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Freitag, 27. Mai 2016
Zerbrochene Flügel, Kurzkrimi – Teil II
c. fabry, 13:21h
„Mir ist immer noch schlecht.“, sagte Kerkenbrock und nahm einen tiefen Zug aus ihrem Latte Macchiato-Becher.
„Glauben Sie von H-Milch mit Espresso wird das besser? Vielleicht sollten Sie sich lieber einen Kamillentee holen.“
„Quatsch, das ist ja mehr so eine Kopfgeschichte. Mit meinem Magen ist alles in Ordnung.“, erwiderte die junge Polizistin.
„An Totschlag im Affekt sollten Sie sich aber allmählich gewöhnen.“
„Es ist weniger die Tat, als das Motiv, das mir das Blut gefrieren lässt. Sie waren ja während des halben Verhörs draußen.“
„Dann erzählen Sie mir doch mal, was ich verpasst habe.“
„Also, nachdem Bianca Peper eingebrochen ist und unter unappetitlichen Schluchzern zugegeben hat, dass sie Bettina Wehmeier einen Stoß versetzt hat, der den tödlichen Sturz zur Folge hatte, brach das ganze Ungemach aus ihr heraus, das sie seit etwa zwölf Jahren mit sich herum schleppte. Als Wehmeier in die Gemeinde kam, war sie gerade achtzehn geworden, die Jugendreferentin war zehn Jahre älter und einerseits in einer Machtposition, andererseits aber auch noch jung, interessant und attraktiv genug, um einige der jungen Männer für sich zu interessieren. Bianca Pepers langjähriger Schwarm war der Jugendreferentin augenblicklich verfallen und die beiden begannen eine Affäre.“
„Wie alt war de Junge?“
„Neunzehn.“
„Also grenzwertig.“
„In der Tat. Tja, auf jeden Fall hatte Bianca Peper bis zu diesem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, eine Heimat in der Jugendarbeit der Gemeinde gefunden zu haben, sie hatte Freunde, war anerkannt, übernahm immer mehr Verantwortung und damit auch die Leitung der Küche bei den Ferienspielen. Doch mit dem Wechsel der Leitung der Jugendarbeit wurde alles anders. Bettina Wehmeier machte ihr zunächst den Schwarm abspenstig und mischte sich dann immer mehr in Bianca Pepers Aufgaben ein. Peper leitete eine Kreativ-Gruppe, Wehmeier kritisierte die Wahl der Materialien und Methoden und drängte sich mit Vorschlägen auf. Bei den Ferienspielen wurde Peper zwar weiterhin in der Küche geduldet, aber auch hier bekam sie deutliche Kritik zu hören: zu wenig Gemüse, das falsche Salatdressing, zu viele Fertigprodukte, zu wenig vollwertig, nie war es gut genug, obwohl den Kindern das Essen schmeckte. Sie erzählte von Demütigungen in Form von barschen Zurechtweisungen vor der gesamten Mitarbeiterschaft, nicht Informieren bei privaten Unternehmungen, Insider-Gegiggel auf Kneipenabenden, bei dem sie immer das Gefühl hatte, man mache sich über sie lustig und Wehmeier war die treibende Kraft. Gestern kam es dann wohl zum Gipfel der Demütigungen: Beim Fensterputzen erklärte die Jugendreferentin der Ehrenamtlichen, sie werde für die Küche während der Ferienspiele eine Honorarkraft einstellen, die als professionelle Köchin in der Lage sei, ihren Ansprüchen an gesunde, kindgerechte Ernährung zu genügen und Peper könne sich überlegen, ob sie im pädagogischen Team mitarbeiten wolle, oder es vorziehe, einfach ihren Urlaub zu genießen. Es war ein Schlag ins Gesicht für Peper, hier war nämlich ihr wichtigster Anknüpfungspunkt an die Mitarbeiterschaft, und das pädagogische Team kam für sie nicht in Frage, weil sie mit der Zielgruppe nicht mehr auf Dauer zurechtkommt.“
„Was macht sie beruflich?“
„Sie arbeitet bei der Volksbank, steht unter enormem Druck und hat nicht mehr die Energie sich den Machtkämpfen auszusetzen, in die Kinder einen drängen, wenn man sie in einem Gruppenangebot täglich um sich schart. Aber sie würde gern weiterhin zum Team gehören, das sind ihre Freunde und nun gab ihr die Jugendreferentin einen Tritt in den Hintern. Sie fühlte sich in ihrer sozialen Existenz bedroht. Sie hat ihre Tat vermutlich als Notwehr empfunden.“
„Ich verstehe, warum Ihnen schlecht ist.“, kommentierte Keller das Gehörte. „Ist ja ekelhaft.“
„Vor wem der beiden ekeln Sie sich denn?“, fragte Kerkenbrock.
