, wir erklären Ihnen das doch nicht zum ersten Mal. In einer Kita gibt es Hygiene-Vorschriften. Es reicht nicht, einmal über den Fußboden zu feudeln. Sie müssen ja nicht täglich alle Ecken putzen wie eine vor Langeweile kranke Hausfrau, aber vielleicht mal am Montag die Waschbecken gründlicher scheuern, am Dienstag die Schränke in dem einen Gruppenraum abziehen und auch dahinter wischen usw. Wir bezahlen einen Haufen Geld für diese Dienstleistung, 23,- € die Stunde, da kann man jawohl wenigstens erwarten, dass es sauber ist.“
„Ich sehe von den angeblichen 23,-€ aber nur 8,50 €.“, erwidert Daniela.
„Das ist schlimm.“, sagt Regina verständnisvoll, „aber für Reinigungsarbeiten braucht man ja auch keine hochkarätige Ausbildung. Also seien Sie bitte so gut und nehmen sich heute mal die Bauecke vor, da sitzt überall Staub in den Ritzen. Ich muss jetzt los. Auf Wiedersehen.“
„Verdammte Zimtzicken!“, flucht Daniela vor sich hin. „Meinen, nur weil sie ein bisschen länger zur Schule gegangen sind, können sie mir erzählen, wie ich meine Arbeit machen muss. Als wenn sie was Besseres wären. Was machen die denn schon? Spielen den ganzen Tag mit Kindern. Hab' ich auch jahrelang gemacht. Hat mir keiner was für bezahlt.“
Sie arbeitet das übliche Programm ab. Die Kindergartenziegen können sie mal. Sollen sie doch selbst die Wollmäuse aus der Bauecke kratzen. Sie hat von ihrer Chefin keine Anweisung, dass sie so etwas reinigen soll. Fußböden, Waschbecken, Klos und waagerechte Oberflächen, also Tische, Stühle, Schränke, Fensterbänke. 23,- € die Stunde, das hört sie heute zum ersten Mal. Die von der Diakonie verdienen sich an ihrer Arbeit eine goldene Nase. Jetzt weiß sie auch, wovon der Chef seinen dicken Schlitten bezahlt. Sie hört, wie die Eingangstür geöffnet wird. Hat eine von den Schlampen wohl noch was vergessen.
Zitternd steht Regina Heuer neben der blutüberströmten Frau. „Warum zum Teufel habe ich mein Portemonnaie im Büro liegen lassen?“ schießt es ihr durch den Kopf. „Wenn ich dran gedacht hätte, es einzustecken, wäre mir das alles erspart geblieben.“ Daniela Schlüter rührt sich nicht mehr. Das Messer liegt einen halben Meter von ihr entfernt, wie ein achtlos weggeworfenes Einweg-Werkzeug. Regina will einfach nur noch raus aus der Einrichtung. Aber irgendein Areal ihres Gehirnes ermahnt sie, nicht kopflos zu handeln. Sie zieht ihr Mobiltelefon aus der Tasche. Mit letzter Kraft wählt sie den Notruf der Polizei.
LIEBE LESENDE! IHR SEID DIE ERMITTELNDEN POLIZEIKRÄFTE. BEFRAGT DIE BETEILIGTEN ODER AUCH JENE; DEREN EXISTENZ IHR VERMUTET, DIE ABER IM VORLIEGENDEN BERICHT NICHT ZU WORT KOMMEN. ICH WERDE STELLVERTRETEND FÜR JEDE FIGUR, DIE IHR ANSPRECHT, WAHRHEITSGEMÄß ANTWORTEN, NUR NICHT AUF SOLCHE FRAGEN WIE: „SIND SIE DER MÖRDER? SIND SIE UNSCHLUDIG? HABEN SIE DIE PUTZFRAU ERSCHLAGEN?“ USW. , DAS WÄRE JA LANGWEILIG. IN EINER WOCHE ERKLÄRE ICH DANN, WAS TATSÄCHLICH PASSIERT IST. ERHÖHT DIE SPANNUNG FÜR ALLE, INDEM IHR VIELE FRAGEN STELLT!
Falls Ihr nicht wünscht, dass Eure Fragen in der E-book-Version meiner Kurzkrimis erscheinen, bitte ich Euch, dies ausdrücklich zu erklären.
... link (9 Kommentare) ... comment
Dienstag, 2. Mai 2017
Fünfzehn Siebzehn - Kurzkrimi zum Spekulieren - letzter Teil
c. fabry, 11:47h
Das erste Alibi, das Keller überprüfte, war das der Ehefrau. Die gute Freundin bestätigte den nächtlichen Besuch, es bestand aber immer noch die Restwahrscheinlichkeit, dass die beiden gemeinsame Sache machten, beziehungsweise, dass die Freundin die Pfarrerswitwe deckte.
Susanne Korte war zunächst beim Abendkreis gewesen und dann zu Hause, bei ihrem Mann. Es war unwahrscheinlich, dass er log, zumal seine Frau kein erkennbares Motiv hatte.
Pfarrer Philipp Schwartz, hatte sich tatsächlich in der gesamten letzten Woche zum Bibliologen ausbilden lassen und sich zu diesem Zweck in Josefstal im tiefsten Bayern aufgehalten. Dafür gab es mindestens fünfzehn unabhängige Zeugen.
Kerkenbrock befragte die Superintendentin Marlies Spengler.
