Montag, 6. Juni 2016
Little Red Rooster
Es war eine wilde Party gewesen, fast so wie früher. Jetzt stand er vor dem Gemeindehaus und stellte sich vor, wie es aussah, wenn in etwa ein bis zwei Stunden die Sonne über die Dächer stieg und die Wiese in goldenes Licht tauchte. Er dachte an die frühen Kindertage: mit Sören und Hennes im Sandkasten unter dem Glockenturm, Gemeindefeste mit Bratwurst und einem überwältigen Salatbuffet, inklusive Kuchen und Nachtisch. Er wusste, dass er im Kirchsaal getauft worden war, auch dass seine Eltern hier geheiratet hatten. Dann war er zur Grundschule gegangen und die Spielgruppe „Remmidemmis“ hatte einmal wöchentlich stattgefunden. Unzählige Male hatten sie auf der Wiese Fußball gespielt oder „A Zerlatscht“ ein Versteckspiel mit Fangen und Freischlagen. Sie waren zum Bude bauen in den Wald gegangen und bei nicht so gutem Wetter hatten sie im Haus Kreisspiele gemacht, gebastelt, Pizza gebacken oder Tischtennis gespielt. Zu Weihnachten hatte er mehrere Male beim Krippenspiel mitgewirkt: Den Josef, einen Hirten, den Wirt und einmal sogar einen Löwen. Als die Kinderzeit vorbei war, war er zum kirchlichen Unterricht gegangen, das war zwar oft ziemlich langweilig, aber man hatte wieder die alten Hasen aus der Grundschulzeit getroffen, die jetzt alle zu unterschiedlichen Schulen gingen. Zur Konfirmation wollten viele lieber in die große Kirche im Stadtteil nebenan, aber er hatte sich gefreut, dass es hier stattgefunden hatte, hier war er zu Hause, das fühlte sich richtig an. Als Jugendlicher hatte er mit seinen Freunden hier abgehangen, meistens auf der Wiese oder im Schutz des Kirchturms, aber einmal in der Woche hatte es einen Jugendtreff gegeben. Er war den Betreuungsangeboten entwachsen, hatte die Schule abgeschlossen, eine Ausbildung gemacht und war mittlerweile als Geselle übernommen worden. Eigentlich hatte er nicht mehr ans Gemeindehaus gedacht, Hochzeit und Kindtaufe waren noch weit weg, aber dann war er vor ein paar Wochen nach Hause gekommen und seine Mutter hatte da gestanden mit Tränen in den geröteten Augen.
„Sie wollen es schließen und abreißen:“, hatte sie gesagt. „Das ganze Gemeindehaus und das Pfarrhaus gleich mit. Und dann bauen sie Wohnungen auf dem Grundstück, auch auf der Wiese, auf der ihr immer gespielt habt.“
„Warum?“
„Die Gemeinde muss einsparen, sich verkleinern. Und wenn gespart werden muss, dann trifft es uns hier in unserem kleinen Ortsteil immer zuerst. Der Kirchmeister passt schon auf, dass es in ihrem „Dom“ an nichts fehlt. Die haben gerade ein komplett neues Dach bekommen. Das Gemeindehaus haben sie auch frisch gestrichen, während es hier nicht einmal für einen Eimer Farbe gereicht hat, um die Altarwand im Kirchsaal wieder schön zu machen. „Lohnt nicht!“, hat Kloppstock immer gesagt und unsere Fraktion im Presbyterium konnte so laut aufschreien wie sie wollte, die anderen haben uns immer überstimmt.“
„Aber wo sollen die Leute denn hin, wenn das Gemeindehaus abgerissen wird?“
„Ins große Gemeindehaus nach W. Da gibt es schließlich alles. Dann sollen wir uns den Gruppen da anschließen oder gucken, ob für unsere Gruppen zu deren Zeiten noch ein Raum frei ist.“
„Aber die in W. Sind doch total spießig.“
„Ja, und die sagen immer, dass wir irgendwie komisch sind. Die rümpfen die Nase, weil wir hier viel politischer und unkonventioneller sind. Eigentlich wollen die uns gar nicht bei sich haben, es ist wirklich verrückt. Und die Kinder, die hier einfach zu Fuß hingehen können, müssen jetzt von den Eltern nach W. gebracht werden. Das macht dann doch auch keiner. Dann sitzen sie am Ende alle allein vor ihren Computern.“
Jetzt stand er vor dem Haus voller Erinnerungen und es begann in ihm zu kochen. Wieso bekamen die in W. Immer alles und warum musste hier alles weichen? Mit welchem Recht, nahm man ihnen ihr Gemeindehaus weg? Wieso mussten sie alle nach W. gehen? Alle Welt sprach davon, dass die Kirchen immer mehr schrumpften. Am Ende würde man den Riesenkomplex in W. auch nicht mehr halten können und dann bliebe gar nichts übrig. Warum nicht gleich das kleine, günstigere Gemeindehaus mit integriertem Kirchsaal behalten? Da würde es nicht so schnell ungemütlich.
