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Freitag, 8. März 2024
Spoiler 19
c. fabry, 23:57h
1992 - Ingrid
Die Kellertür stand offen und Lisbeth war nicht in der Küche, dabei wäre es längst zeit für das Mittagessen gewesen. Ingrid wollte die Tür schon einfach schließen, aber das brennende Licht neben der Treppe hielt sie zurück. Wobei hielt ihre Mutter sich so lange auf, dass sie darüber das Mittagessen vergessen hatte? Sie rief hinunter: „Mama? Was machst du?“
Als sie keine Antwort bekam, schritt sie mit einem mulmigen Gefühl die Stufen hinunter und entdeckte Lisbeth, starr auf der Seite liegend neben der Kartoffelkiste. Das Entsetzen brach aus ihr heraus und sie schrie aus Leibeskräften. Warum musste sie immer die soeben Verstorbenen auffinden? Sie hasste die kalte Fratze des Todes, das eisige Grauen, das durch jede Pore in ihren Körper kroch, ihr den Magen umdrehte und das Herz einzwängte, im Kopf ein bösartiges Kribbeln auslöste und Arme und Beine erstarren ließ. Mit dem Schrei stieß sie das Grauen aus sich heraus, machte sich frei davon, schaffte Distanz zwischen sich und dem Tod. Er hatte wieder zugeschlagen, aber sie wollte am Leben bleiben.
Kaum wahrnehmbar, aber doch stark genug, um es zu registrieren, hob und senkte sich Lisbeths Brustkorb. Sie atmete, sie war am Leben. Ingrid beugte sich über sie. „Mama? Hörst du mich?“
Ein unartikuliertes Stöhnen war die Antwort.
„Ich hole Hilfe.“, sagte Ingrid. „Ich bin gleich zurück.“
Sie stürmte nach oben, lief ins Wohnzimmer und rief einen Rettungswagen. Raimund war noch bei der Arbeit, also riss sie alle Türen auf, schnappte sich eine Decke und rannte zurück in den Keller, wo sie versuchte, ihre Mutter auf die Decke zu rollen. Das gestaltete sich weitaus schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte, weil Lisbeth nicht mithelfen konnte, obwohl sie doch klein und mager war. Es gelang ihr einigermaßen und sie versuchte, den ausgekühlten, alten Körper ein wenig aufzuwärmen. Lisbeth hatte sicher bereits zwei Stunden auf dem klammen, kalten Kellerboden zugebracht und während sie bei ihrer Mutter saß, dachte sie darüber nach, was als Nächstes zu tun sei, wenn der Notarzt seine Arbeit getan hatte. Das Vieh war für die nächsten Stunden versorgt, die Küche blieb heute kalt, abends könnte Raimund Pommes und Bratwurst aus einem Imbiss holen, aber wenn sie mit ins Krankenhaus fahren musste, dann würde keiner das Vieh am Abend versorgen. Sie musste auf dem Lehrhof anrufen. Raimund musste sich freischaufeln oder eine Vertretung organisieren.
Der Rettungswagen traft bereits nach wenigen Minuten ein. Die Sanitäter brachten Lisbeth ins nahe gelegene Krankenhaus nach Werther. Sie versicherten Ingrid, dass sie in den nächsten Stunden nicht viel tun könne, außer ein paar Sachen für ihre Mutter vorbei zu bringen. Also packte sie in Ruhe eine Tasche, rief bei Raimund Lehrstelle an, die ihn sofort nach Hause gehen ließen. Ingrid zauberte nun doch ein einfaches Mittagessen, ruhte sich kurz aus, wusch sich und wechselte die Kleidung. Dann machte sie sich auf den Weg ins Krankenhaus und übertrug Raimund die Sorge um das Vieh.
Lisbeth blieb eine Weile dort. Sie hatte einen schweren Schlaganfall erlitten und man hatte zunächst stabilisierende Maßnahmen eingeleitet. Ingrid schaute täglich vorbei, sprach mit den Schwestern, selten mit den Ärzten, ihre Mutter war ansprechbar, erkannte sie, konnte aber nicht sprechen und war halbseitig gelähmt. Es folgten eine Menge Untersuchungen und medikamentöse Einstellungen, aber schon bald betrachteten die Ärzte die alte Frau als austherapiert und dauerhaft pflegebedürftig. Die Unterbringung in einem Heim kam nicht infrage, also organisierte Ingrid mit Unterstützung aus dem Krankenhaus ein Pflegebett und jedes Zubehör, das sie für die Pflege ihrer Mutter benötigte. Nach drei Wochen lag Lisbeth wieder in ihrer vertrauten Umgebung.
