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Donnerstag, 23. Juni 2016
Wo ist Meredith? - Abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 15:21h
„Wo ist Meredith?“, fragte Christian, der sich wunderte, dass er die junge Frau schon seit mehreren Tagen nicht mehr gesehen hatte, obwohl sie doch sonst oft mehrmals täglich hektisch und fahrig durchs Gemeindehaus huschte. Sie bewohnte die kleine Einliegerwohnung, die früher einmal die Heimat der Gemeindeschwester gewesen war, aber dieses Berufsbild war nahezu vollständig aus der evangelischen Kirche verschwunden und den Jugendreferenten, Gemeindepädagogen, Erzieherinnen und Krankenpflegerinnen der Diakoniestationen gewichen.
„Stimmt.“, stellte Gerald nun verwundert fest. „Die habe ich schon seit Tagen nicht gesehen. Aber die fährt doch nie in Urlaub, so chronisch abgebrannt wie die immer ist, hat ja nicht mal Freunde, die sie besuchen könnte.“
„Woher willst du das wissen?“
„Pastor Künnemann und seine Frau kennen sie ziemlich gut, die laden sie manchmal zum Essen ein, weil sie so einsam ist.“
„Da ist sie bestimmt super scharf drauf, bei dem alten Pastor und seiner Perle rumzuhängen, während andere in ihrem Alter durch Discos und Kneipen ziehen.“
„Besser bei Künnemanns rumhängen als sich allein zu Hause zu langweilen. In der winzigen Hütte würde mir sofort die Decke auf den Kopf fallen. Aber vielleicht ist sie ja krank. Ich glaube, ich klingel da mal.“
Auf mehrmaliges Klingeln erfolgte keine Reaktion. Der Jugendreferent drückte instinktiv die Türklinke und stand plötzlich in der Wohnung. „Meredith?“, rief er. Als keine Antwort kam, blickte er sich in Küche und Wohnzimmer um, bevor er mit pochendem Herzen das Bad und schließlich das Schlafzimmer betrat. Doch die junge Frau war nirgends zu sehen. Hier stimmte etwas nicht, denn Meredith litt unter Angststörungen und Verfolgungswahn, darum schloss sie immer zwei Mal ab und tobte vor Wut, wenn mal jemand die Haustür nur einfach abgeschlossen hatte, ohne den Schnapper hochzuziehen und den Schlüssel zwei Mal im Schloss umzudrehen. Außerdem entdeckte Gerald auf der Spüle eine Tasse, in der ein Rest Milchkaffee von einer dicken Schimmel-Schicht überzogen war. Ratlos verließ er die Wohnung, als sein Blick schließlich auf die Dachbodenluke fiel und ein kalter Schauer kroch über seinen Rücken. „Oh Gott, bitte nicht!“, stöhnte er, nahm aber dennoch den Stock mit dem Haken, mit dem die altmodische Verriegelung der Klappe sich öffnen ließ. Das vertraute, metallische Geräusch klang diesmal alles andere als heimelig in seinen Ohren, doch die Klappe ließ sich nur ein paar Zentimeter herunter ziehen, dann wurde sie von irgendetwas blockiert. Er konnte das nicht allein und rief den Pfarrer zur Hilfe, der gleich den Küster dabei hatte, und der war mit einer Stehleiter und seiner Werkzeugbox bewaffnet.
Jemand hatte die Klappe dort oben mit einer Wäscheleine befestigt und zwar so gründlich, dass man sich durch mehrere Stücke der stabilen Leine hindurch knipsen musste, bis die Klappe sich vollständig öffnen ließ. Mutig betrat der Küster als erster den Dachboden und hielt entsetzt die Luft an: Meredith war dort, beziehungsweise das, was von ihr noch übrig war. Ihre Leiche unter deren Haut sich bereits die Maden bewegten, hing mit einem Pfadfinder-Knoten befestigt an einem Dachbalken. Die Polizei schloss den Fall später mit der eindeutigen Feststellung ab, dass es sich um Selbsttötung handelte. Niemand wunderte sich darüber, Meredith mit ihrer Angststörung, ihrem Verfolgungswahn und ihrer großen Einsamkeit. Nur die Männer bekamen das Bild der sich zersetzenden Frauenleiche nicht mehr aus ihren Köpfen.
Zwei Wochen später verabredete Gerald sich mit dem Pfarrer, dem Kirchmeister und zwei Vertretern des CVJM, um die Wohnung in Augenschein zu nehmen. Die Vermietung an Meredith hatte nur als pragmatische Lösung einer akuten Notsituation gedient, jetzt sollten die Räume der Jugendarbeit zur Verfügung gestellt werden.
Die Männer waren irritiert, dass die Tür nach wie vor unverschlossen war. Während der polizeilichen Ermittlungen war die Wohnung versiegelt gewesen, danach hatte niemand mehr daran gedacht, abzuschließen.
„Na, besonders ordentlich war unsere Mieterin aber nicht.“, bemerkte der Kirchmeister.
„Wieso?“, fragte Pastor Künnemann, auf den Merediths Wohnung immer einen äußerst peniblen Eindruck gemacht hatte. Er erschrak, als er das Chaos erblickte.
„Die Wohnung hat jemand durchsucht!“, keuchte er. „Egal wann man sie besuchte, hier war immer alles picobello.“
„Aber bei der Frau gab es doch nichts zu holen.“, überlegte der Kirchmeister.
„Vielleicht keine Wertgegenstände.“, entgegnete Gerald. „Aber vielleicht etwas, von dem jemand hofft, dass es nicht gefunden wird.“
Sie liefen in der Wohnung umher, niemand dachte daran, sofort wieder zu gehen, damit die Spurensicherung die Räume professionell untersuchen konnte. Schließlich entdeckte Gerald das geflieste Türchen an der Außenseite der Badewanne, von dem Meredith ihm einmal anvertraut hatte, dass dort ihr Geheimversteck sei. Er hatte vermutet, sie sei so verrückt zu glauben, sie selbst könne sich dort verstecken, aber vielleicht lag dort das, was der Eindringling gesucht hatte. Die Verriegelung war stark korrodiert und machte nicht den Eindruck, dass sie in letzter Zeit bewegt worden war. Darum hatte der Suchende die Idee, auch hier einmal nachzusehen, sicher verworfen. Gerald musste ein wenig an dem kleinen Riegel rütteln, bis die kleine, quadratische Tür sich schließlich öffnen ließ. Dort lag tatsächlich etwas: Ein Tagebuch. Er schlug es wahllos mittendrin auf.
„28.02.1986 – Dietmar hat schon wieder so komisch geguckt. Er wollte unbedingt, dass ich ihm helfe, die Liederbücher wieder in die Teestube zu tragen. Ich habe gesagt, dass ich sofort nach Hause muss. Da sah er irgendwie traurig aus und es tat mir voll leid.
