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Freitag, 6. Dezember 2024
2nd Spoiler 11
c. fabry, 10:58h
1976
Trotzanfälle von Kleinkindern können Eltern leicht an ihre Grenzen bringen. Bei Dreijährigen ist dieser erste Akt bewusster Selbstständigkeit im Leben besonders ausgeprägt. Oft beginnt es aber schon vor Vollendung des dritten Lebensjahres. So ging es auch mit Sigrid. Sie hatte sehr klare Vorstellungen bezüglich ihrer Präferenzen von Lebensmitteln, Farben oder Spielzeugen. Dabei erwies sie sich als Kompromisslos, unabhängig davon, ob es nur einen Handgriff erforderte oder man die halbe Welt aus den Angeln heben musste, um ihrem Wunsch zu entsprechen. Das konnte sehr anstrengend sein, vor allem dann, wenn egen weiterer Faktoren ohnehin schon Dampf im Kessel war.
An diesem Morgen wollte sie ihren Brei aus der Schale mit den Kätzchen.
„Miez!“, sagte Sigrid bestimmt.
In einer Stunde musste die Gaststube hergerichtet sein – eine Gruppe von Geschäftsleuten hatte sich zum Frühschoppen angemeldet. Das Katzenschälchen war noch schmutzig vom Vortag und stand krustig eingetrocknet im unteren Drittel eines gigantischen Spülberges, den zu beseitigen sie sich für die Zeit des Kochens der Mittagsmahlzeit vorgenommen hatte. Hildegard saß beim Friseur und Ulrich erledigte Einkäufe.
„Die Miez schläft ganz tief, die kann heute Morgen nicht.“, versuchte Renate, ihre Tochter zu beschwichtigen. „Wenn du alles aufisst, findest du die Ente.“
„Will keine Ente!“, protestierte Sigrid. „Ich will die Miez!“
„Aber die Miez ist krank.“
„Ich will die Miez! Ich will die Miez!“, kreischte Sigrid in immer höheren Tönen und schlug mit Wucht rhythmisch mit dem Löffel auf den Brei, sodass der Tisch, die Bank, die Stühle und sogar die Wand Spritzer abbekamen.
„Jetzt hab‘ ich aber genug!“, brüllte Renate und ihre Faust sauste auf den Tisch. „Die Miez ist krank und du isst jetzt deinen Brei und hörst auf hier rumzusauen!“
Sigrid hielt kurz inne vor Schreck, dann brüllte sie um so höher und lauter: „Die Miez! Ich will die Miez!“, begleitet von heißen Tränen und herzzerreißenden Schluchzern.
Plötzlich stand Ulrich in der Küchentür. „Was ist den hier los?“, fragte er.
„“Gar nichts.“, schrie Renate gereizt. „Sie macht Theater, das ist alles.“ Dann wandte sie sich erneut an das Kind: „Sei endlich still und iss. Sonst kommt die Miez nie wieder.“
Nun geriet Sigrid noch mehr in Rage.
„Warum gibst du ihr das Schälchen nicht?“, fragte Ulrich verwirrt.
Renates Stimme überschlug sich fast, als sie erklärte: „Weil es dreckig und angetrocknet ganz unten im Spülberg steckt und ich keine Zeit habe.“
„Sag das doch gleich.“, meinte Ulrich. Er nahm Sigrid auf den Arm und sagte: „Komm, wir suchen die Miez, Mama hat keine Zeit..“
Er ging mit der Kleinen zum Stapel mit dem schmutzigen Geschirr und ziegte ihr den Rand eines Schüsselchens, bei dem es sich wahrscheinlich um das begehrte Objekt handelte.