Keller grunzte. „Suchen Sie es sich aus.“
ENDE
„Glauben Sie von H-Milch mit Espresso wird das besser? Vielleicht sollten Sie sich lieber einen Kamillentee holen.“
„Quatsch, das ist ja mehr so eine Kopfgeschichte. Mit meinem Magen ist alles in Ordnung.“, erwiderte die junge Polizistin.
„An Totschlag im Affekt sollten Sie sich aber allmählich gewöhnen.“
„Es ist weniger die Tat, als das Motiv, das mir das Blut gefrieren lässt. Sie waren ja während des halben Verhörs draußen.“
„Dann erzählen Sie mir doch mal, was ich verpasst habe.“
„Also, nachdem Bianca Peper eingebrochen ist und unter unappetitlichen Schluchzern zugegeben hat, dass sie Bettina Wehmeier einen Stoß versetzt hat, der den tödlichen Sturz zur Folge hatte, brach das ganze Ungemach aus ihr heraus, das sie seit etwa zwölf Jahren mit sich herum schleppte. Als Wehmeier in die Gemeinde kam, war sie gerade achtzehn geworden, die Jugendreferentin war zehn Jahre älter und einerseits in einer Machtposition, andererseits aber auch noch jung, interessant und attraktiv genug, um einige der jungen Männer für sich zu interessieren. Bianca Pepers langjähriger Schwarm war der Jugendreferentin augenblicklich verfallen und die beiden begannen eine Affäre.“
„Wie alt war de Junge?“
„Neunzehn.“
„Also grenzwertig.“
„In der Tat. Tja, auf jeden Fall hatte Bianca Peper bis zu diesem Zeitpunkt das Gefühl gehabt, eine Heimat in der Jugendarbeit der Gemeinde gefunden zu haben, sie hatte Freunde, war anerkannt, übernahm immer mehr Verantwortung und damit auch die Leitung der Küche bei den Ferienspielen. Doch mit dem Wechsel der Leitung der Jugendarbeit wurde alles anders. Bettina Wehmeier machte ihr zunächst den Schwarm abspenstig und mischte sich dann immer mehr in Bianca Pepers Aufgaben ein. Peper leitete eine Kreativ-Gruppe, Wehmeier kritisierte die Wahl der Materialien und Methoden und drängte sich mit Vorschlägen auf. Bei den Ferienspielen wurde Peper zwar weiterhin in der Küche geduldet, aber auch hier bekam sie deutliche Kritik zu hören: zu wenig Gemüse, das falsche Salatdressing, zu viele Fertigprodukte, zu wenig vollwertig, nie war es gut genug, obwohl den Kindern das Essen schmeckte. Sie erzählte von Demütigungen in Form von barschen Zurechtweisungen vor der gesamten Mitarbeiterschaft, nicht Informieren bei privaten Unternehmungen, Insider-Gegiggel auf Kneipenabenden, bei dem sie immer das Gefühl hatte, man mache sich über sie lustig und Wehmeier war die treibende Kraft. Gestern kam es dann wohl zum Gipfel der Demütigungen: Beim Fensterputzen erklärte die Jugendreferentin der Ehrenamtlichen, sie werde für die Küche während der Ferienspiele eine Honorarkraft einstellen, die als professionelle Köchin in der Lage sei, ihren Ansprüchen an gesunde, kindgerechte Ernährung zu genügen und Peper könne sich überlegen, ob sie im pädagogischen Team mitarbeiten wolle, oder es vorziehe, einfach ihren Urlaub zu genießen. Es war ein Schlag ins Gesicht für Peper, hier war nämlich ihr wichtigster Anknüpfungspunkt an die Mitarbeiterschaft, und das pädagogische Team kam für sie nicht in Frage, weil sie mit der Zielgruppe nicht mehr auf Dauer zurechtkommt.“
„Was macht sie beruflich?“
„Sie arbeitet bei der Volksbank, steht unter enormem Druck und hat nicht mehr die Energie sich den Machtkämpfen auszusetzen, in die Kinder einen drängen, wenn man sie in einem Gruppenangebot täglich um sich schart. Aber sie würde gern weiterhin zum Team gehören, das sind ihre Freunde und nun gab ihr die Jugendreferentin einen Tritt in den Hintern. Sie fühlte sich in ihrer sozialen Existenz bedroht. Sie hat ihre Tat vermutlich als Notwehr empfunden.“
„Ich verstehe, warum Ihnen schlecht ist.“, kommentierte Keller das Gehörte. „Ist ja ekelhaft.“
„Vor wem der beiden ekeln Sie sich denn?“, fragte Kerkenbrock.
