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Freitag, 10. März 2017
Böser Onkel - abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 16:24h
Es sah aus wie in einem Schlachthof. Überallhin war das Blut gespritzt. Der metallische Geruch stieg Sabine Kerkenbrock in die Nase. „Oh Gott!“, stöhnte sie leise. „Was bin ich froh, dass ich nicht bei der Spusi bin. Ich hätte Bestimmt schon ein Magengeschwür von dem ewigen Brechreiz.“
„Da kann man auch auf anderem Wege dran kommen.“, grummelte Stefan Keller. „Aber ich gebe Ihnen Recht. Das sieht hier aus wie ein Mord in der Bronx. Eine abgebrochene Flasche als Tatwaffe habe ich schon lange nicht mehr gesehen.“
„Hat der Täter dem Opfer die Halsschlagader durchtrennt.?“, fragte Kerkenbrock.
„Sieht ganz so aus.“, meinte Keller.
„Unter Obdachlosen oder Straßengangs würde mich das ja nicht wundern, aber hier in den kultivierten Büroräumen der Diakonie. Wer tut so etwas?“
„Das werden wir herausfinden. Feinde hatte der sicher genug, denn als Geschäftsführer hat er sicher vielen einen Strich durch die eine oder andere Rechnung gemacht. Führungspersönlichkeiten stehe immer unter Beschuss.“
Unendlich viele Gespräche standen den Beamten nun bevor.
„Ein liebender Ehemann und treusorgender Familienvater.“, sagte die schluchzende Witwe.
„Ein erfolgreicher Geschäftsführer, der für eine gelungene Zusammenarbeit .stand“, hieß es von Seiten der Kirchenkreisleitung.
„Ein Choleriker, wie er im Buche steht.“, äußerte sich eine Verwaltungsfachkraft.
Auch der eine oder andere Synodale war nicht gut auf ihn zu sprechen. Er sei ein großspuriger und unverschämter Mensch gewesen, der ständig übersteigerte Forderungen stellte und auch vor Ränkespielen und Intrigen nicht zurückschreckte.
Die Mitarbeitendenvertretung erklärte, er sei oft ein harter, aber fairer Verhandlungspartner gewesen. Vor allem habe er sein Unternehmen nach außen gut vertreten und so auch viele Vorteile für die Mitarbeitenden herausgeholt. „Als Chef stand er immer hinter uns.“, erklärte der MAV-Vorsitzende.
Diesen Satz hatte Jörg Angermann mitbekommen. Er hatte etwas in der Verwaltung zu erledigen, normalerweise arbeitete er in einem Jugendzentrum im sozialen Brennpunkt. Er bat die Beamten um ein Gespräch. In seinem Gesicht zeichnete sich eine große Verdrossenheit ab und auf seinen Schultern schien das Gewicht der ganzen Welt zu lasten. Diese Kraftlosigkeit konnte er auch nicht durch seine durchgehend schwarze Kleidung oder seinen martialischen Schnauzbart verbergen. Auf Sabine Kerkenbrock wirkte der Mann mittleren Alters so, als schien er darauf gewartet zu haben, endlich auszupacken, er platzte geradezu vor Mitteilungsbedürfnis
„Der Böse hatte richtig Dreck am Stecken.“, erklärte er. „Vor ein paar Jahren hat er einen Mitarbeiter rausgedisst, dessen Nase ihm nicht passte. Hat ihm vor seiner Haustür aufgelauert, als der krank geschrieben war, um ihn dabei zu erwischen, wie er trotz AU in der Gegend herumstromert. Irgendwie ist es ihm gelungen, ihm damit ein ein Vergehen nachzuweisen, das als Kündigungsgrund funktioniert.“
„Was hatte er gegen den Mitarbeiter?“, fragte Kerkenbrock.
„Er ertrug es nicht, dass der Mann ihm intellektuell überlegen war. Der hatte auch einfach mehr Ahnung von den Zusammenhängen und ich schätze Böse hatte Angst, dass der ihn dumm da stehen lässt. Zack, weg mit der Bedrohung. Dennis hat bis heute keinen neuen Job. Alle Mitarbeiter haben Schiss vor Böse. Vielleicht hatte er aktuell jemanden auf der Abschussliste und dem ist der Draht aus der Mütze gegangen.“
„Haben Sie die Kontaktdaten von diesem Dennis?“
„Nee. Ich weiß auch gar nicht wie der mit Nachnamen heißt. Aber das ist ja noch nicht alles. Im letzten Jahr hat die Diakonie mit einem Minus von 250.000 Euro abgeschlossen. Die Mitarbeiter sollen im nächsten Jahr auf die Hälfte der Jahressonderzahlungen verzichten. Die Ausstattung der Jugendhäuser ist unterirdisch. Überall brennt die Erde, aber Böse hat tatsächlich die Stirn besessen, im Kreissynodalvorstand eine Gratifikation zu beantragen und außerdem einen neuen Dienstwagen. Und jetzt halten Sie sich fest: Er hat beides bekommen.“
„Wissen Sie um welche Summe es sich da handelt?“, fragte Kerkenbrock.
Angermann zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, aber es werden sicher nicht nur 500 Euro gewesen sein. Sehen Sie, das Problem sind nicht nur diese Böses, die es überall gibt, das Problem ist, dass es ein System gibt, das die machen lässt. Überall entscheiden Laien über Unsummen von Geld, über strukturelle Veränderungen mit eklatanten Auswirkungen für Mitarbeitende und Klientel. Aber die, die da am Ruder sitzen, sind gar nicht bei der Sache, informieren sich nicht ausreichend und entscheiden nach Gefühl, Laune oder aus Opportunismus.“
„Wollen Sie uns damit sagen, dass der Kreis der möglichen Täter groß ist und möglicherweise ein Interner?“
Angermann nickte. Sie bedankten sich und als der Sozialarbeiter außer Hörweite war raunte Keller: „Typischer Verschwörungstheoretiker. Alle sind böse und verfolgen unlautere Ziele mit perfiden Methoden, nur er ist über jeden Zweifel erhaben.“
„Sie klingen beinahe genauso, Herr Keller.“, erwiderte Kerkenbrock und schmunzelte belustigt.
„So wie der Spinner? Nie im Leben. Vergleichen Sie mich nie wieder mit so einem betont rechtschaffenen Freizeit-Esoteriker. Haben Sie die Halskette gesehen, die aus dem Oberhemd hervorblitzte? So etwas finden Sie auch im Schaufenster von diesem Seelenfänger-Shop in der Altstadt.“
„Herr Keller“, nahm Kerkenbrock ihren Chef weiter aufs Korn, „Ich war mir gar nicht im Klaren darüber, dass Sie in Ihrer Freizeit esoterische Schaufensterbummel unternehmen.“
„Ach gehen Sie doch zum Teufel, Sie Rotzgöre.“, erwiderte Keller ärgerlich.
So sehr sie auch dazu neigten, Jörg Angermanns Hinweise nicht besonders ernst zu nehmen, wäre es unprofessionell gewesen, sie gänzlich zu ignorieren, Sie nahmen nun tagelange Ermittlungen auf, führten Gespräche mit Mitarbeitenden in Altenheimen, Kitas und Jugendzentren, besuchten Ausschüsse, sprachen mit Kooperationspartnern, aber auch wenn sie immer mehr düstere Geschichten über Böse zusammentrugen, gab es nicht den Hauch eines verwertbaren Hinweises auf den Täter.
