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Freitag, 7. Juni 2024
Spoiler 27
c. fabry, 20:18h
2010
Gegen Ende von Violas zweitem Schuljahr - Louis war inzwischen drein-ein-halb Jahre alt und besuchte ganztägig den Kindergarten - brachte Astrid ihr drittes Kind zur Welt. Geplant war das nicht. Es hatte sich vielmehr um einen Verhütungsunfall gehandelt. Im letzten Drittel der Schwangerschaft hatte Raimund den ständigen Verzicht auf sexuelle Aktivitäten satt. Er kompensierte dies zunächst mit Bordellbesuchen, empfand das aber abgesehen von den exorbitanten Kosten als zu riskant. Nichts wäre ihm peinlicher gewesen, als dabei erkannt und angeprangert zu werden.
Eines Abends fiel sein Blick auf die achtjährige Viola, die in ihrer Physiognomie und vor allem in den Gesichtszügen ihrer Mutter sehr ähnelte. Das erinnerte ihn an die Anfänge mit Astrid, die Verliebtheit, die Spannung, die freudige Erregung, die unschuldige, gegenseitige Anziehung. Er begann, sich schuldig zu fühlen, nicht nur für seine sexuellen Entgleisungen, sondern auch für die übertriebenen Zornausbrüche gegenüber seiner Tochter. Ihn plagte ein schlechtes Gewissen. Darum kniete er sich neben sie, senkte den Blick und sagte: "Ich war oft viel zu grob zu dir. Das wollte ich eigentlich nicht. Das soll auch nicht mehr vorkommen. Ich hab‘ dich ja lieb. Was hältst du davon, wenn wir morgen einen Ausflug machen? Nur wir beide?"
"Wohin denn?", fragte Viola skeptisch.
"In einen richtig tollen Freizeitpark."
"Ich weiß nicht."
"Du, das wird toll, da gibt es Zwergenwohnungen und Riesenhäuser, Fahrräder, die rückwärts fahren, Karussells und Rutschen und irre Schaukeln. Das wird ein Riesenspaß. Und da gibt‘s Eis und Limo und Pommes so viel du willst."
"Und Louis?"
"Der bleibt bei Oma."
"Na gut."
Es wurde tatsächlich ein schöner und aufregender Tag für Viola, wenn auch die innere Anspannung nie ganz nachließ, das fiel sogar Raimund auf und er war wild entschlossen, das Vertrauen seiner Tochter geduldig zurück zu gewinnen. Astrid war hocherfreut, dass er sich endlich um seine Älteste bemühte und konzentrierte sich entspannt auf ihre eigenen Bedürfnisse, während Ingrid Louis verhätschelte.
Im März 2010 wurde Annalena geboren. Für ein Jahr nahm Astrid die neue Elternzeit in Anspruch, danach wollte sie ihre berufliche Tätigkeit zunächst ausschließlich mit Nachtwachen fortsetzen.
In diesem Jahr nahm sie sich auch wieder mehr Zeit für ihre älteren Kinder, nahm bewusst Anteil an deren Sorgen und Nöten, ließ kein Fest und keinen Elternabend aus und gab beiden das Gefühl, dass sie besonders wichtig waren und sehr geliebt wurden.
Als sie im Frühling 2011 mit den Nachtwachen begann, konnte sie dieses Pensum nicht länger durchhalten. Schweren Herzens nahm sie die Unterstützung durch die Schwiegermutter in Anspruch.
Leider entging es der mütterlichen Aufmerksamkeit, dass die Großmutter ihre Fürsorge höchst ungerecht verteilte. Während sie Louis über die Maßen verhätschelte, versorgte sie Viola und Annalena nur mit dem Nötigsten: satt, sauber, trocken. Wenn Astrid Kapazitäten für ihre Kinder hatte, investierte sie die meiste Zeit in die Jüngste, bis Louis eifersüchtig seinen Anteil einforderte. Für Viola blieb dann kaum etwas übrig und als mittlerweile Neunjährige, die längst gelernt hatte, von sich selbst absehen zu können, steckte sie bereitwillig zurück.