Er würde das Unausweichliche verhindern. Er würde Tatsachen schaffen. In der Garage stand ein Kanister Benzin und eine Kanne Öl. Leere Flaschen und alte Lapen gab es auch genug. „Zehn leere Flaschen Wein können schnell zehn Mollies sein.“, trällerte er vor sich hin. Er arbeitete zügig, denn er wollte in W. ankommen, bevor die Spießer Brötchen holen gingen.
„I'm a littler red rooster“, sang er, als die erste Flammen im inneren der großen Kirche aufzüngelten. Auch der Dachstuhl des Gemeindehauses brannte schneller, als er es erwartet hatte. Wenn er seine Mutter das nächste Mal weinen sähe, wären es Freudentränen. Er war zu betrunken um zu ahnen, dass es Tränen der Verzweiflung sein würden.

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Sonntag, 5. Juni 2016
Ein Pfarrer verschwindet – Kurzkrimi in vier Teilen – Teil IV
Er stellte sich vor als Hartmut Seliger, er singe seit fünfzehn Jahren im Kirchenchor und kenne den Pfarrer auch aus Gottesdiensten und verschiedenen Gemeindekreisen, die er in den vergangenen beiden Dekaden besucht habe. Herr seliger räusperte sich sichtlich verlegen, bevor er zur Sache kam: „Also vor ein paar Monaten gab es einen Reihe von Gesprächsabenden zum Johannesevangelium. Da ging es auch um die Sünderin, die beim Ehebruch erwischt worden war und gesteinigt werden sollte. Er brachte das Gespräch auf die Frage, ob es nicht normal sei, zumindest in Gedanken die Ehe zu brechen, so dass ich mich fragte, ob er es nicht schon tatsächlich getan hatte und versuchte, die Gemeinde in sich rechtfertigender Weise darauf vorzubereiten. Ich habe keine Ahnung, ob er eine Geliebte hat, mir ist auch nichts aufgefallen und auf die Gerüchte, die die Kindergartenleiterin betreffen, gebe ich nichts, aber er schien mir schon seit Längerem nicht mehr so recht bei der Sache, als sei er in die innere Emigration gegangen und mit etwas völlig Anderem beschäftigt.“
Die Beamten bedankten sich für die Aussage und gaben Seliger ihre Karte mit der Bitte, auch die anderen im Chor darauf hinzuweisen, dass man sie jederzeit über das Polizeipräsidium erreichen könne, falls noch jemandem etwas einfiele.
Am nächsten Tag war es dann soweit. Gegen Mittag erschien eine aparte junge Frau im Präsidium, die sich als Karin Hillenkötter vorstellte. Sie leitete den Kindergarten in der Gemeinde und hatte den Beamten etwas mitzuteilen: „Ich war seit längerer Zeit mit Herrn Sornig im Gespräch, weil es in unserer Kita einen äußerst brisanten Personalfall gab. Eine unserer Mitarbeiterinnen – Annette Rusch – steuerte zu einem gewissen Zeitpunkt offenkundig auf ein Burnout-Syndrom zu. All meine Versuche, sie zu bewegen, sich professionelle Hilfe zu holen wies sie brüsk zurück. Sie arbeitete unzuverlässig, bisweilen sogar unverantwortlich und die Kolleginnen reagierten darauf nicht immer besonders feinfühlig, weil sich dadurch ja auch ihre Arbeitsbelastung enorm erhöhte und Frau Rusch ihre Fehler niemals zugab. Als sie schließlich tatsächlich zusammenbrach, warf sie mir und dem Team Mobbing und Bossing vor und wir haben eine Menge Ärger und wollen unbedingt vermeiden, dass es am Ende zu einem Rechtsstreit kommt. Nun hat Frau Rusch vor etwa zwei Wochen Herrn Sornig persönlich belästigt. Sie stand vor seiner Tür und verlangte ein Gespräch, dabei ist sie wohl sehr ausfallend geworden, so dass er sie schließlich seines Hauses verwiesen hat. Ich will keine falschen Verdächtigungen aussprechen, aber ich halte es für möglich, dass sie ihm aus Rache etwas angetan hat.“
Die Beamten nahmen die Aussage der KiTa-Leiterin zu Protokoll und hatten Verständnis dafür, dass sie umgehend an ihren Arbeitsplatz zurückkehren musste. Gerade wollten sie den Kontakt zu der zu überprüfenden Person herstellen, da betrat
Regina Sornig zaghaft Kellers und Kerkenbrocks Büro.
