Freitag, 16. Mai 2025
2nd Spoiler 14
c. fabry, 19:03h
1984
Als Zehnjährige wechselte Sigrid planmäßig auf die Gesamtschule in Spenge. Alles war neu, nicht nur der Schulweg, das Gebäude, die Lehrenden, und die Art des Unterrichts; auch die Mitschülerinnen und Mitschüler. Die meisten waren in traditionellen Schulformen untergekommen, nicht eine von Sigrids Freundinnen war mit ihr gekommen und sie musste sich nun mühsam einen neuen Freundeskreis aufbauen.
An einem sonnigen Mittwochnachmittag trat sie tränenüberströmt in den Hausflur. Renate bemerkte es sofort und fragte: „Ist was passiert?“
„Nein“, antwortete Sigrid. „Nur wieder die blöde Anja“
„Was hat sie denn gemacht?“
„Nichts.“
„Wegen nichts heulst du doch nicht.“
„Die erzählt überall, dass ich stinke. Und jetzt will niemand mehr neben mir sitzen, weder in der Klasse, noch im Bus.“
Renate trat an Sigrid heran und schnüffelte. „Ich rieche nichts.“, sagte sie. „Vorsichtshalber wäscht du dich jeden Morgen gründlich mit Seife unter den Armen und benutzt ab sofort Deo. Meinetwegen kannst du auch duschen. Und wenn du jeden Tag das T-Shirt oder die Bluse wechselst, kannst du gar nicht stinken.“
So wurde es gemacht, doch die Sticheleien hörten nicht auf. Renate hatte nicht verstanden, das der vermeintliche Körpergeruch ihrer Tochter nur als Vorwand diente, um sie auszugrenzen und zu erniedrigen. Vom nächsten Vorfall – bei so einem altmodischen Vornamen wie Sigrid müsse man davon ausgehen, dass ihre Eltern Geschwister seien – erzählte sie der Mutter nichts, doch doch nur Maßnahmen ergriff, um das vermeintliche Fehlverhalten ihrer Tochter auszuräumen. Stattdessen richtete sie den Schmerz nach innen, wurde übellaunig, träge, einsilbig und patzig.
Renate ahnte nicht, was in ihrer Tochter vorging, wenn sie stundenlang über den Hausaufgaben brütete und nicht vorankam. Sie hatte keine Kraft für Nachhilfetätigkeiten und in der Bildungseinrichtung, die ihre Tochter nun aufsuchte, sollte das eigentlich die Schule erledigen. Überall ließ Sigrid Sachen fallen und liegen, ihr Zimmer sah regelmäßig so aus, als hätten Einbrecher darin gewütet und Mutter und Tochter prallten wiederholt aufeinander, beide gleichermaßen am Ende ihrer Kräfte, ohne ebendies voneinander zu ahnen.
Wenn aber Ulrich nicht gerade schwer in der Schankstube beschäftigt war, vertraute sie sich ihm an, immer mit der dringenden Bitte, der Mama nichts davon zu erzählen, die verstehe das nicht.
„Die Mama versteht das schon.“, erwiderte Ulrich. „Nur hat sie vielleicht zu schnell Lösungen parat, die dir gar nicht helfen. Und ich habe auch keine Lösung. Ich kann nur zuhören.“
„Das ist aber viel besser.“, meinte Sigrid.
„Aber irgendwann muss das doch mal aufhören.“, sagte der Vater.
„Mir fällt schon was ein.“, erklärte Sigrid. „Und bis dahin erzähle ich dir alles und halte durch.“
Das ist tapfer und weise.“, entgegnete Ulrich.
Als Zehnjährige wechselte Sigrid planmäßig auf die Gesamtschule in Spenge. Alles war neu, nicht nur der Schulweg, das Gebäude, die Lehrenden, und die Art des Unterrichts; auch die Mitschülerinnen und Mitschüler. Die meisten waren in traditionellen Schulformen untergekommen, nicht eine von Sigrids Freundinnen war mit ihr gekommen und sie musste sich nun mühsam einen neuen Freundeskreis aufbauen.
An einem sonnigen Mittwochnachmittag trat sie tränenüberströmt in den Hausflur. Renate bemerkte es sofort und fragte: „Ist was passiert?“
„Nein“, antwortete Sigrid. „Nur wieder die blöde Anja“
„Was hat sie denn gemacht?“
„Nichts.“
„Wegen nichts heulst du doch nicht.“
„Die erzählt überall, dass ich stinke. Und jetzt will niemand mehr neben mir sitzen, weder in der Klasse, noch im Bus.“
Renate trat an Sigrid heran und schnüffelte. „Ich rieche nichts.“, sagte sie. „Vorsichtshalber wäscht du dich jeden Morgen gründlich mit Seife unter den Armen und benutzt ab sofort Deo. Meinetwegen kannst du auch duschen. Und wenn du jeden Tag das T-Shirt oder die Bluse wechselst, kannst du gar nicht stinken.“
So wurde es gemacht, doch die Sticheleien hörten nicht auf. Renate hatte nicht verstanden, das der vermeintliche Körpergeruch ihrer Tochter nur als Vorwand diente, um sie auszugrenzen und zu erniedrigen. Vom nächsten Vorfall – bei so einem altmodischen Vornamen wie Sigrid müsse man davon ausgehen, dass ihre Eltern Geschwister seien – erzählte sie der Mutter nichts, doch doch nur Maßnahmen ergriff, um das vermeintliche Fehlverhalten ihrer Tochter auszuräumen. Stattdessen richtete sie den Schmerz nach innen, wurde übellaunig, träge, einsilbig und patzig.
Renate ahnte nicht, was in ihrer Tochter vorging, wenn sie stundenlang über den Hausaufgaben brütete und nicht vorankam. Sie hatte keine Kraft für Nachhilfetätigkeiten und in der Bildungseinrichtung, die ihre Tochter nun aufsuchte, sollte das eigentlich die Schule erledigen. Überall ließ Sigrid Sachen fallen und liegen, ihr Zimmer sah regelmäßig so aus, als hätten Einbrecher darin gewütet und Mutter und Tochter prallten wiederholt aufeinander, beide gleichermaßen am Ende ihrer Kräfte, ohne ebendies voneinander zu ahnen.
Wenn aber Ulrich nicht gerade schwer in der Schankstube beschäftigt war, vertraute sie sich ihm an, immer mit der dringenden Bitte, der Mama nichts davon zu erzählen, die verstehe das nicht.
„Die Mama versteht das schon.“, erwiderte Ulrich. „Nur hat sie vielleicht zu schnell Lösungen parat, die dir gar nicht helfen. Und ich habe auch keine Lösung. Ich kann nur zuhören.“
„Das ist aber viel besser.“, meinte Sigrid.
„Aber irgendwann muss das doch mal aufhören.“, sagte der Vater.
„Mir fällt schon was ein.“, erklärte Sigrid. „Und bis dahin erzähle ich dir alles und halte durch.“
Das ist tapfer und weise.“, entgegnete Ulrich.
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