Und dann kam alles ganz anders. Eine Zeugin meldete sich. Sie hatte jemanden gesehen, der mit blutigen Händen aus dem Bürogebäude der Diakonie geflüchtet war. Und als sie ihn eingehend beschrieben hatte, wusste Keller sofort, um wen es sich da handelte. Der Mann war aktenkundig und saß schon zwei Stunden später im Verhörraum. Bolle Winter. Stadtbekannter Lude, Schläger und Messerstecher. Was hatte ausgerechnet ihn dazu bewogen, den Geschäftsführer der Diakonie zu ermorden?
Winter knetete seine tätowierten Wurstfinger. Die gegelten Haarsträhnen hingen vor seinen gesenkten Augen, als er erklärte: „Er hat die Veronika durchgelassen. Die Veronika ist mein Mädchen. Sie geht für mich anschaffen, aber sie ist auch mein Mädchen. Und er hat schlimme Sachen mit ihr gemacht. So schlimm, dass Veronika jetzt keinen mehr ranlassen will, nicht mal mich. Sie ist vollkommen irre, hat Angst vor allen Männern und ich glaube, auch rein körperlich geht es bei ihr im Moment nicht. Er hat sie zwar nicht umgebracht, aber er hat ihre Seele getötet. Ich habe ja nichts gegen Kunden, die es gern mal ein bisschen Derb haben, aber wenn die mir die Ware versauen, da kenn' ich keinen Spaß. Und wenn es dann auch noch mein Mädchen trifft, ich liebe die Veronika nämlich und es macht mich ganz irre, dass ich sie nicht beschützen konnte und da hab' ich mit ihm abgerechnet. Er hat es verdient und es tut mir nicht leid.“
Sabine Kerkenbrock musste Keller Recht geben. Es waren nicht nur blutige Leichenfundorte, die in der Summe übermäßigen Ekel und Magengeschwüre verursachen konnten.
„Da kann man auch auf anderem Wege dran kommen.“, grummelte Stefan Keller. „Aber ich gebe Ihnen Recht. Das sieht hier aus wie ein Mord in der Bronx. Eine abgebrochene Flasche als Tatwaffe habe ich schon lange nicht mehr gesehen.“
„Hat der Täter dem Opfer die Halsschlagader durchtrennt.?“, fragte Kerkenbrock.
„Sieht ganz so aus.“, meinte Keller.
„Unter Obdachlosen oder Straßengangs würde mich das ja nicht wundern, aber hier in den kultivierten Büroräumen der Diakonie. Wer tut so etwas?“
„Das werden wir herausfinden. Feinde hatte der sicher genug, denn als Geschäftsführer hat er sicher vielen einen Strich durch die eine oder andere Rechnung gemacht. Führungspersönlichkeiten stehe immer unter Beschuss.“
Unendlich viele Gespräche standen den Beamten nun bevor.
„Ein liebender Ehemann und treusorgender Familienvater.“, sagte die schluchzende Witwe.
„Ein erfolgreicher Geschäftsführer, der für eine gelungene Zusammenarbeit .stand“, hieß es von Seiten der Kirchenkreisleitung.
„Ein Choleriker, wie er im Buche steht.“, äußerte sich eine Verwaltungsfachkraft.
Auch der eine oder andere Synodale war nicht gut auf ihn zu sprechen. Er sei ein großspuriger und unverschämter Mensch gewesen, der ständig übersteigerte Forderungen stellte und auch vor Ränkespielen und Intrigen nicht zurückschreckte.
Die Mitarbeitendenvertretung erklärte, er sei oft ein harter, aber fairer Verhandlungspartner gewesen. Vor allem habe er sein Unternehmen nach außen gut vertreten und so auch viele Vorteile für die Mitarbeitenden herausgeholt. „Als Chef stand er immer hinter uns.“, erklärte der MAV-Vorsitzende.
Diesen Satz hatte Jörg Angermann mitbekommen. Er hatte etwas in der Verwaltung zu erledigen, normalerweise arbeitete er in einem Jugendzentrum im sozialen Brennpunkt. Er bat die Beamten um ein Gespräch. In seinem Gesicht zeichnete sich eine große Verdrossenheit ab und auf seinen Schultern schien das Gewicht der ganzen Welt zu lasten. Diese Kraftlosigkeit konnte er auch nicht durch seine durchgehend schwarze Kleidung oder seinen martialischen Schnauzbart verbergen. Auf Sabine Kerkenbrock wirkte der Mann mittleren Alters so, als schien er darauf gewartet zu haben, endlich auszupacken, er platzte geradezu vor Mitteilungsbedürfnis
„Der Böse hatte richtig Dreck am Stecken.“, erklärte er. „Vor ein paar Jahren hat er einen Mitarbeiter rausgedisst, dessen Nase ihm nicht passte. Hat ihm vor seiner Haustür aufgelauert, als der krank geschrieben war, um ihn dabei zu erwischen, wie er trotz AU in der Gegend herumstromert. Irgendwie ist es ihm gelungen, ihm damit ein ein Vergehen nachzuweisen, das als Kündigungsgrund funktioniert.“
„Was hatte er gegen den Mitarbeiter?“, fragte Kerkenbrock.
„Er ertrug es nicht, dass der Mann ihm intellektuell überlegen war. Der hatte auch einfach mehr Ahnung von den Zusammenhängen und ich schätze Böse hatte Angst, dass der ihn dumm da stehen lässt. Zack, weg mit der Bedrohung. Dennis hat bis heute keinen neuen Job. Alle Mitarbeiter haben Schiss vor Böse. Vielleicht hatte er aktuell jemanden auf der Abschussliste und dem ist der Draht aus der Mütze gegangen.“
„Haben Sie die Kontaktdaten von diesem Dennis?“
„Nee. Ich weiß auch gar nicht wie der mit Nachnamen heißt. Aber das ist ja noch nicht alles. Im letzten Jahr hat die Diakonie mit einem Minus von 250.000 Euro abgeschlossen. Die Mitarbeiter sollen im nächsten Jahr auf die Hälfte der Jahressonderzahlungen verzichten. Die Ausstattung der Jugendhäuser ist unterirdisch. Überall brennt die Erde, aber Böse hat tatsächlich die Stirn besessen, im Kreissynodalvorstand eine Gratifikation zu beantragen und außerdem einen neuen Dienstwagen. Und jetzt halten Sie sich fest: Er hat beides bekommen.“
„Wissen Sie um welche Summe es sich da handelt?“, fragte Kerkenbrock.
Angermann zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, aber es werden sicher nicht nur 500 Euro gewesen sein. Sehen Sie, das Problem sind nicht nur diese Böses, die es überall gibt, das Problem ist, dass es ein System gibt, das die machen lässt. Überall entscheiden Laien über Unsummen von Geld, über strukturelle Veränderungen mit eklatanten Auswirkungen für Mitarbeitende und Klientel. Aber die, die da am Ruder sitzen, sind gar nicht bei der Sache, informieren sich nicht ausreichend und entscheiden nach Gefühl, Laune oder aus Opportunismus.“
„Wollen Sie uns damit sagen, dass der Kreis der möglichen Täter groß ist und möglicherweise ein Interner?“
Angermann nickte. Sie bedankten sich und als der Sozialarbeiter außer Hörweite war raunte Keller: „Typischer Verschwörungstheoretiker. Alle sind böse und verfolgen unlautere Ziele mit perfiden Methoden, nur er ist über jeden Zweifel erhaben.“
„Sie klingen beinahe genauso, Herr Keller.“, erwiderte Kerkenbrock und schmunzelte belustigt.