06.03.1986 – Eigentlich wollte ich gar nicht in das Vorbereitungsteam für die nächste Jungschar-Stunde. Aber dann kam es irgendwie doch so. Ich war dann um fünf bei Dietmar. Uschi hat abgesagt und Jan musste um halb sechs schon wieder weg. Da war ich mit Dietmar alleine und wir waren ja noch nicht fertig. Auf einmal hat Dietmar Sekt geholt, er meinte, wir müssten anstoßen, weil wir zum ersten Mal ganz allein zusammen was vorbereiten. Ich wollte erst nicht, aber dann guckte er wieder so traurig und er hat es ja nett gemeint und dann schmeckte der Sekt auch viel besser als bei Mama und Papa und mir wurde ganz schwummrig und ich musste dauernd kichern. Dietmar hat mich gekitzelt und mir voll versaute Witze erzählt und dann meinte er, dass dürfte ich aber keinem erzählen, was wir für einen Spaß hätten, das müsste unser Geheimnis bleiben.“
War das ein Tatsachenbericht oder die kranken Phantasien einer psychotischen Jugendlichen? Gerald war klar, dass er das Tagebuch der Polizei übergeben musste, denn wenn besagter Dietmar, möglicherweise sein Vorgänger, sich der Grenzüberschreitung, die hier beschrieben war, tatsächlich schuldig gemacht hatte, war es sehr gut möglich, dass er das Tagebuch verschwinden lassen wollte. Nur hatte er es nicht gefunden.
Am Sonntag ließ Gerald sich ausnahmsweise im Gottesdienst blicken. Das tat er nicht oft, denn er wohnte nicht im Stadtteil. Wo er nun schon einmal da war, ging er anschließend ins Kirchcafé. Angela setzte sich zu ihm an den Tisch.
„Und du hast also Meredith gefunden?“
„Ja. Und nicht nur Meredith. Auch ihr Tagebuch.“
„Echt? Was stand denn da drin?“
„Ich habe nicht alles gelesen, aber was ich gelesen habe, hat mir das Blut gefrieren lassen. In den Achtzigern hat sie ein Dietmar angeblich in seine Wohnung gelockt und wiederholt sexuell missbraucht.“
„Dietmar?“, fragte Angela entsetzt. „Dietmar Engelke?“
„Keine Ahnung. Da stand nur Dietmar. Wer ist denn Dietmar Engelke?“
„Der war hier in den Achtzigern Jugendwart.“
„Und? Traust du ihm solche Übergriffe zu? Oder glaubst du, Meredith hat sich das ausgedacht?“
Angela antwortete nicht. Sie war plötzlich sehr blass geworden.
„Wo ist das Tagebuch?“, hauchte sie.
„Bei der Polizei.“
„Das ist gut. Denn wenn er es in die Finger kriegt, verschwindet es.“
Die Polizei behandelte das Gemeindehaus – speziell die Wohnung und den Dachboden – nun als Tatort und nahm die Ermittlungen wieder auf. Ein Dachfenster auf dem Spitzboden war so locker verschlossen, dass es denkbar war, dass jemand, nachdem er die Luke verschnürt hatte, darüber verschwunden war.
Dietmar Engelke war nicht mehr jung, ging aber noch immer regelmäßig in den Alpen auf Klettertour.
Er hatte alle seine Spuren beseitigt, nur das Tagebuch hatte er nicht gefunden.
„Stimmt.“, stellte Gerald nun verwundert fest. „Die habe ich schon seit Tagen nicht gesehen. Aber die fährt doch nie in Urlaub, so chronisch abgebrannt wie die immer ist, hat ja nicht mal Freunde, die sie besuchen könnte.“
„Woher willst du das wissen?“
„Pastor Künnemann und seine Frau kennen sie ziemlich gut, die laden sie manchmal zum Essen ein, weil sie so einsam ist.“
„Da ist sie bestimmt super scharf drauf, bei dem alten Pastor und seiner Perle rumzuhängen, während andere in ihrem Alter durch Discos und Kneipen ziehen.“
„Besser bei Künnemanns rumhängen als sich allein zu Hause zu langweilen. In der winzigen Hütte würde mir sofort die Decke auf den Kopf fallen. Aber vielleicht ist sie ja krank. Ich glaube, ich klingel da mal.“
Auf mehrmaliges Klingeln erfolgte keine Reaktion. Der Jugendreferent drückte instinktiv die Türklinke und stand plötzlich in der Wohnung. „Meredith?“, rief er. Als keine Antwort kam, blickte er sich in Küche und Wohnzimmer um, bevor er mit pochendem Herzen das Bad und schließlich das Schlafzimmer betrat. Doch die junge Frau war nirgends zu sehen. Hier stimmte etwas nicht, denn Meredith litt unter Angststörungen und Verfolgungswahn, darum schloss sie immer zwei Mal ab und tobte vor Wut, wenn mal jemand die Haustür nur einfach abgeschlossen hatte, ohne den Schnapper hochzuziehen und den Schlüssel zwei Mal im Schloss umzudrehen. Außerdem entdeckte Gerald auf der Spüle eine Tasse, in der ein Rest Milchkaffee von einer dicken Schimmel-Schicht überzogen war. Ratlos verließ er die Wohnung, als sein Blick schließlich auf die Dachbodenluke fiel und ein kalter Schauer kroch über seinen Rücken. „Oh Gott, bitte nicht!“, stöhnte er, nahm aber dennoch den Stock mit dem Haken, mit dem die altmodische Verriegelung der Klappe sich öffnen ließ. Das vertraute, metallische Geräusch klang diesmal alles andere als heimelig in seinen Ohren, doch die Klappe ließ sich nur ein paar Zentimeter herunter ziehen, dann wurde sie von irgendetwas blockiert. Er konnte das nicht allein und rief den Pfarrer zur Hilfe, der gleich den Küster dabei hatte, und der war mit einer Stehleiter und seiner Werkzeugbox bewaffnet.
Jemand hatte die Klappe dort oben mit einer Wäscheleine befestigt und zwar so gründlich, dass man sich durch mehrere Stücke der stabilen Leine hindurch knipsen musste, bis die Klappe sich vollständig öffnen ließ. Mutig betrat der Küster als erster den Dachboden und hielt entsetzt die Luft an: Meredith war dort, beziehungsweise das, was von ihr noch übrig war. Ihre Leiche unter deren Haut sich bereits die Maden bewegten, hing mit einem Pfadfinder-Knoten befestigt an einem Dachbalken. Die Polizei schloss den Fall später mit der eindeutigen Feststellung ab, dass es sich um Selbsttötung handelte. Niemand wunderte sich darüber, Meredith mit ihrer Angststörung, ihrem Verfolgungswahn und ihrer großen Einsamkeit. Nur die Männer bekamen das Bild der sich zersetzenden Frauenleiche nicht mehr aus ihren Köpfen.
Zwei Wochen später verabredete Gerald sich mit dem Pfarrer, dem Kirchmeister und zwei Vertretern des CVJM, um die Wohnung in Augenschein zu nehmen. Die Vermietung an Meredith hatte nur als pragmatische Lösung einer akuten Notsituation gedient, jetzt sollten die Räume der Jugendarbeit zur Verfügung gestellt werden.
Die Männer waren irritiert, dass die Tür nach wie vor unverschlossen war. Während der polizeilichen Ermittlungen war die Wohnung versiegelt gewesen, danach hatte niemand mehr daran gedacht, abzuschließen.
„Na, besonders ordentlich war unsere Mieterin aber nicht.“, bemerkte der Kirchmeister.
„Wieso?“, fragte Pastor Künnemann, auf den Merediths Wohnung immer einen äußerst peniblen Eindruck gemacht hatte. Er erschrak, als er das Chaos erblickte.
„Die Wohnung hat jemand durchsucht!“, keuchte er. „Egal wann man sie besuchte, hier war immer alles picobello.“
„Aber bei der Frau gab es doch nichts zu holen.“, überlegte der Kirchmeister.