Die Kellertür stand offen und Lisbeth war nicht in der Küche, dabei wäre es längst zeit für das Mittagessen gewesen. Ingrid wollte die Tür schon einfach schließen, aber das brennende Licht neben der Treppe hielt sie zurück. Wobei hielt ihre Mutter sich so lange auf, dass sie darüber das Mittagessen vergessen hatte? Sie rief hinunter: „Mama? Was machst du?“
Als sie keine Antwort bekam, schritt sie mit einem mulmigen Gefühl die Stufen hinunter und entdeckte Lisbeth, starr auf der Seite liegend neben der Kartoffelkiste. Das Entsetzen brach aus ihr heraus und sie schrie aus Leibeskräften. Warum musste sie immer die soeben Verstorbenen auffinden? Sie hasste die kalte Fratze des Todes, das eisige Grauen, das durch jede Pore in ihren Körper kroch, ihr den Magen umdrehte und das Herz einzwängte, im Kopf ein bösartiges Kribbeln auslöste und Arme und Beine erstarren ließ. Mit dem Schrei stieß sie das Grauen aus sich heraus, machte sich frei davon, schaffte Distanz zwischen sich und dem Tod. Er hatte wieder zugeschlagen, aber sie wollte am Leben bleiben.
Kaum wahrnehmbar, aber doch stark genug, um es zu registrieren, hob und senkte sich Lisbeths Brustkorb. Sie atmete, sie war am Leben. Ingrid beugte sich über sie. „Mama? Hörst du mich?“
Ein unartikuliertes Stöhnen war die Antwort.
„Ich hole Hilfe.“, sagte Ingrid. „Ich bin gleich zurück.“
Sie stürmte nach oben, lief ins Wohnzimmer und rief einen Rettungswagen. Raimund war noch bei der Arbeit, also riss sie alle Türen auf, schnappte sich eine Decke und rannte zurück in den Keller, wo sie versuchte, ihre Mutter auf die Decke zu rollen. Das gestaltete sich weitaus schwieriger, als sie es sich vorgestellt hatte, weil Lisbeth nicht mithelfen konnte, obwohl sie doch klein und mager war. Es gelang ihr einigermaßen und sie versuchte, den ausgekühlten, alten Körper ein wenig aufzuwärmen. Lisbeth hatte sicher bereits zwei Stunden auf dem klammen, kalten Kellerboden zugebracht und während sie bei ihrer Mutter saß, dachte sie darüber nach, was als Nächstes zu tun sei, wenn der Notarzt seine Arbeit getan hatte. Das Vieh war für die nächsten Stunden versorgt, die Küche blieb heute kalt, abends könnte Raimund Pommes und Bratwurst aus einem Imbiss holen, aber wenn sie mit ins Krankenhaus fahren musste, dann würde keiner das Vieh am Abend versorgen. Sie musste auf dem Lehrhof anrufen. Raimund musste sich freischaufeln oder eine Vertretung organisieren.
Der Rettungswagen traft bereits nach wenigen Minuten ein. Die Sanitäter brachten Lisbeth ins nahe gelegene Krankenhaus nach Werther. Sie versicherten Ingrid, dass sie in den nächsten Stunden nicht viel tun könne, außer ein paar Sachen für ihre Mutter vorbei zu bringen. Also packte sie in Ruhe eine Tasche, rief bei Raimund Lehrstelle an, die ihn sofort nach Hause gehen ließen. Ingrid zauberte nun doch ein einfaches Mittagessen, ruhte sich kurz aus, wusch sich und wechselte die Kleidung. Dann machte sie sich auf den Weg ins Krankenhaus und übertrug Raimund die Sorge um das Vieh.
Lisbeth blieb eine Weile dort. Sie hatte einen schweren Schlaganfall erlitten und man hatte zunächst stabilisierende Maßnahmen eingeleitet. Ingrid schaute täglich vorbei, sprach mit den Schwestern, selten mit den Ärzten, ihre Mutter war ansprechbar, erkannte sie, konnte aber nicht sprechen und war halbseitig gelähmt. Es folgten eine Menge Untersuchungen und medikamentöse Einstellungen, aber schon bald betrachteten die Ärzte die alte Frau als austherapiert und dauerhaft pflegebedürftig. Die Unterbringung in einem Heim kam nicht infrage, also organisierte Ingrid mit Unterstützung aus dem Krankenhaus ein Pflegebett und jedes Zubehör, das sie für die Pflege ihrer Mutter benötigte. Nach drei Wochen lag Lisbeth wieder in ihrer vertrauten Umgebung.
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