„So wie der Spinner? Nie im Leben. Vergleichen Sie mich nie wieder mit so einem betont rechtschaffenen Freizeit-Esoteriker. Haben Sie die Halskette gesehen, die aus dem Oberhemd hervorblitzte? So etwas finden Sie auch im Schaufenster von diesem Seelenfänger-Shop in der Altstadt.“
„Herr Keller“, nahm Kerkenbrock ihren Chef weiter aufs Korn, „Ich war mir gar nicht im Klaren darüber, dass Sie in Ihrer Freizeit esoterische Schaufensterbummel unternehmen.“
„Ach gehen Sie doch zum Teufel, Sie Rotzgöre.“, erwiderte Keller ärgerlich.
So sehr sie auch dazu neigten, Jörg Angermanns Hinweise nicht besonders ernst zu nehmen, wäre es unprofessionell gewesen, sie gänzlich zu ignorieren, Sie nahmen nun tagelange Ermittlungen auf, führten Gespräche mit Mitarbeitenden in Altenheimen, Kitas und Jugendzentren, besuchten Ausschüsse, sprachen mit Kooperationspartnern, aber auch wenn sie immer mehr düstere Geschichten über Böse zusammentrugen, gab es nicht den Hauch eines verwertbaren Hinweises auf den Täter.
Und dann kam alles ganz anders. Eine Zeugin meldete sich. Sie hatte jemanden gesehen, der mit blutigen Händen aus dem Bürogebäude der Diakonie geflüchtet war. Und als sie ihn eingehend beschrieben hatte, wusste Keller sofort, um wen es sich da handelte. Der Mann war aktenkundig und saß schon zwei Stunden später im Verhörraum. Bolle Winter. Stadtbekannter Lude, Schläger und Messerstecher. Was hatte ausgerechnet ihn dazu bewogen, den Geschäftsführer der Diakonie zu ermorden?
Winter knetete seine tätowierten Wurstfinger. Die gegelten Haarsträhnen hingen vor seinen gesenkten Augen, als er erklärte: „Er hat die Veronika durchgelassen. Die Veronika ist mein Mädchen. Sie geht für mich anschaffen, aber sie ist auch mein Mädchen. Und er hat schlimme Sachen mit ihr gemacht. So schlimm, dass Veronika jetzt keinen mehr ranlassen will, nicht mal mich. Sie ist vollkommen irre, hat Angst vor allen Männern und ich glaube, auch rein körperlich geht es bei ihr im Moment nicht. Er hat sie zwar nicht umgebracht, aber er hat ihre Seele getötet. Ich habe ja nichts gegen Kunden, die es gern mal ein bisschen Derb haben, aber wenn die mir die Ware versauen, da kenn' ich keinen Spaß. Und wenn es dann auch noch mein Mädchen trifft, ich liebe die Veronika nämlich und es macht mich ganz irre, dass ich sie nicht beschützen konnte und da hab' ich mit ihm abgerechnet. Er hat es verdient und es tut mir nicht leid.“
Sabine Kerkenbrock musste Keller Recht geben. Es waren nicht nur blutige Leichenfundorte, die in der Summe übermäßigen Ekel und Magengeschwüre verursachen konnten.
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Freitag, 3. März 2017
Die zweite Posaune - abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 12:06h
- Was habe ich mit da nur eingebrockt? Ich wollte doch nur den Verein retten, damit unsere Jugendarbeit nicht untergeht, hab diesen Posten doch nur übernommen, weil es sonst keiner wollte und jetzt stehe ich hier und muss repräsentieren, allein unter Rentnern. Na ja, die beiden da vorne sind wohl gerade noch so in den Vierzigern. Und das brave Mädchen und der noch bravere Junge machen ja auch mit. Aber die habe ich auch nie bei TEN SING gesehen. Nicht mal in der Jungschar. Wo bleibt nur Louis? Hoffentlich vergisst der nicht, die Scheiß Urkunde mitzubringen, sonst bin ich gleich voll am Arsch. -
Zur gleichen Zeit in einem anderen Kopf:
- WAS MACHT DENN DAS MÄDCHEN HEUTE ABEND HIER? ACH JA, DIE IST JA DIE NEUE VORSITZENDE. WIE HEIßT DIE NOCH MAL? ICH MUSS DOCH WENIGESTENS IHREN NAMEN WISSEN, WENN ICH IHRE HAND SCHÜTTELE. HÄTTE ICH GAR NICHT GEDACHT, DASS DIE JUNGEN LEUTE DAS SO WEITERMACHEN. ABER DAS SIND EBEN CVJM-LEUTE. BLUMEN HAT SIE JA NICHT DABEI: ABER VIELLEICHT KOMMT GABI JA MIT DEN BLUMEN. -
- Ein Glück, da kommt ja Louis. Mit Urkunde. Super. Ich frage mich nur, wann wir anfangen. Wieso sitzen die hier alle im Kreis und pusten ihre Hörner durch? Ich denke, es soll 'ne Feier geben. Wie lange wollen die denn spielen? Ich muss doch in einer halben Stunde weg. -
Lena öffnet den Mund: „Du, Jörg, wann fangt Ihr denn mit der Ehrung an? Ich kann nämlich nur bis in einer halben Stunde, dann muss ich zum nächsten Termin.“
„Ach so.“, erwidert der Chorleiter. „Also wir proben jetzt erst eineinhalb Stunden und danach findet dann der Empfang statt.“
„Wir wollen Hans Nolting doch eine Urkunde überreichen und auch kurz was dazu sagen. Aber wir müssen gleich wieder weg. Ich hab'n privaten Termin und Louis muss gleich noch arbeiten. Gabi muss auch noch zu einer Sitzung.“
„Dann macht das doch jetzt sofort, sozusagen als Startschuss für die Chorprobe.“
„Ja ist okay. - Könnt Ihr mal bitte alle kurz zuhören?“
Ein in seinen Reaktionen verzögerter Bläser pustet immer noch sein Waldhorn durch.
„Jetzt gib doch mal Ruhe Willi!“, schimpft Walter, die ehemalige Tuba. Walter sitzt ohne Instrument da. Er kann nicht mehr blasen. Die Zähne.
- UND DER ERSTE ENGEL STIEß IN DIE POSAUNE UND ES ENTSTAND HAGEL UND FEUER. GLEICH BEKOMME ICH ENDLICH DEN APPLAUS, DEN ICH VERDIENE. -
Lena hebt den Blick, strafft die Schultern und erklärt: „Für alle, die mich nicht kennen, ich bin die Lena und seit September die neue Vorsitzende des CVJM und der Louis hier neben mir, ist der zweite Vorsitzende. Wir haben von dem 70-jährigen Jubiläum heute gehört und beim Westbund angefragt, wie es mit einer Ehren-Nadel aussieht, aber da ist nichts vorgesehen. Uns ist es aber eine Herzensangelegenheit, einem langjährigen, verdienten Mitglied für 70 Jahre Mitwirkung im Posaunenchor eine Urkunde für die Ehrenmitgliedschaft zu überreichen. Lieber Hans Nolting, herzlichen Glückwunsch, bleib gesund und dem Chor weitere 70 Jahre erhalten!“
Gelächter brandete auf, gefolgt von Applaus und die drei Vertreter des Vereins defilierten am Jubilar Hans Nolting vorbei, der die Glückwünsche mit Tränen der Rührung in den Augen entgegennahm, auch wenn er sich über einen etwas würdigeren Rahmen gefreut hätte. Doch das war eben die übernächste Generation, mehr konnte man da wohl nicht erwarten.