„Bruder Münter war ein streitbarer Theologe.“, erklärte sie. „Er stand für seine Überzeugungen ein und nahm kein Blatt vor den Mund. Er hat etliche Kollegen gegen sich aufgebracht – die Konservativen genauso wie die betont Modernen, die unsere Kirche zu einem effektiven Geschäftsmodell umbauen wollen. Sie erkennen sie an ihrem Management-Vokabular, das der freien Wirtschaft entlehnt ist und an ihrem Look: schneidig, hochwertig, dynamisch.“
„So wie Philipp Schwartz?“
„Das haben Sie gesagt.“, bemerkte Marlies Spengler und schmunzelte. „Auf jeden Fall war Thorben Münter kein Fan unserer geplanten Luther-Festivitäten. Er hätte es angemessener gefunden, das Reformations-Jubiläum zum Anlass zu nehmen, welchen Reformbedarf wir nach nunmehr fünfhundert Jahren haben, statt den ollen Luther zum tausendsten Mal zu beweihräuchern. Ich finde ja, beide Positionen haben ihre Berechtigung, darum habe ich mich auch dafür eingesetzt, dass Münter bei der Veranstaltung einen Stand macht. Allerdings hat er sich oft frotzelnderweise als Alibi-Querulaten bezeichnet. Die meisten wollten doch lieber etwas Gefälliges machen: mittelalterliche Küche, Lutherlieder singen, Quizduell, lauter schöne-evangelische-Welt-Aktionen. Jetzt müssen wir erst einmal jemanden finden, der Thorbens Platz einnimmt, das wird nicht einfach.“
„Gibt es Interessenten?“
„Nein. Ich sagte ja. Das wird nicht einfach.“
Kerkenbrock sah die Liste sämtlicher Theologen des Kirchenkreises durch. Dabei fiel ihr etwas Bemerkenswertes auf: Johannes Schwartz. Ist der Mit Philipp Schwartz verwandt?“
„Ja, das ist sein Vater. Eine regionale Pfarrer-Dynastie. Der Vater von Johannes Schwartz war Pfarrer im Kirchenkreis Soest.“
„Und was hält Johannes Schwartz davon, dass da jemand seinem Sohn das Prestige-Projekt madig machen wollte?“
„Nicht viel, vermute ich.“, antwortete die Superintendentin. „Am besten sie fragen ihn selbst. Er gehört zum Team der Stiftskirchengemeinde.“
Das Gespräch mit Johannes Schwartz verlief höchst merkwürdig. Sabine Kerkenbrock hatte die ganze Zeit das Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen, dass sie erstens als einer jüngeren Generation angehörig, zweitens als Frau und drittens als Nicht-Theologin überhaupt die Stirn besaß, ihm seine wertvolle Zeit zu stehlen und ihn mit Fragen zu belästigen. Sie hätte sich die Befragung auch schenken können. Als sie das Haus verließ, blieb ihr Blick im Inneren der Garage hängen, in der gerade kein Auto stand. Die Sonne wurde von einem großflächigen Fenster am gegenüber liegenden Haus so reflektiert, dass sie den hintersten Winkel der Garage ausleuchtete und da wurden am Boden zwei Sprühdosen angestrahlt in schwarz und rot. Sollte sie den Pfarrer noch dazu befragen? Als sie kam, hatte das Auto noch da gestanden, es war silbergrau. Vermutlich war die Ehefrau damit weggefahren. Wozu brauchte jemand mit einem silbergrauen Wagen Sprühlack in schwarz und rot, ganz besonders in diesem fortgeschrittenen Alter?
Sie rief Keller an und behielt die Garage im Auge, falls Schwartz versuchen sollte, die möglichen Beweise zu vernichten. Der Staatsanwalt reagierte ungewöhnlich schnell oder auch nicht ungewöhnlich, denn er war unter der Hand bekannt dafür, dass er unter einer regelrechten Allergie gegen das gesamte Kirchenvolk litt. So schnell hatten sie noch keinen Durchsuchungsbeschluss erhalten. Sie fanden nicht nur das passende Lackspray, mit dem die Hakenkreuzfahne hergestellt worden war, sondern auch Kaufbelege aus unterschiedlichsten Geschäften, in denen der Täter nach und nach die Tintenfässer erworben hatte. Als besonders spannend erwies sich die im Keller entdeckte Schokokusswurfmaschine, an der sich Tintenflecken befanden.
Mit einem geradezu trotzigen Gesichtsausdruck saß Johannes Schwartz im Verhörraum..
„Sie haben jetzt alle Zeit der Welt, uns zu erzählen wie und warum Sie ihren Kollegen
Thorben Münter getötet haben.“
„Kollege“, schnaubte Schwartz abfällig und seine erschlafften Hamsterbacken bebten vor Erregung. Kerkenbrock konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er eine frappierende, physische Ähnlichkeit mit dem Reformator Luther besaß.
„Münter war nichts weiter, als ein Nestbeschmutzer. Er hat zwar Theologie studiert, aber die wesentlichen Dinge nicht verstanden. Solchen Gesellen muss man beizeiten das Handwerk legen. Ich wollte, dass jeder erkennen kann, was für eine Ratte er war. So wie Martin Luther seinerzeit den Leibhaftigen mit einem Tintenfass verjagt hat, nachdem die 95 Thesen bereits veröffentlicht waren und so wie man im Alten Testament Übeltäter gesteinigt hat, habe ich den Teufel aus ihm herauskatapultiert. 95 Mal habe ich ihn beschossen und 95 Mal den Teufel getroffen.“
„Beschossen?“, fragte Keller „Etwa mit diesem eigens dafür hergestellten Katapult?“
„Das war nicht eigens dafür hergestellt.“, erklärte Johannes Schwartz. „Das ist ein liebenswertes Relikt aus den Siebzigerjahren, das immer noch hin und wieder zum Einsatz kommt. Eine Negerkuss-Wurfmaschine.“
„An Ihrer Sprache erkenne ich deutlich, dass die Hakenkreuzfahne nicht nur der Ablenkung diente, sondern auch Ihrer Überzeugung nicht ganz fernsteht.“, erklärte Kerkenbrock spitz.
„So ein Blödsinn!“, blaffte Schwartz sie an. „Diese ganze politische Korrektheit geht doch immer am Wesentlichen vorbei. Ich sehe mich in der Tradition Dietrich Bohnhoeffers und bin aufgewachsen mit der Rede Martin Luther Kings. Ich bin kein Rassist. , aber den traditionellen Negerkuss plötzlich Schokoschaumkuss zu nennen, nur damit ein paar blasse, magere Mädchen, die glauben, sie verstünden etwas von Ethik und Politik, sich nicht echauffieren, erscheint mir doch reichlich übersteuert.“
„Ich verstehe immer noch nicht, wofür diese Maschine normalerweise gebraucht wird.“, meldete sich Keller zu Wort.
„Man stellt sie auf Gemeinde- oder Kinderfesten auf. Es ist ein Geschicklichkeitsspiel. Man wirf einen Tennisball auf den Auslöser, dann fliegt einem der Negerkuss entgegen und man fängt ihn mit dem Mund auf.“
„Und wie haben Sie es mit den Tintenfässern angestellt?“
„Ich habe den Auslöser mit der Hand betätigt. Ich habe die Maschine auch an verschiedenen Stellen aufgestellt, damit es so aussieht, als sei er von mehreren Beteiligten beworfen worden. Vorher habe ich ihn mit einem Ast außer Gefecht gesetzt und ihn so vor die Mauer platziert, dass sich die Treffer effektvoll über seinen gesamten Körper verteilten.“
„Wie haben Sie ihn dort hin gelockt?“, fragte Keller.