„Vielleicht keine Wertgegenstände.“, entgegnete Gerald. „Aber vielleicht etwas, von dem jemand hofft, dass es nicht gefunden wird.“
Sie liefen in der Wohnung umher, niemand dachte daran, sofort wieder zu gehen, damit die Spurensicherung die Räume professionell untersuchen konnte. Schließlich entdeckte Gerald das geflieste Türchen an der Außenseite der Badewanne, von dem Meredith ihm einmal anvertraut hatte, dass dort ihr Geheimversteck sei. Er hatte vermutet, sie sei so verrückt zu glauben, sie selbst könne sich dort verstecken, aber vielleicht lag dort das, was der Eindringling gesucht hatte. Die Verriegelung war stark korrodiert und machte nicht den Eindruck, dass sie in letzter Zeit bewegt worden war. Darum hatte der Suchende die Idee, auch hier einmal nachzusehen, sicher verworfen. Gerald musste ein wenig an dem kleinen Riegel rütteln, bis die kleine, quadratische Tür sich schließlich öffnen ließ. Dort lag tatsächlich etwas: Ein Tagebuch. Er schlug es wahllos mittendrin auf.
„28.02.1986 – Dietmar hat schon wieder so komisch geguckt. Er wollte unbedingt, dass ich ihm helfe, die Liederbücher wieder in die Teestube zu tragen. Ich habe gesagt, dass ich sofort nach Hause muss. Da sah er irgendwie traurig aus und es tat mir voll leid.
06.03.1986 – Eigentlich wollte ich gar nicht in das Vorbereitungsteam für die nächste Jungschar-Stunde. Aber dann kam es irgendwie doch so. Ich war dann um fünf bei Dietmar. Uschi hat abgesagt und Jan musste um halb sechs schon wieder weg. Da war ich mit Dietmar alleine und wir waren ja noch nicht fertig. Auf einmal hat Dietmar Sekt geholt, er meinte, wir müssten anstoßen, weil wir zum ersten Mal ganz allein zusammen was vorbereiten. Ich wollte erst nicht, aber dann guckte er wieder so traurig und er hat es ja nett gemeint und dann schmeckte der Sekt auch viel besser als bei Mama und Papa und mir wurde ganz schwummrig und ich musste dauernd kichern. Dietmar hat mich gekitzelt und mir voll versaute Witze erzählt und dann meinte er, dass dürfte ich aber keinem erzählen, was wir für einen Spaß hätten, das müsste unser Geheimnis bleiben.“
War das ein Tatsachenbericht oder die kranken Phantasien einer psychotischen Jugendlichen? Gerald war klar, dass er das Tagebuch der Polizei übergeben musste, denn wenn besagter Dietmar, möglicherweise sein Vorgänger, sich der Grenzüberschreitung, die hier beschrieben war, tatsächlich schuldig gemacht hatte, war es sehr gut möglich, dass er das Tagebuch verschwinden lassen wollte. Nur hatte er es nicht gefunden.
Am Sonntag ließ Gerald sich ausnahmsweise im Gottesdienst blicken. Das tat er nicht oft, denn er wohnte nicht im Stadtteil. Wo er nun schon einmal da war, ging er anschließend ins Kirchcafé. Angela setzte sich zu ihm an den Tisch.
„Und du hast also Meredith gefunden?“
„Ja. Und nicht nur Meredith. Auch ihr Tagebuch.“
„Echt? Was stand denn da drin?“
„Ich habe nicht alles gelesen, aber was ich gelesen habe, hat mir das Blut gefrieren lassen. In den Achtzigern hat sie ein Dietmar angeblich in seine Wohnung gelockt und wiederholt sexuell missbraucht.“
„Dietmar?“, fragte Angela entsetzt. „Dietmar Engelke?“
„Keine Ahnung. Da stand nur Dietmar. Wer ist denn Dietmar Engelke?“
„Der war hier in den Achtzigern Jugendwart.“
„Und? Traust du ihm solche Übergriffe zu? Oder glaubst du, Meredith hat sich das ausgedacht?“
Angela antwortete nicht. Sie war plötzlich sehr blass geworden.
„Wo ist das Tagebuch?“, hauchte sie.
„Bei der Polizei.“
„Das ist gut. Denn wenn er es in die Finger kriegt, verschwindet es.“
Die Polizei behandelte das Gemeindehaus – speziell die Wohnung und den Dachboden – nun als Tatort und nahm die Ermittlungen wieder auf. Ein Dachfenster auf dem Spitzboden war so locker verschlossen, dass es denkbar war, dass jemand, nachdem er die Luke verschnürt hatte, darüber verschwunden war.
Dietmar Engelke war nicht mehr jung, ging aber noch immer regelmäßig in den Alpen auf Klettertour.
Er hatte alle seine Spuren beseitigt, nur das Tagebuch hatte er nicht gefunden.
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Mittwoch, 22. Juni 2016
Davids Goliaths – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 22:01h
Er war nicht besonders groß, aber auch nicht gerade ein Zwerg, eher eine unscheinbare Erscheinung, der so aussah, als seien in seiner Kindheit Eiweiß und Vitamine Mangelware gewesen. Besonders blass war er, aber nicht besonders genug, um in Erinnerung zu bleiben.
Eine ganze Woche hatte er täglich mindestens drei Stunden geübt. Er war dafür mit dem Bus nach Borgholzhausen gefahren, wo er in der Einsamkeit des Teutoburger Waldes ungestört trainieren konnte. Das Holz lag gut in der Hand, das Spezialgummi besaß exakt den richtigen Grad an Festigkeit: es ließ sich damit eine hohe Spannung aufbauen, aber es war auch elastisch genug, um es auch ohne übermenschliche Kraft nach hinten zu ziehen.
Den Hohlraum für die Geschosse hatte er liebevoll aus einem Stück Olivenholz aus dem Heiligen Land geschnitzt, aus dem übrigens auch die Astgabel stammte. Das Holz war hart, schön glatt geschliffen und geölt, so dass die bizarre, pittoreske Maserung besonders gut herauskam.
Hier, wo selten ein Mensch vorbeikam, waren die Tiere des Waldes mutiger und so konnte er auch auf bewegliche Ziele anlegen.
Dann kam der große Tag. In der Nacht war er von einem Alptraum in den nächsten geglitten, alles kam wieder hoch: Die Kindheit auf dem Land, wo er im Sportverein versagte, auf dem Schulhof geschnitten wurde und man ihn aus dem Schützenverein mobbte, bevor er überhaupt dazu kam, seine Begabung auf die Probe stellen zu lassen.
Die Zeit auf dem Gymnasium, wo er weder im Sport glänzte noch mit coolem Gehabe beeindrucken konnte. Stattdessen war er ein Überflieger im Religionsunterricht gewesen, aber das hatte niemanden interessiert.
Er sah den beeindruckenden Pfarrer vor sich, zu dem alle aufblickten und entschloss sich, Theologie zu studieren und tatsächlich nahm alles seinen Lauf, genauso, wie er es geplant hatte: Abitur, Gemeindepraktikum, kirchliche Hochschule Bethel. Nach dem Traum von schweißnassen Händen in der Sprachprüfung für das Graecum klingelte sein Wecker.