„Ja, dann verabschieden wir uns. Feiert noch schön, wir hätten gern mitgefeiert, aber wir müssen alle noch zu einem anderen Termin.“
- Wie gut, dass ich das hinter mir hab'. Ich kann so was nicht. Das ist echt nicht meine Welt! -
Lena verlässt gefolgt von Louis und Gabi den Raum. Kaum hat Gabi die Tür hinter sich geschlossen, dringt ein verstörendes Geräusch durch die Trennwand.
„Was ist denn jetzt los?“, fragt Gabi alarmiert. Alle drei bleiben stehen und spitzen die Ohren. Sie öffnet die Tür erneut, Louis hat schon das Smartphone im Anschlag, irgendetwas sagt ihm, dass er vielleicht gleich einen Notruf absetzen muss.
- UND DER ZWEITE ENGEL STIEß IN DIE POSAUNE UND ES WURDE ETWAS WIE EIN GROßER, GLÜHENDER BERG INS MEER GEWEORFEN UND DER DRITTE TEIL DES MEERES WURDE ZU BLUT... SO STEHT ES JA IN DER OFFENBARUNG IM ACHTEN KAPITEL. ABER WAR ES JETZT DER FÜNFTE ODER DER ACHTE VERS? -
Unter Hans Nolting breitete sich eine tiefrote Lache aus. Ein Messer mit langer scharfer Klinge steckte in seinem Rücken. Damit sollte eigentlich der Butterkuchen geschnitten werden, den es nach den pikanten Häppchen zum Nachtisch geben sollte. Jetzt dachten die ersten schon an Beerdigungskuchen.
- NA ALSO. MAN MUSS EBEN WAS TUN, DAMIT MAN NICHT UNTERGEHT. ICH BIN 70 JAHRE MITARBEITER UND NICHT NUR ALS AKTIVES CHORMITLGLIED! ABER JETZT SIND SIE JA ZURÜCKGEKOMMEN. -
Entsetzt starren alle auf das Blut an Walters linker Hand. Alle wissen, dass Walter Linkshänder ist und dass er eben noch an Hansis rechter Seite saß. Und dass er direkt vor dem Servierwagen saß, auf dem der Kuchen steht, auf dem das Messer lag, das jetzt in Hansis Rücken steckt.
„Walter!“, keucht Willi. „Was hast du gemacht? Und warum?“
Die Ausdruckslosigkeit in Walters vom Leben zerfurchten und erschlafften Gesicht hat eine
verstörende Wirkung auf alle Anwesenden. Louis überprüft die Vitalfunktionen des Opfers, gleich mehrere Chormitglieder haben einen Notruf abgesetzt. Wie gelähmt warten alle auf den Rettungsdienst – und die Polizei.
Willi geht auf Walter los und baut sich vor ihm auf. Dann packt er seinen Chorbruder an den Schultern. „Warum hast du das gemacht, Walter?“, schreit er. „Jetzt rede!“
Walter atmet tief ein, so als müsste er innerlich in den Keller gehen und die alten Geschichten aus dem Regal holen, die da schon viel zu lange lagern und die viel zu viel Gewicht haben für seine alten Knochen.
„Ich habe heute Jubiläum. Ich bin nun 1946 Jahre Mitarbeiter. Siebzig ging es in der Jungschar für mich los. Ich habe Kanones gehalten und Bibelstunden eingeübt. Bei Egon Harsch bin ich durch die harte Schule gegangen, die einen gestandenen Mitarbeiter aus mir gemacht hat.“
Walter blickt abfällig auf den blutenden Hans.
„Der da hat immer nur aufgeblasen. Immer nur Zugposaune. Und sonst immer in allen Vereinen rumgesprungen und hat sich immer mit seiner Landwirtschaft rausgeredet. Und jetzt kriegt der meine Urkunde. Wo gibt’s denn sowas?“
- Ich hab' noch nie so einen leeren Blick gesehen. Man glaubt direkt, die Löcher im Gehirn zu erkennen. Wie ein Schweizer Käse. Hoffentlich werde ich niemals genauso. Und hoffentlich kommt hier gleich mal ein Krankenwagen. Und die Polizei. Ich will nach Hause. Wo bin ich hier nur gelandet? Was habe ich mir nur dabei gedacht? -
Zur gleichen Zeit in einem anderen Kopf:
- WAS MACHT DENN DAS MÄDCHEN HEUTE ABEND HIER? ACH JA, DIE IST JA DIE NEUE VORSITZENDE. WIE HEIßT DIE NOCH MAL? ICH MUSS DOCH WENIGESTENS IHREN NAMEN WISSEN, WENN ICH IHRE HAND SCHÜTTELE. HÄTTE ICH GAR NICHT GEDACHT, DASS DIE JUNGEN LEUTE DAS SO WEITERMACHEN. ABER DAS SIND EBEN CVJM-LEUTE. BLUMEN HAT SIE JA NICHT DABEI: ABER VIELLEICHT KOMMT GABI JA MIT DEN BLUMEN. -
- Ein Glück, da kommt ja Louis. Mit Urkunde. Super. Ich frage mich nur, wann wir anfangen. Wieso sitzen die hier alle im Kreis und pusten ihre Hörner durch? Ich denke, es soll 'ne Feier geben. Wie lange wollen die denn spielen? Ich muss doch in einer halben Stunde weg. -
Lena öffnet den Mund: „Du, Jörg, wann fangt Ihr denn mit der Ehrung an? Ich kann nämlich nur bis in einer halben Stunde, dann muss ich zum nächsten Termin.“
„Ach so.“, erwidert der Chorleiter. „Also wir proben jetzt erst eineinhalb Stunden und danach findet dann der Empfang statt.“
„Wir wollen Hans Nolting doch eine Urkunde überreichen und auch kurz was dazu sagen. Aber wir müssen gleich wieder weg. Ich hab'n privaten Termin und Louis muss gleich noch arbeiten. Gabi muss auch noch zu einer Sitzung.“
„Dann macht das doch jetzt sofort, sozusagen als Startschuss für die Chorprobe.“
„Ja ist okay. - Könnt Ihr mal bitte alle kurz zuhören?“
Ein in seinen Reaktionen verzögerter Bläser pustet immer noch sein Waldhorn durch.
„Jetzt gib doch mal Ruhe Willi!“, schimpft Walter, die ehemalige Tuba. Walter sitzt ohne Instrument da. Er kann nicht mehr blasen. Die Zähne.
- UND DER ERSTE ENGEL STIEß IN DIE POSAUNE UND ES ENTSTAND HAGEL UND FEUER. GLEICH BEKOMME ICH ENDLICH DEN APPLAUS, DEN ICH VERDIENE. -
Lena hebt den Blick, strafft die Schultern und erklärt: „Für alle, die mich nicht kennen, ich bin die Lena und seit September die neue Vorsitzende des CVJM und der Louis hier neben mir, ist der zweite Vorsitzende. Wir haben von dem 70-jährigen Jubiläum heute gehört und beim Westbund angefragt, wie es mit einer Ehren-Nadel aussieht, aber da ist nichts vorgesehen. Uns ist es aber eine Herzensangelegenheit, einem langjährigen, verdienten Mitglied für 70 Jahre Mitwirkung im Posaunenchor eine Urkunde für die Ehrenmitgliedschaft zu überreichen. Lieber Hans Nolting, herzlichen Glückwunsch, bleib gesund und dem Chor weitere 70 Jahre erhalten!“
Gelächter brandete auf, gefolgt von Applaus und die drei Vertreter des Vereins defilierten am Jubilar Hans Nolting vorbei, der die Glückwünsche mit Tränen der Rührung in den Augen entgegennahm, auch wenn er sich über einen etwas würdigeren Rahmen gefreut hätte. Doch das war eben die übernächste Generation, mehr konnte man da wohl nicht erwarten.