Keller grunzte. „Suchen Sie es sich aus.“
ENDE
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Donnerstag, 26. Mai 2016
Zerbrochene Flügel, Kurzkrimi – Teil I
c. fabry, 15:33h
„Ich denke, Sie müssen uns aufs Präsidium begleiten.“, sagte Stefan Keller und fixierte die junge Frau, die mit Spiritus-Reiniger und Schwamm-Tuch am Fenster stand.
„Warum?“, fragte sie mit offenkundig geheuchelter Unschuld.
„Weil Sie da gerade Spuren beseitigen.“, erklärte Sabine Kerkenbrock und ging langsam auf sie zu. „Geben Sie mir bitte die Putzmittel.“, sagte die Beamtin, „die muss ich sicherstellen.“
„Aber wieso Spuren beseitigen?“, fragte Bianca Peper irritert. Ihr gewaltiger Busen zuckte so sehr über ihrem hämmernden Herzschlag, dass man es auch auf einige Meter Entfernung erkennen konnte. Ihre grobporigen Pausbacken röteten sich und die Augen waren die eines zu Tode erschrockenen Kindes, wodurch ihre schulterlange, goldblonde Fönfrisur wie eine Schwebehaube als Bestandteil einer absurden Verkleidung wirkte. Sie begann sich zu rechtfertigen: „Sie waren doch gestern schon hier und haben alles abgesucht. Ich wollte jetzt nur die Fingerfarben zu Ende wegputzen, damit ist Bettina ja gestern nicht mehr fertig geworden.“
„Ist das wirklich das Erste, das Ihnen nach dem gewaltsamen Tod Ihrer Jugendreferentin einfällt?“, fragte Keller angeekelt.
„Wieso das Erste? Dann hätte ich das ja gleich gestern geputzt.“, verteidigte sich Bianca Peper.
„Das war ja kaum möglich.“, erinnerte sie Keller an die Tatsachen. „Wir waren ja hier. Und eigentlich dürften Sie immer noch nicht hier sein, weil das Dachgeschoss dieses Gemeindehauses nach wie vor versiegelt ist.“
„Aber das wusste ich nicht.“
„Das war ja kaum zu übersehen! Sie mussten das Siegel schließlich zerstören, um in die Spielwohnung zu gelangen.“
„Aber das habe ich gar nicht gesehen. Im Flur ist es total dunkel. Ich habe einfach die Tür aufgemacht und bin rein gegangen.“
„Wo waren Sie denn gestern zu dem Zeitpunkt, als Frau Wehmeier abstürzte?“
„Hier oben, auf der Toilette.“
„Wo war Frau Wehmeier, als Sie sie das letzte Mal sahen?“
„Sie turnte auf der Fensterbank herum. Ich habe noch gesagt, pass bloß auf Bettina, dass du nicht runter fällst, lass die Fenster von außen lieber vom Fensterputzer machen, aber Bettina meinte, dass sie nicht richtig sehen könnte, ob auch alles sauber ist von innen, wenn außen der ganze Dreck von den Bäumen klebt. Dann bin ich zur Toilette gegangen und als ich zurück kam, war Bettina nicht da. Ich bin nach unten ins Jugendcafé gelaufen und da schrien schon alle aufgeregt durcheinander und guckten aus dem Fenster. Simon und Carina waren schon direkt zu ihr hin gelaufen und haben einen Krankenwagen gerufen, aber der kam leider zu spät.“
„War denn sonst niemand im Raum, als Frau Wehmeier abstürzte?“
„Ich denke nicht, sie war wohl allein.“
„Wie lange waren Sie auf der Toilette?“
„Nur kurz.“
„Haben Sie auf die Uhr gesehen?“
„Nein.“
„Wir müssen Sie trotzdem bitten, uns aufs Präsidium zu begleiten.“, erklärte Kerkenbrock. „Wir brauchen eine DNA-Probe von Ihnen und außerdem die Kleidung, die Sie gestern getragen haben, dazu werden wir einen Beamten zu Ihnen nach Hause schicken. Ist da jemand, der uns die Kleidung aushändigen kann?“
„Ja, mein Freund ist da.“
„Der wird auch sicher wissen, was Sie gestern getragen haben.“
FORTSETZUNG FOLGT MORGEN
„Warum?“, fragte sie mit offenkundig geheuchelter Unschuld.