„Guten Morgen Frau Sornig.“, begrüßte Keller sie. „Was können wir für Sie tun?“
„Gar nichts, fürchte ich.“, antwortete sie. „Aber vielleicht kann ich etwas für Sie tun, damit Sie den Fall abschließen können.“
„Setzen Sie sich doch!“
Die blasse Frau mittleren Alters nahm zitternd Platz. Dann begann sie zu reden: „Heute Morgen stand ein Mitarbeiter unserer Bank vor der Tür und bat mich um ein persönliches Gespräch. Er fragte mich, ob es mit rechten Dingen zugehe, dass eine erhebliche Summe vom Girokonto auf ein Konto im Ausland überwiesen worden sei. Ich erklärte ihm, dass mir davon nichts bekannt sei, dass aber mein Mann seit Dienstag verschwunden sei und fragte ihn um welches Ausland es sich handele – und um welche Summe. Die Bank ist in Thailand und bei der Summe handelt es sich um acht Millionen Euro.“
Kerkenbrock schluckte. „Wie kommt er an so viel Geld?“
„Er hat es wohl im Lotto gewonnen. Ich habe danach seinen Schreibtisch durchsucht und den Zettel gefunden, den man von Hand ausfüllt, bevor er eingelesen wird und man diesen seltsamen Beleg bekommt, der aussieht wie aus dem Thermodrucker. Ich bin auf die Lotto-Seite gegangen und habe die Zahlen auf dem Zettel mit den Gewinnzahlen vom Wochenende verglichen. Sechs Richtige plus Superzahl. Er hat abgeräumt und ist damit abgehauen.“
„Sind Sie sicher, dass er das Geld überwiesen hat?“
„Er hat selbst den Flug gebucht.“
„Und für Sie hat er nichts zurück gelassen?“
„Doch, seine Klamotten, die Möbel, die Katze, die Kinder und die ganze Verantwortung.“
ENDE

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Samstag, 4. Juni 2016
Ein Pfarrer verschwindet – Kurzkrimi in vier Teilen – Teil III
Vor dem Abendtermin suchten die Polizeibeamten noch einmal das Präsidium auf und kümmerten sich um einen Teil der sich auf dem Schreibtisch türmenden Verwaltungsangelegenheiten, bevor sie in das besagte Gemeindehaus zurückkehrten.
Die Mitglieder des Kirchenchores trudelten ein und Keller stellte zischend fest: „Was die Damen heute Nachmittag zu wenig im Kopf hatten, ist bei denen hier offensichtlich zu viel.“
„Wie kommen sie denn zu der Schlussfolgerung?“, fragte Kerkenbrock.
„Na, die Omas haben ja schon eine Menge Blödsinn vom Stapel gelassen, aber die hier machen auf mich alle den Eindruck, als wären sie Lehrer, Ärzte, Anwälte, Professoren und so weiter.“
„Bildungsbürger, meinen Sie.“
„Ja genau.“
„Aber warum sollten die mehr im Kopf haben, als ein Mitglied der Frauenhilfe?“
„Weitaus mehr Bildung.“
„Na und? In unserem Land machen Leute Abitur, die eigentlich nicht bis drei zählen können und hochintelligente, problemlösungsbegabte junge Leute fallen durchs Raster unseres Bildungssystems. Diese verbildeten Eingebildeten können bisweilen so blöd sein, dass man nur noch fassungslos davor steht. Warten Sie’s ab. Die Omas eben waren witzig, aber wenn das hier so eine Bachkantaten-Abteilung ist, trinken Sie schnell noch einen Espresso, damit Sie gleich nicht einschlafen. Die Chorleiterin sieht jedenfalls stilecht aus, die habe ich eben schon ausgemacht.“
„Stilecht? Inwiefern?“
„Enger Rollkragenpullover, schlichter Mozartzopf, blasser Teint, ungeschminkt. Steht da vorne mit einem Stapel Noten.“
„Dann sind die vermutlich so mit ihren kulturellen Umtrieben befasst, dass die gar nicht mitbekommen, wenn ihr Pfarrer sich auffällig verhält?“