„Ja, dann verabschieden wir uns. Feiert noch schön, wir hätten gern mitgefeiert, aber wir müssen alle noch zu einem anderen Termin.“
- Wie gut, dass ich das hinter mir hab'. Ich kann so was nicht. Das ist echt nicht meine Welt! -
Lena verlässt gefolgt von Louis und Gabi den Raum. Kaum hat Gabi die Tür hinter sich geschlossen, dringt ein verstörendes Geräusch durch die Trennwand.
„Was ist denn jetzt los?“, fragt Gabi alarmiert. Alle drei bleiben stehen und spitzen die Ohren. Sie öffnet die Tür erneut, Louis hat schon das Smartphone im Anschlag, irgendetwas sagt ihm, dass er vielleicht gleich einen Notruf absetzen muss.
- UND DER ZWEITE ENGEL STIEß IN DIE POSAUNE UND ES WURDE ETWAS WIE EIN GROßER, GLÜHENDER BERG INS MEER GEWEORFEN UND DER DRITTE TEIL DES MEERES WURDE ZU BLUT... SO STEHT ES JA IN DER OFFENBARUNG IM ACHTEN KAPITEL. ABER WAR ES JETZT DER FÜNFTE ODER DER ACHTE VERS? -
Unter Hans Nolting breitete sich eine tiefrote Lache aus. Ein Messer mit langer scharfer Klinge steckte in seinem Rücken. Damit sollte eigentlich der Butterkuchen geschnitten werden, den es nach den pikanten Häppchen zum Nachtisch geben sollte. Jetzt dachten die ersten schon an Beerdigungskuchen.
- NA ALSO. MAN MUSS EBEN WAS TUN, DAMIT MAN NICHT UNTERGEHT. ICH BIN 70 JAHRE MITARBEITER UND NICHT NUR ALS AKTIVES CHORMITLGLIED! ABER JETZT SIND SIE JA ZURÜCKGEKOMMEN. -
Entsetzt starren alle auf das Blut an Walters linker Hand. Alle wissen, dass Walter Linkshänder ist und dass er eben noch an Hansis rechter Seite saß. Und dass er direkt vor dem Servierwagen saß, auf dem der Kuchen steht, auf dem das Messer lag, das jetzt in Hansis Rücken steckt.
„Walter!“, keucht Willi. „Was hast du gemacht? Und warum?“
Die Ausdruckslosigkeit in Walters vom Leben zerfurchten und erschlafften Gesicht hat eine
verstörende Wirkung auf alle Anwesenden. Louis überprüft die Vitalfunktionen des Opfers, gleich mehrere Chormitglieder haben einen Notruf abgesetzt. Wie gelähmt warten alle auf den Rettungsdienst – und die Polizei.
Willi geht auf Walter los und baut sich vor ihm auf. Dann packt er seinen Chorbruder an den Schultern. „Warum hast du das gemacht, Walter?“, schreit er. „Jetzt rede!“
Walter atmet tief ein, so als müsste er innerlich in den Keller gehen und die alten Geschichten aus dem Regal holen, die da schon viel zu lange lagern und die viel zu viel Gewicht haben für seine alten Knochen.
„Ich habe heute Jubiläum. Ich bin nun 1946 Jahre Mitarbeiter. Siebzig ging es in der Jungschar für mich los. Ich habe Kanones gehalten und Bibelstunden eingeübt. Bei Egon Harsch bin ich durch die harte Schule gegangen, die einen gestandenen Mitarbeiter aus mir gemacht hat.“
Walter blickt abfällig auf den blutenden Hans.
„Der da hat immer nur aufgeblasen. Immer nur Zugposaune. Und sonst immer in allen Vereinen rumgesprungen und hat sich immer mit seiner Landwirtschaft rausgeredet. Und jetzt kriegt der meine Urkunde. Wo gibt’s denn sowas?“
- Ich hab' noch nie so einen leeren Blick gesehen. Man glaubt direkt, die Löcher im Gehirn zu erkennen. Wie ein Schweizer Käse. Hoffentlich werde ich niemals genauso. Und hoffentlich kommt hier gleich mal ein Krankenwagen. Und die Polizei. Ich will nach Hause. Wo bin ich hier nur gelandet? Was habe ich mir nur dabei gedacht? -
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Freitag, 24. Februar 2017
Anja in der Pfütze
c. fabry, 13:29h
Ausgerechnet heute beschlich Sidem beim Betreten des JuZi ein komisches Gefühl, dabei waren sie doch in der letzten Woche mit Anja in der Moschee gewesen und ihre Eltern waren seitdem weniger verschnupft, als sie sich zu Hause verabschiedete, um das evangelische Jugendzentrum zu besuchen. Was die auch immer hatten. Hier ging es eigentlich nie um Religion, höchstens mal zu Weihnachten oder zu Ostern, aber da wurde eigentlich auch nur gebastelt oder es gab ein paar Spiele und etwas Besonderes zu essen. Dass auch Karneval und Halloween im weitesten Sinne etwas mit Religion zu tun hatte, war Sidem nicht bewusst.
Die Tür zum Büro stand offen. Es war so merkwürdig still. Warum lag Anja auf der Erde? War sie ausgerutscht, als sie den roten Saft aufwischen wollte? Woher kam der Saft überhaupt? Was hatte der im Büro zu suchen?
Plötzlich spürte sie, dass jemand hinter ihr stand. Sidem drehte sich um und blickte in das Gesicht von Annalenas Mutter. Die war auch ganz still und sie guckte so komisch. Dann flüsterte sie zischend:„Was hast du gemacht?“
Sidem war verwirrt. Was sollte sie schon gemacht haben? Anja lag immer noch da und da war auch kein Lappen. Sie hatte gar nicht versucht, den Saft aufzuwischen, sie war einfach ausgerutscht und jetzt war sie ohnmächtig.
„Ich habe Anja zuerst gefunden.“, antwortete Sidem völlig sinnlos auf die Frage der deutschstämmigen Mutter. Sie sah in deren Augen Angst, Hass und Feindseligkeit, aber sie konnte diesen Blick nicht einordnen, verstand nicht, was sie da sah.
„Womit hast du zugeschlagen?“, fragte die Mutter kalt und hart, während sie ihre Tochter immer wieder hinter sich schubste, damit Annalena Anja nicht sehen konnte. Warum machte Annalenas Mutter das? Sidem hatte mit gar nichts zugeschlagen. Was sollte diese Frage?
„Jetzt schicken die vom IS schon Kinder los für ihre Terroranschläge.“, schimpfte die deutsche Mutter und zückte ihr Mobiltelefon. Sie wischte und tippte darauf herum, dann hielt sie es an ihr Ohr.
„Ja, ich rufe aus B. an. Goebel mein Name. Ich bin hier im JuZi der Lukasgemeinde. Im Büro liegt die Leiterin der Mädchengruppe. Die hat jemand niedergeschlagen.“....