„Weil Sie da gerade Spuren beseitigen.“, erklärte Sabine Kerkenbrock und ging langsam auf sie zu. „Geben Sie mir bitte die Putzmittel.“, sagte die Beamtin, „die muss ich sicherstellen.“
„Aber wieso Spuren beseitigen?“, fragte Bianca Peper irritert. Ihr gewaltiger Busen zuckte so sehr über ihrem hämmernden Herzschlag, dass man es auch auf einige Meter Entfernung erkennen konnte. Ihre grobporigen Pausbacken röteten sich und die Augen waren die eines zu Tode erschrockenen Kindes, wodurch ihre schulterlange, goldblonde Fönfrisur wie eine Schwebehaube als Bestandteil einer absurden Verkleidung wirkte. Sie begann sich zu rechtfertigen: „Sie waren doch gestern schon hier und haben alles abgesucht. Ich wollte jetzt nur die Fingerfarben zu Ende wegputzen, damit ist Bettina ja gestern nicht mehr fertig geworden.“
„Ist das wirklich das Erste, das Ihnen nach dem gewaltsamen Tod Ihrer Jugendreferentin einfällt?“, fragte Keller angeekelt.
„Wieso das Erste? Dann hätte ich das ja gleich gestern geputzt.“, verteidigte sich Bianca Peper.
„Das war ja kaum möglich.“, erinnerte sie Keller an die Tatsachen. „Wir waren ja hier. Und eigentlich dürften Sie immer noch nicht hier sein, weil das Dachgeschoss dieses Gemeindehauses nach wie vor versiegelt ist.“
„Aber das wusste ich nicht.“
„Das war ja kaum zu übersehen! Sie mussten das Siegel schließlich zerstören, um in die Spielwohnung zu gelangen.“
„Aber das habe ich gar nicht gesehen. Im Flur ist es total dunkel. Ich habe einfach die Tür aufgemacht und bin rein gegangen.“
„Wo waren Sie denn gestern zu dem Zeitpunkt, als Frau Wehmeier abstürzte?“
„Hier oben, auf der Toilette.“
„Wo war Frau Wehmeier, als Sie sie das letzte Mal sahen?“
„Sie turnte auf der Fensterbank herum. Ich habe noch gesagt, pass bloß auf Bettina, dass du nicht runter fällst, lass die Fenster von außen lieber vom Fensterputzer machen, aber Bettina meinte, dass sie nicht richtig sehen könnte, ob auch alles sauber ist von innen, wenn außen der ganze Dreck von den Bäumen klebt. Dann bin ich zur Toilette gegangen und als ich zurück kam, war Bettina nicht da. Ich bin nach unten ins Jugendcafé gelaufen und da schrien schon alle aufgeregt durcheinander und guckten aus dem Fenster. Simon und Carina waren schon direkt zu ihr hin gelaufen und haben einen Krankenwagen gerufen, aber der kam leider zu spät.“
„War denn sonst niemand im Raum, als Frau Wehmeier abstürzte?“
„Ich denke nicht, sie war wohl allein.“
„Wie lange waren Sie auf der Toilette?“
„Nur kurz.“
„Haben Sie auf die Uhr gesehen?“
„Nein.“
„Wir müssen Sie trotzdem bitten, uns aufs Präsidium zu begleiten.“, erklärte Kerkenbrock. „Wir brauchen eine DNA-Probe von Ihnen und außerdem die Kleidung, die Sie gestern getragen haben, dazu werden wir einen Beamten zu Ihnen nach Hause schicken. Ist da jemand, der uns die Kleidung aushändigen kann?“
„Ja, mein Freund ist da.“
