Samstag, 28. September 2024
2nd Spoiler 3
1957
Nur wenige Tage nach Ostern war es soweit: Renate bekam ein neues Kleid mit fröhlichem Blumenmuster und gebauschtem Rock, dazu schneeweiße Strumpfhosen und eine wärmende Strickjacke für die Morgenstunden. Ein paar Tage zuvor hatte sie auf dem Friseurstuhl gesessen und einen praktischen Kurzhaarschnitt erhalten. Der Ranzen war aus genarbtem, braunem Leder, die Schultüte groß und bunt und voller Spannung wartete Renate auf die Mittagszeit, wenn sie ihre Überraschungen auspacken durfte.
Das Schulgebäude in Häger wirkte mit seinem hellen Anstrich und den frisch austreibenden Bäumen freundlich und einladend.
Die großen Kinder sangen zur Begrüßung ein fröhliches Lied im Chor, die Mütter blieben zunächst bei ihren Kindern und sahen zu. Vor einem malerischen Hintergrund von Narzissen und rot blühenden, wilden Johannisbeeren nahm jedes einzelne Kind Aufstellung neben einem lustigen Osterhasen, der eine Kiepe mit bunten Eiern trug, dazu ein ovales, dunkelblaues Schild in der Pfote mit der Aufschrift: Mein erster Schultag.
Renate wirkte auf dem Foto ein wenig eingeschüchtert. So viele Kinder auf einem Haufen und dazu all die fremden Erwachsenen stellten eine große Herausforderung dar. Noch schneller schlug das Herz und Renate musste heftig schlucken, als es nun ohne Mutter in den Klassenraum ging.
Der Raum – eingerichtet mit klassischen Schulbänken, einer Tafel, ein wenig schmückenden Bildern hatte etwas Beängstigendes, auch wenn die zahlreichen hohen Fenster viel Licht hereinließen. Die Lehrerin sprach freundlich, aber auch streng, so als lauere hinter ihrer kultivierten Maske eine unberechenbare Monströsität, die jederzeit entfesselt werden konnte, man wusste nur nicht wodurch. Renate stand unter einer gewaltigen Anspannung, die zu kleinen Schalen geformten Hände lagen auf dem Tisch und unter ihnen entstanden auf der dunkelbraun lackierten Fläche kleine Schweißpfützen.
Nach einer Stunde war sie schon wieder erlöst und stürzte erleichtert in die Arme ihrer wartenden Mutter.
Zuhause durfte sie endlich die Schultüte auspacken: Sie fand Wachsmalkreiden, einen Flummi, ein neues Springseil, einen Kreisel, neue Kleider für die Anziehpuppen, Glanzbilder, Zuckerstangen, Brausebonbons, Karamell, Schokolade und Kaugummi.
Nach dem Mittagessen war die erste Hausaufgabe dran: Ein Bild von der eigenen Familie malen. Das machte Renate Freude und die neuen Wachsmalkreiden kamen direkt zum Einsatz.
Nachmittags kamen die Paten zu Kaffee und Kuchen und brachten Geld für die Spardose, ein Malbuch und Buntstifte mit. Renate fühlte sich reich beschenkt und ein wenig erschöpft. Am Abend schlief sie stolz und glücklich ein. Am zweiten Schultag war ein Großteil der Angst verflogen und es begannen vier weitestgehend unbeschwerte Jahre für sie.

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2nd Spoiler 3
1957
Nur wenige Tage nach Ostern war es soweit: Renate bekam ein neues Kleid mit fröhlichem Blumenmuster und gebauschtem Rock, dazu schneeweiße Strumpfhosen und eine wärmende Strickjacke für die Morgenstunden. Ein paar Tage zuvor hatte sie auf dem Friseurstuhl gesessen und einen praktischen Kurzhaarschnitt erhalten. Der Ranzen war aus genarbtem, braunem Leder, die Schultüte groß und bunt und voller Spannung wartete Renate auf die Mittagszeit, wenn sie ihre Überraschungen auspacken durfte.
Das Schulgebäude in Häger wirkte mit seinem hellen Anstrich und den frisch austreibenden Bäumen freundlich und einladend.
Die großen Kinder sangen zur Begrüßung ein fröhliches Lied im Chor, die Mütter blieben zunächst bei ihren Kindern und sahen zu. Vor einem malerischen Hintergrund von Narzissen und rot blühenden, wilden Johannisbeeren nahm jedes einzelne Kind Aufstellung neben einem lustigen Osterhasen, der eine Kiepe mit bunten Eiern trug, dazu ein ovales, dunkelblaues Schild in der Pfote mit der Aufschrift: Mein erster Schultag.
Renate wirkte auf dem Foto ein wenig eingeschüchtert. So viele Kinder auf einem Haufen und dazu all die fremden Erwachsenen stellten eine große Herausforderung dar. Noch schneller schlug das Herz und Renate musste heftig schlucken, als es nun ohne Mutter in den Klassenraum ging.
Der Raum – eingerichtet mit klassischen Schulbänken, einer Tafel, ein wenig schmückenden Bildern hatte etwas Beängstigendes, auch wenn die zahlreichen hohen Fenster viel Licht hereinließen. Die Lehrerin sprach freundlich, aber auch streng, so als lauere hinter ihrer kultivierten Maske eine unberechenbare Monströsität, die jederzeit entfesselt werden konnte, man wusste nur nicht wodurch. Renate stand unter einer gewaltigen Anspannung, die zu kleinen Schalen geformten Hände lagen auf dem Tisch und unter ihnen entstanden auf der dunkelbraun lackierten Fläche kleine Schweißpfützen.
Nach einer Stunde war sie schon wieder erlöst und stürzte erleichtert in die Arme ihrer wartenden Mutter.
Zuhause durfte sie endlich die Schultüte auspacken: Sie fand Wachsmalkreiden, einen Flummi, ein neues Springseil, einen Kreisel, neue Kleider für die Anziehpuppen, Glanzbilder, Zuckerstangen, Brausebonbons, Karamell, Schokolade und Kaugummi.
Nach dem Mittagessen war die erste Hausaufgabe dran: Ein Bild von der eigenen Familie malen. Das machte Renate Freude und die neuen Wachsmalkreiden kamen direkt zum Einsatz.
Nachmittags kamen die Paten zu Kaffee und Kuchen und brachten Geld für die Spardose, ein Malbuch und Buntstifte mit. Renate fühlte sich reich beschenkt und ein wenig erschöpft. Am Abend schlief sie stolz und glücklich ein. Am zweiten Schultag war ein Großteil der Angst verflogen und es begannen vier weitestgehend unbeschwerte Jahre für sie.

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