„Guck mal, Siggi, ich kann die Miez da jetzt auch nicht raus holen, die ist ganz tief vergraben und bis wir die ausgegraben haben, hast du so doll Hunger, dass du gar nicht mehr gucken kannst. Jetzt essen wir was, dann graben wir die Miez aus und heute Mittag isst du wieder aus der Miez. Was meinst du?“
Sigrid schien noch nicht zufrieden, wurde aber langsam ruhiger und die Abstände zwischen den Schluchzern vergrößerten sich. Ulrich sang ihr etwas vor und überzeugte sie mit albernen Spielchen, den Brei zu löffeln, bis sie wieder lachte. Auch Renate beruhigte sich, überließ das Kind dem Vater und bereitete die Gaststube vor. Als sie in die Küche zurück kam, hatte ihr Mann das Katzenschälchen ausgegraben und Sigrid stand auf einem Hocker vor dem Spülbecken und reinigte unter väterlicher Anleitung ihr Lieblingsgeschirr. Das entlockte Renate ein liebevolles Lächeln. Sie gab Mann und Tochter einen Kuss, den Sigrid eher stoisch erduldete.
Und dann kam Weihnachten. Es war anstrengender als bei anderen Leuten, das Weihnachtsgeschäft im Gasthof mitzunehmen und gleichzeitig ein stimmungsvolles Fest für die ganze Familie vorzubereiten mit gutem Essen, Festschmuck, Lichterbaum, Geschenken und leuchtenden Kinderaugen. Aber es gelang. Als sie den Schlüssel hinter dem letzten Gast umdrehten, nahmen sie Platz in der Weihnachtsstube, die sie nebenbei abwechselnd vorbereitet hatten. Sigrid hatte bereits zu Abend gegessen, es wurde gesungen, dann durfte die Kleine zum Entzücken der Erwachsenen ihre Geschenke auspacken und etwas naschen. Danach blieb ihr noch etwas Zeit zum Spielen, während die Erwachsenen ihre Päckchen öffneten und Hildegard in der Küche verschwand, um das Abendessen für die Erwachsenen anzurichten.
Als Renate ihre Tochter zu Bett brachte, ganz beseelt von dem perfekten, stimmungsvollen Abend, spürte sie, dass etwas das Bild störte. Sie trug das Kind ins Schlafzimmer, aber die Kleine wirkte dabei leicht distanziert, als handele es sich nicht um ihre Mutter sondern eine Tante, eine Fremde, von der man nicht wusste, ob man ihr trauen konnte.
Trotzanfälle von Kleinkindern können Eltern leicht an ihre Grenzen bringen. Bei Dreijährigen ist dieser erste Akt bewusster Selbstständigkeit im Leben besonders ausgeprägt. Oft beginnt es aber schon vor Vollendung des dritten Lebensjahres. So ging es auch mit Sigrid. Sie hatte sehr klare Vorstellungen bezüglich ihrer Präferenzen von Lebensmitteln, Farben oder Spielzeugen. Dabei erwies sie sich als Kompromisslos, unabhängig davon, ob es nur einen Handgriff erforderte oder man die halbe Welt aus den Angeln heben musste, um ihrem Wunsch zu entsprechen. Das konnte sehr anstrengend sein, vor allem dann, wenn egen weiterer Faktoren ohnehin schon Dampf im Kessel war.
An diesem Morgen wollte sie ihren Brei aus der Schale mit den Kätzchen.
„Miez!“, sagte Sigrid bestimmt.
In einer Stunde musste die Gaststube hergerichtet sein – eine Gruppe von Geschäftsleuten hatte sich zum Frühschoppen angemeldet. Das Katzenschälchen war noch schmutzig vom Vortag und stand krustig eingetrocknet im unteren Drittel eines gigantischen Spülberges, den zu beseitigen sie sich für die Zeit des Kochens der Mittagsmahlzeit vorgenommen hatte. Hildegard saß beim Friseur und Ulrich erledigte Einkäufe.
„Die Miez schläft ganz tief, die kann heute Morgen nicht.“, versuchte Renate, ihre Tochter zu beschwichtigen. „Wenn du alles aufisst, findest du die Ente.“
„Will keine Ente!“, protestierte Sigrid. „Ich will die Miez!“
„Aber die Miez ist krank.“
„Ich will die Miez! Ich will die Miez!“, kreischte Sigrid in immer höheren Tönen und schlug mit Wucht rhythmisch mit dem Löffel auf den Brei, sodass der Tisch, die Bank, die Stühle und sogar die Wand Spritzer abbekamen.