„Oh nein, Es gibt in jedem Kirchenchor den Bodensatz der Möchte-gern-Bildungsbürger. Leute mit Volksschulabschluss mit einfacher oder auch ohne Berufsausbildung, die gern dazu gehören möchten und sich so geben, sich an ihren Vorbildern orientieren, sie nachäffen, Konzerte besuchen und hinterher darüber reden, obwohl sie sich kaum auskennen, die Lippen pikiert zusammen pressen, wenn ein unflätiges Wort fällt und ihr sauer verdientes Geld in edle, englische Markenkleidung investieren, damit sie genauso aussehen wie der Herr Professor und die Frau des Herzchirurgen und auch mit dem gleichen Respekt behandelt werden. Sie bemühen sich, sich besonders gewählt auszudrücken, benutzen dabei aber die falschen Vokabeln, die sie zu allem Überfluss auch noch verkehrt aussprechen oder mit unpassenden Artikeln und Pluralformen versehen. So ein paar von der Sorte „Ich habe zwar kein Abitur, aber ich bin reich.“, gibt es dann auch noch, meistens Eigentümer gut durchgestarteter Betriebe, die es aus eigener Kraft geschafft haben. Die Männer sind oft nur harmlose, großspurige Schenkelklopfer, aber die Frauen sind die zickigsten Giftspritzen, die man sich vorstellen kann, schlimmer als in jedem vorhersehbaren Groschenroman.“
„Haben Sie das alles in der kurzen Zeit mitbekommen, in der sie ehrenamtlich in der Jugendfreizeitarbeit mitgewirkt haben?“
„Ach was. Meine Mutter hat im Kirchenchor gesungen. Die haben gemeinsame Ausflüge veranstaltet, auf die ich sie als Kind begleiten durfte. Als ich älter wurde, hat meine Mutter dann immer die schärfsten Schoten aus dem Chor zum Besten gegeben. Da gab es oft viel zu lachen.“
„Lassen Sie uns mal rein gehen, bevor die anfangen, sich einzusingen.“
„Hey Keller, Sie kennen sich ja richtig aus!“
Kerkenbrock sprach die Chorleiterin an, die dem Chor die Polizeibeamten vorstellte und ihnen dann die Regie überließ.
Doch in den betont kultivierten Kreisen des Kirchenchores wagte niemand, sich vor versammelter Mannschaft als tratschsüchtig zu offenbaren und so ernteten die Beamten nur ratloses Kopfschütteln und Schulterzucken. Erst als sie den Gemeindesaal frustriert verließen, eilte ein hochgewachsener, älterer Herr ihnen hinterher und rief: „Warten Sie einen Augenblick, mir ist da doch noch etwas eingefallen!“
FORTSETZUNG FOLGT MORGEN.

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Freitag, 3. Juni 2016
Ein Pfarrer verschwindet – Kurzkrimi in vier Teilen – Teil II
Da die muntere Runde nichts Zielführendes beizusteuern hatte, wanderten die Kommissare in die Jugendetage, wo zwei schüchterne Schülerinnen eine Jungschargruppe vorbereiteten. „Ich habe ihn letzte Woche Mittwoch abends am Obersee getroffen, da wirkte er irgendwie abwesend.“, erklärte eines der Mädchen.
„So als hätte er etwas Schlimmes erlebt?“, erkundigte sich Kerkenbrock.
„Nein, mehr so, als würde er über etwas nachdenken und gar nicht merken, was um ihn herum passiert. Er sah auch eher fröhlich als verschreckt aus.“
Sie suchten den Kirchmeister auf, denn im Gemeindehaus würde in den kommenden Stunden niemand anrücken, mit dem zu reden sich lohnen könnte.
Der Kirchmeister war ein seit sechs Monaten in den Ruhestand versetzter, ehemaliger Industriekaufmann, der aber bereits seit einer Legislaturperiode die Finanzen der Gemeinde verwaltete und vor kurzem wieder gewählt worden war. Gastfreundlich wie kirchliche Menschen meistens sind, bot er den Beamten Kaffee und Gebäck an und nahm mit ihnen im Wohnzimmer Platz.
„Gibt es aus Ihrer Sicht irgendwelche Vorkommnisse oder Auffälligkeiten, die ein Verschwinden Ihres Pfarrers erklären könnten?“, fragte Keller den Presbyter.