„Ich habe ihn angerufen, mir irgendeinen Namen ausgedacht, wer ich angeblich sei, meine Stimme verstellt und behauptet, ich kenne ihn aus der Presse und dem Internet und ich würde gerade beobachten, wie sich einige Rechtsradikale an der Klosterruine sammelten, die sich auf Luther beriefen. Das müsse er sich ansehen. Er war ziemlich schnell da und einigermaßen verwirrt, als er nichts sah, als eine Hakenkreuzfahne.“
„Die Sie eigenhändig gesprüht hatten.“, ergänzte Kerkenbrock.
„Genau.“, bestätigte sie Schwartz.
„Warum haben Sie die Dosen nach der Tat nicht einfach entsorgt?“, fragte Kerkenbrock.
„Sie waren längst noch nicht verbraucht.“, erwiderte Schwartz. „Ich verabscheue jede Art von Verschwendung.“
„Meinen Sie nicht, dass es eine haltlose Verschwendung war, 95 Tintenfässer zu zerdeppern?“, fragte Keller angewidert.
„Nein.“, erwiderte Schwartz. „Die Symbolkraft dieser Artefakte war durch nichts zu übertreffen.“
„Sie haben das von langer Hand geplant, oder?“, fragte Keller. „Die Kaufbelege für die Tintenfässer waren zum Teil schon drei Monate alt.“
„Allerdings.“, erwiderte Schwartz. „Wenn ich einfach 95 Stück im Internet bestellt hätte, wäre ich ja sofort entlarvt gewesen.“
„Ich verstehe immer noch nicht, warum sie es getan haben.“, sagte Kerkenbrock. „Es gibt doch viele moderne Theologen, die Martin Luther äußerst kritisch gegenüber stehen. Wollten sie die auch alle noch steinigen?“
„Ich bin kein Massenmörder.“, erwiderte Schwartz. „Mir ging es darum einen Meilenstein im Lebenswerk meines Sohnes zu schützen. Er plant dieses besondere Reformationsfest zum Lutherjahr und ich bin wirklich stolz auf ihn, dass er diese Aufgabe mit Bravour bewältigt. Münter hätte alles verdorben, das konnte ich nicht zulassen. Dafür, dass ich verhindern konnte, dass ein Schatten auf den Glanz dieser wunderbaren Veranstaltung fällt, gehe ich gerne in Gefängnis. Das haben schon viele meiner Glaubensbrüder vor mir getan.“
„Wissen Sie was?“, sagte Keller und es gelang ihm nicht im Geringsten seinen tiefen Ekel zu verbergen. „Sie haben dem Anliegen Ihres Sohnes insbesondere dadurch geschadet, weil nun jeder erkennen kann, dass Luthers Entgleisungen so nachhaltig gewirkt haben, dass ein grausamer und völlig sinnloser Mord dabei herausgekommen ist. Ich werde das bei der Pressekonferenz besonders erwähnen.“
Susanne Korte war zunächst beim Abendkreis gewesen und dann zu Hause, bei ihrem Mann. Es war unwahrscheinlich, dass er log, zumal seine Frau kein erkennbares Motiv hatte.
Pfarrer Philipp Schwartz, hatte sich tatsächlich in der gesamten letzten Woche zum Bibliologen ausbilden lassen und sich zu diesem Zweck in Josefstal im tiefsten Bayern aufgehalten. Dafür gab es mindestens fünfzehn unabhängige Zeugen.
Kerkenbrock befragte die Superintendentin Marlies Spengler.
„Bruder Münter war ein streitbarer Theologe.“, erklärte sie. „Er stand für seine Überzeugungen ein und nahm kein Blatt vor den Mund. Er hat etliche Kollegen gegen sich aufgebracht – die Konservativen genauso wie die betont Modernen, die unsere Kirche zu einem effektiven Geschäftsmodell umbauen wollen. Sie erkennen sie an ihrem Management-Vokabular, das der freien Wirtschaft entlehnt ist und an ihrem Look: schneidig, hochwertig, dynamisch.“
„So wie Philipp Schwartz?“
„Das haben Sie gesagt.“, bemerkte Marlies Spengler und schmunzelte. „Auf jeden Fall war Thorben Münter kein Fan unserer geplanten Luther-Festivitäten. Er hätte es angemessener gefunden, das Reformations-Jubiläum zum Anlass zu nehmen, welchen Reformbedarf wir nach nunmehr fünfhundert Jahren haben, statt den ollen Luther zum tausendsten Mal zu beweihräuchern. Ich finde ja, beide Positionen haben ihre Berechtigung, darum habe ich mich auch dafür eingesetzt, dass Münter bei der Veranstaltung einen Stand macht. Allerdings hat er sich oft frotzelnderweise als Alibi-Querulaten bezeichnet. Die meisten wollten doch lieber etwas Gefälliges machen: mittelalterliche Küche, Lutherlieder singen, Quizduell, lauter schöne-evangelische-Welt-Aktionen. Jetzt müssen wir erst einmal jemanden finden, der Thorbens Platz einnimmt, das wird nicht einfach.“
„Gibt es Interessenten?“
„Nein. Ich sagte ja. Das wird nicht einfach.“
Kerkenbrock sah die Liste sämtlicher Theologen des Kirchenkreises durch. Dabei fiel ihr etwas Bemerkenswertes auf: Johannes Schwartz. Ist der Mit Philipp Schwartz verwandt?“
„Ja, das ist sein Vater. Eine regionale Pfarrer-Dynastie. Der Vater von Johannes Schwartz war Pfarrer im Kirchenkreis Soest.“
„Und was hält Johannes Schwartz davon, dass da jemand seinem Sohn das Prestige-Projekt madig machen wollte?“
„Nicht viel, vermute ich.“, antwortete die Superintendentin. „Am besten sie fragen ihn selbst. Er gehört zum Team der Stiftskirchengemeinde.“
Das Gespräch mit Johannes Schwartz verlief höchst merkwürdig. Sabine Kerkenbrock hatte die ganze Zeit das Gefühl, sich dafür entschuldigen zu müssen, dass sie erstens als einer jüngeren Generation angehörig, zweitens als Frau und drittens als Nicht-Theologin überhaupt die Stirn besaß, ihm seine wertvolle Zeit zu stehlen und ihn mit Fragen zu belästigen. Sie hätte sich die Befragung auch schenken können. Als sie das Haus verließ, blieb ihr Blick im Inneren der Garage hängen, in der gerade kein Auto stand. Die Sonne wurde von einem großflächigen Fenster am gegenüber liegenden Haus so reflektiert, dass sie den hintersten Winkel der Garage ausleuchtete und da wurden am Boden zwei Sprühdosen angestrahlt in schwarz und rot. Sollte sie den Pfarrer noch dazu befragen? Als sie kam, hatte das Auto noch da gestanden, es war silbergrau. Vermutlich war die Ehefrau damit weggefahren. Wozu brauchte jemand mit einem silbergrauen Wagen Sprühlack in schwarz und rot, ganz besonders in diesem fortgeschrittenen Alter?
