Freitag, 26. November 2021
Jack O
Kleine, runde Propfen. Die Ganze Straße ist voll damit. Jeder Knubbel watschelt auf unsicheren Füßen in der Menge und an jedem Knubbel baumelt ein überambitioniert gebastelter Leuchtkörper aus Papier. Laternenumzug. Hat Jakob nie gehabt. Nur Martinssingen mit Taschenlampe.

"Mami, Mami!", kreischt ein pinkfarbenes, vollständig wattiertes Exemplar.
"Was ist denn, mein Herzchen?", lautet das überakzentuierte und mit etlichen Dezibel oberhalb des Grenzwertes angesiedelte Echo eines weibliches Wesens, wahrscheinlich in gerader Linie verwandt. Sie fragt ja nur nach dem Begehren ihrer heranwachsenden Nachkommenschaft und trotzdem hört Jakob den ganzen, geballten Affront, der in dieser lauthals geflöteten Frage steckt: Wir sind die Guten. Wir haben es geschafft und du nicht, Jakob. Wir wissen, wie man spricht, während du nur ungebildet herumstammelst. Wir sind sauber, du bist dreckig. Bei uns ist alles heil und neu, bei dir dagegen alles alt und defekt. Wir haben Erfolg, du kannst nur scheitern. Wir sind Kirche, du bist Pöbel. Wir haben die Hoffnung, du nur die Verzweiflung. Wir wandeln im Licht, du in der Dunkelheit.

Laterne, Laterne, denkt Jakob, schaltet die Handy-Taschenlampe an und reiht sich ein. "Würden Sie bitte das Handylicht ausmachen?", zischt ihn eine blitzsaubere Erzieherin an. Höchstens fünf-und-zwanzig, das Kita-Mäuschen. Jakob grinst und leuchtet weiter. Laterne, Laterne.
"Ich bin Jack O?Lantern.", erklärt er lautstark. "Ich komme direkt aus der Hölle und das hier ist meine ausgehöhlte Rübe, mit glühenden Höllenkohlen drin, damit ich mich nicht verlaufe und nicht friere. Und wer seid ihr?"
Die Propfen starren ihn debil an und trippeln dann schnell hinter ihren Mamis her. Wenn sie groß sind, werden sie den Jakobs dieser Welt in den Hintern treten, sie aussperren, ihnen den Mund verbieten, ihnen einen Platz in ihren Reihen verweigern. Christenpack, selbstgerechtes.
"Sie machen den Kindern Angst.", zischt die blitzsaubere Erzieherin.
"Nicht nur den Kindern.", sagt Jakob.
Jemand packt ihn grob am Arm. Ein Kerl wie ein Schrank: "Sie verschwinden jetzt augenblicklich oder wir holen die Polizei."
Der Schrank schubst Jakob aus der Menge. Er hat Jack geschubst, Jack O-Lantern, Laternen-Jakob. Jack taumelt, läuft nach Hause, zu Mama.
Mama kann nicht mehr viel, hat aber immer noch ein Auto. Klein, aber schnell und hart genug.
Selbstzufriedenes Christenpack, sollen mal erleben, wie sich das anfühlt, geschubst zu werden, keine Zukunft zu haben, keine Hoffnung, nur Verzweiflung und Dunkelheit,
Er fährt, gibt Gas, hält drauf und rast in die wabernde Lichterschlange. Dachte, er würde gebremst wie von einem Berg aus Brei. Gab aber doch einen Schlag in den Nacken. Er setzt zurück, nimmt ein zweites Mal Anlauf. Trifft wieder. Draußen Schreie, Geheule, wütende Schränke. Aber niemand hält Jack O?Lantern auf. Er macht immer weiter. Er will, dass sie leiden, so wie er gelitten hat.
Als die Metall-Schellen sich um seine Handgelenke schließen, weiß er, dass er sein Ziel erreicht hat. Überall Geheule und Blitzlichtgewitter. Er hat es ihnen gezeigt und berühmt wird er auch. Jack O. Sie werden ihn nie vergessen.

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