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Freitag, 4. Oktober 2024
2nd Spoiler 4
c. fabry, 00:44h
1961
Die Grundschulzeit ging zu Ende, das Schulgebäude blieb das Gleiche. Für das dritte Schuljahr war Renate in den Klassenraum mit Blick zum Schulhof umgezogen – etwas langweiliger war die Aussicht schon und dort war es auch weniger hell; nun ging es in den großen Raum mit Bühne und mit Aussicht auf den Garten des Schulleiters, der die Klasse in Mathematik, Naturwissenschaften und Geschichte unterrichtete. Männer waren Renate suspekt: sie kannte den launischen, bisweilen jähzornigen Vater, betrunkene, lautstark palavernde Stammgäste im Gasthof, rüde Bauern in der Verwandtschaft, aber selten jemanden, der einen feinsinnigen oder einfühlsamen Eindruck machte.
Als sie nach dem ersten Tag in der fünften Klasse nach Hause kam, spürte sie sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie bemühte sich, alles richtig zu machen, stellte den Ranzen ordentlich auf die Ecke der Küchenbank, vermied es, Geräusche zu machen und hängte sorgsam ihre Jacke an die Garderobe.
Tatsächlich war es ihr aber entgangen, dass sie in die Hinterlassenschaft eines größeren Vogels getreten war, und nun, da sie es versäumt hatte, die Straßenschuhe gegen Pantoffeln einzutauschen, verteilte sie in mehreren Räumen hässliche Kotflecken.
Heinrich hatte soeben äußerst ärgerliche Post vom Finanzamt geöffnet, noch etwas Unangenehmes, um das er sich kümmern musste, dabei hatte er gerade die Bierleitung gereinigt und am Nachmittag erwartete er eine größere Gesellschaft, die nicht nur trinken, sondern auch essen wollten – wenn auch nur Brühwürstchen mit Kartoffelsalat.
Als es nun in seinen Augen so aussah, als müssten sämtliche Fußböden noch einmal gründlich gewischt werden, löste sich seine Selbstbeherrschung vollständig auf. „Verdammt nochmal! Wie dumm bist du eigentlich?“ brüllte er Renate an, die - sich keiner Schuld bewusst – zusammenzuckte.
„Du weißt doch, dass man seine Straßenschuhe auszieht, wenn man nach Hause kommt!“
Sie sah an sich herunter und fand den Fehler. Schnell streifte sie die Schuhe ab, schlüpfte in die Pantoffeln und wollte die Schuhe ins Regal stellen, als ihr Vater einen Satz auf sie zu machte, sie am Arm packte und schüttelte.
„Wo hast du denn deinen Verstand?“, brüllte er. „Bring deine dreckigen Treter nach draußen und mach sie gründlich sauber. Und dann machst du Wischwasser und wischt hier alles feucht durch.“
„Lass sie los!“, unterbrach Hildegard ihren Mann. „Gib mir die Schuhe, Renate, ich mach das. Dein Essen steht schon auf dem Tisch. Geh ruhig in die Küche. Die paar Flecken, die ich noch nicht gefunden habe, putze ich nach dem Essen weg. Deswegen muss nicht alles nochmal gewischt werden.“
Renate floh in die Küche und Heinrich stand mit offenem Mund da. „Wieso mischt du dich ein?“, fragte er und seine Augen blitzten angriffslustig. „Sie muss doch schließlich lernen, Ordnung zu halten.“
„So wie du versuchst, ihr das beizubringen, lernt sie nur eins: dass ihr Papa ein böser Mann ist, vor dem sie sich in acht nehmen muss. Darüber vergisst sie dann alles, was wirklich wichtig ist. Wir haben viel Arbeit und manchmal hat man keine Geduld mehr mit einem Kind. Aber wenn wir wollen, dass Renate uns im Alter unterstützt, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie etwas lernt. Und das wird nichts, wenn sie immer Angst hat.“
Heinrich erklärte der unsicheren Renate, dass er eigentlich nicht so hart und laut reagieren wollte. Er sei eben gereizt, wenn alles zu viel würde, aber das sei nicht ihre Schuld.
„Lass mich das nächste Mal einfach stehen, wenn ich dich anschreie.“, schlug er schmunzelnd vor. „Dann fällt mir vielleicht wieder ein, dass ich das nicht will.“
Renate lächelte vorsichtig und schöpfte ein wenig Hoffnung.