Sie rief Keller an und behielt die Garage im Auge, falls Schwartz versuchen sollte, die möglichen Beweise zu vernichten. Der Staatsanwalt reagierte ungewöhnlich schnell oder auch nicht ungewöhnlich, denn er war unter der Hand bekannt dafür, dass er unter einer regelrechten Allergie gegen das gesamte Kirchenvolk litt. So schnell hatten sie noch keinen Durchsuchungsbeschluss erhalten. Sie fanden nicht nur das passende Lackspray, mit dem die Hakenkreuzfahne hergestellt worden war, sondern auch Kaufbelege aus unterschiedlichsten Geschäften, in denen der Täter nach und nach die Tintenfässer erworben hatte. Als besonders spannend erwies sich die im Keller entdeckte Schokokusswurfmaschine, an der sich Tintenflecken befanden.
Mit einem geradezu trotzigen Gesichtsausdruck saß Johannes Schwartz im Verhörraum..
„Sie haben jetzt alle Zeit der Welt, uns zu erzählen wie und warum Sie ihren Kollegen
Thorben Münter getötet haben.“
„Kollege“, schnaubte Schwartz abfällig und seine erschlafften Hamsterbacken bebten vor Erregung. Kerkenbrock konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er eine frappierende, physische Ähnlichkeit mit dem Reformator Luther besaß.
„Münter war nichts weiter, als ein Nestbeschmutzer. Er hat zwar Theologie studiert, aber die wesentlichen Dinge nicht verstanden. Solchen Gesellen muss man beizeiten das Handwerk legen. Ich wollte, dass jeder erkennen kann, was für eine Ratte er war. So wie Martin Luther seinerzeit den Leibhaftigen mit einem Tintenfass verjagt hat, nachdem die 95 Thesen bereits veröffentlicht waren und so wie man im Alten Testament Übeltäter gesteinigt hat, habe ich den Teufel aus ihm herauskatapultiert. 95 Mal habe ich ihn beschossen und 95 Mal den Teufel getroffen.“
„Beschossen?“, fragte Keller „Etwa mit diesem eigens dafür hergestellten Katapult?“
„Das war nicht eigens dafür hergestellt.“, erklärte Johannes Schwartz. „Das ist ein liebenswertes Relikt aus den Siebzigerjahren, das immer noch hin und wieder zum Einsatz kommt. Eine Negerkuss-Wurfmaschine.“
„An Ihrer Sprache erkenne ich deutlich, dass die Hakenkreuzfahne nicht nur der Ablenkung diente, sondern auch Ihrer Überzeugung nicht ganz fernsteht.“, erklärte Kerkenbrock spitz.
„So ein Blödsinn!“, blaffte Schwartz sie an. „Diese ganze politische Korrektheit geht doch immer am Wesentlichen vorbei. Ich sehe mich in der Tradition Dietrich Bohnhoeffers und bin aufgewachsen mit der Rede Martin Luther Kings. Ich bin kein Rassist. , aber den traditionellen Negerkuss plötzlich Schokoschaumkuss zu nennen, nur damit ein paar blasse, magere Mädchen, die glauben, sie verstünden etwas von Ethik und Politik, sich nicht echauffieren, erscheint mir doch reichlich übersteuert.“
„Ich verstehe immer noch nicht, wofür diese Maschine normalerweise gebraucht wird.“, meldete sich Keller zu Wort.
„Man stellt sie auf Gemeinde- oder Kinderfesten auf. Es ist ein Geschicklichkeitsspiel. Man wirf einen Tennisball auf den Auslöser, dann fliegt einem der Negerkuss entgegen und man fängt ihn mit dem Mund auf.“
„Und wie haben Sie es mit den Tintenfässern angestellt?“
„Ich habe den Auslöser mit der Hand betätigt. Ich habe die Maschine auch an verschiedenen Stellen aufgestellt, damit es so aussieht, als sei er von mehreren Beteiligten beworfen worden. Vorher habe ich ihn mit einem Ast außer Gefecht gesetzt und ihn so vor die Mauer platziert, dass sich die Treffer effektvoll über seinen gesamten Körper verteilten.“
„Wie haben Sie ihn dort hin gelockt?“, fragte Keller.
„Ich habe ihn angerufen, mir irgendeinen Namen ausgedacht, wer ich angeblich sei, meine Stimme verstellt und behauptet, ich kenne ihn aus der Presse und dem Internet und ich würde gerade beobachten, wie sich einige Rechtsradikale an der Klosterruine sammelten, die sich auf Luther beriefen. Das müsse er sich ansehen. Er war ziemlich schnell da und einigermaßen verwirrt, als er nichts sah, als eine Hakenkreuzfahne.“
„Die Sie eigenhändig gesprüht hatten.“, ergänzte Kerkenbrock.
„Genau.“, bestätigte sie Schwartz.
„Warum haben Sie die Dosen nach der Tat nicht einfach entsorgt?“, fragte Kerkenbrock.
„Sie waren längst noch nicht verbraucht.“, erwiderte Schwartz. „Ich verabscheue jede Art von Verschwendung.“
„Meinen Sie nicht, dass es eine haltlose Verschwendung war, 95 Tintenfässer zu zerdeppern?“, fragte Keller angewidert.