„Ich glaube, da kann ich Ihnen leider nicht weiter helfen. Ich kann mir selbst nicht erklären, wie jemand einfach so spurlos verschwinden kann. Dienstag Morgen hat meine Frau ihn noch beim Brötchen holen getroffen und er machte einen ungewöhnlich fröhlichen Eindruck auf sie. Am frühen Abend hatten wir dann eine Besprechung angesetzt, zu der er nicht erschien und ich dachte, er habe es einfach vergessen, aber dann hörte ich, dass er am Nachmittag auch die Konfirmandengruppe versetzt hatte. Ich habe bei ihm zu Hause angerufen, um zu fragen, was los sei und seine Frau fiel aus allen Wolken, weil sie überzeugt war, er sei dienstlich unterwegs. Sie hat dann sofort die Polizei verständigt, aber da hat man ihr ja mitgeteilt, dass vor Ablauf von 24 Stunden ohne besonderen Grund niemand nach einem Erwachsenen suche. Sie ist wohl selbst überall herum gefahren, nachdem sie stundenlang telefoniert hat, aber alles ohne Erfolg und ohne jegliche Spur von ihrem Mann. Na ja, und Mittwoch Nachmittag waren Sie dann ja bei ihr. Also wir sind alle ganz verzweifelt.“
„Seine Frau hatte vielleicht weniger Ahnung von seinen Geschäften als Sie als Kirchmeister. Als Pfarrer wird man doch sicher nicht von allen geliebt, da macht man sich doch auch mal Feinde. Gerade in Zeiten knapper Finanzmittel gibt es doch jede Menge Konflikte. Hat er sich mit irgendwem angelegt?“
„Nein, so einer war er nicht. Wenn er sich überhaupt Feinde gemacht hat, dann eher dadurch, dass er den Konflikten aus dem Weg gegangen ist. Ich glaube, er ist Pfarrer geworden, weil er es nur noch mit den Guten zu tun haben wollte. Als er dann feststellen musste, dass es in der Kirche auch gelegentlich sehr böse Menschen gibt, hat er einfach die Augen davor verschlossen. Er war ein Träumer und manchmal hat ihm das jemand übel genommen, weil Missstände einfach nicht angegangen wurden.“
„Wer zum Beispiel?“
„Zum Beispiel der Elternrat im Kindergarten. Es gab da wohl eine Mitarbeiterin, die bei den Kindern sehr beliebt war, aber vom gesamten Team gemobbt wurde. Die Leitung bekam das auch nicht in den Griff. Am Ende hat die Mitarbeiterin gekündigt und musste sich in psychologische Behandlung begeben. Das KiTa-Team gilt nach wie vor als äußerst stutenbissig, wenn ich das mal so sagen darf – das muss natürlich unter uns bleiben - und er als Dienststellenleiter müsste da eigentlich Maßnahmen ergreifen, also die Verursacherinnen ermitteln und abmahnen, Teambildungs-Maßnahmen anordnen, seelsorgerliche Gespräche mit Betroffenen führen. Aber er wischte die Probleme beiseite, sagte, das werde alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht würde und renke sich schon wieder ein. Er ging lieber einmal die Woche dort hin, hielt seine Andacht für die Kinder, repräsentierte die Gemeinde bei Festen und betonte im Presbyterium immer wieder, dass er sich als Vorgesetzter hinter seine Mitarbeiterinnen stellen müsse.“
„Wie kommt er mit der Leiterin aus?“, fragte Kerkenbrock.
„Die haben ein gutes Verhältnis. Er ist auf ihrer Seite und sie weiß das zu schätzen.“
„Halten Sie es für vorstellbar, dass Pfarrer Sornig eine Liebesaffäre zu der Kindergartenleiterin oder einer anderen Frau unterhält?“
Der Kirchmeister blickte konsterniert drein. „Wie kommen Sie denn darauf?“, fragte er.
„Uns sind da Gerüchte zu Ohren gekommen.“
„Ja, so etwas denken die Leute sich gern aus. Es passiert ja auch nicht viel in unserem kleinen, verschlafenen Stadtteil, außer dass im Ghetto nebenan zwei Betrunkene sich gegenseitig verprügeln. Ich denke, Pastor Sornig ist nicht der Typ für so etwas. Meine Hand für ihn ins Feuer legen kann ich natürlich nicht, aber ich denke, da hat irgendjemand eins und eins zusammengezählt und vier herausbekommen.“
„Tja, dann vielen Dank erst einmal. Wären Sie vielleicht so nett, Ihre Finanzen noch einmal gründlich zu prüfen, ob es da irgendwelche Unregelmäßigkeiten gibt?“
„Gäbe es da irgendwelche Unregelmäßigkeiten, wüsste ich es längst, da muss ich nichts prüfen. Pastor Sornig hat so gut wie keinen Zugriff auf die Finanzen, falls sie erwägen, er könne mit der Kollekte durchgebrannt sein.“
FORTSETUNG FOLGT MORGEN.

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