Den Ausflug in den Freizeitpark hatte Raimund als Erfolg verbucht. Er begann, mit seiner Tochter zu flirten: anerkennende Bemerkungen über ihre Figur oder die Wahl eines Kleidungsstückes, verschwörerisches Grinsen, Klapse auf den Po, alberne Witze. Ging Viola darauf ein, fühlte sich für ihn alles gut und richtig an. Reagierte sie mit Trotz oder Zurückweisung, wurde er schnell ungehalten. Das machte dem Mädchen Angst, denn die Erinnerung an den Tritt im Wohnzimmer hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis gegraben. Sie spielte mit, um dem Schlimmsten zu entgehen, Raimund ordnete es als Zustimmung ein. Und so ging er immer ein bisschen weiter, die Bemerkungen wurden schlüpfriger, die Blicke lüsterner, die Berührungen intimer. Viola hatte keine Idee, wie sie sich ihm entziehen sollte, ihre Mutter war permanent unter Anspannung, die Großmutter ohnehin nicht auf ihrer Seite. Hinzu kam die große Unsicherheit, ob sie nicht selbst ihren Vater dazu ermutigte, so mit ihr umzugehen, dass sie irgend etwas falsch machte, von dem sie noch nicht wusste, was es war.
Paula war ihre Insel. Bei Husemanns gab es keine häusliche Gewalt und auch keine unangebrachten Bemerkungen oder sonstige Grenzüberschreitungen. Von den riskanten Gästen wurden Kinder fern gehalten und Paulas Eltern und ihre Großmutter gingen liebevoll und fürsorglich mit ihrem einzigen Nachkommen um, auch wenn sie ihre eigenen Dramen bewältigen mussten und hin und wieder übersahen, dass diese auch an dem Mädchen nicht spurlos vorbei gingen.
Aber nicht einmal Paula mochte Viola berichten, was sich in ihrem Elternhaus abspielte. Oft fehlten ihr die Worte und selbst wenn sie welche hatte, erschienen sie unsagbar. So ungeheuerlich, unglaublich hätten sie geklungen. Und so schwieg Viola und hoffte insgeheim, dass es allmählich genauso schleichend vorbei ging, wie es angefangen hatte.
Gegen Ende von Violas zweitem Schuljahr - Louis war inzwischen drein-ein-halb Jahre alt und besuchte ganztägig den Kindergarten - brachte Astrid ihr drittes Kind zur Welt. Geplant war das nicht. Es hatte sich vielmehr um einen Verhütungsunfall gehandelt. Im letzten Drittel der Schwangerschaft hatte Raimund den ständigen Verzicht auf sexuelle Aktivitäten satt. Er kompensierte dies zunächst mit Bordellbesuchen, empfand das aber abgesehen von den exorbitanten Kosten als zu riskant. Nichts wäre ihm peinlicher gewesen, als dabei erkannt und angeprangert zu werden.
Eines Abends fiel sein Blick auf die achtjährige Viola, die in ihrer Physiognomie und vor allem in den Gesichtszügen ihrer Mutter sehr ähnelte. Das erinnerte ihn an die Anfänge mit Astrid, die Verliebtheit, die Spannung, die freudige Erregung, die unschuldige, gegenseitige Anziehung. Er begann, sich schuldig zu fühlen, nicht nur für seine sexuellen Entgleisungen, sondern auch für die übertriebenen Zornausbrüche gegenüber seiner Tochter. Ihn plagte ein schlechtes Gewissen. Darum kniete er sich neben sie, senkte den Blick und sagte: "Ich war oft viel zu grob zu dir. Das wollte ich eigentlich nicht. Das soll auch nicht mehr vorkommen. Ich hab‘ dich ja lieb. Was hältst du davon, wenn wir morgen einen Ausflug machen? Nur wir beide?"
"Wohin denn?", fragte Viola skeptisch.
"In einen richtig tollen Freizeitpark."
"Ich weiß nicht."
"Du, das wird toll, da gibt es Zwergenwohnungen und Riesenhäuser, Fahrräder, die rückwärts fahren, Karussells und Rutschen und irre Schaukeln. Das wird ein Riesenspaß. Und da gibt‘s Eis und Limo und Pommes so viel du willst."
"Und Louis?"
"Der bleibt bei Oma."