„Also sie rührt sich überhaupt nicht. Sie können ja einen Rettungswagen schicken, aber ich glaube, na ja...“...
„So genau kann ich Ihnen nicht antworten. Hier sind Kinder und gleich kommen noch mehr.“...
„Ja ist gut. Eigentlich muss ich heute eine Menge erledigen, aber unter diesen besonderen Umständen meinetwegen.“
Frau Goebel nahm die Kinder in Empfang. Waren die Eltern dabei, schickte sie sie sofort zurück. Sidem behielt sie im Auge. Die würde sie der Polizei übergeben.
Die Polizisten waren ungehalten, dass Frau Goebel nicht erwähnt hatte, dass ein Kind die Leiche gefunden hatte. Jetzt mussten sie zusätzliches Fachpersonal anfordern, das kostete unnötig Zeit und die Verzögerung tat auch dem Kind nicht gut.
Frau Goebel raunte dem Kriminalhauptkommissar ihren Verdacht zu. Der sah sie voller Ekel an. Sie dachte, der angewiderte Blick gelte dem Mädchen und kam gar nicht darauf, dass sie selbst der Gegenstand des Unbehagens war.
Es dauerte mehrere Tage, bis der Täter gefasst war. Er hatte aus Hass gehandelt. Es war tatsächlich ein religiöser Fanatiker. Er konnte nicht dulden, dass muslimische Kinder ein christliches Jugendzentrum aufsuchten. Als die gewissenlose Sozialarbeiterin dann die christlichen Kinder in die Moschee geschleppt hatte, war das Maß für ihn voll gewesen. Er hatte für seinen Glauben getötet. Nicht für 72 Jungfrauen, sondern für den Triumph der deutschen Leitkultur.
Sidem durfte nie wieder das JuZi besuchen. Und Frau Goebel traute ihr nach wie vor nicht über den Weg. Nur die Mädchen betrauerten Anja. Die Evangelischen, genauso wie die Muslimischen und die Konfessionslosen.
Die Tür zum Büro stand offen. Es war so merkwürdig still. Warum lag Anja auf der Erde? War sie ausgerutscht, als sie den roten Saft aufwischen wollte? Woher kam der Saft überhaupt? Was hatte der im Büro zu suchen?
Plötzlich spürte sie, dass jemand hinter ihr stand. Sidem drehte sich um und blickte in das Gesicht von Annalenas Mutter. Die war auch ganz still und sie guckte so komisch. Dann flüsterte sie zischend:„Was hast du gemacht?“
Sidem war verwirrt. Was sollte sie schon gemacht haben? Anja lag immer noch da und da war auch kein Lappen. Sie hatte gar nicht versucht, den Saft aufzuwischen, sie war einfach ausgerutscht und jetzt war sie ohnmächtig.
„Ich habe Anja zuerst gefunden.“, antwortete Sidem völlig sinnlos auf die Frage der deutschstämmigen Mutter. Sie sah in deren Augen Angst, Hass und Feindseligkeit, aber sie konnte diesen Blick nicht einordnen, verstand nicht, was sie da sah.
„Womit hast du zugeschlagen?“, fragte die Mutter kalt und hart, während sie ihre Tochter immer wieder hinter sich schubste, damit Annalena Anja nicht sehen konnte. Warum machte Annalenas Mutter das? Sidem hatte mit gar nichts zugeschlagen. Was sollte diese Frage?
„Jetzt schicken die vom IS schon Kinder los für ihre Terroranschläge.“, schimpfte die deutsche Mutter und zückte ihr Mobiltelefon. Sie wischte und tippte darauf herum, dann hielt sie es an ihr Ohr.
„Ja, ich rufe aus B. an. Goebel mein Name. Ich bin hier im JuZi der Lukasgemeinde. Im Büro liegt die Leiterin der Mädchengruppe. Die hat jemand niedergeschlagen.“....
„Also sie rührt sich überhaupt nicht. Sie können ja einen Rettungswagen schicken, aber ich glaube, na ja...“...
„So genau kann ich Ihnen nicht antworten. Hier sind Kinder und gleich kommen noch mehr.“...
„Ja ist gut. Eigentlich muss ich heute eine Menge erledigen, aber unter diesen besonderen Umständen meinetwegen.“
Frau Goebel nahm die Kinder in Empfang. Waren die Eltern dabei, schickte sie sie sofort zurück. Sidem behielt sie im Auge. Die würde sie der Polizei übergeben.
Die Polizisten waren ungehalten, dass Frau Goebel nicht erwähnt hatte, dass ein Kind die Leiche gefunden hatte. Jetzt mussten sie zusätzliches Fachpersonal anfordern, das kostete unnötig Zeit und die Verzögerung tat auch dem Kind nicht gut.
Frau Goebel raunte dem Kriminalhauptkommissar ihren Verdacht zu. Der sah sie voller Ekel an. Sie dachte, der angewiderte Blick gelte dem Mädchen und kam gar nicht darauf, dass sie selbst der Gegenstand des Unbehagens war.
Es dauerte mehrere Tage, bis der Täter gefasst war. Er hatte aus Hass gehandelt. Es war tatsächlich ein religiöser Fanatiker. Er konnte nicht dulden, dass muslimische Kinder ein christliches Jugendzentrum aufsuchten. Als die gewissenlose Sozialarbeiterin dann die christlichen Kinder in die Moschee geschleppt hatte, war das Maß für ihn voll gewesen. Er hatte für seinen Glauben getötet. Nicht für 72 Jungfrauen, sondern für den Triumph der deutschen Leitkultur.
Sidem durfte nie wieder das JuZi besuchen. Und Frau Goebel traute ihr nach wie vor nicht über den Weg. Nur die Mädchen betrauerten Anja. Die Evangelischen, genauso wie die Muslimischen und die Konfessionslosen.
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Freitag, 17. Februar 2017
Pest oder Cholera
c. fabry, 23:27h
Milchig weiß quält sich die Sonne durch die dunstige Suppe des Novembernebels. Wie gern hätte Andrea sich heute morgen im Bett noch einmal umgedreht, sich gegen elf zuerst in die Badewanne und dann mit Milchkaffee und Schnittchen aufs Sofa gelümmelt, gelesen und gelegentlich aus dem Fenster gelinst. Statt dessen hat sie um sieben der Wecker aus den Träumen gerissen, ein Gefühl, als sei es mitten in der Nacht, schließlich war es noch dunkel draußen und die Dusche war nicht richtig heiß geworden. Ein schneller Kaffee, ein bisschen Müsli, die Autoscheiben freikratzen und dann frierend ins Kreishaus fahren, wo schon abgestandener Filterkaffee, lauwarmer Tee mit Schlieren, staubiges Fabrikgebäck und Remouladenschnittchen auf sie warten. Und erst die Kollegen, die lieben Brüder und Schwestern und die naiven Ehrenamtlichen, die heute antreten, um sich zwischen Pest und Cholera zu entscheiden.