„Der wird auch sicher wissen, was Sie gestern getragen haben.“
FORTSETZUNG FOLGT MORGEN
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Donnerstag, 26. Mai 2016
Böser Wolf – abgeschlossener Kurzkrimi
c. fabry, 00:50h
„Ewald? Ach was, das glaube ich nicht. Mit solchen Anschuldigungen muss man ganz vorsichtig sein. Da spinnt sich einer was zurecht und dann bleibt es für den Rest des Lebens an dem falsch Beschuldigten hängen.“
…
„Dann ist das Kind eben etwas überempfindlich. Schüchterne Mädchen kriegen doch schon rote Ohren, wenn man sie einfach nur direkt anspricht oder wenn man ihnen die Hand gibt.“
…
„Wer sagt das?“
…
„Mein Gott! Sie ist erwachsen! Soll sie ihm sagen, dass er das lassen soll. Was hat er denn schon gemacht?“
…
„Das ist zugegebenermaßen etwas eklig, wenn sie es denn mit ihrer Darstellung nicht übertrieben hat. Aber ich betone noch einmal, sie ist eine Frau und kein Kind, sie kann sich wehren.“
…
„Wieso das denn?“
….
Was soll ein Chorleiter denn schon anstellen können, um einer Organistin das Leben schwer zu machen?
…
Katja hat Alpträume wegen Ewald? Das klingt mir aber arg nach Räuberpistole. Vielleicht sollte sie mal ihren Kopf nachgucken lassen, dann sieht sie auch nicht mehr in jedem über sechzig Jährigen einen Päderasten. Ich muss jetzt los, hab‘ gleich ‘n Zahnarzt-Termin.“
Carola legt auf. „Mein Gott, diese hysterischen Rollkragen-Muschis. Hoffentlich geht sie damit nicht hausieren.“
Carola sortiert den Posteingang. Zwischen den Briefen findet sie ein Foto, ausgedruckt auf Normalpapier in miserabler Qualität, aber in DinA4. Der Kinderchor adrett herausgeputzt zum Gruppenfoto. Ganz rechts hat jemand mit einem fetten Faserstift drei Kreise gezogen. Ewald, der Chorleiter steht neben den Kindern, direkt an seiner Seite die kleine Josefine. Der erste Kreis umgibt Ewalds Gesicht: selbstgefällig und überlegen lächelnd mit fast schon entrücktem Blick. Der zweite Kreis umschließt Josefines Kopf. Sie ist blass, nicht die Spur eines Lächelns spielt um ihre Lippen und die Augen scheinen leer. Der dritte Kreis befindet sich an der Stelle, an der Ewalds Hand hinter Josefines Rücken verschwindet. In Hüfthöhe. Carola hört Schritte. Als sie die aufsieht, blickt sie in zwei eisblaue Augen und weiß Bescheid.
…
„Dann ist das Kind eben etwas überempfindlich. Schüchterne Mädchen kriegen doch schon rote Ohren, wenn man sie einfach nur direkt anspricht oder wenn man ihnen die Hand gibt.“
…
„Wer sagt das?“
…
„Mein Gott! Sie ist erwachsen! Soll sie ihm sagen, dass er das lassen soll. Was hat er denn schon gemacht?“
…
„Das ist zugegebenermaßen etwas eklig, wenn sie es denn mit ihrer Darstellung nicht übertrieben hat. Aber ich betone noch einmal, sie ist eine Frau und kein Kind, sie kann sich wehren.“
…
„Wieso das denn?“
….
Was soll ein Chorleiter denn schon anstellen können, um einer Organistin das Leben schwer zu machen?