Er duschte und wusch den nächtlichen Angstschweiß herunter. Er zog seine beste Kleidung an: einen anthrazitfarbenen Anzug, dazu ein hellgraues Hemd, eine weinrote Krawatte und schwarze, polierte Schuhe im Budapester Stil. Die Schultertasche für die altmodische Fotoausrüstung befüllte er mit den winzigen, gefüllten Kinderballons; für die Seitentasche wählte er drei besonders schöne, glatte Steine aus und das Olivenholz-Gebilde lag obenauf.
Währenddessen füllte sich der große Saal mit den Synodalen des Kirchenkreises. Noch schwatzten alle durcheinander, am Rande wurden in verminderter Zimmerlautstärke letzte Absprachen bezüglich der Vorgehensweise bei der Durchsetzung favorisierter Beschlussvorlagen getroffen, woanders begrüßte man sich meist gesittet, teilweise auch lautstark, und alle überprüften das Revier auf den strategisch günstigsten Sitzplatz.
Mit einstudierter Selbstverständlichkeit betrat er den Saal und war doch überrascht, dass niemand ihn kritisch beäugte oder direkt fragte, zu welcher Gemeinde er denn gehöre. Wirklich niemand erkannte ihn, obwohl er doch etliche erkannte, die ihm jahrelang auf der Hochschule tagtäglich über den Weg gelaufen waren; einige aus Bethel, einige aus Marburg, zwei sogar aus Tübingen. Natürlich erkannten sie in nicht, er war ja keiner mehr von ihnen, war den Weg nicht weitergegangen, weil man ihm wie so viele Male im Leben kurz vor dem Ziel die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Zwei Mal durchs Examen gerasselt und Adios Gemeindepfarrer.
Jetzt hatte er nichts außer seinem Abitur und seinen Racheplänen. Er entschied sich für einen Stehplatz auf der Empore hinter einem dicken Pfeiler, da würden sie ihn nicht sofort ausmachen.
Er legte den ersten der glatten Steine in den Geschossbehälter, zielte präzise und traf. Jens Malachowski, Kommilitone aus Marburg. Niemand bemerkte so schnell, wie er vor dem Teewagen in die Knie ging. Der nächste Stein traf Gesine Henkemeier, die kannte er aus Bethel und da sie gerade auf dem Weg zur Toilette war, hatte auch sie niemand im Auge. Dann zielte er auf den größten unter den bösen Riesen: Karl-Heinz Rietmüller, der hatte ihn beim Examen durchrasseln lassen und war heute Gast auf der Synode. Damit waren auch alle alarmiert und jetzt musste er schnell handeln, wenn er möglichst viele und vor allem die Richtigen erwischen wollte. Aber zuerst würde er Rietmüllers Gesicht zerstören, nachdem er ihm seins geraubt hatte. Der erste Miniballon zerplatzte auf dem Gesicht des bewusstlosen Referenten. Die umstehenden Helfer reagierten viel zu spät, denn der Verletzte schrie nicht vor Schmerzen, weil er ja in seiner Bewusstlosigkeit nichts spürte. Eine unbekannte Flüssigkeit hatte seine Haut verätzt. Schon platzte die nächste Säurebombe und ein gellender Schmerzschrei durchschnitt die Luft. Spätestens jetzt versuchten alle, irgendwie in Deckung zu gehen und bis die ersten die Situation vollständig erfasst hatten und nach der Quelle der Geschosse Ausschau hielten, waren schon mehrere verwundet zum Abwaschen zur Toilette gelaufen und die ausbrechende Massenpanik war nicht mehr zu verhindern.
Am Ende der Veranstaltung gab es Fünf Säureverätzungen, drei schwere Kopfverletzungen durch Zwillen-Geschosse sowie fünfunddreißig Knochenbrüche und etliche Prellungen und Quetschungen, die sich die Menschen im Zuge der Massenpanik zugezogen hatten. Doch auch einen Toten gab es am Ende der Veranstaltung zu beklagen: David. Absolut unbiblisch. Die Goliaths hatten ihn endgültig besiegt.
Eine ganze Woche hatte er täglich mindestens drei Stunden geübt. Er war dafür mit dem Bus nach Borgholzhausen gefahren, wo er in der Einsamkeit des Teutoburger Waldes ungestört trainieren konnte. Das Holz lag gut in der Hand, das Spezialgummi besaß exakt den richtigen Grad an Festigkeit: es ließ sich damit eine hohe Spannung aufbauen, aber es war auch elastisch genug, um es auch ohne übermenschliche Kraft nach hinten zu ziehen.
Den Hohlraum für die Geschosse hatte er liebevoll aus einem Stück Olivenholz aus dem Heiligen Land geschnitzt, aus dem übrigens auch die Astgabel stammte. Das Holz war hart, schön glatt geschliffen und geölt, so dass die bizarre, pittoreske Maserung besonders gut herauskam.
Hier, wo selten ein Mensch vorbeikam, waren die Tiere des Waldes mutiger und so konnte er auch auf bewegliche Ziele anlegen.
Dann kam der große Tag. In der Nacht war er von einem Alptraum in den nächsten geglitten, alles kam wieder hoch: Die Kindheit auf dem Land, wo er im Sportverein versagte, auf dem Schulhof geschnitten wurde und man ihn aus dem Schützenverein mobbte, bevor er überhaupt dazu kam, seine Begabung auf die Probe stellen zu lassen.
Die Zeit auf dem Gymnasium, wo er weder im Sport glänzte noch mit coolem Gehabe beeindrucken konnte. Stattdessen war er ein Überflieger im Religionsunterricht gewesen, aber das hatte niemanden interessiert.
Er sah den beeindruckenden Pfarrer vor sich, zu dem alle aufblickten und entschloss sich, Theologie zu studieren und tatsächlich nahm alles seinen Lauf, genauso, wie er es geplant hatte: Abitur, Gemeindepraktikum, kirchliche Hochschule Bethel. Nach dem Traum von schweißnassen Händen in der Sprachprüfung für das Graecum klingelte sein Wecker.
Er duschte und wusch den nächtlichen Angstschweiß herunter. Er zog seine beste Kleidung an: einen anthrazitfarbenen Anzug, dazu ein hellgraues Hemd, eine weinrote Krawatte und schwarze, polierte Schuhe im Budapester Stil. Die Schultertasche für die altmodische Fotoausrüstung befüllte er mit den winzigen, gefüllten Kinderballons; für die Seitentasche wählte er drei besonders schöne, glatte Steine aus und das Olivenholz-Gebilde lag obenauf.
Währenddessen füllte sich der große Saal mit den Synodalen des Kirchenkreises. Noch schwatzten alle durcheinander, am Rande wurden in verminderter Zimmerlautstärke letzte Absprachen bezüglich der Vorgehensweise bei der Durchsetzung favorisierter Beschlussvorlagen getroffen, woanders begrüßte man sich meist gesittet, teilweise auch lautstark, und alle überprüften das Revier auf den strategisch günstigsten Sitzplatz.
Mit einstudierter Selbstverständlichkeit betrat er den Saal und war doch überrascht, dass niemand ihn kritisch beäugte oder direkt fragte, zu welcher Gemeinde er denn gehöre. Wirklich niemand erkannte ihn, obwohl er doch etliche erkannte, die ihm jahrelang auf der Hochschule tagtäglich über den Weg gelaufen waren; einige aus Bethel, einige aus Marburg, zwei sogar aus Tübingen. Natürlich erkannten sie in nicht, er war ja keiner mehr von ihnen, war den Weg nicht weitergegangen, weil man ihm wie so viele Male im Leben kurz vor dem Ziel die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Zwei Mal durchs Examen gerasselt und Adios Gemeindepfarrer.