„Nein.“, erwiderte Schwartz. „Die Symbolkraft dieser Artefakte war durch nichts zu übertreffen.“
„Sie haben das von langer Hand geplant, oder?“, fragte Keller. „Die Kaufbelege für die Tintenfässer waren zum Teil schon drei Monate alt.“
„Allerdings.“, erwiderte Schwartz. „Wenn ich einfach 95 Stück im Internet bestellt hätte, wäre ich ja sofort entlarvt gewesen.“
„Ich verstehe immer noch nicht, warum sie es getan haben.“, sagte Kerkenbrock. „Es gibt doch viele moderne Theologen, die Martin Luther äußerst kritisch gegenüber stehen. Wollten sie die auch alle noch steinigen?“
„Ich bin kein Massenmörder.“, erwiderte Schwartz. „Mir ging es darum einen Meilenstein im Lebenswerk meines Sohnes zu schützen. Er plant dieses besondere Reformationsfest zum Lutherjahr und ich bin wirklich stolz auf ihn, dass er diese Aufgabe mit Bravour bewältigt. Münter hätte alles verdorben, das konnte ich nicht zulassen. Dafür, dass ich verhindern konnte, dass ein Schatten auf den Glanz dieser wunderbaren Veranstaltung fällt, gehe ich gerne in Gefängnis. Das haben schon viele meiner Glaubensbrüder vor mir getan.“
„Wissen Sie was?“, sagte Keller und es gelang ihm nicht im Geringsten seinen tiefen Ekel zu verbergen. „Sie haben dem Anliegen Ihres Sohnes insbesondere dadurch geschadet, weil nun jeder erkennen kann, dass Luthers Entgleisungen so nachhaltig gewirkt haben, dass ein grausamer und völlig sinnloser Mord dabei herausgekommen ist. Ich werde das bei der Pressekonferenz besonders erwähnen.“
... link (9 Kommentare) ... comment
Montag, 24. April 2017
Fünfzehn Siebzehn - Kurzkrimi zum Spekulieren - 2. Teil
c. fabry, 15:15h
Am nächsten Morgen betrat Kerkenbrock ihr Büro und staunte über einen selten erholt wirkenden Stefan Keller.
„Waren Sie wirklich nur im Urlaub oder waren Sie irgendwo im Zauberwald?“, fragte sie ihn. „Sie sehen aus, als hätten Sie einen neuen Lack bekommen.“
„Danke, für das reizende Kompliment.“, erwiderte Keller. „Es ist wohl eher so, als wenn man ein altes Auto mit Politur für den TÜV aufhübscht. Das wäscht sich innerhalb einer Woche wieder runter.“
„Meinen Sie, länger hält das nicht?“, fragte Kerkenbrock. Immerhin betrifft unser neuer Fall ein Opfer aus dem urbanen Milieu, das sollte Ihnen doch gefallen.“
„Ja, aber gefunden wurde die Leiche im Wald, ich habe den Bericht schon gelesen. Ist ja schauerlich. Waren Sie schon beim Psychologen?“
„Haha, ich lach mich gleich tot. Wir haben zu tun, Herr Keller. Ich versuche jetzt gleich Philipp Schwartz zu erreichen, das ist der Pfarrer, der den kirchenkreisweiten Festakt zur Reformation organisiert. Unser Opfer wollte dort nämlich einen Infostand zu Luthers dunklen Abgründen betreiben. Ich wüsste gern, was genau er da geplant hat.“
„Meinen Sie, jemand wollte ihn wegen Ketzerei präventiv bestrafen?“
„Wäre doch möglich.“, meinte Kerkenbrock.
„Haben Sie schon mit der Familie gesprochen?“
„Die waren bisher nicht vernehmungsfähig. Ich schlage vor, die besuchen wir erst am späten Vormittag.“
Philipp Schwartz war zu Hause und empfing die Beamten betont freundlich, so wie ein kundenorientierter Geschäftsmann. Und so sah er auch aus: Jung, dynamisch, gepflegt, im Business-Look gekleidet und ein seriöser Haarschnitt, der aber frech genug geschnitten war, um nicht zu bieder zu wirken. Er sprach laut und fröhlich mit einer Mischung aus angedeuteter, freundschaftlicher Vertraulichkeit, wobei er peinlich darauf achtete, in kein Fettnäpfchen zu treten und nichts Wesentliches von sich preiszugeben. Er hätte den perfekten Jungmanager abgegeben. Über den grausamen Tod seines Kollegen zeigte er sich zutiefst erschüttert und zwar genau in dem Maß, in dem es von ihm als Theologen, Profi und Kollegen erwartet wurde, das heißt, er behielt die Fassung, aber der betroffene Gesichtsausdruck saß wie angegossen.
„Wie kommt es, dass Sie noch nicht informiert sind?“, fragte Keller skeptisch.
„Ich bin erst gestern Nacht von einer Fortbildung aus Süddeutschland zurückgekehrt. Als Sie anriefen, saß ich gerade beim Frühstück. Ich habe noch keine E-mail gelesen, kein Radio gehört und keine Zeitung aufgeschlagen. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“
„Sie organisieren doch die Veranstaltung am 31.10. zum Reformationsjubiläum.“, begann Kerkenbrock die Befragung. „Welche Details sind Ihnen bekannt zum Infostand, den Thorben Münter geplant hatte?“
„Ich weiß nur, dass er Stellwände aufbauen wollte und dann sprach er von einem Brettspiel, sehr einfach gehalten, irgendetwas mit Würfeln und Karten unter der Überschrift: „Was hätte Luther getan?“ Er wollte die Besucher mit den Entgleisungen des Reformators konfrontieren, Also mit seinem Antisemitismus, seinem Unverständnis gegenüber den Bauernaufständen, seiner scharfen Kritik an Thomas Müntzer und seinem Rest-Aberglauben, demzufolge Kinder mit geistigen Behinderungen Wechselbälger des Teufels waren und damit Dämonen, die man töten musste.“
„Gab es Kritik oder Widerstand gegen sein Vorhaben?“, fragte Keller.