…
Katja hat Alpträume wegen Ewald? Das klingt mir aber arg nach Räuberpistole. Vielleicht sollte sie mal ihren Kopf nachgucken lassen, dann sieht sie auch nicht mehr in jedem über sechzig Jährigen einen Päderasten. Ich muss jetzt los, hab‘ gleich ‘n Zahnarzt-Termin.“
Carola legt auf. „Mein Gott, diese hysterischen Rollkragen-Muschis. Hoffentlich geht sie damit nicht hausieren.“
Carola sortiert den Posteingang. Zwischen den Briefen findet sie ein Foto, ausgedruckt auf Normalpapier in miserabler Qualität, aber in DinA4. Der Kinderchor adrett herausgeputzt zum Gruppenfoto. Ganz rechts hat jemand mit einem fetten Faserstift drei Kreise gezogen. Ewald, der Chorleiter steht neben den Kindern, direkt an seiner Seite die kleine Josefine. Der erste Kreis umgibt Ewalds Gesicht: selbstgefällig und überlegen lächelnd mit fast schon entrücktem Blick. Der zweite Kreis umschließt Josefines Kopf. Sie ist blass, nicht die Spur eines Lächelns spielt um ihre Lippen und die Augen scheinen leer. Der dritte Kreis befindet sich an der Stelle, an der Ewalds Hand hinter Josefines Rücken verschwindet. In Hüfthöhe. Carola hört Schritte. Als sie die aufsieht, blickt sie in zwei eisblaue Augen und weiß Bescheid.
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Dienstag, 24. Mai 2016
Nacht, totenstill – Kurzkrimi Teil II
c. fabry, 16:11h
Silvia rannte aus dem Gebäude, den Heftapparat hatte sie in ihre Umhängetasche gleiten lassen. Sie winkte den Herumstehenden zu und rief: „Frohe Weihnachten!“ Ihr Auto stand gleich da vorn an der Straße, wenn sie nur erst den Motor anließ, wäre sie sicher. Sie startete den Wagen und fuhr den vertrauten Weg nach Hause. Sie lenkte das Fahrzeug nur so nebenbei, denn eigentlich sah sie sich einen Film an: den Film den ihr Kopf in den letzten Minuten gedreht hatte.
„Ach, Herr Böhringer. Haben Sie schon gesehen? Wir haben mit dem Elternrat beim Weihnachtsmarkt fast 2000 € zusammen bekommen.“
„Ja, das ist sehr schön, das Geld hat der Kindergarten auch bitter nötig, Frau äh, äh, Frau äh...“
„Gessner.“
„Ach ja, richtig, Frau Gessner. Das haben Sie jedenfalls ganz wunderbar hinbekommen.“
„Ja, jetzt können wir uns doch das tolle Klettergerüst für den Außenbereich leisten.“
„Nana, immer langsam mit den jungen Pferden. Das müssen wir erst einmal prüfen. Die aktuellen Defizite belaufen sich meines Wissens auf etwa 1500,- €. Was kostet denn das Gerüst?“
„1850,-€.“
„Na dann können Sie das vergessen. Die Haushaltslöcher haben Priorität.“
„Aber die Eltern haben das Geld für genau diesen Zweck gesammelt, und nicht, um den Haushalt auszugleichen! Wie soll ich denen das denn erklären? Ich kann doch keinem mehr ins Gesicht sehen, den ich bitte, für etwas Geld zu erwirtschaften, was dann doch nicht angeschafft wird!“
„Ach was, da feiern wir ein buntes Kindergartenfest mit Bier und Bratwurst, das darf dann auch 50 Euro kosten – das darf sogar 100 € kosten, da glauben Sie gar nicht, wie schnell die wieder versöhnt sind. So und jetzt muss ich hier noch die Kollekte einräumen. Schöne Weihnachten noch.“
Und dann stand da der Heftapparat, so schwer und doch so handlich. Böhringer zeigte ihr den Rücken und schloss den Safe auf. Die von einem akkuraten Haarkranz wie von einem Jägerzaun eingefriedete Glatze glänzte provokativ im Schein der Deckenleuchte, als schreie sie in ihrer kleinbürgerlichen, blitzsauberen Perfektion nach einem verstörenden Akt. Sie ließ den Apparat auf seinen Schädel sausen und gleich noch einmal, er kam gar nicht dazu, zu schreien, nur sie selbst schimpfte wie ein Rohsrspatz: „Sachbuchfetischist! Lektorenlutscher! Gesangbuchverbildeter Vulgärtheologen-Nachplapperer! Emotionaler Krüppel! Verlogener Sauhund! Hinterfotziger Betbengel mit deinem auf Kirchenbänken plattgesessenen Sparkassenarsch!“ Sie hieb auf den Schädel ein, bis der Mann zusammensackte. Mit der Faust in der Tasche, das Werkzeug noch immer fest umschlossen, rannte sie an den fröhlichen Menschen vorbei und lachte irre in ihre arglosen Gesichter. Niemand hatte etwas bemerkt, nicht einmal geahnt. Sie umklammerte den Schaltknüppel mit der rechten, das Lenkrad mit der linken Hand. „Stille Nacht“, dachte sie noch, dann explodierte es auch in ihrem Kopf. Der Baum hat es überlebt.