Die Grundschulzeit ging zu Ende, das Schulgebäude blieb das Gleiche. Für das dritte Schuljahr war Renate in den Klassenraum mit Blick zum Schulhof umgezogen – etwas langweiliger war die Aussicht schon und dort war es auch weniger hell; nun ging es in den großen Raum mit Bühne und mit Aussicht auf den Garten des Schulleiters, der die Klasse in Mathematik, Naturwissenschaften und Geschichte unterrichtete. Männer waren Renate suspekt: sie kannte den launischen, bisweilen jähzornigen Vater, betrunkene, lautstark palavernde Stammgäste im Gasthof, rüde Bauern in der Verwandtschaft, aber selten jemanden, der einen feinsinnigen oder einfühlsamen Eindruck machte.
Als sie nach dem ersten Tag in der fünften Klasse nach Hause kam, spürte sie sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Sie bemühte sich, alles richtig zu machen, stellte den Ranzen ordentlich auf die Ecke der Küchenbank, vermied es, Geräusche zu machen und hängte sorgsam ihre Jacke an die Garderobe.
Tatsächlich war es ihr aber entgangen, dass sie in die Hinterlassenschaft eines größeren Vogels getreten war, und nun, da sie es versäumt hatte, die Straßenschuhe gegen Pantoffeln einzutauschen, verteilte sie in mehreren Räumen hässliche Kotflecken.
Heinrich hatte soeben äußerst ärgerliche Post vom Finanzamt geöffnet, noch etwas Unangenehmes, um das er sich kümmern musste, dabei hatte er gerade die Bierleitung gereinigt und am Nachmittag erwartete er eine größere Gesellschaft, die nicht nur trinken, sondern auch essen wollten – wenn auch nur Brühwürstchen mit Kartoffelsalat.
Als es nun in seinen Augen so aussah, als müssten sämtliche Fußböden noch einmal gründlich gewischt werden, löste sich seine Selbstbeherrschung vollständig auf. „Verdammt nochmal! Wie dumm bist du eigentlich?“ brüllte er Renate an, die - sich keiner Schuld bewusst – zusammenzuckte.
„Du weißt doch, dass man seine Straßenschuhe auszieht, wenn man nach Hause kommt!“
Sie sah an sich herunter und fand den Fehler. Schnell streifte sie die Schuhe ab, schlüpfte in die Pantoffeln und wollte die Schuhe ins Regal stellen, als ihr Vater einen Satz auf sie zu machte, sie am Arm packte und schüttelte.
„Wo hast du denn deinen Verstand?“, brüllte er. „Bring deine dreckigen Treter nach draußen und mach sie gründlich sauber. Und dann machst du Wischwasser und wischt hier alles feucht durch.“
„Lass sie los!“, unterbrach Hildegard ihren Mann. „Gib mir die Schuhe, Renate, ich mach das. Dein Essen steht schon auf dem Tisch. Geh ruhig in die Küche. Die paar Flecken, die ich noch nicht gefunden habe, putze ich nach dem Essen weg. Deswegen muss nicht alles nochmal gewischt werden.“
Renate floh in die Küche und Heinrich stand mit offenem Mund da. „Wieso mischt du dich ein?“, fragte er und seine Augen blitzten angriffslustig. „Sie muss doch schließlich lernen, Ordnung zu halten.“
„So wie du versuchst, ihr das beizubringen, lernt sie nur eins: dass ihr Papa ein böser Mann ist, vor dem sie sich in acht nehmen muss. Darüber vergisst sie dann alles, was wirklich wichtig ist. Wir haben viel Arbeit und manchmal hat man keine Geduld mehr mit einem Kind. Aber wenn wir wollen, dass Renate uns im Alter unterstützt, dann müssen wir dafür sorgen, dass sie etwas lernt. Und das wird nichts, wenn sie immer Angst hat.“
Heinrich erklärte der unsicheren Renate, dass er eigentlich nicht so hart und laut reagieren wollte. Er sei eben gereizt, wenn alles zu viel würde, aber das sei nicht ihre Schuld.
„Lass mich das nächste Mal einfach stehen, wenn ich dich anschreie.“, schlug er schmunzelnd vor. „Dann fällt mir vielleicht wieder ein, dass ich das nicht will.“
Renate lächelte vorsichtig und schöpfte ein wenig Hoffnung.
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