Jetzt hatte er nichts außer seinem Abitur und seinen Racheplänen. Er entschied sich für einen Stehplatz auf der Empore hinter einem dicken Pfeiler, da würden sie ihn nicht sofort ausmachen.
Er legte den ersten der glatten Steine in den Geschossbehälter, zielte präzise und traf. Jens Malachowski, Kommilitone aus Marburg. Niemand bemerkte so schnell, wie er vor dem Teewagen in die Knie ging. Der nächste Stein traf Gesine Henkemeier, die kannte er aus Bethel und da sie gerade auf dem Weg zur Toilette war, hatte auch sie niemand im Auge. Dann zielte er auf den größten unter den bösen Riesen: Karl-Heinz Rietmüller, der hatte ihn beim Examen durchrasseln lassen und war heute Gast auf der Synode. Damit waren auch alle alarmiert und jetzt musste er schnell handeln, wenn er möglichst viele und vor allem die Richtigen erwischen wollte. Aber zuerst würde er Rietmüllers Gesicht zerstören, nachdem er ihm seins geraubt hatte. Der erste Miniballon zerplatzte auf dem Gesicht des bewusstlosen Referenten. Die umstehenden Helfer reagierten viel zu spät, denn der Verletzte schrie nicht vor Schmerzen, weil er ja in seiner Bewusstlosigkeit nichts spürte. Eine unbekannte Flüssigkeit hatte seine Haut verätzt. Schon platzte die nächste Säurebombe und ein gellender Schmerzschrei durchschnitt die Luft. Spätestens jetzt versuchten alle, irgendwie in Deckung zu gehen und bis die ersten die Situation vollständig erfasst hatten und nach der Quelle der Geschosse Ausschau hielten, waren schon mehrere verwundet zum Abwaschen zur Toilette gelaufen und die ausbrechende Massenpanik war nicht mehr zu verhindern.
Am Ende der Veranstaltung gab es Fünf Säureverätzungen, drei schwere Kopfverletzungen durch Zwillen-Geschosse sowie fünfunddreißig Knochenbrüche und etliche Prellungen und Quetschungen, die sich die Menschen im Zuge der Massenpanik zugezogen hatten. Doch auch einen Toten gab es am Ende der Veranstaltung zu beklagen: David. Absolut unbiblisch. Die Goliaths hatten ihn endgültig besiegt.
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Dienstag, 21. Juni 2016
Gott ist groß – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 21:54h
„Wenn noch irgendwelche Eil-Mails kommen, will ich es nicht wissen.“, erklärte Keller. Ich will heute pünktlich Feierabend machen. Kriminalkommissarin Sabine Kerkenbrock grinste: „Gehen Sie jetzt gleich zum Speed-Dating oder oder was?“
„Nun werden Sie mal nicht unverschämt, junge Kollegin.“, erwiderte Stefan Keller. „Ausnahmsweise gehe ich mal zu einer Veranstaltung in meiner Kirchengemeinde, also da, wo ich wohne, und der Besuch ist nicht dienstlich.“
„Dass ich das noch erleben darf. Worum geht es denn? Bibelkrimis?“
„Um Gottes Willen, nein!“, erwiderte Keller. „Da kommt ein muslimischer Arzt; der einen informativen Vortrag über die islamische Lebensweise halten wird. Wenn so jemand das in einem Evangelischen Gemeindehaus tut, wird das sicher spannend.“
„Ja, das würde mich auch interessieren.“, erklärte Kerkenbrock. „Aber ich habe den heutigen Abend leider schon für meinen Liebsten reserviert.“
// SIE SIND SCHON ÜBERALL; DRINGEN ÜBERALL EIN; SELBST DA; WO SIE NUN WIRKLICH NICHT HINGEHÖREN; DA MUSS MAN DOCH EIN ZEICHEN SETZEN; DAS GEHT NICHT SO WEITER; ERST VERFÜHREN SIE UNSERE FRAUEN; DANN VERZIEHEN SIE UNSERE KINDER UND AM ENDE ZIEHEN SIE GANZ IN UNSERE KIRCHEN EIN UND MACHEN SIE ALLE ZU MOSCHEEN; UND DIE; DIE ICH FÜR MEINE SCHWESTERN UND BRÜDER IN CHRISTO HALTE; SEHEN DAS NICHT; GEHEN ZU IHREN FESTEN UND HOLEN SIE IN UNSERE KIRCHEN; GERADE SO; ALS WÄREN SIE KEINE HEIDEN; MAN MUSS IHNEN DIE AUGEN ÖFFNEN!//
Keller betrat das Gemeindehaus gleich neben dem Bürgerpark. Im Zentrum einer Großstadt sahen die evangelischen Christen in der Summe doch anders aus als in einem provinziellen Dorf, aber seltsame Vögel war auch hier zahlreich vertreten: die esoterisch Angehauchten in Walla Walla-Gewändern mit buntem Schal, der wie eine Stola locker im Nacken lag, ein paar blitzsaubere Überkorrekte mit verkniffenen Mündern, die möglicherweise gleich aufstanden und die zu Gewalt aufrufenden Suren im Koran rezitierten, um zu beweisen, wie rückschrittlich der Islam ist, die betont Nachlässigen mit lieblos geschorenen Kurzhaarfrisuren, verbeulten Jeans und verblichenen T-Shirts, vor allem aber die dynamischen jungen Senioren: drahtig, braungebrannt in teurer Funktionskleidung und mit geradezu ekelhaft zur Schau gestellter Wachheit. Er hätte am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht, wenn ihn das Thema nicht so interessiert hätte. Er entdeckte den Referenten. Der wirkte immerhin äußerst sympathisch, er war sich nicht sicher, aber er hatte das Gefühl, ihn in anderen Zusammenhängen schon einmal kennengelernt zu haben. Womöglich als Patient, immerhin war er von Beruf Arzt.
//LETZTES MAL HABEN SIE MICH RAUS GESCHMISSEN; GERADE SO; ALS WÄRE ICH DER FEIND: WER IHR WIRKLICHER FEIND IST; ERKENNEN SIE NICHT; DOCH WER SICH WEIGERT ZU ERKENNEN; WER SICH WEIGERT; DER MUSS BRENNEN!//
Keller spürte, wie sein Mobiltelefon in der Hosentasche vibrierte. Er hätte es ignorieren können, aber er brachte es nicht fertig. „Vielleicht ist es ja nichts Wichtiges“, dachte er und sah aufs Display. „Ach, Kerkenbrock!, zischte er ärgerlich. „Was hast du denn jetzt wieder vergessen.“ Widerwillig gab er seinen guten Platz auf und ging vor die Tür. Irritiert blickte er in den Nieselregen, denn es roch penetrant nach Grillanzünder. „Wer grillt denn bei diesem Wetter?“, dachte er im ersten Moment, dann spürte er wie automatisch ein Schalter in seinem Kopf umgelegt wurde. „Brandbeschleuniger!“, dachte er nur noch, rannte zurück ins Gemeindehaus und sprach sofort einen der Verantwortlichen an: „Bringen Sie bitte so schnell wir möglich alle Leute hier raus, es besteht allerhöchste Brandgefahr.“
„Klar“, erwiderte der etwas debil drein blickende Ehrenamtliche mit stoischer Ruhe. „Wo Muslime reden, da ist Feuer, höhöhö.“
„Verdammt, ich meine es ernst!“, zischte Keller. „Draußen riecht es überall nach brandbeschleuniger. Wenn Sie nicht umgehend handeln, bricht hier eine Massenpanik aus.“ Er zückte seinen Dienstausweis. „Also tun Sie jetzt was ich sage, ich fordere in der Zwischenzeit Verstärkung an.“
Keller alarmierte eine Streife und die Feuerwehr und beteiligte sich dann an einer möglichst störungsfreien Evakuierung der etwa 80 Veranstaltungsbesucher.