ENDE
„Ach, Herr Böhringer. Haben Sie schon gesehen? Wir haben mit dem Elternrat beim Weihnachtsmarkt fast 2000 € zusammen bekommen.“
„Ja, das ist sehr schön, das Geld hat der Kindergarten auch bitter nötig, Frau äh, äh, Frau äh...“
„Gessner.“
„Ach ja, richtig, Frau Gessner. Das haben Sie jedenfalls ganz wunderbar hinbekommen.“
„Ja, jetzt können wir uns doch das tolle Klettergerüst für den Außenbereich leisten.“
„Nana, immer langsam mit den jungen Pferden. Das müssen wir erst einmal prüfen. Die aktuellen Defizite belaufen sich meines Wissens auf etwa 1500,- €. Was kostet denn das Gerüst?“
„1850,-€.“
„Na dann können Sie das vergessen. Die Haushaltslöcher haben Priorität.“
„Aber die Eltern haben das Geld für genau diesen Zweck gesammelt, und nicht, um den Haushalt auszugleichen! Wie soll ich denen das denn erklären? Ich kann doch keinem mehr ins Gesicht sehen, den ich bitte, für etwas Geld zu erwirtschaften, was dann doch nicht angeschafft wird!“
„Ach was, da feiern wir ein buntes Kindergartenfest mit Bier und Bratwurst, das darf dann auch 50 Euro kosten – das darf sogar 100 € kosten, da glauben Sie gar nicht, wie schnell die wieder versöhnt sind. So und jetzt muss ich hier noch die Kollekte einräumen. Schöne Weihnachten noch.“
Und dann stand da der Heftapparat, so schwer und doch so handlich. Böhringer zeigte ihr den Rücken und schloss den Safe auf. Die von einem akkuraten Haarkranz wie von einem Jägerzaun eingefriedete Glatze glänzte provokativ im Schein der Deckenleuchte, als schreie sie in ihrer kleinbürgerlichen, blitzsauberen Perfektion nach einem verstörenden Akt. Sie ließ den Apparat auf seinen Schädel sausen und gleich noch einmal, er kam gar nicht dazu, zu schreien, nur sie selbst schimpfte wie ein Rohsrspatz: „Sachbuchfetischist! Lektorenlutscher! Gesangbuchverbildeter Vulgärtheologen-Nachplapperer! Emotionaler Krüppel! Verlogener Sauhund! Hinterfotziger Betbengel mit deinem auf Kirchenbänken plattgesessenen Sparkassenarsch!“ Sie hieb auf den Schädel ein, bis der Mann zusammensackte. Mit der Faust in der Tasche, das Werkzeug noch immer fest umschlossen, rannte sie an den fröhlichen Menschen vorbei und lachte irre in ihre arglosen Gesichter. Niemand hatte etwas bemerkt, nicht einmal geahnt. Sie umklammerte den Schaltknüppel mit der rechten, das Lenkrad mit der linken Hand. „Stille Nacht“, dachte sie noch, dann explodierte es auch in ihrem Kopf. Der Baum hat es überlebt.
ENDE
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