Es ist Wintersynode, eine Legislaturperiode beendet, der alte Sup geht in den Ruhestand und für die Nachfolge haben sich nicht viele beworben. Warum auch? Wer reißt sich schon um die Verantwortung, für ein paar Kröten mehr auf dem Konto? Verprassen kann man die ohnehin nicht, denn während dessen hat man keine Zeit dazu und hinterher ist man so verbraucht, dass alles für Gesundheitsleistungen draufgeht. Aus Andreas Sicht sind es immer die Seltsamen, die sich um ein solches Amt bewerben: die Machthungrigen, die Selbstaufopferer, die Geltungsbedürftigen oder, wenn es ein absoluter Glücksfall ist, die Genies, die das alles aus dem Ärmel schütteln können und einfach überredet worden sind. Aber in diesem Jahr gibt es kein Genie. Da ist nur Pest: Roland Sackheim, einfältig, aber vielfältig manipulierbar, ein gefundenes Fressen für die Strippenzieher im Hintergrund, einer der den Kirchenkreis garantiert vor die Wand fahren wird und diejenigen, die davon profitieren, können dies in aller Stille und ohne drohende Konsequenzen tun.
Und dann ist da Cholera: Detlev Sundermann, gestaltungswillig, eloquent, hartnäckig. Er ist nicht nur ambitionierter Gemeindepfarrer, sondern auch ein leistungsstarker Freizeitsportler und Rotarier.
Auf dem Weg zu einem Sitzplatz fühlt Andrea sich, als würde sie sich durch Schlamm bewegen, durch eine Masse unförmiger, nachlässig gekleideter, unfrisierter Menschen. Dabei ist sie selbst keine Styling-Queen und auch kein Bodyshaping-Vorbild. Aber für einen wohlwollenden Blick fehlt ihr heute Morgen die manische Energie, die sie in ihren Beruf getrieben hat. Sie nimmt an einem der langen Tische Platz, die in ihrer Anordnung an die Speisesäle englischer Eliteschulen erinnern oder an die große Halle in Hogwarts aus den Harry-Potter-Filmen.
Singen, Beten, Tagesordnung abarbeiten, Mittagsimbiss, Smalltalk, Mundwinkel einfrieren, damit das Lächeln nicht verrutscht, durchhalten, durchhalten, durchhalten.
Dann kommt es zur Wahl. Andrea kann nicht wählen. Sie will sich weder am Ruin des Kirchenkreises schuldig machen, noch an seiner Verwandlung in eine totalitäre Vorhölle. Sie könnte schließlich hinterher kaum behaupten, sie habe das alles nicht gewusst. Sie weiß mehr, als ihr lieb ist. Sie enthält sich.
Auszählung. Spannung. Resignation. Es ist ja egal, ob nun Pest oder Cholera obsiegt. Dann das Ergebnis: Unentschieden. Ein Stöhnen geht durch die Reihen. Noch mindestens eine weitere Stunde Lebenszeitverschwendung. Eine halbe Stunde Pause bis zum zweiten Wahlgang. Geschäftiges Treiben bei den einen, gähnende Langeweile bei den anderen. Zigaretten vor der Tür.Toilettengänge. Brennende Mägen vom fünften lauwarmem Kaffee und zu viel Weißbrot mit Remoulade und Essig-Gürkchen. Und dann dieser markerschütternde Schrei. Andrea denkt augenblicklich an ein durchgebrochenes Magengeschwür. Dann sieht sie den Menschenauflauf vor der Herrentoilette. Alle reden aufgeregt durcheinander. Schließlich kommt ihr Henning entgegen. Leichenblass ist er, ihre Blicke treffen sich. „Was ist los?“, Flüstert sie.
„Sackheim wurde eben tot aufgefunden.“, antwortet Henning erschüttert. „Was?“, fragt Andrea ungläubig und Henning fährt fort: „Er liegt mit offener Hose vor dem Pissoir. Offensichtlich hat man ihn mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen, denn er hat eine frische Kopfwunde. Besonders merkwürdig ist, dass man ihm auch das Jackett ausgezogen und den Hemdsärmel aufgekrempelt hat. Ich hab ihn mir genauer angesehen, ich hab ihn ja gefunden. Da war ein roter Punkt in der Ellenbeuge. Ich denke, dem hat jemand etwas injiziert. Bernhard alarmiert gerade die Polizei.“
Alle rennen durcheinander. Andrea schämt sich, denn gleich nach dem ersten Schreck denkt sie: „Mist, das dauert jetzt sicher noch Stunden hier und wir müssen bei Junkfood und Magen reizendem Filterkaffee ausharren, dabei hätte ich wenigstens den frühen Abend noch entspannt im Wohnzimmer verbracht. - Aber wie bin ich eigentlich drauf? Ein Kollege wird ermordet und ich betrauere meinen verspäteten Feierabend. Gut dass keiner in meinen Kopf sehen kann.“
Die Polizei ist noch nicht eingetroffen. Andrea geht in den ersten Stock, denn dort gibt es eine Sitzgruppe mit gepolsterten Sesseln, eine Wartezone für den Publikumsverkehr. Hier oben ist es viel ruhiger, fast schon gespenstisch still. Am Ende des Flures irritiert ein dunkler Fleck. Andrea hat nicht den Hauch einer Idee, worum es sich handeln könnte. Hat da jemand seine Handtasche verloren? Sie geht darauf zu. Als sie fast angekommen ist, erkennt sie einen Herrenschuh, in dem ein Fuß steckt. Sie blickt um die Ecke und jetzt ist sie diejenige, deren Brust panische Laute entweichen, aber keine spitzen Schrei, eher ein Würgen, dann ein Brüllen, dann haltloses Schluchzen. Sundermann liegt seltsam verrenkt auf dem Rücken, in seiner Brust steckt ein martialischer Dreizack. Andrea muss sich erst wieder fangen, bevor sie in der Lage ist, ins Erdgeschoss zu laufen und Alarm zu schlagen. Sie läuft Godehard Mertens ins die Arme. Ausgerechnet diese schmierige Ratte. Sie kann kaum sprechen, stottert nur: „Sundermann...tot...“ und weist nach oben. Mertens fasst sie an den Ellbogen: „Zeigen Sie mir, wo er ist.“ Widerwillig führt sie Mertens zu ihrem grausigen Fund. Mertens wird leichenblass. So hat sie ihn noch nie gesehen, noch nie die nackte Angst in seinen sonst so eiskalten Augen bemerkt. Aber Mertens starrt nicht auf den toten Kollegen. Mertens starrt auf den Dreizack. Eine unkontrollierbare Assoziationskette schießt Andrea durch den Kopf: Dreizack – Teufelswaffe – Satanismus-Symbol – Geheimlogen – Sundermann – Rotary - Mertens. Ja Mertens ist ebenfalls Rotarier, das hat sie vor längerer Zeit in der Zeitung gelesen. Ist er der Nächste? Oder ist Sundermann übers Ziel hinaus geschossen und Mertens versteht die Botschaft, weil er zum inner Circle gehört? Andrea will es gar nicht wissen. Sie will nur weg hier, setzt einen Fuß vor den anderen, bis sie endlich die rettende Treppe erreicht hat. Als sie hinabsteigt denkt sie: „Alle beide weg. Pest und Cholera besiegt.“ Und diesmal schämt sie sich kein bisschen. „Und was kommt jetzt? Der stylische, selbstverliebte faule Egomane Rüdiger Wolf oder die total chaotische sich selbst aufopfernde und sich ständig verzettelnde Gutfrau Adriana Bulthaup-Meierjohann? Wir haben die Wahl. Die Wahl zwischen AIDS und Ebola.“
Es ist Wintersynode, eine Legislaturperiode beendet, der alte Sup geht in den Ruhestand und für die Nachfolge haben sich nicht viele beworben. Warum auch? Wer reißt sich schon um die Verantwortung, für ein paar Kröten mehr auf dem Konto? Verprassen kann man die ohnehin nicht, denn während dessen hat man keine Zeit dazu und hinterher ist man so verbraucht, dass alles für Gesundheitsleistungen draufgeht. Aus Andreas Sicht sind es immer die Seltsamen, die sich um ein solches Amt bewerben: die Machthungrigen, die Selbstaufopferer, die Geltungsbedürftigen oder, wenn es ein absoluter Glücksfall ist, die Genies, die das alles aus dem Ärmel schütteln können und einfach überredet worden sind. Aber in diesem Jahr gibt es kein Genie. Da ist nur Pest: Roland Sackheim, einfältig, aber vielfältig manipulierbar, ein gefundenes Fressen für die Strippenzieher im Hintergrund, einer der den Kirchenkreis garantiert vor die Wand fahren wird und diejenigen, die davon profitieren, können dies in aller Stille und ohne drohende Konsequenzen tun.