//WIESO KOMMEN JETZT ALLE RAUS? WER HAT MICH VERRATEN? WIE SOLL ICH SIE JETZT BESTRAFEN? ICH MUSS DOCH EIN ZEICHEN SETZEN! VIELLEICHT NEHME ICH MIR NUR DEN MUSELMANN VOR; EIN BISSCHEN BENZIN HABE ICH JA NOCH IN DER EINEN FLASCHE//
Kellers Blick schweifte umher, er behielt besonders den Referenten im Auge, dem der offenkundig geplante Brandanschlag womöglich galt. Dann fiel sein Blick auf einen Typen in der Menge, der so gar nicht ins Bild passte. Er trug einen altmodischen taillierten Anorak, braune Kordhosen und Sandalen, die er gefühlt zum letzten Mal in den Siebziger Jahren in einem Schuhgeschäft gesehen hatte. Auf dem Rücken trug der Mann, der sich langsam dem Referenten näherte, einen Rucksack, den er nun vorsichtig abnahm. Instinktiv schoss Keller auf ihn zu und sprach ihn an: „Waren Sie eben auch im Gemeindehaus? Ich habe Sie da gar nicht gesehen.“
Überrascht fuhr der Mann herum und stotterte: „Doch doch, äh ,nein, ich meine, ich war gerade auf dem Weg ins Haus, als mir alle entgegen kamen, was ist denn da los?“
„Darf ich mal in Ihren Rucksack sehen?“, fragte Keller.
„Wieso sollten Sie?“
„Weil ich Polizeibeamter bin und vermute, dass hier ein Brandanschlag geplant ist.“
Plötzlich setzte sich der Mann in Bewegung und versucht wegzulaufen, aber im allgemeinnen Gedränge war das praktisch unmöglich und Keller schaffte es ihn festzuhalten. Mittlerweile war auch die Streife da und die Kollegen fanden im Rucksack des Festgenommenen die Reste des Brandbeschleunigers. Sie nahmen den Täter in Gewahrsam. Er verweigerte jede Aussage, wurde aber aufgrund der glasklaren Indizien zu einer langen Haftstrafe verurteilt.
//SIE KRIEGEN MICH NICHT KLEIN; ICH WERDE DAS HIER ÜBERLEBEN; ICH MUSS ES ÜBERLEBEN; DENN DIE WELT WARTET DARAUF; DASS ICH SIE RETTE; DER TAG WIRD KOMMEN; WO SIE MICH GEHEN LASSEN MÜSSEN; ICH MACHE HIER KEINEN FEHLER; HIER HÄTTE ICH KEINE CHANCE; HIER SIND JA NUR SCHWERVERBRECHER UND HARTGESOTTENE AUFPASSER; ABER WENN ICH WIEDER DRAUSSEN BIN; SIND SIE DRAN ND DIESMAL MACHE ICH KEINE FEHLER UND DANN WIRD ALLES GUT.//
„Nun werden Sie mal nicht unverschämt, junge Kollegin.“, erwiderte Stefan Keller. „Ausnahmsweise gehe ich mal zu einer Veranstaltung in meiner Kirchengemeinde, also da, wo ich wohne, und der Besuch ist nicht dienstlich.“
„Dass ich das noch erleben darf. Worum geht es denn? Bibelkrimis?“
„Um Gottes Willen, nein!“, erwiderte Keller. „Da kommt ein muslimischer Arzt; der einen informativen Vortrag über die islamische Lebensweise halten wird. Wenn so jemand das in einem Evangelischen Gemeindehaus tut, wird das sicher spannend.“
„Ja, das würde mich auch interessieren.“, erklärte Kerkenbrock. „Aber ich habe den heutigen Abend leider schon für meinen Liebsten reserviert.“
// SIE SIND SCHON ÜBERALL; DRINGEN ÜBERALL EIN; SELBST DA; WO SIE NUN WIRKLICH NICHT HINGEHÖREN; DA MUSS MAN DOCH EIN ZEICHEN SETZEN; DAS GEHT NICHT SO WEITER; ERST VERFÜHREN SIE UNSERE FRAUEN; DANN VERZIEHEN SIE UNSERE KINDER UND AM ENDE ZIEHEN SIE GANZ IN UNSERE KIRCHEN EIN UND MACHEN SIE ALLE ZU MOSCHEEN; UND DIE; DIE ICH FÜR MEINE SCHWESTERN UND BRÜDER IN CHRISTO HALTE; SEHEN DAS NICHT; GEHEN ZU IHREN FESTEN UND HOLEN SIE IN UNSERE KIRCHEN; GERADE SO; ALS WÄREN SIE KEINE HEIDEN; MAN MUSS IHNEN DIE AUGEN ÖFFNEN!//
Keller betrat das Gemeindehaus gleich neben dem Bürgerpark. Im Zentrum einer Großstadt sahen die evangelischen Christen in der Summe doch anders aus als in einem provinziellen Dorf, aber seltsame Vögel war auch hier zahlreich vertreten: die esoterisch Angehauchten in Walla Walla-Gewändern mit buntem Schal, der wie eine Stola locker im Nacken lag, ein paar blitzsaubere Überkorrekte mit verkniffenen Mündern, die möglicherweise gleich aufstanden und die zu Gewalt aufrufenden Suren im Koran rezitierten, um zu beweisen, wie rückschrittlich der Islam ist, die betont Nachlässigen mit lieblos geschorenen Kurzhaarfrisuren, verbeulten Jeans und verblichenen T-Shirts, vor allem aber die dynamischen jungen Senioren: drahtig, braungebrannt in teurer Funktionskleidung und mit geradezu ekelhaft zur Schau gestellter Wachheit. Er hätte am liebsten auf dem Absatz kehrt gemacht, wenn ihn das Thema nicht so interessiert hätte. Er entdeckte den Referenten. Der wirkte immerhin äußerst sympathisch, er war sich nicht sicher, aber er hatte das Gefühl, ihn in anderen Zusammenhängen schon einmal kennengelernt zu haben. Womöglich als Patient, immerhin war er von Beruf Arzt.