„Nein.“, erwiderte Schwartz, ohne zu überlegen. „Warum auch? Das ist ja alles historisch belegt. Natürlich fragt man sich, warum wir, wenn wir das Jubiläum der Reformation feiern, die eine Errungenschaft der Christenheit darstellt, immer gleichzeitig daran erinnern müssen, dass der Reformator kein Heiliger war? Jeder Held der Geschichte hat auch dunkle Seiten. Menschen sind keine perfekten Lichtwesen, deswegen haben wir ja auch alle die Vergebung so nötig. Martin Luther hat das immer betont und war sich auch stets seiner eigenen Unzulänglichkeit bewusst. Er war ein Kind seiner Zeit und dabei sollte man es belassen. Natürlich ist die Evangelische Kirche heute meilenweit davon entfernt, antisemitisch zu sein, Menschen, die nicht der Norm entsprechen auszugrenzen, Reformwillige zu vertreiben oder politischen Widerstand zu verbieten. Ganz im Gegenteil.“
„Natürlich.“, erwiderte Keller mit gespielter Freundlichkeit. „Das entspricht ja auch der aktuellen gesellschaftlichen Norm. Vor achtzig Jahren sah das aber noch ganz anders aus.“
„Vor achtzig Jahren sah es auch bei der Polizei noch ganz anders aus.“, konterte Schwartz. „Ich bin jedenfalls in einer evangelischen Verbandsjugendarbeit groß geworden, in der man sich mit Themen befasst hat wie dem Weltfrieden, dem Umweltschutz und der Integration von Menschen mit Behinderungen. Und wenn jemand bei einem Fest zur Reformation darauf besteht, auch die Schattenseiten zu bedenken, dann hat er alle Freiheit, das zu tun. Wie halten Sie es denn bei Ihren Polizeifesten?“
„Ich besuche keine Polizeifeste.“, antwortete Keller. „haben Sie sonst etwas mitbekommen, dass Thorben Münter vielleicht bedroht wurde oder mit jemandem Streit hatte?“
„Er wurde bestenfalls von einigen Kollegen belächelt.“, erwiderte Schwartz mit einem mitleidigen Zucken der Mundwinkel. „Irgendwann wird man einfach nicht mehr ernst genommen, wenn man sich immer gebärdet, als sei man das personifizierte Gewissen des Kirchenkreises.“
Sie befragten Philipp Schwartz noch lange zu den Aufgaben, den die Theologen im Kirchenkreis unter sich aufteilten, wer besonders gut mit Münter zurecht gekommen war und wer ihn besonders missbilligte und was bei der Veranstaltung am 31.10. genau geplant war und in wessen Verantwortung. Der Pfarrer schwärmte in höchsten Tönen von seinem Projekt und es war nicht zu übersehen, dass er es liebte wie sein Baby und es – falls nötig – mit Zähnen und Klauen verteidigte.
„Wir müssen die angebliche Fortbildung in Süddeutschland genau überprüfen.“, meinte Keller später zu Kerkenbrock. „Ich finde, dieser Schwartz hat das dickste Motiv, das man sich vorstellen kann, er hatte nur nicht die Gelegenheit, aber vielleicht hat er auch nur dafür gesorgt, dass es so aussieht.“
Am späten Vormittag suchten sie Frau Münter auf. Die hatte sich durch Notfallseelsorge und die Einnahme von entsprechenden Medikamenten so weit beruhigt, dass sie zu einem längeren Gespräch fähig war.
„Ja, mein Mann hat es seinen Kollegen nicht immer leicht gemacht, aber ich glaube kaum, dass irgendjemand ihn deswegen umbringen wollte. Seine echten Feinde müssen Sie wohl eher im rechtsextremistischen Umfeld suchen. Die haben sich ja schon im Nazi-Deutschland auf Luther berufen. Als er vorgestern Abend noch einmal raus gegangen ist, hat er mir einen Zettel hinterlassen.“
Sie zeigte den Beamten ein quadratisches Blatt eines handelsüblichen Notziblocks: „Hallo Frauke, bin kurz noch mal Nazis gucken :-) Kann spät werden. Thorben.“
„Verstehen Sie, was er damit meinte?“, fragte Kerkenbrock.
„Ich vermute, er hat eine Mitteilung bekommen, dass irgendwo eine heimliche Veranstaltung von Neonazis abgehalten wird. Er wollte dahin und das beobachten. So etwas hat er häufiger gemacht.“
„Wer wusste, dass er so etwas regelmäßig machte?“, fragte Kerkenbrock.
„Praktisch jeder, der ihn kannte.“, antwortete Frauke Münter. „Er sprach sehr viel darüber.“
„Es wäre demnach möglich, dass ihn jemand in eine Falle gelockt hat?“
„Sie meinen, das waren gar keine Nazis?“, fragte die Witwe irritiert.
„Zumindest nicht notwendigerweise.“, antwortete Kerkenbrock. „Haben Sie sich denn gar nicht gewundert, dass Ihr Mann in der Nacht nicht nach Hause kam? Sie müssen sich doch Sorgen um ihn gemacht haben. Ist doch nicht unwahrscheinlich, dass man verletzt wird, wenn man heimlich Treffen von Neonazis beschattet.“
„Ich habe den Zettel doch erst gefunden, nachdem die Polizei hier war.“, antwortete Frauke Münter. „Vorgestern Nacht bin ich selbst sehr spät nach Hause gekommen, ich war bei einer Freundin und wir haben die halbe Nacht geredet. Ich habe mich dann leise ins Bett geschlichen, um meinen Mann nicht zu wecken. Ich wusste gar nicht, dass er nicht da war.“
„Sie müssen doch bemerkt haben, dass das Bett leer war.“
„Nein.“, erwiderte die Frau des Pfarrers. „Seine Schlafzimmertür war zu. Wir schlafen nicht in einem Zimmer. Ich bin sehr geräuschempfindlich und schlafe bei geschlossenem Fenster. Mein Mann dagegen bekommt Alpträume, wenn nicht ständig frische Luft nachströmt.“
Sie hatte für den Bruchteil einer Sekunde vergessen, dass ihr Mann nie wieder Alpträume haben würde.
Sie ließen sich auch Namen und Kontaktdaten der Freundin geben, mit der Frau Münter die halbe Tatnacht verbracht haben wollte. „Getrennte Schlafzimmer“, meinte Keller, „sind immer ein Indiz für eheliche Konflikte. Die Ausrede mit den unterschiedlichen Schlafbedürfnissen wird einem da jedes Mal aufgetischt.“
„Aber es gibt unterschiedliche Schlafbedürfnisse.“, meinte Kerkenbrock. „Ich kenne einige befreundete Paare, die das so handhaben und trotzdem Kinder kriegen und sehr liebevoll miteinander umgehen.“
„Mag ja sein.“, erwiderte Keller. „Überprüfen müssen wir das Alibi der Witwe aber trotzdem. Dieser Notizzettel wirkt auf mich reichlich konstruiert. Ich kümmere mich um die Alibis. Könnten Sie sich in der Zwischenzeit mit dem Kirchenkreis in Verbindung setzen und sich eine Liste aller dort tätigen Pfarrerinnen und Pfarrer geben lassen? Ich denke wir sollten die alle abklappern, falls die Alibis der Prüfung standhalten.“
„Ist in Ordnung.“, meinte Kerkenbrock. „Vielleicht unterhalte ich mich mal mit der Superintendentin. Die weiß sicher, wer besonders gut mit Münter konnte und wer ihm nicht so grün war, dann müssen wir uns nicht mit jedem unterhalten.“
„Aber die Information haben wir doch schon von Schwartz.“
„Ich hole gern eine zweite Meinung ein.“, antwortete Kerkenbrock. „Und mit der weiblichen Sicht ist das Ganze dann auch gleich ordnungsgemäß gegendert.“
„Sie sprechen definitiv nicht meine Sprache.“, grunzte Keller und lenkte den Wagen zurück zum Präsidium.