"Na gut."
Es wurde tatsächlich ein schöner und aufregender Tag für Viola, wenn auch die innere Anspannung nie ganz nachließ, das fiel sogar Raimund auf und er war wild entschlossen, das Vertrauen seiner Tochter geduldig zurück zu gewinnen. Astrid war hocherfreut, dass er sich endlich um seine Älteste bemühte und konzentrierte sich entspannt auf ihre eigenen Bedürfnisse, während Ingrid Louis verhätschelte.
Im März 2010 wurde Annalena geboren. Für ein Jahr nahm Astrid die neue Elternzeit in Anspruch, danach wollte sie ihre berufliche Tätigkeit zunächst ausschließlich mit Nachtwachen fortsetzen.
In diesem Jahr nahm sie sich auch wieder mehr Zeit für ihre älteren Kinder, nahm bewusst Anteil an deren Sorgen und Nöten, ließ kein Fest und keinen Elternabend aus und gab beiden das Gefühl, dass sie besonders wichtig waren und sehr geliebt wurden.
Als sie im Frühling 2011 mit den Nachtwachen begann, konnte sie dieses Pensum nicht länger durchhalten. Schweren Herzens nahm sie die Unterstützung durch die Schwiegermutter in Anspruch.
Leider entging es der mütterlichen Aufmerksamkeit, dass die Großmutter ihre Fürsorge höchst ungerecht verteilte. Während sie Louis über die Maßen verhätschelte, versorgte sie Viola und Annalena nur mit dem Nötigsten: satt, sauber, trocken. Wenn Astrid Kapazitäten für ihre Kinder hatte, investierte sie die meiste Zeit in die Jüngste, bis Louis eifersüchtig seinen Anteil einforderte. Für Viola blieb dann kaum etwas übrig und als mittlerweile Neunjährige, die längst gelernt hatte, von sich selbst absehen zu können, steckte sie bereitwillig zurück.
Den Ausflug in den Freizeitpark hatte Raimund als Erfolg verbucht. Er begann, mit seiner Tochter zu flirten: anerkennende Bemerkungen über ihre Figur oder die Wahl eines Kleidungsstückes, verschwörerisches Grinsen, Klapse auf den Po, alberne Witze. Ging Viola darauf ein, fühlte sich für ihn alles gut und richtig an. Reagierte sie mit Trotz oder Zurückweisung, wurde er schnell ungehalten. Das machte dem Mädchen Angst, denn die Erinnerung an den Tritt im Wohnzimmer hatte sich unauslöschlich in ihr Gedächtnis gegraben. Sie spielte mit, um dem Schlimmsten zu entgehen, Raimund ordnete es als Zustimmung ein. Und so ging er immer ein bisschen weiter, die Bemerkungen wurden schlüpfriger, die Blicke lüsterner, die Berührungen intimer. Viola hatte keine Idee, wie sie sich ihm entziehen sollte, ihre Mutter war permanent unter Anspannung, die Großmutter ohnehin nicht auf ihrer Seite. Hinzu kam die große Unsicherheit, ob sie nicht selbst ihren Vater dazu ermutigte, so mit ihr umzugehen, dass sie irgend etwas falsch machte, von dem sie noch nicht wusste, was es war.
Paula war ihre Insel. Bei Husemanns gab es keine häusliche Gewalt und auch keine unangebrachten Bemerkungen oder sonstige Grenzüberschreitungen. Von den riskanten Gästen wurden Kinder fern gehalten und Paulas Eltern und ihre Großmutter gingen liebevoll und fürsorglich mit ihrem einzigen Nachkommen um, auch wenn sie ihre eigenen Dramen bewältigen mussten und hin und wieder übersahen, dass diese auch an dem Mädchen nicht spurlos vorbei gingen.
Aber nicht einmal Paula mochte Viola berichten, was sich in ihrem Elternhaus abspielte. Oft fehlten ihr die Worte und selbst wenn sie welche hatte, erschienen sie unsagbar. So ungeheuerlich, unglaublich hätten sie geklungen. Und so schwieg Viola und hoffte insgeheim, dass es allmählich genauso schleichend vorbei ging, wie es angefangen hatte.
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