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Sonntag, 12. Juni 2022
Gudrun
c. fabry, 21:27h
Er hatte eine Stunde Zeit, dann würde sie nach ihm suchen. Bis dahin hatte sie keinen Zugriff, musste der Gemeinde zur Verfügung stehen und konnte sich mit keiner Ausrede entziehen. Er sah sich ein letztes Mal um und fühlte in sich hinein, ob sich da irgendein Schmerz regte. Wenigstens einen kleinen Stich müsste er doch spüren. Da war aber nichts. Er erinnerte sich an die Anfänge. Sie hatte ihn überwältigt mit ihrem strahlenden Lächeln, dem glucksenden Lachen über seine Witze, der weichen Wärme ihrer mütterlichen Umarmungen, wenn sie ihn an ihre üppigen Brüste drückte, den Fleisch gewordenen Entsagungen seiner frühen Kindheit und wenn seine Hände über ihre runden Hüften fahren durften. Nach Frau und nach Zitronenverbene hatte sie gerochen, frisch, süß und würzig.
Sie hatte ihn angelockt, eingefangen und einen Konkon um ihn gesponnen. Zuerst war es ihm gar nicht aufgefallen. Das Leben mit ihr hatte ihm gut getan, ihre mütterliche Fürsorge, ihre stete Sorge um ihn, wie sie ihm Entscheidungen abnahm und ihn von der Last der Verantwortung erlöste.
Im Laufe der Jahre war es schwieriger geworden. Sie wollte immer genau wissen, was er tat und wo er sich aufhielt. Er durfte in ihrer Abwesenheit keine anderen Frauen treffen und wenn er nicht ihren Wünschen entsprach, wurde sie im günstigsten Fall mürrisch, oft laut und ausfallend und immer häufiger gewalttätig. Ein richtiger Brummer war sie im Laufe der Jahre geworden. Sie lag im Bett gern oben und begrub ihn unter ihren Fleischmassen. Ihr Geruch hatte mittlerweile eine säuerliche Note angenommen, gepaart mit einem süßlichen Unterton, der sich aufs unangenehmste im Rachenraum festsetzte und eine stetige Übelkeit auslöste. Nachts klang ihr Schnarchen wie ein einziges Kettensägenmassaker.
Immerhin hatte sie ihn bei der Evangelischen Männerarbeit mitmachen lassen, da witterte sie keine Gefahr, ahnte nichts von Fritzi, die beim Fahrradprojekt mitwirkte, weil ihr Mann sie wegen ihrer unverzichtbaren Fachkompetenz dazu geholt hatte, der Steffen, der mittlerweile verstorben war.
Es gestaltete sich als unproblematisch, Fritzi in den Telefonkontakten zu speichern, ihr Profilbild war ein Zahnrad, ihr Name überwiegend männlich assoziiert, ihre Botschaften ausreichend kryptisch und so hatten sie alles eingefädelt. Stück für Stück war jeder Gegenstand, der ihm wichtig war, bei Fritzi gelandet, ohne dass Siemke etwas davon mitbekommen hätte. Er hatte sich heute vom Gottesdienst abgemeldet, hatte gesagt, er müsse dringend joggen und wäre dann etwa um die gleiche Zeit zurück, um die Siemke aus der Kirche zurückkehrte.
Jetzt lief er. Papiere, Telefon und Portemonnaie in der Bauchtasche. Eine Stunde bis zum Bahnhof, dann mit dem Neun-Euro-Ticket nach Unna, da würde Fritzi ihn abholen. Und dann würde alles gut werden. Das Morgenlicht stimmte ihn hoffnungsfroh, die noch grüne Gerste wogte im frühsommerlichen Wind. Bald würde er mit Fritzi ausgedehnte Spaziergänge unternehmen und das Gold der Ähren mit dem ihres seidigen Haars vergleichen.
Er sah nicht, dass Gudrun ihm auf den Fersen war. Gudrun tat alles für Siemke, war ihre engste Vertraute, hatte einen Minijob als Reinigungskraft im Gemeindehaus, an den sie durch Siemkes Initiative gelangt war und sie schaffte es so, sich einigermaßen zu stabilisieren. Siemke verdankte sie, dass sie schon sehr lange keine Psychiatrie mehr von innen gesehen hatte. Eben hatte sie eine Nachricht bekommen: "Heute kein GoDi für Dich. Konrad folgen. Geht gleich laufen."
Gudrun tat das nicht zum ersten Mal. Sie hatte immer ein Auge auf Konrad, wenn Siemke sie darum bat, wenn sie es anordnete. So lautete die Absprache: "Verhindere, dass er Dummheiten anstellt."
Gudrun erwischte ihn kurz vorm Bahnhof, bei den Büschen, an der Ausfallstraße, wo niemand hinsieht. Er hatte mit Fritzi telefoniert. Gudrun stürzte sich auf ihn und zeterte: "Du fährst nirgendwo hin!"