„Jetzt hab‘ ich aber genug!“, brüllte Renate und ihre Faust sauste auf den Tisch. „Die Miez ist krank und du isst jetzt deinen Brei und hörst auf hier rumzusauen!“
Sigrid hielt kurz inne vor Schreck, dann brüllte sie um so höher und lauter: „Die Miez! Ich will die Miez!“, begleitet von heißen Tränen und herzzerreißenden Schluchzern.
Plötzlich stand Ulrich in der Küchentür. „Was ist den hier los?“, fragte er.
„“Gar nichts.“, schrie Renate gereizt. „Sie macht Theater, das ist alles.“ Dann wandte sie sich erneut an das Kind: „Sei endlich still und iss. Sonst kommt die Miez nie wieder.“
Nun geriet Sigrid noch mehr in Rage.
„Warum gibst du ihr das Schälchen nicht?“, fragte Ulrich verwirrt.
Renates Stimme überschlug sich fast, als sie erklärte: „Weil es dreckig und angetrocknet ganz unten im Spülberg steckt und ich keine Zeit habe.“
„Sag das doch gleich.“, meinte Ulrich. Er nahm Sigrid auf den Arm und sagte: „Komm, wir suchen die Miez, Mama hat keine Zeit..“
Er ging mit der Kleinen zum Stapel mit dem schmutzigen Geschirr und ziegte ihr den Rand eines Schüsselchens, bei dem es sich wahrscheinlich um das begehrte Objekt handelte.
„Guck mal, Siggi, ich kann die Miez da jetzt auch nicht raus holen, die ist ganz tief vergraben und bis wir die ausgegraben haben, hast du so doll Hunger, dass du gar nicht mehr gucken kannst. Jetzt essen wir was, dann graben wir die Miez aus und heute Mittag isst du wieder aus der Miez. Was meinst du?“
Sigrid schien noch nicht zufrieden, wurde aber langsam ruhiger und die Abstände zwischen den Schluchzern vergrößerten sich. Ulrich sang ihr etwas vor und überzeugte sie mit albernen Spielchen, den Brei zu löffeln, bis sie wieder lachte. Auch Renate beruhigte sich, überließ das Kind dem Vater und bereitete die Gaststube vor. Als sie in die Küche zurück kam, hatte ihr Mann das Katzenschälchen ausgegraben und Sigrid stand auf einem Hocker vor dem Spülbecken und reinigte unter väterlicher Anleitung ihr Lieblingsgeschirr. Das entlockte Renate ein liebevolles Lächeln. Sie gab Mann und Tochter einen Kuss, den Sigrid eher stoisch erduldete.
Und dann kam Weihnachten. Es war anstrengender als bei anderen Leuten, das Weihnachtsgeschäft im Gasthof mitzunehmen und gleichzeitig ein stimmungsvolles Fest für die ganze Familie vorzubereiten mit gutem Essen, Festschmuck, Lichterbaum, Geschenken und leuchtenden Kinderaugen. Aber es gelang. Als sie den Schlüssel hinter dem letzten Gast umdrehten, nahmen sie Platz in der Weihnachtsstube, die sie nebenbei abwechselnd vorbereitet hatten. Sigrid hatte bereits zu Abend gegessen, es wurde gesungen, dann durfte die Kleine zum Entzücken der Erwachsenen ihre Geschenke auspacken und etwas naschen. Danach blieb ihr noch etwas Zeit zum Spielen, während die Erwachsenen ihre Päckchen öffneten und Hildegard in der Küche verschwand, um das Abendessen für die Erwachsenen anzurichten.
Als Renate ihre Tochter zu Bett brachte, ganz beseelt von dem perfekten, stimmungsvollen Abend, spürte sie, dass etwas das Bild störte. Sie trug das Kind ins Schlafzimmer, aber die Kleine wirkte dabei leicht distanziert, als handele es sich nicht um ihre Mutter sondern eine Tante, eine Fremde, von der man nicht wusste, ob man ihr trauen konnte.
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