//LETZTES MAL HABEN SIE MICH RAUS GESCHMISSEN; GERADE SO; ALS WÄRE ICH DER FEIND: WER IHR WIRKLICHER FEIND IST; ERKENNEN SIE NICHT; DOCH WER SICH WEIGERT ZU ERKENNEN; WER SICH WEIGERT; DER MUSS BRENNEN!//
Keller spürte, wie sein Mobiltelefon in der Hosentasche vibrierte. Er hätte es ignorieren können, aber er brachte es nicht fertig. „Vielleicht ist es ja nichts Wichtiges“, dachte er und sah aufs Display. „Ach, Kerkenbrock!, zischte er ärgerlich. „Was hast du denn jetzt wieder vergessen.“ Widerwillig gab er seinen guten Platz auf und ging vor die Tür. Irritiert blickte er in den Nieselregen, denn es roch penetrant nach Grillanzünder. „Wer grillt denn bei diesem Wetter?“, dachte er im ersten Moment, dann spürte er wie automatisch ein Schalter in seinem Kopf umgelegt wurde. „Brandbeschleuniger!“, dachte er nur noch, rannte zurück ins Gemeindehaus und sprach sofort einen der Verantwortlichen an: „Bringen Sie bitte so schnell wir möglich alle Leute hier raus, es besteht allerhöchste Brandgefahr.“
„Klar“, erwiderte der etwas debil drein blickende Ehrenamtliche mit stoischer Ruhe. „Wo Muslime reden, da ist Feuer, höhöhö.“
„Verdammt, ich meine es ernst!“, zischte Keller. „Draußen riecht es überall nach brandbeschleuniger. Wenn Sie nicht umgehend handeln, bricht hier eine Massenpanik aus.“ Er zückte seinen Dienstausweis. „Also tun Sie jetzt was ich sage, ich fordere in der Zwischenzeit Verstärkung an.“
Keller alarmierte eine Streife und die Feuerwehr und beteiligte sich dann an einer möglichst störungsfreien Evakuierung der etwa 80 Veranstaltungsbesucher.
//WIESO KOMMEN JETZT ALLE RAUS? WER HAT MICH VERRATEN? WIE SOLL ICH SIE JETZT BESTRAFEN? ICH MUSS DOCH EIN ZEICHEN SETZEN! VIELLEICHT NEHME ICH MIR NUR DEN MUSELMANN VOR; EIN BISSCHEN BENZIN HABE ICH JA NOCH IN DER EINEN FLASCHE//
Kellers Blick schweifte umher, er behielt besonders den Referenten im Auge, dem der offenkundig geplante Brandanschlag womöglich galt. Dann fiel sein Blick auf einen Typen in der Menge, der so gar nicht ins Bild passte. Er trug einen altmodischen taillierten Anorak, braune Kordhosen und Sandalen, die er gefühlt zum letzten Mal in den Siebziger Jahren in einem Schuhgeschäft gesehen hatte. Auf dem Rücken trug der Mann, der sich langsam dem Referenten näherte, einen Rucksack, den er nun vorsichtig abnahm. Instinktiv schoss Keller auf ihn zu und sprach ihn an: „Waren Sie eben auch im Gemeindehaus? Ich habe Sie da gar nicht gesehen.“
Überrascht fuhr der Mann herum und stotterte: „Doch doch, äh ,nein, ich meine, ich war gerade auf dem Weg ins Haus, als mir alle entgegen kamen, was ist denn da los?“
„Darf ich mal in Ihren Rucksack sehen?“, fragte Keller.
„Wieso sollten Sie?“
„Weil ich Polizeibeamter bin und vermute, dass hier ein Brandanschlag geplant ist.“
Plötzlich setzte sich der Mann in Bewegung und versucht wegzulaufen, aber im allgemeinnen Gedränge war das praktisch unmöglich und Keller schaffte es ihn festzuhalten. Mittlerweile war auch die Streife da und die Kollegen fanden im Rucksack des Festgenommenen die Reste des Brandbeschleunigers. Sie nahmen den Täter in Gewahrsam. Er verweigerte jede Aussage, wurde aber aufgrund der glasklaren Indizien zu einer langen Haftstrafe verurteilt.
//SIE KRIEGEN MICH NICHT KLEIN; ICH WERDE DAS HIER ÜBERLEBEN; ICH MUSS ES ÜBERLEBEN; DENN DIE WELT WARTET DARAUF; DASS ICH SIE RETTE; DER TAG WIRD KOMMEN; WO SIE MICH GEHEN LASSEN MÜSSEN; ICH MACHE HIER KEINEN FEHLER; HIER HÄTTE ICH KEINE CHANCE; HIER SIND JA NUR SCHWERVERBRECHER UND HARTGESOTTENE AUFPASSER; ABER WENN ICH WIEDER DRAUSSEN BIN; SIND SIE DRAN ND DIESMAL MACHE ICH KEINE FEHLER UND DANN WIRD ALLES GUT.//
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Dienstag, 21. Juni 2016
Gott kann grausam sein – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 01:52h
Mitten auf der Verkehrsinsel stand ein einzelner Schuh.
Er hatte das Schulgebäude gerade verlassen und freute sich auf die Ruhe seines Arbeitszimmers, eine Tasse Cappuccino und das Short Bread, das seine Schwester ihm gebacken hatte, da standen sie plötzlich vor ihm. Er spürte wie sein Gesicht vor Unsicherheit zuckte, aber er bemühte sich, unbeugsam zu wirken. „Was gibt’s denn noch?“, fragte er ungeduldig, da machte der grinsende Alex einen Schritt auf ihn zu und drückte etwas Kaltes und Hartes gegen seine Kehle. „Und bist du kitzelig?“, fragte der renitente Schüler.
„Könnte lebensgefährlich werden, wenn man mit dem Messer gekitzelt wird.“, gab der dicke Andres zu bedenken.
„Du gibst mir doch keine Fünf oder Sechs in Religion, Pastor?“, fragte Alex, „Denn sonst müsste ich dich kräftig durchkitzeln.“
„Nein, natürlich nicht.“, erwiderte der Berufsschulpfarrer geistesgegenwärtig.
„Da verlass ich mich jetzt aber drauf.“, sagte Alex. „Ein Pastor darf ja nicht lügen.“
„Und wenn doch“, mischte der dicke Andres sich ein, „Wird er von Gott bestraft. Und Gott hat ein Messer. Also ab nach Hause mit dir. Und schön vorsichtig.“
Die Schüler verschwanden in Richtung Stadtmitte, sein Heimweg verlief in entgegengesetzter Richtung. Wie ferngesteuert setzte er einen Fuß vor den anderen. Nur ein Stück die Straße herunter, dann auf die andere Seite, einen Moment an der Bushaltestelle warten, fünf Minuten Busfahrt, noch einmal ein Stück die Straße herunter, links abbiegen und dann lag es da gleich um die Ecke, das schöne Stadthaus, in dem sich seine Wohnung befand, mit der Espressomaschine und der mit Ornamenten verzierten Keksdose.
Der Schmerz kam diesmal ganz plötzlich, nicht in pulsierenden Wellen wie sonst, sondern wie ein Fausthieb, gewaltig, reißend und atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. Sein linker Arm brannte. Instinktiv fasste er sich an die Brust. „Ich muss es bis zum Bus schaffen“, dachte er, dann brach er zusammen.
„Was willst du Pastor? Ich habe hier mit meinen Kumpels was Dringendes zu besprechen, also misch dich nicht ein.“
„Sie stören den Unterricht.“
„Welchen Unterricht? Erzähl doch den Foliengrillern deine Jesusgeschichten und lass uns hier in Ruhe unsere Geschäfte besprechen.“
„Können Sie mich hören? Versuchen Sie gleichmäßig zu atmen ein Rettungswagen ist unterwegs.“
Es klingelt. Er drückt den Summer und öffnet die Wohnungstür. Die Fußmatte steht in Flammen. Instinktiv tritt er das Feuer aus. Es riecht bestialisch. An seinem Schuh klebt Hundekot.