Und dann ist da Cholera: Detlev Sundermann, gestaltungswillig, eloquent, hartnäckig. Er ist nicht nur ambitionierter Gemeindepfarrer, sondern auch ein leistungsstarker Freizeitsportler und Rotarier.
Auf dem Weg zu einem Sitzplatz fühlt Andrea sich, als würde sie sich durch Schlamm bewegen, durch eine Masse unförmiger, nachlässig gekleideter, unfrisierter Menschen. Dabei ist sie selbst keine Styling-Queen und auch kein Bodyshaping-Vorbild. Aber für einen wohlwollenden Blick fehlt ihr heute Morgen die manische Energie, die sie in ihren Beruf getrieben hat. Sie nimmt an einem der langen Tische Platz, die in ihrer Anordnung an die Speisesäle englischer Eliteschulen erinnern oder an die große Halle in Hogwarts aus den Harry-Potter-Filmen.
Singen, Beten, Tagesordnung abarbeiten, Mittagsimbiss, Smalltalk, Mundwinkel einfrieren, damit das Lächeln nicht verrutscht, durchhalten, durchhalten, durchhalten.
Dann kommt es zur Wahl. Andrea kann nicht wählen. Sie will sich weder am Ruin des Kirchenkreises schuldig machen, noch an seiner Verwandlung in eine totalitäre Vorhölle. Sie könnte schließlich hinterher kaum behaupten, sie habe das alles nicht gewusst. Sie weiß mehr, als ihr lieb ist. Sie enthält sich.
Auszählung. Spannung. Resignation. Es ist ja egal, ob nun Pest oder Cholera obsiegt. Dann das Ergebnis: Unentschieden. Ein Stöhnen geht durch die Reihen. Noch mindestens eine weitere Stunde Lebenszeitverschwendung. Eine halbe Stunde Pause bis zum zweiten Wahlgang. Geschäftiges Treiben bei den einen, gähnende Langeweile bei den anderen. Zigaretten vor der Tür.Toilettengänge. Brennende Mägen vom fünften lauwarmem Kaffee und zu viel Weißbrot mit Remoulade und Essig-Gürkchen. Und dann dieser markerschütternde Schrei. Andrea denkt augenblicklich an ein durchgebrochenes Magengeschwür. Dann sieht sie den Menschenauflauf vor der Herrentoilette. Alle reden aufgeregt durcheinander. Schließlich kommt ihr Henning entgegen. Leichenblass ist er, ihre Blicke treffen sich. „Was ist los?“, Flüstert sie.
„Sackheim wurde eben tot aufgefunden.“, antwortet Henning erschüttert. „Was?“, fragt Andrea ungläubig und Henning fährt fort: „Er liegt mit offener Hose vor dem Pissoir. Offensichtlich hat man ihn mit einem stumpfen Gegenstand niedergeschlagen, denn er hat eine frische Kopfwunde. Besonders merkwürdig ist, dass man ihm auch das Jackett ausgezogen und den Hemdsärmel aufgekrempelt hat. Ich hab ihn mir genauer angesehen, ich hab ihn ja gefunden. Da war ein roter Punkt in der Ellenbeuge. Ich denke, dem hat jemand etwas injiziert. Bernhard alarmiert gerade die Polizei.“
Alle rennen durcheinander. Andrea schämt sich, denn gleich nach dem ersten Schreck denkt sie: „Mist, das dauert jetzt sicher noch Stunden hier und wir müssen bei Junkfood und Magen reizendem Filterkaffee ausharren, dabei hätte ich wenigstens den frühen Abend noch entspannt im Wohnzimmer verbracht. - Aber wie bin ich eigentlich drauf? Ein Kollege wird ermordet und ich betrauere meinen verspäteten Feierabend. Gut dass keiner in meinen Kopf sehen kann.“
Die Polizei ist noch nicht eingetroffen. Andrea geht in den ersten Stock, denn dort gibt es eine Sitzgruppe mit gepolsterten Sesseln, eine Wartezone für den Publikumsverkehr. Hier oben ist es viel ruhiger, fast schon gespenstisch still. Am Ende des Flures irritiert ein dunkler Fleck. Andrea hat nicht den Hauch einer Idee, worum es sich handeln könnte. Hat da jemand seine Handtasche verloren? Sie geht darauf zu. Als sie fast angekommen ist, erkennt sie einen Herrenschuh, in dem ein Fuß steckt. Sie blickt um die Ecke und jetzt ist sie diejenige, deren Brust panische Laute entweichen, aber keine spitzen Schrei, eher ein Würgen, dann ein Brüllen, dann haltloses Schluchzen. Sundermann liegt seltsam verrenkt auf dem Rücken, in seiner Brust steckt ein martialischer Dreizack. Andrea muss sich erst wieder fangen, bevor sie in der Lage ist, ins Erdgeschoss zu laufen und Alarm zu schlagen. Sie läuft Godehard Mertens ins die Arme. Ausgerechnet diese schmierige Ratte. Sie kann kaum sprechen, stottert nur: „Sundermann...tot...“ und weist nach oben. Mertens fasst sie an den Ellbogen: „Zeigen Sie mir, wo er ist.“ Widerwillig führt sie Mertens zu ihrem grausigen Fund. Mertens wird leichenblass. So hat sie ihn noch nie gesehen, noch nie die nackte Angst in seinen sonst so eiskalten Augen bemerkt. Aber Mertens starrt nicht auf den toten Kollegen. Mertens starrt auf den Dreizack. Eine unkontrollierbare Assoziationskette schießt Andrea durch den Kopf: Dreizack – Teufelswaffe – Satanismus-Symbol – Geheimlogen – Sundermann – Rotary - Mertens. Ja Mertens ist ebenfalls Rotarier, das hat sie vor längerer Zeit in der Zeitung gelesen. Ist er der Nächste? Oder ist Sundermann übers Ziel hinaus geschossen und Mertens versteht die Botschaft, weil er zum inner Circle gehört? Andrea will es gar nicht wissen. Sie will nur weg hier, setzt einen Fuß vor den anderen, bis sie endlich die rettende Treppe erreicht hat. Als sie hinabsteigt denkt sie: „Alle beide weg. Pest und Cholera besiegt.“ Und diesmal schämt sie sich kein bisschen. „Und was kommt jetzt? Der stylische, selbstverliebte faule Egomane Rüdiger Wolf oder die total chaotische sich selbst aufopfernde und sich ständig verzettelnde Gutfrau Adriana Bulthaup-Meierjohann? Wir haben die Wahl. Die Wahl zwischen AIDS und Ebola.“
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