Dieses Mal hatte sie ein Messer dabei. Sie würde Konrad erledigen, ein für allemal, dann konnte er Siemke nie wieder hintergehen und Siemke wäre endlich ganz und gar für Gudrun da.
Konrad entwand Gudrun das Messer und wehrte sich erfolgreich. Seiner Mörderin war er entkommen, doch die Schlacht hatte er verloren. Siemke hatte ihn endgültig besiegt.
Sie hatte ihn angelockt, eingefangen und einen Konkon um ihn gesponnen. Zuerst war es ihm gar nicht aufgefallen. Das Leben mit ihr hatte ihm gut getan, ihre mütterliche Fürsorge, ihre stete Sorge um ihn, wie sie ihm Entscheidungen abnahm und ihn von der Last der Verantwortung erlöste.
Im Laufe der Jahre war es schwieriger geworden. Sie wollte immer genau wissen, was er tat und wo er sich aufhielt. Er durfte in ihrer Abwesenheit keine anderen Frauen treffen und wenn er nicht ihren Wünschen entsprach, wurde sie im günstigsten Fall mürrisch, oft laut und ausfallend und immer häufiger gewalttätig. Ein richtiger Brummer war sie im Laufe der Jahre geworden. Sie lag im Bett gern oben und begrub ihn unter ihren Fleischmassen. Ihr Geruch hatte mittlerweile eine säuerliche Note angenommen, gepaart mit einem süßlichen Unterton, der sich aufs unangenehmste im Rachenraum festsetzte und eine stetige Übelkeit auslöste. Nachts klang ihr Schnarchen wie ein einziges Kettensägenmassaker.
Immerhin hatte sie ihn bei der Evangelischen Männerarbeit mitmachen lassen, da witterte sie keine Gefahr, ahnte nichts von Fritzi, die beim Fahrradprojekt mitwirkte, weil ihr Mann sie wegen ihrer unverzichtbaren Fachkompetenz dazu geholt hatte, der Steffen, der mittlerweile verstorben war.
Es gestaltete sich als unproblematisch, Fritzi in den Telefonkontakten zu speichern, ihr Profilbild war ein Zahnrad, ihr Name überwiegend männlich assoziiert, ihre Botschaften ausreichend kryptisch und so hatten sie alles eingefädelt. Stück für Stück war jeder Gegenstand, der ihm wichtig war, bei Fritzi gelandet, ohne dass Siemke etwas davon mitbekommen hätte. Er hatte sich heute vom Gottesdienst abgemeldet, hatte gesagt, er müsse dringend joggen und wäre dann etwa um die gleiche Zeit zurück, um die Siemke aus der Kirche zurückkehrte.
Jetzt lief er. Papiere, Telefon und Portemonnaie in der Bauchtasche. Eine Stunde bis zum Bahnhof, dann mit dem Neun-Euro-Ticket nach Unna, da würde Fritzi ihn abholen. Und dann würde alles gut werden. Das Morgenlicht stimmte ihn hoffnungsfroh, die noch grüne Gerste wogte im frühsommerlichen Wind. Bald würde er mit Fritzi ausgedehnte Spaziergänge unternehmen und das Gold der Ähren mit dem ihres seidigen Haars vergleichen.
Er sah nicht, dass Gudrun ihm auf den Fersen war. Gudrun tat alles für Siemke, war ihre engste Vertraute, hatte einen Minijob als Reinigungskraft im Gemeindehaus, an den sie durch Siemkes Initiative gelangt war und sie schaffte es so, sich einigermaßen zu stabilisieren. Siemke verdankte sie, dass sie schon sehr lange keine Psychiatrie mehr von innen gesehen hatte. Eben hatte sie eine Nachricht bekommen: "Heute kein GoDi für Dich. Konrad folgen. Geht gleich laufen."
Gudrun tat das nicht zum ersten Mal. Sie hatte immer ein Auge auf Konrad, wenn Siemke sie darum bat, wenn sie es anordnete. So lautete die Absprache: "Verhindere, dass er Dummheiten anstellt."
Gudrun erwischte ihn kurz vorm Bahnhof, bei den Büschen, an der Ausfallstraße, wo niemand hinsieht. Er hatte mit Fritzi telefoniert. Gudrun stürzte sich auf ihn und zeterte: "Du fährst nirgendwo hin!"
Dieses Mal hatte sie ein Messer dabei. Sie würde Konrad erledigen, ein für allemal, dann konnte er Siemke nie wieder hintergehen und Siemke wäre endlich ganz und gar für Gudrun da.
Konrad entwand Gudrun das Messer und wehrte sich erfolgreich. Seiner Mörderin war er entkommen, doch die Schlacht hatte er verloren. Siemke hatte ihn endgültig besiegt.
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