JA, IHR LIEBEN, DIES IST NOCH IMMER NICHT DAS ENDE. DARAUF MÜSST IHR NOCH EINE WOCHE WARTEN: VERTREIBT DOCH MIR UND EUCH DIE ZEIT MIT GEWAGTEN HYPOTHESEN UND UNGEHEUERLICHEN VERDÄCHTIGUNGEN.
„Waren Sie wirklich nur im Urlaub oder waren Sie irgendwo im Zauberwald?“, fragte sie ihn. „Sie sehen aus, als hätten Sie einen neuen Lack bekommen.“
„Danke, für das reizende Kompliment.“, erwiderte Keller. „Es ist wohl eher so, als wenn man ein altes Auto mit Politur für den TÜV aufhübscht. Das wäscht sich innerhalb einer Woche wieder runter.“
„Meinen Sie, länger hält das nicht?“, fragte Kerkenbrock. Immerhin betrifft unser neuer Fall ein Opfer aus dem urbanen Milieu, das sollte Ihnen doch gefallen.“
„Ja, aber gefunden wurde die Leiche im Wald, ich habe den Bericht schon gelesen. Ist ja schauerlich. Waren Sie schon beim Psychologen?“
„Haha, ich lach mich gleich tot. Wir haben zu tun, Herr Keller. Ich versuche jetzt gleich Philipp Schwartz zu erreichen, das ist der Pfarrer, der den kirchenkreisweiten Festakt zur Reformation organisiert. Unser Opfer wollte dort nämlich einen Infostand zu Luthers dunklen Abgründen betreiben. Ich wüsste gern, was genau er da geplant hat.“
„Meinen Sie, jemand wollte ihn wegen Ketzerei präventiv bestrafen?“
„Wäre doch möglich.“, meinte Kerkenbrock.
„Haben Sie schon mit der Familie gesprochen?“
„Die waren bisher nicht vernehmungsfähig. Ich schlage vor, die besuchen wir erst am späten Vormittag.“
Philipp Schwartz war zu Hause und empfing die Beamten betont freundlich, so wie ein kundenorientierter Geschäftsmann. Und so sah er auch aus: Jung, dynamisch, gepflegt, im Business-Look gekleidet und ein seriöser Haarschnitt, der aber frech genug geschnitten war, um nicht zu bieder zu wirken. Er sprach laut und fröhlich mit einer Mischung aus angedeuteter, freundschaftlicher Vertraulichkeit, wobei er peinlich darauf achtete, in kein Fettnäpfchen zu treten und nichts Wesentliches von sich preiszugeben. Er hätte den perfekten Jungmanager abgegeben. Über den grausamen Tod seines Kollegen zeigte er sich zutiefst erschüttert und zwar genau in dem Maß, in dem es von ihm als Theologen, Profi und Kollegen erwartet wurde, das heißt, er behielt die Fassung, aber der betroffene Gesichtsausdruck saß wie angegossen.
„Wie kommt es, dass Sie noch nicht informiert sind?“, fragte Keller skeptisch.
„Ich bin erst gestern Nacht von einer Fortbildung aus Süddeutschland zurückgekehrt. Als Sie anriefen, saß ich gerade beim Frühstück. Ich habe noch keine E-mail gelesen, kein Radio gehört und keine Zeitung aufgeschlagen. Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?“
„Sie organisieren doch die Veranstaltung am 31.10. zum Reformationsjubiläum.“, begann Kerkenbrock die Befragung. „Welche Details sind Ihnen bekannt zum Infostand, den Thorben Münter geplant hatte?“
„Ich weiß nur, dass er Stellwände aufbauen wollte und dann sprach er von einem Brettspiel, sehr einfach gehalten, irgendetwas mit Würfeln und Karten unter der Überschrift: „Was hätte Luther getan?“ Er wollte die Besucher mit den Entgleisungen des Reformators konfrontieren, Also mit seinem Antisemitismus, seinem Unverständnis gegenüber den Bauernaufständen, seiner scharfen Kritik an Thomas Müntzer und seinem Rest-Aberglauben, demzufolge Kinder mit geistigen Behinderungen Wechselbälger des Teufels waren und damit Dämonen, die man töten musste.“
„Gab es Kritik oder Widerstand gegen sein Vorhaben?“, fragte Keller.
„Nein.“, erwiderte Schwartz, ohne zu überlegen. „Warum auch? Das ist ja alles historisch belegt. Natürlich fragt man sich, warum wir, wenn wir das Jubiläum der Reformation feiern, die eine Errungenschaft der Christenheit darstellt, immer gleichzeitig daran erinnern müssen, dass der Reformator kein Heiliger war? Jeder Held der Geschichte hat auch dunkle Seiten. Menschen sind keine perfekten Lichtwesen, deswegen haben wir ja auch alle die Vergebung so nötig. Martin Luther hat das immer betont und war sich auch stets seiner eigenen Unzulänglichkeit bewusst. Er war ein Kind seiner Zeit und dabei sollte man es belassen. Natürlich ist die Evangelische Kirche heute meilenweit davon entfernt, antisemitisch zu sein, Menschen, die nicht der Norm entsprechen auszugrenzen, Reformwillige zu vertreiben oder politischen Widerstand zu verbieten. Ganz im Gegenteil.“
„Natürlich.“, erwiderte Keller mit gespielter Freundlichkeit. „Das entspricht ja auch der aktuellen gesellschaftlichen Norm. Vor achtzig Jahren sah das aber noch ganz anders aus.“
„Vor achtzig Jahren sah es auch bei der Polizei noch ganz anders aus.“, konterte Schwartz. „Ich bin jedenfalls in einer evangelischen Verbandsjugendarbeit groß geworden, in der man sich mit Themen befasst hat wie dem Weltfrieden, dem Umweltschutz und der Integration von Menschen mit Behinderungen. Und wenn jemand bei einem Fest zur Reformation darauf besteht, auch die Schattenseiten zu bedenken, dann hat er alle Freiheit, das zu tun. Wie halten Sie es denn bei Ihren Polizeifesten?“
„Ich besuche keine Polizeifeste.“, antwortete Keller. „haben Sie sonst etwas mitbekommen, dass Thorben Münter vielleicht bedroht wurde oder mit jemandem Streit hatte?“
„Er wurde bestenfalls von einigen Kollegen belächelt.“, erwiderte Schwartz mit einem mitleidigen Zucken der Mundwinkel. „Irgendwann wird man einfach nicht mehr ernst genommen, wenn man sich immer gebärdet, als sei man das personifizierte Gewissen des Kirchenkreises.“
Sie befragten Philipp Schwartz noch lange zu den Aufgaben, den die Theologen im Kirchenkreis unter sich aufteilten, wer besonders gut mit Münter zurecht gekommen war und wer ihn besonders missbilligte und was bei der Veranstaltung am 31.10. genau geplant war und in wessen Verantwortung. Der Pfarrer schwärmte in höchsten Tönen von seinem Projekt und es war nicht zu übersehen, dass er es liebte wie sein Baby und es – falls nötig – mit Zähnen und Klauen verteidigte.