„Vielleicht ist der Schuldienst auch nicht das Richtige für Sie.“, überlegt der Superintendent. „In der Gemeindearbeit bleiben Sie von solchen Gestalten auf jeden Fall verschont. Die Konfirmanden sind noch nicht so abgebrüht, nicht einmal die ganz Frechen.“
„Aber Sie wissen doch, dass mir die ganze Verantwortung schnell zu viel wird. Darum bin ich ja in ein überschaubares Arbeitsfeld gewechselt.“
„I – A – Ananas, Edgar hat die Hosen nass!“, rufen die Mitschüler im Chor und er steht auf dem Schulhof und weiß nicht wohin mit seinen Blicken, seinen Händen und mit sich.
Er schreibt die wichtigsten Lebensdaten Luthers an die Tafel und spürt wie Papierkugeln in seinen Haaren landen. Er will es ignorieren, auch diese Stunde einfach nur überstehen. Sicher sieht er schon aus wie ein klassischer Salz-und-Pfeffer-Teppichboden.
Er hört seltsame Geräusche. Es piept unregelmäßig, da sind überall Leute. Er liegt und bewegt sich doch. Dann wird es dunkel.
Edgar Röthemeier liegt seit Tagen auf der Intensivstation. Aus dem Koma ist er immer noch nicht erwacht. Er brach nach einem langen Schultag auf dem Heimweg mitten auf der Straße zusammen. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten. Die Kollegen reagierten bestürzt, manch einer wunderte sich nicht, er sah ja schon seit längerem reichlich mitgenommen aus.
Alex Strobach und Andres Evers hatten in den nächsten Wochen keinen Religionsunterricht, wie der Rest der Klasse übrigens auch. Statt dessen mussten sie sich mit einer zusätzlichen Stunde Englisch herumärgern, das schmeckte ihnen nicht. Sie wussten nicht, warum ihr Berufsschulpfarrer fehlte und es war ihnen auch egal. Sie verschwendeten nicht einen Gedanken daran, dass es etwas mit ihnen zu tun haben könnte. Sie wussten nicht, dass sie beobachtet worden waren.
Schon seit Tagen wundern sich Passanten unweit der Schule, wundern sich, aber lassen alles wie es ist.
Mitten auf der Verkehrsinsel steht ein einzelner Schuh.
Er hatte das Schulgebäude gerade verlassen und freute sich auf die Ruhe seines Arbeitszimmers, eine Tasse Cappuccino und das Short Bread, das seine Schwester ihm gebacken hatte, da standen sie plötzlich vor ihm. Er spürte wie sein Gesicht vor Unsicherheit zuckte, aber er bemühte sich, unbeugsam zu wirken. „Was gibt’s denn noch?“, fragte er ungeduldig, da machte der grinsende Alex einen Schritt auf ihn zu und drückte etwas Kaltes und Hartes gegen seine Kehle. „Und bist du kitzelig?“, fragte der renitente Schüler.
„Könnte lebensgefährlich werden, wenn man mit dem Messer gekitzelt wird.“, gab der dicke Andres zu bedenken.
„Du gibst mir doch keine Fünf oder Sechs in Religion, Pastor?“, fragte Alex, „Denn sonst müsste ich dich kräftig durchkitzeln.“
„Nein, natürlich nicht.“, erwiderte der Berufsschulpfarrer geistesgegenwärtig.
„Da verlass ich mich jetzt aber drauf.“, sagte Alex. „Ein Pastor darf ja nicht lügen.“
„Und wenn doch“, mischte der dicke Andres sich ein, „Wird er von Gott bestraft. Und Gott hat ein Messer. Also ab nach Hause mit dir. Und schön vorsichtig.“
Die Schüler verschwanden in Richtung Stadtmitte, sein Heimweg verlief in entgegengesetzter Richtung. Wie ferngesteuert setzte er einen Fuß vor den anderen. Nur ein Stück die Straße herunter, dann auf die andere Seite, einen Moment an der Bushaltestelle warten, fünf Minuten Busfahrt, noch einmal ein Stück die Straße herunter, links abbiegen und dann lag es da gleich um die Ecke, das schöne Stadthaus, in dem sich seine Wohnung befand, mit der Espressomaschine und der mit Ornamenten verzierten Keksdose.
Der Schmerz kam diesmal ganz plötzlich, nicht in pulsierenden Wellen wie sonst, sondern wie ein Fausthieb, gewaltig, reißend und atemberaubend im wahrsten Sinne des Wortes. Sein linker Arm brannte. Instinktiv fasste er sich an die Brust. „Ich muss es bis zum Bus schaffen“, dachte er, dann brach er zusammen.
„Was willst du Pastor? Ich habe hier mit meinen Kumpels was Dringendes zu besprechen, also misch dich nicht ein.“
„Sie stören den Unterricht.“
„Welchen Unterricht? Erzähl doch den Foliengrillern deine Jesusgeschichten und lass uns hier in Ruhe unsere Geschäfte besprechen.“
„Können Sie mich hören? Versuchen Sie gleichmäßig zu atmen ein Rettungswagen ist unterwegs.“
Es klingelt. Er drückt den Summer und öffnet die Wohnungstür. Die Fußmatte steht in Flammen. Instinktiv tritt er das Feuer aus. Es riecht bestialisch. An seinem Schuh klebt Hundekot.
„Vielleicht ist der Schuldienst auch nicht das Richtige für Sie.“, überlegt der Superintendent. „In der Gemeindearbeit bleiben Sie von solchen Gestalten auf jeden Fall verschont. Die Konfirmanden sind noch nicht so abgebrüht, nicht einmal die ganz Frechen.“
„Aber Sie wissen doch, dass mir die ganze Verantwortung schnell zu viel wird. Darum bin ich ja in ein überschaubares Arbeitsfeld gewechselt.“
„I – A – Ananas, Edgar hat die Hosen nass!“, rufen die Mitschüler im Chor und er steht auf dem Schulhof und weiß nicht wohin mit seinen Blicken, seinen Händen und mit sich.
Er schreibt die wichtigsten Lebensdaten Luthers an die Tafel und spürt wie Papierkugeln in seinen Haaren landen. Er will es ignorieren, auch diese Stunde einfach nur überstehen. Sicher sieht er schon aus wie ein klassischer Salz-und-Pfeffer-Teppichboden.
Er hört seltsame Geräusche. Es piept unregelmäßig, da sind überall Leute. Er liegt und bewegt sich doch. Dann wird es dunkel.
Edgar Röthemeier liegt seit Tagen auf der Intensivstation. Aus dem Koma ist er immer noch nicht erwacht. Er brach nach einem langen Schultag auf dem Heimweg mitten auf der Straße zusammen. Er hatte einen Herzinfarkt erlitten. Die Kollegen reagierten bestürzt, manch einer wunderte sich nicht, er sah ja schon seit längerem reichlich mitgenommen aus.
Alex Strobach und Andres Evers hatten in den nächsten Wochen keinen Religionsunterricht, wie der Rest der Klasse übrigens auch. Statt dessen mussten sie sich mit einer zusätzlichen Stunde Englisch herumärgern, das schmeckte ihnen nicht. Sie wussten nicht, warum ihr Berufsschulpfarrer fehlte und es war ihnen auch egal. Sie verschwendeten nicht einen Gedanken daran, dass es etwas mit ihnen zu tun haben könnte. Sie wussten nicht, dass sie beobachtet worden waren.
Schon seit Tagen wundern sich Passanten unweit der Schule, wundern sich, aber lassen alles wie es ist.
Mitten auf der Verkehrsinsel steht ein einzelner Schuh.
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