„Wir müssen die angebliche Fortbildung in Süddeutschland genau überprüfen.“, meinte Keller später zu Kerkenbrock. „Ich finde, dieser Schwartz hat das dickste Motiv, das man sich vorstellen kann, er hatte nur nicht die Gelegenheit, aber vielleicht hat er auch nur dafür gesorgt, dass es so aussieht.“
Am späten Vormittag suchten sie Frau Münter auf. Die hatte sich durch Notfallseelsorge und die Einnahme von entsprechenden Medikamenten so weit beruhigt, dass sie zu einem längeren Gespräch fähig war.
„Ja, mein Mann hat es seinen Kollegen nicht immer leicht gemacht, aber ich glaube kaum, dass irgendjemand ihn deswegen umbringen wollte. Seine echten Feinde müssen Sie wohl eher im rechtsextremistischen Umfeld suchen. Die haben sich ja schon im Nazi-Deutschland auf Luther berufen. Als er vorgestern Abend noch einmal raus gegangen ist, hat er mir einen Zettel hinterlassen.“
Sie zeigte den Beamten ein quadratisches Blatt eines handelsüblichen Notziblocks: „Hallo Frauke, bin kurz noch mal Nazis gucken :-) Kann spät werden. Thorben.“
„Verstehen Sie, was er damit meinte?“, fragte Kerkenbrock.
„Ich vermute, er hat eine Mitteilung bekommen, dass irgendwo eine heimliche Veranstaltung von Neonazis abgehalten wird. Er wollte dahin und das beobachten. So etwas hat er häufiger gemacht.“
„Wer wusste, dass er so etwas regelmäßig machte?“, fragte Kerkenbrock.
„Praktisch jeder, der ihn kannte.“, antwortete Frauke Münter. „Er sprach sehr viel darüber.“
„Es wäre demnach möglich, dass ihn jemand in eine Falle gelockt hat?“
„Sie meinen, das waren gar keine Nazis?“, fragte die Witwe irritiert.
„Zumindest nicht notwendigerweise.“, antwortete Kerkenbrock. „Haben Sie sich denn gar nicht gewundert, dass Ihr Mann in der Nacht nicht nach Hause kam? Sie müssen sich doch Sorgen um ihn gemacht haben. Ist doch nicht unwahrscheinlich, dass man verletzt wird, wenn man heimlich Treffen von Neonazis beschattet.“
„Ich habe den Zettel doch erst gefunden, nachdem die Polizei hier war.“, antwortete Frauke Münter. „Vorgestern Nacht bin ich selbst sehr spät nach Hause gekommen, ich war bei einer Freundin und wir haben die halbe Nacht geredet. Ich habe mich dann leise ins Bett geschlichen, um meinen Mann nicht zu wecken. Ich wusste gar nicht, dass er nicht da war.“
„Sie müssen doch bemerkt haben, dass das Bett leer war.“
„Nein.“, erwiderte die Frau des Pfarrers. „Seine Schlafzimmertür war zu. Wir schlafen nicht in einem Zimmer. Ich bin sehr geräuschempfindlich und schlafe bei geschlossenem Fenster. Mein Mann dagegen bekommt Alpträume, wenn nicht ständig frische Luft nachströmt.“
Sie hatte für den Bruchteil einer Sekunde vergessen, dass ihr Mann nie wieder Alpträume haben würde.
Sie ließen sich auch Namen und Kontaktdaten der Freundin geben, mit der Frau Münter die halbe Tatnacht verbracht haben wollte. „Getrennte Schlafzimmer“, meinte Keller, „sind immer ein Indiz für eheliche Konflikte. Die Ausrede mit den unterschiedlichen Schlafbedürfnissen wird einem da jedes Mal aufgetischt.“
„Aber es gibt unterschiedliche Schlafbedürfnisse.“, meinte Kerkenbrock. „Ich kenne einige befreundete Paare, die das so handhaben und trotzdem Kinder kriegen und sehr liebevoll miteinander umgehen.“
„Mag ja sein.“, erwiderte Keller. „Überprüfen müssen wir das Alibi der Witwe aber trotzdem. Dieser Notizzettel wirkt auf mich reichlich konstruiert. Ich kümmere mich um die Alibis. Könnten Sie sich in der Zwischenzeit mit dem Kirchenkreis in Verbindung setzen und sich eine Liste aller dort tätigen Pfarrerinnen und Pfarrer geben lassen? Ich denke wir sollten die alle abklappern, falls die Alibis der Prüfung standhalten.“
„Ist in Ordnung.“, meinte Kerkenbrock. „Vielleicht unterhalte ich mich mal mit der Superintendentin. Die weiß sicher, wer besonders gut mit Münter konnte und wer ihm nicht so grün war, dann müssen wir uns nicht mit jedem unterhalten.“
„Aber die Information haben wir doch schon von Schwartz.“
„Ich hole gern eine zweite Meinung ein.“, antwortete Kerkenbrock. „Und mit der weiblichen Sicht ist das Ganze dann auch gleich ordnungsgemäß gegendert.“
„Sie sprechen definitiv nicht meine Sprache.“, grunzte Keller und lenkte den Wagen zurück zum Präsidium.
JA, IHR LIEBEN, DIES IST NOCH IMMER NICHT DAS ENDE. DARAUF MÜSST IHR NOCH EINE WOCHE WARTEN: VERTREIBT DOCH MIR UND EUCH DIE ZEIT MIT GEWAGTEN HYPOTHESEN UND UNGEHEUERLICHEN VERDÄCHTIGUNGEN.
... link (10 Kommentare) ... comment
... older stories